Was eine Mediation ist, erfährt man seit 2012 aus dem Mediationsgesetz. Die dortige Definition ist allerdings selbstreferenziell und damit wenig geglückt. Verkürzt gesagt definiert zunächst § 1 Abs. 1 MediationsG die Mediation als ein Verfahren unter Leitung eines Mediators, bevor man aus § 1 Abs. 2 MediationsG erfährt, dass ein Mediator der Leiter eines Mediationsverfahrens sei.

Das deutsche Mediationsgesetz dient der Umsetzung der europäischen Mediationsrichtlinie, mit der die Europäische Union den Mitgliedstaaten 2008 auferlegte, einen bestimmten Rechtsrahmen für die Mediation bereitzuhalten. Freilich gab es durchaus renommierte Stimmen, die das deutsche Recht auch ohne ein spezielles Mediationsgesetz für richtlinienkompatibel hielten. Footnote 1 Dementsprechend enthält das Mediationsgesetz keine grundstürzenden Neuerungen, sondern im Wesentlichen Klarstellungen und Transparenzregeln ohne Sanktionscharakter.

Wie lässt sich der Begriff schärfer konturieren? Eine Mediation ist im Kern nichts Anderes als eine drittunterstützte Verhandlung.Footnote 2 Wo es zwei Konfliktparteien nicht gelingt, auf bilateralem Wege konstruktiv miteinander zu sprechen, kann ein Mediator zwischen ihnen vermitteln. Er tut dies im Wesentlichen mit zwei Werkzeugen: Einerseits fungiert er als Kommunikationsbrücke zwischen den Parteien, indem er Aussagen einer Seite so reformuliert, dass die andere Seite sie nicht nur akustisch wahrnehmen kann, sondern auch bereit ist, sich damit auseinanderzusetzen. Zum anderen strukturiert er die Verhandlung und bringt die Parteien vornehmlich mit Hilfe bewusst eingesetzter Fragen dazu, dass sie sich jeweils zu denjenigen Themen äußern, um die es gerade geht.Footnote 3

Die Mediation ist dabei nur einer von vielen konsensorientierten Streitbeilegungsmechanismen. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Instrumentarium der alternativen Konfliktlösung immer weiter ausdifferenziert. Wer Mediation in der Praxis anwenden möchte, tut gut daran, sich einen Überblick zu verschaffen, welche ähnlichen Methoden es gibt und wie diese sich von einer Mediation unterscheiden.

3.1 Mediation im Kanon der Konfliktlösungsmechanismen

Die neuere Geschichte der alternativen Streitbeilegung ist geprägt von Entwicklungen in den USA, die in Deutschland mit ungefähr zwei Jahrzehnten Verzögerung rezipiert und integriert werden. Der zeitliche Vorsprung im US-amerikanischen Rechtssystem hängt vor allem mit der vergleichsweise großen Effektivität der deutschen Justiz und mit den innovationsfreundlicheren Rahmenbedingungen in Amerika zusammen.

3.1.1 Jüngere Geschichte der alternativen Streitbeilegung

Auslöser der neueren ADR-Bewegung in den USA – ADR steht für alternative dispute resolution – war die berühmten Pound Conference in St. Paul (Minnesota) im Jahr 1976. Seinerzeit gab es in den USA eine wachsende Unzufriedenheit mit den Nachteilen klassischer Gerichtsverfahren. Durchgreifende Reformen der staatlichen Gerichte schienen unrealistisch. Vor diesem Hintergrund schlug der Harvard-Professor Frank Sander in einer vielbeachteten Rede vor, konsensgeeignete Konflikte bereits vor der klassischen Gerichtstüre abzufangen und einem passenden Mechanismus zur einvernehmlichen Streitbeilegung zuzuführen.Footnote 4

Wenn es eine Figur gibt, die sich um den Aufstieg der Mediation zu einer echten Alternative zum Gerichtsverfahren verdient gemacht hat, ist dies Frank Sander . Geboren 1927 in Stuttgart floh seine Familie nach eine Gefangennahme seines Vaters kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs über England in die USA. Nach Studien in den Fächern Mathematik und Steuerrecht konzentrierte er sich bald auf Fragen des Familien- und Verfahrensrechts. 1962 wurde er zum Professor an der Harvard Law School ernannt. Berühmt wurde er mit seinem Beitrag zur Pound Conference über Alternativen zur staatlichen Ziviljustiz. Footnote 5 Sander starb im Februar 2018 im Alter von 90 Jahren.

Hinter diesem Vorschlag stand die damals neue und tatsächlich auch heute noch nicht selbstverständliche Einsicht, dass es in der Regel kontraproduktiv ist, einen Konflikt erst in einem auf Gegensätze ausgerichteten System zuzuspitzen und dann Einigungschancen auszuloten.Footnote 6 Weil das Recht als abstrakter Entscheidungsmaßstab stets mehr oder minder pauschal und einzelfallungerecht ist, ist es bei der üblicherweise durch Schriftsätze ausgetragenen Vorbereitung eines Rechtsstreits notwendig, den Sachverhalt auf rechtlich erhebliche Punkte zu verengen und rechtlich irrelevante Sachverhaltsdetails wegzulassen. Dabei fallen wichtige Bedürfnisse der Parteien fast zwangsläufig unter den Tisch. So ist vor Gericht im Grundsatz ohne Belang, ob sich jemand Anerkennung für die Pflege der Erblasserin wünscht und inwieweit eine gemeinsame Kommunikationsbasis der Parteien für die Zukunft hilfreich wäre. Das Recht braucht diese Vereinfachung und Verkürzung der Lebenswirklichkeit, um praktisch handhabbar zu bleiben. Die Parteien brauchen dies aber erst und nur dann, wenn sie sorgfältig beleuchtet haben, ob es für sie tatsächlich keinen besseren Weg gibt.

Nach dem Vorgesagten gilt die Faustregel: Konsens first! Ansprüche formulieren und durchsetzen sollte man erst, wenn eine Einigung auch bei gutem Willen und einfühlsamer Kommunikation außer Reichweite erscheint. Denn: Zum einen schont eine einvernehmliche Streitbeilegung in aller Regel wichtige Ressourcen wie Zeit, Geld und Emotionen.Footnote 7 Zum anderen ist das verspätete Umschwenken in Richtung Einigung ungleich schwieriger, wenn die Fronten erst einmal professionell nachverhärtet wurden und die Parteien im Bild der Glasl’schen EskalationstreppeFootnote 8 ggf. mit anwaltlicher Unterstützung erst noch einmal mehrere Stufen abwärts gegangen sind. Der Vorschlag von Sander ging seinerzeit in Richtung eines multi-door courthouse, eines Gerichts mit mehreren Türen, dessen Concierge die Parteien nicht automatisch ins Richterzimmer schickt, sondern sie abhängig vom vorgelegten Sachverhalt womöglich zunächst zu einem Mediator oder Schlichter schickt.Footnote 9 Genau genommen erfolgt auch diese Verfahrensallokation allerdings zu spät, denn zumindest in anwaltlich betreuten Verfahren ist der Sachverhalt an der Schwelle zum Gericht längst juristisch aufbereitet und verkürzt. Besser erscheint es daher, den Grundsatz der Konsenspriorität schon in der anwaltlichen Kommunikation zu berücksichtigen.Footnote 10

Die einst von Sander geprägte Vorreiterrolle der USA bei der Entwicklung neuer Streitbeilegungsmodelle setzt sich in jüngster Zeit im Bereich der digitalen Konfliktlösung fort.Footnote 11 Auch in der Forschung ist die Institutionalisierung der alternativen Streitbeilegung in den USA bereits weit gediehen. Namentlich das 1983 aus der Taufe gehobene Program on Negotiation (PON) an der Harvard University hat hier Pionierarbeit geleistet und stand Pate für viele später gegründete Forschungseinrichtungen an amerikanischen und europäischen Universitäten.

3.1.2 Das Spektrum verschiedener Streitbeilegungsmodelle

Während das Program on Negotiation den Kreis der Streitbeilegungsmethoden bewusst weit zog und – schon aus dem Namen ersichtlich – von Beginn an auch bilaterale Verhandlungen in den Blick nahm, konzentrieren sich Forschung und Praxis in Deutschland ganz überwiegendFootnote 12 auf Verfahren unter Zuziehung eines neutralen Dritten. Das mag daran liegen, dass man bilaterale Verhandlungen als Teil der täglichen Anwaltspraxis begreift, die keiner Struktur bedarf, sondern sich dem Einzelfall anpasst und daher auch kein Verfahren im Wortsinne darstellt. Beschränkt man die Perspektive vor diesem Hintergrund auf Verfahren mit Unterstützung durch einen neutralen Dritten, so lassen sich diese Modelle gut mit Blick auf den Grad der Ergebnisverantwortung des neutralen Dritten kategorisieren (siehe Abb. 3.1).

Abb. 3.1
figure 1

Grad der Ergebnisverantwortung des neutralen Dritten

3.1.2.1 Schiedsverfahren: Der neutrale Dritte entscheidet

Dem staatlichen Gerichtsverfahren am ähnlichsten ist das Schiedsverfahren. Schiedsverfahren sind nichts anderes als private Gerichtsverfahren. Die Parteien einigen sich darauf, ihren Rechtsstreit nicht von einem staatlichen, sondern von einem privat gewählten Richter entscheiden zu lassen. Der oder die Schiedsrichter können Juristen sein, sie können aber auch einen ganz anderen Beruf ausüben, der vielleicht näher an der Konfliktmaterie ist. Entscheidungen eines Schiedsgerichts sind in der Regel endgültig; sie lasse sich nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen noch von staatlichen Gerichten aufheben. Was prima facie nach einer modernen, vielleicht sogar justizkritischen Verfahrensform klingt, blickt auf eine lange Tradition zurück: Die Geschichte der Schiedsgerichtsbarkeit reicht Jahrhunderte zurück, und schon die Civilprozeßordnung von 1879 enthielt Regeln über das Schiedsverfahren.

Man entscheidet sich für ein Schiedsverfahren nicht unbedingt, weil es schneller ginge oder günstiger wäre als die staatliche Justiz. Es geht vielmehr hauptsächlich darum, dass die Parteien die die Person ihres Richters nicht dem Zufall überlassen wollen. Dieser Zufall ist in Deutschland im Grundgesetz verbürgt: Das Prinzip des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG sichert die richterliche Unabhängigkeit, indem der Fall aus mehreren in Betracht kommenden Richtern per vorab festgelegter Geschäftsverteilung einem Richter zugewiesen wird. Dieses Plus an Unabhängigkeit erkauft das deutsche Justizverwaltungsrecht durch ein Minus an richterlicher Spezialisierung. Wo Parteien aber darauf nicht verzichten wollen, liegt die Wahl eines privaten Gerichts nahe. Das gilt jedenfalls dort, wo sich die Parteien bewusst auf ein Schiedsverfahren verständigen. Vor allem im Bereich von Unternehmenstransaktionen ist es nicht selten nur eine unüberlegte Usance, ja geradezu ein Pawlow’scher Instinkt, der den Parteien sagt, dass ans Ende des Vertrags eine Schiedsklausel gehört.

Ihren größten Anwendungsbereich haben Schiedsverfahren im internationalen Wirtschaftsrecht. Neben die genannten Beweggründe für die Mandatierung privater Richter tritt hier der Umstand, dass die für einen kompetenten Streitentscheid notwendige Expertise in ausländischen Rechtsordnungen häufig nur bei Anwälten aus internationalen Großsozietäten anzutreffen ist.Footnote 13 Eine spezielle Form des Schiedsverfahrens hat sich bei Streitigkeiten aus Investitionsschutzabkommen etabliert.Footnote 14 Im Erbrecht fristet das Schiedsverfahren demgegenüber ein Schattendasein. Es gibt zwar seit vielen Jahren mit der Deutschen Schiedsgerichtsbarkeit für Erbstreitigkeiten e.V. eine Institution, die die private Gerichtsbarkeit in Erbschaftskonflikten fördert.Footnote 15 Die Anzahl der Praxisfälle ist allerdings nach wie vor gering. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Rechtsprechung Schiedsklauseln in Verfügungen von Todes wegen regelmäßig invalidiert hat und dass Schiedsverfahren, die die Parteien erst nach Konfliktentstehung freiwillig vereinbaren (sog. ad-hoc-Schiedsverfahren) nur selten zustande kommen.

3.1.2.2 Schlichtung: Der neutrale Dritte äußert einen Vorschlag

Schon deutlich zurückhaltender als in einem Schiedsverfahren ist die Rolle des neutralen Dritten in einer Schlichtung ausgestaltet. Denn im Unterschied zum Schiedsspruch ist der Spruch eines Schlichters eine bloße Empfehlung. Die Parteien sind frei darin, ihr zu folgen oder beliebige andere Wege zu gehen. Während ein Schiedsverfahren in der Regel sehr prozessähnlich ausgestaltet ist, verläuft ein Schlichtungsverfahren in der Regel weit weniger formalisiert. Wenn es überhaupt eine Verfahrensordnung gibt, gewährt diese den Beteiligten zumeist viele Freiheiten. Auch die Vorgaben für den Schlichterspruch sind häufig weit gefasst: Während ein Schiedsrichter bei seiner Entscheidungsfindung gemäß § 1051 Abs. 3 ZPO nur im Ausnahmefall vom geltenden Recht abgeht, nutzen Schlichter häufig ein weites Ermessen und artikulieren letztlich einen Vorschlag, der ihnen ganz subjektiv angemessen erscheint.

Der weite Ermessensspielraum eines Schlichters öffnet das Verfahren für beliebige Lösungsmaßstäbe außerhalb des geltenden Rechts. Eine Schlichterin kann ihrer Empfehlung etwa die Interessen der Parteien zugrunde legen, ebenso kann sie einfach die Mitte zwischen den geäußerten Positionen suchen oder überlegen, welcher Vorschlag die höchste Zustimmungswahrscheinlichkeit haben könnte. Im Unterschied zum Schiedsverfahren handeln Schlichter allerdings regelmäßig ohne eine klar definierte Marschroute auf Basis eines sehr individuellen Ermessens. A priori erscheint das unproblematisch, weil die Parteien ja nicht verpflichtet sind, dem Schlichterspruch zu folgen. Gleichwohl entfaltet die Empfehlung einer Schlichterin nicht selten eine faktische Bindungswirkung, weil der womöglich übervorteilten Partei die Ressourcen fehlen, um den Konflikt in einem anderen Verfahren zu einem anderen Ausgang zu bringen.Footnote 16 Deswegen ist die Transparenz darüber, auf welcher Grundlage eine Schlichterin entscheidet, aus Sicht der Verfahrensnutzer von großer Bedeutung.Footnote 17

In der Praxis spielt die Schlichtung vor allem im Bereich einzelner öffentlicher Großprojekte und im Bereich der Durchsetzung geringwertiger Forderungen eine Rolle. Reichlich Beachtung haben etwa die Schlichtungsgespräche unter Leitung des inzwischen verstorbenen Heiner Geißler um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 gefunden. In größerer Zahl finden Schlichtungsverfahren bei bestimmten geringwertigen Streitigkeiten statt. Etabliert ist die Schlichtung etwa im Bereich von Nachbarkonflikten sowie als Vorstufe zu arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen. Vor allem aber im Bereich von Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmern hat sich die sog. Verbraucherschlichtung in jüngerer Zeit immer mehr etabliert und ist vom Gesetzgeber durch das europäisch veranlasste Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) zu einer Art Zweitjustiz geadelt worden. Einige der großen Verbraucherschlichtungsstellen kokettieren bewusst mit Anleihen an der Justiz und präsentieren sich als eine Möglichkeit, wie Verbraucher ohne den Aufwand eines traditionellen Gerichtsverfahrens schnell und kostenlos zu ihrem Recht kommen können. Faktisch handelt es sich gleichwohl gerade nicht um echte Rechtsdurchsetzung, sondern um von Unternehmerseite finanzierte Kompromisse, bei denen Verbraucher nur selten mit ihren Ansprüchen voll durchdringen.Footnote 18 Im Unterschied zur Schlichtung vor den im Nachbar- und Arbeitsrecht tätigen Gütestellen kommt die Verbraucherschlichtung ohne eine mündlichen Gesprächstermin aus. Die individuellen Interessen der Parteien können daher kaum Berücksichtigung finden.

Die größte deutsche Verbraucherschlichtungsstelle ist der Versicherungsombudsmann, der sich alljährlich mit etwa 18.000 Verbraucherbeschwerden gegen Versicherungsunternehmen befasst. Ähnliche Schlichtungsstellen finden sich im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs und der Krankenkassen. Als eine Art verbandliche Compliance-Institution leisten sie ohne Zweifel einen wichtigen Beitrag zur unternehmerischen Selbstkontrolle. Ob der Begriff der Schlichtung dafür passt, mag man freilich unterschiedlich beurteilen. Denn während ein echter Schlichter wie ein Mediator neutral und unabhängig ist, stehen die Verbraucherschlichtungsstellen überwiegend im Lager der Unternehmerseite und werden von dort aus finanziert. Sie verfügen zwar nach den Vorgaben des VSBG über einen separaten Haushalt und sind üblicherweise durch einen Trägerverein organisatorisch getrennt von den einzelnen Unternehmen. Diesen steht es aber natürlich frei, ihre Mitgliedschaft in diesem Verein aufzugeben und damit auch der Schlichtungsstelle ein Stück weit ihre finanzielle Grundlage zu entziehen. Eine Verbraucherschlichtungsstelle hat insofern einen Anreiz, selbst bei klarer Rechtslage nicht rigoros zugunsten der Verbraucher zu „urteilen“. Footnote 19 Insbesondere bei Massenschäden sollte man sich daher von einer Verbraucherschlichtungsstelle nicht unbedingt einen Lösungsvorschlag nach der geltenden Rechtslage erwarten. Ein jüngeres Beispiel hierfür war die Vielzahl von Verbraucherbeschwerden vor dem Bankenombudsmann nach dem Widerruf von Verbraucherkrediten; diese Beschwerden hatten trotz klarer, verbraucherfreundlicher Rechtslage nur in wenigen Fällen Erfolg. Footnote 20 In einem anderen Fall lehnten mehrere Bankenombudsleute die Betreuung der Fälle rundheraus ab, weil die Verbraucher von einem Inkassodienstleister professionell beraten waren und in Scharen daherkamen. Footnote 21

3.1.2.3 Mediation: Der neutrale Dritte kommuniziert und strukturiert

Ist die Schlichtung danach häufig als Schnellverfahren mit dem Ziel einer einigungsfördernden Drittmeinung, hält sich ein Mediator mit Bewertungen grundsätzlich zurück. Seine Aufgabe liegt nicht darin, eine faire Lösung vorzuschlagen, sondern vielmehr darin, ein Gespräch in Gang zu bringen, in dem die Parteien selbst die Chancen einer konstruktiven Konfliktlösung ausloten und bewerten. Das dahinter stehende Konzept gleicht der sokratischen MäeutikFootnote 22: Der antike Philosoph Sokrates war davon überzeugt, dass seine Schüler sich ihre Erkenntnisse selbst erarbeiten könnten, wenn er nur die richtigen Fragen stellte. In ähnlicher Weise ist es die Philosophie der Mediation, dass die Parteien selbst eine Konfliktlösung verhandeln können, wenn man sie nur nach ihren wichtigsten Interessen fragt und dazu anhält, die verschiedenen Optionen zur Konfliktlösung daran auszurichten.

Diese Ausrichtung auf Interessen statt Positionen unterscheidet die Mediation vom Schiedsverfahren und von den meisten Spielarten der Schlichtung.Footnote 23 Sie geht zurück auf den US-amerikanischen Verhandlungsbestseller Getting to Yes.Footnote 24 Eine Position ist danach ein Anspruch auf ein konkretes Verhalten der anderen Partei, wie er in der juristischen Arbeit üblich und bei der Rechtsverfolgung auch notwendig ist. Ein Interesse ist demgegenüber ein abstraktes Bedürfnis einer Partei, das sich in ganz unterschiedlicher Weise erfüllen lässt. Eine Verhandlung über Positionen führt regelmäßig zu einer Verschärfung des Streits, weil sich Positionen auf eine Bewertung der Vergangenheit stützen und meist gegenseitig ausschließen. Demgegenüber beziehen sich die Interessen der Beteiligten auf die Zukunft. Legen die Beteiligten diese Interessen einander offen, ermöglicht dies die Suche nach Lösungsmöglichkeiten, die die Interessen beider Seiten weitgehend realisieren und doch miteinander kompatibel sind.

Beispiel

Typische Positionen und möglicherweise dahinter liegende Interessen im Erbstreit Footnote 25 :

Zahlung von 100.000 Euro (Position) → Entschädigung für eigenen Aufwand in der Pflege der Erblasserin, Anerkennung eigener Mühe für die bisherige Verwaltung des Nachlasses, Liquidität (Interessen)

Veto gegen die Erstattung von Pflegeaufwendungen (Position) → Fairer Prozess, echtes Zuhören des Verhandlungspartners, Begegnung auf Augenhöhe, gemeinsames Nachdenken über gute Lösungen usw. (Interessen)

Keine gemeinsame Nutzung des gemeinsamen Elternhauses (Position) → Anerkennung von zu Lebzeiten des Erblassers erbrachtem Aufwand, faire Vergütung einer Mitnutzung, Dankbarkeit (Interessen)

Anspruch auf Auskunft über den Nachlassbestand, ggf. eidesstattlich versichert (Position) → Bedürfnis nach Vertrauen und Verlässlichkeit (Interessen)

Anerkennung der Erbenstellung durch den Verhandlungspartner (Position) → Partizipation am Nachlass, Anerkennung der Mühe durch jahrelange Pflege des Verstorbenen, Anerkennung des letzten Willens des Verstorbenen, Liquidität, Befriedigung der Erwartungshaltung der eigenen Familie usw. (Interessen)

Das Augenmerk auf die Interessen zu richten, ist für die Streitparteien in der Regel ungewohnt und neu, es mag sogar riskant wirken. Deswegen folgen Mediationsverfahren einer Struktur, die den Beteiligten zunächst Raum gibt, ihre bisher formulierten Positionen auszutauschen, bevor sich anschließend der Blick in Richtung der Interessen und möglichen Lösungen wendet. Mediatoren sind die Wächter dieser Struktur. Und sie sind Stifter und Hüter einer wertschätzenden Kommunikation der Parteien untereinander, indem sie den Parteien helfen, ihre Gesprächsbeiträge so zu artikulieren, dass diese sachlich bleiben und den Anderen nicht verletzen.Footnote 26

3.1.2.4 Moderation: Der neutrale Dritte leitet das Gespräch

In manchen Kontexten ist der neutrale Dritte weder berufen, eine eigene Meinung zur Sache abzugeben, noch auf die Kommunikation mit den Beteiligten Einfluss zu nehmen. Sein Beitrag beschränkt sich dann darauf, den Parteien das Wort zu geben und zu entziehen und das Gespräch ggf. auch an bestimmten Themen entlang zu führen. Man spricht hier von einer bloßen Moderation. Man wählt dieses Format insbesondere dann, wenn man ein geordnetes Gespräch wünscht, die schiere Zahl der Beteiligten aber ein mediatives Vorgehen erschwert. Das führt freilich auch dazu, dass der Nutzen der Mitwirkung des Dritten hinter dem einer Mediation meist deutlich zurückbleibt, weil sich die Parteien zwar über viele Themen austauschen, dabei aber nicht unbedingt einander interessiert zuhören. Dieses Phänomen ist bekannt aus vielen Podiumsdiskussionen und aus den meisten Fernseh-Talkshow: Je mehr Personen mitdiskutieren, desto sprunghafter fällt der Wechsel zwischen den Themen aus und desto weniger echte Auseinandersetzung mit der Sache darf man erwarten.

Trotz dieser methodenimmanenten Nachteile der Moderation gilt: Ein moderiertes Gespräch ist besser als ein nicht moderiertes Gespräch und erst recht besser als gar kein Gespräch. In erbrechtlichen Auseinandersetzungen kann eine Moderation in vielen Fällen ein guter Anfang sein. Das gilt namentlich für die Strategieplanung in Familienunternehmen, die bereits über vorausgehende Erbfälle weit zersplittert sind und an den sich mit jedem Erbfall verschärfenden Zielkonflikten zu zerbrechen drohen. Es ist zweifelsohne eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, solche Gespräche zu verwertbaren Ergebnissen zu führen. Die Erfahrung zeigt aber, dass viele Beteiligte danach klarer sehen. Auch das ist in verworrenen Streitkonstellationen regelmäßig schon viel wert.

3.1.2.5 Hybride Verfahren

Die Grenzen zwischen den skizzierten Konfliktlösungsverfahren verlaufen naturgemäß nicht immer ganz trennscharf. Zwar haben die Idealformen der Verfahren und namentlich die Interessenorientierung der Mediation einen guten Sinn, den man nicht verfrüht aufgeben sollte. Allerdings bringen die Parteien in manchen Fällen aus guten Gründen eine Erwartungshaltung mit, die eine Anpassung der Verfahren verlangt. Man spricht dann von hybriden Verfahren – Verfahrensmischungen mit Elementen aus verschiedenen Verfahrenstypen.

Häufig geht der Drift in Richtung einer stärkeren Rolle des neutralen Dritten. So mag ein Verfahren zum Beispiel als bloße Moderation beginnen und auf Wunsch der Beteiligten später als Mediation unter den Hauptkontrahenten fortgesetzt werden. Oder die Parteien eines Mediationsverfahrens mögen am Ende mehrerer kräftezehrender Gesprächstermine die Mediatorin bitten, der verfahrenen Verhandlungssituation durch einen Schlichtungsvorschlag neue Dynamik zu geben, vielleicht sogar durch einen Schiedsspruch final zu entscheiden.Footnote 27 Wichtig ist dabei vor allem, dass die Parteien wissen, worauf sie sich einlassen, damit sich eine etwaige Unzufriedenheit mit der Bewertung durch den neutralen Dritten nicht im Nachhinein durch eine Kritik an seinem Vorgehen Bahn bricht.

Beispiel

Der von Heiner Geißler geleitete runde Tisch zum Bahnbauprojekt Stuttgart 21 begann als Moderation. Später entschied sich Geißler allerdings, einen Kompromissvorschlag zu artikulieren und darin eine Bewertung der von den verschiedenen Parteien vorgetragenen Positionen zu äußern; Footnote 28 damit ging das Verfahren letztlich in eine Schlichtung über. Footnote 29 Wie es für ein Schlichtungsverfahren im Unterschied zur Mediation durchaus typisch ist, kamen die Teilnehmer dabei kaum über einen Austausch von Positionen hinaus; eine echte, empathische Erörterung der Interessen aller Beteiligten fand nicht statt. Entsprechend unkreativ nahm sich das Ergebnis der Verhandlungen aus, und entsprechend geringe Konsequenzen hatten die Schlichtungsgespräche für das tatsächliche Bauvorhaben.

In ähnlicher Weise können auch die Parteien eines Mediationsverfahrens an einem bestimmten Punkt vereinbaren, dass die Mediatorin nunmehr eine Rolle mit größerem inhaltlichem Einfluss wahrnehmen soll. So können die Parteien beispielsweise die Mediatorin gen Ende der Mediation zu einem Schlichtungsvorschlag ermächtigen oder sie sogar beauftragen, eines ihrer letzten Angebote bzw. eine dazwischen liegende Lösung als Schiedsrichterin auszuwählen. Hier hat die US-amerikanische Verfahrenspraxis eine Reihe von verschiedenen Optionen entwickelt, die die Parteien am Ende eines langen Mediationsverfahrens auch durchaus gerne nutzen, um die Verhandlung zu einem zügigen Abschluss zu führen. Es ist bemerkenswert, wie Menschen, die noch kurz zuvor um jeden Cent gefeilscht haben, am Ende eines mit echtem gegenseitigen Gehör verbundenen Verfahrens bereit sind, bei einer entsprechenden Entscheidung der Mediatorin Abstriche von sehr signifikantem Geldwert zu machen. Wenn man eine Mediation mit einem solchen hybriden Baustein abschließt, gilt es gleichwohl zwei Dinge zu beachten: Zum einen bedarf es uneingeschränkter Transparenz über die veränderte Rolle der Mediatorin und über die dadurch womöglich ausgelöste rechtliche Bindung der Parteien an einen abschließenden Schiedsspruch. Zum anderen sollte eine Mediatorin im Blick haben, dass es sich herumsprechen könnte, wenn sie am Ende einer Mediation doch zur Sache Stellung genommen hat. Das kann nämlich dazu führen, dass Parteien künftiger Mediationsverfahren bereits frühzeitig mit einem abschließenden Schiedsspruch rechnen und das Verfahren dann von Beginn an eher taktierend angehen. Mediatoren sind daher mit der Anwendung hybrider Verfahrensmodelle überwiegend sehr zurückhaltend.

3.1.3 Güterichterverfahren: Die gerichtsinterne Mediation

Eine Sonderstellung im Bereich der alternativen Streitbeilegung nimmt die gerichtsinterne Mediation ein, die der Gesetzgeber seit dem 2012 modifizierten § 278 Abs. 5 ZPO als Güterichterverfahren bezeichnet. Letztlich geht das Güterichterverfahren auf Sander’s Idee eines multi-door courthouse zurück, das bei Anlanden einer Streitigkeit an der Schwelle des Gerichts erst einmal entscheidet, ob der Konflikt klassisch streitig entschieden oder zunächst in einem Alternativverfahren behandelt werden soll. Gleichwohl besteht ein entscheidender Unterschied zu dem Modell von Sander, denn dieser dachte an die Einbeziehung von Mediatoren, die zwar hinter einer Gerichtstüre in einem Gerichtszimmer sitzen, aber technisch außergerichtlich, d. h. freiberuflich und ohne organisatorische Anbindung an das Gericht vermitteln. In der gerichtsinternen Mediation deutscher Bauart ist allerdings ein Richter als Mediator tätig. Streitrichter können heute geeignete – böse Zungen würden sagen: missliebig komplexe – Streitigkeiten an einen Kollegen verweisen, der mit den Parteien dann einen Mediationstermin vereinbart. Wenn die Vergleichsverhandlungen dort nicht weiterführen, wechselt das Verfahren wieder zurück auf die klassische Streitspur.

3.1.3.1 Geschichte: Kleine richterliche Justizreform

Die Geschichte des Güterichterverfahrens begann ohne den Gesetzgeber als „richterliche kleine Justizreform von untenFootnote 30. Anfang des 21. Jahrhunderts kam die Idee auf, dass Richter bestimmte ihnen geeignet erscheinende Verfahren unter Berufung auf eine Analogie zum damaligen § 278 Abs. 5 S. 1 ZPOFootnote 31 für einen Güteversuch an einen Richterkollegen abgeben könnten. 2002 wurde die richterliche Mediation in der Gerichtspraxis erstmalig angeboten. Insbesondere bei den niedersächsischen Gerichten wurde die Richtermediation in den folgenden Jahren institutionalisiert und den Parteien als zweite Option neben dem Streitverfahren angeboten. Diese vom Gesetzgeber weder gewollte noch gebilligte Praxis traf auf viel Zustimmung,Footnote 32 aber auch auf harsche Kritik.Footnote 33 Fraglich war insbesondere, ob die Rechtsprechung als Kernaufgabe der Justiz auch in einem eigenen Verfahren institutionalisierte Einigungsbemühungen umfasst.

3.1.3.2 Aufwertung durch den Gesetzgeber

Anlässlich der Umsetzung der europäischen Mediationsrichtlinie 2012 hat der Gesetzgeber mit der einstweilen bestehenden Rechtsunsicherheit aufgeräumt. In einem durchaus umstrittenen Gesetzgebungsverfahren legitimierte er letztlich die gerichtsinterne Mediation, benannte sie aber vor dem dargestellten Hintergrund um und bezeichnete sie fortan als Güterichterverfahren.Footnote 34 Seitdem wird dieses Verfahren deutschlandweit an den meisten Gerichten angeboten. Die Fallzahlen nehmen sich im Vergleich zu den Gesamtzahlen bescheiden aus; sie bewegen sich im Bereich weniger Prozent. Nach einem Fallzuwachs in den Jahren nach dem Inkrafttreten des Mediationsgesetzes ist in jüngster Zeit wieder ein Rückgang der Fallzahlen zu beobachten. Während 2014 noch knapp 25.000 der erledigten Verfahren unter Hinzuziehung eines Richtermediators verhandelt wurden,Footnote 35 waren es 2019 nur noch knapp 14.000 Fälle. In knapp der Hälfte dieser Fälle erzielen die Parteien im Güterichterverfahren eine Einigung, in den übrigen Fällen geht es wie gewohnt vor dem Streitrichter weiter.Footnote 36

Keine nennenswerte Bedeutung hat demgegenüber die – von Frank Sander seinerzeit eigentlich anvisierte – außergerichtliche Mediation während eines anhängigen Gerichtsverfahrens, die sog. gerichtsnahe Mediation. Der Gesetzgeber hat zwar im Zuge des Erlasses des Mediationsgesetzes im Jahr 2012 im neuen § 278a ZPO noch einmal klargestellt, dass ein Gericht den Parteien eine außergerichtliche Mediation vorschlagen und das Verfahren währenddessen ruhend stellen kann.Footnote 37 In der Praxis machen die Gerichte hiervon jedoch keinen Gebrauch. Das liegt nicht ausschließlich, aber sicher auch daran, dass die Empfehlung einer Mediation für sich schon unkonventionell ist und die Richter in dieser Situation dann lieber einen ihnen bekannten Richtermediator empfehlen, als das Verfahren in komplett fremde Hände zu geben.

Traditionell macht es mit Blick auf die Verfahrenskosten keinen Unterschied, ob sich die Parteien vor dem Streitrichter, vor dem Richtermediator oder vor einem außergerichtlichen Mediator einigen.Footnote 38 Allerdings hat der Gesetzgeber die Länder 2012 im neuen § 69b GKG ermächtigt, die Parteien von den Gerichtskosten freizustellen, wenn sich die Parteien eines bereits anhängigen Verfahrens im Wege einer außergerichtlichen Mediation geeinigt haben. Die niedersächsische Landesregierung hat im Sommer 2018 als erste beschlossen, von dieser Ermächtigung bei bestimmten Verfahren Gebrauch zu machen. Die Initiative betrifft vorläufig noch nicht die ordentliche Gerichtsbarkeit; womöglich wird die Regelung aber mittelfristig ausgeweitet. So entstünde zumindest ein gewisser finanzieller Anreiz zur Durchführung gerichtsnaher statt gerichtsinterner Mediationen.

3.1.3.3 Praxis der richterlichen Mediation

Das Güterichterverfahren zeigt in der Praxis manche Gemeinsamkeiten, aber auch viele Unterschiede zur klassischen außergerichtlichen Mediation. Die augenfälligste Abweichung liegt darin, dass die Güterichterverfahren üblicherweise mit einem sehr engen Zeitkorsett arbeiten. Regelmäßig sind für die Mediationsgespräche nur wenige Stunden statt mehrerer Tage vorgesehen. Der so entstehende Zeitdruck führt tendenziell dazu, dass die Parteien ihre Perspektiven nicht umfassend artikulieren können, dass man sich mit einer oberflächlichen Erörterung der Interessen zufriedengibt und dass man nur nahe liegende Lösungsoptionen diskutiert. Die Verhandlungen laufen zweifelsohne konstruktiv und produktiv, allerdings birgt der Verzicht auf eine gründliche Aufarbeitung der Bedürfnisse der Parteien eben auch die Gefahr, dass wichtige Dinge ungesagt bleiben und sich manches Wertschöpfungspotenzial nicht realisiert. Nicht von ungefähr ist die Einigungsquote in der echten, d. h. außergerichtlichen Mediation deutlich höher.Footnote 39

Anwälte, deren Mandanten im Zivilprozess eine Einigung anstreben, sollten bewusst darüber nachdenken, ob sie statt der Standard-Güteverhandlung nach § 278 Abs. 2 ZPO womöglich die Option einer gerichtlichen oder außergerichtlichen Mediation nutzen wollen. An manchen Gerichten fragen die Richter nach Eingang der Klage zwar von sich aus nach, wie die Parteien zu einer einvernehmlichen Konfliktlösung stehen. Die Parteien können aber durchaus auch von sich aus ein Güterichterverfahren anregen. Beim Streitrichter wird man sich keine Sympathien verspielen, wenn man sich einigungsbereit zeigt, und die Mediationsrichter sind in der Regel dankbar für neue Fälle, weil sie sich diese kammerintern anrechnen lassen können.

3.2 Die Methode Mediation

Die Einordnung der Mediation in das Spektrum der verschiedenen alternativen Konfliktlösungsmechanismen hat gezeigt: Hier unterstützt ein neutraler Dritter die Verhandlungen der Streitparteien, ohne sich in der Sache in den Streit einzumischen. Damit ist die Rolle des Mediators zwar grob beschrieben, aber was verbirgt sich nun genau dahinter?

3.2.1 Grundprinzipien der Mediation

Es gibt eine Reihe von zentralen Charakteristika, die das Mediationsverfahren prägen und aus denen sich viele Antworten für Fragen ergeben, die im Laufe einer Mediationsverhandlung auftreten können. Parteien können sich anhand dieser Charakteristika ihrer eigenen Rolle und Verantwortung vergewissern. Für Mediatoren ist es nützlich, sich diese Prinzipien immer wieder vor Augen zu führen, weil sie bei unvorhergesehenen Schwierigkeiten helfen, auf einen konstruktiven Verhandlungspfad zurückzufinden. Die vier wichtigsten dieser Prinzipien sind die freiwillige Teilnahme am Verfahren, die Vertraulichkeit der Mediationsgespräche, die Eigenverantwortung der Parteien und die Neutralität des Mediators.

3.2.1.1 Freiwillige Teilnahme am Verfahren

Vor ein staatliches Gericht muss man sich bisweilen zerren lassen, auch wenn es einem nicht gefällt. Es ist der Kern des staatlichen Gewaltmonopols, dass mit wenigen Ausnahmen nur der Staat unmittelbaren Zwang ausüben darf, dass man sich dem aber auch beugen muss, wenn eine Rechtsverletzung im Raum steht. Bei der außergerichtlichen Streitbeilegung und namentlich bei der Mediation ist das anders: Das Verfahren ist – trotz der Teilverstaatlichung im Rahmen des Güterichterverfahrens – genuin außerstaatlich, und damit steht es den Parteien eines Rechtsstreits auch jederzeit offen, sich auf einen Mediationsversuch einzulassen bzw. eine bereits begonnene Mediation fortzusetzen. Selbst nach einer grundsätzlich aussichtsreichen dreitägigen Verhandlung darf jede Seite das Verfahren ohne Begründung beenden, wenn es ihr opportun erscheint. Sanktionen muss sie dafür nicht befürchten.Footnote 40 § 1 Abs. 1 MediationsG bestätigt diesen etablierten Grundsatz.

Mediatoren sind Anwälte dieser Teilnahmefreiheit. Sie sind keinesfalls berufen, die Parteien in eine Mediation hineinzuargumentieren oder zum Bleiben zu bewegen. Je weiter die Gespräche schon gediehen sind, desto schwerer tut man sich natürlich, die Felle der anvisierten Einigung kampflos davonschwimmen zu lassen. Dennoch gilt das Gebot der Zurückhaltung, denn eine Mediation ist kein Selbstzweck, sondern hängt immer von der individuellen Verhandlungsbereitschaft beider Parteien ab. Es spricht natürlich nichts dagegen, vielmehr sogar viel dafür, dass ein Mediator die Parteien dazu anhält, es sich gut zu überlegen, wenn sie das konsensorientierte Gespräch abbrechen möchten. Dazu mag es hilfreich sein, noch einmal zusammenzufassen, zu welchen Zwischenergebnissen die Mediation bis dahin schon gelangt ist.

Wenn sich die Parteien ihrer Freiheit zur Teilnahme an einer Mediation selbst begeben, ist das natürlich ihre Sache. Aus dem Schiedsverfahrensrecht sind Schiedsklauseln bekannt, mit denen die Parteien Konflikte aus einem Vertrag bereits bei Vertragsschluss einer Entscheidung durch Schiedsgerichte zuweisen. In ähnlicher Weise können Verträge auch Mediationsklauseln enthalten, die anordnen, dass vertragliche Streitigkeiten unter bestimmten Umständen in einer Mediation verhandelt werden sollen. Den Grundsatz der Freiwilligkeit hebeln diese Klauseln allerdings kaum aus, denn selbst wenn eine Partei die andere so in ein Mediationsverfahren zwänge, könnte die andere Seite die Mediation doch eine logische Sekunde später wieder abbrechen. Selbst Mediationsklauseln zwingen daher stets nur zu einem Mediationsversuch. Und natürlich können die Parteien auch eine Mediationsklausel nach Entstehen einer Streitigkeit jederzeit einvernehmlich wieder abbedingen, wenn sie ein anderes Konfliktlösungsforum bevorzugen. Mediationsklauseln haben daher im Wesentlichen Appellcharakter. Diese Anstoßfunktion sollte man allerdings nicht unterschätzen. Menschen tun viele Dinge nicht deswegen, weil sie davon überzeugt sind, sondern allein deswegen, weil ein bestimmter Weg vorgezeichnet ist.Footnote 41

In erbrechtlichen Konflikten gibt es nun regelmäßig die Besonderheit, dass Dritte zur Teilnahme an einer Mediation angeregt oder verpflichtet werden sollen. Eine Erblasserin mag also in ihrem Testament vorsehen, dass bei Streitigkeiten unter den Erben zunächst eine Mediatorin eingebunden werden soll. In einem Erbvertrag könnte die eingesetzte Testamentsvollstreckerin ermächtigt werden, bei Konflikten eine Mediatorin hinzuzuziehen. Solche Gestaltungswünsche lassen sich rechtlich u. a. durch Auflagen- und Bedingungskonstruktionen abbilden. Problematisch wird es allerdings, sobald Pflichtteilsberechtigte zur Teilnahme an einer Mediation verpflichtet werden sollen.Footnote 42

Eine recht unproblematische Vorstufe zur Mediationspflicht ist eine Verpflichtung zur Teilnahme an einem Informationsgespräch über Optionen der einvernehmlichen Streitbeilegung. Das 2009 in Kraft getretene Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) sieht in §§ 135, 156 Abs. 1 S. 3 für bestimmte Fälle eine im Ermessen des Gerichts stehende Anordnung vor, an einem solchen Informationsgespräch teilzunehmen. Kommt eine Partei einer solchen Anordnung nicht nach, kann das Gericht ihr nach §§ 81 Abs. 2 Nr. 5, 150 Abs. 4 S. 2 FamFG die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise auferlegen, selbst wenn sie in der Sache Erfolg hatte.

3.2.1.2 Vertraulichkeit der Mediationsverhandlung

Ein zweites wesentliches Charakteristikum der Mediation ist die Vertraulichkeit der im Verfahren ausgetauschten Informationen. Hinter diesem Grundsatz steht die Überzeugung, dass sich mehr gegenseitige Empathie und wertschöpfendere Lösungsoptionen möglich werden, wenn sich die Parteien offen und ehrlich über die Konfliktmaterie austauschen. Dieser Informationsaustausch wäre in Gefahr, wenn die Beteiligten befürchten müssten, ihr Gegenüber könne ihr offenes Wort in einem nachfolgenden Prozess zu ihren Lasten verwenden. Deswegen vereinbart man in der Regel zu Beginn einer Mediation, dass alle Umstände, die in der Mediation bekannt werden und andernfalls nicht ohnehin auf anderem Wege ans Licht kommen würden, nicht Eingang in ein nachfolgendes Gerichtsverfahren finden dürfen.Footnote 43 Flankierend dazu regelt § 4 MediationsG, dass der Mediator nicht zum Beweis solcher Tatsachen als Zeuge herangezogen werden kann.

Vereinbarungen zur Vertraulichkeit führen in der Praxis nicht dazu, dass die Beteiligten sogleich alle ihre Karten auf den Tisch legen. Das ist in der Regel aber auch nicht erforderlich. Schon kleine Ein-und Zugeständnisse nimmt die andere Seite häufig als Vertrauenssignal wahr und kommt dann ihrerseits ein Stück weiter aus der Deckung. Nicht selten äußern die Parteien dann überraschtes Bedauern, dass sie sich in der Vergangenheit so missverstanden haben. Als atmosphärische Basis für die weiteren Mediationsgespräche ist das ein sehr fruchtbarer Boden.

Fälle, in denen jemand einen Prozess durch Einführung einer in der Mediation gewonnenen Information zu seinen Gunsten entscheiden könnte, sind aus der Praxis nicht bekannt. Das sollte nicht zu Leichtsinn oder Nachlässigkeit bei der Gestaltung der Mediations-Verfahrensverträge verführen. Es zeigt aber, dass die mit einem typischen Mediationsgespräch einhergehenden Risiken sehr gering sind.

3.2.1.3 Unabhängigkeit und Neutralität des Mediators

Ein drittes zentrales Charakteristikum der Mediation ist die Unabhängigkeit und Neutralität des Mediators. Im Unterschied zu einem Schiedsrichter oder einem Schlichter trifft er keine Bewertung des streitigen Geschehens, sondern hütet sich vor Annahmen und enthält sich jeglicher inhaltlicher Stellungnahme. Er sympathisiert daher auch nicht im Sinne einer AllparteilichkeitFootnote 44 mit den Perspektiven beider Seiten, sondern hält sich inhaltlich vollständig aus der Angelegenheit heraus. Ein Mediator soll nicht nachvollziehen oder mitfühlen, sondern „nur“ verstehen, wie es den Parteien geht, und dadurch gegenseitiges Zuhören, Empathie und Verständnis der Parteien untereinander fördern. Diese Rollenbeschreibung eines Mediators kann zuweilen Bürde und zuweilen Entlastung sein.

Eine Herausforderung sind Unabhängigkeit und Neutralität insoweit, als Bewerten, Schubladendenken und die Bildung einer klaren Meinung für die meisten Menschen eine unterbewusste Selbstverständlichkeit sind, die sich kaum abstellen lässt. Fatal ist für einen Mediator dabei weniger die spontane innere Evaluation als vielmehr die darauf folgende Versuchung, die eigene Meinung dann auch einmal klar zu äußern oder vielleicht auch nur subtil anklingen zu lassen. Der Reiz wird umso größer, je mehr die Verhandlungen zwischen den Parteien ins Stocken geraten, weil die Meinung eines unbeteiligten Dritten den Knoten durchschlagen könnte. Gleichwohl gilt: Außerhalb hybrider VerfahrenFootnote 45 ist das nicht der Auftrag eines Mediators. Wenn sich eine Partei durch die Meinungsäußerung übervorteilt sieht, hat das Image des Mediators und damit das ganze Verfahren regelmäßig irreparablen Schaden genommen. Im Zweifel sind sogar beide Parteien mit einer Bewertung des Mediators inhaltlich unzufrieden. Es gibt dabei also wenig zu gewinnen.

Natürlich ertappen sich auch professionelle Mediatoren in der Praxis immer wieder dabei, das Vorbringen der einen oder anderen Partei überzeugender zu finden. Um diese automatische Intuition im Zaum zu halten, ist es empfehlenswert, sich ganz bewusst von eigenen Annahmen zu befreien und die Parteien möglichst unvoreingenommen nach den Beweggründen für ihr Tun und ihre Perspektiven zu fragen. In der Regel wird ein zunächst seltsam anmutendes Bild deutlich verständlicher, wenn man mehr darüber erfährt, wie der Betroffene dazu gekommen ist. Diese Beschäftigung mit den Hintergründen ist übrigens nicht nur wichtig, um den Mediator vor den Versuchungen der innerlichen Parteinahme zu schützen. Gerade auch die andere Partei wird hier von den neugierigen Fragen des Mediators profitieren, weil sie Neues über ihren Verhandlungspartner erfährt, das ihr dessen Tun womöglich in einem anderen, besseren Licht erscheinen lässt.

So mutet es in Erbstreitigkeiten häufig allzu kleinkariert an, wenn ein Pflichtteilsberechtigter den Auskunftsanspruch nach § 2314 Abs. 1 BGB bis ins letzte Detail erfüllt haben möchte. Das Gesetz sieht hier zwar vor, dass sämtliche Nachlassgegenstände unabhängig von ihrem Wert aufzuführen sind. Footnote 46 Gerade beim Inventar einer Immobilie kann dies für die Erben aber zu einer unliebsam langwierigen Aufgabe werden, weil sie im Zweifel Tage damit verbringen, im Anwesen der Erblasserin jede Schranktüre zu öffnen und auch kleine Gegenstände akribisch aufzulisten. Deswegen lassen sie hier meist fünfe gerade sein, fassen Teile des Nachlasses zu Sachgesamtheiten zusammen und bezeichnen sie mit guten Gründen als wertlos. Wenn sich ein – womöglich rechtlich beratener – Pflichtteilsberechtigter damit nicht zufrieden gibt, geraten die Parteien schnell in einen Positionskampf darüber, ob das Nachlassverzeichnis den gesetzlich geforderten Detailgrad erreicht. In einer Mediation richtet sich stattdessen die Frage an den Pflichtteilsberechtigten, was ihn an der Vollständigkeit des vorgelegten Verzeichnisses zweifeln lässt. Die Antwort darauf kann sehr überraschend ausfallen: Womöglich weiß er von einem Gegenstand, der der Erblasserin zumindest ein Jahr vor ihrem Tod noch gehörte. Oder sein Misstrauen rührt aus einem Kindheitserlebnis mit den Erben oder jemand völlig anderem, bei dem er einmal für dumm verkauft wurde. Oder er hadert mit einer abfälligen Bemerkung eines Erben und möchte das Foul zurückspielen.

Neben dieser herausfordernden Facette ist die Neutralität für einen Mediator auch eine große Hilfe. Denn es ist nicht nur so, dass er infolge seiner Rolle im Verfahren den streitigen Sachverhalt nicht bewerten darf, sondern er ist vor allem auch nicht damit belastet, eine Bewertung vornehmen zu müssen. Mediatoren müssen keine Lösungsvorschläge generieren und differenziert begründen. Sie müssen auch nicht mit dem leben, worauf sich die Parteien einigen oder nicht einigen. Wenn eine Seite nach gründlicher Überlegung partout keinen Schritt weitergehen möchte, ist das ihr gutes Recht und kein Fehler des Mediators. Seine Zuständigkeit beschränkt sich auf das Verfahren und die darin stattfindende Kommunikation.

Die wichtigsten Rahmenregeln zu Unabhängigkeit und Neutralität hat der Gesetzgeber 2012 in § 3 MediationsG niedergelegt. Danach müssen Mediatoren den Parteien vor dem Beginn des Mediationsgesprächs alle Umstände offenzulegen, die seine Unabhängigkeit oder Neutralität beeinträchtigen könnten. So muss es ein Mediator etwa von sich aus offenbaren, wenn er zu einer Partei zuvor bereits geschäftlich oder privat Kontakt hatte oder eine Beziehung unterhalten hat. Entscheiden sich die Parteien in Ansehung dieses Umstands dafür, den Mediator gleichwohl zu beauftragen, lässt § 3 MediationsG dies in den meisten Fällen zu.

3.2.1.4 Eigenverantwortung der Parteien

Spiegelbild der Neutralität des Mediators ist schließlich die Eigenverantwortung der Parteien.Footnote 47 Da der Mediator nichts zur Sache sagt, bleibt es Aufgabe der Parteien, ihre Interessen zu benennen und die Bausteine für eine Lösung zu erarbeiten und zusammenzufügen. Zu Beginn einer Mediation erscheint dies regelmäßig als eine schier unlösbare Aufgabe. Das ändert sich aber, sobald über die Kommunikationsbrücke des Mediators ein konstruktives Gespräch in Gang kommt. Die oben beschriebene Verlagerung der Aufmerksamkeit von Positionen zu Interessen wirkt hier tatsächlich Wunder und wird von Parteien wie Anwälten, die erstmals an einer Mediation teilnehmen, regelmäßig mit Verblüffen zur Kenntnis genommen.

Der Grundsatz der Eigenverantwortung setzt die intellektuelle Fähigkeit und innere Bereitschaft der Parteien voraus, die ihnen zugedachte Verantwortung auch zu übernehmen. Das ist deshalb nicht selbstverständlich, weil die intuitive Vorgehensweise meist darin besteht, zunächst gegeneinander zu argumentieren, bis die Lage aussichtslos erscheint, und dann die Sache an Anwälte zu übergeben und sich aus der Verhandlungsführung gedanklich komplett zu verabschieden. Anwälte bleiben dann meist innerhalb der im materiellen Recht vorgesehenen Anspruchskategorien und bemühen sich um das Maximum dessen, was sich für die Mandantschaft realisieren lässt. Eine Mediation erfordert in gewisser Weise ein gegenläufiges Denken: Die Mandanten sind aufgerufen, das Zepter wieder selbst in die Hand zu nehmen und selbst zu sagen, was ihnen wichtig ist.

Häufig kommt es nicht zu einer Mediation, weil die Streitbeteiligten jeweils der Auffassung sind, sie selbst seien zu einem solchen Streitbeilegungsversuch bereit, aber der jeweiligen Gegenseite fehlten die geistigen Kapazitäten, sich für ein solches Verfahren zu öffnen. Der schwarze Peter wird damit zum Gegner geschoben, um sich nicht selbst fragen zu müssen, wie sich der Streit womöglich konstruktiv lösen ließe. Weil häufig beide Seiten so denken, bleibt es dann bei der konfrontativen Auseinandersetzung. Dieses Dilemma lässt sich nur auflösen, indem sich jeder Beteiligte einer Annahme über das Verhalten seines Gegenübers enthält und schlicht für sich die Aussage trifft, inwieweit er zu einem Mediationsversuch bereit ist.

Rational im Sinne ihrer Mandanten denkende Anwälte werden ihre Mandanten in der Regel in diesem Sinne mediationsaffin beraten. Denn das mit einer Verantwortungsdelegation verbundene Risiko, auf der hohen See der Justiz auf ganzer Linie zu verlieren, wollen meist weder unternehmerische noch private Mandanten tragen. Anders als vor Gericht lässt sich in einer Mediation sehr gut steuern und kontrollieren, worauf es am Ende hinaus läuft. Unangenehme Überraschungen kommen praktisch nicht vor. Das ist insbesondere in erbrechtlichen Streitigkeiten attraktiv, weil das winkende Erbe in der Regel nicht Lebensgrundlage, sondern mehr oder minder unverhofftes Zubrot ist, von dem man lieber einen Teil mit Sicherheit erhält, als auf Alles oder Nichts zu spielen. Jedenfalls bei ernsthaft problematischen Rechtsfragen ist das auch erbschaftssteuerlich sinnvoll, weil sich die Steuerlast im Fall eines Prozessgewinns nicht auf den ex ante erwarteten, sondern den vollen realisierten Vermögensanfall bezieht.

Angenommen, zwischen zwei Geschwistern sei streitig, ob nur die Schwester oder auch der Bruder zum Erben eines Nachlasses im Wert von 1,6 Mio. Euro berufen ist. Der Bruder beansprucht den halben Nachlass im Wert von 800.000 Euro, die Schwester sieht sich als Alleinerbin und streitet diese Forderung ab. Die Erfolgsaussichten vor Gericht seien 50:50. Hier kann die Schwester den Bruder entweder mit 400.000 Euro abfinden, was dem Erwartungswert des Prozesses aus seiner Sicht entspricht. Footnote 48 Oder sie lässt es auf einen Prozess ankommen, an dessen Ende der Bruder leer ausgeht oder im Wert von 800.000 Euro am Erbe partizipiert. Im Falle einer Abfindung liegt der Erwerb des Bruders unter dem Freibetrag des § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG und bliebe daher steuerfrei; die Schwester muss die über den Freibetrag hinausgehende Summe in Höhe von 800.000 Euro versteuern. Lassen es die Geschwister hingegen auf einen Prozess ankommen, kann die insgesamt zu versteuernde Summe höher ausfallen: Gewinnt der Bruder, bleibt es zwar bei einer insgesamt zu versteuernden Summe von 800.000 Euro, weil auch hier beide Freibeträge voll ausgeschöpft werden. Gewinnt hingegen die Schwester, bleibt der Freibetrag des Bruders ungenutzt und die Schwester muss 1,2 Mio. Euro versteuern. Mit anderen Worten: Der Erwartungswert der Steuerlast ist bei einer Kompromisslösung niedriger. Deswegen ist es für die Schwester auch dann besser, ihren Bruder abzufinden, wenn sie das mit einem Gerichtsprozess verbundene Risiko nicht stört.

3.2.2 Die Struktur eines Mediationsverfahrens

Auch wenn es keine gesetzlichen Vorgaben zum Ablauf einer Mediation gibt, hat sich für das Mediationsverfahren doch eine Struktur etabliert, die im Gros der Praxisfälle auch recht konsequent eingehalten wird.Footnote 49 Diese Struktur ist kein Selbstzweck,Footnote 50 aber sie folgt einer inneren Logik und hat sich in der Praxis immer wieder bewährt.

3.2.2.1 Abstimmung über das Verfahren

Nachdem sich die Parteien auf eine Mediation und einen MediatorFootnote 51 verständigt haben, geht es zunächst darum, ein gemeinsames Verständnis davon zu entwickeln, was die Parteien im Mediationsverfahren erwartet und welche Informationen zur Vorbereitung der Präsenzgespräche erforderlich sind. Diese erste Phase des Mediationsverfahrens beginnt in der Regel niederschwellig durch den Austausch von E-Mails und schließt zu Beginn des ersten Präsenztreffens mit der gegenseitigen Versicherung, dass alle Beteiligten an Bord sind.

Der Mediator informiert die Parteien zunächst über Inhalt und Ablauf eines Mediationsverfahrens und über seine Person und Erfahrung in diesem Bereich.Footnote 52 Um sich seinerseits auf den Gegenstand des Verfahrens vorbereiten zu können, bittet er die Parteien in der Regel um kurze Stellungnahmen dazu, welche Themen aus ihrer Sicht besprochen werden sollten und was ihnen dabei wichtig ist. Sind bereits Anwälte involviert, beteiligen sich diese regelmäßig an der Erstellung dieser Parteistatements. Gleichwohl ist es wichtig, dass die Parteien hier nicht (erneut) schriftsätzlich vortragen, sondern möglichst unjuristisch und authentisch formulieren, worum es ihnen geht. Weiterhin ist wichtig, dass stets alle Beteiligten in die Kommunikation einbezogen sind. Seitenkanäle des Mediators mit einzelnen Beteiligten gefährden seine Neutralität und sind allenfalls in begründeten Ausnahmefällen sinnvoll.

Neben dem Austausch inhaltlicher Informationen klären die Beteiligten in diesem Stadium auch den organisatorischen Rahmen der Mediationsgespräche. Unter Moderation des Mediators einigen sie sich auf einen möglichst neutralen Ort und einen Termin für die Gespräche. In erbrechtlichen Streitigkeiten empfiehlt es sich, dass sich die Beteiligten mindestens drei aufeinanderfolgende Tage einschließlich der Abende komplett für die Mediationsgespräche blocken. Denn Unterbrechungen der Gespräche wirken sich in der Regel ungünstig auf die Verhandlungsdynamik aus. Häufig stehen Anwälte und Steuerberater der Parteien zunächst nur auf Standby und werden bei positivem Verlauf der ersten Gespräche später hinzugeholt.

Weiterhin sendet der Mediator den Parteien in der Regel auch ein Formular für eine vertragliche Vereinbarung der Beteiligten zu den im Mediationsgesetz nicht geregelten Rahmenbedingungen des Verfahrens zu. Darin finden sich mindestens Vereinbarungen zum Honorar des Mediators und zum vertraulichen Umgang mit den im Rahmen der Mediation bekannt werdenden Informationen. Üblicherweise wird dieser Verfahrensvertrag nicht diskutiert, sondern die Parteien nehmen ihn widerstandslos hin und werfen nur einen Blick auf das Honorar. Vor überraschenden und einseitigen Klauseln im Verfahrensvertrag ist gleichwohl zu warnen, denn diese werden im Zweifel einer AGB-Kontrolle am Maßstab der §§ 305 ff. BGB nicht standhalten.

Beispiel

Einleitende E-Mail Korrespondenz

Die einleitende E-Mail einer Mediatorin kann beispielsweise wie folgt lauten:

Sehr geehrte Frau Meier, sehr geehrter Herr Schulz,

haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage vom 4. August 2022! In der Tat bin ich regelmäßig in Erbstreitigkeiten als Mediatorin tätig und kann mir auch gut vorstellen, Sie bei der Suche nach einer einvernehmlichen Streitbeilegung zu unterstützen. Lassen Sie mich Ihnen dazu einige einleitende Informationen an die Hand geben:

  1. 1.

    Nach meiner Erfahrung sollte man sich für eine Verhandlung über die von Ihnen skizzierten Konfliktpunkte zwei bis drei Tage Zeit nehmen. Für mich als Mediatorin kommen dann noch einmal etwa eineinhalb Tage Vorbereitungszeit hinzu. Wenn Sie mich als Mediatorin beauftragen, setze ich einen Halbtagessatz von 1500 Euro zzgl. 19 % USt an. Nicht selten ist es ratsam, eine Co-Mediatorin hinzuzuziehen, um den Prozess flexibler zu gestalten; das muss allerdings nicht zu einer Verdoppelung der Kosten führen, sondern ist fallabhängig verhandelbar. Hier stelle ich gerne den Kontakt zu einer Kollegin her, wenn Sie das auch für sinnvoll halten.

  2. 2.

    Zeitlich stünde ich Ihnen ab Anfang September relativ flexibel zur Verfügung. Nennen Sie mir gerne konkrete Termine, die für Sie passen würden. Ihre anwaltlichen Vertreter müssten nach meinem Dafürhalten zunächst nicht dabei sein; wir können sie zu einem späteren Zeitpunkt hinzuziehen, wenn Sie sich einer Einigung nähern sollten.

  3. 3.

    Das Verfahren zur Vorbereitung der Mediation läuft im Wesentlichen wie folgt ab: Sie und Ihre Anwälte senden mir diejenigen Unterlagen per E-Mail zu, die Sie für wichtig halten, insbesondere bereits gewechselte Schriftsätze. Weiterhin ist es hilfreich, wenn Sie auf maximal fünf Seiten eine strukturierte Zusammenfassung Ihrer individuellen Perspektive und Ihrer individuell wichtigen Interessen formulieren und unter allen Beteiligten zirkulieren.

Lassen Sie mich gerne wissen, ob dieses Vorgehen für Sie in Betracht kommt. Falls Sie weitere Fragen haben, zögern Sie nicht, sie zu stellen. Die vertraglichen Unterlagen für das Mediationsverfahren leite ich Ihnen zu, sobald Sie sich für eine Mediation unter meiner Leitung entschieden haben und wir Klarheit über die Zuziehung einer Co-Mediatorin haben.

Mit freundlichen Grüßen

Abena Osei (Mediatorin)

Die Abstimmung des Verfahrens findet ihren Abschluss zu Beginn der eigentlichen Mediationsverhandlung. Häufig unterzeichnen die Beteiligten jetzt erst den Verfahrensvertrag, der zuvor nur per E-Mail zirkuliert wurde. Der Mediator geht dann in einer kurzen Eröffnungsansprache auf die wichtigsten Aspekte des Mediationsverfahrens noch einmal ein und gibt den Parteien Gelegenheit, Fragen zum weitere Prozedere zu artikulieren. Es empfiehlt sich, auf die anstehenden Phasen des Mediationsverfahrens nochmals hinzuweisen und diese möglichst im Raum sichtbar zu machen. Denn eine Mediation ist für die Parteien regelmäßig etwas Ungewohntes und Neues. Eine klare Orientierung ist daher ein absolutes Muss!

3.2.2.2 Sichtweisen der Parteien

In der zweiten Phase des Mediationsverfahrens beginnt das inhaltliche Gespräch mit einem Austausch der unterschiedlichen Sichtweisen der Parteien. Dies ist regelmäßig der für alle Beteiligten kräftezehrendste Part der Veranstaltung. Denn beide Seiten stehen üblicherweise unter Spannung und möchten endlich einmal sagen, was Sache ist. Nachdem sie bei ihrem Gegenüber bisher auf taube Ohren gestoßen sind, erwarten sie nun ein offenes Ohr beim Mediator. Auch wenn sie abstrakt wissen, dass der Mediator neutral ist, hoffen sie doch häufig intuitiv auf eine Bestätigung ihrer Sichtweise durch den Mediator.

Der beschriebene Erwartungs- und Äußerungsdruck besteht natürlich bei beiden Parteien. Die Kunst des Mediators besteht darin, die Spannung in halbwegs geordneten Bahnen zur Entladung zu bringen. Er tut dies mit einer einleitenden Erläuterung, dass beide Seiten nun Gelegenheit und ausreichend Zeit haben werden, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Naturgemäß kann nur eine der beiden Parteien zuerst zum Zuge kommen; umso wichtiger ist es, dass diese sich um eine sachliche Ausdrucksweise bemüht und der zuhörende Kontrahent für seine Geduld ausreichend Wertschätzung erfährt. Hier die Contenance zu wahren, ist naturgemäß schwer, deswegen ermuntert der Mediator die Parteien immer wieder zu einer verträglichen Ansprache und zu interessiertem Zuhören. Wo das misslingt, springt der Mediator ein und glättet die Kommunikation. Es kann dabei hilfreich sein, auf eingangs vereinbarte Spielregeln zu verweisen, denn die Beteiligten setzen sich erfahrungsgemäß ungern in Widerspruch zu einer früheren eigenen Erklärung.

Die Darstellung der individuellen Perspektiven endet erst, wenn beide Parteien auf wiederholte Nachfrage des Mediators nichts mehr ergänzen möchten. Ein Abgleich der beiden unterschiedlichen Sichtweisen oder gar eine Einordnung in streitiges und unstreitiges Geschehen erfolgen nicht. Das erscheint zunächst überraschend. Es wird aber verständlich, wenn man sich klarmacht, dass es in dieser zweiten Phase der Mediation anders als in einem Gerichtsprozess nicht darum geht, die Wahrheit herauszufinden. Denn die eine Wahrheit gibt es selten; auch die Justiz muss sich letztlich mit einer durch die Grenzen der Beweisaufnahme verkürzten Wahrheit zufrieden geben. In der Mediation geht es um etwas ganz Anderes: Die Parteien sollen Gehör finden. Gehör gewährt ihnen zunächst der Mediator, indem er ihnen vernehmlich – man sagt auch: aktiv – zuhört und das Gehörte auf einem Flipchart sichtbar macht. Idealerweise spitzt dabei bald auch der Kontrahent seine Ohren, weil ihn der Mediator dazu animiert und weil er die Perspektive des Anderen vielleicht auch erstmals in einem verträglichen Ton vorgetragen bekommt. Es ist nicht das Ziel, dass die Parteien einander überzeugen oder sich darauf verständigen, dass sich gewisse Dinge in der Vergangenheit in bestimmter Weise zugetragen haben. Sondern es geht darum, dass sie erleben vielleicht sogar ihren Frieden damit finden, dass die Welt aus der Warte ihres Gegenübers tatsächlich etwas anders ausschaut.

Was sich aus der Warte eines unbeteiligten Dritten einfach beschreiben lässt, stellt für die Parteien eines Rechtsstreits eine immense Herausforderung dar. Denn Empathie wird uns nicht in die Wiege gelegt. Kinder erlernen das Sichhineinversetzen in ihr Gegenüber frühestens im Vorschulalter, bei vielen Menschen bleibt diese Fähigkeit aber unterentwickelt, und selbst Psychologieprofis scheitern regelmäßig daran, die Perspektive einer anderen Person einzunehmen, sobald sie selbst als Kontrahent an einem Konflikt beteiligt sind . Mediatoren geht es natürlich in Streitigkeiten, die sie selbst betreffen, keinen Deut besser. Das gegenseitige Zuhören, Ertragen und Nachvollziehen ist also viel verlangt. Es braucht viel guten Willen bei den Parteien und große Ausdauer bei der Mediatorin, um diese Haltung zu fördern und den Parteien in ihrem Bemühen geduldig zu assistieren.

Die Befähigung der Parteien zu echtem gegenseitigen Gehör ist Kern des Mehrwerts einer Mediation und alles Andere als eine Selbstverständlichkeit. In aller Regel haben die Beteiligten einander zuvor nur ein Scheingehör gewährt. Man hat zuerst viel gesprochen, danach womöglich viel geschrieben oder schreiben lassen und ist dabei formal auch auf das Vorbringen des jeweils Anderen eingegangen, indem man physisch zugegen war, vielleicht genickt hat und sich auf das Argument des Gegenübers bezogen hat. Tatsächlich aber sind diese Zuhörsignale eingeübte Automatismen. Bei den meisten Menschen ist es so, dass sie diese Signale im Vordergrund abspulen, während sie gedanklich längst an ihrem Gegenargument feilen. Das scheinbare Zuhören ist in Wahrheit ein aneinander Vorbeireden. Denn natürlich kann keine echte inhaltliche Diskussion zustande kommen, wenn die Beweggründe und Denkansätze des jeweils Anderen gar keine Würdigung finden. Natürlich bringt auch ein Mediationsgespräch die Parteien nicht von einer Sekunde zur nächsten dazu, sich für den Anderen zu interessieren und sich in seine Welt einzufühlen. Aber das einander ausreden lassen und der Steigbügel der offenen Mediatorohrs verbessern die Gesprächsatmosphäre und die Kooperationsbereitschaft erfahrungsgemäß immens.

Es kann in einer Mediation Stunde um Stunde, gern auch einmal einen ganzen Tag dauern, bis der Fluss der angestauten Argumente und der angesammelten Frustration versiegt ist. Ist dieser Zeitpunkt erreicht, merken die Beteiligten das sofort. Es ist ein wenig wie am späten Nachmittag des 23. Dezember. Das Flackern geschäftiger Unruhe wird immer schwächer, bis schließlich fast plötzlich ein Zustand der Ruhe und Gelassenheit eintritt. Die Luft ist buchstäblich heraus. Die Mediation braucht diesen Moment, damit die Parteien in den folgenden Phasen des Verfahrens ohne verbliebenes Störgefühl konstruktiv an ihrer Zukunft schmieden können.

3.2.2.3 Interessen

In der dritten Phase des Mediationsverfahrens beschäftigen sich die Parteien mit ihren Interessen, also den abstrakten Maßstäben dafür, was sie sich für ihre Zukunft wünschen. Damit ist ein fundamentaler Perspektivenwechsel verbunden: Während die zweite Mediationsphase im Zeichen der Konfliktthemen, vielleicht auch Verletzungen der Vergangenheit stand, richtet sich der Blick nun auf die Frage, wie die Beteiligten mit den bestehenden Schwierigkeiten künftig umgehen können. Die Parteien lassen also die Vergangenheit, die sie ohnehin nicht mehr ändern können, hinter sich und widmen ihre Zeit der Zukunft, für die sie die entscheidenden Weichen noch stellen können. Manche Mediatoren unterstreichen diesen Perspektivenwechsel und den damit verbundenen fresh start dadurch, dass sie den Raum einmal durchlüften, das Licht einschalten oder den Beteiligten einen Kaffee anbieten.

Der Mediator bittet die Parteien in dieser dritten Mediationsphase darum, darüber nachzudenken, was ihnen bei der Lösung des Konflikts wirklich wichtig ist. Das kann durchaus zunächst in einer halben Stunde stiller Arbeit geschehen, in der die Parteien ihre Interessen beispielsweise individuell auf Moderationskarten notieren. In einem zweiten Schritt machen sie ihre Interessen dann für die anderen Verfahrensbeteiligten sichtbar, erläutern sie und klären Missverständnisse. Wichtig ist, dass es nicht um die Erarbeitung gemeinsamer Interessen, sondern um individuelle Präferenzen und Bedürfnisse geht. Warum gerade auch unterschiedliche Interessen für eine Einigung hilfreich sein können, lässt sich besonders gut an erbrechtlichen Verteilungskonflikten ablesen. Die Verteilung eines Nachlasses erleichtert sich enorm, wenn die Parteien unterschiedliche Präferenzen haben, etwa weil eine Erbin eher materielle Werte schätzt und eine andere Erbin vor allem Affektionsinteressen verfolgt.

Die Erforschung der Parteiinteressen ist für den Mediator insoweit eine Herausforderung, als die Beteiligten die Frage nach ihren Interessen häufig beantworten, indem sie die eingangs geäußerten Positionen wiederholen. Das kann man ihnen nicht verübeln, denn die seinerzeit in den USA entwickelte Unterscheidung zwischen Positionen und InteressenFootnote 53 ist Laien natürlich kaum geläufig. Mediatoren brauchen hier Geduld und Kommunikationsgeschick, damit die Gesprächsmaterie nicht alsbald auf die Themen der zweiten Phase zurückfällt. Natürlich schadet es auch nicht, ein Gefühl für typische Interessenlagen zu haben. Schließlich muss der Mediator in der dritten Phase trotz der ein Stück weit abgefallenen Grundspannung und der häufig bereits fortgeschrittenen Tageszeit Gründlichkeit walten lassen. Es genügt nicht, die Parteien binnen einer halben Stunde jeweils eine Handvoll Interessen generieren zu lassen. Interessenlagen sind auch bei einfach wirkenden Fällen eigentlich immer kompliziert. Es braucht daher eine gehörige Portion Fingerspitzengefühl und Beharrlichkeit, um die Motivationslage der Beteiligten auch nur annähernd zu erfassen. Wer sich in der dritten Phase die Sorgfalt spart, wird dies wenig später bereuen.

Einige typische Interessen, die in erbrechtlichen Fällen immer wieder eine Rolle spielen: Finanzielle Sicherheit für die eigene Familie, Befriedigung langjähriger Erberwartungen der eigenen Familie, Anerkennung einer Nähebeziehung zur Erblasserin, Anerkennung eigener Mühe für die Pflege der Erblasserin, Erfüllung des letzten Willens der Erblasserin, Vermögen in verantwortungsvolle Hände geben, keine Zurücksetzung gegenüber gleichnah Verwandten, echtes Gehör des Verhandlungspartners, Begegnung auf Augenhöhe …

3.2.2.4 Lösungsbausteine

Haben sich die Parteien Ihrer Interessen vergewissert, geht es in der vierten Phase der Mediation um Elemente, die Bestandteil einer Konfliktlösung sein könnten. Das Ziel ist es dabei, möglichst viele Ideen zu generieren, weil es bei einer großen Vielfalt an Optionen wahrscheinlicher ist, dass sich letztlich ein Lösungspaket findet, das beiden Seiten etwas bringt. Um diesen Lösungsraum möglichst weit zu eröffnen und den Ideenfluss bestmöglich zu stimulieren, hat es sich bewährt, streng zu trennen zwischen dem Erarbeiten möglicher Lösungselemente einerseits und der Auswahl der besten Lösungselemente andererseits.

Für die Entwicklung möglichst vielfältiger Lösungsideen bedarf es idealerweise einer Art Werkstattatmosphäre. Die Parteien haben ihren Frust zu diesem Zeitpunkt regelmäßig hinter sich gelassen und sind in der Lage, kreativ und konstruktiv zusammen nachzudenken. Der Mediator fördert dies seinerseits durch offene Fragen. Dabei knüpft er vor allem an den individuellen Interessen der Parteien an und fragt nach Lösungsideen, die diese Interessen gut verwirklichen können. Möchte eine Partei etwa ein Andenken an die Erblasserin behalten, fragt ein Mediator, wie ein solches Andenken aussehen könnte. Benötigt eine Seite dringend Liquidität, fragt der Mediator, woher diese Liquidität stammen könnte. Die Fragen sind dabei stets so formuliert, dass sie nicht auf nur eine mögliche Antwort zielen, sondern mit einer Vielzahl verschiedener Einfälle beantwortet werden kann.

Es ist in dieser Phase Aufgabe des Mediators, das oben beschriebene Gebot der Trennung zwischen dem Erarbeiten von Lösungsbausteinen einerseits und der Zusammenstellung des besten Pakets andererseits in der Verhandlung durchzusetzen. Das ist alles andere als einfach, weil es bei den meisten Menschen eine intuitive Gewohnheit gibt, Ideen und Vorschläge, die sie selbst betreffen, sogleich zu bewerten. Und sie, wenn sie von einem Kontrahenten stammen, sogleich abzuwerten.Footnote 54 Eine solche Abwertung kann offen erfolgen, etwa indem eine Partei die Idee ihres Gegenübers sofort als unrealistisch abtut. Häufig verstecken sich Bewertungen aber auch in Angebotsbündeln oder Wenn-Dann-Konstruktionen, die ein Element einer möglichen Lösung von der Einigung auf einen anderen Lösungsbaustein abhängig machen. Sobald man aber beginnt, darüber zu verhandeln, ist die kreative Suche nach Lösungsideen beendet.

Die kreative Suche nach Lösungsideen kann gut und gerne einen halben oder einen ganzen Tag in Anspruch nehmen. Denn damit die Ideen greifbar werden, empfiehlt es sich in der Regel, sie ein Stück weit auszubuchstabieren, beispielsweise indem man auch über ihre steuerrechtlichen Implikationen nachdenkt. Ist der Fluss des kreativen Nachdenkens endgültig versiegt, geht es daran, die aus Sicht der Parteien interessengerechteste Lösung auszuwählen bzw. zusammenzustellen. Dazu kann man sämtliche auf dem Tisch liegenden Möglichkeiten evaluieren oder aber zunächst mit einem einfach zu vereinbarenden Punkt beginnen und von dort aus das Puzzle immer weiter komplettieren. Trotz der dann häufig neu gewonnenen Eintracht ist es dabei wichtig, sich die Zukunft nicht zu rosig auszumalen, sondern die Machbarkeit und Nachhaltigkeit der Lösung im Auge zu behalten.

Die Autoren dieses Buches waren einmal als Co-Mediatoren in eine erbrechtliche Auseinandersetzung involviert, bei der sich die Parteien letztlich darauf einigen konnten, dass sie beide wertmäßig gleich am Nachlass partizipieren. Allerdings sollte einer der Erben als Teil seiner Hälfte ein Grundstück erhalten, das überwiegend ausländischer Erbschaftssteuer unterlag. Da diese ausländische Erbschaftsteuer höher als die inländische Steuer ausfiel, sollte der entsprechende Wertnachteil bei der Verteilung des übrigen Vermögens berücksichtigt werden. Um dies zu berechnen, musste eine Reihe von schwierigen, teilweise hypothetischen Vorfragen beantwortet werden. Dies glückte letztlich unter Hinzuziehung einer Steuerberaterin, die die Wertungen der ausländischen Steuerbehörde prognostizierte. Der zwischen den Parteien gefundene Kompromiss hing gleichwohl stellenweise am seidenen Faden, weil jeglicher Wertnachteil einer Seite die festgelegte Nachlassverteilung sogleich wieder in Frage stellte.

Gen Ende der vierten Phase der Mediation kann es noch einmal turbulent zugehen. Die Gefahr ist besonders groß, wenn die Parteien ihre Interessen nur flüchtig ergründet haben und sich mit der Erarbeitung nur einiger weniger Lösungsideen begnügt haben. Denn dann fallen die Beteiligten leicht wieder auf die vergangenheitsgerichteten Positionen und Anspruch zurück, die den Konflikt vor dem Beginn der Mediation haben eskalieren lassen. Spätestens dann, wenn es um Zahlen geht, ist der Kooperationswille irgendwann an seinem Ende. Das liegt nicht unbedingt daran, dass die Parteien zu weiteren Konzessionen nicht bereit wären. Aber sie lassen trotz allen guten Willens doch gerne ihrem Verhandlungspartner bei Zugeständnissen den Vortritt. Weil beide Seiten so denken, kommen die Verhandlungen regelmäßig zum Stillstand, bevor eine konsensfähige Zahl gefunden ist. In diesen Fällen kann es sich anbieten, dass der Mediator mit den Parteien vertrauliche Einzelgespräche führt, vgl. § 2 Abs. 3 S. 3 MediationsG. Das gibt den Beteiligten Raum, mit ihrer internen Kalkulation aus der Deckung zu kommen. Mediatoren müssen bei diesen Einzelgesprächen vor allem darauf achten, sich nicht für eine Seite vereinnahmen zu lassen. Sie geben also auch hier keine Meinung zur Sache oder zur Angemessenheit von Kompromissangeboten ab. Vielmehr stellen sie auch hier vor allem reflektierende und wohlwollend kritische Fragen, die nicht selten dazu führen, dass eine Partei ihre Einschätzung der Sach- und Rechtslage von sich aus ein Stück weit revidiert und anschließend zu weiter gehenden Kompromissen bereit ist.

3.2.2.5 Abschluss des Verfahrens

In der fünften Phase findet das Mediationsverfahren letztlich seinen Abschluss. Dieser Abschluss kann ganz unterschiedlich aussehen. In den meisten Fällen gelingt es den Parteien, sich auf eine Lösung ihres Konflikts zu verständigen; dann gießen sie die Einigung in einen Vergleichsvertrag i. S. d. § 779 BGB. Nicht selten passiert es auch, dass der vorgesehene Zeithorizont nicht ausgereicht hat, so dass sich die Parteien auf eine Fortsetzung der Verhandlung zu einem späteren Zeitpunkt vertagen. Und natürlich kommt es auch immer wieder vor, dass eine Einigung scheitert und die Parteien im Streit auseinander gehen.

Spätestens wenn es daran geht, einen Vergleich aufzusetzen, sollten die Beteiligten in der Regel Rechtsanwälte hinzuziehen. Denn ein Vergleich gestaltet die Rechtslage regelmäßig mindestens teilweise neu und lässt zuvor bestehende streitige Ansprüche untergehen.Footnote 55 Die Parteien sollten hier wissen, worauf sie verzichten. Gemäß § 2 Abs. 6 S. 2 MediationsG müssen Mediatoren die Parteien deswegen zumindest darauf hinweisen, dass sie Rechtsberater hinzuziehen können. Dies empfiehlt sich natürlich auch mit Blick auf die kautelarjuristische Qualität des Vergleichsvertrags. Ohne anwaltliche Beratung müssen die Parteien damit rechnen, dass das niedergelegte Wort den Inhalt ihrer Einigung nur unvollständig wiedergibt und dass regelungsbedürftige Aspekte womöglich keine Beachtung finden.

Unterlässt es der Mediator, die Parteien auf die Möglichkeit einer Rechtsberatung hinzuweisen, oder suggeriert er gar, den Vergleich selbst absichern zu können, hat das gravierende Folgen. Denn im Zweifel handelt es sich um eine Rechtsberatung beider Parteien, die gemäß §§ 43a Abs. 1, 4 BRAO und § 3 BORA berufsrechtswidrigFootnote 56 und nach § 356 Abs. 1 StGB als Parteiverrat strafbar ist. Zudem macht sich ein Mediator haftbar, wenn eine der Parteien vor diesem Hintergrund einem Vergleich zustimmt und dadurch Rechtsansprüche verliert.Footnote 57

Bisweilen macht es die Streitmaterie erforderlich, zusätzlich zu den Rechtsanwälten weitere Personen wie etwa einen Notar oder einen Steuerberater hinzuzuziehen. Ist ein Testamentsvollstrecker mit der Verwaltung des Nachlasses betraut, kann es sich auch empfehlen, ihn zum Abschluss der Mediation hinzuzuziehen, um die weiteren Schritte zu besprechen. Man kann diese beginnende Umsetzung des Mediationsvergleichs auch auf spätere Termine ohne Mitwirkung des Mediators verschieben. Erfahrungsgemäß ist es aber besser, den Mediationsraum mit einer niet- und nagelfesten Lösung zu verlassen, damit die erzielte Einigung nicht unter der Kritik Außenstehender anschließend noch einmal in Frage gestellt wird.

Kommt es vorläufig oder endgültig nicht zu einer Einigung der Parteien, empfiehlt es sich, das bis dahin Erreichte gleichwohl zu dokumentieren, sei es als Zwischenergebnis und Grundlage für eine spätere Fortsetzung der Verhandlung oder als Nachweis über den Nutzen des Mediationsverfahrens. Man liest häufig, dass eine Mediation gescheitert sei.Footnote 58 Das ist aber in den seltensten Fällen so. Denn auch wenn letztlich keine Einigung zustande kommt, trägt eine Mediation doch viele Früchte. Eine Einigung ist nicht das Ziel einer Mediation. Vielmehr geht es in der Mediation wie in jeder Verhandlung darum, dass beide Parteien auf der Grundlage möglichst vollständiger Information für sich eine Entscheidung darüber treffen können, ob ihnen das, was die Gegenseite anbietet, etwas nützt oder ob sie lieber einen Alleingang machen und womöglich gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen möchten.Footnote 59 Zwar liegt eine Einigung meist im Interesse beider Seiten. Aber es gibt durchaus Fälle, in denen die Einschätzungen auch am Ende eines Mediationsverfahrens so weit auseinander liegen, dass man nicht zueinander findet. Auch dann nehmen die Parteien aber viel aus der Mediation mit: Erkenntnisse über die eigene Interessenlage, ein besseres Verständnis für die Sichtweise des Verhandlungspartners und eben auch das nunmehr gut begründete Wissen, dass der gemeinsame Weg nicht der für sie richtige ist.

Diese Ergebnisoffenheit der Mediation wurzelt letztlich in der Eigenverantwortlichkeit der ParteienFootnote 60 und bedeutet für den Mediator eine große Entlastung. Ein Mediator kann einen Fall auch dann erhobenen Hauptes abschließen, wenn sich die Parteien nicht einig geworden sind. Mediation ist eine Kunst, aber der Mediator stellt nur die Staffelei auf, den Pinsel führen die Parteien. Und wenn ihnen das gemeinsam gemalte Bild nicht gefällt, haben weder sie noch der Mediator einen Fehler gemacht, sondern alle Beteiligten sind um die Erkenntnis reicher, dass die Parteien andere Bilder schöner finden. Dass andere Bilder schöner sind, kann man natürlich auch schon vorab vermuten, aber die Vermutung trifft nur in einem von fünf Fällen zu, und deswegen wäre es fahrlässig, dem gemeinsamen Werk nicht zumindest eine Chance zu geben.

3.2.3 Kosten der Mediation

Die Chance, die die Mediation verdient hat, müssen sich die Parteien natürlich auch leisten können. Dabei gilt: Weil Mediatoren streitwertunabhängig vergütet werden, ist eine Mediation vor allem bei mittleren und hohen Streitwerten attraktiv. Während die Kosten von Gerichts- und Schiedsgerichtsverfahren hier immer weiter steigen, bleiben die Kosten einer Mediation weitgehend konstant. Gerade im Erbrecht als einem Bereich mit Streitigkeiten um regelmäßig große Vermögensmassen ist das – neben den nicht zu unterschätzenden nicht-monetären Vorteilen – ein gewichtiges Argument. Natürlich lassen sich durch die Wahl des Mediationsverfahrens ein Gerichtsverfahren und die damit zusammenhängenden Kosten nicht sicher vermeiden. Ökonomisch sind diese Zusatzkosten aber mit der Nicht-Einigungs-Quote in der Mediation, d. h. etwa 20 %, zu multiplizieren und fallen damit meist nicht entscheidend ins Gewicht.

Mediatoren vereinbaren für ihre Tätigkeit in der Regel ein zeitabhängiges Honorar. Üblich sind dabei ein Stundenhonorar zwischen 100 und 400 Euro, ein Halbtageshonorar zwischen 500 und 2000 Euro oder ein Tagessatz zwischen 1000 und 4000 Euro. Halbtages- und Tageshonorare haben den Vorteil, dass die Beteiligten typischerweise weniger auf die Uhr schauen und auch zu späterer Tageszeit noch engagiert und konstruktiv bei der Sache sind. Das Honorar fällt normalerweise nicht nur für die Dauer der Präsenzverhandlung, sondern auch für die Vor- und Nachbereitungszeit an.Footnote 61 In komplexen erbrechtlichen Angelegenheiten kann eine dreitägige Präsenzverhandlung durchaus mit einer zweitägigen Vorbereitungszeit verbunden sein.

Soweit Rechtsanwälte an der Mediationsverhandlung teilnehmen, können diese die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 ff. VV RVG sowie im Falle einer Einigung auch die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 ff. VV RVG ansetzen. Die Komplexität und Dauer der Mitwirkung im Mediationsverfahren wird dabei oft die volle Ausschöpfung des Gebührenrahmens der Geschäftsgebühr rechtfertigen.Footnote 62 Üblicher ist freilich die Vereinbarung eines zeitabhängigen Honorars in der Größenordnung der Vergütung des Mediators. In der Praxis ist zu beobachten, dass Anwälte mit ihren Honorarvorschläge umso mehr Zurückhaltung üben, je länger sich die Verhandlungen vor Beginn der Mediation bereits hingezogen haben. Insbesondere dann, wenn in der Rechtsberatung zuvor Fehler unterlaufen sind, die zur Eskalation der Sache beigetragen haben, sind zuweilen auch Anwälte denkbar, wenn sich die Kuh mit Hilfe eines Mediationsverfahrens vom Eis bringen lässt.

Denkbar sowohl für die Anwälte als auch für den Mediator ist schließlich ein Erfolgshonorar.Footnote 63 Aus gutem Grunde ist das aber unüblich: Anwälte möchten ihre Vergütung nicht von der Kompromissbereitschaft ihrer Mandantschaft abhängig wissen, und ein Mediator wäre nicht mehr neutral, wenn ihm ein Erfolgshonorar einen Anreiz gäbe, die Parteien nur irgendwie in einen Vergleich hineinzukomplimentieren.

Statt sich für eine mehrtägige Mediationsverhandlung mit einem Streitwert von 2 Mio. Euro ein Tageshonorar von 2000 Euro zusagen zu lassen, könnte eine Mediatorin auch ein Erfolgshonorar in Höhe von 3000 Euro pro Tag oder in Höhe von 12.000 Euro insgesamt veranschlagen, das nur fällig wäre, wenn die Verhandlung zu einer Einigung führen sollte. Man kann sich aber leicht ausmalen, zu welchen Verhaltensanreizen dies gen Ende der Verhandlung führen würde: Die Mediatorin würde alles daran setzen, die Parteien irgendwie in einen Vergleich zu bugsieren; womöglich wäre sie versucht, hart am Wind des Rechtsdienstleistungsgesetzes in Einzelgesprächen die Rechtsauffassungen der Parteien zu ihrem Nachteil zu beeinflussen. Die Parteien könnten demgegenüber selbst dann, wenn sie eigentlich einer Einigung nahe wären, das Verfahren abbrechen und die Verhandlungen ohne Hilfe der Mediatorin erfolgreich abschließen.

3.3 Die Person des Mediators

Mediation ist eine Kunst. Kunst kommt von Können. Wer sich in einer weit eskalierten Konfliktsituation für ein ihm meist unbekanntes Streitbeilegungsverfahren entscheidet, möchte sich in guten Händen wissen. Da die Tätigkeit als Mediator nach wie vor kein gesellschaftlich oder gesetzgeberisch anerkanntes Berufsfeld ist, fällt es den Beteiligten häufig nicht leicht, jemanden zu finden, dem sie eine erfolgreiche Vermittlung in ihrer Sache zutrauen. Gesucht ist jemand, der gut zuhören und exzellent kommunizieren kann, der eine Verhandlung souverän zu leiten vermag und der womöglich die Parteien auch als Persönlichkeit überzeugt.

Für die Suche nach einem geeigneten Mediator gibt es bei Instituten, Kammern und Verbänden eine Reihe von Listen und Datenbanken. Dort findet man Mediatoren, die ihre Dienste jeweils für bestimmte räumliche Bezirke und bestimmte Konflikttypen anbieten und dafür regelmäßig eine Gebühr an den Betreiber abführen. Die Praxisrelevanz dieser Datenbanken ist gleichwohl überschaubar. Denn die selbstformulierten und teilweise dürren Informationen zum Hintergrund der gelisteten Mediatoren genügen vielen Konfliktparteien nicht, um Vertrauen zu fassen. Sie verlassen sich daher lieber auf Empfehlungen aus berufenem Munde. Entscheidend für solche Empfehlungen ist bemerkenswerterweise nicht die Zahl der abgeleisteten Ausbildungsstunden, sondern positive Erfahrungen sowie eine entsprechende Reputation im Hauptberuf.

Keine Bedeutung hat demgegenüber der 2017 geschaffene zertifizierte Mediator erlangt. Auf Basis von § 5 Abs. 2 und § 6 MediationsG sowie der Verordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren (ZMediatAusbV) können sich Mediatoren mit der Zertifizierung schmücken, wenn sie eine Mediationsausbildung im Umfang von mindestens 120 Präsenzzeitstunden absolviert, mehrere Mediationen geleitet und eine Supervision unterzogen haben und sich regelmäßig fortbilden. Als Marktstandard wird sich der zertifizierte Mediator gleichwohl kaum durchsetzen, denn die Bezeichnung knüpft eben nicht an besonderen Vermittlungsfähigkeiten, sondern nur an Ausbildungsvorgaben an. Ein echter Mehrwert ist damit nicht verbunden.Footnote 64

Ein bemerkenswertes Beispiel für einen einflussreichen Mediator ohne Zertifikat oder Verbandssiegel ist der Unternehmer Clemens Vedder , der unter anderem zwischen der Deutschen Bank und den Erben von Leo Kirch , zwischen Madeleine Schickedanz und der Bank Sal. Oppenheim oder auch im Streit zwischen Erich Kellerhals und der Metro AG. Footnote 65 Das Beispiel zeigt zum einen, dass die Mediation in Deutschland in den höchsten Etagen angekommen ist. Zum anderen ist sie Beleg dafür, dass persönliche Reputation und Empfehlungen für die Tätigkeit von Mediatoren wichtiger sind als staatliche oder verbandliche Gütesiegel. Das bedeutet nicht, dass man in einer Mediationsausbildung nicht viel an Kommunikationsfähigkeiten und Konfliktmanagementkompetenzen lernen kann. Wer sich dafür entscheidet, sollte dies aber aufgrund der Inhalte und nicht mit Blick auf den damit verbundenen Fortbildungsnachweis tun.

Nicht selten agieren Mediatoren in komplexeren Streitigkeiten zu zweit als gleichberechtigte Co-Mediatoren. Auch wenn dadurch etwas höhere Kosten anfallen, lohnt sich die Einbeziehung eines zweiten Mediators in der Regel, weil der Prozess dann schneller vorankommt. Zwei Mediatoren haben vier Hände und vier Ohren und können daher beispielsweise gleichzeitig das Gespräch führen und das Gehörte unmittelbar im Raum visualisieren. Co-Mediatoren haben dabei keine durchgängig verschiedenen Zuständigkeiten (z. B. einer kommuniziert, der andere visualisiert), sondern sie wechseln sich ab und ergänzen einander. Es versteht sich von selbst, dass sich die Mediatoren nicht jeweils von einer Seite inhaltlich vereinnahmen lassen, sondern neutral bleiben. Regelmäßig ist es sinnvoll, zwei Mediatoren mit unterschiedlichen Kompetenzen oder verschiedenen Muttersprachen zu engagieren. So agieren etwa Juristen häufig mit Psychologen oder Steuerberatern an ihrer Seite. Wichtig ist allerdings, dass die Parteien die Co-Mediatoren nicht getrennt voneinander auswählen, sondern dass die Mediatoren ein eingespieltes Team sind. Deswegen einigen sich die Parteien meist auf einen Mediator und bitten ihn darum, abhängig vom Gepräge des konkreten Falles einen ihm vertrauten Kollegen hinzuzuziehen.