Die Vielfalt des Lebens (Biodiversität) steht im Fokus der öffentlichen Diskussion und vieler Wissenschaftsdisziplinen. Das hat vor allem zwei Gründe: Erstens werden das zunehmende Aussterben von Arten und die fortschreitende Zerstörung von Lebensräumen beklagt, besonders wenn es um sehr auffällige, „schöne“ oder wirtschaftlich bedeutende Arten oder um bekannte Lebensräume wie den tropischen Regenwald geht. Zweitens wird diskutiert: Wenn es weniger Arten und weniger funktionsfähige Lebensräume gibt, dann verringern sich Ökosystemleistungen für den Menschen, z. B. die Produktion von Biomasse oder die Kohlenstoff- und Stickstoffbindung.

Die Öffentlichkeit setzt Biodiversität oft vereinfachend mit Artenvielfalt gleich. Biodiversität umfasst aber weit mehr: die genetische Vielfalt innerhalb von Arten und die Vielfalt physiologischer Leistungen und biologischer Wechselwirkungen, z. B. in Nahrungsnetzen, Konkurrenzbeziehungen oder Symbiosen zwischen Arten. Sie schließt auch die Vielfalt an Lebensgemeinschaften und Ökosystemen ein. Der Klimawandel beeinflusst alle Elemente der Biodiversität auf allen Organisationsstufen des Lebens. Neben der Intensivierung von Landnutzungen und der Umweltverschmutzung ist insbesondere der vom Menschen verursachte Klimawandel einer der wesentlichen Treiber von Artenverlusten, Zerstörungen von Biotopen und Beeinträchtigungen von Ökosystemleistungen. Dies haben zuletzt der Globale Bericht zum Zustand der Natur (Brondizio et al. 2019) und Global Biodiversity Outlook 5 (CBD 2020) auf Grundlage umfassender Auswertungen wissenschaftlicher Einzelstudien weltweit belegt.

In diesem Beitrag werden zunächst die weitreichenden direkten Auswirkungen des Klimawandels auf die Organisationsstufen des Lebens von der Genetik der Organismen bis zur Biosphäre dargestellt (Abschn. 15.1). Weiterhin werden die indirekten Auswirkungen auf die biologische Vielfalt über Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel behandelt, wenn der Mensch durch Veränderungen in der Landnutzung auf den Klimawandel reagiert und dadurch biologische Systeme beeinflusst (Abschn. 15.2). Diese indirekten Wirkungen werden hier entsprechend den Veränderungen in der Land-, Forst- und Wasserwirtschaft sowie im Bereich von Siedlungen und erneuerbaren Energien thematisiert. Direkte und indirekte Wirkungen des Klimawandels auf die biologische Vielfalt werden aller Voraussicht nach künftig noch deutlich zunehmen. Dies stellt den Naturschutz vor große Herausforderungen (Abschn. 15.3).

1 Direkte Auswirkungen des Klimawandels auf die Biodiversität

1.1 Wandel der Biodiversität in Deutschland

Seit der Entstehung des Lebens auf der Erde hat sich die Vielfalt an biologischen Formen und funktionellen Typen der Lebewesen ständig verändert. Generell hat die biologische Vielfalt immer zugenommen. Im Verlauf der Erdgeschichte haben jedoch fünf bisher bekannte große Massensterben diese Entwicklung unterbrochen (Klotz et al. 2012). Dafür verantwortlich waren erdgeschichtliche Prozesse wie große Vulkanausbrüche, Meteoriteneinschläge und die Kontinentaldrift. Mit der Vorherrschaft des Menschen auf der Erde setzte das sechste Massensterben ein – verursacht durch die massive Nutzung und Übernutzung natürlicher Ressourcen (Barnosky et al. 2011). Im Jahr 2019 wurde ein umfassender Bericht zur Situation der Biodiversität vorgelegt (Brondizio et al. 2019).

Im Unterschied zu den ersten fünf Massensterben wird das gegenwärtige sich exponentiell entwickelnde Massensterben vom Menschen verursacht. Immer stärker nutzt die wachsende Weltbevölkerung Flächen und Ressourcen, sodass die aktuelle Aussterberate stark zugenommen hat. Die Ursachen dafür sind weitgehend bekannt. Fünf Faktoren, gewichtet nach deren Bedeutung, treiben den Biodiversitätswandel an (Sala et al. 2000):

  1. 1.

    intensive Landnutzungen durch den Menschen, also die Umwandlung von natürlichen Lebensräumen und Ökosystemen in genutzte Ökosysteme,

  2. 2.

    der Klimawandel mit den damit verbundenen direkten Wirkungen,

  3. 3.

    zunehmende Nährstoffeinträge (z. B. Nitrat),

  4. 4.

    biologische Invasionen, d. h. absichtliche Einführung oder unabsichtliche Einschleppung und anthropogen verursachte Einwanderung (z. B. durch Bau neuer Kanäle) von Arten in neue geografische Regionen und neue Lebensräume,

  5. 5.

    steigende globale CO2-Konzentration in der Atmosphäre, die die Konkurrenzverhältnisse zwischen Organismen in Ökosystemen beeinflusst.

Letztlich verschärft der Klimawandel die kritische Situation. Wie groß die Rolle des Klimawandels in der aktuellen Biodiversitätskrise ist, lässt sich aufgrund vieler weiterer Einflüsse schwer abschätzen. Nach neueren Erkenntnissen ist in Zukunft von einer deutlichen Zunahme des Einflusses des Klimawandels auf die Biodiversität auszugehen (Pörtner et al. 2021).

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehen viele Pflanzen- und Tierarten in Deutschland und Mitteleuropa massiv zurück. Die Menschen intensivieren die Landwirtschaft; Städte, Infrastruktur und Industrieflächen dehnen sich aus. Dadurch wird Lebensraum zerstört oder fragmentiert und die Nährstoffbelastung (Eutrophierung) der Lebensräume steigt. Berücksichtigt man die Gefährdungsangaben in Roten Listen und generell in der floristischen und faunistischen Literatur, ist der Artenschwund dramatisch. Früher häufig vorkommende und auffällige Arten sind aus vielen Landschaftsräumen verschwunden oder es leben dort nur noch kleine Restpopulationen. Bei vielen Arten hat bereits ein drastischer Rückgang in der Fläche stattgefunden (z. B. Zahn et al. 2021). Grob geschätzt ist fast jede zweite Art in irgendeiner Form gefährdet oder geht zurück. Der durch den Menschen verursachte (anthropogene) Klimawandel verschärft diese Situation.

1.2 Biodiversität und Klima

Klimatische Faktoren bestimmen wesentlich die Verbreitung von Genotypen, Populationen, Arten, Ökosystemen und Großlebensräumen (Biomen, z. B. der Laubwaldzone). Viele Verbreitungsgebiete von Pflanzen und Tieren zeichnen die Klimazonen nach, sind an bestimmte ozeanische oder kontinentale Klimabedingungen gebunden oder beschränken sich auf klimatisch abgrenzbare Höhenstufen in den Gebirgen. Diese direkte Abhängigkeit vom Klima wird überlagert von den jeweiligen Ansprüchen an die Böden oder an die Lebensräume insgesamt. Dabei spielen physikalische und chemische ebenso wie biotische Faktoren eine Rolle. Biotische Einflüsse sind vor allem Konkurrenz, Symbiosen und Nahrungsnetze.

Aufgrund gut bekannter klimatischer Abhängigkeiten dienen bestimmte Pflanzen und Tiere als Zeigerorganismen für bestimmte klimatische Verhältnisse. In Deutschland und in Mitteleuropa eignen sich bei Gefäßpflanzen die Zeigerwerte nach Ellenberg: Mithilfe der Ansprüche der Pflanzen an Klima oder Boden – etwa Temperatur, Kontinentalität und Feuchtigkeit – kann man auf klimatische Bedingungen an ihrem Standort schließen (Ellenberg et al. 1992). Ebenso sind die Klimaansprüche bestimmter Tiere gut bekannt. Vor allem mit den Untersuchungen zum Einfluss des Klimawandels auf die Biodiversität sind Indikatoren und Indikationssysteme entwickelt worden (vgl. Settele et al. 2008; Schliep et al. 2020).

Das Klima bestimmt wesentlich auch die natürliche Ausdehnung der Ökosysteme und Großlebensräume. Daher kann jede Form des Klimawandels einschneidende Konsequenzen für genetische Strukturen, das Verhalten und Vorkommen von Arten, biologische Wechselbeziehungen sowie die Struktur und Funktion von Ökosystemen haben – das betrifft auch die essenziellen Ökosystemleistungen für den Menschen (MEA 2005).

1.3 Der Klimawandel als Selektionsfaktor – mikroevolutionäre Konsequenzen

Wenn Individuen einer Art wandern und sich ausbreiten können, werden sich bei Änderungen des Klimas die Lebensräume von Populationen verschieben. Sie können sich sowohl vergrößern als auch verkleinern. Bei Arten mit großen oder fragmentierten Lebensräumen ist zu erwarten, dass sich deren Populationen klimabedingt stärker aufgliedern: Populationen aus wärmeren Regionen sollten frostempfindlicher, Populationen aus kühleren Teilen des Verbreitungsgebiets hitzeempfindlicher sein (vgl. Kerth et al. 2014; Streitberger et al. 2016). Populationen an den Arealrändern sind oft besser an klimatischen Stress angepasst (Bridle et al. 2010). Dadurch dürften Arten eine erweiterte Temperaturtoleranz entwickeln und wahrscheinlich eine größere innerartliche Variabilität aufweisen: Populationen an den Rändern ihres Verbreitungsgebiets sind oft genetisch weniger heterogen als Populationen aus dem Zentrum (vgl. Henle et al. 2017). Dennoch kann man nicht direkt von der Herkunft der Population einer Art auf deren Klimaanpassungsfähigkeit schließen (Beierkuhnlein et al. 2011). Der weit verbreitete Glatthafer (Arrhenatherum elatius), eines der häufigsten Wiesengräser in Deutschland und Europa, zeigt genetische Differenzierungen in Populationen mit unterschiedlichen Klimaansprüchen (Michalski et al. 2010). Dieses Beispiel verdeutlicht die praktischen Konsequenzen: Bei Renaturierung in Gebieten, in denen langfristig mit Klimaveränderungen gerechnet werden muss, sollten einheimische Pflanzen klimatisch angepasster Herkunft ausgesät oder gepflanzt werden. Für Renaturierungs-, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sollten also nicht nur streng lokale Populationen infrage kommen. Wenn weitere Forschungsergebnisse vorliegen, wird man die Auswahl der Saatgutherkünfte ggf. anpassen müssen.

Der Klimawandel ist ein wesentlicher Selektionsfaktor. Regionale klimatische Unterschiede im Gesamtareal einer Art haben die Populationen bereits in der Vergangenheit genetisch differenziert. Klimaveränderungen können zudem mikroevolutionäre Prozesse in Gang setzen. So sind beim Kleinen Wiesenknopf (Sanguisorba minor) durch Mikroevolution veränderte Populationen entstanden: Als Folge erhöhten CO2-Gehalts der Luft nimmt die Zahl der Blätter zu. Diese Eigenschaft bleibt bei Verpflanzung erhalten, auch wenn die CO2-Konzentration nicht mehr erhöht ist (Wieneke et al. 2004) – es hat sich also die genetische Konstitution der Populationen verändert. Auch Tiere zeigen genetische Veränderungen aufgrund schnellen Klimawandels (Karell et al. 2011; Durka und Michalski 2013). Mikroevolutionäre Anpassungen dürften weiter verbreitet sein als bisher belegt. Dies hat Konsequenzen für Verbreitungsmodelle, die bisher von genetischer und ökologischer Konstanz der Arten ausgehen. In einem Review geben Hoffmann und Srgo (2011) eine Übersicht zu klimawandelbedingten evolutionären Anpassungen, die die oben genannten Annahmen bestätigen.

1.4 Veränderung in der Physiologie und im Lebensrhythmus von Tier- und Pflanzenarten

Auf den Klimawandel reagieren Arten nicht nur genotypisch, sondern vor allem sehr schnell phänotypisch mit physiologisch-anatomischen und morphologischen Veränderungen: z. B. mehr Behaarung als Schutz gegen erhöhte UV-Strahlung und Austrocknung (Beckmann et al. 2012). Arten mit großer Flexibilität ihres Erscheinungsbildes können besser auf den Klimawandel reagieren. Viel auffälliger sind jedoch die Veränderungen im Lebensrhythmus von Pflanzen und Tieren. Besonders hervorzuheben sind die phänologischen Untersuchungen an Pflanzen, d. h. die Erfassung der Entwicklungsstadien wie zum Beispiel Blühbeginn oder Beginn der Blattentfaltung. Die besten Messnetze dazu haben die nationalen und internationalen Wetterdienste. Mithilfe eines phänologischen Beobachtungsnetzes erfassen sie seit den 1950er-Jahren systematisch die Entwicklung von Kultur- und Wildpflanzen im Jahresverlauf. Die Daten ermöglichen, global die Vegetationsphasen abhängig vom Klima räumlich und zeitlich gut aufgelöst zu erfassen. Diese nationalen und globalen Daten bestätigen eindeutig die Verlängerung der Vegetationsperiode in Mitteleuropa (s. dazu die phänologische Uhr in Abb. 15.7). Die Daten dieser Beobachtungen korrelieren in vielen Fällen hochgradig signifikant mit Veränderungen bestimmter klimatischer Parameter, was als Beleg für direkte Auswirkungen des Klimawandels auf die Phänologie der beobachteten Pflanzenarten gewertet wird (vgl. Menzel et al. 2006).

Auch der Lebensrhythmus von Tieren verändert sich. Das Tierbeobachtungsprogramm (http://zacost.zamg.ac.at/pha-eno_portal/anleitung/tiere.html) sammelt seit 1951 Informationen zu den Zeitpunkten der Aktivitäten bestimmter Tierarten, etwa zum Reinigungs- und Sammelflug der Honigbiene (Apis mellifera), zum Flug des Kleinen Fuchses (Aglais urticae) und des Zitronenfalters (Gonepteryx rhamni), aber auch zum ersten Ruf des Kuckucks (Cuculus canorus). Viele Veröffentlichungen belegen Veränderungen im Lebensrhythmus von Tieren: Zugvögel kommen früher zurück (Sudfeldt et al. 2011), die Eiablage beginnt früher, aber der Bruterfolg nimmt ab (Grimm et al. 2015). Bei Fischen wurde beispielsweise eine frühere Laichzeit nachgewiesen (Wedekind und Küng 2010). Neue Lebensrhythmen zeigen nicht nur den Klimawandel an, sondern können auch die Wechselbeziehungen zwischen Organismen verändern (s. Abschn. 15.1.5).

Datenreihen zur Phänologie eignen sich hervorragend, den Einfluss des Klimawandels auf lebende Organismen zu erkennen. Gemessen wird dabei nicht der Klimawandel selbst, sondern die unterschiedlichen Auswirkungen auf bestimmte Organismen werden ermittelt. Der Wandel hat Konsequenzen für die Landwirtschaft, z. B. bei Aussaat- und Erntezeiten, aber auch für die Planung von Managementmaßnahmen des Naturschutzes. Nach den Ergebnissen des Weltklimaberichts gehören die veränderten Lebensrhythmen zu den wenigen Veränderungen, die größtenteils dem Klimawandel zuzuschreiben sind (Settele et al. 2014). Bei fast allen anderen Phänomenen – etwa bei Veränderungen der Verbreitung oder dem Aussterben von Arten – kommen meist viele weitere Faktoren hinzu.

1.5 Veränderung der Verbreitung von Tier- und Pflanzenarten

Historische Daten zeigen, wie sich die Verbreitung bestimmter Arten in Deutschland verändert hat – besonders gut dokumentiert bei Gefäßpflanzen. Natürlich ist nicht jede Änderung klimabedingt. Viele Faktoren beeinflussen die Verbreitung, beispielsweise Landnutzungen, Nährstoffeinträge und Einschleppung gebietsfremder Arten. Dennoch lassen sich einige Arealveränderungen auf den Klimawandel zurückführen, gerade wenn es sich um sehr klimaempfindliche Arten handelt. Wärmere Winter führen dazu, dass aus klimatisch stärker durch den Atlantik bestimmten nordwestlichen Gebieten Deutschlands Arten weiter nach Nordosten vordringen und gleichzeitig Arten aus Süddeutschland ihr Verbreitungsgebiet weiter nach Norden ausdehnen (Walther et al. 2002). Umgekehrt verschiebt sich die Westgrenze der Areale vieler „Steppenarten“ in den mitteldeutschen Trockengebieten mit besonders heißen und trockenen Sommern immer weiter nach Westen. Zum Beispiel dringt die im Westen Deutschlands heimische Stechpalme (Ilex aquifolium) weiter nach Norden und Osten vor und das Affen-Knabenkraut (Orchis simia) breitet sich weiter nach Norden aus. Das Echte Federgras (Stipa pennata) hat als westasiatisch-kontinentale Art trockenwarme Gebiete in Mitteldeutschland erreicht. Viele gebietsfremde Pflanzen, die als Zierpflanzen nach Deutschland kamen, profitieren von der Klimaerwärmung – besonders immergrüne Arten (Pompe et al. 2011), etwa die Lorbeerkirsche (Prunus laurocerasus) und der Meerfenchel (Crithmum maritimum). Auch andere Arten, die relativ kalte Winter ertragen, profitieren von hohen Sommertemperaturen. In urbanen Ballungsräumen findet man neue, wärmeangepasste Arten zuerst, da hier zusätzlich das Stadtklima für trockenere und wärmere Bedingungen sorgt (Wittig et al. 2012).

Auch viele Tierarten breiten sich klimabedingt weiter aus, so etwa einige Libellenarten und Tagfalter (Trautmann et al. 2012). Dagegen lassen sich Rückgänge von Pflanzen- und Tierarten in Deutschland bisher meist nicht eindeutig dem Klimawandel zuordnen (Pompe et al. 2011; Rabitsch et al. 2013). Zwar haben viele feuchtigkeitsliebende Arten deutliche Verluste in verschiedenen Regionen und Lebensräumen zu verzeichnen, verursacht wird dies allerdings meist durch veränderte Landnutzungen. Da jedoch Aussterbeprozesse nicht sofort nach Veränderung der Lebensbedingungen, sondern oft verzögert einsetzen, ist eine Zunahme des Aussterbens von Arten aufgrund von Klimaveränderungen erst in Zukunft zu erwarten (Pompe et al. 2011). Mit sogenannten „Nischenmodellen“, die Klimawandelszenarien nutzen und das aktuelle Verbreitungsgebiet einer Art abhängig von den aktuellen Umweltbedingungen berücksichtigen, lassen sich Projektionen künftiger Verbreitungsgebiete erstellen. Würde die Jahresmitteltemperatur um 4 °C steigen, wird etwa ein Fünftel von 550 modellierten Pflanzenarten Deutschlands bis 2080 mehr als drei Viertel der heute geeigneten Gebiete nicht mehr besiedeln. Diese Angaben sind Ergebnisse von Berechnungen auf der Basis verschiedener Klimaszenarien. Modellberechnungen können jedoch mögliche genetische Anpassungen von Arten derzeit nur bedingt berücksichtigen. Verbesserte Nischenmodelle schließen neben dem Klima zunehmend auch andere abiotische und anthropogene Umweltkenngrößen ein (Hanspach et al. 2011; Martin et al. 2020). Mit zunehmenden Kenntnissen zur Biologie und Ökologie von Arten, oft aus Experimenten resultierend, werden solche Nischenmodelle detaillierter.

Besonders stark bedroht sind insektenbestäubte Arten, weniger windbestäubte (Hanspach et al. 2013), weil Erstere von zum Teil spezialisierten Bestäubern abhängen. Auch die Verbreitung von Tagfaltern könnte sich ändern: Simulationen zufolge geht der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling (Maculinea nausithous) stark zurück (Settele et al. 2008). Der Große Feuerfalter (Lycaena dispar) hingegen scheint sich, wie in Freilandbeobachtungen bestätigt wurde, auszubreiten. Die Entwicklungen, wie sie für eine Vier-Grad-Welt projiziert wurden, sind für beide Arten in Abb. 15.1 dargestellt.

Abb. 15.1
figure 1

Klimatischer Nischenraum in einer Welt mit Anstieg der Jahresmitteltemperatur um 4 °C im Jahr 2080 im Vergleich zum Jahr 2000 für a den Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläuling (Maculinea nausithous) und b den Großen Feuerfalter (Lycaena dispar); deutlich sind die Verluste für P. nausithous und die Gewinne für L. dispar in Deutschland. (Aus Settele et al. 2008)

Wie empfindlich ist die deutsche Tierwelt gegenüber dem Klimawandel? Eine Analyse von 500 ausgewählten Arten zeigte, dass für 63 dieser Arten der Klimawandel ein hohes Risiko bedeutet (Rabitsch et al. 2010). Am stärksten betroffen sind Schmetterlinge, Weichtiere (z. B. Schnecken) und Käfer. Besonders viele klimasensible Arten finden sich im Süden, Südwesten und Nordosten des Landes. Auch Säugetiere sind durch den Klimawandel gefährdet (Rabitsch et al. 2010) und massive Verluste sind für Amphibien besonders in den letzten außergewöhnlich trockenen und warmen Jahren aufgetreten (Zahn et al. 2021). Wenngleich sich aktuell noch keine generelle Bilanz der Artenverluste und -gewinne durch Aussterben oder Einwanderung aufgrund des Klimawandels ziehen lässt, ist ein größerer Artenwandel zu erwarten.

1.6 Einfluss des Klimawandels auf Lebensgemeinschaften und biologische Interaktionen

Der Klimawandel beeinflusst die Wechselwirkungen zwischen Organismen, wie beispielsweise Bestäubung, Konkurrenz, Parasitismus, Pflanzenfraß und Räuber-Beute-Beziehungen. Am meisten weiß man über Einflüsse auf die Bestäubung. Mehr als ein Drittel der Kulturpflanzen und gut zwei Drittel der Wildpflanzen werden von Insekten bestäubt. Der Klimawandel greift in die Beziehungen zwischen Pflanzen und Bestäubern ein. Denn er verändert die Entwicklungsphasen der Pflanzen und der Bestäuber. Die zentrale Frage ist: Wie sehr entkoppeln sich die Pflanzenentwicklung sowie die Entwicklung und Aktivität der Bestäuber (vgl. Hegland et al. 2009)? Wenn Pflanzen deutlich vor der Aktivitätsperiode ihrer Bestäuber blühen, kommt es seltener zu Bestäubung und Befruchtung und es entstehen weniger Früchte und Samen. Bei Kulturpflanzen führt dies zu erheblichen Verminderungen der Erträge (Kearns et al. 1998). Diese zeitliche Diskrepanz in der Entwicklung von Pflanzen und Bestäubern wurde an zahlreichen Beispielen nachgewiesen (Schweiger et al. 2010). Zudem verringern höhere Temperaturen die Nektarproduktion, sodass es bestimmten Bestäubern an Nahrung mangelt (Petanidou und Smets 1996). Veränderungen im Pflanze-Bestäuber-Verhältnis beeinflussen also direkt die Populationsentwicklung von Pflanzen und deren Bestäubern (Settele et al. 2016).

Konkurrenzverhältnisse zwischen Arten werden beeinflusst, wenn aufgrund von Klimaveränderungen neue Arten in das Konkurrenzgeschehen eingreifen, die Vitalität von Arten in den Lebensräumen geschwächt, die Vitalität von bereits in den Lebensgemeinschaften vorkommenden Arten gestärkt wird oder durch Aussterben Konkurrenten entfallen (Harvey et al. 2010). Generell stehen die Untersuchungen dazu noch am Anfang. Bekannt ist bei Vögeln die Konkurrenz um Insektennahrung: Wenn durch mildere Winter die Populationen der überwinternden Vogelarten weniger reduziert werden, stehen für zurückkehrende Zugvögel weniger Nahrungsressourcen zur Verfügung (Visser et al. 2006). Bei höheren Temperaturen kann der Parasitenbefall von Organismen steigen (z. B. Møller et al. 2011). Hauptsächlich beeinflussen jedoch Veränderungen im Lebensrhythmus (Abschn. 15.1.4) das Wirt-Parasit-Verhältnis. Wie bei der Bestäubung kann es zur Entkoppelung von Wechselbeziehungen kommen oder völlig neue Wirt-Parasiten-Kombinationen können entstehen. Früher beginnende oder verlängerte Vegetationsperioden beeinflussen direkt pflanzenfressende Tiere. Generell könnte man zwar von einer besseren Verfügbarkeit von Ressourcen ausgehen, wenn aber Extremereignisse wie Dürren auftreten, ändert sich die Situation gravierend. Bei hoch spezialisierten Pflanzenfressern kann die Verschiebung der Phänologie der Nahrungspflanzen zur Verringerung der Ressourcen zu bestimmten Zeiten führen. Außerdem können sich Pflanzenfresser aufgrund veränderter Klimabedingungen eventuell auch neue Nahrungspflanzen erschließen (Schweiger et al. 2010).

Auch Räuber-Beute-Beziehungen verändern sich mit dem Klimawandel. Da der Siebenschläfer (Glis glis) seinen Winterschlaf früher beendet, ist ein höherer Räuberdruck auf verschiedene Singvögel entstanden (Adamik und Kral 2008). Zudem beeinflussen Veränderungen der Lebensphasen die Räuber-Beute- Beziehungen. Abb. 15.2 zeigt modellhaft die Möglichkeiten der Veränderungen ökologischer Beziehungen einschließlich Entkoppelung und neuer Wechselbeziehungen (Schweiger et al. 2010).

Abb. 15.2
figure 2

Fundamentale Klimanischen sind der Klimabereich, in dem eine Art theoretisch überleben kann. Gezeigt sind hier die Klimanischen der Arten 1–3, dargestellt als farbige Ellipsen in Blau, Rot und Grün. Die transparenten Ellipsen zeigen die gegenwärtigen (a, c) und künftigen Klimabedingungen (b, d). Wo sich Klimanischen überlappen, sind Wechselbeziehungen zwischen zwei Arten möglich (nur die gemischtfarbigen überlappenden Bereiche). Zwei Arten können nur dann miteinander interagieren, wenn ihre Klimanischen innerhalb der gegebenen Klimabedingungen einander überlappen. Art 1 (blau) hat zwar das Potenzial, mit den beiden Arten 2 (rot) und 3 (grün) zu interagieren, kann aber aufgrund der momentan herrschenden Klimabedingungen nur mit Art 2 interagieren (c). Bei Verschiebung der Klimabedingungen (Änderung der beiden Klimavariablen auf der x- und y-Achse) kann die evtl. lang etablierte Interaktion mit Art 2 nicht mehr stattfinden, wohingegen eine neue mit Art 3 möglich wird (b). Ob neue Wechselbeziehungen entstehen, hängt allerdings vom Grad der Spezialisierung ab. Generalisten mit einer breiteren Klimanische und einem größeren Potenzial zu Interaktionen werden seltener relevante Interaktionen verlieren (a, b), wohingegen Spezialisten mit enger Nische und geringem Potenzial zu Interaktionen diese ganz verlieren können (c, d). (Verändert nach Schweiger et al. 2010, 2013)

1.7 Biotope, Ökosysteme und Landschaften

Für Deutschland gibt es eine Übersicht über die Gefährdung von Schutzgebieten und deren wichtigen Lebensgemeinschaften und Ökosystemen im Zuge des Klimawandels (Vohland et al. 2013). Wie stark der Klimawandel ein Ökosystem gefährdet, ist viel schwieriger einzuschätzen als die Gefährdung einzelner Arten oder ökologischer Wechselbeziehungen. Denn zu viele weitere Faktoren bestimmen, wie sich ein Ökosystem zusammensetzt und wie leistungsfähig bzw. resilient es ist. Noch schwieriger sind Schwellenwerte oder Kipppunkte (tipping points) zu bestimmen – also Bereiche, in denen ein Ökosystem irreversibel in einen anderen Zustand übergeht (Essl und Rabitsch 2013). Dazu gibt es nur wenige Untersuchungen von einzelnen Ökosystemen.

Anhand der erwarteten Dynamik der betroffenen Arten lässt sich die Gefährdung von Lebensräumen abschätzen. Unberücksichtigt bleiben dabei aber die Wechselbeziehungen in einem Ökosystem. Deshalb liefern diese Analysen zwar wertvolle Hinweise, erlauben aber nur eingeschränkt Aussagen zu Veränderungen und Gefährdungen von Ökosystemen im Klimawandel (Hanspach et al. 2013). Die wesentlichen entscheidenden Umweltfaktoren für bestimmte Ökosystemtypen sind jedoch bekannt, sodass man auf deren Basis die Empfindlichkeit von Ökosystemen oder Habitaten zumindest grob abschätzen kann. Besonders empfindlich sind in Deutschland Ökosysteme der Hochgebirge, verschiedene Typen von Feuchtgebieten, Moore, Dünen, stehende Gewässer und Fließgewässer sowie Feuchtwälder und natürliche Nadelwälder.

Wie genau sich ein Ökosystem als Ganzes verändert, ist bisher nicht bekannt. Zuerst werden sich Mengenverhältnisse von Arten untereinander verschieben: Besonders empfindliche Arten sterben zuerst aus, aber auch neue Arten kommen hinzu. Dabei erwarten wir neue Ökosysteme, die nur bedingt mit den gegenwärtigen Systemen vergleichbar sein werden (Hobbs et al. 2009). Jedoch werden die Übergänge eher fließend sein, da voraussichtlich der Prozess relativ langsam ablaufen wird. Kommen jedoch Änderungen der Landnutzung – z. B. durch ökologisch ungeeignete Klimaanpassungsmaßnahmen (Biomasseanbau) oder Stickstoffeinträge – dazu, werden die Auswirkungen schneller und drastischer sein.

Dieser Wandel der Ökosysteme sowie die Einflüsse des Klimawandels müssen auch im landschaftlichen Kontext gesehen werden. Ein höherer Anteil naturnaher Lebensräume in der Landschaft kann mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit z. B. die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die Artenvielfalt kompensieren oder zumindest abschwächen. Das konnte in der mitteldeutschen Agrarlandschaft am Beispiel von Wildbienengemeinschaften (Abb. 15.3) gezeigt werden (Papanikolaou et al. 2017). Bemerkenswert ist dabei der Befund, dass bei 10 % naturnahem Landschaftsanteil immer noch die Artenzahl mit steigender Temperatur abnimmt und dies erst bei 17 % nicht mehr der Fall ist. Das bedeutet, dass der Anteil naturnaher Flächen in den Kulturlandschaften als Klimaanpassungsmaßnahme erhöht werden sollte, will man Biodiversität und deren Leistungen systematisch schützen.

Abb. 15.3
figure 3

Wechselseitige Effekte von Temperatur und Landschaftszusammensetzung auf den Artenreichtum von Wildbienen in mitteldeutschen Agrarlandschaften. a Bei geringem Anteil an naturnahen Elementen (2 %) sinkt die Artenzahl mit steigenden Temperaturen beträchtlich. b, c Dieser negative Einfluss wird mit zunehmendem Anteil an naturnahen Elementen (6 % oder 10 %) abgemildert. Bei einem noch höheren Anteil an naturnahen Flächen (17 %) haben steigende Temperaturen keinen Einfluss mehr. Gefärbte Streifen zeigen das 95 %-Konfidenzintervall. (Verändert nach Papanikolaou et al. 2017)

2 Indirekte Auswirkungen des Klimawandels auf die Biodiversität

Indirekte Auswirkungen auf die biologische Vielfalt ergeben sich aus gesellschaftlichen Reaktionen auf den Klimawandel, die entweder dem Klimaschutz (z. B. Eingriffe in den Naturhaushalt im Zuge eines verstärkten Ausbaus erneuerbarer Energien, insbesondere beim großflächigen Biomasseanbau) oder der Anpassung an den Klimawandel dienen und zu veränderten Landnutzungen führen (z. B. Waldumbau, Maßnahmen zum Schutz vor Extremwetterereignissen wie Deichausbau aus Hochwasserschutzgründen).

2.1 Landwirtschaft

Mehr als 52 % der Landesfläche Deutschlands werden landwirtschaftlich genutzt. Landwirtschaftsflächen besitzen eine spezifische Tier- und Pflanzenwelt. Die seit dem Neolithikum durch extensive Landwirtschaft entstandenen und vom Menschen ständig veränderten Lebensräume sind für die Biodiversität sowohl aufgrund ihrer ökologischen Besonderheiten als auch aufgrund ihres Umfangs von großer Bedeutung. Mit der Entwicklung der Landwirtschaft hat die biologische Vielfalt in Mitteleuropa bis in das 19. Jahrhundert insgesamt deutlich zugenommen, infolge der Industrialisierung der Landwirtschaft ist sie jedoch wieder stark zurückgegangen und der Klimawandel verstärkt diesen Trend (von Haaren und Albert 2016).

Heute sind viele Arten der Agrarlandschaften gefährdet oder schon ausgestorben. Die bekanntesten betroffenen Arten sind z. B. der Feldhamster (Cricetus cricetus), der Feldhase (Lepus europaeus), die Großtrappe (Otis tarda) und das Rebhuhn (Perdix perdix) (Meinig et al. 2020). Auch die Wildkrautflora der Felder hat aufgrund massiven Herbizideinsatzes und der Monokulturen stark abgenommen. Artenreiche Wiesen und Weiden sind nur noch in Resten vorhanden. Damit gehen entscheidende Nahrungsquellen für Insekten verloren, was wiederum zum Rückgang beispielsweise vieler Vogelarten der Agrarlandschaften geführt hat.

Wie in Kap. 18 beschrieben, haben die Intensivierung der Landwirtschaft und der Klimawandel (Fuglie 2021) eine Verschärfung schon vorhandener Umweltprobleme zur Folge. Zu nennen sind hier u. a.:

  • Der Feldfruchtanbau konzentriert sich auf immer weniger Arten und Sorten.

  • Pestizideinsatz und Düngereinsatz lassen die Flora und Fauna verarmen, die Randflächen werden gleichfalls beeinträchtigt. Dadurch gehen wichtige Bestäuber verloren, Nützlinge können nicht mehr die notwendigen Populationsgrößen erreichen, um eine natürliche Schädlingsbekämpfung zu gewährleisten, der Bedarf an Pestiziden steigt weiter.

  • Der Grünlandumbruch und die Intensivierung der Grünlandnutzung zur Biomasseproduktion sind Maßnahmen, die die Folgen des Klimawandels abmildern sollen, verschärfen aber die negativen Auswirkungen auf die Biodiversität (Abschn. 15.2.5).

Die steigenden Importe von landwirtschaftlichen Produkten, z. B. Soja, lassen den Bedarf an landwirtschaftlichen Flächen in Drittländern wachsen. Infolgedessen erhöhen sich in diesen Ländern die Biodiversitätsverluste (u. a. Abholzung tropischer Regenwälder) und der Klimawandel wird beschleunigt mit globalen Auswirkungen auf die Biodiversität (Abschn. 15.1).

Als eine Anpassungsmaßnahme an den Klimawandel, insbesondere an die Reduktion der verfügbaren Wassermengen (Rückgang der Niederschläge in der Vegetationsperiode), sind Konzepte zur Verstärkung der Bewässerung von Kulturen und zu wassersparenden Anbaumethoden in Erprobung und Anwendung. Großflächige Bewässerungen würden den Wasserhaushalt in Deutschland insbesondere in Dürrezeiten erheblich beanspruchen. Eine Verringerung der Wasserressourcen durch großflächige Bewässerung in der Landwirtschaft führt zur Abnahme des Wasserdargebots in anderen Lebensräumen und wird zu einem deutlichen Rückgang an Arten der Feuchtbiotope (Moore, Sumpfstandorte usw.) und Kleinstgewässer führen. Dies hat erhebliche Konsequenzen für den Artenbestand dieser Lebensräume (von Haaren und Albert 2016). Eine großflächige Bewässerungslandwirtschaft wird aber voraussichtlich nicht eingeführt werden, da wichtige Feldfrüchte (Weizen, Gerste, Roggen) in anderen Ländern ohne Bewässerung auch in Zukunft wesentlich billiger zu produzieren sind. Das Bild sieht jedoch ganz anders bei Sonderkulturen aus (Obstbau, Weinbau, Gemüse), die deutlich höhere Einnahmen erzielen. Hier ist eine Zunahme der Bewässerung wahrscheinlich (von Haaren und Albert 2016).

Eine weitere Strategie zur Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel ist die pfluglose oder pflugarme Bewirtschaftung der Ackerflächen (non tillage, strip tillage). Durch diese Verfahren kann das Bodenleben geschützt, können Emissionen aus den Böden verringert und kann mehr organische Substanz im Boden erhalten werden. Das hat positive Effekte für die Bodenflora und -fauna. Durch die fehlende mechanische Kontrolle der Ackerwildkräuter wird jedoch bei diesen Verfahren auf Totalherbizide zurückgegriffen, um Ackerwildkräuter zu kontrollieren. Dies schädigt wiederum die Bodenflora und -fauna und auch auf Ackerwildkräuter direkt oder indirekt über die Nahrungskette angewiesene Arten.

Für die Landwirtschaft stehen jedoch andere Bewirtschaftungsmöglichkeiten und Technologien zur Verfügung, um sich an den Klimawandel anzupassen bzw. die landwirtschaftlichen Klimagasemissionen zu verringern und gleichzeitig die Biodiversität und wichtige Ökosystemfunktionen zu sichern (ZKL 2021). Hierzu gehören:

  • Ausweitung und Diversifizierung der Fruchtfolgen einschließlich der Verstärkung des Zwischenfruchtanbaus. Dies führt zu einer stabileren Erntemenge über die Jahre hinweg und hat positive Effekte für die Agrobiodiversität (Seppelt et al. 2020).

  • Stärkere Strukturierung der Agrarlandschaften durch Erhaltung linearer Biotopelemente wie Hecken, Waldstreifen, Knicks, Gräben und Kleinstgewässern und Einführung von Agrarforstsystemen und Permakulturanbau. Beide Wege führen zur Verringerung der Erosion und des Austrags von Nähr- und Schadstoffen aus den Agrarflächen, insbesondere von Stickstoffverbindungen, sowie zur Verbesserung der Lebensbedingungen für wichtige Bestäuber. Darüber hinaus werden auf diese Weise Populationen von Insekten gefördert, die für die biologische Schädlingsbekämpfung von großer Bedeutung sind. Gleichzeitig wird durch eine größere Biotopvielfalt mehr Wasser in der Landschaft gehalten und die mikroklimatischen Effekte sorgen für eine Pufferung von Witterungsextremen.

  • Erweiterung des ökologischen Landbaus, der weitgehend auf Pestizide und Mineraldünger verzichten kann u. a. durch enge Kopplung der Tier- und Pflanzenproduktion.

  • Reduktion der Tierbestände auf ein Niveau, das deren Ernährung durch lokal produziertes Futter ermöglicht.

Positiv kann die Biodiversität durch zeitweilige Brachen, Blühstreifen und dauerhafte Renaturierungsmaßnahmen im Grünland beeinflusst werden (Tscharntke et al. 2021). Letzteres sollte die dominante Landnutzung in Auen sein (Verringerung des Boden- und Nährstoffabtrags bei Hochwässern).

2.2 Forstwirtschaft

Wälder stellen in Deutschland mit 32 % der terrestrischen Fläche einen der bedeutendsten Lebensräume dar (BMEL 2012). Naturnahe Wälder sind sehr artenreich (Dorow et al. 2007). Beispielsweise beherbergen im Leipziger Auwald Stieleichen und Winterlinden eine geschätzte Anzahl von jeweils ca. 300 bzw. 400 Käferarten, ohne Kurzflügelkäfer (Familie Staphylinidae) (Haack et al. 2021, Abb. 15.4). Wälder stellen auch einen wichtigen CO2-Speicher dar, der CO2 der Atmosphäre entziehen und damit dem Klimawandel entgegenwirken kann (Le Quéré et al. 2018).

Abb. 15.4
figure 4

Diagramm a der geschätzten Anzahl von Käferarten, die exklusiv auf einer von drei in der Luppeaue in Leipzig charakteristischen Baumarten (Gewöhnliche Esche/Fraxinus excelsior, Stieleiche/Quercus robur, Winterlinde/Tilia cordata), auf jeweils zwei oder allen drei dieser Baumarten vorkommen, und b der geschätzten Anzahl von Arten, die exklusiv in einer Schicht der Baumkronen oder in beiden Schichten (Strata) auftreten. (Verändert nach Haack et al. 2021)

Traditionell hat die Forstwirtschaft weltweit und auch in Deutschland vorwiegend auf schnellwachsende Baumarten gesetzt. Zunehmende Waldschäden durch eine tendenziell steigende Stärke und Häufigkeit von Stürmen und – vor allem in den letzten Jahren – durch extreme Trockenheit (BfN 2020) haben zu einem Umdenken in der Forstwirtschaft geführt (Abschn. 19.2): weg von Nadelwaldmonokulturen hin zu artenreichen Laub- und Mischwäldern. Während die Forstwirtschaft vor allem auf eine Effizienzsteigerung und auch verstärkt auf den Anbau gebietsfremder Arten setzt, fordert der Naturschutz eine Ausweitung der Bannwaldflächen, auf denen Prozessschutz betrieben wird, um das 5-Prozent-Ziel der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt für natürliche Waldentwicklung zu erreichen (BfN 2020). Strukturreiche, naturnahe Wälder haben eine höhere Widerstandsfähigkeit gegenüber klimatisch bedingten Extremereignissen, sind stabiler und können somit Auswirkungen des Klimawandels besser abpuffern als artenarme, naturferne Forsten (BfN 2020).

In Naturwaldreservaten ist der Totholzanteil meist deutlich höher als in Nutzwäldern (Sandström et al. 2019). Totholz reguliert aufgrund seiner großen Wasserspeicherkapazität (Duncker et al. 2012) das Waldmikroklima und wirkt sich positiv auf die Humusanreicherung aus. Dadurch werden besonders in alten Wäldern erhebliche Mengen an Kohlenstoff im Totholz festgelegt (Körner 2017). Totholz ist auch ein essenzieller Lebensraum für zahlreiche gefährdete Arten (Engelmann et al. 2019). Allerdings ist die Artenvielfalt bei alleinigem Prozessschutz nicht immer höher als in genutzten Wäldern. Auch wenn sich die Standortbedingungen zu sehr geändert haben oder eine wertvolle Artendiversität in Jahrhunderten durch Nutzung entstanden ist, kann ein naturnahes Management für die Erreichung von Naturschutzzielen erforderlich sein (Engelmann et al. 2019). Dies trifft insbesondere für viele Eichenwälder als Jahrhunderte alte Kulturwälder zu, die Lebensraum für viele spezialisierte licht- und wärmeliebende Tierarten sind, die in Deutschland besonders gut an den Klimawandel angepasst sein sollten (Müller-Kroehling 2014).

Erstaufforstungen von Ackerflächen können zur Kohlenstoffbindung beitragen. Auch wenn es erst nach 60 bis 80 Jahren zu einer starken Anreichung von Kohlenstoff im Oberboden kommt, können sie einen kleinen Beitrag zur Verbesserung der Kohlenstoffproblematik leisten (Dohrenbusch 1996). Andererseits wird die Biodiversität der in Wald umgewandelten Lebensräume in bestimmten Fällen verringert. So sind durch Aufforstung und natürliche Sukzession beispielsweise im Regierungsbezirk Stuttgart in den letzten hundert Jahren über 50 % der Trockenrasenflächen auf Kalkstandorten verloren gegangen (Kiefer und Poschlod 1996). Durch Erstaufforstungen können darüber hinaus Barrieren für die Ausbreitung von Arten entstehen und funktionale Zusammenhänge in der Landschaft gestört werden.

Wichtig aus Naturschutzsicht ist daher, dass landschaftstypische, artenreiche Wälder bei der Erstaufforstung angestrebt werden, die in ausgeräumten intensiven Agrarlandschaften als Gliederungselemente wertvoll sein können, und dass keine Aufforstungen auf extensiv genutzten und gefährdeten Offenlandbiotopen erfolgen (Herbert 2003).

2.3 Siedlungen

Siedlungen generell und besonders Städte haben auf der einen Seite in vielen Bereichen eine besonders vielfältige und interessante Biodiversität, auf der anderen Seite sind Städte besonders vom Klimawandel betroffen. Aufgrund der großen Unterschiedlichkeit an Lebensräumen (Reste natürlicher Habitate, wie z. B. Wälder, halbnatürliche Lebensräume, wie z. B. Gebüsche und Wiesen, agrarische Habitate, wie z. B. Äcker, und typisch urbane Strukturen, wie z. B. Parks, Friedhöfe, Verkehrs- und Industrieanlagen, Deponien und urbane Brachen) weisen Städte eine vielfältige Flora und Fauna auf (Kowarik et al. 2016). Durch die spezifischen Lebensräume, das von der Umgebung deutlich abweichende Stadtklima und durch die gute Verkehrsanbindung für den Transport von Menschen und Gütern konnten und können gebietsfremde Arten leicht einwandern oder aus Gärten und Tierhaltungen verwildern.

Die spezifischen urbanen Bedingungen führen in Städten zu einer Zunahme thermophiler Tier- und Pflanzenarten, zur Verlängerung der Vegetationsperiode und zu einer Verfrühung phänologischer Phasen, wie Blühbeginn von Pflanzenarten oder Brutbeginn bei Vögeln. Es gibt allerdings Möglichkeiten zur Vermeidung zahlreicher negativer Auswirkungen der aktuellen Stadtentwicklung und zur Anpassung an die sich verändernden Bedingungen in Städten (Netz und Gerbich 2020). Der Weg liegt in einer kombinierten Stärkung, Vernetzung und Erweiterung der Grünen Infrastruktur. Dies hat quantitative und qualitative Aspekte. Zuerst geht es um die Sicherung und Erweiterung der Vegetationsflächen, die besonders klimarelevant sind. Temperaturspitzen werden abgemildert, die Luftfeuchtigkeit wird erhöht, Regenwasser in der Stadt gespeichert. Grünflächen leisten weiterhin einen Beitrag zur Kohlenstoffspeicherung in der Vegetation selbst und in Böden und tragen zur Verbesserung der Luftqualität bei. Zur Erreichung dieses Ziels sind die folgenden Maßnahmen erforderlich: Entwicklung und Sicherung eines Schutzgebietssystems in der Stadt, das nicht nur die Reste natürlicher Lebensräume einschließt, sondern auch halbnatürliche Lebensräume und spezifisch urbane Strukturen wie Parks und Friedhöfe. Je nach den gesetzlichen Regelungen in den Bundesländern umfasst das Schutzgebietssystem FFH-Gebiete, Naturschutzgebiete, flächenhafte Naturdenkmale, geschützte Parks und besonders geschützte Biotope und Landschaftsschutzgebiete. Grünflächen sollten durch Korridorstrukturen miteinander verbunden werden, damit ein netzartiges System der Grünen Infrastruktur entsteht (Kabisch et al. 2016). Durch zielgerichtete Maßnahmen der Fassaden- und Dachbegrünung kann die Vegetationsfläche zusätzlich vergrößert werden. Besonders problematisch im Sinne der Klimaanpassung ist der oft schlechte Zustand der stark belasteten Straßenbäume. Diese sind in den Städten ein wichtiger Teil der Grünen Infrastruktur zur Abmilderung von Wetterextremen.

Neben diesen quantitativen Aspekten der Vermehrung des Stadtgrüns steht eine ganze Reihe qualitativer Größen, die zielgerichtet verbessert werden sollten, um sowohl den Bestand der Biodiversität zu sichern als auch die Ökosystemleistungen der Grünflächen zu erhöhen. Eine Steigerung der Qualität kann durch Diversifizierung der Vegetationsstruktur erreicht werden. Gemeint ist damit u. a. eine Vergrößerung des Baum- und Strauchbestandes auf Grünflächen, eine Reduktion der Mahdintensität auf Grünflächen zur Erhöhung der Biomasse und damit der klimatischen Wirkung der Vegetation. Brachflächen sollten zu Wildnisflächen entwickelt werden, damit eine strukturiertere und vielfältigere Vegetation entsteht, die auch der Erholung und Umweltbildung dienen kann. Auf städtischen Freiflächen ist der Versiegelungsgrad deutlich zu reduzieren (Arndt und Werner 2017).

2.4 Wasserwirtschaft und Hochwasserschutz

Der Klimawandel zeigt sich nicht nur in erhöhten Temperaturen (Kap. 6), sondern auch in veränderten Mustern des Niederschlags (Kap. 7), inklusive erheblich häufiger und in höherem Ausmaß auftretender Extremereignisse, was sowohl Hochwasser als auch Niedrigwasser betrifft (Harris et al. 2020; Kap. 6 und 10) und zu erheblichen Veränderungen der Biodiversität führt (Abb. 15.5).

Abb. 15.5
figure 5

Extremereignisse und Veränderungen im Artenbestand von Pflanzen an der Mittleren Elbe; a Artenreichtum; b Artenwechsel (insgesamt: hellblau; neue Arten: grün; verschwundene Arten: orange); c Änderung des mittleren Ranges in der relativen Häufigkeit der erfassten Arten im Vergleich zu früheren Erfassungsjahren. Pfeile zeigen Jahre an, in denen Extremereignisse aufgetreten sind, Sternchen zeigen Stichprobenjahre an. Das erste Jahr der Probenahme (1998) wird nicht dargestellt, da alle Indizes außer dem Artenreichtum als Differenz zwischen aufeinanderfolgenden Jahren berechnet werden. Der Artenreichtum lag 1998 bei 161 Arten. Im Herbst 2002 wurden Proben entnommen, aber hier nicht berücksichtigt, da Frühjahrsproben für 2002 fehlen. Die Veränderungen für 2003 beziehen sich daher auf Veränderungen von 1999 bis 2003. (Verändert nach Harris et al. 2020)

Global reagiert die Wasserwirtschaft auf die veränderten hydrologischen Bedingungen mit dem Neubau von Staudämmen zur Produktion erneuerbarer Energien und zur Sicherung der Wasserversorgung (Thieme et al. 2020) sowie mit Maßnahmen zum Schutz des Menschen vor Hochwasserereignissen. Ersteres spielt in Deutschland bisher keine Rolle, aber prognostizierte weitere Abnahmen des Niederschlags (Kap. 11), damit verbundene geringere Erträge in der Landwirtschaft (Kap. 18) und 2020 bereits regional, z. B. in Sachsen, verhängte Verbote der Wasserentnahme lassen erwarten, dass die Forderung nach zusätzlichen Wasserspeichern steigen wird.

Staudämme haben besonders gravierende Auswirkungen auf die Biodiversität. Im Staubereich werden Arten der Flüsse, der Auen und weiterer angrenzender terrestrischer Biotope durch Arten von Seen ersetzt, die Durchgängigkeit des Flusses für wandernde Arten wird stark herabgesetzt oder komplett verhindert und unterhalb der Staudämme wird die natürliche Flussdynamik so stark verändert, dass viele darauf angewiesene Arten lokal aussterben (Schmutz und Moog 2018).

Indirekte Auswirkungen veränderter Niederschlagsverhältnisse auf die Biodiversität entstehen bezüglich der Wasserwirtschaft in Deutschland vor allem durch Maßnahmen zum Hochwasserschutz. Drei komplementäre Maßnahmen werden hierbei eingesetzt: Ausbau und Erhöhung der Eindeichung von Flüssen, Schaffung von Poldern, die bei Hochwasser gezielt geflutet werden können, sowie die Anbindung natürlicher Überschwemmungsflächen durch Deichrückbau oder -schlitzung. Die Eindeichung schneidet einen großen Teil der ursprünglichen Auen von der natürlichen Dynamik ab. Diese natürliche Dynamik ist jedoch essenziell für die hohe Diversität und den Artenreichtum von Auen, sowohl für Pflanzen als auch für viele Tierarten (Schmutz und Moog 2018). Durch Eindeichung sind in Deutschland ca. 70 % der ursprünglichen Überschwemmungsflächen verloren gegangen (Scholz et al. 2012). Neben dem massiven Biodiversitätsverlust ist damit auch ein Verlust des Hochwasserretentionspotenzials von ca. 65 % sowie des Treibhausgasrückhalts in organischen Böden von ca. 75 % erfolgt.

Dort, wo keine Deichrückverlegungen möglich sind, sollten Polder, ungesteuert oder mit sogenannten ökologischen Flutungen, entwickelt werden (Wilkens 2021). Jedoch haben technische Polder, die nur bei extremem Hochwasser geflutet werden, aufgrund der seltenen Flutung keine positiven Wirkungen auf die Biodiversität und die meisten Ökosystemleistungen (Schindler et al. 2014). Bei ökologischer Flutung können aber durchaus positive Effekte für die Biodiversität erzielt werden (Wilkens 2021), auch wenn diese geringer bleiben als die Effekte renaturierter Auen (Fischer et al. 2019).

Deichrückverlegungen müssen nicht nur für die Förderung der Biodiversität von Auen, sondern auch zur Verlangsamung des Klimawandels hohe Priorität erhalten. Die Kohlenstoffspeicher in Auen sind im Vergleich zu vielen anderen terrestrischen Ökosystemen in Europa enorm. Beispielsweise betragen sie in Böden der Donauauen 350 t/ha und in Hartholzauen bis zu 500 t/ha, was deren Potenzial als Kohlenstoffsenke hervorhebt (Cierjacks et al. 2010). Wenn Auen jedoch durch Eindämmung degradiert oder in andere Landnutzungen überführt werden, können sie wichtige Quellen von CH4, CO2 und N2O werden und dadurch zum Klimawandel beitragen (Kayranli et al. 2010; Mitsch et al. 2013).

2.5 Erneuerbare Energien

Eine Umstellung der Energieerzeugung von fossilen Energieträgern zu erneuerbaren Energien ist eine zentrale Komponente im Versuch, die globale Erwärmung zu begrenzen. In Deutschland spielen dabei Windenergie, Bioenergie und Fotovoltaik die größten Rollen (Kap. 33). Die indirekten Auswirkungen dieser Umstellung sind komplex. Zum einen werden die in Abschn. 15.1 aufgeführten Auswirkungen des Klimawandels reduziert, zum anderen entstehen neue, für den Naturschutz meist negative Auswirkungen durch neue Flächennutzungen für den Ausbau erneuerbarer Energiequellen (Sánchez-Zapata et al. 2016). Hinzu kommen Auswirkungen durch die Reduzierung und Aufgabe der Ausbeutung von Lagerstätten fossiler Energieträger. Der Abbau von Kohle beispielsweise hat einerseits Lebensräume komplett zerstört, andererseits sind in vielen Fällen dynamische sekundäre Lebensräume entstanden, die insbesondere vielen Pionierarten wertvolle Ersatzlebensräume für die in unseren Kulturlandschaften ansonsten weitgehend verschwundenen Primärlebensräume bieten (Landeck et al. 2017). Trotzdem bleibt insbesondere der großflächige Bergbau eine Bedrohung bestehender wertvoller Habitate, die jedoch durch die schrittweise Reduktion der Kohleförderung künftig reduziert werden wird.

Bei Windkraftanlagen entstehen Risiken durch Kollisionen mit den Rotorblättern, die insbesondere für Vögel und Fledermäuse belegt sind (u. a. Brinkmann et al. 2011). Fledermäuse können bereits durch Barotraumata aufgrund von Druckunterschieden nahe den Rotorblättern geschädigt werden (Brinkmann et al. 2011). Aussagen über die Bedeutung für die betroffenen Populationen lassen sich aber kaum treffen, da bisher u. a. kein systematisches Monitoring der quantitativen Verluste existiert, das berücksichtigt, dass nur ein Teil der Opfer gefunden wird (Erickson et al. 2014). Zugleich sind mit der Errichtung von Windkraftanlagen auch Habitatverluste und Störungen verbunden. Die Auswirkungen hängen jedoch stark davon ab, wo in der Landschaft Windkraftanlagen errichtet werden (Bose et al. 2020a). Beispielsweise erhöht sich für Mäusebussarde (Buteo buteo) mit der Entfernung von den Rändern von Grünland und Gebüsch das Kollisionsrisiko (Bose et al. 2020b). Die Auswirkungen hängen außerdem insbesondere von der Architektur von Windturbinen und den Abschaltalgorithmen ab, die ein effektives und leicht implementierbares Instrument sind, um das Tötungsrisiko von Fledermäusen durch Windkraftanlagen zu reduzieren (Gasparatos et al. 2017; Lindemann et al. 2018).

Marine Windkraftanlagen werden wegen des Unterwasserlärms bei der Konstruktion von marinen Säugetieren gemieden und der Lärm führt u. a. zu Gehörschäden und Orientierungslosigkeit bei Schweinswalen (Phocoena phocoena) und anderen Meeressäugern (Southall et al. 2007; Brandt et al. 2011). Bei marinen Vögeln besteht neben dem Risiko von Kollisionen mit Windkraftanlagen eine Attraktionswirkung der Beleuchtung solcher Anlagen während der Nacht (Dierschke et al. 2021). Andererseits profitieren benthische Arten und Fische vor allem wegen des strikten und ganzjährigen Fischereiverbots im nahen Umfeld von Windkraftanlagen und eventuell auch aufgrund zusätzlicher Strukturen, die als Habitat genutzt werden können (Übersicht in Gasparatos et al. 2017).

Der Ausbau der Windenergie erfordert auch einen Ausbau von Stromtrassen und Erdkabeln, um die Energie von den Windkraftanlagen in Regionen mit Energiebedarf zu transportieren. Stromtrassen können zum Tod von Vögeln durch Stromschlag führen, wobei die Wirkung von der Landschaftsstruktur und technischen Maßnahmen zur Vermeidung von Stromschlag abhängt und artspezifisch sehr unterschiedlich ist (Sánchez-Zapata et al. 2016). Außerdem zerschneiden sie Lebensräume und beeinträchtigen insbesondere Arten, für die schmale offene Landschaftselemente als Barriere wirken. Andererseits schaffen Stromtrassen offene Lebensräume, von denen Arten offener und halboffener Habitatstrukturen, wie beispielsweise die Zauneidechse (Lacerta agilis), profitieren. Solche positiven Wirkungen können durch ein gezieltes Ökologisches Trassenmanagement (ÖTM) deutlich gesteigert werden (Noll und Grohe 2020). Beim Bau von Erdkabeltrassen können vielfältige Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft auftreten, die durch Vermeidungs- und Minderungsmaßnahmen abgemildert werden sollten (Runge et al. 2021).

Bioenergie basiert in Deutschland vor allem auf der Produktion von Biomasse auf landwirtschaftlichen Flächen (Gasparatos et al. 2017). Der Anbau von Biomasse für Treibstoffe und für die energetische Nutzung galt zwar als eine wichtige Maßnahme zur Abmilderung der Folgen des Klimawandels, führt aber bei Betrachtung aller Produktionsfaktoren tatsächlich zu einer weiteren Steigerung der Treibhausgasemissionen und des Biodiversitätsverlustes durch die Landwirtschaft (Leopoldina 2019). Das heißt, dass nur anfallende Reststoffe wie Gülle und Stroh aus der Landwirtschaft effektiv zur Energieproduktion eingesetzt werden sollten. Mahdgut, das beim Management geschützter Grünlandlebensräume anfällt, kann sowohl zur Erzeugung erneuerbarer Energien als auch zur Erhaltung von gefährdeten Lebensräumen und deren Arten beitragen (Noll et al. 2020).

Der Anbau von Energiepflanzen wirkt sich auf die Biodiversität dagegen gravierend aus, vor allem durch den massiven Einsatz von Düngern und durch Habitatverluste sowohl lokal als auch weltweit durch globale Verlagerung der Nahrungsmittelproduktion (Gasparatos et al. 2017). Die Stärke des Einflusses hängt davon ab, welche Lebensräume zur Bioenergieproduktion umgewandelt werden und wie empfindlich die davon betroffenen Arten auf den Verlust und die Fragmentierung ihrer Lebensräume reagieren (Schliep et al. 2017). Wenn gebietsfremde Energiepflanzen verwendet werden, kann es durch invasive Ausbreitungen zu erheblichen weiteren Problemen kommen (Barney und DiTomaso 2011; vgl. Abschn. 15.2.1).

Energieerzeugung durch Fotovoltaik wirkt sich bisher vor allem lokal auf die Biodiversität aus. Anlage und Betrieb von Solarparks und deren Versorgungsinfrastruktur führen zu Habitatveränderungen und -fragmentierung (Gasparatos et al. 2017). Außerdem wirken das polarisierte Licht und der Glanz von Solarzellen für Insekten als Falle (Horváth et al. 2010). Deswegen gilt für die Fotovoltaik im Besonderen, dass dezentrale Anlagen auf bereits existierender Infrastruktur (Dächer) das Mittel der Wahl sind, um Eingriffe in den Naturhaushalt zu minimieren.

Da auch andere Formen der Erzeugung erneuerbarer Energien, die bisher noch keine große Rolle in Deutschland spielen, nicht „biodiversitätsneutral“ sind (Sánchez-Zapata et al. 2016), gilt es, verschiedene Formen erneuerbarer Energien optimal und räumlich differenziert miteinander zu kombinieren. Hierfür müssen die Vor- und Nachteile für die Erhaltung der Biodiversität, für die Energieerzeugung und für die Gesundheit des Menschen nicht nur regional und deutschlandweit, sondern sogar global gegeneinander abgewogen werden (Henle et al. 2016).

3 Naturschutz und Klimawandel

Für alle Bereiche des Naturschutzes stellt sich vor dem Hintergrund weitreichender direkter und indirekter Auswirkungen des Klimawandels auf die biologische Vielfalt die Frage, mit welchen Mitteln diese Herausforderungen aufgenommen werden können. Erschwerend kommt hinzu, dass die tatsächlichen Auswirkungen des Klimawandels auf die Natur regional und lokal höchst unterschiedlich ausfallen können und bisher bestenfalls teilweise vorhersagbar sind. Darüber hinaus bestehen große Wissensdefizite hinsichtlich der Reaktionen von Pflanzen, Tieren, Biozönosen und Ökosystemen auf die Veränderung relevanter Klimaparameter. Schließlich ist auch das ökologische Grundlagenwissen etwa hinsichtlich zahlreicher Wechselwirkungen innerhalb und zwischen den Ebenen der biologischen Vielfalt als unzureichend einzuschätzen (vgl. Schliep et al. 2017).

Auf diese Herausforderungen kann der Naturschutz im Wesentlichen auf drei Ebenen reagieren:

  • durch Anwendung, Anpassung und Weiterentwicklung seiner klassischen Maßnahmen und Strategien (Abschn. 15.3.1),

  • durch Ausbau und Verbesserung von Monitoringprogrammen und darauf aufbauender Information von Öffentlichkeit und Politik (Abschn. 15.3.2),

  • durch verbesserte Einbindung aller wichtigen Akteure in Regierungen und Verwaltungen (whole of government approach) sowie in Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden und der Zivilgesellschaft (whole of society approach) (Abschn. 15.3.3).

Dabei wird einer gezielten Nutzung von Synergien zwischen Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel und zum Schutz der Biodiversität eine besonders wichtige Rolle zukommen. Hierzu zählen etwa Renaturierungen von Mooren (Parish et al. 2008) oder die Rückgewinnung natürlicher Überschwemmungsflächen in Auen (Mitsch et al. 2013). Die gezielte Förderung solcher naturbasierten Lösungen im Bereich der Klimafolgenanpassung eröffnet große Chancen sowohl für den Naturschutz als auch für nachhaltige Lösungen zur Bewältigung der Folgen des Klimawandels.

3.1 Maßnahmen und Strategien des Naturschutzes

Im Zeichen der vom Klimawandel verursachten Veränderungen der biologischen Vielfalt müssen auch die bisher etablierten Maßnahmen und Strategien des Naturschutzes überdacht, angepasst und ergänzt werden (vgl. Heiland et al. 2008). Dies gilt ebenso für die Instrumente der Landschaftsplanung als Fachplanung des Naturschutzes. Insbesondere die große Dynamik der Folgen des Klimawandels und die damit verbundenen Unsicherheiten verdeutlichen die Notwendigkeit von Anpassungen und Ergänzungen solcher Instrumente des Naturschutzes.

Klassische Strategien sowohl des „bewahrenden Naturschutzes“ als auch des „dynamischen Naturschutzes“ zielen auf Schutzobjekte, deren Eigenschaften klar definiert sind, und orientieren sich zumeist an historischen Referenzzuständen (Heiland und Kowarik 2008). Im Zuge des Klimawandels sind aber ergänzend Strategien zur Erhaltung biologischer Vielfalt vor allem dann erfolgversprechend, wenn sie natürliche Dynamik zulassen und sogar unterstützen (vgl. Zebisch et al. 2005; Doyle und Ristow 2006). Dementsprechend sollten Naturschutzstrategien im Zuge des Klimawandels alle Formen von Anpassungsmöglichkeiten der biologischen Vielfalt auf der Ebene von Genen und Arten, aber auch von Biozönosen und Biotopen fördern (Doyle und Ristow 2006). Dabei sind grundsätzlich Synergien mit Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel möglich (Paterson et al. 2008; von Haaren et al. 2010; Abb. 15.6).

Abb. 15.6
figure 6

Auswirkungen von Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel auf die biologische Vielfalt (verändert nach Paterson et al. 2008). Die schwarzen Linien zeigen die Bandbreite möglicher Wirkungen; beispielsweise. sind Maßnahmen zum technischen Hochwasserschutz oftmals mit negativen Wirkungen auf die biologische Vielfalt verbunden, leisten jedoch einen positiven Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel

Der Naturschutz steht im Zuge der Fragen des Klimawandels auch vor grundlegenden normativen Problemen (vgl. Heiland et al. 2008). Denn nicht alle bewährten Ansätze zur Bewertung von Arten und Biotopen eignen sich auch angesichts der Dynamik des Klimawandels. So funktioniert das klassische Bewertungskriterium der Natürlichkeit/Naturnähe mit einem historischen Referenzpunkt aufgrund absehbar irreversibler Veränderungen durch den Klimawandel nur noch bedingt (Boye und Klingenstein 2006). Hieraus wird deutlich, dass Anpassungen auch bei grundlegenden Werthaltungen und Normen des Naturschutzes erforderlich sind.

Folgende wichtige Ansätze zur Anpassung naturschutzfachlicher Maßnahmen, Instrumente und Strategien werden im Zusammenhang mit dem Klimawandel diskutiert, mit denen grundsätzlich eine Verringerung der Vulnerabilität und eine Erhöhung der Anpassungsfähigkeit biologischer Vielfalt angestrebt werden (Zebisch et al. 2005; Doyle und Ristow 2006; Bundesregierung 2008; Lawler 2009; Wilke et al. 2011; Loss et al. 2011; Ibisch et al. 2012; Schliep et al. 2017):

  • Belastungsreduktion: Belastungen, die nicht durch den Klimawandel hervorgerufen werden (z. B. Zersiedlung und Fragmentierung, Schadstoffeinträge), sollten so weit wie möglich reduziert werden.

  • Schutzgebietssysteme: Zahl und Fläche von Schutzgebieten sollten vergrößert werden, um Arten und Biozönosen ausreichend Raum zur Anpassung an veränderte Umweltbedingungen im Klimawandel zu geben.

  • Biotopverbundsysteme: Der Biotopverbund sollte von der lokalen bis zur nationalen und globalen Ebene ausgebaut werden, um Wanderungs- und Ausbreitungskorridore für möglichst viele Arten im Klimawandel zu eröffnen. Dies ist erforderlich, da sich die Verbreitungsgebiete vieler Arten im Klimawandel irreversibel verschieben.

  • Artenhilfsprogramme: Umsiedlungen oder Verpflanzungen von Individuen oder Populationen sind eine weitere Option. Jedoch sind hiermit stets Risiken verbunden – etwa die Möglichkeit, dass umgesiedelte Arten in ihrem neuen Verbreitungsgebiet ein invasives Verhalten zeigen.

  • Genetische Vielfalt: Die genetische Vielfalt der Arten sollte als eine wichtige Voraussetzung für Anpassungen an veränderte Klimabedingungen erhalten und gefördert werden. Dies sollte vor allem in situ (u. a. durch Erhaltung großer, miteinander vernetzter Populationen) oder – falls in situ nicht möglich oder nicht ausreichend – ergänzend auch ex situ (u. a. in Genbanken und Zuchtprogrammen) erfolgen.

  • Erfassung und Bewertung von Veränderungen der biologischen Vielfalt: Naturschutzfachliche Monitoringprogramme müssen ausgebaut werden, um gezielt die Auswirkungen des Klimawandels auf die biologische Vielfalt zu erfassen (Dröschmeister und Sukopp 2009; Heiland et al. 2018; Abschn. 15.3.2). Auch das Instrument der Roten Listen zur Dokumentation der Dynamik von Flora und Fauna auf der Ebene einzelner Arten muss den Klimawandel als Ursache für Gefährdungen und Rückgänge von Arten möglichst genau abbilden (vgl. Ludwig et al. 2009).

3.2 Monitoring und Indikatoren zu Naturschutz und Klimawandel

Auf die fortschreitenden Veränderungen der biologischen Vielfalt infolge des Klimawandels hat die Bundesregierung im Bereich der Naturschutzpolitik reagiert. Bereits in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (BMU 2007) wurden ambitionierte Ziele und zahlreiche Maßnahmen festgelegt, mit deren Hilfe Natur und Landschaft geschützt werden sollen – u. a. soll hier auch den Auswirkungen des Klimawandels so weit wie möglich begegnet werden. Weiterhin wurden Ziele und Maßnahmen im Handlungsfeld „Biologische Vielfalt“ in der Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel (DAS) (Bundesregierung 2008) und im ersten Aktionsplan Anpassung definiert (APA I) (Bundesregierung 2011). Die Aktionspläne zur DAS werden seither regelmäßig fortgeschrieben.

Neben den politischen Beschlüssen solcher Maßnahmen ist für eine effiziente Naturschutzpolitik immer auch eine gezielte Überwachung von Zustand und Entwicklung der biologischen Vielfalt und eine Kontrolle der Umsetzung und Wirksamkeit der beschlossenen Maßnahmen erforderlich (Dröschmeister und Sukopp 2009; Heiland et al. 2018). Hierzu können einerseits geeignete Daten aus bestehenden Monitoringprogrammen genutzt, andererseits müssen solche Programme gezielt ergänzt und ausgebaut werden (Sukopp 2009; Schliep et al. 2018). Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen zweier Forschungs- und Entwicklungsvorhaben des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) ein Set von Indikatoren entwickelt, das komplexe Zusammenhänge zwischen Klimawandel und biologischer Vielfalt anschaulich darstellen und hierdurch klima- und biodiversitätsrelevante Planungen und Entscheidungen fachlich unterstützen kann (Schliep et al. 2017, 2020). Die Berichterstattung auf Grundlage der Indikatoren dient der Information der interessierten Öffentlichkeit und der gezielten Politikberatung. Das Set aus derzeit fünf Indikatoren (Tab. 15.1) wurde bisher in den beiden sogenannten Monitoringberichten 2015 und 2019 zur DAS dargestellt (UBA 2015, 2019).

Tab. 15.1 Indikatoren im Handlungsfeld „Biologische Vielfalt“ der Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel (Schliep et al. 2017, 2020)

Ein besonders anschauliches Beispiel für die Entwicklung eines solchen Indikators ist die Aufbereitung phänologischer Daten von Wildpflanzenarten in Deutschland in Form einer phänologischen Uhr (Abb. 15.7). Diese zeigt folgendes Muster: Die phänologischen Jahreszeiten vom Vorfrühling über den Sommer bis zum Frühherbst setzten in der Periode nach 1992 jeweils früher ein als in den beiden älteren Zeiträumen, Vollherbst, Spätherbst und Winter hingegen jeweils später. Dadurch war insbesondere der Frühherbst im Mittel der Jahre 1992 bis 2021 um etwa 17 Tage länger, der Winter jedoch um etwa zehn Tage kürzer als noch zwischen 1951 und 1980. Analysiert man die Eintrittsdaten der phänologischen Jahreszeiten im Vergleich der beiden Perioden (1951–1980 und 1992–2021), so ergeben sich statistisch signifikante Unterschiede zwischen den beiden Perioden für alle Jahreszeiten mit Ausnahme des Vorfrühlings. Ein weiteres Beispiel für einen auf phänologischen Daten basierenden aussagekräftigen Indikator ist der Indikator „Dauer der Vegetationsperiode“ in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (vgl. den aktuellen Indikatorenbericht 2019, hierzu: BMU 2021).

Abb. 15.7
figure 7

Der Indikator „Phänologische Veränderungen bei Wildpflanzenarten“ bildet die klimawandelbedingten Veränderungen im jährlichen Eintrittsdatum der phänologischen Jahreszeiten seit 1951 in Form einer phänologischen Uhr ab (vgl. DWD 2013; UBA 2019). Der Beginn der phänologischen Jahreszeiten wird durch das Eintreten sogenannter phänologischer Leitphasen in der Entwicklung ausgewählter einheimischer Wildpflanzenarten markiert, beispielsweise der Beginn des Vorfrühlings durch den Beginn der Blüte des Huflattichs (Tussilago farfara). Es werden die bundesweiten Mittelwerte der Eintrittsdaten und die sich daraus ergebende Dauer jeder der zehn phänologischen Jahreszeiten aus einem 30-jährigen Referenzzeitraum entsprechenden Werten 1992–2021 gegenübergestellt. Die Eintrittsdaten jeder phänologischen Jahreszeit wurden statistisch auf Unterschiede zwischen den Zeiträumen untersucht. (Heiland et al. 2018; Schliep et al. 2020)

Um einschlägige Monitoringprogramme und die darauf aufbauenden Indikatorensysteme künftig systematisch weiterzuentwickeln (vgl. Braeckevelt et al. 2018; Schliep et al. 2018), muss die Klimafolgenforschung zu Auswirkungen des Klimawandels auf die biologische Vielfalt vorangetrieben werden. Deren Ergebnisse können nicht nur zum Ausbau und zur Verbesserung der Monitoringprogramme beitragen, sondern müssen in die Entwicklung und den Ausbau weiterer Instrumente und Strategien des Naturschutzes (u. a. Artenschutz, Biotopschutz, Gebietsschutz und Vertragsnaturschutz) einfließen (vgl. zu dieser Form des Wissenstransfers aus der Forschung in die Praxis: Hoffmann et al. 2014).

3.3 Akteure des Naturschutzes

Um den großen Herausforderungen im Zuge des Klimawandels zu begegnen, müssen alle Akteure des Naturschutzes verstärkt aktiv werden und miteinander kooperieren. Dies umfasst insbesondere:

  • Verwaltungen auf der Ebene von Bund, Ländern und Kommunen (whole of government approach): Über die für den Naturschutz zuständigen Fachbehörden hinaus ist ein umfassendes, ressortübergreifendes Verwaltungshandeln erforderlich, das alle Politikfelder und Verwaltungsbereiche einbindet, die direkt oder indirekt Auswirkungen des Klimawandels auf die biologische Vielfalt steuern. Dabei gewinnen zusehends Klimaschutzpläne auf der lokalen Ebene der Kommunen an Bedeutung, die konkrete und bedeutsame Beiträge zur Erreichung nationaler und globaler Ziele in diesem Bereich leisten (z. B. Stadt Leipzig 2020).

  • Staatliche und private Unternehmen müssen in allen Bereichen ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten ihren Anteil am Klimawandel, der direkte oder indirekte Auswirkungen auf die biologische Vielfalt nach sich zieht, bilanzieren. Solche Schäden an der biologischen Vielfalt sollten allerdings besser von vornherein vermieden werden. Soweit dies nicht in vollem Umfang möglich sein sollte, müssen sie im Sinne des Verursacherprinzips von den Unternehmen ausgeglichen bzw. ersetzt werden.

  • Umwelt- und Naturschutzverbände: Ein aktives Mitwirken dieser Verbände mit ihren zahlreichen Mitgliedern ist unabdingbar, da von hier unschätzbare Impulse für den Schutz der biologischen Vielfalt ausgehen und in ungezählten kleinen und großen Projekten praktische Arbeit vor Ort für den Schutz und die Förderung von Arten und Biotopen geleistet wird.

  • Citizen science: Für die aufwändigen Datenerhebungen im Bereich von Forschungsprojekten und Monitoringprogrammen ist das freiwillige und ehrenamtliche Engagement fachlich qualifizierter Bürgerinnen und Bürger unerlässlich.

  • Beiträge aus Wissenschaft und Forschung zu den Folgen des Klimawandels müssen die großen Wissenslücken, die im Bereich der Auswirkungen des Klimawandels auf die biologische Vielfalt nach wie vor bestehen, schließen (Abschn. 15.3.2). Dabei geht es einerseits um einen gezielten Transfer von Ergebnissen der Wissenschaft in die Naturschutzpraxis, andererseits auch umgekehrt um die Weitergabe von Fragen aus der Praxis als Auftrag an Wissenschaft und Forschung (Riecken et al. 2020).

Eine erfolgreiche Einbindung und Stärkung der hier genannten und weiterer Akteure bedeutet nichts weniger als eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung (whole of society approach), die aber für das Gelingen einer sozialökologischen Transformation der gesamten Gesellschaft erforderlich ist.

Hervorzuheben sind auch die in vielen Bundesländern laufenden Programme für ein Monitoring der Folgen des Klimawandels in allen Bereichen von Natur und Gesellschaft sowie darauf aufbauende Internetportale und Publikationen, um die Ergebnisse zu kommunizieren (z. B. das Klimafolgen- und Klimaanpassungsmonitoring in Nordrhein-Westfalen, LANUV 2021; das im Klimaschutzplan Hessen adressierte Monitoring und die darauf aufbauenden Indikatoren, HLNUG 2021).

Die Landschaftsplanung als Managementansatz im Bereich von Naturschutz und biologischer Vielfalt sollte künftig verstärkt die dynamischen Veränderungen von Natur und Landschaft durch den Klimawandel vorausschauend berücksichtigen. Dies zielt darauf, Anpassungsoptionen sowie flexible Entwicklungsmöglichkeiten von Natur und Landschaft mit planerischen Mitteln zu unterstützen (Heiland et al. 2008; Schliep et al. 2017).

4 Kurz gesagt

Der Klimawandel hat auf vielfältige Weise direkten und indirekten Einfluss auf alle Komponenten der Biodiversität. Betroffen sind alle Organisationsstufen des Lebens, Physiologie und Genetik der Organismen sowie Lebensrhythmus und Verbreitung der Arten. Auch die Wechselwirkungen zwischen Organismen wie Konkurrenz, Räuber-Beute-Beziehungen und Parasitismus können sich klimabedingt verändern, biologische Invasionen können beschleunigt werden. Sehr wahrscheinlich wird der Klimawandel neue Ökosysteme hervorbringen und damit Funktionen und Leistungen von Ökosystemen für den Menschen dauerhaft verändern.

Neben weiteren anthropogenen Triebkräften ist der Klimawandel ein besonders wichtiger Faktor der aktuellen Biodiversitätskrise. Wenn sich Krankheitserreger und ihre Überträger infolge des Klimawandels stärker ausbreiten, berührt das den Menschen ebenso wie Veränderungen von Ökosystemen, wenn sich deren Leistungen und Produktivität verringern.

Wer kann auf die Veränderungen der Biodiversität durch den Klimawandel reagieren? Einflussmöglichkeiten haben sowohl die hauptsächlichen Landnutzer, insbesondere die Land-, Forst- und Wasserwirtschaft, die Stadtentwicklung, der Hochwasserschutz, die Erzeuger erneuerbarer Energien, aber auch der Naturschutz. Letzterer reagiert durch Anwendung, Anpassung und Weiterentwicklung seiner klassischen Maßnahmen und Strategien wie z. B. verschiedene Instrumente des Arten-, Biotop- und Prozessschutzes, durch den Ausbau und die Verbesserung von Monitoringprogrammen für die Information der Öffentlichkeit und die Beratung der Politik. Die Einbindung aller wichtigen Akteure in Regierungen und Verwaltungen (whole of government approach) sowie in Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden und der Zivilgesellschaft (whole of society approach) sind wichtige Voraussetzungen für die Lösung der mit dem Klimawandel verbundenen Herausforderungen, nicht nur im Hinblick auf die Gefährdung der Biodiversität.