Um auf den Klimawandel reagieren zu können, müssen wir verstehen, was sich warum ändert – wir müssen diese Veränderungen also nachweisen und einem oder mehreren ursächlichen Faktoren zuordnen (to attribute). Von gesellschaftlicher Bedeutung sind insbesondere der Nachweis einer Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur seit der vorindustriellen Zeit über natürliche Schwankungsbreiten hinaus und ihre Attribution zu anthropogenen Einflussfaktoren – also der Beleg, dass der Klimawandel auf menschliche Einflüsse zurückzuführen ist. Solche Aussagen können in der Regel nicht mit hundertprozentiger Sicherheit gemacht werden, sondern sind je nach Datenlage mehr oder weniger gesichert. Der aktuelle Stand von Nachweis und Attribution wird regelmäßig in den Berichten des Weltklimarates im Detail dargelegt; diese befanden beispielsweise den menschlichen Einfluss auf das Klima „erkennbar“ (discernible) im Jahr 1996 und „unzweifelhaft“ (unequivocal) im Jahr 2021 (Eyring et al. 2021). Genauso können Veränderungen bei anderen Klimamerkmalen, die sich neben und mit der globalen Durchschnittstemperatur ändern (weitere Klimavariable, regionales Klima, Klimaextreme), und ihre Folgen für Gesellschaft und Ökosysteme nachgewiesen und möglichen Ursachen zugeordnet werden. Als Klimamerkmal in diesem Sinn können auch die Wahrscheinlichkeitscharakteristika von Einzelereignissen aufgefasst werden. Wie viele Treibhausgasemissionen wir zukünftig noch ausstoßen können, um mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit bestimmte Klimaziele zu erreichen, beruht wiederum auf einer Abschätzung, wie viel der bisherigen Erderwärmung welchen anthropogenen Faktoren zuzuordnen ist. Sogar die Evaluation klimapolitischer Maßnahmen in Bezug auf beobachtete Änderungen in Treibhausgaskonzentrationen sowie die Zuordnung von Emissionen zu bestimmten Ländern, Industrien, Akteurinnen und Akteuren kann in diesem Rahmen verstanden werden. Nachweis und Attribution sind damit in allen Bereichen der Klimawandelforschung und -debatte präsent.

1 Nachweis und Attribution großskaliger Veränderungen

1.1 Interne Klimavariabilität und externe Einflussfaktoren

Bei Nachweis und Attribution geht es also darum, die Änderung eines System(merkmal)s über das durch natürliche Schwankungen Erklärbare hinaus festzustellen und systemfremden (externen) Einflussfaktoren zuzuordnen (Hegerl et al. 2010). In Beobachtungen des Klimasystems sind diese natürlichen Schwankungen Manifestationen von räumlich-zeitlichen Klimavariationen – auf kleinen Skalen uns als Wetter vertraut –, die mit natürlichen Prozessen und Mechanismen im Ozean und der Atmosphäre zusammenhängen und die wir als interne Variabilität bezeichnen. Das realisierte Klima ist eine Kombination dieser internen Variabilität und der Reaktion des Systems auf externe EinflussfaktorenFootnote 1. Je größer die Skalen sind, die wir betrachten, desto mehr mittelt sich diese Variabilität heraus (Deser et al. 2012). In der längerfristigen Veränderung großskaliger Klimamerkmale kann menschlicher Einfluss auf die Entwicklung des Klimasystems daher am einfachsten nachgewiesen werden.Footnote 2

Neben Beobachtungsdaten und einer Abschätzung der internen Variabilität benötigen Nachweis und Attribution weitere Informationen, nämlich Kenntnis der Entwicklung der relevanten externen Faktoren sowie Verständnis, wie diese externen Einflussfaktoren das zu untersuchende Merkmal beeinflussen. Für das globale Klima auf hier relevanten Zeitskalen sind die externen Einflussfaktoren menschengemachte Emissionen von Treibhausgasen und Aerosolen sowie natürliche Änderungen in der Sonnenstrahlung und Vulkanausbrüche; sie alle können wir unabhängig näherungsweise rekonstruieren. Das Verständnis dieser Faktoren auf das Klima und bestimmte Klimamerkmale ist durch Kenntnis der wichtigsten physikalisch-chemisch-biologischen Prozesse im Klimasystem und ihre Umsetzung in Klimamodellen gegeben. Mit Modellsimulationen werden diese Einflüsse quantifiziert, indem Simulationen mit und ohne Berücksichtigung bestimmter Faktoren verglichen werden (Gillett et al. 2016). Die verschiedenen Simulationen werden in der Regel mit geringfügig unterschiedlichen Ausgangszuständen mehrmals wiederholt, sodass nichtlineare Prozesse im Modell wie in der Realität zu verschiedenen Klimazuständen führen und damit die mögliche Bandbreite interner Variabilität nachbilden.

1.2 Die Fingerprinting-Methode, neuere Entwicklungen und übergreifende Belange

Betrachten wir nun ein konkretes Merkmal, können wir aus Simulationen, die nur einzelne Faktoren oder Gruppen von Faktoren berücksichtigen, den Einfluss der jeweiligen Faktor(grupp)en auf das betrachtete Merkmal abschätzen. Dieser Einfluss wird in der Methode des optimal fingerprinting als „Fingerabdruck“ bezeichnet (Referenzen in Bindoff et al. 2013). Nehmen wir die globale Jahresmitteltemperatur als Beispiel, stellt die aus Messdaten (Kap. 3) berechnete Zeitreihe die Beobachtungen dar. Entsprechend aus den Simulationen berechnete Zeitreihen ergeben die Fingerabdrücke (Abb. 28.1), und Zeitreihen aus („Kontroll-“)Simulationen ganz ohne externe Einflussfaktoren charakterisieren die interne Variabilität.

Abb. 28.1
figure 1

(Modifiziert von Gillett et al. 2021)

Beobachtete Änderungen in °C relativ zu der globalen Jahresmitteltemperatur von 1890–1900 (schwarz, HadCRUT4.Datensatz) sowie Fingerabdrücke verschiedener Einflussfaktoren darauf, wie sie typischerweise in Nachweis- und Attributionsstudien großskaliger Änderungen verwendet werden: Fingerabdrücke der wichtigsten externen Einflussfaktoren zusammen (braun) sowie einzeln von Treibhausgasen (grau), anthropogenen Aerosolen (blau) und natürlichen Faktoren (grün). Die Linien zeigen die Mittelwerte der aus Simulationen vieler Modelle bestehenden CMIP6-Ensembles, die Schattierung gibt die 5–95-Prozent-Bandbreite an.

Abb. 28.2
figure 2

(Modifizierter Bildausschnitt aus Stone und Hansen 2016)

„Schnellanalyse“-Ergebnisse zu a Nachweis und b Attribution zu anthropogenen Einflussfaktoren von großskaligen Änderungen in regionalen Jahresmitteltemperaturen zwischen 1961 und 2010. Wesentliche Rolle: > 30 % der zeitlichen Varianz erklärend. Wahrscheinlichkeiten: sehr hoch 90–100 %, hoch 66–100 %, mittel 33–66 %, niedrig 0–33 %, sehr niedrig 0–10 %.

Mit einem multiplen Regressionsansatz wird dann ermittelt, in welcher Kombination und Skalierung die Fingerabdrücke mit den Beobachtungen unter Berücksichtigung interner Variabilität vereinbar sind. Insbesondere wird getestet, ob sich die Beobachtungen auch ohne einen bestimmten Fingerabdruck erklären lassen oder ob er notwendig und damit sein Einfluss nachgewiesen ist. Attribution heißt in diesem speziellen Kontext, dass auch die Stärke des Einflusses in den Simulationen mit den Beobachtungen vereinbar ist. Um die jeweilige Bedeutung der nachgewiesenen Faktoren zu bestimmen, können die skalierten Fingerabdrücke quantitativ mit den Beobachtungen verglichen und damit Aussagen zu attributable changes (wie in Bindoff et al. 2013; Abb. 10.4; etwa: zuzuordnende Änderungen) gemacht werden. Das grundlegende Ziel des optimal fingerprinting ist es also, über einen systematisch-formalen Konsistenztest zwischen Beobachtungen und Modellsimulationen den Nachweis und die Attribution des Einflusses externer Faktoren auf das Klimasystem zu erbringen.

Eine Vielzahl an methodischen Verfeinerungen sind seit den ersten Fingerprinting-Studien entwickelt worden, die immer mehr mögliche Unsicherheitsquellen berücksichtigen (z. B. Jones und Kennedy 2017). Alle Informationen sind nämlich unsicherheitsbehaftet – die Beobachtungen, die Kenntnis der externen Einflussfaktoren, wie viel und wie genau sich das Klima daraufhin ändert, und sogar die Abschätzung der internen Variabilität. Außerdem sind andere methodische Variationen und ganz neue Methoden entstanden (z. B. Sippel et al. 2019 oder Ribes et al. 2017), die alle den Einfluss externer Einflussfaktoren auf das beobachtete Klima mit statistisch elaborierten Verfahren untersuchen.

Dabei sind die Verfügbarkeit und Verlässlichkeit von hinreichend langen Klimaaufzeichnungen von kritischer Bedeutung, was dem möglichen Nachweis von anthropogen bedingten Klimaänderungen in vielen Teilen der Erde, besonders den Niederschlag betreffend, wesentlich erschwert (Hegerl et al. 2019). Andere Hindernisse können ein unzureichendes Verständnis des Zusammenhangs zwischen Einflussfaktor und Untersuchungsmerkmal und/oder Unzulänglichkeiten in der Darstellung dieses Zusammenhangs in den verwendeten Klimamodellen sein, was eine Modellvalidierung unerlässlich macht. Spielen schließlich weitere Faktoren neben den explizit berücksichtigten eine Rolle, können diese die Validität der Schlussfolgerungen beeinträchtigen (Hegerl et al. 2010). Diese und andere Belange erschweren auch Nachweis und Attribution vermuteter Klimafolgen auf Gesellschaft und Ökosysteme (Teil III dieses Buches) mit ihren zusätzlichen nichtklimatischen Einflussfaktoren (Cramer et al. 2014; Hansen und Stone 2016; Hope et al. 2021).

1.3 Nachweis von regionalem Klimawandel und von Klimaextremen

Ist der anthropogene Einfluss auf die globale Durchschnittstemperatur nachgewiesen, impliziert das schon regionale Änderungen, erst einmal in der Temperatur, aber mit physikalischem Verständnis des Weiteren in anderen Klimavariablen. Auch um dieses Verständnis und damit die Grundlage regionaler Klimaprojektionen zu testen, ist aber der explizite Nachweis langfristiger Veränderungen auch auf regionaler Ebene interessant. Dieser ist schwieriger, unter anderem weil die interne Klimavariabilität auf kleineren räumlichen Skalen tendenziell eine größere Rolle spielt (Deser et al. 2012).

Außerdem können neben großskaligen Änderungen in zeitlichen Mittelwerten (z. B. in der Jahresmitteltemperatur) auch Änderungen in Klimaextremen (z. B. in der Temperatur des heißesten Tages im Jahr) nachgewiesen und Einflussfaktoren zugeordnet werden. Frühe, mehrschrittige Attributionsstudien führen solch einen Nachweis indirekt, indem sie die Verschiebung der Wahrscheinlichkeitsverteilungen (z. B. zu höheren Temperaturen) nutzen (Hegerl et al. 2010). Da sich aber auch die Form der Verteilung ändern kann (z. B. die heißen Tage überproportional stark ansteigen können; vgl. Lavell et al. 2012, Abb. 1.2), lohnt sich auch der explizite Nachweis durch die direkte Anwendung entsprechend angepasster Nachweis- und Attributionsmethoden auf Extremwerte (Easterling et al. 2016; Gillett et al. 2021).

2 Ergebnisse von Nachweis- und Attributionsstudien

2.1 Änderungen im globalen Klimasystem

Seit dem ersten Nachweis des anthropogenen Fingerabdrucks in instrumentell gewonnenen Beobachtungen der globalen Temperatur (in der Regel frühestens ab 1850) ist er mit jeder neuen Generation von Klimamodellen, mit weiterentwickelten statistischen Methoden und in verschiedenen und wachsenden Beobachtungsdatensätzen immer deutlicher erbracht worden (zuletzt Eyring et al. 2021). Insbesondere ist der Einfluss erhöhter Treibhausgaskonzentrationen robust nachweisbar, während der anderer anthropogener Faktoren seltener, aber immer öfter gelingt (Hegerl et al. 2019). Auf Grundlage von Nachweis- und Attributionsergebnissen kommt der Weltklimarat zum Ergebnis, dass von der beobachteten Änderung in der globalen Durchschnittstemperatur von 1850–1900 bis 2010–2019 wahrscheinlich (66–100 % Konfidenz) zwischen +0,8 und +1,3 °C anthropogenen Faktoren zuzuordnen ist, wobei davon zwischen +1,0 und +2,0 °C auf Treibhausgase zurückgehen und zwischen -0,8 und 0,0 °C auf Aerosole, Ozon und Landnutzungsänderungen. Die den natürlichen Einflussfaktoren zuzuordnenden Änderungen betragen dagegen lediglich -0,1 und +0,1 °C (Eyring et al. 2021, 3.3.1.1).

Auch Änderungen in vielen anderen Variablen sind formal nachgewiesen. Im globalen Wasserkreislauf ist dies unter anderem vermehrter Niederschlag in klimatologisch feuchten Gebieten als Reaktion auf anthropogene Einflussfaktoren (Schurer et al. 2020), aerosolbedingte Änderungen im Monsunniederschlag (Undorf et al. 2018) sowie der Einfluss anthropogener Einflussfaktoren (Gudmundsson et al. 2021) sowie von Vulkanausbrüchen (Iles und Hegerl 2015) auf die von Flüssen geführte Wassermenge. Beispiele aus anderen Teilen des Klimasystems sind Änderungen im Salzgehalt und ein Anstieg des Meeresspiegels; eine Abnahme des arktischen Meereises und der Schneedecke der Nordhalbkugel; eine Zunahme des Wärmegehalts der Ozeane (Referenzen in Eyring et al. 2021). Da der Wärmegehalt der Ozeane eng an die Strahlungsbilanz der Erde gekoppelt ist, stellt Letzteres einen direkten Nachweis des Klimawandels an sich dar (Huber und Knutti 2012). Dazu kommen einige Änderungen in der atmosphärischen und ozeanischen Zirkulation (Referenzen in Eyring et al. 2021) sowie wesentlich Änderungen in globalen und regionalen Klimaextremen: Es ist „praktisch sicher“, dass Treibhausgase der Hauptgrund für die beobachteten Änderungen in warmen und kalten Extremen auf der globalen Skala sind (Gillett et al. 2021; Eyring et al. 2021, 3.8.1).

2.2 Änderungen im Klima Europas und Deutschlands

Neben den nachgewiesenen Änderungen auf globaler Skala sind auch die für Europa informativ für Deutschland. Hier ist der Einfluss externer Faktoren in rekonstruierten Jahresmitteltemperaturdaten des letzten Jahrtausends nachgewiesen (PAGES2k-PMIP3 2015). Gleiches gilt jeweils für den Einfluss anthropogener Faktoren bzw. den von Treibhausgasen separat in der Jahres- und verschiedenen jahreszeitlichen Mitteltemperaturen in mit Messinstrumenten gewonnen Beobachtungen verschiedener Zeiträume ab 1850 (Bindoff et al. 2013). Auch für Temperaturänderungen auf subkontinentaler Skala (typischerweise Nord-, Zentral- und Südeuropa) sind sowohl der anthropogene Einfluss als auch der von Treibhausgasen separat nachgewiesen (ebd.). Andere Variablen betreffend ist der Einfluss anthropogener Faktoren auf den Sommerniederschlag über Europa (Brunner et al. 2020) sowie die von Flüssen geführte Wassermenge über ganz Europa sowie Südeuropa allein, nicht aber für Zentral- oder Nordeuropa (Gudmundsson et al. 2017), nachgewiesen worden, und vermehrt wird der Nachweis auch für direkte klimafolgenrelevante hydroklimatische Größen wie Dürreindizes oder Wasserverfügbarkeit geführt (z. B. Marvel et al. 2019).

Mit einem System zur „Schnellanalyse“ (rapid assessment) kommen Stone und Hansen (2016) zum Schluss, dass die Änderungen der Jahresmitteltemperatur in Mitteleuropa zwischen 1961 und 2010 in einer formalisierten Nachweis- und Attributionsstudie unter umfassender Berücksichtigung von Unsicherheiten zu „sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ nachgewiesen und mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ wesentlich den anthropogenen Einflussfaktoren zugeordnet werden würde (Abb. 28.2). Diese „Schnellanalyse“ ist ein Algorithmus, der das Ergebnis von detaillierteren, z. B. Mitteleuropa isoliert betrachtenden, Studien auf Grundlage der Verfügbarkeit von Modellierungsstudien und Beobachtungsdaten sowie einem „schnellen“, da pauschalen, Nachweis- und Attributionstest vorhersagt. Für Niederschlagsänderungen werden mit diesem Ansatz die Wahrscheinlichkeit des Nachweises als „hoch“ und die der Zuordnung als „niedrig“ (damit aber als weltweit am höchsten) eingeschätzt (ebd.).

Auch großskalige Änderungen in Klimaextremen sind für Europa oder europäische Teilregionen, die Teile Deutschlands mit einschließen, nachgewiesen. Besonders oft sind die Intensität oder Häufigkeit eintägiger Extreme analysiert worden. In den beobachteten Änderungen solcher Indizes für warme Extreme können neuere Studien ausnahmslos den anthropogenen Einfluss von dem natürlicher Faktoren abgrenzend nachweisen (Referenzen in Seneviratne et al. 2021, 11.3.4, s. auch Tab. 11.16). Für die Anzahl warmer Tage sowie warmer Nächte ist der Einfluss von Treibhausgasen sogar separat nachgewiesen worden. Der Einfluss anthropogener Faktoren auf kalte Extreme konnte in diesen Studien ebenfalls oft nachgewiesen werden; das gleiche gilt für die von Extremtemperaturen betroffene Fläche (Dittus et al. 2016). Den Niederschlag betreffend, ist der anthropogene Einfluss für Europa auf die Intensität ein- oder fünftägiger Extreme (d. h. der maximalen 1-Tages-Niederschlagsmenge des Jahres oder der maximalen 5-Tages-Niederschlagssumme) nachgewiesen (Fischer und Knutti 2014; Angélil et al. 2017) sowie auf die Fläche, die gleichzeitig von extremen Niederschlagswerten betroffen ist (Dittus et al. 2016).

3 Ereignisattribution

3.1 Konzept

Auch der Einfluss des menschengemachten Klimawandels auf beobachtete Einzelereignisse kann analysiert werden (National Academies of Sciences Engineering and Medicine 2016)Footnote 3. Dabei wird aber nicht gezeigt, dass die Ereignisse (mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit) ohne äußere Einflussfaktoren gar nicht stattgefunden hätten, sondern es wird in der Regel nur quantifiziert, wie sich ihre Auftrittswahrscheinlichkeit aufgrund der externen Faktoren geändert hat (Otto 2017). Dies ist der Ansatz in probabilistischen Methoden der Ereignisattribution, mit denen die Wahrscheinlichkeitsverteilung eines das Ereignis beschreibenden Merkmals in einer kontrafaktischen Welt ohne anthropogenen Klimawandel mit der der faktischen Welt verglichen und das Risikoverhältnis berechnet wird. Ein Beispiel für so ein Merkmal für die Überschwemmungen im Jahr 2021 ist die Niederschlagsmenge in Westeuropa inklusive der Einzugsgebiete von Ahr, Erft and Meuse während zwei aufeinanderfolgenden Tagen in einem Sommer (April–September) (Kreienkamp et al. 2021). Die kontrafaktische Welt ohne Klimawandel wird dabei manchmal durch einen historischen Beobachtungszeitraum angenähert. Zur strikteren Isolierung des anthropogenen Einflusses werden dafür aber eher Modellsimulationen verwendet. Beobachtungen und Modellsimulationen werden dabei nicht mit der gleichen Systematik wie beim optimal fingerprinting auf Konsistenz überprüft, und die Ergebnisse sind durchaus stark von den verwendeten Modellen abhängig. Aber auch die Methoden zur probabilistischen Ereignisattribution werden immer elaborierter, beziehen zum Beispiel mehr Unsicherheitsquellen ein, betrachten neue Ereignistypen oder können Aussagen über besonders seltene Ereignisse treffen (Referenzen in Seneviratne et al. 2021, 11.2.3).

Weil verschiedene Ereignisse für einen bestimmten Zustand der atmosphärischen Zirkulation verschieden wahrscheinlich sein können, gibt es eine Vielzahl an möglichen Fragestellungsvarianten (Jézéquel et al. 2018), z. B. nach der Änderung der Gesamtwahrscheinlichkeit des Ereignisses oder der Wahrscheinlichkeit, dass es bei der beobachteten Wetterlage auftritt. Der Zustand der Zirkulation wird dabei vor allem als Ausdruck interner Variabilität gesehen, könnte aber auch durch die anthropogenen Einflussfaktoren mehr oder weniger wahrscheinlich oder sogar erst ermöglicht werden. Verschiedene Ereignisattributionsansätze unterscheiden sich maßgeblich darin, welche Fragestellung genau sie bezüglich dieser Komplexität beantworten (Seneviratne et al. 2021). Da Änderungen der Zirkulation – der dynamischen Komponente – oft sehr viel mehr mit Unsicherheiten behaftet sind als die der thermodynamischen Komponente, kann es auch sinnvoll sein, die Komponenten einzeln zu betrachten und sich gegebenenfalls auf Letztere zu beschränken (Trenberth et al. 2015). In solch komplementären Storyline-Ansätzen soll das Zustandekommen eines Ereignisses in seiner Einzigartigkeit physikalisch beleuchtet werden (ebd.), während die probabilistischen Methoden das Ereignis zwangsläufig zu einer Klasse von Ereignissen verallgemeinern.

3.2 Ergebnisse Deutschland betreffender Ereignisse

Rund die Hälfte der bisher veröffentlichen Ereignisattributionen bezieht sich auf Temperaturextreme (Abb. 28.3). Diesen gelingt weitgehend unabhängig von den verwendeten Methoden und Daten der Nachweis des Einflusses anthropogener Faktoren (Angélil et al. 2017). Das Risikoverhältnis, also der Unterschied in der Auftrittswahrscheinlichkeit mit und ohne anthropogenen Klimawandel, nimmt im Allgemeinen mit der betrachteten räumlich-zeitlichen Skala zu. Für den zentraleuropaweit heißen Sommer 2018 beispielsweise wurde für den heißesten Tag ein Risikoverhältnis von ungefähr 9 [5–20, 5–95 %-Konfidenzintervall] bestimmt (Leach et al. 2020), d. h., durch den Klimawandel ist die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines mindestens so heißen Tages bis heute etwa 9-fach gestiegen. Bei Betrachtung der Temperatur des ganzen Sommers bzw. der heißesten 90 aufeinander folgenden Tage ergaben sich mit ungefähr 30 [5–60] deutlich höhere Werte (Leach et al. 2020). Da die Risikoverhältnisse allerdings durchaus stark von methodischen Details sowie der genauen Fragestellung abhängen können, sind die Ergebnisse zu verschiedenen Ereignissen nicht unbedingt direkt vergleichbar. Weitere Attributionsbeispiele sind Risikoverhältnisse von 430 [18–∞] für die drei heißesten aufeinanderfolgenden Tage in Weilerswist-Lommersum während der Hitzewelle im Juli 2019 (Vautard et al. 2020) und eine ungefähre Halbierung der Auftrittswahrscheinlichkeit des europaweit kalten Winters 2009/2010 (Christiansen et al. 2018).

Abb. 28.3
figure 3

Übersicht von Ergebnissen veröffentlichter Studien zur Attribution von Extremereignissen, Stand August 2021. (Carbon Brief 2021)

Beispiele für Attributionsstudien zu anderen Ereignistypen sind die Windstürme vom Oktober 2013 („Christian“ mit Windgeschwindigkeiten von 47,7 m/s in St. Peter Ording, kein anthropogener Einfluss nachgewiesen; Storch et al. 2014) und Januar 2018 („Friederike“ mit Toten und Schäden in Milliardenhöhe in Deutschland, kein anthropogener Einfluss nachgewiesen; Vautard et al. 2018) oder die luftverschmutzungsfördernde stagnierende Wetterlage mit extrem niedrigen Windgeschwindigkeiten vom Dezember 2016 (wahrscheinlicher geworden durch anthropogene Einflussfaktoren; Vautard et al. 2018a). Oft werden auch zu Überschwemmungen führende Starkregenereignisse untersucht (Mai/Juni 2013 in den Einzugsgebieten von Donau und Elbe, fast ganz Deutschland betreffend, kein anthropogener Einfluss nachgewiesen; Schaller et al. 2014; aber Mai/Juni 2016 die Seine und Loire betreffend, doppelt so wahrscheinlich geworden durch anthropogene Einflussfaktoren; Philip et al. 2018). Auch die zu den dramatischen Überschwemmungen im Juli 2021 in Westdeutschland und angrenzenden Regionen wesentlich beitragenden Starkregenfälle sind untersucht worden (Kreienkamp et al. 2021). Diese Studie weist den anthropogenen Einfluss nach und kommt zum Schluss, dass solche Starkregenfälle durch den menschengemachten Klimawandel um das 1,2- bis 9-Fache wahrscheinlicher und um 3 bis 19 % stärker geworden sind. Vermehrt werden auch nicht rein meteorologische Ereignisse direkt attribuiert (z. B. Dürre 2016/2017, fast ganz Deutschland betreffend, intensiver aufgrund anthropogener Einflussfaktoren; Garcıa-Herrera et al. 2019).

Genau wie die Attribution großskaliger Veränderungen werden auch Ereignisattributionen schwieriger, je länger die Kausalketten sind, da in jedem Schritt zusätzliche, nichtklimatische Einflussfaktoren eine Rolle spielen können, die auch noch oft schwieriger zu quantifizieren sind. Ein Beispiel ist der Zusammenhang zwischen Treibhausgasemissionen und Starkregenfällen oder hitzebedingten Schneeschmelzen, die zu Überschwemmungen und damit Toten und Verletzten sowie ökonomischen Schäden führen können, oder auch Hitzewellen und Dürren, die den landwirtschaftlichen Ertrag in verletzlichen Ökonomien und damit zu Ernährungsunsicherheit beitragen können. Aber auch der verwandte Forschungszweig der Klimafolgenattributionen – d.h. eine Zuordnung von Klimafolgen auf Gesellschaft und Ökosysteme zum Klimawandel gegenüber anderen Faktoren – macht rapid Fortschritte (O'Neill et al. 2022).

4 Nachweis- und Attributionsergebnisse als Teil nutzungsorientierter Klimawandelinformation

Die angeführten Ergebnisse großskaliger Veränderungen zeigen, in welchen Metriken und Variablen der menschliche Einfluss auf das Klima schon jetzt in Beobachtungen nachgewiesen ist, stellen aber nur einen kleinen Teil der erwarteten Änderungen des Klimasystems dar. Immer mehr davon werden sich mit fortschreitendem Klimawandel nachweisen lassen, da sie im Vergleich zum Hintergrund der internen Variabilität stärker werden, vorausgesetzt, es gibt ausreichend Beobachtungsdaten. Darüber hinaus setzt erfolgreiche Attribution sowohl großskaliger Veränderungen wie auch einzelner Ereignisse selbstverständlich voraus, dass dieser Sachverhalt überhaupt getestet wird. Obwohl insbesondere die Zahl veröffentlichter Ereignisattributionsstudien immer schneller wächst (Jézéquel et al. 2018; Herring et al. 2020), ist das bisher längst nicht für alle, auch folgenreiche, Ereignisse der Fall, auch wegen des begrenzten wissenschaftlichen Neuigkeitswertes.

Der Nachweis anthropogen bedingter Klimaänderungen bietet aber auch Anlass zu erhöhtem Vertrauen in Klimaprojektionen, die wiederum eine Grundlage für die Analyse von Klimafolgen und Anpassungskapazitäten bilden. Ob und wie die Ergebnisse von Ereignisattributionen darüber hinaus konkret Informationen für Anpassung beisteuern können, wird noch diskutiert (Jézéquel et al. 2019, 2020; Parker et al. 2017). Sie sind aber vor allem auch von gesellschaftlichem Interesse und können das öffentliche Bewusstsein für den Klimawandel und seine Folgen erhöhen und damit die Motivation für Klimaschutz- und/oder Anpassungsmaßnahmen fördern (Sippel et al. 2015; Schwab et al. 2017). Daneben werden sie auch als beweisliefernd für Fragen der Klimagerechtigkeit und im Kontext der Debatten um Verluste und Schäden (loss and damage) (z. B. James et al. 2019) im Zuge von Klimafolgen angesehen, sowohl im internationalen Kontext (UNFCCC 2022) als auch zwischen Privatpersonen und Regierungen oder Firmen (z. B. Marjanac und Patton 2018 trotz Lusk 2017).

Die Initiative World Weather AttributionFootnote 4 stellt schon seit 2015 zeitnahe Ereignisattributionen bereit. Auch der DWD arbeitet an der Einführung eines Dienstes zur operationalisierten Ereignisattribution, vor allem um das Interesse der Öffentlichkeit an Attributionsergebnissen unmittelbar nach Extremereignissen zu befriedigen (Tradowsky et al. 2020). Dies geschieht in Zusammenarbeit mit dem Copernicus Climate Change Service der EUFootnote 5 sowie dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten deutschlandweiten Forschungszusammenschluss ClimXtremeFootnote 6. Um bei der Vielfalt der Klimawandelaspekte die relevantesten Perspektiven zu identifizieren und die Brücke von den rein meteorologischen zu den klimafolgenbestimmenden Veränderungen oder den Klimafolgen selbst zu schlagen, ist interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb der Wissenschaft sowie die Einbindung gesellschaftlicher Praxis unerlässlich.

5 Kurz gesagt

Bei Nachweis und Attribution geht es darum, mit statistisch sorgfältigen Methoden beobachtete Aspekte des Klimas auf ihren Zusammenhang mit menschlichen Klimaeinflussfaktoren zu untersuchen. Von historischer Relevanz ist besonders der Nachweis von großskaligen Veränderungen wie der globalen Durchschnittstemperatur und ihre Attribution zu erhöhten Treibhausgaskonzentrationen, wobei die Abgrenzung von im Klimasystem intern generierter Variabilität sowie von natürlichen Einflussfaktoren wie Änderungen in der Sonnenstrahlung und Vulkanausbrüchen wesentlich ist. Auch der menschliche Einfluss auf Veränderungen einer Vielzahl anderer Variablen ist für Europa und Deutschland einschließende Teilregionen geführt worden. Entsprechende Ergebnisse stellen einen Wissensbaustein regionaler Klimawandelinformation dar. Mit verwandten Methoden werden auch beobachtete Ereignisse wie eine einzelne Hitzewelle oder ein einzelner Sturm untersucht und verschiedenen Einflussfaktoren zugeordnet. In solch probabilistischen Ereignisattributionen wird quantifiziert, ob und wie sich die Auftrittswahrscheinlichkeit der Ereignisse durch den menschengemachten Klimawandel geändert hat. Diese Erkenntnisse sind von großem öffentlichen Interesse, können Bewusstsein für den Klimawandel schaffen und für Fragen der Klimagerechtigkeit und der Debatte zu Verlusten und Schäden relevant sein, vor allem wenn die Attributionsstudien auch die Folgen der Klima- und Wetteränderungen auf Gesellschaft und Ökosysteme gezielt mitbetrachten. Dabei bedarf es auch der Einbindung von Kräften aus der Praxis.