Die vorangehenden beiden Kapitel dieses Werkes haben Problemstellungen und Herausforderungen erbrechtlicher Nachfolgeplanungen im Allgemeinen beleuchtet. Wenn es konkret um die Planung einer Unternehmensnachfolge geht, stellt sich zusätzlich eine Reihe von speziellen Herausforderungen, denen dieses letzte Kapitel des Buches gewidmet ist. Dabei liegt das besondere Augenmerk der Darstellung auf Aspekten der Verfahrensgestaltung, die durch die fortlaufende Entwicklung eines Beispielsfalls illustriert werden.Footnote 1

Für die Gestaltung der Unternehmensnachfolge gibt es keine allgemeingültigen oder kopierfähigen Modelle. Jedes Familienunternehmen ist durch individuelle Besonderheiten geprägt, die zu spezifischen Lösungen führen und die sich selten mit Herausforderungen anderer Unternehmen über einen Kamm scheren lassen.Footnote 2 Und doch lassen sich zuweilen typische Herausforderungen und Konfliktlagen erkennen,Footnote 3 auf deren Grundlage man Denkansätze für das prozessuale Vorgehen entwickeln kann. Fixpunkt der hier vorgestellten Methode ist dabei weiterhin die Orientierung an den Interessen der einzelnen Stakeholder. Der bisher dargestellte, allgemein erbrechtliche Beratungsansatz wird insofern für die Unternehmensnachfolgeplanung fortgeschrieben und exemplifiziert.

7.1 Beispielsfall

Beispiel

Unternehmer Ugur (65) hat in den letzten dreißig Jahren ein Zulieferunternehmen, die S-Chemie, in einer Nische innerhalb der Branche Spezialchemie aufgebaut. Mittlerweile ist das Unternehmen als GmbH organisiert, deren Alleingesellschafter-Geschäftsführer Ugur ist.

Seine drei gemeinsamen Kinder mit seiner Ehefrau Freya (58) sind derzeit im Unternehmen tätig. Tochter Anna (40), promovierte Chemikerin mit in den USA erworbenem MBA, ist in der Geschäftsleitung tätig, wobei ihr Prokura erteilt ist. Sohn Brian (38), Absolvent der Bildenden Künste in Berlin, arbeitet im Marketing des Unternehmens und Tochter Charlotte (25), während einer schon länger andauernden Unterbrechung ihres Studiums der Kommunikationswissenschaften, als Springerin. Anna bezieht ein Jahresgehalt von EUR 100.000, Brian von EUR 75.000 und Charlotte einen Stundenlohn von EUR 40.

Bei einem Grillabend im Haus von Ugur lenkt Brian das Gespräch auf seine Stellung im Unternehmen. Er bringt zum wiederholten Male zum Ausdruck, dass man ihm, wie seiner Schwester, endlich auch Prokura erteilen sollte. Außerdem habe er endlich auch Anspruch auf das gleiche Gehalt wie Anna. Schließlich seien sie Geschwister und beide arbeiteten nach seiner Ansicht gleich viel und gleich hart. Ohnehin verdienten beide für ihren Einsatz viel zu wenig.

Ugur ist von dem Ansinnen völlig überrascht, da er findet, die Kinder würden mehr als fair und „wie jeder Andere“ vergütet. Für die Erteilung einer Prokura sieht er keine Veranlassung. Titel werden im Unternehmen generell nach Notwendigkeit, nicht als Statussymbol vergeben und Brian vertritt das Unternehmen rechtlich selten nach außen.

Brian reagiert unwillig und wirft Ugur vor, dass Anna schon immer sein Lieblingskind gewesen sei. Der Ansatz eines Drittvergleichs werde wieder nur gegen ihn gewendet. Charlotte bekomme selbstverständlich viel mehr pro Stunde als jeder andere Springer.

Ugur beendet das Gespräch verärgert damit, dass das Unternehmen immer noch ihm gehöre. Den weiteren Verlauf des Gespräches kann man sich ohne viel Phantasie vorstellen. Jedenfalls ist der Abend gelaufen und Ergebnisse sind nicht in Sicht. Beide Seiten sind ungehalten, dass ein Familienabend wieder einmal im Streit endet. Insbesondere Ugur hatte sich den Verlauf des Abends und den Inhalt der Unterhaltung ganz anders vorgestellt.

Betrachtet man die skizzierte Unterhaltung im Hinblick auf die darin verwobenen Sphären von Familie und Unternehmen, verwundert der Gesprächsverlauf nur wenig. Den örtlichen und zeitlichen Rahmen des Treffens bildet zunächst die Familie, so dass zu Beginn Ugur und Brian ihren „Familienhut“ tragen. Das Ansinnen nach Gehaltserhöhung und Statusänderung von Brian betrifft auf den ersten Blick das Unternehmen. Argumentativ beruft sich Brian jedoch auf die Gerechtigkeitslogik der familiären Gleichbehandlung und nicht auf die Logik der unternehmerischen Leistungsgerechtigkeit. Damit ist sein Hut bereits zweideutig gefärbt.

Die Zurückweisung seines Ansinnens ist für Brian deshalb so schmerzhaft, weil dies nicht nur seine unternehmerische Wertschöpfung, sondern aufgrund der von ihm gewählten Logik und im Hinblick auf die Gesprächssituation auch die familiäre Wertschätzung betrifft. Die Ablehnung seiner Wünsche birgt insofern die Gefahr, als persönliche Zurückweisung beziehungsweise Ausgrenzung aus der engen Zusammenarbeit von Vater und Tochter sowie überdies als familiäre Ungerechtigkeit wahrgenommen zu werden. Da Zugehörigkeit und Gerechtigkeit zu den menschlichen Grundbedürfnissen gehören, fällt die Reaktion auf Verletzungen hier meist ungewöhnlich intensiv aus, selbst wenn die Entscheidung im Hinblick auf den Unternehmenskontext schlüssig ist und dies selbst Brian der Sache nach zugestehen könnte.

Das Schwierige an einer solchen Gerechtigkeitsfrage ist der Umstand, dass es sich um unterschiedliche, kontextgeprägte Fairnessvorstellungen mehrerer Personen handelt, die jeweils auf einem individuellen Wertesystem beruhen. Diese abstrakte Erkenntnis ist allerdings für die Betroffenen selten fassbar, und das legt den Grundstein für eine Vermischung von Beziehungs- und Sachebene. Zugleich setzt hier häufig eine Art Konfliktspirale ein, die den Konflikt ohne bewusstes Zutun der Beteiligten immer weiter eskaliert.

Für den dargestellten Fall bedeutet das konkret: Das Vorgehen von Brian löst bei Ugur ein Dilemma aus, das er allein durch Entscheidungen nicht auflösen kann, weil er dafür mehreren konkurrierenden ImperativenFootnote 4 gleichzeitig gehorchen müsste. Er müsste zunächst gerecht im Sinne der Familie entscheiden: Das würde im Sinne der gleichbehandlungsgeprägten familiären Gerechtigkeitslogik bedeuten, dass er dem Ansinnen von Brian stattgeben müsste, ohne den höheren unternehmerischen Mehrwert der Leistung von Anna zu honorieren. Zugleich müsste Ugur aber auch gerecht im Sinne des Unternehmens entscheiden: Hier ist die Leistungsgerechtigkeit das maßgebliche Kriterium, und sie verbietet die von Brian beanspruchte Gehaltserhöhung und Statusveränderung. Schließlich müsste Ugur auch gerecht im Sinne der Gesellschafter entscheiden: Auch hier käme eine nicht unternehmerisch begründete Erhöhung der Vergütung für einen Mitarbeiter aufgrund familiärer Bindung nicht in Betracht, weil dies der formal-juristischen Gleichbehandlung und der Verfahrensgerechtigkeit widerspräche.

Da Ugur die einzelnen Imperative auf inhaltlicher Ebene nicht erfüllen kann, scheint die Situation verfahren und keiner Lösung zugänglich. Während bei gefühlter Ungerechtigkeit von Leistung und Gegenleistung im unternehmerischen Kontext die Trennung oftmals einen gangbaren Weg darstellt, ist dieser Weg im Fall von Brian ebenfalls nicht erfolgversprechend. Zum einen liegt die Ursache gar nicht in der unternehmerischen Logik der Leistungsgerechtigkeit, sondern in der familiären Logik der Gleichbehandlung. Zum anderen ist eine vollständige Trennung bei Familienunternehmen, und damit bezogen auf mehrere Kreise, ohnehin kaum möglich.

An die Stelle der inhaltlichen Konfliktauflösung können daher nur prozedurale Ansätze treten. Wollen die Akteure den Konflikt auflösen, bleibt damit keine andere Wahl, als sich dem Konflikt zu stellen und Prozesse der Bearbeitung zu finden. Mit den Worten von William Ury: „Although every protective instinct urged us to go around the pain, the key lesson we learned is that the way forward is the way through.“Footnote 5

Beispiel

Nach dem Grillabend hatte Freya die ständigen misslungenen Familientreffen und die folgende schlechte Laune ihres Ehemannes satt. Auf ihre Anregung hin nahm Ugur Kontakt mit Rechtsanwältin und Mediatorin Mireille auf, die bereits mehrfach erfolgreich für das Unternehmen tätig gewesen war. Ugur klagte Mireille sein Leid und fragte, ob sie vermittelnd unterstützen könne. Ugur sei hoffnungsvoll, da Mireille auch von seinen Kindern sehr geschätzt werde.

Mireille sagte gerne für ein informelles Treffen zu. Dabei sollte ausdrücklich offen bleiben, welche Rolle sie letztlich einnehmen würde, dies wäre ggf. gemeinsam zu entscheiden.

Ugur informierte Anna, Brian und Charlotte, dass er die Themen des Grillabends gerne gemeinsam mit Mireille nachbesprechen wolle. In dem anberaumten Gespräch in den Besprechungsräumen der S-Chemie wurde über den konkreten Vorfall „Grillabend“ gesprochen. Mireille nutzte die Möglichkeit dieses ersten Gesprächs zunächst nur, um Bewusstsein für die verschiedenen Ebenen des Konflikts zu schaffen und den Grillabend unter diesem Blickwinkel zu betrachten. Damit gelang es ihr, die konkurrierenden Gerechtigkeitslogiken offenzulegen und somit eine erste Annäherung der Familienmitglieder zu erreichen.

Damit war immerhin schon einmal die destruktive Dynamik der bisherigen Gespräche gebrochen und der Weg zu einer konstruktiven Auseinandersetzung eröffnet. Eine praktisch umsetzbare Lösung war damit jedoch freilich noch nicht in Sicht. Dies war in diesem Stadium aber auch entbehrlich. Ugur lud für die nächste Woche Anna, Brian und Charlotte zu einem gemeinsamen Abendessen ein: Es gebe einiges zu besprechen.

Viele Widrigkeiten und der Umstand, dass es letztendlich allzu leicht fällt, Nachfolgefragen zu verdrängen oder wegen ständig wechselnder dringender Tagesgeschäfte zu verschieben, sprechen gegen eine intensive Beschäftigung mit der eigenen (Unternehmens-)Nachfolgeplanung. In “Tuesdays with Morrie” schreibt Mitch Albom treffend: “The culture doesn’t encourage you to think about such things until you are about to die. We are so wrapped up with egotistical things, career, families, having enough money, meeting the mortgage, getting a new car, fixing the radiator when it breaks – we’re involved in trillions of little acts just to keep going. So we don’t get into the habit of standing back and looking at our lives and saying, Is this all I want? Is something missing? He paused. You need someone to probe you in that direction. It won’t just happen automatically.”Footnote 6

Im Falle des Unternehmers Ugur waren zwei Umstände die treibenden Kräfte für eine Auseinandersetzung mit der eigenen (Unternehmens-)Nachfolge. Zum einen war ein gutes Jahr vor dem Grillabend ein guter Bekannter aus dem lokalen Unternehmernetzwerk unerwartet in jungen Jahren verstorben, ohne zuvor seinen letzten Willen verfasst zu haben. Ugur hatte seither miterlebt, welchen Umfang und Intensität die Erbstreitigkeiten annahmen. Auch war erkennbar, welchen negativen Einfluss dies wiederum auf das Unternehmen und die Familie des Verstorbenen hatte. Zum anderen stand bei Ugur selbst ein medizinischer Eingriff unter Vollnarkose an. Dabei handelte es sich zwar um einen Routineeingriff, dennoch brachte dies Ugur in Erinnerung, dass er bisher keinerlei Vorsorge für einen längerfristigen Ausfall oder sogar seinen Tod getroffen hatte. Der sprichwörtliche „Rote Ordner“ war nicht vorhanden. Die Auseinandersetzung mit Brian war dann der letzte Anstoß, nunmehr aktiv zu werden.

7.2 Vorbereitung einer strukturierten Nachfolgeplanung

Wie sollte man eine Situation wie diejenige von Ugur idealerweise angehen? Wenn man die Nachfolgeplanung – wie in unserem Beispiel Mireille – als professionelle Unterstützerin systematisch angehen möchte, aber auch dann, wenn einem eine der Beteiligtenrollen zufällt, empfiehlt es sich, einige Vorüberlegungen anzustellen, die in kritischen Situationen dabei helfen, angemessen auf Herausforderungen zu reagieren.

7.2.1 Wegbereiter erbrechtlicher Gestaltungsmediationen

Mit fortschreitender Etablierung mediativer Ansätze auch in Familienunternehmen dürfte die Zahl der Unternehmensnachfolgen steigen, die mediationsähnliche Verfahren einsetzen, um die Nachfolgeplanung zu strukturieren. Im Idealfall drängen die Beteiligten intrinsisch ihre Berater von Anfang an darauf, den Zug der gemeinsamen Nachfolgeplanung auf das Gleis der kooperativen Zusammenarbeit mit mediativen Ansätzen zu setzen.

Derzeit bedarf es jedoch meist noch extrinsischer Impulse. Der Weg hin zu einer Unternehmensnachfolgeplanung mit mediativen Ansätzen oder einer erbrechtlichen Gestaltungsmediation braucht einen Anstoß von außen. Die Unternehmer und ihre potenziellen Nachfolger erkennen zwar die Notwendigkeit der Planung und wünschen sich eine konfliktfreie Abwicklung des Nachfolgethemas, sind sich aber über den Weg dorthin mangels theoretischer und praktischer Kenntnisse im Unklaren. Nicht selten gehen sie der Thematik einfach aus dem Weg. Es braucht daher jemanden, der den Beteiligten einen Impuls in die richtige Richtung gibt. Auch wenn im Fall des Unternehmers Ugur eine Person aus dem familiären Umfeld in die Initiative ging, ist dies doch bisher noch die Ausnahme.

Den notwendigen Anstoß können vor allem solche Personen geben, die detaillierte Kenntnisse über das Unternehmen und die Unternehmerfamilie haben. Hierzu zählen neben den Haus- und Hofanwälten auch Steuerberater, Vermögensverwalter und Finanzberater, aber beispielsweise auch Notare. Es liegt an diesen Autoritätspersonen, einen Impuls zur Änderung der Konfliktkultur zu setzen und dadurch die Unternehmensnachfolge zu einer Erfolgsgeschichte werden zu lassen. Eine flankierende Rolle kann im Einzelfall auch Berufsorganisationen und sonstigen (Wirtschafts-) Verbänden zufallen. Diese sollten den Nutzen mediativer Ansätze für eine erfolgreiche Nachfolgeplanung weitaus stärker in den Vordergrund stellen.Footnote 7

7.2.2 Auswahl eines geeigneten Gestaltungsmediators

Die Begleitung einer Unternehmensnachfolgeplanung mit all ihren Facetten führt zu intensivem Kontakt mit einer Vielzahl von komplexen Fachthemen rechtlicher, steuerrechtlicher, betriebswirtschaftlicher und vermögensverwaltender Art. Ein Mediator wird selbstredend nicht der „bessere Experte“ auf allen diesen Gebieten sein können; er muss dies aber auch nicht, weil seine Aufgabe nicht in der fachlichen Beratung, sondern in der Gestaltung und Führung des Verfahrens liegt.

Die Frage, ob ein Mediator fachfremd sein oder idealerweise doch selbst über umfangreiches Fachwissen verfügen sollte, ist damit jedoch nicht beantwortet. Die Erfahrung lehrt, dass Gestaltungsmediationen im Bereich der Unternehmensnachfolge eine Reihe von sehr schwierigen Themen umfassen. Auch wenn eine Mediatorin nicht in jedem Thema selbst Expertin sein kann, ist eine gewisse Feldkompetenz nach Überzeugung der Autoren unabdingbar. Denn ein Vermittler, der den Konflikt und dessen Zusammenhänge nicht versteht, wird den Beteiligten wenig behilflich sein können. Schon in der Ausgangssituation sind etwa gesellschaftsrechtliche und unternehmerische Grundkenntnisse sehr nützlich, um den Status quo des Unternehmens korrekt zu erfassen. Auch ein gewisses Grundverständnis im Bereich des Schenkungs- und Erbschaftssteuerrechts hat sich häufig als hilfreich erwiesen. Eine hier einigermaßen orientierte Mediatorin wird in vielen Fällen bessere Fragen stellen und damit einen positiven Beitrag zur Erweiterung des Lösungsraumes geben können.Footnote 8 Zugleich gilt auch: Wichtiger als profunde eigene Kenntnisse ist die Kenntnis der eigenen Grenzen.

Neben die Feldkompetenz der Mediatorin sollte eine ausgeprägte Methoden- und Prozesskompetenz treten. Dabei kommt es neben fundierten theoretischen Grundlagen vor allem auch darauf an, dass sie über das notwendige psychologische Verständnis und über umfangreiche soft skills verfügt. Letztlich werden sich die Beteiligten nur dann in dem erforderlichen Maße auf das Verfahren einlassen, wenn sie Vertrauen in die Integrität und die Kompetenzen des neutralen Dritten haben. Dies gilt für Nachfolgefragen in ganz besonderer Weise, weil das Verfahren den Beteiligten hier Offenheit im Hinblick auf Familie und Unternehmen gleichzeitig abverlangt.

Beispiel

In der Woche nach dem ersten Gespräch mit Mireille traf sich Ugur mit seinen Kindern. Er hatte einen Nebenraum in dem Lieblingslokal der Familie für besondere Anlässe reserviert, um dem Gespräch einen feierlichen Rahmen zu verleihen und gleichzeitig in Ruhe sprechen zu können.

Ugur wollte auch Freya einbinden, die sich dem Thema Unternehmens- und Vermögensnachfolge jedoch vollständig verschloss. Sie fühle sich noch zu jung, um sich damit zu beschäftigen. Die Regelungen hinsichtlich der S-GmbH solle Ugur ruhig allein mit den Kindern treffen.

Bei einem Glas Champagner ergriff Ugur das Wort. Überraschend für alle Beteiligten erklärte er, dass Fragen nach Gehältern und Status für ihn nicht mehr so wichtig wären. Er denke nämlich über seinen „geordneten Rückzug“ aus der S-Chemie nach. Es gehe nicht um einen unmittelbaren Ausstieg, sondern um die Einleitung eines Prozesses. Dabei war für alle Anwesenden deutlich erkennbar, wie schwer ihm diese Worte fielen.

Grund für die Entscheidung, so Ugur, seien zum einen sein fortschreitendes Alter und zum anderen anstehende strategische Fragen. Der Markt verändere sich massiv und die Anpassung daran wolle er nicht alleine vornehmen. Die Folgen würden schließlich vor allem seine Nachfolger treffen.

Der Abend solle, so Ugur, ein Startschuss zu einem gemeinsamen Prozess der Nachfolgeplanung werden. Da die Besprechung mit Mireille ihm eine Chance für einen neuen Umgang miteinander und mit Konflikten aufgezeigt habe, würde er Mireille gerne weiterhin einbeziehen. Dies setze natürlich voraus, dass alle Beteiligten einverstanden wären, was alle ohne jedes Zögern sofort bejahten.

Dabei beließ man es für diesen Abend, der harmonisch verlief, und Ugur kündigte an, in Kürze die Initiative zur Einleitung der ersten Schritte zu übernehmen.

Ugur hatte im Vorfeld bereits ein längeres Gespräch mit Mireille geführt. Beide waren übereingekommen, dass formaler Startschuss ein gemeinsames verlängertes Wochenende mit Anna, Brian und Charlotte in einem führenden Hotel in den Alpen sein sollte, das auch Tagungsräume zur Verfügung stellt. Ugur hatte ausdrücklich gewünscht, dass Mireille, und nicht eine von ihr vorgeschlagene andere Mediatorin, den Prozess begleitet. Externe Rechtsanwälte wollte Ugur in diesem Stadium keinesfalls hinzuziehen. Mireilles Argumente gegen die drohende Rollenvermischung wog Ugur zwar ab; diese änderten seine Meinung aber nicht.

Wenige Tage später bedankte sich Ugur per handgeschriebenen Briefen bei Anna, Brian und Charlotte für ihre Bereitschaft zu diesem gemeinsamen Weg und lud sie gleichzeitig zu dem geplanten Wochenende ein. Der Termin sollte in knapp zwei Monaten stattfinden. Bis dahin bat er alle drei, sich Gedanken über die jeweilige künftige Rolle im oder das Verhältnis zum Unternehmen zu machen. Er selbst wolle dies auch tun. Gleichzeitig sollten alle Teilnehmer für sich die Erwartungshaltung hinsichtlich des Prozesses und der relevanten Themenkreise formulieren.

Ugur schloss damit, dass es ihm emotional sehr schwerfalle, sich von seinem beruflichen Lebenswerk zu trennen. Gleichzeitig hoffe er, der S-Chemie und seinen Mitarbeitern den Weg in die Zukunft ebnen zu können, damit das Unternehmen auch seinen Nachfolgern ein erfülltes Berufsleben und weiteren wirtschaftlichen Wohlstand ermöglicht.

7.3 Das Planungsverfahren

7.3.1 Phase 1: Beginn des strukturierten Verfahrens

Weil es sich bei einer mediationsanalogen Nachfolgeplanung nicht um einen Standardfall der Mediation handelt, ist es zu Beginn der Gespräche besonders wichtig, die Rolle des neutralen Dritten und den Gegenstand des Verfahrens klar zu bestimmen.

7.3.1.1 Rolle des neutralen Dritten

Um die notwendige Neutralität zu wahren, enthalten sich Mediatoren in aller Regel jeglicher inhaltlicher Bewertung der Gesprächsmaterie. Speziell bei der Nachfolgeplanung in kleinen und mittleren inhabergeführten Unternehmen liegt darin allerdings eine Herausforderung, denn häufig ist die zur Mediatorin erkorene Person zuvor bereits anwaltlich für das Familienunternehmen tätig gewesen. Hier ist regelmäßig die Bereitschaft der Beteiligten gering, mehrere Experten gleichzeitig in die Gespräche zu involvieren. Das gilt insbesondere dort, wo die Gesprächssituation wenig konflikthaft scheint, weil die Verantwortlichen die Nachfolgeplanung erfreulich früh angestoßen haben.

In diesen Fällen ist eine Vermittlertätigkeit der bisher beratenden Anwältin nicht von vornherein ausgeschlossen. Schwierig wird es allerdings spätestens dann, wenn Interessenkollisionen ins Spiel kommen und die Beteiligten nicht mehr einmütig die Zukunft des Unternehmens planen, sondern es trotz formaler Kooperation letztlich eigennützig auf möglichst große wirtschaftliche Vorteile für sich selbst abgesehen haben. Wer als Anwältin in die Vermittlerrolle schlüpft, muss hier sehr wachsam sein und einen der beiden Hüte ablegen, sobald sich ein Verteilungskonflikt andeutet. Häufig wird sich die Anwältin in solchen Situationen als Beraterin der weichenden Unternehmensinhaberin verstehen; dann sollte sie dies auch den anderen Beteiligten entsprechend kommunizieren, um Haftungsgefahren aus dem Weg zu gehen und dem weiteren Prozess nicht durch Intransparenz zu schaden. Will sie aus dieser Rolle heraus weiter zwischen den Beteiligten vermitteln, geht dies nach § 3 Abs. 1 S. 2 MediationsG nur mit der Zustimmung aller Gesprächsteilnehmer.

7.3.1.2 Umfang der Gesprächsmaterie

Während bei klassischen Konfliktlösungs- oder Gestaltungsmediationen die Gesprächs- und Verhandlungsmaterie von Anfang an regelmäßig klar ist, ergeben sich bei Familienunternehmen regelmäßig vielfältige denkbare Verhandlungsstränge. Hier ist es besonders wichtig, die Gesprächsthemen von Beginn an klar einzugrenzen,Footnote 9 sie in ihren möglichen Konsequenzen einigermaßen zu antizipieren und von dort aus den Teilnehmerkreis für die Planungsgespräche sinnvoll zu bestimmen. Sofern für die Gestaltung der Unternehmensnachfolge kein konkreter Konflikt vorliegt, der allen Beteiligten bereits als isoliertes Thema bekannt ist, sind zunächst die Erwartungen der Parteien gemeinsam zu klären.

Die initiale Themensetzung ist dabei alles andere als abschließend. Regelmäßig entwickeln sich aus einem ursprünglichen Konfliktkern später weitere Konfliktkreise heraus, die die Beteiligten mitbearbeiten möchten. Dabei kann sich durchaus herausstellen, dass der anstoßgebende Konflikt letztlich nur Anlass, nicht aber Ursache für die Streitigkeiten war. Gerade in dieser Loslösung von einem juristischen Streitgegenstand liegt eine der Stärken der Mediation.

Beispiel

Im Fall der Nachfolge nach Ugur wurde zu Beginn des gemeinsamen Planungswochenendes erkennbar, dass sich alle Beteiligten sehr ernsthaft auf die Gespräche vorbereitet hatten. Auch waren alle sichtbar gewillt, sich mit viel Engagement und Energie auf das Unterfangen einzulassen. Das Wochenende begann daher mit einem bemerkenswerten Teamspirit.

Schnell stimmten die Familienangehörigen überein, dass der Prozess möglichst alle Themenbereiche der Unternehmens- und Unternehmernachfolge umfassen, also Familie, Unternehmen und Gesellschafter einbeziehen sollte. Wichtig war den Beteiligten dabei, nicht etwa verbindliche oder gar kurzfristige Regelungen zu treffen, sondern gemeinsam einen Weg in die Zukunft zu gestalten und dabei einige Rahmenbedingungen festzulegen.

In Kenntnis des bisherigen Verhältnisses von Mireille zur S-GmbH erklärten alle vier, dass Mireille die Gespräche als neutrale Vermittlerin moderieren sollte. Hinsichtlich des Mediationsstils wurde vereinbart, dass Mireille nur dann eigene Bewertungen ins Spiel bringen dürfe, wenn alle Beteiligten dies zu einzelnen Punkten explizit wünschten. Zu solchen punktuellen Bewertungen erklärte sich Mireille dem Grunde nach bereit, da man dies in ähnlichen Settings ohnehin regelmäßig von ihr erwarte.

7.3.2 Phase 2: Bestandsaufnahme

Der ersten eher noch allgemeinen und organisatorischen Phase schließt sich sodann die konkrete Bestandsaufnahme an. Die Beteiligten erörtern in einigem Detail die Verhandlungsthemen sowie die Sach- und Rechtslage. Dabei erhält jeder die Chance, seine individuelle Sichtweise umfassend darzulegen.Footnote 10

7.3.2.1 Strukturierte Erfassung der Gesprächsthemen

Die Phase der Bestandsaufnahme ist im Fall einer umfassenden Unternehmensnachfolgegestaltung ein sehr umfangreiches Unterfangen, das sich durchaus über mehrere Tage hinziehen kann. Dies kann die Beteiligten dazu verleiten, diesen Schritt zunächst nur unvollständig vorzunehmen, mit den so gewonnenen Erkenntnissen zu arbeiten und die Bestandsaufnahme später um weitere Punkte zu ergänzen. Das erscheint verlockend, weil sich so der oftmals konfliktträchtigste und mit den meisten negativen Emotionen besetzte Abschnitt des Wegs abkürzen lässt und die Beteiligten schneller konstruktiv an ersten Interessen und Lösungsansätzen arbeiten können.

Diese Abkürzung ist jedoch trügerisch und insgesamt nicht zu empfehlen, weil sie schnelle Erfolgserlebnisse durch außerordentlich große zukünftige Schwierigkeiten erkauft. Dies liegt zum einen an den vielen Querverbindungen zwischen den einzelnen Sachbereichen Familie, Unternehmen und Gesellschafter. Die Komplexität des Gesamtsystems Familienunternehmen lässt sich nur ermessen, wenn zuvor der Status quo in Bezug auf sämtliche Teilbereiche erfasst wurde. Zum anderen geht es zwar atmosphärisch mit Beginn der Interessenermittlung zumeist stetig bergauf; mit jedem Rückfall in die Bestandsaufnahme wird diese positive Dynamik aber gebrochen, und das Vertrauen in einen guten Ausgang des Verfahrens verkraftet erfahrungsgemäß nicht viele solcher Rückschläge. Auch im Falle der umfassenden Unternehmensnachfolgeplanung ist daher sehr zu empfehlen, die Phase der Bestandsaufnahme umfassend zu bearbeiten und damit die schulmäßige, sequenzielle Verfahrensführung beizubehalten.

Von den Umständen des Einzelfalles hängt es dann ab, in welcher Systematik und Reihenfolge die einzelnen Teilbereiche der Gesprächsmaterie betrachtet werden. Häufig ist eine strikte Trennung der Teilbereiche wegen der existierenden Querverbindungen nicht durchzuhalten. Die Erfahrung lehrt, dass die Beteiligten bei emotionaler Darstellung ihrer Sichtweise der einzelnen Themen die bestehenden Interdependenzen auch in den Vortrag einfließen lassen. Eine Trennung der Teilbereiche ist allerdings auch nicht erforderlich, vielmehr kann deren Vermischung unter Umständen sogar hilfreich sein, weil sie der Mediatorin regelmäßig wichtige Erkenntnisse über Kontextproblematiken aufzeigt.

7.3.2.2 Erb- und vermögensrechtliche Ausgangssituation

Den Auftakt der inhaltlichen Erörterung bildet regelmäßig eine erbrechtliche Bestandsaufnahme aus Sicht der Beteiligten. Besondere Aufmerksamkeit verdienen in diesem Zusammenhang bereits vorhandene letztwilligen Verfügungen, familienrechtliche Besonderheiten sowie das Zusammenspiel von Erbrecht und Gesellschaftsrecht. Häufig enthalten Gesellschaftsverträge bestimmte Regelungen zur Nachfolge, die den Ausgang der Gespräche in der einen oder anderen Weise binden.Footnote 11

Beispiel

Ugur und Freya sind seit mehr als vierzig Jahren verheiratet. Neben den drei gemeinsamen Kindern hat keiner der beiden weitere Kinder. Zu Beginn der Ehe verfügten weder Ugur noch Freya über nennenswertes Vermögen. Größere familiäre Vermögenszuflüsse sind weder auf Seiten Ugurs noch auf Seiten Freyas für die Zukunft zu erwarten. Im Zeitpunkt der Eheschließung machten sich beide keine Gedanken über den Güterstand. Auch später wurde der gesetzliche Güterstand nie modifiziert.

Letztwillige Verfügungen wurden bislang nicht errichtet. Nach der gesetzlichen Erbfolge würden damit Freya, Anna, Brian und Charlotte eine Erbengemeinschaft bilden. Footnote 12 Der Erbteil von Freya wäre dabei eine Hälfte, Footnote 13 derjenige der Kinder jeweils ein Sechstel. Footnote 14

Die wesentlichen Vermögenswerte stellen zum einen die S-GmbH dar, deren Alleingesellschafter Ugur ist. Die S-GmbH erwirtschaftet ein EBIT von etwa EUR 800.000 pro Jahr. Footnote 15 Daneben tritt ein an die S-GmbH verpachtetes Grundstück. Das Grundstück war vor vielen Jahren im Zuge der Umwandlung von dem damals noch einzelkaufmännischen Unternehmen in die jetzige GmbH an Freya übertragen worden. Grund für die Übertragung in das Alleineigentum von Freya war damals die Vermögenssicherung, sollte die S-GmbH insolvent werden und es zu einem Haftungsdurchgriff auf das Vermögen des Ugur kommen. Das unbelastete Wohnhaus des Ehepaares steht im hälftigen Miteigentum von Freya und Ugur. Footnote 16 Damit ist das Vermögen im Vergleich zu anderen Fällen noch sehr einfach strukturiert.

Das an die S-GmbH verpachtete Grundstück hat einen Wert von etwa EUR 1.000.000 und jeder Miteigentumsanteil am Wohnhaus von etwa EUR 800.000.

Größere anrechenbare Schenkungen an die Kinder gab es bisher nicht; schenkungs- und erbschaftssteuerliche Freibeträge stehen daher unverbraucht zur Verfügung.

Die notwendige Offenheit vorausgesetzt ist die erbrechtliche Bestandsaufnahme meist wenig konfliktträchtig und mit überschaubarem Zeitaufwand abschließbar. Auch aus diesem Blickwinkel bietet es sich an, damit zu beginnen. Die Beteiligten finden in einen gemeinsamen „Arbeitsmodus“, der zudem mit einem schnellen ersten Erfolgserlebnis endet. Ein solcher „erfolgreicher“ Beginn kann als Katalysator für konstruktives weiteres Zusammenarbeiten wirken und gerade bei anfänglich skeptischen Teilnehmern ohne Mediationserfahrung einen positiven Impuls setzen.

7.3.2.3 Themenkreis Unternehmensführung

Die Erfassung des Sachverhaltes und der Beteiligtenpositionen die Unternehmensführung betreffend stellt sich häufig bereits als weitaus konfliktträchtiger dar. Auch wenn im Fokus der Mediation die Gestaltung der Zukunft steht, wird in diesem Stadium regelmäßig auch die familiäre Vorgeschichte relevant. Es stellt sich dabei oft heraus, dass erst eine umfassende Aufarbeitung der Vergangenheit den nächsten Schritt in die Zukunft ermöglicht.Footnote 17 Es geht dabei nicht darum, dass einer der Beteiligten Recht bekommt, sondern vielmehr darum, dass sich jede Seite mit ihrer subjektiven Version der Vergangenheit, vielleicht zum ersten Mal, wirklich gehört fühlt.

Naturgemäß kann dies zu einem sehr emotionalen Austausch führen, den die Mediatorin um seiner Funktion willen auch zulassen sollte. Für den Prozess reicht es dabei oftmals aus, das Bestehen unterschiedlicher subjektiver Realitäten anzuerkennen und alle Fassungen als jeweils eine Sichtweise stehen zu lassen. Gefährlich wäre es demgegenüber, die den Beteiligten bekannten „Minenfelder“ unter dem Teppich zu belassen. Die Erfahrung zeigt wieder und wieder, dass solche übergangenen Problembereiche im späteren Verlaufe des Prozesses ohnehin irgendwann sichtbar werden. Der verspätete Ausbruch eines Vulkans kann den gesamten Prozess nachhaltig stören oder sogar insgesamt gefährden.

7.3.2.3.1 Generationenübergreifende Führungsnachfolge

Inhaltlich steht zunächst die Frage der aktuellen Unternehmensführung und der Führungskultur im Zentrum des Gesprächs. Anschließend geht es um bereits getroffene Dispositionen im Hinblick auf die Struktur der Führungsnachfolge. Auch wenn es in dieser Phase zunächst noch nicht um Vorschläge für die zukünftige Gestaltung der Nachfolge geht, wird an dieser Stelle häufig schon eine Präferenz einiger Gesprächsteilnehmer für eine familieninterne Nachfolge erkennbar. Das kann sich zum Beispiel in einer Verengung der vorgetragenen Positionen auf einen oder mehrere familieninterne Nachfolger in der Führungsverantwortung äußern. Durch gezielte Nachfragen kann die Mediatorin an dieser Stelle die Möglichkeit einer Fremdgeschäftsführung zur Sprache bringen und damit das Feld möglicher Lösungen für den weiteren Verlauf der Gespräche offen halten.

Die Frage der Übertragung von Führungsverantwortung betrifft dabei nicht nur die Auswahl der Nachfolger, sondern natürlich auch die weiteren Rahmenbedingungen. Hierzu zählt beispielsweise die womöglich erforderliche Vorbereitung einer Nachfolgerin, der Umbau der Führungsstruktur des Unternehmens, der zeitliche Horizont, die Gestaltung der Übergangsphase sowie die Kommunikation nach innen oder außen. In diesem Sinne wird ggf. zu erfragen sein, wie sich der jeweilige individuelle Gesamtplan zusammensetzt. Es sei aber erneut betont, dass es hier nur um bereits bestehende Pläne der Beteiligten geht, denn das gemeinsame kreative Nachdenken über Nachfolgeoptionen hat eigentlich erst in der vierten Phase der Gespräche seinen Platz.

7.3.2.3.2 Generationeninterne Führungsfragen

Mit der vertikalen Übertragung der Führungsverantwortung von einer Generation auf die nächste gehen häufig weitere horizontale Herausforderungen innerhalb des künftigen Führungsteams einher. Betrachtet man die drei klassischen Ausgestaltungen von Familienunternehmen – das patriarchalische Einmann-Unternehmen, das Geschwisterunternehmen und das Cousinen-Konsortium alias FamiliendynastieFootnote 18 – wird deutlich, dass mit jedem Wechsel von einer dieser Konstellationen in eine andere massive Änderungen der Führungsstruktur einhergehen müssen. Dennoch kommt es häufig vor, dass die Beteiligten bei der Bestandsaufnahme hierzu wenig bis nichts erwähnen. Das ist für den Fortgang des Verfahrens immerhin nicht unmittelbar hinderlich, weil auch diese Aufgaben eigentlich in der vierten Planungsphase besser aufgehoben sind.

Beispiel

In der Familie von Freya und Ugur hatte Mireille die Gesprächsteilnehmer eingangs darauf hingewiesen, dass die Mediation voraussichtlich einige Höhe und Tiefen durchlaufen werde. Dennoch hielt die gute Stimmung bis zum Ende der erbrechtlichen Bestandsaufnahme. Anna, Brian und Charlotte waren positiv überrascht, wie bereitwillig Ugur auch seine Finanzen offenlegte. Ugur freute sich seinerseits über die aktive Teilnahme und das Interesse seiner Kinder.

Anschließend kam es allerdings zu einer ersten konfrontativen Auseinandersetzung, als Ugur seine Vorstellungen für die Verantwortungsübergabe teilte. Nach seinen Vorstellungen sollte Anna in den nächsten Jahren mehr und mehr operative Aufgaben übernehmen und dann auch zur Geschäftsführerin berufen werden. Er selbst wolle aber weiterhin Mit-Geschäftsführer bleiben. Brian sollte erst nach seinem vollständigen Ausscheiden Prokurist werden. Es war klar ersichtlich, dass es nach den Vorstellungen von Ugur letztlich nicht zu einer neuen Führungsstruktur kommen würde, weil er als „graue Eminenz“ weiterhin der zentrale Entscheidungspunkt bleiben wollte; vermutlich auch nach seinem formalen Ausscheiden aus dem Unternehmen.

Dieser Vorschlag traf sowohl bei Anna als auch bei Brian auf wenig Gegenliebe. Anna hatte sich ihrerseits Gedanken gemacht und berichtete nun davon. Sie hatte schon längere Zeit darüber nachgedacht, die S-GmbH zu verlassen und zu einem großen börsennotierten Unternehmen zu wechseln. Man hatte ihr mehrfach interessante Angebote zur Leitung von Tochtergesellschaften oder Einzelbereichen anderer Unternehmen unterbreitet. In der Vorbereitung auf dieses Treffen hat sie diese Option eher skeptisch betrachtet. Da sie nun aber den Eindruck habe, von ihrem Vater immer noch nicht als wichtiges Mitglied der Unternehmensleitung betrachtet zu werden, tendiere sie nun zum Wechsel. Offensichtlich fänden ihre strategischen Fähigkeiten in anderen Häusern deutlich mehr Wertschätzung. Auch sei sie nicht sicher, ob die S-GmbH für die nächsten Jahre erfolgreich aufgestellt sei. Das Thema habe sie mehrfach angesprochen, aber Ugur habe stets harsch und abwertend auf jede noch so kleine Anmerkung dazu reagiert.

Auch Brian zeigte sich mit der aktuellen Situation wie auch mit seinen Aussichten unzufrieden. Er werde keinesfalls „ewig normaler Angestellter“ bleiben und sei enttäuscht, dass man ihm bis heute nicht einmal die Prokura verliehen habe. Zwar sei er fachlich aktuell im Marketing zuhause, sein mehrfach angesprochener Wunsch und Wille, sich in Richtung der Unternehmensführung fortentwickeln zu wollen, habe aber nie Gehör gefunden. Er arbeite gerne mit Anna zusammen, aber nicht dauerhaft „unter ihr“. Ihm sei unklar, wie ohne gleiches Gewicht von Anna und ihm die Zusammenarbeit funktionieren solle. Gleichzeit sehe er selbst, dass er in seiner aktuellen Funktion in der S-GmbH weit von den Entscheidungen der Schaltzentrale entfernt sei.

Charlotte nahm an dem Gespräch in diesem Stadium wenig teil, obwohl Mireille mehrfach versuchte, sie einzubinden. Im weiteren Verlauf stellte sich dann heraus, dass sie ihr Studium nicht fortsetzen wollte. Als Springerin fühle sie sich gänzlich unterfordert, habe aber in den letzten Monaten die S-GmbH insgesamt als spannende Unternehmung kennengelernt. Insgesamt schien sie zu diesem Zeitpunkt selbst nicht so recht zu wissen, wie es für sie beruflich weitergehen sollte.

Der Fall der Familie von Freya und Ugur zeigt, dass die mediativ begleitete Planung der Unternehmensnachfolge durchaus eine Zeit lang in kooperativem Fahrwasser unterwegs sein kann. Zugleich lässt sich nun erkennen, dass die Gesprächsführung höchste Ansprüche an Autorität und Kommunikationsfähigkeiten der Mediatorin stellt, sobald sich die Beteiligten auf einander widersprechende, vorgeplante Positionen zurückziehen. Das Verfahren wird diese Hindernisse nur geordnet überstehen, wenn die Mediatorin drei Dinge klar vermittelt: Erstens geht es an dieser Stelle noch nicht um Pläne, sondern nur um Vorfälle und Vereinbarungen aus der Vergangenheit; auf dieser Verfahrensregel muss die Mediatorin ruhig, aber auch unerbittlich bestehen. Zweitens darf jede Gesprächsteilnehmerin ausreden, während die anderen ihr zuhören. Und drittens geht es an dieser Stelle nur um individuelle Perspektiven, nicht aber darum, die Wahrheit zu finden oder die beste Unternehmensstrategie zu küren.

7.3.2.4 Themenkreis Ownership

Eine von der Führungsverantwortung sinnvollerweise zu trennende Frage ist diejenige, wem das Familienunternehmen zukünftig gehören sollte, wer also Anteile am Unternehmen halten sollte. Hier geht es zunächst um den Status quo von Inhaberstruktur und Binnenorganisation der Gesellschafter. Darüber hinaus stellt sich natürlich auch die Frage, wann und wie die Inhaberschaft übergehen soll. Auch an dieser Stelle zeigt sich häufig die eine gedankliche Vorfestlegung der Beteiligten, die regelmäßig in Richtung familieninterner Übertragungen geht. Damit werden die spezifischen Vor- und Nachteile weiterer Möglichkeiten, wie etwa ein Management-Buyout, Management-Buyin, eine Veräußerung an strategische Investoren oder an Finanzinvestoren, nicht bedacht.

Gerade beim Wechsel von einem Einpersonen-Unternehmen zu einer Struktur mit mehreren Gesellschaftern gehen die Beteiligten oft davon aus, dass die Unternehmensführung auch nach der Übertragung keine formalen Strukturen benötigt. Im Rahmen der Bestandsaufnahme kommt der Themenkreis Binnenstruktur dann gar nicht vor. Dieser Ansatz übersieht jedoch die Dynamiken innerhalb mehrköpfiger Eigentümerstrukturen und liefert eine Blaupause für unternehmerischen Misserfolg. Es ist daher empfehlenswert, die Strukturen vor oder im Rahmen der Unternehmensübergabe zum Gegenstand der Nachfolgeplanung zu machen. Im Idealfall werden die entsprechenden Regularien und Vereinbarungen nie wieder gebraucht. Im weniger günstigen Fall können sie zumindest positiven Einfluss auf die Dynamik von Gesellschafterkonflikten nehmen und durch die Kanalisation derselben das Ausufern von Gesellschafterauseinandersetzungen vermeiden. Es bietet sich an, dass die Mediatorin die Vorstellungen des Unternehmers sowie weiterer Beteiligter hierzu durch Fragen herausarbeitet.

Beispiel

In der Familie von Freya und Ugur benötigten sämtliche Beteiligte nach der Darstellung ihrer jeweiligen Sichtweise zur künftigen Unternehmensführung dringend eine längere Pause. Auch nach dieser Unterbrechung herrschte noch eine deutlich angespannte und wenig positive Stimmung. Dies konnte Mireille jedoch mit dem Hinweis einfangen, dass sich das Team mitten im anstrengendsten Teil der Gespräche befand.

Ugur merkte dazu an, dass er sich nicht mehr sicher sei, ob seine ursprüngliche Vorstellung noch richtig sei. Er hatte vorgehabt, zunächst an Anna 11 % und an Brian 9 % der Anteile an der S-GmbH zu übertragen. Mit seinem Ausstieg sollten Anna und Brian dann jeweils weitere 40 % der Anteile erhalten, so dass Anna Mehrheitsgesellschafterin und Brian Minderheitsgesellschafter werden würde, sofern Charlotte dann nicht im Unternehmen tätig wäre. Sollte sich dies ändern, sollten sich Brian und Charlotte den 49 %-Minderheitsanteil teilen. Andernfalls sei Charlotte finanziell gerecht abzufinden, ohne dabei die S-GmbH wie oder Anna und Brian über Gebühr zu belasten. Genauere Überlegungen hierzu habe er sich aber noch nicht gemacht. Nunmehr sei ja offen, ob Anna überhaupt dauerhaft die S-GmbH leiten wolle, so dass dieser gesamte Plan auf der Kippe stehe.

Für Brian stand analog zur Frage der Geschäftsführung fest, dass er den gleichen Anteil wie Anna an der S-GmbH erhalten müsse. Dauerhaft sei das Projekt S-GmbH für ihn nur bei Gleichberechtigung der Geschwister denkbar. Das Verhältnis von Anna und ihm werde sich dann schon regeln.

Charlotte wiederum sah sich abermals ausgegrenzt, da sie in den Plänen ihres Vaters und der Geschwister in Bezug auf die S-GmbH keinerlei Rolle spiele. Die Brücke zu Fragen der Vermögensnachfolge insgesamt schlug Charlotte unmittelbar und energisch. Hierzu jedoch sogleich.

7.3.2.5 Themenkreis Familie

Die Vermögensnachfolge im Allgemeinen – d. h. der Übergang auch der nicht mit dem Unternehmen zusammenhängenden Vermögensbestandteile – ist in aller Regel ein familieninternes Thema, weil die meisten Erblasser im Wesentlichen an Familienangehörige vererben möchten. An erster Stelle stehen dabei die eigenen Kinder. So wollen etwa vier von fünf Erblassern ihnen etwas vererben. Danach folgen mit schon gehörigem Abstand die Ehepartner und Enkelkinder als vorgesehene Erbempfänger. Dies trifft für gut vier beziehungsweise drei von zehn Erblassern zu. Nach Geschwistern, Lebensgefährten sowie Neffen und Nichten finden sich erst an den nächsten Stellen, mit Stiftungen und gemeinnützigen Organisationen gefolgt von Freunden und Bekannten, erste familienfremde Erben. Dabei hat nur etwa jeder zwanzigste Erblasser die Absicht, Nachlass außerhalb der Familie zu verteilen.Footnote 19

7.3.2.5.1 Verteilung des Vermögens

Um in der vierten Planungsphase Ideen zur Vermögensverteilung entwickeln zu können, müssen die Beteiligten in der Bestandsaufnahme den Vermögensbestand als solchen in den Blick nehmen. Viele Unternehmer möchten ihre Vermögensverhältnisse dabei zunächst nicht umfassend offenlegen, die wesentlichen Eckpunkte sollten aber Erwähnung finden. Solange es im weiteren Verlauf der Gespräche nicht auf exakte Summen ankommt, können die Beteiligten auch zunächst mit Größenordnungen oder auch mit Kategorien arbeiten, also von Immobilienvermögen, liquidem Vermögen etc. sprechen.

Die Anteile am Unternehmen stellen dabei eine wichtige, aber meist nicht die einzige Vermögensposition dar. Bezogen auf Familienunternehmen sind freilich häufig 70 % bis 90 % des Vermögens im Unternehmen gebunden. Gerade wenn das Unternehmen nur an einzelne Kinder übertragen werden soll, kommen regelmäßig bereits an dieser Stelle erste Fragen der familieninternen Ausgleichung auf. Dies gilt sowohl für den Fall einer beabsichtigten Gleichverteilung des gesamten Nachlasses wie auch im Falle bestehender Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche. Die hohe Kapitalbindung im Unternehmen kann und wird häufig dazu führen, dass keine ausreichenden liquiden Mittel vorhanden sind, um damit Ausgleichsansprüche erfüllen zu können.

Schließlich sind auch zu erwartende Erbschaftssteuerbelastungen im Blick zu behalten. Meist wird – da die konkrete Umsetzung noch nicht feststeht – hier nur in Kategorien und ersten Annahmen zu denken sein. Dennoch sollte diese Thematik von Anfang an, wenn auch nur als Platzhalter, mit auf das Tableau gebracht werden.

7.3.2.5.2 Vorsorge und Absicherung

Neben dem aktuellen Vermögensbestand sollten die Beteiligten stets auch die weitere finanzielle Lebensgestaltung der Erblasserin bedenken. Zunächst ist davon auszugehen, dass einmal übertragenes Vermögen der weichenden Unternehmerin anschließend auch nicht mehr zur Verfügung steht. Gerade bei der Übertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf jüngere Ehegatten wird dies gelegentlich übersehen. Die Folgen können im Einzelfall dramatisch sein. So liegen die Dinge etwa, wenn die Ehegattin einer Unternehmerin im Streit ihre Macht aufgrund übertragener Anteile ausnutzt und Entscheidungen im Unternehmen blockiert.

Weniger spektakulär, dafür jedoch in nahezu jedem Fall der Nachfolgeplanung relevant ist die finanzielle Vorsorge im Hinblick auf eine spätere Lebensphase der Unternehmerin ohne laufendes Erwerbseinkommen. Hier ist zunächst der realistische Bedarf zu ermitteln, bevor in einer späteren Gesprächsphase Instrumente der Bedarfsdeckung zu erwägen sind. Dabei ist zu beachten, dass der Wechsel von einem oft jahrzehntelangen Vermögensaufbau hin zu einem Vermögensverbrauch psychologisch äußerst schwierig sein kann. Dies gilt unabhängig von dem zur Verfügung stehenden Gesamt- und Restvermögen und kann im Extremfall zu gravierenden Existenzängsten führen.Footnote 20 Selbst ein Restvermögen, das bei noch so optimistischer Lebenserwartung jeden noch so pessimistisch geplanten Finanzbedarf übersteigt, feit die Betroffenen erfahrungsgemäß nicht gegen solche Ängste. Neben der Absicherung der Unternehmerin sind schließlich auch gewollte Absicherungen weiterer Personen, wie etwa der Ehegatten, zu erfassen.

Weniger gut greifbar ist die Behandlung weicher Faktoren, die mit einer Unternehmensnachfolge einhergehen. Dennoch setzt eine umfassende Nachfolgegestaltung auch einen Austausch darüber voraus, welche Veränderungen im Hinblick auf die sozialen Bindungen und den sozialen Status zu erwarten sind. In etlichen Fällen haben Verantwortliche ihre Positionen und Aufgaben – samt Büro und Statusfaktoren wie etwa Firmenfahrzeug samt Fahrer – vor allem deswegen beibehalten, weil sie eine nachteilige Statusveränderung vermeiden wollten. Man muss dieses Statusdenken nicht als mehr oder weniger zielführend bewerten, die Motivation dahinter sollte jedoch ermittelt und besprochen werden. Die Erfahrung lehrt, dass an dieser Stelle wenig Selbsterkenntnis und Offenheit zum Austausch besteht.

Beispiel

Die Nachfolgeplanung in der Familie von Freya und Ugur verlief wie folgt weiter:

Charlotte war von der Darstellung ihres Vaters und den Vorstellungen ihrer Geschwister zwar nicht wirklich überrascht. Dennoch war sie tief getroffen davon, dass sie bei der künftigen Unternehmensführung und im Gesellschafterkreis keine Rolle spielen sollte. Daher brach es brüsk aus ihr heraus, dass sie ja hoffentlich wenigstens ihren fairen Anteil am Vermögen erhalten würde.

Unter großem Erstaunen der anderen berechnete sie sogleich auch den aktuellen Unternehmenswert der S-GmbH. Hierbei legte sie ein „übliches“ EBIT-Multiple von 8 zugrunde. Alleine ein Drittelanteil an der S-GmbH sei daher gute 2 Millionen Euro wert. Augenscheinlich hatte sich Charlotte intensiv beraten lassen. Dies bestätigte sie mit dem Hinweis, eine umfassende Vorbereitung auf das Wochenende hätte Ugur doch gerade verlangt und letztlich sei nichts eingetreten, was sie nicht erwartet hätte.

Anna und Brian hatte Charlotte damit aus der Fassung gebracht. Sie entgegneten, Ugur sei immerhin noch am Leben, so dass es aktuell gar nichts zu verteilen gebe. Eine Übertragung von Anteilen an der S-GmbH sei sinnvoll, um den Generationenwechsel im Unternehmen einzuleiten, weiteren Anlass für Vermögensübertragungen gebe es nicht. Eine Zahlung im Millionenbereich könne sich weder die S-GmbH noch einer der Beteiligten leisten und schließlich hätte Charlotte für den Aufbau des Unternehmens im Gegensatz zu ihnen nichts geleistet. Die Bewertung sei zudem völlig überzogen. Eine Bewertung der Anteile an der S-GmbH, deren Wert sie schließlich mitgeschaffen hätten, könne man nicht an den Bewertungsmethoden von „Heuschrecken“ ausrichten.

Ohne dass er sich dies hätte anmerken lassen, war Ugur zwar überrascht von der unvermittelten Geschäftstüchtigkeit seiner Tochter, zeigte sich aber eher beeindruckt als erschrocken. Jedenfalls sollten alle Kinder das Gleiche von ihm als Erbe bekommen. Gleichzeitig müsse die S-GmbH auf solidem finanziellem Fundament bleiben. Genauere Überlegungen, wie eine Lösung aussehen könnte, die beide Anliegen in Einklang bringt, hatte er nicht angestellt. Die Übertragung der ersten Anteile sah er als einen ersten Schritt der Einbindung in die Gesellschafterrolle und als Vorbereitung auf die spätere gemeinsame Inhaberschaft.

Da Ugur weiterhin 80 % der Anteile an der S-GmbH halten wollte, gab es keinerlei Überlegungen zu seiner finanziellen Altersvorsorge oder der Frage seiner „nächsten Lebensaufgabe“. Letztlich ging Ugur wohl zunächst von noch längerer Geschäftsführung und dann von dem Status als „graue Eminenz“ aus.

Mireille hatte Ugur und seine Kinder zwar von Anfang an gewarnt, dass der Abschnitt der Bestandsaufnahme häufig der emotional anstrengendste und konfliktträchtigste sei, dennoch waren alle Beteiligten niedergeschlagen und wenig hoffnungsvoll, den Prozess der Nachfolgeplanung erfolgreich und einvernehmlich regeln zu können. Entgegen ihrem eigentlichen Plan war es Mireille auch nicht gelungen, das Gespräch an einer Verteilungsdebatte vorbeizulenken. Sie regte daher an, den Abend nicht mit einem gemeinsamen Abendessen auslaufen zu lassen, sondern jedem Abstand und Zeit alleine zu gönnen.

Auch wenn das Planungsverfahren von einer klaren Trennung der einzelnen Phasen profitiert, lassen sich Abweichungen von diesem Idealbild in der Praxis regelmäßig nicht vermeiden. Wenn die Beteiligten bereits im Rahmen der Bestandsaufnahme mit Lösungsvorschlägen aufwarten, kann ihnen die Mediatorin weder das Wort abschneiden noch den Mund verbieten. Zugleich sollte es das stete Bemühen des neutralen Dritten sein, die Gesprächsteilnehmer thematisch so zu führen, dass diese „Phasenausreißer“ die Ausnahme bleiben. Erfahrene Mediatoren tun dies zum einen mit einer zu Beginn jeder Phase klaren Beschreibung und Visualisierung dessen, worum es jetzt geht. Zum anderen verdeutlichen sie auch während des Gesprächs durch die Richtung ihrer Fragen und durch die Formulierung ihrer Paraphrasen, dass es in der Bestandsaufnahme um eine Sachverhaltserfassung und einen Meinungsaustausch, aber noch nicht um Vorstellungen über die Zukunft des Familienunternehmens geht.

7.3.3 Phase 3: Konzentration auf Interessen

Die auf die Bestandsaufnahme folgende dritte Planungsphase dient der Erörterung der Interessen und Bedürfnisse aller Beteiligten.Footnote 21 Auch hier sind Mediatoren gut beraten, die Beteiligten im Hinblick auf das Gesprächsthema eng zu führen, denn auch hier gibt es einen natürlichen, aber nicht verfahrensdienlichen Drift dahin, sich bereits vorzeitig mit konkreten Nachfolgeoptionen zu beschäftigen.

In Fällen mit Bezug zur Unternehmensnachfolgeplanung treten viele Interessen zu Tage, die auch in klassischen Erbrechtsfällen eine Rolle spielen. Hierzu zählen etwa Gerechtigkeit, Beziehungswahrung, Familienfriede und auch ein faires Verfahren zur Konfliktbeilegung.Footnote 22 Die Besonderheit in Bezug auf Unternehmerfamilien ist darin zu sehen, dass daneben noch spezifisch unternehmensbezogene Interessen treten.

Verbindend ist dabei, dass es auch bei der erbrechtlichen Gestaltungsmediation im Hinblick auf Unternehmensnachfolgeplanungen auf der Ebene von Unternehmer und Nachfolgern um individuelle Bedürfnisse geht. So ist kaum vorstellbar, dass eine tragfähige dauerhafte Nachfolgelösung bei einem Verstoß gegen universelle Bedürfnisse wie Gerechtigkeit und Fairness zustande kommt. Hierbei sind neben den Hauptakteuren auch die weiteren Beteiligten der drei Kreise im Blick zu behalten. Eine tragfähige Unternehmensnachfolgelösung ist für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens zwingend erforderlich und von Unternehmer wie weiteren Beteiligten gewollt. Diese Tragfähigkeit schließt auch die größtmögliche Freiheit von destruktiven Konflikten ein. Die dabei zu berücksichtigende besondere Komplexität der Unternehmensnachfolgeplanung lässt sich ein Stück weit einfangen durch ein Drei-Kreise-Modell, das die drei Bereiche Gesellschafter, Geschäftsführung und Gesamtvermögen strukturiert bearbeitet. Zugleich werden damit die bereits allgemein dargestellten Schritte zur Interessenerforschung in Anlehnung an Elemente des St. Galler Nachfolge-ModellsFootnote 23 modifiziert.

7.3.3.1 Die Familiencharta als normatives Element

Bei der Betrachtung der Interessen können Familienunternehmen, bedingt durch ihre Struktur und die vielen Verflechtungen, einen signifikanten Vorteil aufweisen. So besteht häufig bereits ein normativer Rahmen für die kollektivierten Interessen. Damit sind solche Interessen gemeint, die von den Beteiligten kollektiv anerkannt sind. Anders als im Falle eines isolierten ad-hoc Konfliktes können die Beteiligten der Unternehmensnachfolgeplanung auf ein – explizites oder implizites – Gerüst an gemeinsamen, zunächst neutral formuliert, „Übereinkommen“ zurückgreifen. Dabei soll nicht außer Acht bleiben, dass diese autonom gesetzt, aber auch durch Tradition oder auf sonstigem Wege oktroyiert sein oder wahrgenommen werden können.

Sofern in Unternehmerfamilien derartige Übereinkommen bereits vorhanden sind, finden sich verschiedene Bezeichnungen dafür wie etwa Familienverfassung oder Leitbild, die beispielsweise in einem Familienrat erarbeitet werden können.Footnote 24 Bisweilen haben solche Übereinkommen eine lange Tradition in der Unternehmerfamilie, häufig werden sie aber auch im Rahmen der Nachfolgeplanung erstmals explizit besprochen und in Kraft gesetzt.

Familienunternehmen benötigen auf verschiedenen Ebenen jedenfalls ein gemeinsames Selbstverständnis, aus dem heraus dann Lösungen für konkrete Fragestellungen erarbeitet werden können. Für diesen übergeordneten Rahmen – im St. Galler Nachfolge-Modell die „normative Ebene“ genannt – wird nachfolgend der Begriff der Familiencharta verwendet. Unter einer Familiencharta wird daher im Folgenden die interne Verfassung der Familie verstanden. Alle (Unternehmer-) Familien besitzen zumindest eine implizite, also vorausgesetzte aber nicht explizit ausgesprochene Familiencharta in diesem Sinne. In vielen Fällen ist diese in einem Dokument oder aufgeteilt auf verschiedene Stellen schriftlich zusammengefasst.

In dem hier zugrunde gelegten Verständnis geht es dabei nicht um ein Dokument mit Rechtsverbindlichkeit im Sinne eines bindenden Vertrages. Dies darf bei der Aufstellung der Familiencharta durchaus explizit Erwähnung finden, damit daraus nicht später rechtliche Ansprüche hergeleitet werden, die ursprünglich daraus nicht erwachsen sollten.Footnote 25

Eine Familiencharta in dem hier zugrunde gelegten Verständnis stellt insofern eine freiwillige Absichtsbekundung der Familie dar und setzt umfassende Übereinstimmung voraus.Footnote 26 Erst aus dieser freiwilligen Übereinstimmung folgt ihre Legitimation, die dann allerdings wirkungsvoller als eine vermeintliche, rechtliche Bindungswirkung sein kann. Denn im Krisenfall sind rechtliche Ansprüche in der Regel streitig und motivieren zur Suche nach „Schlupflöchern“ und „Umgehungsmöglichkeiten“, während eine freiwillig eingegangene Selbstverpflichtung vergleichsweise selten in Frage gestellt wird.

Eine Familiencharta zielt primär auf den Kern der Unternehmerfamilie. Es sollen mit der Charta nicht bereits bestehende Konflikte punktuell gelöst werden, sondern man vereinbart präventiv eine gemeinsame Richtung.Footnote 27 Bezogen auf den Kreis des Unternehmens geht es dabei vor allem um Unternehmenswerte und die Unternehmenskultur; übertragen auf Familienunternehmen stehen die generellen Ziele von Familie und Unternehmen im Mittelpunkt sowie deren Werte, Prinzipien, Normen und Spielregeln.Footnote 28 Die so gefundene gemeinsame Ausrichtung dient dann als Leitlinie für künftige Strategien, Taktiken und Einzelentscheidungen. Die dadurch erreichte Legitimation der Entscheidungen kann, so zeigt die Erfahrung, deutliches Konfliktvermeidungs- oder Konfliktdeeskalationspotenzial entfalten.

Abschließend ist zu beachten, dass selbst in traditionsverbundenen Unternehmerfamilien der Inhalt der Familiencharta einem gewissen Wandel unterworfen ist. Insoweit handelt es sich bei der Aufstellung und Entwicklung einer Familiencharta immer auch um einen iterativen Prozess. Dabei kann die gemeinsame Auseinandersetzung der Familie mit ihrer Charta und deren Weiterentwicklung zum einen ein sehr verbindendes Projekt gerade für die jeweils nächste Generation in Inhaberschaft und Führung sein. Zum anderen wird durch die Überprüfung und gegebenenfalls Modifikation durch die folgende Generation die Wahrscheinlichkeit der fortgeltenden Akzeptanz erhöht. Auch hier gilt die Erkenntnis, dass autonom gefundene Lösungen zu einem hohen Grad umgesetzt beziehungsweise eingehalten werden.

7.3.3.2 Die Nachfolgecharta

Spätestens im Rahmen der Unternehmensnachfolgeplanung ist eine bewusste Auseinandersetzung mit den expliziten und impliziten normativen Regelungen der Unternehmerfamilie und damit mit ihrem Selbstverständnis angezeigt. Als Spezialfall der Familiencharta kann ein Ausschnitt gelten, der sich speziell mit Nachfolgefragen oder den Fragen, die im Rahmen einer Nachfolgeplanung relevant werden, befasst. Im Folgenden findet hierfür der Begriff der Nachfolgecharta Verwendung.Footnote 29 Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob die Nachfolgecharta bereits in die Familienverfassung integriert ist, daneben steht oder für den Einzelfall entwickelt wird. Es bietet sich nämlich ohnehin an, diese für den konkreten Einzelfall neu zu überdenken, fortzuentwickeln und mit allen Beteiligten abzustimmen.

Es empfiehlt sich weiterhin, die Nachfolgecharta thematisch an dem bereits erwähnten Drei-Kreise-Modell zu orientieren. Damit ist sichergestellt, dass sich die Charta mit allen drei relevanten Kontexten namentlich Familie, Unternehmen (Control) und Gesellschafter (Ownership) auseinandersetzt. Ebenso wie die Familiencharta die interne globale Verfassung der Unternehmerfamilie bezogen auf alle drei Kreise darstellt und damit deren Werte, Prinzipien, Normen und Spielregeln benennt, kann auch die Nachfolgecharta diese Aufgabe speziell mit Bezug zu Nachfolgefragen übernehmen. Im Hinblick auf die Struktur einer Gestaltungsmediation sind für die Nachfolgecharta insbesondere die Interessen der Beteiligten und bisweilen auch die in Betracht kommenden Nachfolgeoptionen von Bedeutung.

7.3.3.3 Nachfolgecharta und Individualinteressen

Wenn die Nachfolgecharta neben dem normativen Rahmen vor allem die kollektivierten Interessen in den Vordergrund stellt, finden diese meist noch einen Gegenpol in Form der Individualinteressen der Beteiligten. Die Nachfolgecharta bildet insoweit nur einen Ausgangspunkt. Denn selbst wenn sie umfassend und explizit ausformuliert ist, kann sie doch nur darstellen, welche Interessen das Gesamtsystem hat und jedes Mitglied über diese Brücke idealerweise teilen sollte. Die Frage, ob diese Interessen auf individueller Ebene auch tatsächlich geteilt werden, ist damit nicht geklärt. Vereinfacht ausgedrückt liefert eine Familiencharta oder Nachfolgecharta den Interessen-Soll-Zustand, der konkret zu verifizieren ist.

Konfligierende Individualinteressen können zum einen dann bestehen, wenn ein Akteur die kollektivierten Interessen nicht vollständig mitträgt. Dies ist insbesondere bei tradierten und oktroyierten Vorgaben, anders als bei einer gemeinsam entwickelten Nachfolgecharta, oft der Fall. Individualinteressen können aber auch individuelle Zusatzinteressen darstellen, die neben die Nachfolgecharta treten und sich daneben nicht spannungsfrei verwirklichen lassen.

7.3.3.4 Exemplarische Interessen in der Nachfolgecharta

Im Weiteren erläutert die Darstellung exemplarisch einige typische Kernthemen einer Nachfolgecharta. Dabei richtet sich das Augenmerk entsprechend dem Drei-Kreise-Modell wiederum nacheinander auf die Gesellschafter, die Geschäftsführung und die Familie.

7.3.3.4.1 Ownership: Die Gesellschafter

Bei der Betrachtung des Gesellschafterkreises steht das aktuelle und künftige Selbstverständnis des Familienunternehmens im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Dieses bietet den zentralen Ausgangspunkt für die Ableitung der künftigen Unternehmensinhaberschaft, also der sog. Ownership. Begriffsnotwendig für die Einordnung als Familienunternehmen ist gerade, dass die Unternehmerfamilie eine derart herausgehobene Eigentümerstellung einnimmt, dass das Unternehmen unter ihrer Kontrolle steht.

Auf inhaltlicher Ebene bilden die Gründe und Motive für die einzelnen Eigentümerentscheidungen die kollektiven Interessen mit Bezug zur und ausgerichtet auf die Ownership-Ebene. Als erstes kommt diesbezüglich meist das Interesse nach Sicherung der Lebensgrundlage der Unternehmerfamilie in den Sinn. Letztlich geht es dabei um den dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Gerade mit der Inhaberschaft an Familienunternehmen sind jedoch vielfach weitere, nicht zwingend monetäre Interessen selbst auf Gesellschafterebene verbunden. So wird dem Unternehmertum häufig auch ein (Lebens-) Sinn stiftendes Element beigemessen. Dies kann durch die Ziele der Unternehmung aber auch durch das Schaffen von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen begründet sein. Sofern und soweit es um den Einsatz der erwirtschafteten Mittel, etwa für soziale Zwecke oder Mäzenatentum, geht, verschwimmt die Grenze je nach Ausgestaltung zwischen den Kreisen Ownership und Familie.

Die Sicherung der Lebensgrundlage der Unternehmerfamilie setzt ein nachfolgewürdiges Unternehmen voraus. Sinnvoller Bestandteil einer Familiencharta ist daher die periodische Überprüfung des Geschäftsmodells und der Erfolgsaussichten des Unternehmens. Mit anderen Worten: Jedes Unternehmen sollte sich periodisch die Frage stellen, ob es in einem mittelfristigen Zeitraum noch eine Rechtfertigung für sein Bestehen gibt. Im Hinblick auf die Nachfolgeplanung kann man dies als Nachfolgewürdigkeit bezeichnen. Nur bei vorhandener oder hergestellter Nachfolgewürdigkeit ist der wirtschaftliche Erfolg hinreichend wahrscheinlich.

Auch wenn viele Unternehmer die Auseinandersetzung mit der Nachfolgewürdigkeit scheuen oder als gesetzt ansehen, ist es sinnvoll, dieses Thema ausdrücklich anzusprechen, um auf dieser Grundlage bewusste Entscheidungen zu ermöglichen. So spricht nichts dagegen, etwa ein renditeschwaches Unternehmen fortzuführen, um Arbeitsplätze zu erhalten und die Familientradition fortzusetzen, wenn hinreichende Einkünfte erwirtschaftet werden oder anderweitig vorhanden sind. Eine solche Entscheidung sollte jedoch auf Basis einer klaren Entscheidungsgrundlage getroffen werden, und die Beteiligten sollten sich in einem solchen Fall darüber klar sein, dass ihrer Entscheidung dann eine andere als die übliche Gesellschafterlogik zugrunde liegt.

Daneben tritt die ebenfalls periodisch zu untersuchende Fragestellung, ob das Unternehmen so aufgestellt ist, dass eine Nachfolge in Inhaberschaft und Führung erfolgreich umsetzbar erscheint. Dies spielt gerade in der Phase des Übergangs von einem patriarchalischen Einmann-Unternehmen zum nächsten Einpersonen-Unternehmen oder einem Geschwisterunternehmen eine entscheidende Rolle. Zweifel können dann angebracht sein, wenn sich Wissen und Fähigkeiten in einer Person vereinigen und daher keinen institutionalisierten, sondern einen personalisierten Vermögenswert darstellen. Auch dies ist im Falle patriarchalischer Einmann-Unternehmen nicht selten zu beobachten.

Sofern die Themen Nachfolgewürdigkeit und Nachfolgefähigkeit nicht bereits als Bestandteil der Familiencharta regelmäßige Beachtung finden, sollten die Gespräche über eine Nachfolgecharta dies thematisieren. Im Rahmen einer konkreten Betrachtung mag dann zutage treten, dass beispielsweise nur ein Teilbereich des Unternehmens fortgeführt werden sollte oder organisatorische Veränderungen notwendig sind. Hierzu können durchaus auch der Verkauf von Unternehmensteilen, die Veräußerung von nicht betriebsnotwendigem Vermögen oder die geordnete Einstellung des Geschäftsbetriebs oder Teilen hiervon unter Maximierung der Realisierung von Vermögenswerten gehören. Die Nachfolgecharta sollte sich mit dem Umgang mit erkannten Optimierungspotenzialen befassen. Im Hinblick auf die Fähigkeit des Unternehmens, fortgeführt zu werden, könnten die Beteiligten einen Befähigungsplan aufstellen, um die erkannten Defizite zu beheben. Dies setzt natürlich voraus, dass der Unternehmer hierzu bereit ist und diese objektiven Defizite nicht subjektiv positiv im Sinne eines machterhaltenden „Herrschaftswissens“ versteht.

Das Aufsetzen der Nachfolgecharta bietet zudem Anlass und Gelegenheit, die Unternehmensstruktur insgesamt grundlegend zu beleuchten. Auch an dieser Stelle gilt, dass im Tagesgeschäft diese Überprüfung allzu oft unterbleibt. Von Relevanz ist dabei nicht nur der gesellschaftsrechtliche, steuerliche und betriebswirtschaftliche Blickwinkel. Auch Überlegungen zur Tarifbindung, zum Betriebsverfassungsrecht sowie zur paritätischen beziehungsweise der Drittel-Mitbestimmung ebenso wie zu den Auswirkungen auf die Publizitätspflichten sollten die Beteiligten in den Blick nehmen.

Auch die zeitweise oder dauerhafte Internationalisierung im Gesellschafterkreis kann für die Planung bedeutsam sein. Themen wie Wegzugsbesteuerung oder die Auswirkungen ausländischer Steuerregimes müssen im Bedarfsfall detailliert in die Überlegungen einbezogen werden. Anlass dafür kann beispielsweise die Kenntnis von oder die Planung einer vorübergehenden oder dauerhaften Verlegung des Aufenthaltsortes von Gesellschaftern ins Ausland sein.Footnote 30 In einer zunehmend globalisierten Welt wächst die Bedeutung dieser Fragestellungen stetig an.

7.3.3.4.2 Control: Führungsnachfolge

Konstitutiv für ein Familienunternehmen ist, dass die Unternehmerfamilie die Geschicke des Unternehmens auch operativ maßgeblich mitbestimmt, also zumindest einzelne ihrer Mitglieder maßgeblichen Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben. Hierdurch unterscheiden sich Familienunternehmen von Unternehmen, die (nur) durch familiär verbundene Finanzinvestoren kontrolliert werden.

Bei der Unternehmensführung geht es letztlich um die bestmögliche Erledigung von Aufgaben zur Erreichung vordefinierter – nämlich auf Ebene der Gesellschafter gesetzter – Ziele. Deshalb stehen die prinzipiell austauschbaren Funktionsträger, nicht die Familienmitglieder als Individuen, im Vordergrund. Wie im Bereich Ownership steht freilich auch hier die Sicherung der Existenzgrundlage als Kerninteresse der Beteiligten im Mittelpunkt. Insofern sind auch Fragen der Führungsnachfolge vorrangig daran auszurichten, was dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens am meisten dient.

Herrscht innerhalb der Unternehmerfamilie Konsens dahingehend, dass Fragen der Unternehmensführung und insbesondere der Führungsnachfolge am prognostizierten wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens ausgerichtet werden, schlägt dies auf die Individualebene durch. Der Konsens erfordert eine Anpassung des familiären Gerechtigkeitsmaßstabes. Gilt innerhalb der Familie die Gerechtigkeitslogik der zur Ergebnisgleichheit führenden Gleichbehandlung oder der Ungleichbehandlung aufgrund Bedürftigkeit, erfordert die Ausrichtung am Unternehmenswohl die Logik der Leistungsgerechtigkeit.

Eine Einigung auf die Bedeutung von Leistungsgerechtigkeit und diesbezüglicher Transparenz in der Nachfolgecharta kann einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer erfolgreichen Unternehmensnachfolgeplanung darstellen. Denn zum einen steigt damit erfahrungsgemäß die Qualität der Nachfolgeentscheidung, und zum anderen ist mit diesem Vorgehen auch regelmäßig eine Stärkung der wahrgenommenen Prozessgerechtigkeit verbunden. Künftige destruktive Konflikte werden damit deutlich unwahrscheinlich.

Auch an dieser Stelle treten neben die gemeinsamen, unternehmensdienlichen Interessen auch im Hinblick auf die Führung des Unternehmens noch diverse individuelle Einzelinteressen der Mitglieder der Unternehmerfamilie, so etwa die häufig anzutreffenden Bedürfnisse nach Autonomie und Selbstverwirklichung, die gerade in den nachfolgenden Generationen häufig eine große Rolle spielen. Solche Individualinteressen sind in die Nachfolgeplanung natürlich einzubeziehen; insoweit bestehen jedoch gegenüber den allgemeinen Ansätzen und Prinzipien der Mediation keine wesentlichen Besonderheiten.

7.3.3.4.3 Familiäre Vermögensnachfolge

Damit verbleibt die Behandlung des Kreises der Familie im Rahmen der Nachfolgecharta. Letztlich lässt sich dieser Kreis negativ von den beiden Kreisen Ownership und Control her definieren: Sämtliche Ansätze und Regelungen, die nicht auf der Unternehmensinhaberschaft oder der Unternehmensführung beruhen, sind dem Kontext Familie zuzuordnen. Die familiären Kerninteressen lassen sich dabei regelmäßig in Gerechtigkeitsinteressen einerseits und existentielle Bedürfnisse andererseits unterteilen.

Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit ist bei den meisten Menschen so tief verankert, dass eine Nachfolgelösung, die unter grundlegenden Verstößen gegen Gerechtigkeits- und Fairnessvorstellungen zustande kommt, kaum ohne massive Konflikte vorstellbar ist. Die individuellen und kontextbezogenen Gerechtigkeitsvorstellungen divergieren dabei allerdings stark. Im Rahmen der Interessenermittlung ist daher zunächst das allseitige Interesse an einer gerechten Lösung festzuhalten. Weiterhin kann die Mediatorin transparent machen, dass die individuellen Definitionen im konkreten Anwendungsfall dennoch höchst unterschiedlich sein können. Auch wenn an dieser Stelle für eine konkrete Lösung noch nichts gewonnen ist, steigt alleine mit diesen beiden Erkenntnissen die Wahrscheinlichkeit deutlich an, dass die unterschiedlichen Meinungen als konstruktiver Sachkonflikt, unter Vermeidung einer destruktiven Konflikteskalation auf persönlicher Ebene, ausgetragen werden können.

Beispiele für typische Gerechtigkeitsvorstellungen im überwiegend familiären Kontext:

  1. (i)

    Bei langjähriger Mitarbeit im Unternehmen zu oftmals unter dem Drittvergleich liegender Vergütung haben die Übernehmer den Wert mitgeschaffen und erhalten deshalb einen Discount.

  2. (ii)

    Die Führung des Familienunternehmens war bisher und soll weiterhin weniger profitgetrieben sein, als dies von externen Erwerbern zu erwarten wäre, womit der wirtschaftliche Wert für die Folgegeneration sinkt.

  3. (iii)

    Die Übernahme des unternehmerischen Risikos soll finanziell belohnt werden.

  4. (iv)

    Die Übernahme der Familientradition soll finanziell belohnt werden.

  5. (v)

    Je nach Gesellschaftsform kann das Haftungsrisiko berücksichtigt werden; gleiches gilt, sofern von Banken oder anderen Dritten persönliche Haftübernahmen oder Sicherheiten erwartet werden.

  6. (vi)

    Die Bindung des entsprechenden Kapitals kann zu einer Abwertung führen.

  7. (vii)

    Die hohen psychischen und physischen Belastungen fließen in die Bewertung ein.

  8. (viii)

    Der Umfang des freien Vermögens reicht nicht aus, um für die interne Aufteilung den objektiven Unternehmenswert anzusetzen. Die widrigenfalls für die Folgegeneration resultierende finanzielle Belastung, die dann auf das Familienunternehmen durchschlagen kann, ist nicht gewollt.

Sämtliche der obigen Überlegungen sind nicht per se richtig oder falsch. Ihre Anwendung muss im konkreten Fall zwischen den Familienmitgliedern erörtert und entschieden werden. Kein Zweifel besteht jedoch daran, dass alleine die Transparenz hinsichtlich dieser Themen deeskalierend wirken kann.

Der Primat der Gerechtigkeit greift natürlich auch im Hinblick auf das restliche, ungebundene Vermögen. Auch hier werden viele Familienangehörige zustimmen, dass Gerechtigkeit durch familiäre Gleichbehandlung erreicht werden kann. Neben diesen grundlegenden Interessen der Familienmitglieder treten in der Regel sehr existentielle Bedürfnisse, so etwa das Streben nach Sicherheit, Liebe, Anerkennung und Zugehörigkeit.

Gerade der Unternehmer wird regelmäßig ein hohes Bedürfnis nach Sicherheit im Sinne wirtschaftlicher Absicherung im Alter haben. Dabei ist zu beachten, dass die Bausteine der finanziellen Absicherung nicht oder jedenfalls nicht gänzlich vom Unternehmen, und damit von dessen Fortbestand und Erfolg, abhängen sollten, um nicht mangels Diversifizierung des Ausfallrisikos ein „Klumpenrisiko“ entstehen zu lassen;Footnote 31 damit wäre nämlich dem Sicherheitsinteresse der Betroffenen zumeist nicht hinreichend Rechnung getragen.

Neben das Absicherungsinteresse treten gerade bei dem Übergeber häufig Sorgen hinsichtlich der weiteren Zugehörigkeit und des Lebenssinns. Diesen sollte eine Gestaltungsmediation Beachtung schenken, um dem Unternehmer das „Loslassen“ zu erleichtern. Besonders wichtig ist dies bei omnipräsenten Übergebern mit unklarer Rolle im Unternehmen, die für die Folgegeneration, aber auch für Führungskräfte und Mitarbeiter des Unternehmens schwer zu fassen sind. Der Zauber eines jeden Anfangs kann verpuffen, wenn der Schwung gemeinsam begonnener Planungen durch das Beharrungsvermögen „alter Kräfte“ gehemmt wird. Gleichzeitig kann jedoch ein hohes Interesse der Folgegeneration bestehen, das Wissen und die Erfahrungen des Übergebers weiterhin zu nutzen. Diese beiden Pole können mit klaren neuen Rollen, Absprachen und Transparenz oft in Einklang gebracht werden. Bei der Überwindung solcher Hemmschwellen, diese Thematiken anzusprechen, haben sich außenstehende Dritte, etwa in Form eines schon bestehenden Beirates, als hilfreich erweisen können.

Selten thematisiert wird auch das Grundbedürfnis der Folgegeneration nach Anerkennung. Hier hilft bisweilen ein Appell an die bisherige Unternehmensführung, ihre Nachfolger am Maßstab des Beginns ihrer eigenen Führungsverantwortung und nicht an demjenigen des Endes zu messen. Souveräne Unternehmer erkennen durchaus an, dass viele erfolgreiche Entwicklungen der bisherigen Unternehmensgeschichte (zumindest auch) auf Ursachen zurückzuführen sind, die nicht direkt von ihnen selbst gesetzt wurden, sondern einem Quäntchen Glück zu verdanken waren.

7.3.4 Phase 4: Nachfolgeoptionen

Für viele Mitglieder von Unternehmerfamilien ist eine explizit interessenorientierte Konfliktlösung oder gar Nachfolgeplanung bisher weiterhin leider gänzlich unbekanntes Terrain. Mediatoren sind daher gut beraten, die einzelnen Mitglieder beim Durchlaufen des Prozesses, mit all seinen Höhe und Tiefen, eng zu begleiten. Dazu kann auch zählen, die üblicherweise auftretenden Schwierigkeiten und Frustrationen zu normalisieren.

Mehr noch als im Rahmen „normaler“ Wirtschaftskonflikte gilt bei Gestaltungsmediationen zur Unternehmensnachfolge, dass mit der Bewältigung der Abschnitte der Bestandsaufnahme und Interessenermittlung der steilste und steinigste Teil des Weges beschritten ist. Im Rahmen des Prozesses werden die Mitglieder der Unternehmerfamilie so viel über die anderen Mitglieder, meist aber auch über sich selbst erfahren haben, dass die Gestaltungsmediation selbst dann als erfolgreich gesehen werden sollte, wenn es im Anschluss nicht zu einvernehmlichen Lösungen kommt. Haben sich die Mitglieder bis hierhin aktiv an dem Verfahren beteiligt, ist ein Scheitern ohnehin unwahrscheinlich geworden.

Eine wichtige Besonderheit der umfassenden Nachfolgeplanung wirkt sich auch bei der Lösungsfindung wieder aus. Wie in „normalen“ Konfliktmediationen müssen die Beteiligten bei der Lösungsfindung häufig feststellen, dass sich nicht alle ihre Interessen in gleichem Maße durchsetzen lassen. Sie sind daher gezwungen, spätestens jetzt eine Priorisierung ihrer Interessen vorzunehmen. Dieser Umstand tritt bei der Unternehmensnachfolgeplanung in verstärktem Maße auf. Der Grund hierfür ist in den verschiedenen Facetten des Drei-Kreise-Modells zu finden. Die Familienmitglieder müssen zunächst für sich und sodann für das gesamte System Wege der praktischen Konkordanz finden, um die drei Systeme in Einklang zu bringen. Gesucht wird der schonendste Ausgleich zwischen den vielfältigen Interessen, damit möglichst viele Bedürfnisse so weit wie möglich befriedigt werden.Footnote 32

Für diesen personellen und inter-personellen Findungsprozess ist ausreichend Zeit und gegebenenfalls weitere Unterstützung einzuplanen. Der Umstand, dass mit Beginn der Lösungsfindung der meist leichtere und atmosphärisch angenehmere Gestaltungsteil beginnt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass noch ein gutes Stück des Weges vor den Medianden liegt. Verstärkt wird der Zeitbedarf dadurch, dass in vielen Fällen einzelne Lösungsbausteine von Fachleuten gründlich durchdacht werden müssen und die Einbindung Dritter, etwa Banken, erforderlich werden kann. Es liegt auf der Hand, dass etwa gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen, die Veräußerung oder auch der Erwerb von Unternehmensteilen, Veränderungen des Finanzierungskonzeptes oder steuerliche Gesamtbetrachtungen erhebliche Zeit in Anspruch nehmen und Aufwand auslösen können. Entgegen der meistens angezeigten Vorgehensweise bei der Konfliktlösungsmediation können sich daher im Falle der Gestaltungsmediation zur Gestaltung der Unternehmensnachfolge zunächst auch Teillösungen anbieten.

Die Binnenstruktur der Suche nach Nachfolgeoptionen kann wiederum dem Drei-Kreise-Modell folgen. Es gibt keine Ideallinie, mit welchem der Themenbereiche die Mediatorin beginnen sollte. Tendenziell empfiehlt es sich, mit einem nur begrenzt kontroversen Thema zu beginnen, um dem gemeinsamen Nachdenken einen gewissen Drive zu geben.

7.3.4.1 Spektrum der Nachfolgeoptionen

In den meisten Fällen einigen sich die Beteiligten letztlich darauf, dass das Unternehmen in der Familie verbleiben soll. Dies wird sich gelegentlich als Idealvorstellung auch bereits der Familiencharta entnehmen lassen. Selbst für diesen scheinbar klaren Fall der Übertragung innerhalb der Familie stehen jedoch grundlegend verschiedene Entscheidungsalternativen im Raum. Auf der einen Seite stehen dynastische Ansätze wie das „Kronprinzenmodell“, bei dem sämtliche Anteile auf eine auserwählte Person übergehen, oder das „Stammesmodell“, bei dem pro Familienstamm eine künftige Inhaberin auserwählt wird. Den dynastischen stehen auf der anderen Seite egalitäre Ansätze gegenüber, die die Beteiligten kopfgleich in das Unternehmen involvieren.Footnote 33

Auch bei starken Tendenzen hin zu einem Family Buyout sollten die Beteiligten alle Nachfolgeoptionen gründlich und ergebnisoffen gegeneinander abwägen. Vielfach folgt aus diesem Prozess eine Präferenzhierarchie von einem Family Buyout über einen Management Buyout hin zu einem Management Buyin und der Veräußerung an strategische Investoren oder Finanzinvestoren. Mit der Aufstellung der Präferenzhierarchie, selbst wenn die einzelnen Alternativen zunächst nur als theoretisch denkbar bewertet werden, erweitert sich einerseits der Lösungsraum. Damit sinkt gleichzeitig die Abhängigkeit von Individualinteressen und Individualentscheidungen. Zugleich verändern sich damit Handlungsalternativen der Beteiligten, was tendenziell zu mehr Flexibilität und gelegentlich zu unerwartet wertschöpfenden Lösungen führt. Auch der nicht auszuschließende Fall, dass die auserkorene Kronprinzessin kurzfristig und unerwartet die ihr zugedachte Rolle nicht übernehmen will oder kann, lässt sich so besser absichern.

Eine Nachfolgecharta kann solche Präferenzen festhalten und gleichzeitig einen Rahmen für eine sequenzielle Abarbeitung vorgeben. Steht etwa ein Übergabedatum fest, können die Beteiligten einen Zeithorizont vorsehen, in dem die Voraussetzungen für ein Family Buyout geschaffen werden sollen, und gleichzeitig ein Startdatum für den Einstieg in andere Szenarien festlegen. Scheitert nämlich ein lange angelegter Family-Buyout-Prozess in einem späten Moment, fehlt sonst häufig die Zeit, um ein Alternativszenario optimal auszuplanen und umzusetzen.Footnote 34

7.3.4.2 Auswahl und Umsetzung einer Nachfolgeoption

Hinsichtlich der Umsetzung der Nachfolgeoption kann die Nachfolgecharta bestimmen, unter welchen Voraussetzungen, zu welchem Zeitpunkt und gegebenenfalls in welchen Stufen der Übergang der Unternehmensinhaberschaft erfolgen soll. Von besonderer Bedeutung bei der Strukturierung der künftigen Inhaberschaft ist dabei auch die Frage, ob es nur aktive Gesellschafter, also für das Unternehmen auch operativ tätige Familienmitglieder, oder auch operativ nicht mit dem Unternehmen verbundene Gesellschafter geben soll. Die notwendigen Differenzierungen der Binnenstruktur stellen sich diesbezüglich bei allen Gesellschaftsformen unterschiedlich dar.

Daneben treten Überlegungen, welche Anforderungen ein Familienmitglied erfüllen muss, um als künftiger Unternehmenseigner in Betracht zu kommen. Diesbezüglich sind sowohl Altersanforderungen als auch Anforderungen an die Qualifikation anzutreffen. Aus Sicht der Verfasser ist diesbezüglich ein sehr zu begrüßender Trend hin zum strukturierten Aufbau von Gesellschafterkompetenzen der Folgegeneration zu erkennen. Diese Entwicklung wird dadurch getragen, dass man heutzutage deutlich mehr Wert darauf legt, dass Unternehmensinhaber ihre Gesellschafterrolle aktiv interpretieren.Footnote 35 Die Tage der Mehrheit stiller Gesellschafter scheinen gezählt. Der Kompetenzaufbau kann dabei sowohl fachliche als auch zwischenmenschliche Komponenten enthalten und auf ad-hoc Basis oder innerhalb fester Strukturen ablaufen.Footnote 36

Auch wenn die Frage der Konditionen der Anteilsübertragung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Übertragung steht, wird diese Frage von den Verfassern regelmäßig dem familiären Kontext, im Sinne der Vermögensnachfolge, zugeschlagen, weil es aus familiären Gründen regelmäßig noch zu einem Discount vom geschätzten Wert der Anteile bis hin zur Schenkung kommt. Neben den „family discount“, der im Mittel 40 % betragen soll,Footnote 37 treten oftmals weitere Finanzierungsbesonderheiten wie Erblasser-Darlehen oder langfristige Stundungen. Diese sind im Lichte der Familienlogik, nicht der Gesellschafterlogik zu betrachten.

7.3.4.3 Auswahl des Managements

Der Wunsch, das Unternehmen in der Familie zu halten, beschränkt sich nicht auf die Inhaberschaft. In gleicher Weise bevorzugen die Mitglieder von Familienunternehmen bisher noch regelmäßig Eigengeschäftsführer gegenüber Fremdgeschäftsführern, auch wenn hier in den letzten Jahren ein gewisser Wandel hin zu einer Professionalisierung der Auswahlkriterien erkennbar ist. Entscheidend sind dabei letztlich die prognostizierten Vorteile für das Unternehmenswohl. Dabei muss man nicht auf eine börsengetriebene, kurzfristige (Quartals-)Betrachtungsweise abstellen. Es können vielmehr auch langfristige Unternehmensinteressen Berücksichtigung finden. Dies kann es jedoch erforderlich machen, für einen Übergangszeitraum einen Interims-Fremdgeschäftsführer hinzuzuziehen, etwa weil die grundsätzlich am besten geeignete Geschäftsführerin der nächsten Generation noch ertüchtigt werden soll.

Fällt die Entscheidung hingegen auf die Eigengeschäftsführung, weil qualifizierte Kandidaten aus der Unternehmerfamilie vorhanden sind, stellt sich umso mehr die Frage nach einer sachgerechten Auswahl der Personen, Anzahl und Kompetenzen der einzelnen Geschäftsführer. Die Nachfolgecharta kann diesbezüglich ein klares und durchaus ambitioniertes Mindestanforderungsprofil definieren. Es bietet sich an, dieses insbesondere dann frühzeitig und einvernehmlich festzulegen, wenn es innerhalb der Unternehmerfamilie erkennbar unterschiedliche Strömungen gibt. Dabei kann es sich um Familienstämme, aber auch etwa um geografische und generationenbedingte Allianzen handeln. Die Erfahrung zeigt, dass von rivalisierenden Gruppen entsandte Mitglieder als Geschäftsführer oft dem Anspruch eines Drittvergleichs nicht standhalten. Auf deren Einbindung wird dennoch – und sei es auch nur aus gefühlter Notwendigkeit zum Machterhalt – selten verzichtet.

Selbst wenn die objektiven Anforderungen an die künftige Unternehmensführung einvernehmlich festgelegt wurden, sehen sich die zur Entscheidung berufenen Mitglieder der Unternehmerfamilie oft vor eine weitere Herausforderung gestellt. Das menschliche Gehirn ist weit weniger perfekt als wir gerne annehmen und unterliegt, stark vereinfacht ausgedrückt, systematischen Fehleinschätzungen. Bezogen auf die Auswahl von Nachfolgern in der Führungsverantwortung besteht die Gefahr signifikanter Fehleinschätzungen unter verschiedenen Blickwinkeln. Zum einen unterliegen auch, oder gerade, Unternehmer der Gefahr der Selbstüberschätzung und der Unersetzbarkeitsillusion. Hinzu tritt, dass bei der Einschätzung der Fähigkeiten und Eignung der eigenen Kinder eine enorme Gefahr der Über-, aber mindestens genauso der Unterschätzung besteht.Footnote 38 Für eine leistungsgerechte Entscheidung ist jedoch eine möglichst objektive Einschätzung der realen Gegebenheiten unabdingbar. Eine solche ist innerhalb des Unternehmerfamiliensystems indes kaum zu leisten.

Aus diesem Grunde sollten die Beteiligten erwägen, außenstehenden Dritte in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen. Die Bandbreite kann dabei von einer ad hoc hinzugezogenen Expertin bis hin zu einem fest installierten oder institutionalisierten Beirat reichen, der das Unternehmen dauerhaft begleitet. Für letztere Variante spricht, dass eine fundierte Einschätzung ein hohes Maß an Informationen erfordert, das sich kaum in einem relativ kurzen Zeitraum und projektbezogen gewinnen lässt. Dabei gilt natürlich auch: Der Einsatz von Dritten, insbesondere Beratern, ist nicht per se positiv, sondern hängt von deren Qualifikation und Einsatz ab. Ein Beitrag hin zu sachorientierten, leistungsgerechten Entscheidungen ist nur bei entsprechender Erfahrung und Eignung der Dritten gegeben. Dies spricht dafür, Personen auszuwählen, die über entsprechend nachgewiesene Expertise und Erfahrung verfügen.

7.3.4.4 Binnenstruktur der Folgegeneration

Für den dauerhaften Erfolg des Familienunternehmens ist neben weisen Auswahlentscheidungen auch die Binnenstruktur der neuen Unternehmensführung wichtig. Sofern die Führung aus mehr als einer Person besteht, müssen die einzelnen Mitglieder der Geschäftsleitung ihre Rollen neu finden und einvernehmlich definieren. Hierzu zählen neben den Zuständigkeiten und formalen wie informalen Kommunikationsregeln auch die Entscheidungsfindungsprozesse. Dabei genügen nicht unbedingt festgeschriebene Regeln, sondern entscheidend ist auch die Art und Weise, wie diese interpretiert und vor allem gelebt werden. Es liegt auf der Hand, dass das nur in den seltensten Fällen reibungsfrei vonstatten geht.

An dieser Stelle kann ein bereits installierter Beirat einen hohen Mehrwert zum Gelingen beitragen. Mit dem Wegfall der Autorität der vorherigen Unternehmensführung kommt es häufig zu einem Machtvakuum, Machtschwankungen oder Machtimbalances, die ein Beirat teilweise auffangen kann. Auch bereits installierte oder neu vereinbarte Regeln zum Umgang mit Konflikten stellen ein hohes Gut in diesem Stadium dar. Lassen sich die Beteiligten zudem schon vorab auf eine höhere Stufe im Umgang mit Konflikten heben, wird damit nicht nur das Interesse nach konfliktarmer Nachfolgeregelung befriedigt, sondern auch dem Unternehmenswohl gedient. Allein verbesserte kommunikative Fähigkeiten und ein Grundverständnis des Drei-Kreise-Modells sowie der unterschiedlichen Entscheidungs- und Kommunikationslogiken können einen signifikanten positiven Einfluss haben.

Ebenfalls in den Bereich der Binnenstruktur gehören Fragen der Ausgestaltung der Vergütung, der Gewährung von Statussymbolen wie Titeln, Fahrzeugen und zugeordnetem Personal. Sämtliche dieser Fragen sind zunächst am Unternehmenswohl auszurichten. Das heißt letztlich, dass Eigengeschäftsführer der Unternehmerfamilie nicht anders als externe Fremdgeschäftsführer zu behandeln sind. Diese Einordnung kann wiederum mit Hilfe Dritter, etwa des Beirates, zur Vermeidung destruktiver Konflikte innerhalb der Unternehmensführung vorgenommen werden.

7.3.4.5 Die Funktionsübergabe

Innerhalb der Logik der Unternehmensführung erfolgt die Funktionsübertragung auch an die die Verantwortung abgebende Generation stets nur für die Dauer der tatsächlichen Leistungserbringung. Dieser Zeitabschnitt ist spätestens dann zu Ende, wenn aus Sicht des Unternehmenswohls Mitglieder der folgenden Generation die Funktion besser ausfüllen können.

In der Praxis finden sich indes vielfältige Beispiele für Verstöße gegen dieses strikte Prinzip. Hierzu zählen Regelungen nachwirkender Titel und Statussymbole, das weiterhin vorhandene Büro samt persönlichem Assistenten, Dienstwagen samt Fahrerin und vieles Ähnliche. Um solche Regelungen dauerhaft für alle Seiten befruchtend einzusetzen, sollte zumindest Offenheit und Klarheit darüber herrschen, dass in diesen Fällen nicht die Logik des Unternehmens, sondern die Logik der Familie oder des Ownership greift. Die konkrete Ausgestaltung sollte dann möglichst daran angepasst werden. Das ehemalige Geschäftsführerbüro könnte dann, statt „in der Luft zu hängen“, zum Family-Office oder Anteilseigner-Büro umfunktioniert werden.

Wer diese Themen nicht scheut, kann einen weiteren Vorteil erwarten: Sind die Motive und Befindlichkeiten erst einmal offengelegt, führt ein strukturierter Nachfolgeprozess gelegentlich dazu, dass Titel und Symbole, die auf fehlendes Loslassenkönnen hindeuten, gar nicht mehr benötigt werden, sondern sich die die Verantwortung abgebende Generation nunmehr andere Betätigungsfelder sucht und findet. Auch das Interesse nach erfüllender Beschäftigung und Zugehörigkeit ist dabei nicht dem Kreis des Unternehmens, sondern dem der Familie zuzuordnen.

7.3.5 Phase 5: Abschluss und Iteration

Vielfach wird sich der Abschluss der Gestaltungsmediation selbst bei Einigkeit aller Beteiligten nicht rechtlich verbindlich mit einem Vertrag darstellen lassen. Das liegt unter anderem daran, dass die einzelnen Schritte bestimmten Formerfordernissen unterliegen oder die Einbindung Dritter erforderlich ist. Das sollte die Beteiligten nicht daran hindern, das Ergebnis ihrer Gespräche und die nächsten Schritte – ggf. unter explizitem Hinweis auf ihre Unverbindlichkeit – ausführlich schriftlich festzuhalten. Die Erfahrung zeigt, dass auch rechtlich unverbindliche Absprachen von den Beteiligten später meist freiwillig eingehalten werden.

Weil die Planung einer Unternehmensnachfolge bisweilen einen langen Zeitraum weit in die Zukunft hinein regeln, müssen die Beteiligten damit rechnen, dass sich im Laufe der Zeit wesentliche Umstände, die Grundlage der Verhandlungen waren, über kurz oder lang ändern, obwohl der Erbfall noch nicht eingetreten ist. Hier bietet es sich an, die Nachfolgecharta als lebendiges Dokument auszugestalten, d. h. von Anfang an den Willen der Beteiligten zur periodischen Prüfung festzuhalten und den organisatorischen Rahmen dafür zu schaffen. Das können informelle jährliche Treffen sein, die in einem ersten Teil eine fachliche Agenda aufweisen, aber auch formal organisierte und strukturierte Familientage. Gerade in Zeiten, in denen keine Konflikte aktuell anstehen, können solche Strukturen bei größeren Unternehmerfamilien Vertrauen zueinander schaffen, das sich im Konfliktfall bezahlt macht.

Vorlauf und schiere Dauer einer umfassenden Nachfolgegestaltung geben gelegentlich Anlass, über ein vorübergehendes „Soforttestament“ zur Vermeidung einer unerwünschten Erbfolge oder einer unerwünschten Erbengemeinschaft nachzudenken. Leider zeigt sich oft die Tendenz, im Hinblick auf die angestrebte 100-Prozent-Lösung die relativ aufwandsarmen Schritte zu einer 50-Prozent-Lösung nicht zu gehen und so bis auf Weiteres bei einer 0-Prozent-Lösung stehen zu bleiben. Dies kann dann katastrophale Folgen haben, wenn der ungeregelte Erbfall während der Dauer der Nachfolgeplanung plötzlich eintritt. Gleiches gilt für die sonstige Vorsorge im Hinblick auf ein unerwartetes vorübergehendes Ausfallen des Unternehmers oder dessen unerwarteten Tod.

Am Schluss dieses Kapitels steht noch ein Blick auf Ugur und seine Familie. Dies geschieht bewusst schlaglichtartig, da nur ein Zwischenschritt eines langen Prozesses beleuchtet werden soll. Damit wird ein Eindruck vermittelt, wie sich der aufgezeigte Ansatz praktisch auswirkt, ohne damit Lösungen oder eine Blaupause bereitstellen zu wollen.

Beispiel

Am Ende des langen Wochenendes konnten „nur“ noch erste Ideen für eine Nachfolgecharta formuliert werden. In den folgenden Monaten individueller und gemeinsamer Arbeit verdichtete sich das Bild zu Ansätzen der Nachfolgeplanung.

Im Verlauf der Planung stellte sich heraus, dass Charlotte „Blut geleckt“ hatte und sich nunmehr für ein entsprechendes Duales Studium interessiert. Anna und Brian haben sich für einen Zeitraum von zunächst zwölf Monaten zur hundertprozentigen Mitarbeit in den aktuellen Rollen verpflichtet.

In groben Zügen wurde gemeinschaftlich Folgendes festgehalten:

Allgemein

Ugur, Anna, Brian und Charlotte wollen gemeinsam offen und konstruktiv an der Unternehmensnachfolge in allen drei Kreisen arbeiten. Sie verstehen dies als kontinuierlichen Weg. Sie erkennen bei allen Hürden die Chance eines positiven Einflusses auf das Verhältnis untereinander und den wirtschaftlichen Erfolg der S-GmbH.

Die Unternehmerfamilie verpflichtet sich dabei und im Weiteren zu einem konstruktiven Umgang mit Konflikten, deren Auftreten sie als normal erkennen. Der Prozess soll weiterhin professionell begleitet werden.

Gesellschafterkreis

Die Unternehmerfamilie setzt einen beratenden Beirat ein. Dieser setzt sich aus Geschäftsführung, Gesellschaftern, Anna, Brian und Charlotte einerseits sowie Mireille und einer erfahrenen angesehenen Persönlichkeit mit Hintergrund im Bereich Finance und Unternehmensstrategie andererseits zusammen. Vorerst werden zwei vorausgewählte Kandidatinnen angesprochen. Brian und vor allem Charlotte sollen auf diesem Wege an die unternehmerische Verantwortung herangeführt werden.

Der Beirat schlägt Maßnahmen zum Kompetenzaufbau im Bereich Unternehmensführung bei Brian und Charlotte vor.

Um die künftigen Herausforderungen besser einschätzen und bewältigen zu können, wird gemeinsam mit dem Beirat die Nachfolgefähigkeit und Nachfolgewürdigkeit betrachtet. Hierzu können externe Experten herangezogen werden. Der Fokus liegt auf einem hands-on-Ansatz. Der Mehrwert des Beirats wird hier vor allem darin gesehen, dass das Thema im Fokus bleibt und nicht dem Tagesgeschäft untergeordnet wird.

Gemeinsam mit dem Beirat werden ein Konzept und ein Zeitplan für einen Family Buyout erarbeitet. Der künftige Gesellschafterkreis soll ausschließlich aus aktiven Gesellschaftern bestehen. Alle künftigen Gesellschafter übernehmen Anteile erst dann, wenn sie sich zur dauerhaften Mitarbeit im Unternehmen bereit erklärt haben.

Anteile für Charlotte werden „zurückgehalten“, bis feststeht, ob sie aktiv tätig werden möchte.

Aus der aktiven Tätigkeit für die S-GmbH ausscheidende Gesellschafter bieten ihre Anteile den Mitgesellschaftern zum Erwerb an.

Vorhersehbare Pattsituationen sind zu vermeiden bzw. von Anfang an mit Konfliktlösungsmechanismen zu versehen.

Unternehmensführung

Änderungen der Führungsstruktur der S-GmbH sollen nach fachlichen Kriterien ausgestaltet werden und der Beirat vorab hierzu eine Stellungnahme abgeben. Am Ende des kommenden Kalenderjahres erfolgt eine Evaluierung, ob Anna und ggf. Brian in die Geschäftsführung berufen werden. Im Nachgang daran entscheiden sich Anna und Brian über einen dauerhaften Verbleib in der S-GmbH.

Im Falle einer Geschäftsführung mit mehr als einem Geschäftsführer werden klare Kompetenzabgrenzungen vorgenommen und zudem die Weichen auf eine konstruktive Konfliktkultur gestellt. Diesbezüglich werden mediative Elemente verankert und der Beirat einbezogen.

Vergütungsfragen werden vom Beirat mit einer Stellungnahme versehen. Maßstab ist dabei ein strikter Drittvergleich. Hierzu wird ggf. die Expertise der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer genutzt.

Mit dem Beirat werden regelmäßig die Geschäftspolitik diskutiert und die aktuellen Finanzkennzahlen besprochen.

Mit Ugur wird ein klares Konzept seiner Stellung erarbeitet. Anna, Brian und Charlotte wünschen ausdrücklich den dauerhaften Input von Ugur; eine nicht-definierte „graue Eminenz“ im Hintergrund lehnen sie jedoch ab. Zu prüfen ist insbesondere ein späterer Wechsel von der Geschäftsführung in den Beirat. Die Unternehmerfamilie wünscht an dieser Stelle Klarheit, die dann kommuniziert und auch umgesetzt wird.

Familie

Im Grundsatz werden alle Kinder bei der Nachfolge wirtschaftlich gleich behandelt. Unterschiedliche Leistungen für die S-GmbH werden auf Ebene der S-GmbH geregelt.

Für die Bewertung der Anteile im Familienkreis kommt jedoch sowohl im Erbfall als auch bei einer vorweggenommenen Erbfolge oder im Verkaufsfall untereinander ein Faktor von 0,5 auf die veröffentlichten Multiples zur Anwendung. Der Beirat gibt diesbezüglich unverbindliche Empfehlungen ab.

Regelungen der vorweggenommenen Erbfolge werden so ausgestaltet, dass Ugur wirtschaftlich abgesichert ist und diese Absicherungen in ausreichend hohem Maße unabhängig vom weiteren Erfolg der S-GmbH sind.

Ugur setzt ein Soforttestament auf, das später durch umfassende Regelungen ersetzt wird. Eine Erbengemeinschaft ist zu vermeiden. Zudem wird ein Roter Ordner aufgestellt und die wichtigsten Vorsorgeregelungen im privaten wie im unternehmerischen Bereich werden getroffen.

Im Ergebnis hat Ugur die häufig anzutreffende Illusion eigener Unersetzlichkeit gebannt, weil er den ersten Schritt getan hat und den weiteren Weg von Mireille als einer erfahrenen Verfahrensleiterin begleiten ließ. Für alle Beteiligten hat sich die intensive Arbeit gelohnt. Sie wirken zusammen für ein Unternehmen, das nunmehr so gut aufgestellt wurde, dass es auch ohne den aktuellen Unternehmer zuversichtlich in die Zukunft blicken kann.Footnote 39