1 Bewertung von Risiken

Die vielen Krisen der letzten Jahre, angefangen von Corona über den Ukraine-Krieg bis zu Versorgungskrisen mit Getreide und Rohstoffen, haben die Sorge um den Klimawandel in Deutschland zwar als das vordringliche Problem der Politik weiter nach hinten gerückt, aber nach wie vor ist dieses Thema als Herausforderung für Politik und Gesellschaft höchst aktuell (Universität Mannheim 2020; Greenpeace 2020; You Gov 2022). Insgesamt gesehen überwiegt der Eindruck, dass der Klimaschutz als nächste große Krise angesehen wird, die entschiedenes politisches Handeln erforderlich macht. Der Bezug zum eigenen Verhalten wird dabei durchaus gesehen, ist aber mit vielen Vorbehalten behaftet, wenn es um das eigene Handeln geht. Offenkundig fallen immer noch Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander. So zeigt sich auch beim Klimaschutz eine deutliche Diskrepanz zwischen Rhetorik und Wirklichkeit (Reisch 2013). Trotz zunehmender Effizienzverbesserung bei elektrischen Geräten und bei den Heizungssystemen verharrte der Ausstoß an Kohlendioxid durch private Haushalte von 2012 bis 2019 nahezu auf dem gleichen Niveau (UBA 2020). Erst 2020 wurde bedingt durch die Coronakrise eine stärkere Einsparung erzielt. Im Gebäudesektor kam es auch 2021 zu geringfügigen Einsparungen von 4,3 %, die aber die Ziele der Bundesregierung für dieses Jahr deutlich verfehlen (UBA 2022).

Hinter diesem Paradox zwischen Problemwahrnehmung und eigenen Verhaltenskonsequenzen (Renn 2014a) steht die Beobachtung, dass bei komplexen Herausforderungen, wie dem Klimawandel, viele zum Teil gegenläufige Ziele und Werte berührt werden. Es geht vor allem um die Frage, wie viele Ressourcen die heutige Generation zum jetzigen Zeitraum investieren will, um in Zukunft größere Schäden für Natur und Menschheit zu vermeiden. Die Geschichte der Menschheit ist überwiegend dadurch gekennzeichnet, dass kollektives Lernen durch Versuch und Irrtum erfolgt (Roth 2007). Es fällt Individuen wie Gesellschaften schwer, vor Eintritt des Irrtums bereits schmerzhafte Lernprozesse einzuleiten, um spätere Irrtümer zu vermeiden. Die Wissenschaft ist inzwischen so weit, dass sie, wie bei den Klimamodellen, zukünftige Irrtümer virtuell simulieren kann und aus dieser Erkenntnis heraus antizipative Strategien zur vorzeitigen Vermeidung von Irrtümern bereitstellt (Caniglia et al. 2020; WBGU 1999: 3 ff.). Solche Simulationen zukünftiger Irrtümer sind aber immer mit Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten verbunden, die wiederum Anlass für gesellschaftliche Debatten über ihre wissenschaftliche Validität und ihre Bedeutung für vorbeugende und risikovermeidende Strategien geben (Skorna und Nießen 2020; Manning 2006). Im Mittelpunkt steht daher die Frage, wie Individuen, Gesellschaften und die Weltgemeinschaft mit globalen Risiken umgehen wollen und wie sie die mit Risiko untrennbar verknüpften Probleme der Komplexität, Sicherheit und Mehrdeutigkeit (Ambiguität) angehen wollen (Spiegelhalter und Riesch 2011; Hulme 2009). Zudem gilt es, auszuhandeln, wie viel Aufmerksamkeit und wie viele Ressourcen eine Gesellschaft zur Reduktion eines Risikos aufwenden soll, wenn viele andere, ebenso gravierende Risiken die Menschheit bedrohen und beherzt aufgegriffen werden müssten. Der Umgang mit Risiken setzt voraus, Prioritäten zu setzen, Unsicherheiten so weit wie möglich zu bestimmen und Zielkonflikte auszuhandeln (Garner et al. 2016). Gefragt ist also ein Konzept der Risikosteuerung (risk governance), das diese abwägende und vorbeugende Funktion übernehmen kann.

2 Vier-Phasen-Konzept der Risikosteuerung

Um die komplexen und hoch vernetzten Klimarisiken besser abschätzen und handhaben zu können, hat der Internationale Risikorat (IRGC) ein Vier-Phasen-Konzept für eine in sich schlüssige Risikoregulierungskette entworfen. Die Beschreibung des Risikokonzepts des Internationalen Risikorates ist stark an die Beiträge von Dreyer und Renn (2013) angelehnt. Das Risk-governance-Konzept des IRGC (2005) ist auf verschiedene Anwendungsbereiche übertragen worden, auch auf Risiken wie Klimawandel oder Naturgefahren (Renn 2008; Renn und Walker 2008). Klimarisiken sind nicht allein naturwissenschaftlich determiniert, sie ergeben sich immer aus dem Wechselspiel zwischen menschlichem Verhalten und natürlichen Reaktionen. An dieser Schnittstelle zwischen Technik, Organisation und Verhalten setzt das IRGC-Konzept an (IRGC 2018; Klinke und Renn 2019). Das Vier-Phasen-Konzept umfasst alle wesentlichen Aspekte eines effektiven und gegenüber öffentlichen Anliegen sensiblen Umgangs mit Risiken. Ziel der IRGC-Veröffentlichung war zum einen, die oft verwirrenden Begriffe bei der Erforschung und Regulierung von Risiken in ein konsistentes terminologisches Gerüst zu bringen. Zum anderen will das Konzept ein Evaluierungsinstrument für good governance sein, also für einen vollständigen, effektiven, effizienten und sozialverträglichen Umgang mit Risiken (IRGC 2005, 2018).

2.1 Vorphase: Was bedeutet die inhaltliche „Rahmung“?

In einem idealisierten Ablauf des Steuerungsprozesses steht an erster Stelle die Phase des pre-assessment, im Deutschen oft „Vorphase“ genannt (Ad-hoc-Kommission 2003). Im Vordergrund steht dabei die Problemeingrenzung (framing), die begriffliche Konzipierung und Eingrenzung des betrachteten Risikos. Es gilt festzulegen, welche Kontextbedingungen und Erfassungsgrenzen gelten sollen und wie Vergleichbarkeit zwischen den Risiken hergestellt werden kann (IRGC 2005). Frames sind häufig an kulturelle oder sozialgeografische Kontextbedingungen gebunden.

In dieser Phase wäre beispielsweise zu klären, welche Phänomene als Ursache für den Klimawandel angesehen werden und wie natürliche und menschengemachte Einflussgrößen in ihren Wirkungen getrennt erfasst, aber gemeinsam behandelt werden müssen (Vanderlinden et al. 2020). Das framing legt fest, ob ein Phänomen überhaupt als Risiko betrachtet werden soll und, wenn ja, welche kausalen Wirkungsketten näher betrachtet und welche Fakten integriert bzw. ausgeschlossen werden sollen (Goodwin und Wright 2004). Es ist in dieser Phase sinnvoll, Stakeholder aus der Praxis zu befragen, um deren Sichtweise auf das Problem kennenzulernen und im Dialog mit den Stakeholdern das eigene Risikoforschungs- und später Managementkonzept abzustimmen (Renn 2014b; Renn und Schweizer 2020). Auch hier sind spezifische kulturelle und geografische Kontextbedingungen mit zu beachten.

Der IPCC Summary Report von 2014 (2014a, 12) hat im Rahmen des framing ein lange Liste von natürlichen, umweltbezogenen, technischen, gesundheitlichen und gewohnheitsmäßigen Risiken als weltweit relevant im Rahmen des Klimawandels eingestuft (Kap. 25). In Zukunft ist in Deutschland bei einer angenommenen Zunahme von Wetterextremen, vor allem von Hitzewellen, mit Ernteausfällen, wirtschaftlichen Einbußen bei klimasensiblen Branchen (etwa Tourismus), ökosystemaren Belastungen sowie hitzebedingten Gesundheitsschäden zu rechnen. Dazu kommen Hochwasserereignisse, wie infolge des Starkregens im Sommer 2021 mit katastrophalen Auswirkungen in vielen Regionen Deutschlands. Der Schwerpunkt der IPCC-Risikoanalyse (IPCC 2014a) liegt auf der Vulnerabilität der Bevölkerung, die überwiegend auf nutzbare Vorteile aus Ökosystemen angewiesen ist. Erst durch den Einbezug systemischer Risiken haben sekundär betroffene wirtschaftliche Aktivitäten wie Transportwesen, Tourismus oder die Produktion von Waren und weiteren Dienstleistungen Eingang in das Konzept gefunden. Auch die gesellschaftlichen und politischen Risiken (Kap. 27) bleiben häufig unterbelichtet. Welche Risiken aber nun als relevant einzustufen sind, ergibt sich nicht aus der Natur der Sache, sondern reflektiert auch immer die Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata der Betrachter (Renn 2014a).

Deshalb empfiehlt das IRGC-risk-governance-Konzept ausdrücklich, bei der Rahmensetzung bereits die Pluralität der gesellschaftlichen Problemdefinitionen und Risikodimensionen mit zu erfassen und einzubauen, selbst wenn das Problem globale Ausmaße annimmt. Dies kann durch Befragungen, Anhörungen und Dokumentenanalysen geschehen. Je mehr Dialoge zwischen den Klima- und Risiko- sowie Anpassungsmodellierern und -modelliererinnen und Fachleuten aus der Praxis eingeplant werden, desto größer ist die Chance, dass alle relevanten Auswirkungen einbezogen und bei den Risikoanalysen adäquat beachtet werden. Bezogen auf die aktuelle Klimapolitik in Deutschland würde dies bedeuten, einen Risikodialog in Form eines Runden Tisches mit den Hauptbeteiligten aus Regierung, Wissenschaft, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft zu führen, an dem alle beteiligten Parteien ihre Anliegen einbringen und die mögliche Verknüpfung wahrgenommener Risiken mit den Ergebnissen von Klimamodellen besprechen (Challies et al. 2017). Einen ähnlichen Vorschlag hat auch der Weltklimarat gemacht (IPCC 2014b).

Neben dem framing gibt es in der Vorphase noch weitere Prozessschritte (IRGC 2005; Ad-hoc-Kommission 2003; Renn 2008), etwa:

  • Institutionelle Verfahren, um Risiken früh zu erkennen und mögliche Fehlentwicklungen an die Institutionen des Risikomanagements zu melden – etwa ein Frühwarnsystem für eventuelle Schadensverläufe

  • Allgemein gültige Richtlinien, damit bereits im Vorfeld ein konsistentes und nachvollziehbares Verfahren der Risikobehandlung festgelegt werden kann – beispielsweise eine Einigung auf zentrale Indikatoren und auf ein Verfahren, wie diese gemessen werden

  • Ein screening, um Risiken vorab zu charakterisieren und die für dieses Risiko notwendigen Methoden und wissenschaftlichen Schritte festzulegen – etwa ein Schnellverfahren zur vorzeitigen Ermittlung von möglichen Versorgungsengpässen beim Übergang auf erneuerbare Energiequellen

  • Wissenschaftliche Verfahren und Techniken (wissenschaftliche Konventionen), die helfen, Risiken zu charakterisieren – beispielsweise eine Einigung über die Eignung und Aussagekraft der bei Klimaprognosen und -projektionen eingesetzten Schätz- und Modellierungsverfahren.

Diese Aufgaben werden heute meist im Rahmen der Risikoabschätzung und oft informell oder routinemäßig geklärt. Damit sie transparent, vergleichbar und nachvollziehbar sind, ist aber eine Institutionalisierung wichtig, und die Verantwortlichkeiten müssen klar geregelt sein. Diese Regelung schafft zugleich eine gemeinsame Bewertungsbasis für alle Beteiligten.

Anhand des Hochwasserschutzes lässt sich gut illustrieren, was in diesem Konzept mit „Vorphase“ gemeint ist: In der Vorphase ist zu klären, wer für Vorsorgemaßnahmen zuständig ist, welche grundlegenden Möglichkeiten infrage kommen und wer dies finanziert. Solche Vorabsprachen im Rahmen eines Klimadialogs sind gerade im Vorfeld der Risikoberechnungen sinnvoll, um spätere strategische Absetzbewegungen („So war das doch nicht gemeint“) zu verhindern. Im Vorfeld der Risikoanalyse lassen sich die unterschiedlichen in der Gesellschaft vorhandenen Problemdefinitionen, Interessen und Präferenzen klären. So pochen Anwohner und Anwohnerinnen häufig auf mehr technischen Schutz, z. B. darauf, dass Dämme erhöht werden. Personen aus dem Bereich der Umweltschutzbewegungen setzen hingegen darauf, Polderflächen auszudehnen; Politiker und Politikerinnen wollen Versicherungslösungen ausweiten, und die Fachkräfte der Landesplanung hätten gern verschärfte Planungsvorgaben für Siedlungszwecke (Wachinger et al. 2013).

2.2 Risikoerfassung: der Zusammenklang physischer und wahrgenommener Risiken

In der zweiten Phase des IRGC-Konzeptes geht es darum, Risiken wissenschaftlich zu identifizieren, charakterisieren und wenn möglich zu quantifizieren. Dabei wird zwischen der Risikoabschätzung und der Identifikation der Anliegen der Bevölkerung (Risikowahrnehmung) unterschieden (IRGC 2005). Generell sollen physische Risiken und die damit verbundenen Anliegen der Bevölkerung mit den besten wissenschaftlichen Methoden analysiert und – wenn möglich – quantifiziert werden. Die Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Diagnose sollten dann später in die umfassende Risikobewertung einfließen. Die Erfassung von Risiken beispielsweise für Gesundheit und Umwelt, wirtschaftliches Wohlergehen und gesellschaftliche Stabilität muss also durch eine Analyse der Risikowahrnehmungen und Einstellungen wichtiger gesellschaftlicher Gruppen sowie der betroffenen Bevölkerung ergänzt werden. Es geht darum, das vorhandene Wissens- und Erfahrungspotenzial optimal zu nutzen. Dabei ist auch auf die Zeitdimension zu achten (Fuchs und Keller 2013): Oft entstehen Konflikte, weil eine Seite Risiken kurzfristig und die andere langfristig betrachtet. Auch besteht die Frage nach örtlichen Grenzen negativer Auswirkungen: Geht es um eine Gegend in Deutschland, um Deutschland als Ganzes, Europa, oder die Welt?

Auch hier ist der Hochwasserschutz ein gutes Beispiel: Bei der Risikoanalyse wird versucht, die Wasser- und Schlammmassen zu schätzen und zu identifizieren und zu gewichten, wer oder was wie stark betroffen ist – einschließlich sekundärer Stressoren wie etwa Hygieneproblemen. In der Regel erfolgt das nach einer einfachen Formel: Summe der zu erwartenden Schadensausmaße abhängig von der Wahrscheinlichkeit eines auslösenden Ereignisses unter gegebenen Umständen der Exposition und Verwundbarkeit (Bähler et al. 2001). Allerdings sind solche Berechnungen mit großen Unsicherheiten behaftet. Denn die Höhe des Schadens richtet sich auch danach, wie sich Menschen und öffentliche Institutionen vor, während und nach einer Flutkatastrophe verhalten. Das wird weitgehend dadurch bestimmt, wie Individuen und Behörden Risiken einschätzen (Renn 2014a). Dabei geht es vor allem auch um kollektive Maßnahmen der Vorsorge, der Notfallplanung, des effektiven und schnellen Einsatzes von Hilfspersonal und der effektiven Nachsorge. Sind zum Beispiel Behörden auf den Ernstfall schlecht vorbereitet, weil dieser in ihrer Wahrnehmung gar nicht als realistisch eingestuft wurde, steigt das Risiko eines Schadens für alle (Hudson et al. 2020). Das hat sich auch in der Flutkatastrophe von 2021 gezeigt, weil dort die Verantwortlichen für den Katastrophenschutz auf die Intensität und Zerstörungskraft des Hochwassers mental nicht vorbereitet waren. Oft besteht auch ein Glaubwürdigkeitsproblem: Anwohner schenken den Warnungen seitens der Behörden keinen Glauben und rüsten sich nicht für ein Hochwasser. Es ist also notwendig, Risikoabschätzung und Risikowahrnehmung in gegenseitiger Abhängigkeit zu untersuchen, um zu einer verlässlichen Risikobewertung zu kommen (Wachinger et al. 2013).

2.3 Tolerabilitäts- und Akzeptabilitätsbewertung: Welche Risiken sind zumutbar?

Sobald alle wichtigen Daten gesammelt sind, tritt die dritte Phase ein: Die Daten werden zusammengefasst, interpretiert und bewertet. Nach dem IRGC-Konzept geschieht dies in zwei Schritten: Risikocharakterisierung und Risikobewertung (IRGC 2005). Hierbei geht es vorrangig darum, ob das berechnete Risiko als akzeptabel, regulierungsbedürftig oder nicht tolerierbar eingestuft wird. Um die Akzeptabilität zu beurteilen, ist es notwendig, Schaden wie Nutzen der jeweiligen Aktivitäten, etwa die Energieerzeugung durch herkömmliche Kraftwerke auf Basis fossiler Brennstoffe, mit in die Analyse aufzunehmen Das sind sehr komplexe Entscheidungsprozesse, die sich aber nicht von alleine auflösen oder durch Routinen bewältigen lassen, sondern jeweils Abwägungen zwischen unterschiedlichen Handlungsoptionen pro Zeitabschnitt erfordern.

Zunächst ist das Risiko des Klimawandels mit all seinen Unsicherheiten möglichst umfassend zu bewerten: Sind die zu erwartenden Auswirkungen gravierend genug, dass man Gegenmaßnahmen einleiten muss, die wiederum gesellschaftliche Ressourcen in Anspruch nehmen? Wird dies mit ja beantwortet, folgt eine nächste Frage: Ist es besser, die Ursachen des Klimawandels proaktiv zu bekämpfen oder sollten lieber die Folgen abgemildert werden? Es ist auch möglich, beides zu mischen: Wer entscheidet und wer trägt die Verantwortung für die Entscheidung?

Besonders schwierig ist, Unsicherheiten in die Bewertung einzubeziehen (s. Kap. 30). Ist bekannt, wie sich Risikofolgen wahrscheinlich verteilen, können die Wahrscheinlichkeiten als Gewichtungen für die Folgenanalyse einbezogen werden. Bei noch unbekannten oder schwer einschätzbaren Risiken geht das nicht. Dann können Bewertungen nur aufgrund von subjektiven Einstellungen gegenüber Folgen getroffen werden (Bonß 2013; Hemming 2019). Bei vielen, vor allem unsicheren Folgen lässt sich eine rechnerische Quantifizierung jedoch kaum durchführen. Hier ist man auf qualitative Verfahren der Charakterisierung von möglichen, aber in ihren Wahrscheinlichkeiten nur rudimentär abzuschätzenden Handlungsabläufen, die durch narrativ schlüssige Szenarien systematisiert werden können, angewiesen (Aven 2020). Darin sind auch schwierig zu quantifizierende Faktoren wie Landschaftsschutz, Biodiversität und Ökosystemstabilität mit einzubeziehen.

Je unsicherer das Risiko ist und je mehr unterschiedliche Abschätzungen von Risikohöhe und Eintrittswahrscheinlichkeiten vorliegen, desto schwieriger ist es, Risiken und Kosten gegeneinander abzuwägen und miteinander zu vergleichen. Bei der Bewertung der Folgen eines Business-as-usual-Szenarios im Vergleich zu einem effektiven Klimaschutzszenario sind die zu erwartenden Kosten für die Folgen des Abwartens mit denjenigen für einen wirksamen Klimaschutz in Relation zu setzen. Dabei geht es nicht nur um finanzielle, sondern auch um ökologische, soziale und kulturelle Schäden, von denen einige quantitativ messbar sind (etwa Bodenerosion, Biodiversitätsverluste, Einkommensverluste für bestimmte Berufszweige). Andere, eher „weiche Folgeschäden“ (wie Landschaftsveränderungen, Hitzestress, Reduktion kultureller Vielfalt) lassen sich durch Instrumente der empirischen Sozialforschung abschätzen, wie Befragungen von Nutzern ökosystemarer Dienstleistungen, systematische Dokumentenanalysen und multiattributive Bewertungsverfahren, einschließlich von Nutzwertanalysen. Um sowohl die harten wie die weichen Ergebnisse der Analyse vergleichend zu bewerten, empfiehlt der IRGC einen Risikodialog, an dem die Vertreter der Behörden, der Klimawissenschaft und der Stakeholder aus der Praxis teilnehmen. Am Ende steht ein Urteil, welche Klimafolgeszenarien akzeptierbar bzw. tolerierbar sind (Fairman 2007; Renn 2008; Renn et al. 2020).

2.4 Risikomanagement: Wie lassen sich Wirksamkeit und demokratische Legitimation zentral nachweisen?

Die vierte Phase betrifft das Risikomanagement. Jetzt geht es darum, konkrete Maßnahmen oder Strategien zu wählen, um ein nicht tolerierbares Risiko zu vermeiden bzw. so weit zu senken, dass es als akzeptabel anzusehen ist (IRGC 2005). Der IRGC setzt hier auf entscheidungsanalytische Methoden. Bezogen auf den Hochwasserschutz würden nun die konkrete Vor- und Nachsorge festgelegt werden. Bestand schon in der Vorphase auf die Grundzüge eines Programmes Einigkeit, fällt es jetzt leichter, diese Maßnahmen öffentlich zu rechtfertigen und politisch durchzusetzen. Für jede der verhandelten Optionen sind die jeweiligen Vor- und Nachteile zu erfassen und gegeneinander abzuwägen.

Alle vier Phasen bedürfen einer intensiven Risikokommunikation einschließlich eines diskursiven Risikodialogs. Anders als in älteren Anleitungen zur Risikobehandlung empfohlen – etwa 1983 vom National Research Council (NRC 1983) – sieht der IRGC Risikokommunikation als einen kontinuierlich verlaufenden Prozess an, der von der Vorphase bis zum Risikomanagement dauert (IRGC 2005). Nicht nur aus Gründen demokratischer Entscheidungsfindung ist eine rasche und umfassende Kommunikation gefordert, dies bereichert auch die Qualität des Managementprozesses (Stern und Fineberg 1996). Das ist auch beim Hochwasserrisiko augenscheinlich: Werden nicht zeitgleich mit der Planung von Vor- und Nachsorge alle beschlossenen Maßnahmen und deren Konsequenzen adressatengerecht vermittelt, ist nicht zu erwarten, dass sich Individuen oder Organisationen risikogerecht verhalten.

3 Risikowahrnehmung in der pluralen Gesellschaft

Das IRGC-Konzept unterscheidet sich vom konventionellen Verständnis von Risikoregulierung und Risikomanagement: Es weist nicht nur den Natur- und Technikwissenschaften, sondern auch den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften eine zentrale Rolle bei der wissenschaftlichen Erfassung des Risikos zu (Renn 2008). Dabei geht es nicht um die Frage der partizipativen Festlegung von politischen Maßnahmen (Teil VI). Vielmehr geht es darum, in einem ersten Schritt zu klären, wie sich physische Risiken wissenschaftlich so erfassen lassen, dass Vergleichbarkeit gewährleistet ist, und in einem zweiten Schritt, wie die betroffenen Personen diese Risiken wahrnehmen, bewerten und sich in ihrem Verhalten danach ausrichten.

Die Risikoerfassung ist im IRGC-Konzept zweistufig angelegt: Zunächst schätzen Natur- und Technikwissenschaftler bestmöglich den objektiv messbaren Schaden, den eine Risikoquelle hervorrufen könnte, einschließlich der negativen Konsequenzen einzelner Maßnahmen. Zusätzlich sind Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler gefragt, um Kern- und Streitpunkte in der Debatte zum Klimaschutz festzustellen. Zudem sollen sie untersuchen, was Interessensgruppen, Individuen oder die Gesellschaft als Ganzes mit einem bestimmten Risiko verbinden.

Warum ist gerade Letzteres für den Klimaschutz so zentral? Die Auswirkungen von Risiken sind so gut wie nie durch physische Ereignisse vollständig determiniert. Die Auslöser (risk agents) von physischen Risiken sind Energie (Explosionen, Hitze, Wind, Hochwasser etc.), Stoffe (toxisch, karzinogen oder mutagen), Lebewesen (Viren, Bakterien, Fressfeinde, „Raubtiere“ und vor allem Mitmenschen). Auslöser von sozialen Risiken sind Macht (governance, Gewalt) und Information (falsche Anweisungen, panikauslösende Kommunikationsinhalte, Aussichten auf finanzielle Gewinne oder Verluste). Das Potenzial an Schäden, das diese Auslöser verursachen können, richtet sich aber nach dem Auslöser der Gefahr (etwa Flutwelle), dem Risikoträger (etwa kinetische Energie) nach der Exposition (wer und was ist betroffen) und nach der Verwundbarkeit der betroffenen Menschen oder Sachgüter (Kap. 25 sowie Renn et al. 2020). Das Risiko ergibt sich erst aus der Wechselwirkung von physischen und psychisch-sozialen Faktoren (Taylor-Gooby und Zinn 2006). Beide Aspekte müssen daher wissenschaftlich untersucht werden. Das kann etwa durch Umfragen, die Analyse der Ergebnisse von Fokusgruppen, gesamtwirtschaftliche Modellierungen oder Anhörungen mit Interessensvertretern und vor allem durch methodische Triangulation geschehen, die gleichermaßen ökonometrische, sozialwissenschaftliche und statistische Verfahren integriert. Anhand dieser Daten können weitgehend integrierte Klimaszenarien (integrated assessments) aufgebaut werden (Kap. 25). Darunter sind Klimafolgenszenarien zu verstehen, in denen neben den Auslösern (etwa CO2-Emissionen), klimatischen Reaktionen (etwa Hitzewellen) und Einwirkungen auf Umwelt und Gesellschaft (Ökosystemfolgen, Gesundheitsschäden) auch soziale und kulturelle Einflussfaktoren (wie Handlungsbereitschaft der Individuen, kulturelle Normen und Werte für die Wahl von Mitigations- und Adaptionsmaßnahmen) in die Szenarien als Parameter eingebunden sind (Lemos und Morehouse 2005).

Wie die Gesellschaft ein bestimmtes Risiko wahrnimmt, untersucht die Risikowahrnehmungsforschung (Übersicht in: Siegrist und Arvai 2020; Breakwell 2007). Diese basiert auf dem Gedanken, dass die intuitive Wahrnehmung eines Risikos ein legitimer Bestandteil einer rationalen Risikobewertung ist und daher in die Risikobewertung einfließen sollte (Neth und Gigerenzer 2015). Bei der intuitiven Wahrnehmung spielen z. B. die Begleitumstände einer Situation eine wichtige Rolle, etwa ob und wie genau das Risiko auf verschiedene Bevölkerungsgruppen verteilt ist, ob es individuell verfügbare oder institutionelle Kontrollmöglichkeiten gibt und inwieweit ein Risiko freiwillig eingegangen wird. Das lässt sich durch entsprechende Forschungsinstrumente messen und sollte streng wissenschaftlich erfolgen (Renn 2008). Die sich ergebenden Muster weisen auf besondere Anliegen der befragten Individuen und Gruppen hin und sollten daher auch in die Klimapolitik eingehen (Garner et al. 2016).

Unter rationalen Gesichtspunkten erscheint es durchaus erstrebenswert, die verschiedenen Dimensionen des intuitiven Risikoverständnisses systematisch zu erfassen und auf diesen Dimensionen die jeweils empirisch gegebenen Ausprägungen zu messen (Fischhoff 1985; Renn 2008). Wie stark verschiedene technische Optionen, etwa Varianten der Energieerzeugung, Risiken unterschiedlich auf Bevölkerungsgruppen verteilen, in welchem Maße persönliche und institutionelle Kontrollmöglichkeiten bestehen und inwieweit Risiken durch freiwillige Vereinbarung übernommen werden, lässt sich im Prinzip durch entsprechende Forschungsinstrumente messen. Dass aber diese Faktoren in die politische Entscheidung eingehen sollen, lässt sich aus dem Studium der Risikowahrnehmung lernen. Dahinter steht also die Auffassung, dass die Dimensionen der intuitiven Risikowahrnehmung legitime Elemente einer rationalen Politik sein müssen, die Abschätzung der unterschiedlichen Risikoquellen auf jeder Dimension aber nach rational-wissenschaftlicher Vorgehensweise erfolgen muss (Renn 2008).

Neben den Wahrnehmungen der Individuen und Gruppen sind auch die Handlungsmöglichkeiten und Motive zur Änderung von Verhaltensweisen für das Risikomanagement entscheidend. Individuelle Verhaltensroutinen weisen eine erstaunliche Persistenz auf (Bargh 1996). Viele dieser Routinen entstehen während der frühen Sozialisation (vorwiegend durch Beobachtung und Nachahmung anderer) und später im Verlauf des sozialen Lernens (Versuch und Irrtum, funktionale Anpassung, Rollenerwerb) als eine Form der Bewältigung von Alltagsproblemen und -aufgaben und der Anpassung an soziale Normen. Verhaltensmuster, die während der Sozialisation in der Kindheit und Jugend eingeübt und häufig wiederholt werden, verfestigen sich mit der Zeit und werden zu unreflektierten, automatisierten Routinen in einem stabilen Alltagskontext. Eine Änderung dieser Routinen erfordert entweder eine starke Willensentscheidung oder eine Disruption in der Wahrnehmung der äußeren Bedingungen.

Im Falle einer willentlichen Entscheidung beruht die Verhaltensänderung auf einer neuen Einsicht oder Erkenntnis, die die Motivation des Einzelnen so stark beeinflusst, dass er oder sie aus freien Stücken die bisherigen Routinen aussetzt und durch neue Verhaltensmuster ersetzt. Die sozialpsychologische Forschung hat deutlich gezeigt, dass neue Einsichten oder Einstellungsänderungen in der Regel nicht ausreichen, um Verhaltensänderungen dauerhaft zu verfestigen (Mack et al. 2019). Die Wahrnehmung von normativem Druck und wahrgenommener Verhaltenskontrolle erleichtern aber die Umsetzung von Einstellungsänderungen in entsprechendes Verhalten (Bamberg 2013; Nolan et al. 2008).

Im zweiten Fall wird die Verhaltensänderung durch einen erlebten Bruch von Erfahrungen, etwa durch Veränderungen der natürlichen oder sozialen Umwelt ausgelöst. Die Anzeichen des Klimawandels wie Hochwasser oder Hitzewellen sind Beispiele für eine störende Kontextveränderung. Kontextveränderungen verunsichern und unterbrechen automatisierte Routinen, sodass alternative Verhaltensweisen entstehen und frühere Routinen wieder auftauchen können, wenn sie in den neuen Kontext zu passen scheinen (Betsch et al. 2015).

Insofern ist auch nicht verwunderlich, dass Risikowahrnehmungen nur in geringem Maße mit Verhaltensänderungen korrelieren (Bubeck et al. 2012). Allerdings sind sie meist notwendige Bedingungen für Handlungsänderungen, es müssen aber entweder intrinsische Faktoren (neue klare Einsichten) oder externe, einschneidende Ereignisse hinzukommen, um entsprechende Handlungen auszulösen (Wachinger et al. 2013).

4 Schnittstelle Risikoerfassung und Risikomanagement

Die Auffassung ist stark verbreitet, dass die primär wissenschaftliche Risikoerfassung und das primär politische Risikomanagement klar voneinander zu trennen sind. So soll z. B. der Weltklimarat (IPCC) für Fragen von Vermeidungs- und Anpassungspolitiken systematisch das vorhandene wissenschaftliche Wissen zusammentragen, aber nicht politische Maßnahmen des Klimaschutzes vorschreiben, sondern allenfalls politikrelevante Vorschläge unterbreiten. Die Trennung zwischen Risikoerfassung und Risikomanagement ist aber fließend und lässt sich nicht sinnvoll durchhalten (Hulme 2009). Deswegen beinhaltet das Konzept des risikogerechten Handelns des IRGC sowohl eine funktionale Trennung zwischen Risikoerfassung und Risikomanagement als auch eine enge inhaltliche Kooperation beider Aufgaben mit entsprechender Rückkopplung (IRGC 2005). Dabei geht es beim Risikomanagement um mehr als um eine Entscheidung über Maßnahmen, es müssen auch Optionen generiert, abgewogen und in ihren Nebenwirkungen abgeschätzt werden.

Dass sich diejenigen, die für die Risikoerfassung zuständig sind, und jene, die mit den Entscheidungen über Maßnahmen für das Risikomanagement betraut sind, gegenseitig abstimmen (Risikodialog), ist besonders in der Vorphase und bei der Risikobewertung wichtig. Da Sach- und Werturteile gleichbedeutend sind, sieht das IRGC-Konzept hier eine enge Kooperation von Risikoerfassung und Risikomanagement vor.

Die Erfassung von Klimarisiken und deren Steuerung fällt in Deutschland bei unterschiedlichen Institutionen an. Auf Bundesebene wirken mehrere Ministerien bei der Erfassung und Bewertung von klimaschädlichen Emissionen mit (Wamsler et al. 2020; Weingart et al. 2002). Zudem ist die Aufgabenverteilung zwischen Kommunen, Ländern und dem Bund vielschichtig. Gleichzeitig konkurrieren viele Runde Tische, Diskurskreise und Beteiligungsmaßnahmen miteinander. Gerade diese Fragmentierung der Klimapolitik und das Aufweichen der Trennung von Erfassen und Bewerten von Klimarisiken kennzeichnet die gegenwärtige Situation in Deutschland. Es könnte vermutlich mehr Einigkeit und Konsistenz geben, wenn das IRGC-governance-Konzept konsequenter umgesetzt würde.

5 Risikokommunikation: Wie sollen und können Interessensgruppen und Bevölkerung beteiligt werden?

Das IRGC-Konzept basiert auf der Überzeugung, dass Fachleute aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft dazu beitragen können und sollten, Risiken frühzeitig zu identifizieren, zu analysieren und dann auch zu reduzieren (IRGC 2005; Renn 2008; Renn und Schweizer 2020). Während der Vorstufe etwa (Abb. 30.1) kann Beteiligung helfen, Probleme besser zu verstehen und sich über das weitere Vorgehen zu einigen. In der Phase der wissenschaftlichen Risikoerfassung hat sie den Zweck, systematisches, erfahrungsbasiertes und alltagsbezogenes Wissen der gesellschaftlichen Gruppen einzubeziehen. Während der Risikobewertung dient die Beteiligung der Rückkopplung von gesellschaftlichen Präferenzen und der sozialen und ethischen Bewertung durch von den Maßnahmen betroffene und an den Maßnahmen und deren Auswirkungen interessierte Gruppen. Das Risikomanagement profitiert von Beteiligung bei der Klärung und Abwägung positiver und negativer Wirkungen von Interventionen, um Risiken und deren potenzielle Folgewirkungen zu begrenzen. Schließlich gehört hierzu auch das Monitoring: Man benötigt systematische Beobachtungen, wie die Interventionen in der Realität wirken. Wie die jüngsten Beispiele von Bürgerprotesten, z. B. im Bereich der Energieversorgung, zeigen (Ruddat und Sonneberger 2019), ist es mit der inclusive governance in Deutschland allerdings noch nicht zum Besten bestellt (Blühdorn 2013).

Abb. 30.1
figure 1

IRGC-Konzept der Risikosteuerung. (Modifiziert nach IRGC 2005; eigene Übersetzung)

In der Praxis besteht nach wie vor große Unklarheit darüber, wie Beteiligung konkret organisiert werden kann, vor allem so, dass einer wesentlichen Rahmenbedingung Rechnung getragen wird: der Knappheit von Ressourcen (Geld und Zeit) von Behörden und Entscheidungsträgern auf der einen Seite und der interessierten und betroffenen Gruppen sowie der breiten Bevölkerung auf der anderen Seite (Kuyper und Wolkenstein 2019; s. auch Kap. 39). Besonders wichtig ist dabei, dass die verschiedenen Ebenen der Entscheidungsfindung miteinander verzahnt werden. Für Deutschland bedeutet das:

  • Auf nationaler Ebene gilt es, die Gesamtstrategie zum Schutz des Klimas und ihre Implikationen für die lokale, regionale, nationale und internationale Ebene zu verdeutlichen, haben wir es doch weitgehend noch mit fragmentierten Politikzuständigkeiten zu tun (Böcher und Nordbeck 2014). Die innere Konsistenz der Maßnahmen zum Klimaschutz muss den Bürgern und Bürgerinnen plausibel vermittelt werden, u. a. auch die Einsicht in die Notwendigkeit teils unpopulärer Maßnahmen. Angesichts eingangs erwähnter Umfrageergebnisse kann Vertrauen in die grundlegende Akzeptanz der Gesamtstrategie vorausgesetzt werden, aber nicht unbedingt eine Einsicht in die damit verbundenen Maßnahmen. Eine klare, von allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen getragene Basisstrategie zur Umsetzung einer vorsorgenden Klimapolitik macht es der Politik im regionalen und kommunalen Umsetzungsprozess wesentlich leichter, Fragen nach Notwendigkeit und Nutzen einer Maßnahme zu beantworten und langwierige Grundsatzdiskussionen nicht immer wieder von Neuem führen zu müssen.

  • Auf der regionalen Ebene gilt es, den Nutzen für die Region und die Verteilung von Belastungen und Risiken von Klimaschutzmaßnahmen oder vorbeugendem Katastrophenschutz für die Allgemeinheit herauszustellen. Ein wesentliches Kennzeichen ist dabei, dass die auftretenden Belastungen als fair verteilt angesehen werden. Die heutige Diskussion um Überflutungsgebiete zeugt von einer besonderen Sensibilität gegenüber Verteilungswirkungen. Hier ist auch die Politik gefordert, durch entsprechende Gestaltung eine faire Verteilung von Nutzen und Lasten herbeizuführen.

  • Auf der lokalen Ebene müssen vor allem Aspekte der individuellen Selbstbestimmung und der emotionalen Identifikation angesprochen werden. Wenn Menschen den Eindruck haben, dass sie ihre Souveränität über das eigene lokale Umfeld einbüßen, ist mit Akzeptanzverweigerung zu rechnen (Benighaus und Renn 2016). Ebenfalls werden Investitionen in den Klimaschutz nur auf Akzeptanz stoßen, wenn sie nicht als Eingriff in die gewachsene soziale und kulturelle Umgebung angesehen werden. Von daher sind vor allem neue Formen der Bürgerbeteiligung gefragt, die eine aktive Einbindung der lokalen Bevölkerung ermöglichen.

Die Öffentlichkeit kann dabei auf allen drei Ebenen beteiligt werden – auch zeitversetzt, wenn vereinbarte klimapolitische Maßnahmen bereits umgesetzt werden. Vor allem wird es darauf ankommen, die Schlüsselpersonen in Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft systematisch miteinander zu verzahnen.

Idealerweise sieht das folgendermaßen aus (ähnlich in Brettschneider 2013):

  • Vorphase: Bereits bei der Frage, ob überhaupt ein Problem vorliegt und wie dieses zu fassen ist (framing), ist es von Vorteil, so früh wie möglich die relevanten Gruppen mit ihrem spezifischen Sachwissen, ihrer Wertepluralität und ihrer Risikobereitschaft in die Risikosteuerung einzubeziehen. Vor allem die verschiedenen Perspektiven der Zivilgesellschaft und die Ausgangssituation müssen offen thematisiert werden: Wer ist betroffen? Wo und in welchem Ausmaß besteht angesichts des bereits eingetretenen und sich weiter verschärfenden Klimawandels Handlungsbedarf? In welchem Sektor und in welchem Politikfeld ist dieser Handlungsbedarf besonders vorrangig? Wie stark sollte man darauf abheben, die Ursachen zu bekämpfen, wie stark darauf, die Folgen abzuschwächen? Um dies zu beantworten, eignen sich Runde Tische mit Vertretern und Vertreterinnen aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Diese benötigen allerdings ein klares Mandat und ein Alleinstellungsmerkmal, um effektiv und nichtredundant arbeiten zu können (Renn 2014b). In Deutschland können diese Runden Tische auf allen Ebenen der vertikalen governance (von Kommunen bis zur EU) nur Empfehlungen an die gewählten Entscheidungsgremien formulieren, aber diese Ratschläge können durchaus den Entscheidungsprozess maßgeblich beeinflussen.

  • Risikoerfassung: Wenn ein Problem gemeinsam erkannt wurde, wie lässt es sich dann beschreiben und welche Optionen gibt es, um das Risiko zu begrenzen? Häufig ist zu beobachten, dass eine intensive Beteiligung von Interessengruppen und betroffenen Bürgerinnen und Bürgern nicht nur dazu führt, dass diese Mitwirkenden eine von der Wissenschaft ausgearbeitete Liste von Handlungsoptionen bewerten. Vielmehr entwerfen sie darüber hinaus auch im gemeinsamen Dialog völlig neue Optionen. So kommt es zu Win-win-Lösungen, bei denen größere Zielkonflikte gar nicht erst auftreten (Fisher et al. 2009). Im Fall der Klimapolitik können diese Lösungsoptionen sowohl auf nationaler Ebene im Sinne von Grundstrategien (diese liegen inzwischen in vielen Ländern vor, auch in Deutschland) als auch auf Länder- und Kommunalebene in Bezug auf ihre Umsetzung identifiziert und bewertet werden. Dazu sind Dialogformen mit kreativen Anteilen wie Open-space-Konferenzen oder Zukunftswerkstätten besonders geeignet (OECD 2020; Nanz und Fritsche 2012). Ähnlich wie bei den Runden Tischen bei der Risikoerfassung können diese Dialoge nur Lösungsoptionen vorschlagen, in Kraft setzen können diese Vorschläge allein die dazu legitimierten Entscheidungsträger und -trägerinnen.

  • Tolerabilitäts- und Akzeptabilitätsbewertung: Sind die einzelnen Möglichkeiten bestimmt, folgt die vertiefte Analyse der jeweils damit verbundenen Vor- und Nachteile. Mit welchen Konsequenzen ist zu rechnen, wenn A oder B verwirklicht wird? Welche Unsicherheiten gibt es, und wie kann man sie charakterisieren? Solche Fragen lassen sich gut auf regionalen Konferenzen erörtern – etwa im Zuge von Delphi- oder Werkstattverfahren (Niederberger und Renn 2019). Mit einem Delphi-Verfahren lassen sich z. B. Risikofolgen, die mit großer Unsicherheit behaftet sind, von Fachleuten aus verschiedenen Perspektiven und Disziplinen bewerten und dabei Konsenspotenziale ausloten (Grüttner et al. 2013). Die Ergebnisse dieses Bewertungsprozesses sind wiederum Empfehlungen an den Entscheidungsträger.

  • Risikomanagement: Die Frage nach der Bewertung und Auswahl von Optionen ist wieder am besten in einem umfassenden Dialog über die ursprünglichen Ziele und gesetzlichen Vorschriften aufgehoben (Neumann et al. 2018). Hier gilt es, die Konsequenzen gegeneinander abzuwägen: Wie viel Verbesserung beim Klimaschutz ist einem wie viel an möglichen wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Risiken wert? Wie können Zielkonflikte aufgelöst und Prioritäten festgelegt werden? Gibt es keine Einigung, müssen die Argumente für jede Option dokumentiert und transparent dargestellt werden. Dabei ist zu prüfen, wie gut jede Option mit den geltenden Gesetzen und Normen einerseits und den Vorgaben der europäischen und nationalen Klimaschutzziele andererseits harmoniert.

In allen Phasen sind also dialogische Verfahren nach dem IRGC-Konzept notwendig. Das bedeutet aber nicht, dass klare Sachverhalte zerredet, Entscheidungen verschoben und Handlungen durch Dauergespräche behindert werden. Mitwirkung von Stakeholdern und allgemeiner Bevölkerung ist an klare Strukturen der Willens- und Meinungsbildung sowie an einen vorgegebenen Zeitplan gebunden (Hilpert und Scheel 2020). Partizipation steht der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren nicht entgegen, wenn sie frühzeitig geplant, professionell durchgeführt und mit klaren Zeitvorgaben versehen wird (Brettschneider 2015).

In Anlehnung an das Mehrebenenmodell der Politikgestaltung (Kap. 37) sind bezüglich der Umsetzung folgende Fragen zu stellen: Welche Handlungsoptionen stehen der lokalen Ebene offen? Wie werden die Anforderungen der national vorgegebenen Strategien und regionale Umsetzungspläne in der Fläche beantwortet und unterschiedlichen örtlichen Standorten zugeordnet? Gerade hier ist es wichtig, für Gemeinden möglichst viele Handlungsoptionen offenzuhalten. Bürgerforen, Konsensuskonferenzen oder Bürgerparlamente sind hier geeignete Formen für die Beteiligung von gesellschaftlichen Gruppen und lokaler Bevölkerung vor Ort (Kuklinski und Oppermann 2010; Dryzek et al. 2019).

In Fällen von tiefgreifenden Konflikten sind direkte Formen der Demokratie sinnvoll (Radtke 2020). Dann können Bürgerbefragungen und -entscheide eine wichtige Funktion erfüllen. Denn sie ermöglichen eine direkte Rückbindung der betroffenen Menschen an die Politik und erhöhen die Chancen auf Akzeptanz (Schneider 2003).

Bürgerbeteiligung geht nicht ohne Konflikte. Alle müssen lernen, mit Konflikten konstruktiv umzugehen. Die Menschen früh zu informieren, ihnen alle Konsequenzen unvermeidbarer Belastungen zu nennen und sie darauf einzustellen ist Grundvoraussetzung für eine vorbeugende Akzeptanzpolitik in allen Bereichen.

Der 2014 vom Weltklimarat herausgegebene Fünfte Sachstandbericht unterstreicht die Notwendigkeit länderübergreifender Transparenz und umfassender Beteiligung im Hinblick auf ein effektives Katastrophenmanagement. Darin heißt es:

„Wirksame nationale Systeme binden viele Akteure aus nationalen und subnationalen Regierungen, den Forschungseinrichtungen des privaten Sektors und der Zivilgesellschaft einschließlich der kommunalen Verbände ein. Diese spielen jeweils unterschiedliche und sich ergänzende Rollen für das Risikomanagement, entsprechend ihren gesellschaftlichen Aufgaben und Möglichkeiten“ (IPCC 2014b; übersetzt durch den Verfasser).

Mit dieser Verpflichtung bewegen sich Weltklimarat und der Internationale Risikorat in ihren Richtlinien aufeinander zu.

6 Kurz gesagt

Das Konzept des Internationalen Risikorates (IRGC) bindet die physischen und gesellschaftlichen Dimensionen von Risiko in seine wissenschaftliche Erfassung und politische Handhabung ein. Das hier ausschnittsweise vorgestellte Konzept hilft bei der Orientierung, wie bei der Planung und Umsetzung von klimaschützenden Maßnahmen adäquat reagiert werden kann. Es erweitert die technisch-wissenschaftlichen Faktoren um gesellschaftliche Werte, Anliegen und Wahrnehmungen. Nur so können Gesellschaften effektiv und sozialverträglich mit Risiken umgehen. Denn eine effektive Klimapolitik braucht eine taktgenaue Abstimmung technischer Neuerungen, organisatorische Anpassungen und wirksame Verhaltensanreize (Renn 2020). Das IRGC-Konzept setzt auf einen frühen, offenen und konstruktiven Dialog mit der Bevölkerung. Dabei gehören zur gegenseitigen Vertrauensbildung auch Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, die Vor- und Nachteile einer jeden Alternative in der Klimapolitik ungeschminkt darzustellen. Es reicht nicht, neue Techniken zu entwickeln und neue Systemlösungen auf den Weg zu bringen. Vielmehr muss sich der Erfolg der Klimapolitik daran messen lassen, wie gut es gelingt, das technisch Mögliche mit dem gesellschaftlich Wünschenswerten zu verbinden. Dazu kann ein integratives und inklusives Risikosteuerungsmodell beitragen.