Die vorgestellten Konzepte und Methoden für ein ambidextres Innovationsmanagement in KMU eignen sich für exploitative und explorative Vorgehensweisen. Selbstorganisiertes Innovationsmanagement bedeutet nun, auf Basis vorhandener Parameter und Rahmenbedingungen selbstständig zu entscheiden, wann welche klassischen und/oder agilen Methoden in der Praxis am besten geeignet sind. Dazu wurden in Kap. 6 relevante Entscheidungskriterien aufgezeigt.

Innovationsaktivitäten können von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich sein, denn jedes Unternehmen hat ein spezifisches Betätigungsfeld, verwendet spezielle Technologien und ist in einem besonderen Markt aktiv. Die in diesem Buch vorgestellten Konzepte und Methoden sind allgemein einsetzbar, müssen aber für den jeweiligen Praxiseinsatz erprobt und ggf. angepasst werden.

FormalPara Aufbau eines kontinuierlichen Innovationsmanagements

Wie können Innovationsaktivitäten nicht nur für ein Projekt, sondern dauerhaft im Unternehmen organisiert werden? Der im Buch vorgestellte Innovationsprozess eignet sich gut als Grundlage für ein kontinuierliches Innovationsmanagement. Die Durchführung der Strategie-Phase empfiehlt sich ein- bis zweimal pro Jahr, um aktuelle Entwicklungen im Unternehmen und dessen Umfeld zu diskutieren und strategische Zielsetzungen für die Innovationsaktivitäten zu überarbeiten oder neu festzulegen.

Die Ideenphase, Ideenbewertung und -auswahl sowie Ideenumsetzung können und sollten öfter durchschritten werden. Wenn Mitarbeitende aufgefordert werden, ihre Ideen einzubringen, sollte klar definiert sein, an wen sie sich wenden können. Die Ideen werden dann weiterverfolgt und bewertet wie dargestellt. Zur Bearbeitung von Ideen können auch geeignete Softwaretools genutzt werden. Jedoch sollte vor der Abgabe einer Bewertung immer eine Diskussion in einem Team von geeigneten Personen (siehe Kap. 4) erfolgen, um verschiedene Perspektiven einzubringen. Zur Auswahl der umzusetzenden Ideen sollten Führungskräfte und Geschäftsleitung einbezogen werden. Die Umsetzung kann dann je nach Thema mit klassischen und/oder agilen Methoden erfolgen (siehe Kap. 5 und 6).

Generell macht es Sinn, den Innovationsprozess im Unternehmen detailliert zu beschreiben, Abläufe klar darzustellen sowie Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zu definieren.Footnote 1 Zentral ist dabei, Führungskräfte und Mitarbeitende im Unternehmen eng einzubinden, damit sie aktiv an den Innovationsaktivitäten mitwirken.

FormalPara Geschäftsmodelle als Alternative zu physischen Produkten

Viele Unternehmen untersuchen mittlerweile, welche Chancen sich durch neuartige Geschäftsmodelle ergeben. Sie betrachten dabei Möglichkeiten, die über klassische physische Produkte hinausgehen, z. B. Plattform-Modelle, Bezugsmöglichkeiten wie Flatrate oder Leasing, Cross-Selling oder die Nutzung von Kundendaten (vgl. Gassmann et al. 2021). Einfache Herangehensweisen wie der St. Gallen Business Model NavigatorTM (vgl. Gassmann et al. 2021) oder der Leitfaden Business Model Generation (vgl. Osterwalder und Pigneur 2013) stellen praxisnah beschriebene Geschäftsmodellmuster mit Beispielen zur Verfügung und unterstützen Innovationsexpert*innen dabei, diese in einfacher Weise auf den betrachteten individuellen Unternehmenskontext anzuwenden.

FormalPara Nachhaltige Entwicklung

Eine nachhaltige Entwicklung wird weiterhin eine der größten Herausforderungen unserer Zeit bleiben. Dies spiegelt sich auch in gesellschaftlich-politischen Zielen wider: Die Europäische Union (EU) beabsichtigt, 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu sein (vgl. Europäische Kommission 2021). Um eine nachhaltige Wirtschaft zu verfolgen, wurden über die sogenannte EU-Taxonomie Umweltziele definiert, unter anderem Klimaschutz, Circular Economy und Biodiversität (vgl. Europäische Union 2020).Footnote 2 Diese Umweltziele haben eine steuernde Wirkung auf zukünftige Entscheidungen der EU, insbesondere in Bezug auf Investitionen und die weitere Ausgestaltung von Regularien, und somit folgen direkte Auswirkungen auf die Wirtschaft.

Jedoch ist Nachhaltigkeit in den meisten Firmen noch nicht in allen Unternehmensbereichen verankert und es fehlt eine proaktive Auseinandersetzung mit dem Thema (vgl. Kunzlmann et al. 2021). Aus unserer Sicht sollte eine ernsthafte Auseinandersetzung mit nachhaltiger Entwicklung im Mittelpunkt des Unternehmensinteresses stehen, um gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen und die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

Aus Innovationsperspektive sind insbesondere folgende Punkte relevant (vgl. Lang-Koetz und Schimpf 2022):

  • Entwicklungen und Trends im Themenfeld Nachhaltigkeit sind kontinuierlich zu beobachten, für die Branche und Technologien des Unternehmens zu konkretisieren und in die Entwicklung der Innovationsstrategie einzubringen.

  • Bei der Entwicklung nachhaltigkeitsorientierter Innovationen sollten auch komplett neue Wege eingeschlagen und nicht nur bestehende Produkte und Lösungen optimiert werden. Die Herausforderung hier ist, auch radikale nachhaltige Innovationen zu entwickeln und umzusetzen (vgl. Kennedy et al. 2017).

  • Für eine faktenbasierte Orientierung und Zielbestimmung wird eine verlässliche Informations- und Datenbasis in Bezug auf mögliche ökologische und soziale Auswirkungen der eigenen Produkte und Lösungen benötigt.

Insofern spielt die Ermittlung und Quantifizierung von Energie- und Stoffströmen über den gesamten Produktlebenszyklus von Produkten eine zentrale Rolle, um Emissionen und andere Umweltwirkungen zu ermitteln. Das Greenhouse Gas Protocol bildet den methodischen Rahmen, damit Unternehmen ihren kompletten CO2-Fußabdruck ermitteln können. Dazu sind auch Daten von Lieferanten und Kunden zu erheben (vgl. WBCSD und WRI 2004). Gerade die Erfassung der Daten in der Lieferkette kann sich als schwierig gestalten (vgl. Schmidt et al. 2021). Geeignete Methoden unterstützen über Berechnungen auf Basis von Einkaufsdaten.Footnote 3

Wichtig ist in diesem Kontext, Nachhaltigkeitsaspekte transparent zu machen, glaubwürdig nach außen darzustellen und auf irreführende Behauptungen (Greenwashing) zu verzichten. Dies ist einerseits eine moralische Verpflichtung, andererseits ist in Zukunft mit gesetzlichen Vorgaben zu rechnen. So will beispielsweise die Europäische Kommission Regularien auf den Weg bringen, damit „Unternehmen ihre Umweltaussagen anhand von Methoden zur Messung des Umweltfußabdrucks von Produkten und Organisationen belegen müssen“ (Europäische Kommission 2020, S. 6).

Digitalisierung wird als Chance dafür gesehen, Ressourceneffizienz in Unternehmen und über den Produktlebenszyklus zu verbessern, zum Beispiel über die Nutzung sogenannter digitaler Zwillinge oder die Nachverfolgung der Lieferketten über Blockchain-Technologien (vgl. Kühne 2019). Viele Anwendungen befinden sich hier noch am Anfang der Entwicklung, das Thema wird aber weiter an Relevanz gewinnen, auch über geplante EU-Regularien zum sogenannten Digitalen Produktpass (vgl. Walden et al. 2021). Auf der anderen Seite entstehen durch den vermehrten Einsatz von IT auch ein Mehraufwand und zusätzliche Umweltwirkungen (vgl. Kassenböhner et al. 2019). Insofern sollte hier im Einzelfall bewertet werden, was für die Anwendung im Unternehmen und das Streben nach einer nachhaltigen Lösung sinnvoll ist.

Einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung zu leisten, bedeutet aber auch soziale Aspekte zu berücksichtigen. Einen positiven Beitrag leisten Unternehmen hier insbesondere dann, wenn sie sich um gute Arbeitsbedingungen kümmern, lokale Communities fördern und Arbeitsplätze schaffen (vgl. z. B. Goedkoop et al. 2018). Umwelt- und soziale Aspekte sind dabei zusammen zu betrachten, denn oft kann es auch Zielkonflikte geben. Mindestens ist dabei eine Ausrichtung der Arbeit an den Arbeits- und Sozialstandards der ILO (International Labour Organization) erforderlich. Dabei werden unter anderem Kennzahlen wie die Aus- und Weiterbildung, die Personalentwicklung, Personalfluktuation, Diversität in der Belegschaft sowie weitere allgemeine Arbeitsbedingungen betrachtet.

Insofern sollten Unternehmen mit ihren Stakeholdern zusammenarbeiten, um proaktiv einen Beitrag zur Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft zu leisten. Die Vernetzung und Kooperation mit anderen Akteuren können zusätzlich bei der Generierung von Ideen und der Entwicklung nachhaltigkeitsorientierter Innovationen unterstützen.

Neben der methodischen Vorgehensweise für selbstorganisiertes Innovationsmanagement sind auch die Rahmenbedingungen im Unternehmen wichtig: Führung und Kultur spielen hier eine bedeutende Rolle. Korrespondierend zur Entwicklung hybrider Methoden im Innovationsmanagement, findet sich sowohl in der Literatur zu Führung als auch bei den Ansätzen zur Unternehmenskultur eine stete Entwicklung an neueren Ansätzen.

FormalPara Die Rolle von Führung

Ausgangspunkt im Bereich der Führung ist die Unterscheidung zwischen transaktionaler und transformationaler Führung (vgl. Bass 1985, 1990). Transaktionale Führungskräfte geben den Mitarbeitenden etwas (z. B. Lohn) und erwarten im Gegenzug etwas zurück (z. B. Leistung). Der Austausch steht im Fokus. Diese Führungskräfte kontrollieren die Ziele der Mitarbeitenden und deren Zielerreichung. Sie fokussieren dabei auf Belohnung und Kontrolle der Mitarbeitenden. Im Fokus steht der juristische Arbeitsvertrag mit seinen wechselseitigen Rechten und Pflichten, die durch entsprechendes Management auf die Ziele der Organisation ausgerichtet werden sollen. Transformationale Führungskräfte verschmelzen gewissermaßen mit ihren Mitarbeitenden zu einer Einheit (Transformation). Hier unterstützen sich Führungskräfte und Mitarbeitende gegenseitig für die Erreichung eines gemeinsamen Ziels. Die Führungskräfte streben bei den Mitarbeitenden durch gemeinsame Begeisterung für das Ziel und durch gegenseitige Inspiration ein höheres Leistungsniveau an. Dabei fungieren sie als Coach und Mentor*in. Im Fokus steht der psychologische Vertrag mit seiner Bindung, die durch entsprechende Führung entwickelt werden soll. Sicherlich wäre es zu simpel, transaktionale Führung mit Exploitation und transformationale Führung mit Exploration zu verbinden. Es lässt sich aber durchaus vermuten, dass unterschiedliche Innovationsmethoden und hybride Vorgehensmodelle auch unterschiedliche Führungsformen intendieren.

Gerade im Kontext agiler Methoden gewinnen deshalb neuere Formen der Führung zunehmend an Bedeutung. Stellvertretend sollen hier die laterale Führung (Führung ohne Führungsrolle) und das Empowering Leadership (Ermächtigende Führung) kurz beschrieben werden. Die laterale Führung umschreibt dabei die Situation der Führung ohne direkte Weisungsbefugnis. Die Einflussnahme auf die Willensbildung und das Handeln innerhalb einer Organisation geschieht ohne direkte Hierarchiebeziehung (vgl. Kühl et al. 2004). Empowering Leadership ist definiert als das Verhalten einer Führungskraft, die Teammitglieder durch Teilung ihrer Entscheidungsmacht dazu zu motivieren, eigenverantwortlich zu handeln. Empowering Leadership wirkt dabei nachweislich in komplexeren Situationen, die nur wenige Routine-Elemente beinhalten: denn den Teammitgliedern wird Handlungsautonomie sowie Vertrauen gegeben, Probleme zu lösen, indem die eigenen Ressourcen genutzt werden. Das deutet auf einen möglichen Nutzen im Bereich der Exploration hin (vgl. Magni und Marupin 2013). Es wird in Zukunft zu beobachten sein, ob sich diese Führungsansätze in den eher explorativen Bereichen des Innovationsmanagements etablieren werden. Sicher scheint aber auf jeden Fall, dass sich Führung in diesem Feld weiter entwickeln wird.

FormalPara Unternehmenskultur als Kontextfaktor

Eine ähnliche Entwicklung kann auch bei der Literatur zur Unternehmenskultur beobachtet werden. Nach Schein (2004) ist Unternehmenskultur „… ein Muster gemeinsamer Grundprämissen, das die Gruppe bei der Bewältigung ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewährt hat und somit als bindend gilt, und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit Problemen weitergegeben wird“ (Schein 2004, S. 17). Er unterscheidet dabei Artefakte als „jene Phänomene, die man sehen, hören oder fühlen kann, wenn man eine neue Gruppe mit einer fremden Kultur kennenlernt“ (Schein und Schein 2018, S. 14). Im Gegensatz dazu umfassen Normen und Werte bekundete „Strategien, Ziele (und die) Philosophie“ (Schein 1995, S. 30). Sie kann ebenfalls als „Gesetze und Regeln, die in einem Unternehmen gelten“ angesehen werden, welche „unterscheiden helfen, was im Sinne der Unternehmenskultur richtig und falsch ist“ (Homma et al. 2014, S. 7). Grundannahmen enthalten schließlich „unbewusste, selbstverständliche Anschauungen, Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühle“ (Schein 1995, S. 30). Sie bilden den Kern der Unternehmenskultur und können als „ungeschriebene Gesetzte verstanden werden, welche alle Organisationsmitglieder kennen und weitestgehend (unreflektiert) befolgen“ (Homma et al., 2014, S. 8). Mit Bezug auf unser Thema des Innovationsmanagements stellt sich dabei die Frage, wie die Artefakte, bekundeten Werte und Grundprämissen in den Bereichen des exploitativen und des explorativen Innovationsmanagements aussehen, ob sie sich voneinander unterscheiden und wie der gemeinsame kulturelle Kern insbesondere in differenzierten Lösungsmustern der strukturellen Ambidextrie aussieht. Das bleibt für die Zukunft weiter spannend.

Ein Lösungsansatz könnte dabei das aktuell in der Praxis populäre Modell von Frederic Laloux (2015) sein. In seinem Modell mit insgesamt sieben Stufen, die er mit Farbcodierung und Adjektiven versieht, beschreibt Laloux die Entwicklung wie Individuen und Organisationen agieren (vgl. Laloux 2015, S. 13). Laloux bezeichnet diese Stufen als Paradigmen, deren schrittweise Entwicklung ein Reifegradmodell implizieren lässt. Dennoch betont er, dass höhere Entwicklungsstufen nicht besser oder wertiger sind. Vielmehr ist jede Stufe in einem bestimmten Kontext angemessen und spätere Stufen sind „komplexer in ihrem Umgang mit der Welt“ (Laloux 2015, S. 38). Offen ist dabei, ob sich verschiedene kulturelle Paradigmen im Innovationsmanagement finden lassen und ob exploitative Unternehmensteile eine andere Stufe der Unternehmenskultur benötigen als explorative Unternehmensteile. In jedem Fall ist zu vermuten, dass die Unternehmenskultur im Kontext der Entwicklung des Innovationsmanagements in KMU ebenfalls in den Fokus rücken wird.

FormalPara Netzwerke als Zukunftsmodell

Insgesamt kann vermutet werden, dass die Komplexität im Umfeld der KMU noch weiter zunehmen wird – durch Veränderungen in Umwelt, Gesellschaft und Markt und der fortschreitenden Entwicklung neuer Technologien. Vielleicht führt das zu ganz anderen Formen des Innovationsmanagements und zu neuen hybriden Modellen. Eine zukünftige Entwicklung kann dabei die Idee der Business-Eco-Systeme sein. Hier handelt es sich um einen Verbund von Unternehmen, der auf eine gemeinsame Wertschöpfung ausgerichtet wird (vgl. Jacobides et al. 2018). Die Leistung des Eco-Systems übersteigt die Summe der Einzelbeiträge aller Beteiligten. Es entsteht eine Kooperation unterschiedlicher Unternehmen als inter-organisationales Netzwerk zum Nutzen der Kund*innen mit einem erhofften Kooperationsgewinn für alle Seiten. Dadurch wird eine Basis für Open Innovation geschaffen, ein Konzept, das schon von vielen KMU genutzt wird (vgl. Vanhaverbeke 2017). Sie entwickeln mit externen Partnern wie Kund*innen, Lieferanten, Expert*innen oder Forschungsinstituten neue Ideen, z. B. über Workshops, Ideenwettbewerbe, Innovationsplattformen oder gemeinsame F&E-Projekte.

Veränderungen im Umfeld von Unternehmen werden auch weiterhin großen Einfluss haben. Neue technologische Entwicklungen werden dabei viele Chancen ermöglichen, können aber auch das bestehende Geschäft gefährden. Sie können auch ethische Fragen und Nachhaltigkeitsaspekte aufwerfen. Ein kontinuierliches Innovationsmanagement ist daher Kernaufgabe für jedes Unternehmen. Das Vorgehensmodell dieses Buches kann dabei eine wichtige Unterstützung bieten und so einen wertvollen Beitrag zum zukünftigen Erfolg von KMU leisten.