Der Klimawandel stellt die Gesellschaft vor enorme Herausforderungen, die mehr erfordern werden als kleine Schritte der Anpassung in einzelnen Sektoren oder Regionen. Um langfristig resilient gegen den Klimawandel zu werden, wird eine weitreichende Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft notwendig sein (Walker et al. 2004; Folke et al. 2010; IPCC 2014c). Diese Transformation wird sowohl aus der Perspektive des Klimaschutzes als auch aus der Perspektive der Anpassung an den Klimawandel notwendig werden und neben technologischen und wirtschaftlichen Anpassungen gesellschaftliche, kulturelle und politische Veränderungsprozesse erfordern (WBGU 2011).

In den nachfolgenden Unterkapiteln stehen die Zusammenhänge zwischen Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel, die Chancen, Risiken und Grenzen der Anpassung sowie der nationale und globale Transformationsbedarf im Mittelpunkt. Es wird mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel nicht als einfache Substitute zu betrachten sind und die Möglichkeiten von Anpassung nicht überschätzt werden dürfen.

Neben den einzel- und volkswirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels betrachten die Autoren auch die sozialen, politischen und ökologischen Auswirkungen in einem systemischen Zusammenhang und weisen zudem darauf hin, wie wichtig und schwierig räumliche und zeitliche Differenzierung sein kann.

1 Kausalzusammenhang zwischen Klimaschutz und Anpassung, Anpassungsgrenzen und Transformation

Klimaanpassung und Klimaschutz sind als komplementäre Maßnahmen zur Vermeidung negativer Klimawandelfolgen eng aneinander gekoppelt. Klimaschutzmaßnahmen sind, zeitverzögert, entscheidend für das Ausmaß des Klimawandels und damit auch für die notwendige Anpassung, während Kosten und Potenziale von Anpassung bestimmend für Klimaschutzanstrengungen sein können. Daneben konkurrieren sie um ähnliche Ressourcen und sind durch Synergien und trade-offs verbunden (Klein et al. 2007; Moser 2012). Oft werden beide Maßnahmengruppen als Substitute behandelt, was jedoch die Gefahr birgt, wichtige Interaktionen sowie mögliche Grenzen der Anpassung zu ignorieren. Um Kosten und Risiken des Klimawandels zu reduzieren, ist ein aufeinander abgestimmter Mix aus ehrgeizigen Klimaschutzzielen und nachhaltigen Anpassungsmaßnahmen wichtig (IPCC 2014c). Auch der 6. Assessment Report des IPCC betrachtet u. a. die sogenannten Zusatzkosten und -nutzen (co-costs, co-benefits) von Anpassungs- und Mitigationsmaßnahmen, einschließlich ihrer Interaktionen und trade-offs sowie ihr Zusammenwirken mit weiteren Zielen einer nachhaltigen Entwicklung (IPCC 2017, 2021).

Verschiedene Emissionspfade führen zu unterschiedlichen Klimafolgen und Unsicherheitsniveaus hinsichtlich der Wirksamkeit von Anpassungsmaßnahmen (IPCC 2013; Kap. 2). Die langfristige klimatische Entwicklung wird in hohem Maße davon abhängen, welche Klimaschutzanstrengungen unternommen werden. Die Anpassung an die bereits im Klimasystem eingeschriebene Erwärmung von bis zu ca. 2 °C gegenüber vorindustriellen Temperaturen muss hingegen in jedem Falle geleistet werden. Während bei den gemäßigten Emissionsszenarien eine Restabilisierung des Klimas auf höherem Temperaturniveau gegen Ende dieses Jahrhunderts projiziert wird, sind bei Szenarien mit höheren Emissionen auch nach 2100 noch langfristige und fundamentale Veränderungen zu erwarten (IPCC 2013). Entsprechend sind die mit geringeren Klimaschutzanstrengungen verbundenen Szenarien höherer Emissionen nicht nur mit massiveren Auswirkungen, sondern auch mit größeren Unsicherheiten bezüglich der langfristig notwendigen Anpassungsleistungen behaftet.

Kurz- und mittelfristige Anpassungsmaßnahmen zielen oft auf die Verwirklichung sogenannter Low- und No-regret-Optionen, die eine Verbesserung der Resilienz bezüglich verschiedener zukünftiger Klimaszenarien zum Ziel haben, oft unter gleichzeitiger Erfüllung anderer relevanter Politikziele (Kap. 29; Hallegatte 2009). Insbesondere für langfristige Investitionsentscheidungen mit langen Vorlaufzeiten – etwa Küsten- und Hochwasserschutz, Forstwirtschaft, Energieerzeugung sowie Siedlungs- und Infrastrukturplanung – kann die klimawandelbedingte Planungsunsicherheit jedoch zu einem erhöhten Risiko von Fehlinvestitionen und damit mittelbar zu steigenden Kosten führen. Robuste Anpassung in diesem Bereich bedarf daher neuer, schrittweiser Planungsverfahren und muss ein breites Band von möglichen „Klimazukünften“ berücksichtigen (Hallegatte 2009; Dessai und Hulme 2007; Wilby und Dessai 2010). Klimaschutzanstrengungen sind ein entscheidender Faktor für die Breite dieses Bandes und wirken damit auf die Kosten und Realisierbarkeit von Anpassungsmaßnahmen (Hallegatte et al. 2012).

Global sind die zu erwartenden Kosten von Anpassung bisher unzureichend quantifiziert. Existierende Abschätzungen fokussieren auf Entwicklungsländer (World Bank 2010) und einzelne Sektoren wie z. B. Küstenschutz, Wasser- und Energieversorgung sowie Landwirtschaft (Fankhauser 2010). Globale ökonomische Schadenskosten sind unvollständig und aufgrund von zahlreichen Annahmen und hoher Aggregation wenig aussagekräftig beschrieben (IPCC 2014c). Insbesondere für Klimaszenarien jenseits von 3 °C Erwärmung existieren zudem kaum aktuelle Studien. Die in der Literatur dagegen ausführlich dokumentierten Kosten für Klimaschutz unter verschiedenen Emissionsszenarien beruhen zum Großteil auf Integrated-assessment-Modellen (Kap. 24). Diese bilden die Veränderungen im Energiesystem und anderen Sektoren sowie die damit einhergehenden Kosten und Veränderungen in der Weltwirtschaft ab. Sie berücksichtigen jedoch meist weder verbleibende Schadenskosten noch Kosten der Anpassung oder Rückkopplungen im Klimasystem explizit (Patt et al. 2010).

Diese Problematik der mangelnden Integration von Anpassung, Schadenskosten und Klimaschutz bestand schon im Vierten Sachstandsbericht (Parry 2009), und es gibt nach wie vor nur wenige globale Studien zu deren integrierter Betrachtung (Bosello et al. 2010; de Bruin et al. 2009; Kap. 24). Trotz methodischer Fortschritte – etwa die bessere Repräsentation von Anpassung in Integrated-assessment-Modellen durch das Vergleichen entsprechender sozioökonomischer Szenarien (Kriegler et al. 2012; van Vuuren et al. 2011) – ist die integrierte Modellierung von Klimaschutz-, Schadens- und Anpassungskosten derzeit noch in ihren Anfängen (Fisher-Vanden et al. 2013; Patt et al. 2010; Hirschfeld und von Möllendorff 2015; Brown et al. 2017). Kritisch wird dabei die zentrale Rolle der in gewissem Maße beliebig gewählten Diskontrate bei der Bestimmung gesellschaftlich optimaler Transformationspfade diskutiert (Guo et al. 2006; Weitzman 2013). Mit der Diskontrate können Gegenwartswerte zukünftiger Kosten- oder Nutzenströme berechnet werden. Hohe Diskontraten (>3 %) führen zu einer weitgehenden Vernachlässigung der Klimakosten, die mehrere Jahrzehnte in der Zukunft liegen. Darüber hinaus hat die Schwierigkeit, das Risiko von katastrophalen Klimawandelfolgen adäquat zu berücksichtigen (Weitzman 2009), zu grundsätzlicher Kritik an der Eignung solcher Modelle als Grundlage für politische Entscheidungen geführt (Fisher-Vanden et al. 2013; Stern 2013).

Die gesellschaftlich optimale Mischung von Anpassung und Klimaschutz lässt sich demnach nach wie vor nicht aus Ergebnissen ökonomischer Modelle herleiten. Der Umgang mit „Unquantifizierbarkeiten“ kann am ehesten mit einem gekoppelten Ansatz der Risikoanalyse erfolgen, wobei Methoden wie Multikriterienanalysen zur besseren Erfassung der Dimensionen von Risiko und Unsicherheit beitragen können (Vetter und Schauser 2013; van Ierland et al. 2013; Kap. 37). Hierbei können neben grundsätzlichen ethischen Überlegungen auch Risiken von Klimaschutzmaßnahmen einfließen, z. B. die Herausforderungen großskaliger Bioenergieverwendung (Chum et al. 2011), negative ökonomische Folgen für arme Länder (Jakob und Steckel 2014) oder die Risiken von geo engineering (IPCC 2012). Zentrale Elemente einer solchen Risikoabschätzung sind das Risikominderungspotenzial und die Grenzen der Anpassung. In diesem Zusammenhang wird zunehmend eine enge Integration von umfassendem Risikomanagement und transformativen Klimaanpassungsstrategien (Abschn. 39.1.1) diskutiert, um eine langfristige Resilienz von Ländern und Gemeinschaften über den Internationalen Warschau-Mechanismus für Verluste und Schäden (WIM), mit dem Entwicklungsländern technische Hilfe zur Bewältigung von Anpassungsbedarfen an den Klimawandel gewährt wird, zu unterstützen und langfristig sicherzustellen (UNFCCC 2016; Mechler et al. 2019).

Harte, d. h. unveränderliche Grenzen stellen insbesondere die sogenannten „Kipppunkte“ dar (Lenton et al. 2008, 2019; Levermann et al. 2012), bei deren Erreichen großskalige, sprunghafte Zustandsänderungen von wichtigen Elementen des Erdsystems eintreten. Neben den Kipppunkten des physikalischen Klimasystems ist hier die erhöhte Gefahr sogenannter regime shifts, also dauerhafter Umwälzungen in den komplexen Mustern der global bedeutenden Ökosysteme relevant. So sind in der Arktis bereits Hinweise auf ein Überschreiten von Systemgrenzen und damit die Annäherung an Kipppunkte zu erkennen (Duarte et al. 2012; Lenton 2012; Post et al. 2009; Wassmann und Lenton 2012; Lenton et al. 2019). Auch die negativen Folgen der zunehmenden Ozeanversauerung stellen aufgrund der mangelnden Anpassungsmöglichkeiten eine harte Grenze dar (Pörtner et al. 2014). Die Schädigung von tropischen Korallenriffen ist ebenfalls bereits nachgewiesen (Cramer et al. 2014), und die Gefahr des kompletten Verlustes dieses komplexen Ökosystems besteht selbst bei geringer weiterer Erwärmung (Frieler et al. 2012; Hoegh-Guldberg 2011), verbunden mit erheblichen Risiken für die Nahrungsversorgung, nicht nur von Küstenbewohnenden. Sogenannte weiche Grenzen der Anpassung bezeichnen Bereiche, in denen die Klimawandelfolgen zwar theoretisch als technisch beherrschbar eingeschätzt werden, es aber Ziel- oder Wertkonflikte gibt, die die Umsetzung entsprechender Maßnahmen behindern oder diese auf institutioneller, politischer oder gesellschaftlicher Ebene nicht durchführbar oder nicht durchsetzungsfähig erscheinen lassen (Preston et al. 2013). Ein Beispiel sind Maßnahmen des Hochwasserschutzes, die nicht nur mit den Zielen des Küsten- und Naturschutzes kollidieren können, sondern auch mit den Interessen von Anwohnern und der Tourismusindustrie (Moser et al. 2012). Die Forschung hierzu steht, ähnlich wie diejenige zur Interaktion verschiedener Klimawandelfolgen (Warren 2011), noch am Anfang – insbesondere bezüglich der sozialen Grenzen von Anpassung und der Wechselwirkung zwischen sozialen und natürlichen Systemen (Adger et al. 2009; Preston et al. 2013; Filho und Nalau 2018).

Der Weltklimarat hat im Fünften Sachstandsbericht eine umfassende Bewertung von regionalen und globalen Schlüsselrisiken unter verschiedenen Erwärmungs- und Anpassungsszenarien vorgenommen (IPCC 2014c). Das theoretische Potenzial von Anpassung zur Risikominderung für Europa wird dabei – isoliert betrachtet, also unabhängig von Kosten und politischen Prioritäten – insgesamt auch in einer Vier-Grad-Welt als relativ hoch eingeschätzt. Im Vergleich zu einer Zwei-Grad-Welt ist die Erschließung dieses theoretisch vorhandenen Potenzials jedoch mit entsprechend höherem Aufwand und höherer Unsicherheit verbunden. In anderen Kontinenten und für bestimmte Sektoren, auch für Subregionen in Europa, sind die verbleibenden Restrisiken allerdings selbst bei optimaler Anpassung in einer Vier-Grad-Welt teilweise hoch oder sehr hoch und damit in der Nähe harter Grenzen.

Auch wenn die Gesamtkosten von Klimaschutzanstrengungen, die noch immer zum Erreichen der Begrenzung auf 1,5 bis 2 °C Erwärmung führen könnten, relativ zu den zu erwartenden Schäden gering ausfallen, wenn sie frühzeitig, unter Einbindung sämtlicher technologischen Möglichkeiten und global erfolgen (Luderer et al. 2013; IPCC 2014a), sind die Anforderungen, um zu einer Eineinhalb- bis Zwei-Grad-Welt zu kommen, doch erheblich (Abschn. 36.2). So kann zumindest temporär ein Überschreiten der Zwei-Grad-Grenze nicht ausgeschlossen werden, ein sogenanntes Overshoot-Szenario eintreten (Parry et al. 2009). Zudem droht beim Fortschreiben der derzeitigen Emissionstrends eine Erwärmung von mehr als 4 °C bis Ende des Jahrhunderts (IPCC 2013, 2021). Dort, wo infolge solch starker Erwärmung Maßnahmen zur schrittweisen Anpassung nicht mehr ausreichen, werden transformative Anpassungsstrategien notwendig, die einen weitreichenden Wandel wirtschaftlicher, sozialer und politischer Systeme beinhalten (Smith et al. 2011; Kap. 39).

Für eine integrierte Betrachtung der Risiken und Kosten von Klimawandel und Klimaschutz besteht nach wie vor erheblicher Forschungsbedarf, insbesondere bezüglich der Operationalisierung von Anpassungsstrategien und der Quantifizierung von Schadenskosten. Nach derzeitigem Stand der Forschung ist allerdings klar, dass ambitionierte Klimaschutzanstrengungen unverzichtbar sind, um schwerwiegende und weitreichende globale Klimawandelfolgen abzuwenden (IPCC 2014b).

2 Globale Veränderungsprozesse und Transformation

Radikale Reduzierungen der Treibhausgasemissionen allein der Länder, die sich in der Organisation wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zusammengeschlossen haben, werden voraussichtlich nicht mehr ausreichen, um die Zwei-Grad-Leitplanke einzuhalten. Zwischen 1990 und 2010 sind deren jährliche Treibhausgasemissionen (ohne die Emissionen aus Landnutzungsänderungen) von knapp 16 auf knapp 17 Gigatonnen gestiegen, 2019 lagen sie dann bei 16,4 Gigatonnen. Die Emissionen der Nicht-OECD-Länder haben sich im Zeitraum 1990 bis 2010 von 18 auf 30 Gigatonnen erhöht, im Jahr 2019 lagen sie dann bei 36 Gigatonnen – insbesondere infolge des hohen Wachstums in den Schwellenländern. Setzen sich die derzeitigen Trends fort, so dürften sich die OECD-Emissionen pro Jahr zwischen 2010 und 2040 auf einem Niveau von etwa 15 Gigatonnen einpendeln, während die Emissionen der Nicht-OECD-Länder in diesem Zeitraum pro Jahr von 36 auf knapp 50 Gigatonnen ansteigen würden (berechnet auf Grundlage von Crippa et al. 2019; Olivier und Peters 2020). Weil sich die Dynamiken in der Weltwirtschaft in den vergangenen drei Jahrzehnten signifikant in Richtung der Nicht-OECD-Länder verschoben haben (OECD 2010; Kaplinsky und Messner 2008; Spence 2011), ist wirksamer Klimaschutz nur noch möglich, wenn die grundlegenden Wachstumsmuster aller Länder auf einen klimaverträglichen Pfad gebracht werden. Es ist ein gutes Zeichen, dass 2020/21 die EU, die USA und China erklärt haben, bis spätestens Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu wirtschaften – EU/USA bis 2050, China bis 2060.

Globaler Klimaschutz ist also zu einem Synonym für den Aufbau einer global zero carbon economy (Edenhofer und Stern 2009; Leggewie und Messner 2012; World Bank 2012; Rockström et al. 2017) geworden. Neben der Frage, wie radikale Dekarbonisierung in OECD-Ländern gelingen kann, besteht die zweite Herausforderung darin, wie zunehmender Wohlstand in den Nicht-OECD-Ländern von Treibhausgasemissionen entkoppelt werden kann (Kharas 2010). Diese sozioökonomischen Dynamiken globalen Wandels werden auch in der internationalen Politik sichtbar, etwa in Diskussionen darüber, wie das „Recht auf Entwicklung“ mit globalem Klimaschutz verbunden werden kann (Pan 2009; WBGU 2009). Globale Gerechtigkeits- und Verteilungsfragen bilden vor diesem Hintergrund eine zentrale Arena der weltweiten Klimapolitik und der Versuche, Übergange zu klimaverträglichen Ökonomien einzuleiten (Gesang 2011).

Der Wandel zu einer klimaverträglichen Wirtschaft wird in der Literatur zunehmend aus der Perspektive von Transitions- bzw. Transformationsprozessen diskutiert, um zu verdeutlichen, dass der Umbruch zu einer zero carbon economy über klassische Muster des Strukturwandels (Transition) in einzelnen Marktwirtschaften hinausgeht und umfassende Prozesse des Wandels (Transformation) impliziert (Rotmans et al. 2001; Martens und Rotmans 2002; Grin et al. 2010; World Bank 2012; Brand et al. 2013). Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WGBU) hat bereits vor einer Dekade vorgeschlagen, den Übergang zu einer klimaverträglichen und insgesamt nachhaltigen Weltwirtschaft als „große Transformation“ zu beschreiben (WBGU 2011) und verweist auf fünf Argumentationsstränge, die aus der Perspektive dieses Gremiums gute Gründe für diese Benennung liefern:

  • Der Übergang zur Klimaverträglichkeit kann nur gelingen, wenn die globalen Wachstumsmuster in Richtung Dekarbonisierung verändert werden – wenn also ein neuer Pfad globaler Entwicklung eingeschlagen wird. Ob diese Weichenstellung gelingt, hängt einerseits davon ab, ob in den Industrieländern der Übergang zur Klimaverträglichkeit eingeleitet wird. Andererseits wird es von großer Bedeutung sein, ob die dynamisch wachsenden Schwellenländer bereit und in der Lage sind, Dekarbonisierung in das Zentrum ihrer Entwicklungsanstrengungen zu rücken (IPCC 2014c, Working Group III). Eine solche Veränderung von Wachstumsmustern setzt eine grundlegende Transformation institutioneller Rahmenbedingungen voraus, um Anreize für klimaverträgliche Investitionen zu schaffen (World Bank 2012; Edenhofer und Stern 2009; Schmitz et al. 2013; Global Commission on the Economy and Climate 2014).

  • Die Entwicklung einer klimaverträglichen Weltwirtschaft impliziert einen weitgehenden Umbau der zentralen Infrastrukturen u. a. hin zu ressourcensparenden und klimarobusten Systemen, auf denen menschliche Gesellschaften basieren: in den weltweiten Energiesystemen, die für etwa 75 % der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind, in der Landnutzung (Waldnutzung, Landwirtschaft), auf die etwa 25 % der Emissionen entfallen, und in urbanen Räumen, weil ein großer Teil der Emissionen auf die Bedürfnisfelder Wohnen (Gebäude) und Mobilität in Städten zurückzuführen ist (Nakicenovic et al. 2000; WBGU 2011; IPCC 2014a; Sachs et al. 2019). Die Urbanisierung ist von besonderer Bedeutung, weil die Zahl der Menschen, die in urbanen Räumen lebt, von derzeit 3,5 Mrd. auf etwa 7 Mrd. Menschen im Jahr 2050 ansteigen wird. Bei Gebäuden und Mobilitätssystemen handelt es sich um Infrastrukturen, welche die Emissionspfade für viele Jahrzehnte prägen werden (IEA 2010; EWI et al. 2010). Ob also der Urbanisierungsschub, der sich insbesondere auf Nicht-OECD-Länder und hier vor allem auf Asien konzentriert, Zero-carbon-Mustern oder den etablierten treibhausgasintensiven Dynamiken der Stadtentwicklung folgt, ist aus der Perspektive des Klimaschutzes von großer Bedeutung (WBGU 2016).

  • Dekarbonisierungsstrategien müssen auf technologischen Innovationen basieren. Die Literatur zum Rebound-Effekt (Jackson 2009; Nordhaus 2013) – Effizienzeinsparungen werden häufig durch ein Mehr an Konsum zunichtegemacht – verdeutlicht allerdings auch, dass eine absolute Abkopplung der Wohlstandsentwicklung vom Emissionsausstoß nur gelingen kann, wenn sich zugleich soziale Innovationen durchsetzen: veränderte Lebensstile und Konsummuster, neue Wohlfahrtskonzepte sowie Normen und Wertesysteme, die den Erhalt der globalen Gemeinschaftsgüter zu einem kategorischen Imperativ machen (Skidelsky und Skidelsky 2012; Messner 2015; Purr et al. 2019).

  • Treibhausgasemissionen bewirken in der Gegenwart langfristige Dynamiken im Erdsystem, bis hin zum Risiko des Erreichens von Kipppunkten. Dabei haben neuere Studien (Lenton et al. 2019) gezeigt, dass diese bereits bei globalen Temperaturerhöhungen um die 2 °C und nicht erst, wie in früheren Arbeiten angenommen, bei Erwärmungen jenseits von 2 bis 4 °C ausgelöst werden könnten (Lenton et al. 2008). Die Transformation muss deshalb in einem sehr engen Zeitfenster stattfinden, wenn die Zwei-Grad-Leitplanke noch eingehalten werden soll (Allen et al. 2009; Meinshausen et al. 2009; WBGU 2009). Bis Mitte des Jahrhunderts müssten die Treibhausgasemissionen, die aus der Verbrennung fossiler Energieträger entstehen, weltweit auf null reduziert werden (WBGU 2014). So stellt sich die Frage, wie Dynamiken der Transformation beschleunigt werden können (Grin et al. 2010).

  • Alles sieht danach aus, als ob Paul Crutzen und andere (Crutzen 2000; Williams et al. 2011) mit ihrem Argument recht behalten, dass die Menschheit zu einer zentralen Veränderungskraft im Erdsystem geworden ist. So impliziert der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, dass die Menschen Institutionen sowie Normen und Wertesysteme „erfinden“ müssen, um das Erdsystem im Anthropozän dauerhaft zu stabilisieren und damit die Existenzgrundlagen vieler künftiger Generationen zu erhalten. Diese Herausforderungen eines „Erdsystemmanagements“ (Schellnhuber 1999; Biermann 2008) gehen über die existierenden Weltbilder internationaler Politik deutlich hinaus.

Der Verweis auf Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel im Kontext der Dynamiken globaler Entwicklung sowie die Diskussion über das Klimasystem als Gemeinschaftsgut (global common) (Ostrom 2010) führen zu der Frage, wie globale Kooperation gestaltet werden kann, um die Transformation zur Klimaverträglichkeit zu ermöglichen (Keohane und Victor 2010; Oberthuer und Gehring 2005; Ostrom 2009; WBGU 2006; Messner und Weinlich 2016). In der Literatur wird auf vier zentrale Mechanismen verwiesen, die die Klimaverhandlungen weiterhin schwierig und langwierig machen:

  1. 1.

    auf das aus der Konzeption der tragedy of the commons (Hardin 1968), der Gefahr der Übernutzung frei verfügbarer und begrenzter Ressourcen und der Theorie kollektiven Handelns (Olson 1965) bekannte „Trittbrettfahrerproblem“ (Nordhaus 2013). Es bedeutet, dass das Zustandekommen von Kooperationsallianzen (z. B. zum Schutz des Klimasystems) erschwert wird, wenn jemand, der sich nicht an diesen kooperativen Lösungen beteiligt, nicht an der weiteren Übernutzung bzw. Überlastung des Gemeinschaftsgutes gehindert werden kann;

  2. 2.

    auf Verteilungskonflikte zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern über die Kosten, die durch Treibhausgasreduzierungen entstehen, sowie über Verantwortlichkeiten zur Treibhausgasminderung, die sich für jeweilige Länder(gruppen) aus historischen, gegenwärtigen und zukünftig zu erwartenden Emissionen ergeben (WBGU 2009; Ott et al. 2008; Depledge 2005; Pan 2009; Caney 2020);

  3. 3.

    auf die Sorge, dass radikale Treibhausgasreduzierungen die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Ökonomien schädigen, Beschäftigungseinbußen zur Folge haben oder – so der Diskurs in Schwellen- und Entwicklungsländern – Prozesse nachholender Entwicklung blockieren könnten (Leggewie und Messner 2012; World Bank 2012; OECD 2010; Sinn 2008);

  4. 4.

    auf die spezifische Zeitstruktur des Klimaproblems, die darin besteht, dass schwerwiegende Folgen des Klimawandels erst in einigen Jahrzehnten zu erwarten sind, heute aber bereits bewirkt werden. Politische Systeme und Menschen in Entscheidungsprozessen reagieren jedoch primär auf aktuellen Problemdruck (Giddens 2009; Newton-Smith 1980; Zimmerman 2005; WBGU 2014).

Diese Kooperationshemmnisse sind Gründe dafür, dass die internationale Staatengemeinschaft 21 Verhandlungsrunden benötigte, um im Dezember 2015 in Paris einen alle Staaten in Verpflichtungen einbindenden Weltklimavertrag abzuschließen, obwohl die naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels, seiner Ursachen, Treiber und Wirkungen seit geraumer Zeit gut verstanden und sogar von der überwiegenden Zahl der Staaten akzeptiert waren. Dieses Klimaabkommen sieht erstmals in der Geschichte der Klimadiplomatie eine Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bis Mitte des 21. Jahrhunderts vor. Der Klimavertrag stellt einen Versuch dar, die Handlungsblockaden, die aus den vier Kooperationshemmnissen resultieren, durch Kompromisse, Selbstverpflichtungen der Staaten, Ausgleichszahlungen, Technologietransfer und Monitoringsysteme für die Umsetzung der Vereinbarungen zu überwinden. Auf Sanktionsmechanismen für Kooperationsverweigerer und Staaten, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, haben sich die Staaten nicht einigen können. Dass 2020/21 China, die EU und die USA, aber auch viele Unternehmen weltweit angekündigt und spezifiziert haben, in den kommenden Dekaden Klimaneutralität zu erreichen, könnte ein Indiz dafür sein, dass eine Neuorientierung in Richtung Dekarbonisierung in den kommenden Jahren auch tatsächlich durchgesetzt wird. Dafür spricht auch eine Analyse von 130 Reports aus allen Weltregionen, die Optionen für eine Wiederbelebung der Wirtschaft in und nach der Corona-Pandemie ausleuchten. Es zeigt sich, dass nahezu alle Reports Investitionen in Klimaschutz und nachhaltige Infrastrukturen ins Zentrum ihre Überlegungen stellen (Burger et al. 2020).

3 Chancen und Risiken der Anpassung in komplexen Systemen

Chancen und Risiken der Anpassung an den Klimawandel sind sowohl auf globaler Ebene als auch im nationalen Maßstab bislang unzureichend quantifiziert und werden auch in Zukunft nur in Grenzen quantifizierbar sein (Watkiss 2009; JPI Climate 2011; Defra et al. 2012; Hirschfeld et al. 2015). Das stellt Fachleute in nationalen, regionalen und lokalen Entscheidungsprozessen vor teilweise erhebliche Probleme bei der Formulierung angemessener Anpassungspolitiken. Die Schwierigkeiten bei der Abbildung der Kosten und Nutzen von Anpassungsmaßnahmen ergeben sich zum einen aus den klima- und ökosystemaren Unsicherheiten und Ungewissheiten, mit denen Klimaszenarien nach wie vor behaftet sind und voraussichtlich auch dauerhaft sein werden. Zum anderen folgen sie aus der Komplexität der angesprochenen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Systeme, die durch den Klimawandel zu reaktivem und proaktivem Handeln herausgefordert sind (WBGU 2011; Kap. 27).

Mit den im September 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedeten „Zielen nachhaltiger Entwicklung“ (Sustainable Development Goals – SDGs) der „Agenda 2030“ wurden erstmals soziale und ökologische Nachhaltigkeitsziele systematisch verknüpft (United Nations 2015). Mehr als die Hälfte der 17 SDGs (Abb. 31.1) und ihrer 169 Unterziele sind im weiteren Sinn sozialpolitisch. Damit tritt erstmals der Wohlfahrtsstaat als Institution klimapolitischer Steuerung in den Blick (Opielka 2017; Gough 2017; Koch und Mont 2017; Deeming 2021). Die sozialen Nachhaltigkeitsziele schließen ausdrücklich die Industrieländer ein, während die Milleniumsentwicklungsziele der vorherigen „Agenda 2015“ die Entwicklungsländer fokussierten (Vereinte Nationen 2015). Soziale und vor allem sozialpolitische Modernisierungsziele ändern sich dabei im Kontext der Nachhaltigkeitsperspektive. Das Konzept „Soziale Nachhaltigkeit“ bietet einen analytischen Rahmen, die komplexen Nachhaltigkeitsziele in die Wohlfahrtsstaatsentwicklung einzugliedern (Opielka 2017; Opielka und Renn 2017; McGuinn et al. 2020). Bisher konzentrierten sich die Fragestellungen der „sozialökologischen“ Forschung und Politik auf das Management von Stoffströmen (Neckel et al. 2018), die Politik der SDGs fordert nun eine Einbettung der Klimapolitik in komplexe gesellschaftliche Transformationsmodelle. Die von der Bundesregierung regelmäßig aktualisierte Deutsche NachhaltigkeitsstrategieFootnote 1 und die Nachhaltigkeitsstrategien der Länder und kommunalen Gebietskörperschaften beziehen sich ausdrücklich auf die SDGs (Teichert und Buchholz 2016). Dies gilt auch für den Green Deal der EU-Kommission (European Commission 2020). Auf allen Ebenen des Regierens werden damit Governance-Modelle etabliert, die Komplexitätssteuerung ausdrücklich ganzheitlich verstehen.

Zielkonflikte und Synergien zwischen den Nachhaltigkeitszielen sind nicht nur Problem und Aufgabe politischer Steuerung. Vielmehr stellen sich auch methodisch-wissenschaftliche Probleme von Monitoring und Evaluation komplexer Klimaschutz- bzw. Mitigations- und Klimaanpassungsmaßnahmen, die wissenschaftliche Fundierung benötigen. Dabei kann auf zahlreiche interdisziplinäre Projekte zurückgegriffen werden, in denen die Interaktion von sozial- und umweltpolitischen Dimensionen der SDGs untersucht und modelliert wird (ICSU 2017; Collste et al. 2017; Soest et al. 2019). Sie zeigen nachdrücklich die Notwendigkeit der Wissensbasierung von Politik als Interessenausgleich und Legitimationskontext angesichts dieser hochkomplexen Zusammenhänge, für die Methoden der Zukunftsforschung wie Szenarienentwicklung und forecasting unverzichtbar werden (De Hoyos Guevara et al. 2019). Die Spannung von sozialer Gerechtigkeit und Klimaanpassung wird global als „Klimagerechtigkeit“ verhandelt (Ekardt 2012; Caney 2020). Die Verschärfung globaler und intergenerationaler Spannungen durch die Klimakrise erweiterte die im 19. Jahrhundert mit der „Großen Transformation“ (so der von Karl Polanyi geprägte Begriff) zum Kapitalismus entstandene „soziale Frage“ seit dem Ende des 20. Jahrhunderts zur „ökosozialen Frage“ (Opielka 1985; Deeming 2021), die durch die SDG-Perspektive nun in das allgemeine Bewusstsein tritt. Auch die 2020 einsetzende Coronapandemie hat deutlich gemacht, dass Klimapolitik und Sozial- bzw. Gesundheitspolitik systematisch verknüpft werden müssen (UN DESA 2020; Wiese und Mayrhofer 2020).

Der IPCC-Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel hat die SDGs unmittelbar mit Optionen zur Minderung der Treibhausgasemissionen in den Bereichen der Energieversorgung, des Energiebedarfs und der Landnutzung in Beziehung gesetzt und dabei eine Reihe von Zielkonflikten, überwiegend aber Synergien identifiziert (IPCC 2018). Die aus dem Sonderbericht übernommene Abb. 36.1 gibt einen Überblick über diese Synergien und Zielkonflikte.

Abb. 36.1
figure 1

(Abbildung: IPCC 2018)

Synergien und Konflikte von Treibhausgasminderungsoptionen mit Zielen für eine nachhaltige Entwicklung.

Der Bericht weist ausdrücklich darauf hin, dass mit dem Ausweis von Synergien und Zielkonflikten in unterschiedlichem Ausmaß noch keine Aussagen über Nutzen und Kosten im ökonomischen Sinne getroffen werden. Auch die Nebeneffekte von Anpassungsmaßnahmen auf die Klimaschutzziele und die SDGs sind bisher wenig untersucht (IPCC 2018). Zielkonflikte sieht der IPCC Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel unter anderem beim Anbau von Energiepflanzen zur Substitution fossiler Energieträger, da dieser in Konkurrenz zur Ernährungssicherheit und weiteren Aspekten einer nachhaltigen Entwicklung (wie Biodiversität) stehen kann. Deutliche Synergien sieht der Bericht dagegen zwischen 1,5-Grad-Pfaden und den SDGs Gesundheit, Saubere Energie, Städte und Gemeinden, Nachhaltigem Konsum und Produktion sowie Ozeane – dies jeweils mit „sehr hohem Vertrauen“ (IPCC 2018).

Nach den bisher vorliegenden Analysen zu Kosten und Nutzen der Anpassung an den Klimawandel in Deutschland zeichnen sich die vordringlichsten Anpassungsbedarfe und größten erreichbaren Anpassungsnutzen in den Bereichen Hitze, Hochwasser und Stürme ab (Hübler und Klepper 2007; Robine et al. 2008; Hinkel et al. 2010; Tröltzsch et al. 2011; GDV 2013; Lehr und Nieters 2015; IPCC 2014b; Lehr et al. 2020).

Zur Abwägung zwischen Chancen und Risiken der Anpassung lassen sich Kosten-Nutzen- und Multikriterienanalysen heranziehen. Letztere stellen die Effekte von Anpassungsmaßnahmen in der Vielfalt ihrer Dimensionen dar, ohne sie auf eine einheitliche Dimension von Geldwerten umzurechnen und damit unmittelbar vergleichbar zu machen.

Die verschiedenen Dimensionen komplexer Systeme (wirtschaftliche, soziale, politische, ökologische Dimension) können durch Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel in positiver, neutraler oder negativer Weise beeinflusst werden. Zusätzlich und über alle Politikfelder und Systemdimensionen hinweg sind die räumlichen und zeitlichen Skalenebenen zu beachten. Es ist in vielen Fällen von hoher Relevanz für die Entscheidung über die Vorteilhaftigkeit einer Anpassungsmaßnahme, ob die Wirkungen der Maßnahme vor einem kleinräumig-lokalen Betrachtungshintergrund bewertet werden oder auf einer überregionalen, nationalen oder sogar globalen Skalenebene. Ebenso ist es häufig entscheidend, ob Wirkungen kurz-, mittel- oder langfristig betrachtet und in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden (Padt und Arts 2014).

Zur Entscheidungsfindung müssen die Systemdimensionen untereinander gewichtet werden. Außerdem sind für die einzelnen Dimensionen kritische Untergrenzen zu beachten, bei deren Unterschreitung die Stabilität der jeweiligen Systeme gefährdet wird (etwa einzelbetriebliche Rentabilität, sozialer Friede, Resilienz des betroffenen Ökosystems). Sowohl die Gewichtung als auch die Bezugnahme auf bestimmte räumliche und zeitliche Skalenebenen (lokal oder global, kurz- oder langfristig) können nur auf Grundlage von Werturteilen vorgenommen werden und sind damit im politischen Prozess zu treffende Entscheidungen. Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel sind also nicht allein aus individueller oder betriebswirtschaftlicher Perspektive zu betrachten, wenn unerwünschte Nebeneffekte oder sogar negative Gesamteffekte vermieden werden sollen (Hirschfeld et al. 2015; Lehr et al. 2020). Gleichzeitig stellen nur wenige Anpassungsmaßnahmen Win-win-win-Lösungen für alle gesellschaftlichen Gruppen in allen Systemdimensionen und auf allen Skalenebenen dar. Häufig müssen in mindestens einer der Systemdimensionen Abstriche hingenommen werden, um die in einer anderen Dimension oder auf einer anderen Skalenebene gesetzten Ziele zu erreichen. Bei der Gestaltung von Anpassungspolitiken sollten potenzielle Anpassungsmaßnahmen also im Hinblick auf ihre komplexen Auswirkungen in den verschiedenen Systemdimensionen analysiert und ihre Ansatzpunkte auf den verschiedenen räumlichen und zeitlichen Skalenebenen berücksichtigt werden. Entsprechend der Vielzahl der angesprochenen Systemdimensionen sind dabei die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen sozial- und naturwissenschaftlichen Forschungsdisziplinen sowie die Einbeziehung der jeweils betroffenen und handlungsrelevanten Gruppen notwendig (Brown et al. 2017; IPCC 2017).

Auf einzelwirtschaftlicher Ebene begrenzen Budgetrestriktionen und teilweise abträgliche Anreizsituationen die Handlungsmöglichkeiten von Unternehmen und Haushalten. In vielen Fällen fehlt bislang auch das Wissen über geeignete Anpassungsoptionen. Hier können durch Informationsbereitstellung sowie geeignete institutionelle Rahmensetzungen Anreizmuster verändert und Möglichkeiten zu autonomen Anpassungsanstrengungen eröffnet werden (Kap. 39). Staatliche Institutionen haben hierzu in den letzten Jahren eine Vielzahl von Aktivitäten zur Anpassung an den Klimawandel gestartet (Kap. 37). Damit könnten bei Haushalten und Unternehmen Win-win-Potenziale gezielt erzeugt und genutzt werden. Die neuere Nachhaltigkeitsdiskussion zu Vulnerabilität und Resilienz vernachlässigte dabei die Rolle der Sozialpolitik (Stieß et al. 2012; Tappesser et al. 2017). Die COVID-19-Pandemie hat weltweit deutlich gemacht, wie wichtig universalistische, an Bürger- und Menschenrechten orientierte Sicherungssysteme sind. Noch ist nicht wirklich allgemein bewusst, wie bedeutungsvoll der Wohlfahrtsstaat auch für die Bewältigung der Klimakrise sein wird, nur mit ihm ist Klimagerechtigkeit institutionell abzusichern (Deeming 2021). Zugleich trägt eine Konstruktion des Wohlfahrtsstaates, die die Wachstumslogik durch Erwerbsarbeitszentrierung verlängert und häufig verstärkt (Opielka 2017), zur Beschleunigung der Klimakrise bei. Eine Neuordnung der Sozialsysteme in Richtung eines Klimaanpassung und Klimaresilienz durch die Absicherung von Vulnerabilität unterstützenden „Grundeinkommens“ oder vergleichbarer Instrumente sozialer Nachhaltigkeit (McGuinn et al. 2020; Wiese und Mayrhofer 2020) erfordert die Einbeziehung aller relevanten Stakeholder und eine innovations- und risikofreundliche Politik, die Modelle wie ein „Zukunftslabor“ fördert (Opielka und Peter 2020). Für Wirtschaftsverbände, Nichtregierungsorganisationen und Vereine gilt es, ihre Mitglieder über Klimafolgen und Anpassungsoptionen zu informieren und sie zu diskutieren. Eine gemeinsame oder auch individuelle Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen ist beratend in innovativen Allianzen zu begleiten (Sharp et al. 2020; Kap. 37).

Die Forschung schließlich kann Praxisfragen, Wissensbedarfe und vorhandenes Systemwissen der in diesem Kapitel genannten Handelnden, Beteiligten und Betroffenen aufnehmen und in einem inter- und transdisziplinären Forschungsprozess (Jahn 2008) Wissen über die potenziellen Folgen des Klimawandels und die Chancen und Risiken von Klimaanpassungsmaßnahmen auf den verschiedenen Ebenen komplexer wirtschaftlicher, sozialer, politischer und ökologischer Systeme erarbeiten. Auf dieser Grundlage können wissenschaftliches Wissen mit gesellschaftlichen Visionen und Wertvorstellungen zusammengeführt, Klimaserviceprodukte entwickelt (Kap. 38) und wissensbasierte Transformationen (WBGU 2011) in Richtung einer klimaresilienten Gesellschaft ausgehandelt und angestoßen werden.

4 Kurz gesagt

Mangelnder Klimaschutz kann das Klimasystem in Zustände bringen, in denen Kipppunkte erreicht und Anpassungskapazitäten empfindlich überschritten werden. Zur Einhaltung des Eineinhalb- bis Zwei-Grad-Zieles wird ein Ausmaß an Klimaschutz notwendig sein, das über behutsame Strukturanpassungen in kleinen Schritten weit hinausgehen muss: Es bedarf einer „großen Transformation“ nationaler und globaler Wirtschaftsweisen, Rahmenbedingungen und Entwicklungspfade, sodass die Dekarbonisierung in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Entwicklung rücken kann. Unter anderem sind eine konsequente Dekarbonisierung der Energiesysteme, der Landnutzung, des Wohnens und der Mobilität erforderlich. Das Pariser Klimaabkommen von 2015 war ein wichtiger Schritt in diese Richtung, dem bereits einige nationale Politikmaßnahmen und klimafreundliche einzelwirtschaftliche Entscheidungen gefolgt sind, die in ihrer Gesamtdimension aber bislang noch bei Weitem nicht ausreichen, um die Einhaltung des Eineinhalb- bis Zwei-Grad-Zieles zu gewährleisten.

Schon auf nationaler Ebene stehen gesellschaftliche Gruppen und politisch Entscheidungstragende vor komplexen Analyse- und Steuerungsproblemen. Um Klimarisiken zu begegnen und Chancen der Klimaanpassung auszuschöpfen, müssen die verschiedenen Systemdimensionen (wirtschaftliches, soziales, politisches und ökologisches Subsystem), die unterschiedlichen Ziele einer nachhaltigen Entwicklung (SDGs) sowie dabei außerdem räumliche und zeitliche Skalenebenen berücksichtigt und Fachleute aus der Praxis einbezogen werden. Erweiterte Kosten-Nutzen-Analysen, die diese Vielzahl von Systemdimensionen und Skalenebenen einbeziehen oder auch mit Multikriterienanalysen gekoppelt werden können, sind geeignet, Politikerinnen und Politiker bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen.

Eine Abkopplung von Wohlstandentwicklung und Emissionsausstoß und damit eine Vermeidung von Rebound-Effekten kann jedoch nur gelingen, wenn sich zugleich veränderte Lebensstile und Konsummuster, neue Wohlfahrtskonzepte sowie Normen und Wertesysteme durchsetzen, die den Erhalt der globalen Gemeinschaftsgüter als unverzichtbar begreifen. Nur so kann eine Transformation in Richtung einer klimaresilienten Gesellschaft angestoßen, umgesetzt und verstetigt werden.