Als kritische Infrastrukturen werden ganz allgemein Organisationen und Einrichtungen bezeichnet, die eine große gesamtwirtschaftliche Bedeutung haben und deren Ausfall oder Beeinträchtigung zu gravierenden Versorgungsengpässen, erheblichen Störungen der öffentlichen Sicherheit oder anderen dramatischen Folgen führen kann (BBK 2020). Infolge des Klimawandels ist zu erwarten, dass es vermehrt zu Einschränkungen oder Ausfällen von kritischen Infrastrukturen kommt, wobei insbesondere die Strom-, Wärme- und Wasserversorgung, die Abwasserentsorgung, der Verkehrssektor sowie die Informationstechnik und Telekommunikation zu nennen sind (Voß et al. 2021; Forzieri et al. 2018; EEA 2017; Buth et al. 2015; Arent et al. 2014). Da diese verschiedenen Infrastrukturen eng miteinander vernetzt und voneinander abhängig sind, sind zunehmend auch klimawandelbedingte Verwundbarkeiten mit Blick auf das gesamte Infrastruktursystem zu betrachten (European Commission 2020; Laugé et al. 2015; Eusgeld et al. 2011). Hierbei gilt es, sowohl direkte als auch indirekte Auswirkungen zu berücksichtigen, die durch sogenannte Kaskadeneffekte hervorgerufen werden (EEA 2019; Luiijf et al. 2010; BMI 2009; Rinaldi et al. 2001). So kann beispielsweise eine Unterbrechung oder ein Totalausfall der Stromversorgung infolge eines Extremwetterereignisses zu schwerwiegenden Folgen für die Informations- und Telekommunikationsinfrastruktur sowie andere zentrale Versorgungsinfrastrukturen in einer Region führen (Europäische Union 2019; Forzieri et al. 2018; Groth et al. 2018; Mikellidou et al. 2018; Karagiannis et al. 2017; Bundesregierung 2015; Walker et al. 2014). Andere kritische Situationen können wiederum durch Störungen von Hilfs- oder Evakuierungsmaßnahmen in Krisensituationen entstehen, wenn Teile der kritischen Infrastrukturen zerstört oder überlastet sind – beispielsweise als Folge von Überflutungen wie im Ahrtal 2021, in Lancaster 2015 und Münster (2014) oder entlang der Elbe und Donau 2013 (BMI, BMF 2021a, b; Ferranti et al. 2017; DKKV 2015; Stadt Münster 2014).

Somit stellen Schnittstellen zwischen kritischen Infrastrukturen nicht nur Punkte potenzieller Verwundbarkeit dar, sondern sie können bestehende Verwundbarkeiten über mehrere Infrastruktursektoren und -elemente hinweg tragen. Hinzu kommt, dass infolge von Personalabbau in den kommunalen Verwaltungen und geringen Investitionen viele Infrastrukturelemente, wie Schleusen, Brücken, Gleise oder die Kanalisation sanierungsbedürftig sind (Kommunal 2020; Gornig 2019; DWA 2015; DGB 2013). Wenn dadurch immer weniger autarke bzw. analoge Redundanzen zur Verfügung stehen, wird das System insgesamt anfälliger für längere Ausfälle.

Um diese Herausforderungen zu adressieren, wurde das Leitbild einer klimaresilienten Infrastruktur entwickelt (OECD 2018). Resilienz wird dort einerseits als dynamischer, aber dennoch planbarer Zustand eines Systems sowie andererseits als Fähigkeit von Systemen verstanden, mit Störungen wie extremen Ereignissen oder kontinuierlichen Änderungen umzugehen, ohne ihre Funktionsfähigkeit zu verlieren (Doorn et al. 2019; Folke 2006). Zentrale Fähigkeiten von resilienten Infrastrukturen sind somit sowohl deren Robustheit als auch deren Anpassungs- und Regenerationsfähigkeit. Je nach Stärke der Störung kann ein resilientes System aufgrund seiner Widerstandsfähigkeit den Status quo erhalten oder aufgrund seiner Anpassungsfähigkeit auf einen neuen funktionsfähigen Zustand hin weiterentwickelt werden. Letzteres betont, dass die Resilienz von Infrastrukturen nicht nur von deren technischen Merkmalen, sondern zentral auch von sozioökonomischen und ökologischen Systemkomponenten beeinflusst wird.

Infolge der auch in Deutschland projizierten zukünftigen regionalen Zunahme der Anzahl und Intensität von Extremereignissen nehmen sowohl der anwendungsbezogene Forschungsbedarf zur klimawandelbedingten Betroffenheit von Infrastrukturen als auch die Notwendigkeit zur praktischen Durchführung entsprechender Risikoanalysen zu (EEA 2020a; European Commission 2020; Lückerath et al. 2020; Groth et al. 2018; Buth et al. 2015), was zunehmend auch auf der politischen Ebene erkannt und adressiert wird (EEA 2020a; Deutscher Bundestag 2019; Freie und Hansestadt Hamburg 2019; Albrecht et al. 2018). So wurden beispielsweise das „Baugesetzbuch“ 2013 und das „Gesetz zur Umweltverträglichkeitsprüfung“ 2017 überarbeitet (Schönthaler et al. 2018) sowie in die „Technische Regel Anlagensicherheit 310“ ein Klimaanpassungsfaktor zur Berücksichtigung der zunehmenden Gefährdung durch Flusshochwasser, Sturzflutereignisse und Starkniederschläge aufgenommen (Köppke und Sterger 2013).

1 Klimawandel und kritische Infrastrukturen

In Deutschland sind die folgenden Sektoren Teil der kritischen Infrastruktur (BBK und BSI 2020): i) Transport und Verkehr, ii) Energie, iii) Informationstechnik und Telekommunikation, iv) Finanz- und Versicherungswesen, v) Staat und Verwaltung, vi) Ernährung, vii) Wasser, viii) Gesundheit sowie ix) Medien und Kultur.

Ob eine Anlage als kritische Infrastruktur gewertet wird, kann für den Energiesektor beispielsweise dem Anhang 1 „Anlagenkategorien und Schwellenwerte im Sektor Energie“ der BSI-KritisV (https://www.gesetze-im-internet.de/bsi-kritisv/anhang_1.html) entnommen werden. Kritische Infrastrukturen sind im Sinne soziotechnischer Systeme mit entsprechend vielfältigen möglichen Einflussfaktoren und potenziellen Beeinflussungen zu verstehen (Moss 2014; Frantzeskaki und Loorbach 2010). Unter Berücksichtigung der Verbindung zur Umwelt kann in diesem Zusammenhang auch von „sozio-öko-technischen Systemen“ gesprochen werden (Clark et al. 2019; Grabowski et al. 2017). Um mögliche Schwachstellen und Verwundbarkeiten zu identifizieren und Anpassungsoptionen zu entwickeln, sind insbesondere diese Verbindungen sowie ihr systemisches Zusammenspiel zu analysieren. Dabei sind auch mögliche andere Einflüsse auf Teilsysteme beispielsweise infolge von Epidemien oder Pandemien wie die Grippewelle 2018 oder die Coronapandemie zu berücksichtigen (Spreen et al. 2020; RKI 2017; Itzwerth et al. 2006).

Das Ziel ist es somit, eine Grundlage dafür zu schaffen, dass sowohl die Widerstandsfähigkeit von Elementen kritischer Infrastrukturen im Sinne einer technisch-physischen Robustheit von Anlagen, als auch die Fähigkeiten des Managementsystems gefördert werden, und im Zuge dessen die Verwundbarkeit sowie das Risiko in Bezug auf die Folgen des Klimawandels verringert werden kann.

Bevor im weiteren Verlauf dieses Kapitels die Relevanz von Kaskadeneffekten für kritische Infrastrukturen und entsprechende systemische Abhängigkeiten als neue Herausforderungen im Vordergrund stehen, werden zunächst exemplarisch sektorale klimawandelbedingte Betroffenheiten für die Stromversorgung sowie die Verkehrsinfrastruktur und Mobilität in Deutschland skizziert. Diese Beispiele wurden gewählt, da es sich hierbei um zentrale gesellschaftliche Versorgungsinfrastrukturen handelt, die zudem aus sektoraler Perspektive bereits umfassend untersucht wurden.

Stromversorgung

Mit einem Fokus auf der Stromversorgung geben Groth et al. (2018)Footnote 1 einen Überblick möglicher Auswirkungen des Klimawandels auf den Energiesektor in Deutschland. Regionale Klimaprojektionen zeigen hierbei eine Zunahme der mittleren Lufttemperatur und dadurch auch der Wassertemperatur und der Verdunstungsrate. Durch die erwartete Zunahme von Trockentagen ist lokal von einer Zunahme von Tagen mit niedrigen Flusswasserständen im Sommer auszugehen. Dies wird in Verbindung mit höheren Temperaturen die Kühlwassersituation und Engpässe in der Transportlogistik – insbesondere in der Binnenschifffahrt – verschärfen.

So wurden in den trockenen Sommern 2003 und 2018 thermische Kraftwerke gedrosselt oder heruntergefahren. Im Jahr 2018, aber auch in den Niedrigwasserphasen in den Wintern 2015/2016, 2016/2017 sowie 2018/2019, kam es zudem zu Lieferengpässen bei der Versorgung von Kraftwerken mit Steinkohle in Baden-Württemberg (Bundestag 2019). Neben der notwendigen Drosselung der thermischen Kraftwerke durch Niedrigwasser ist zudem anzumerken, dass dies auch bereits durch hohe Wassertemperaturen notwendig wurde, was auch zukünftig vermehrt zu erwarten ist. Vor allem durch den Ausstieg aus der fossilen Energieerzeugung gemäß des sogenannten Kohleausstiegsgesetzes sowie den dezentralen Ausbau der erneuerbaren Energien verringern sich zukünftig diese Gefahren für die Stromversorgung. Die positive Rückkopplung erneuerbarer Energiequellen auf die Versorgungssicherheit (Redundanzkriterium) bestätigt auch eine Delphi-basierte Untersuchung im Rahmen des „TRAFIS-Projektes“ (Olfert et al. 2020). Im Zuge des Ausbaus der erneuerbaren Energien steigt hingegen die Bedeutung der Stromverteilung und damit grundsätzlich die Herausforderung der Ausgestaltung (Erdkabel oder Freileitungen) der Übertragungs- und Verteilnetzinfrastruktur. Hier gilt es, die Folgen von häufiger auftretenden Hitzewellen zu berücksichtigen, da diese sich negativ auf die Übertragungsfähigkeit auswirken oder zu einer unmittelbaren Beschädigung von einzelnen Elementen wie beispielsweise Masten, Kabeln und Transformatoren führen können. Aber auch andere extreme Wetterereignisse wie Waldbrände, Stürme, Hochwasser oder Schnee können insbesondere im Verteilnetz zu Unterbrechungen führen (Kurth und Breuer 2018).

Hinsichtlich der Starkregentage und der Winterniederschläge zeigen regionale Klimaprojektionen vielerorts eine Zunahme, wodurch lokal das Überflutungsrisiko steigen kann. Dadurch können Mastfundamente unterspült werden, was sich negativ auf ihre Standfestigkeit auswirkt. Für einzelne Elemente wie Umspannwerke oder Transformatorstationen kann insbesondere in der Nähe von Fließgewässern oder in tiefergelegenen Bereichen die Überflutungsgefahr steigen. Dagegen kann die Stromerzeugung durch Fotovoltaikanlagen von stabileren Hochdruckwetterlagen – wie 2003 und 2018 – profitieren. Eine Verminderung der kurzwelligen UV-Strahlung schlägt sich dagegen in einer verringerten Energieerzeugung nieder (Jerez et al. 2015). Durch die steigenden Temperaturen verändert sich auch die Art des Energiebedarfs. So sinkt der Bedarf an Wärmeenergie (Andrić et al. 2017) und der Bedarf an Kühlenergie nimmt zu (Climate Service Center Germany, GERICS 2020; Mücke und Matzarakis 2019; Bürger et al. 2017; Koch et al. 2017).

Verkehrsinfrastruktur und Mobilität

Der Verkehrssektor und die zugehörige Infrastruktur werden infolge des Klimawandels insbesondere durch die Auswirkungen extremer Wetterereignisse beeinflusst. Hitze- und Dürreperioden, Hoch- und Niedrigwasser, Starkniederschläge oder Hagel, Nebel, Schneefall und Eisgang führen zu direkten Beeinträchtigungen, da sie die störungsfreie Nutzung von Verkehrsmitteln und Verkehrsinfrastrukturen einschränken (Hänsel et al. 2019; Nilson et al. 2019).

Für die Verkehrsträger Straße und Schiene sind Schäden und Hindernisse durch Hochwasser und gravitative Massenbewegungen sowie Extremtemperaturen (vornehmlich Hitze) zentrale Herausforderungen. Die Schiffbarkeit der Wasserstraßen kann speziell durch außergewöhnlich hohe oder niedrige Wasserstände beeinträchtigt werden. Darüber hinaus kann es, besonders in Kombination mit Starkwinden und Starkniederschlägen, zu Schäden an Infrastrukturelementen wie Verkehrsleitsystemen, Oberleitungen und Stromversorgungsanlagen sowie Binnenwasserstraßen, Häfen und maritimen Einrichtungen kommen (Voß et al. 2021; Kahlenborn et al. 2021). Störungen des Verkehrssystems können Störungen in anderen wirtschaftlichen Sektoren und damit auch anderen Infrastrukturdienstleistungen nach sich ziehen, wie beispielsweise das Niedrigwasser am Rhein 2018 gezeigt hat. Gleichzeitig wurde die Logistikkette für die Eisenerz-, Kohle- und Rohölversorgung sowie für die Auslieferung der Endprodukte von Stahlwerken und der Chemischen Industrie am Oberrhein behindert. Dies hatte Lieferengpässe bei Diesel und Benzin zur Folge (BfG 2019).

2 Kaskadeneffekte, systemische Abhängigkeiten und Risikoanalysen

2.1 Kaskadeneffekte und systemische Abhängigkeiten

Als sogenannte sozio-öko-technische Systeme vereint das Funktionieren kritischer Infrastrukturen ein enges Ineinandergreifen der physischen Artefakte und Technologien, gesellschaftlicher Erwartungen und Verhaltensweisen, bestehender Marktmuster, institutioneller Strukturen, Normen und Regeln sowie natürlicher Ressourcen (Olfert et al. 2021; Moss 2014; Frantzeskaki und Loorbach 2010). Kritische Infrastrukturen sind zudem kritische Elemente (Subsysteme) in einem größeren interdependenten System von Systemen (Rinaldi et al. 2001), in denen durch gerichtete Abhängigkeiten Störungen in einem Systemelement sich kaskadenförmig durch das System und in andere Systeme hinein fortpflanzen können (Fu et al. 2014; Reichenbach et al. 2011). Ein zentraler Aspekt liegt somit auf der systemischen Bedeutsamkeit von Abhängigkeiten einzelner Teilsysteme, die sowohl unterschiedliche Infrastrukturelemente als auch Sektoren umfassen. Im Zuge dessen wird es für Infrastrukturbetreiber immer wichtiger, nicht nur die direkten klimawandelbedingten Betroffenheiten des eigenen Sektors zu kennen, sondern auch die möglichen indirekten Folgen zu berücksichtigen, die von anderen Sektoren ausgehen, zu denen systemrelevante Abhängigkeiten bestehen. Abb. 23.1 veranschaulicht dies in Form eines konzeptionellen Modells von Kaskadeneffekten.

Abb. 23.1
figure 1

(Eigene Abbildung basierend auf konzeptionellen Überlegungen von Rinaldi et al. 2001)

Konzeptionelles Modell der Ausbreitung von Effekten zwischen Systemen bei einem Vorfall mit Kaskadeneffekten.

Beispiele für diese komplexen Wirkungsketten von Infrastrukturausfällen sind in der Literatur bereits seit vielen Jahren dokumentiert (Lugo 2019; Johansson et al. 2015; Ciscar und Dowling 2014; Funabashi und Kitazawa 2012; Meusel und Kirch 2005; Rinaldi et al. 2001). Mit dem Blick auf Deutschland kann an dieser Stelle beispielsweise das Starkregenereignis vom 28. Juli 2014 in Münster interessante Einblicke in die aufgetretenen Wirkungszusammenhänge gewähren. Bei dem Extremereignis wurden zwischen 17:00 und 24:00 Uhr Niederschläge von 292 l/m² registriert. Dieser Wert war höher als bei einem 100-jährigen Regenereignis (Stadt Münster 2014). Insbesondere die Wasser-, Verkehrs- und Energieinfrastrukturen waren hiervon betroffen, wobei sich teilweise sektorenübergreifende Kaskadeneffekte eingestellt hatten. Die durch die Überschwemmungen verursachten Folgen in den betroffenen Infrastrukturbereichen sind in Abb. 23.2 dargestellt, wobei sich die sektoralen Bezeichnungen an den Handlungsfeldern der Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel (DAS; Bundesregierung 2008) orientieren.

Abb. 23.2
figure 2

Auswirkungen des Starkniederschlags am 28. Juli 2014 in Münster.

2.2 Risikoanalysen

Zahlreiche Arbeiten haben in den vergangenen Jahren zur Weiterentwicklung der Risikoanalyse kritischer Infrastrukturen beigetragen. Bei der Betrachtung aktueller sektoraler und sektorübergreifender Arbeiten mit Bezug zur Risikoanalyse von kritischen Infrastrukturen lassen sich vor allem die folgenden vier Gruppen von Ansätzen unterscheiden:

  1. a)

    solche, die sich mit Risiko, Vulnerabilität und/oder (jedoch seltener, vgl. Ani et al. 2019) der Resilienz von kritischen Infrastrukturen anhand von direkten Effekten und Wirkungsketten innerhalb der Systeme befassen (z. B. Voß et al. 2021; Habermann und Hedel 2018; Romero-Faz und Camarero-Orive 2017; Espinoza et al. 2016; Rehak und Novotnyr 2016; Vamanu et al. 2016);

  2. b)

    solche, die systemüberschreitende Kaskaden- bzw. Dominoeffekte von Ausfällen über Systemgrenzen hinaus analysieren (z. B. Dierich et al. 2019; Klaver et al. 2014; Reichenbach et al. 2011);

  3. c)

    solche, die sich mit den indirekten gesellschaftlichen Folgen der Ausfälle von kritischen Infrastrukturen befassen (z. B. quantitativ Svegrup et al. 2019; oder qualitativ Hassel et al. 2014; Reichenbach et al. 2011);

  4. d)

    und solche, die sich (oft ergänzend) der Wirkungsanalyse von Managementoptionen in kritischen Infrastruktursystemen widmen (z. B. Hedel 2016; Katopodis et al. 2018; Panteli und Mancarella 2015).

Andere Ansätze nutzen Risiko- bzw. Resilienzanalysen zur Ableitung möglicher Managementoptionen, jedoch ohne eine Wirkungsanalyse durchzuführen (Rehak et al. 2019). Insgesamt zeigt sich dabei, dass die außerordentliche Bedeutung sozioökonomischer Auswirkungen von Infrastrukturausfällen weitgehend anerkannt ist (Clark et al. 2019; Chang 2016), sich die Ansätze zur Resilienzsteigerung aber zumeist noch immer auf einer eher konzeptionellen Ebene befinden (Brashear 2020).

Basierend auf einer Auswahl von Ansätzen – die in Tab. 23.1 gegenübergestellt sind – lassen sich für die Risikoanalyse bei kritischen Infrastrukturen typische Teilschritte identifizieren, die in unterschiedlicher Art und Weise Berücksichtigung finden.

Tab. 23.1 Identifizierte Teilschritte der Risikoanalyse bei kritischen Infrastrukturen (auf Basis ausgewählter Ansätze)

Hierbei kann nicht in jedem Fall von einer regelrechten Operationalisierung gesprochen werden. Es ist offenkundig, dass die Identifikation und Analyse von Dependenzen von Systemkomponenten auf unterschiedlichen Ebenen – Knoten, (Teil-)Systeme, Netzwerke, Funktionen – eine zentrale Aufgabe der Risikoanalyse darstellt. Dies ist naheliegend, da Dependenzen und Interdependenzen technisch komplexer Systeme letztlich für die Fortpflanzung von Störungen im System und darüber hinaus verantwortlich sind (Bloomfield et al. 2017; Schaberreiter et al. 2013; Rinaldi et al. 2001). Für die Bewertung der Fortpflanzung innerhalb des Systems und über die Systemgrenzen hinaus, ist die Identifikation dafür verantwortlicher Elemente ein wesentlicher Teil der Analyse (Dierich 2019; Rehak et al. 2019; Svegrup et al. 2019; Espinoza et al. 2016; Hedel 2016; Klaver et al. 2014; Luiijf et al. 2010).

Die Auswahl und Anwendung eines Ansatzes zur Risikobewertung hängen letztlich von Perspektive und Ziel der Untersuchung ab. Die unterschiedlichen Ansätze unterscheiden sich wie folgt:

  1. a)

    in ihrem Blick auf einzelne Infrastrukturen oder Regionen,

  2. b)

    der Betrachtung einzelner Systeme oder einem systemübergreifenden Vorgehen,

  3. c)

    den unterschiedlichen betrachteten Störquellen,

  4. d)

    der Nutzung quantitativer und/oder qualitativer Zugänge,

  5. e)

    einem rein technisch-analytischen Vorgehen oder der Einbeziehung von Akteuren,

  6. f)

    dem Angebot von Konzepten und Methoden oder fertigen tools.

3 Regionale Fallstudie

Um die komplexen Verflechtungen verschiedener Infrastruktursektoren vor dem Hintergrund der Herausforderungen des Klimawandels zu erfassen und mögliche Kaskadeneffekte zu identifizieren, wurde im Rahmen eines Fallbeispiels in der Metropolregion Hamburg ein systemdynamischer Ansatz genutzt.Footnote 2 Das betrachtete System umfasst die infrastrukturellen Elemente der Sektoren Energie, Wasser und Transport, wobei ein Fokus auf den Sektorschnittstellen liegt. Um die zentralen witterungsbedingten Einflüsse herauszuarbeiten, die zu Beeinträchtigungen innerhalb des Systems führen – sowohl direkt innerhalb eines der drei Sektoren als auch indirekt durch Beeinflussungen aus einem anderen Sektor –, wurde ein partizipativer Ansatz verfolgt.

Mit Bezug auf das methodische Vorgehen im CaskEff-Projekt und der dort aufgezeigten Wichtigkeit der ergänzenden Durchführung von Workshops und Interviews mit Praxispartnern (Hassel et al. 2014) wurden hier im Rahmen eines Stakeholder-mapping-Prozesses zunächst zentrale Institutionen in den relevanten Sektoren identifiziert und Experten aus diesen Institutionen im Rahmen von Interviews befragt (Leventon et al. 2016; Reed et al. 2009). Vor dem Hintergrund der in Tab. 23.1 zusammengefassten Bewertungselemente in ausgewählten Ansätzen zur Risikoanalyse bei kritischen Infrastrukturen haben die Fragen hier insbesondere i) die jeweiligen Erfahrungen und Wahrnehmungen in Bezug auf klimawandelbedingte Risiken, ii) die Abhängigkeiten der Institution von anderen Infrastrukturelementen sowie iii) die individuell wahrgenommene Anpassungsfähigkeit als Bewertungselemente adressiert. Die gesammelten individuellen Einschätzungen der Befragten wurden in einem engen Austausch thematisch strukturiert und daraus die am häufigsten genannten Variablen und ihre Verflechtungen aus der Perspektive der Befragten identifiziert. Zur Validierung dieser Ergebnisse und zur Ermittlung der zentralen Systemvariablen fand zudem ein Workshop mit Praxisakteuren statt.

Als Ergebnisse der Interviews zeigen sich beispielsweise, dass die Stabilität des Stromnetzes eine Grundvoraussetzung für die Funktionsfähigkeit der Trinkwasserpumpen ist und somit sowohl Entscheidungsstrukturen als auch natürliche klimatische Faktoren eine wichtige Rolle für die Gewährleistung der Trinkwasserversorgung spielen. So sind gezielte Investitionsentscheidungen in Bezug auf das Management der Volatilität erneuerbarer Energieerzeugung äußerst relevant um Produktionsschwankungen und Bedarfsspitzen gleichermaßen abzufedern, damit die Netzstabilität des Stromnetzes sowie alle davon abhängigen Prozesse durchgängig gewährleistet sind. Davon abgesehen können klimatische Veränderungen – wie eine Häufung oder eine Intensivierung von extremer Trockenheit – den Boden so beeinträchtigen, dass an den unterirdisch verlegten Stromkabeln Risse entstehen. Auch Hochwasserereignisse können zu Unterbrechungen in der Strom- und Wasserversorgung führen, da Umspannstationen in Überflutungsgebieten im Vorfeld kontrolliert abgeschaltet werden oder durch unerwartet eindringende Wassermassen Schaden nehmen sowie auch Wassergewinnungsanlagen betroffen sein können. Fällt die Stromversorgung aus, sind sowohl Trinkwasser- als auch Abwasserpumpanlagen unmittelbar betroffen. Ein angemessener Umgang mit Wasser in Städten, sowohl in den unterirdischen Rohrsystemen als auch an der Oberfläche, wird von den Stakeholdern außerdem als zentral angesehen. Dies hilft insbesondere, den Eintrag von verschmutztem Oberflächenwasser zu vermeiden, was die Qualität des Grundwassers schützen kann.

Der Workshop zielte darauf ab, in Zusammenarbeit mit den Betroffenen zentrale Herausforderungen und ihre zugrundeliegenden Ursachen vollständig zu verstehen und erste Ideen für die Entwicklung tragfähiger Lösungen zu identifizieren (Siokou et al. 2014; Bérard 2010; Sterman 2001; Andersen und Richardson 1997; Vennix 1996).Footnote 3 Zudem wurde im Rahmen der Dependenzanalyse insbesondere auch die Wirkungsmatrix (Vester 2003, 1991) für die Arbeit mit komplexen Systemen einbezogen, wobei der Schwerpunkt auf der Strukturierung der Beziehungen zwischen den Variablen lag.

Als Eingangsgrößen für die Diskussion während des Workshops dienten Variablen, die in den vorherigen individuellen Interviews mindestens dreimal genannt wurden. Daraus wiederum haben alle Teilnehmer des Workshops die drei für sie wichtigsten ausgewählt (Box). Wichtig bedeutete hier, dass sie subjektiv als relevant für den Aufbau von Resilienz kritischer Infrastrukturen gegenüber dem Klimawandel und somit zur Vermeidung von Kaskadeneffekten angesehen werden. Zudem sollten die Teilnehmer ihre eigenen Erfahrungen und Expertisen in die Auswahl mit einfließen lassen. Die Zahlen in den Klammern stehen für entsprechende Mehrfachnennungen der jeweiligen Variablen.

Übersicht zentraler Variablen

Anteil elektrisch betriebener Fahrzeuge (2X)

Europäisches Verbundnetz

Fachkräfte

Gesetze (u. a. EEG) (2X)

Hochwasser

Instandhaltung (2X)

Kapazität Schiene und Straße

Kapazität Straße (2X)

Kommunikation

Mobilitätsalternativen

Netzausbau

Netzauslastung

Netzstabilität (4X)

Niederschlag (2X)

Staatliche Daseinsvorsorge

Volatilität erneuerbarer Energien (2X)

Windstärke (2X)

  1. Quelle: Eigene Darstellung

Im nächsten Schritt wurde in Gruppen und unter Nutzung einer Wirkungsmatrix diskutiert, inwiefern die Variablen voneinander abhängen und wie stark sie aufeinander einwirken. Alle Gruppen wiesen auf die grundsätzlich große Wichtigkeit der Netzstabilität und die allgemeine Abhängigkeit von Strom hin. Unterschiedliche Einschätzungen zeigten sich im Detail aber beispielsweise beim Zusammenspiel der Variablen Netzstabilität und Instandhaltung. Für Vertreter städtischer Unternehmen sind Instandhaltung und Netzstabilität entscheidende Elemente einer funktionierenden kritischen Infrastruktur und beeinflussen daher viele andere Variablen stark. Zudem sehen sie sich als Betreiber dieser Infrastrukturen in einer entsprechend wichtigen Rolle, wobei die oftmals noch nicht ausreichende Planungs- und Investitionssicherheit seitens der Politik kritisiert wird. Bei Vertretern aus der Privatwirtschaft, als Nutzer einer verlässlichen Infrastruktur, wird deren Verfügbarkeit grundsätzlich als gegeben angesehen. Sie waren zudem noch nicht oder nur selten mit nennenswerten Ausfällen konfrontiert, weshalb sie die Auswirkungen auf andere Variablen des Systems als weniger stark bewerten. Unterschiede zeigten sich im Zuge dessen insbesondere bezüglich der betrachteten Zeithorizonte. Während Vertreter städtischer Unternehmen die Wichtigkeit von langfristiger Planung und Daseinsvorsorge sowie vorausschauender Instandhaltung existierender Infrastrukturen betonten (bis zu 70–100 Jahre), waren für private Unternehmen kürzere Zeiträume (bis 2030) relevant.

4 Fazit, Handlungsempfehlungen und weiterer Forschungsbedarf

Bisherige Untersuchungen zeigen, dass klimawandelbedingte Betroffenheiten kritischer Infrastrukturen bislang vor allem auf lokaler Ebene und für einzelne Sektoren gut untersucht sind. Demgegenüber ist davon auszugehen, dass sich durch die stetig wachsende Anzahl von Kopplungen zwischen Teilsystemen verschiedener Sektoren, Dependenzen verstärken werden. Diese haben das Potenzial, neue beziehungsweise bislang wenig betrachtete Kaskadeneffekte zu erzeugen – auch, da beispielsweise gleichzeitig alte Redundanzen (wie analoge Telefonleitungen) zunehmend nicht mehr zur Verfügung stehen. Zukünftige Wetterextreme sind vor allem dort problematisch, wo sie nicht mitgedacht werden, weil zum Beispiel die Notfallgeneratoren im Keller (Überflutungsgefahr) oder unter dem Dach (Hitzebelastung) stehen, weil mehrfache Störungen (Verkehr und Strom) parallel auftreten oder weil der Katastrophenschutz behindert wird (Ausfall von Rettungswagen und Kommunikation). Daher müssen Notfallpläne und praktische Notfallübungen solche multiplen Risiken zunehmend und detaillierter berücksichtigen, wobei auch die Funktionsfähigkeit von Informationsketten unter erschwerten Rahmenbedingungen wie einer eingeschränkten Vor-Ort-Verfügbarkeit von Mitarbeitenden einzubeziehen ist. Im Zuge dessen ist zudem ein gezielter Ausbau von Kapazitäten im Sinne von Kompetenzen und Redundanzen in den technischen und nichttechnischen Teilen der Infrastruktursysteme dringend geboten.

Insgesamt zeigt sich auch die immer größer werdende Bedeutung der Entwicklung und Anwendung lokaler, bedarfsgerechter und praktisch gut nutzbarer Risiko- und Vulnerabilitätsabschätzungen, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Folgen des Klimawandels und die sich daraus ergebenden Herausforderungen sehr spezifisch und kontextabhängig sind. Daher sind lokale Bewertungen, unterstützt durch qualitativ hochwertige Daten und robustes lokales Wissen, der Schlüssel zum Verständnis der aktuellen sowie zu erwartenden Herausforderungen (EEA 2020b). Leitfäden und Handlungsanleitung sollen Kommunen daher bei der Durchführung von Klimarisikoanalysen helfen (Porst et al. 2022).

Eine bedeutende Rolle kommt in diesem Zusammenhang auch Städten und Regionen zu. Dabei zeigt sich, dass das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Anpassung an die Folgen des Klimawandels zwar bereits weithin erkannt ist und im Bereich der Bewusstseinsbildung große Fortschritte erzielt wurden, die praktische Umsetzung konkreter Maßnahmen sowie ihr Monitoring aber noch immer uneinheitlich und insgesamt relativ gering ausgeprägt ist (EEA 2020a).

Mit dem Fokus auf regionalen und lokalen Entscheidungen sowie der notwendigen Bund-Länder-Finanzierung von klimaresilienten Infrastrukturen ist zudem auch ein seitens des Umweltbundesamtes im November 2019 erstmalig in die Diskussion eingebrachtes „Sonderprogramm Klimavorsorge“ hervorzuheben (Haße et al. 2021)Footnote 4. Dieses wurde im Koalitionsvertrag 2021 der neuen Bundesregierung aufgegriffen, als Erweiterung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP 2021). Damit soll eine verlässliche Finanzierungsgrundlage für regional auszugestaltende und umzusetzenden Anpassungsmaßnahmen geschaffen werden (SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP 2021). Diese Finanzierungsperspektive und -sicherheit ist insbesondere bei langfristigen Investitionen in kritische Infrastrukturen von zentraler Bedeutung (VKU 2020a, b), wie beispielsweise auch die Einschätzungen und Ergebnisse aus der oben präsentierten Fallstudie zeigen.

Um unternehmerische Investitionen in Zukunft stärker vor allem auch an Klimaschutz und Klimarisiken auszurichten, hat die EU Kommission ein Klassifizierungssystem für ökonomische Aktivitäten („EU Taxonomie“) verabschiedet (TEG 2019, 2020a, b). Damit wird die Finanzierung von Infrastrukturen in Europa von dieser EU Taxonomie beeinflusst werden. Sie soll Unternehmen dazu bewegen, offenzulegen, inwieweit bestimmte Geschäftsaktivitäten zur Anpassung beitragen und dadurch den Kapitalfluss zu Unternehmen erhöhen können, die sich an der Anpassung beteiligen (Kind und Kahlenborn 2020).

Eine darüberhinausgehende regulatorische Einflussmöglichkeit ist die Einführung spezifischer Berichtspflichten für Betreiber kritischer Infrastrukturen zur Einschätzung von – und insbesondere auch dem Umgang mit – heutigen und zukünftigen Risiken und Chancen eines sich ändernden Klimas (Cortekar und Groth 2015), wie sie beispielsweise in Großbritannien seit der Einführung des Climate Change Act (The UK Government 2008) bestehen und dort sukzessive weiterentwickelt wurden. Dabei hat sich die innovative Rolle und Vorbildfunktion des Climate Change Act – einem der frühesten und prominentesten Beispiele für eine Rahmengesetzgebung zum Klimawandel – als starkem Rechtsrahmen beispielsweise mit kurz- und langfristigen Emissionszielen, der Einrichtung eines unabhängigen Beratungsgremiums und Rechenschaftspflichten gezeigt (Averchenkova et al. 2020, 2018; Fankhauser et al. 2018; Taylor und Scanlen 2018).

5 Kurz gesagt

Infolge des Klimawandels ist zu erwarten, dass es vermehrt zu Beeinträchtigungen oder Ausfällen von kritischen Infrastrukturen kommt. Insbesondere bei den Auswirkungen von Kaskadeneffekten in zunehmend energieabhängigen und intelligenten Netzwerken bestehen noch Forschungsbedarf und politische Handlungsnotwendigkeiten. So ist im Zuge einer stetig wachsenden Anzahl von Kopplungen zwischen Teilsystemen verschiedener Sektoren zu erwarten, dass sich Dependenzen verstärken, die neue beziehungsweise bislang wenig betrachtete Kaskadeneffekte erzeugen können. Um den derzeit verhältnismäßig guten Ausbaugrad von vielen Infrastruktursystemen in Deutschland zu erhalten und die Risiken eines großräumigen Ausfalls mit weitreichenden Kaskadeneffekten zu minimieren, sollten somit insbesondere Unternehmen und Politik die sich daraus ergebenden sektorenübergreifenden Herausforderungen noch umfassender adressieren. Im Zuge dessen gilt es einerseits, den Anforderungen an die unternehmerische Eigenvorsorge und die gesellschaftliche Daseinsvorsorge gerecht zu werden sowie andererseits durch die Ausgestaltung notwendiger regulatorischer Rahmenbedingungen eine ausreichende Planungs- und Investitionssicherheit herzustellen.