Was ist der Nutzen guter Subsidiary Governance? Im vorhergehenden Kapitel wurden die sogenannten Inhaltsmodule beschrieben. Diese schaffen – wie im Kap. 2 aufgezeigt – Voraussetzungen für mehrere zentrale Eigenschaften erfolgreicher Unternehmen, nämlich für Wettbewerbsstärke, Innovationsfähigkeit, Nachhaltigkeit, Führung (im Sinne von Führungsstärke), digitale Reife und Umsetzungsexzellenz. Im Subsidiary Governance Modell (vgl. Abb. 2.1) sind dies die sogenannten Resultatmodule. Mit anderen Worten: Die Inhaltsmodule liefern zentrale Grundlagen für die Resultatmodule, weshalb erstere auch Grundlagenmodule genannt werden. In diesem Kapitel werden nun die Resultatmodule vorgestellt und die Verbindungen zu den bisherigen Konzepten aufgezeigt.

5.1 Wettbewerbsstärke

Ein zentrales Führungsthema ist die starke Wettbewerbspositionierung des Unternehmens innerhalb verschiedener Märkte. Wettbewerbsstärke setzt sich u. a. zusammen aus dem Marktanteil, dem Produktionspotenzial, der Umweltbelastung, dem Innovationspotenzial, der Mitarbeiterqualität und der Qualität der Systeme und Strukturen eines Unternehmens (Müller-Stewens 2003). Diese Einflussfaktoren können auf verschiedenen Ebenen erfasst werden: auf Produktstufe, Segmentstufe, für ganze Niederlassungen oder auch für die gesamte Unternehmung.

Das Subsidiary Governance Modell liefert wertvolle Hinweise, inwiefern eine Unternehmung mit ihren einzelnen Niederlassungen überhaupt die Fähigkeiten hat, eine angemessene Wettbewerbsstärke zu erreichen. Ein hoher Marktanteil bedarf z. B. ausgezeichneter Kenntnisse der Mechanismen eines spezifischen Marktes – und das in allen marktrelevanten Niederlassungen. Mehrere Faktoren aus den Grundlagemodulen sind damit wichtige Voraussetzung für nachhaltig gute Wettbewerbsstärke. Aus den Informationen zu den Grundlagemodulen kann eine Unternehmung folgern, wie gut die entsprechenden Verantwortlichen innerhalb der Niederlassungen die relevanten Marktfaktoren verstehen, wie gut die Kundenorientierung als Voraussetzung für hohe Marktakzeptanz und damit die Wettbewerbsstärke ist und inwiefern die Organisationskultur eine nachhaltige Wettbewerbsstärke unterstützt.

Die in Kap. 4 vorgestellten Grundlagenmodule dienen als zentrale Grundlagen bzgl. der Wettbewerbsstärke, indem sie Informationen liefern zu drei relevanten Faktoren:

  1. 1.

    Verständnis der Wettbewerbstreiber

  2. 2.

    Kundenorientierung

  3. 3.

    Nachhaltiges Wettbewerbsverhalten und proaktive Kultur.

Abb. 5.1 zeigt beispielhafte Einflussfaktoren der Inhaltsmodule, welche matrixartig die Wettbewerbsstärke beeinflussen.

Abb. 5.1
figure 1

Einfluss der Inhaltsmodule auf die Wettberbsstärke

Praxistipp: Instrumente zur Eruierung der Wettbewerbsstärke

Um die Wettbewerbsposition eines Unternehmens zu eruieren, wird in der Praxis oft die McKinsey-Portfolioanalyse eingesetzt, eine Erweiterung der Boston Consulting Group-Portfolioanalyse. Dabei werden relative Marktvorteile („wie gut sind wir im Vergleich“) der Marktattraktivität („wie interessant ist der Markt überhaupt“) gegenübergestellt (vgl. Abb. 5.2).

Abb. 5.2
figure 2

McKinsey Portfolioanalyse im Kontext der Wettberbsstärke

Eine bekannte Schwierigkeit der McKinsey-Portfolioanalyse ist die Frage, welche Faktoren für die Definition der Dimensionen hinzugezogen werden und wie diese Faktoren überhaupt fundiert evaluiert werden können, v. a. wenn es sich um „weiche Faktoren“ handelt. Die Faktoren aus dem Subsidiary Governance Modell bieten hier konkrete Abhilfe, insbesondere wenn sie in Zusammenarbeit zwischen Mutterhaus und Niederlassung erhoben werden.

5.1.1 Verständnis der Wettbewerbstreiber

Um eine starke Wettbewerbsposition inne zu haben, bedarf es einer guten Marktkenntnis. Jeder Markt hat seine spezifischen Merkmale, welche entsprechend auch in den einzelnen Märkten erfasst werden müssen. Die lokalen und regionalen Führungskräfte kennen ihren Markt, wenn sie die relevanten Akteure identifiziert haben sowie deren Einfluss abschätzen können. Hierfür ist das systemische Verständnis (Modul Systemmanagement) kombiniert mit dem Anspruchsgruppenmanagement eine wichtige Voraussetzung. Wer spielt welche Rollen im System? Wie sind die gegenseitigen Einflüsse, welche Erwartungen werden gestellt und wo sind kurz- sowie langfristige Einwirkungen zu erwarten?

Erst ein gutes Verständnis der Wettbewerbstreiber in den lokalen Märkten erlaubt es, erfolgreiche niederlassungsspezifische Strategien und Taktiken zu etablieren.

5.1.2 Kundenorientierung

Die Kundenorientierung ist ebenfalls eine Bedingung für Wettbewerbsstärke; das Modul Anspruchsgruppenmanagement liefert dazu eine wichtige Grundlage. Nur wenn die aktuellen sowie die potenziellen Kunden bekannt sind, wenn deren Bedürfnisse und Kaufprozesse gut erfasst werden und die Verkaufsprozesse entsprechend gestaltet sind, kann ein Unternehmen aus einer Position der Stärke wertschaffend wirken.

Da sich Bedürfnisse von Kunden und deren Kaufverhalten verändern, ist Kundenorientierung keine Konstante, sondern stellt eine „dynamische Größe“ dar. Kundenorientierung erfordert folglich eine Anpassungs- und Lernfähigkeit der Beteiligten (Sprenger et al. 2011).

Nicht nur die einzelnen Niederlassungen, die ihre Märkte bearbeiten, müssen kundenorientiert handeln. Oft sind verschiedene Stellen verschiedener hierarchischer Stufen in die Kundenarbeit involviert. Man denke nur an den Verkauf eines großen Projektes, wofür das Engagement der Regionalleitung und des Mutterhauses notwendig ist. Deshalb ist eine konsequente Kundenorientierung über die Grenzen einzelner Niederlassungen oder Funktionen hinaus – mehr noch ein Zusammenspiel verschiedener Funktionen und Stufen – ein zentrales Element für die Wettbewerbsstärke internationaler Unternehmen.

Eine Möglichkeit, Kundenzufriedenheit zu fördern ist es, diese regelmäßig zu messen und resultierende Potenziale auf allen Hierarchiestufen zu thematisieren. Dadurch wird auch eine entsprechende Einstellung der Mitarbeitenden gefördert, Kundenorientierung als zentrales Element anzuerkennen.

5.1.3 Nachhaltiges Wettbewerbsverhalten und proaktive Kultur

Ein wichtiger Bestandteil unternehmerischer Nachhaltigkeit (vgl. Abschn. 5.3) ist nachhaltiges Wettbewerbsverhalten. Es gibt zunehmend Beispiele bekannter Firmen, welche sich aus Nachhaltigkeitsgründen entschließen, Märkte, die nur mit korruptem Verhalten bearbeitet werden können, zu verlassen. Kurzfristig entgehen zwar Verkaufserlöse, aus Sicht der Nachhaltigkeit vermeidet die Unternehmung aber die schädlichen Folgen einer möglichen gesetzlichen Verfolgung. Intern werden Signale gesendet, die die Loyalität der Mitarbeitenden erhöhen, extern verstärkt eine Unternehmung damit eine glaubwürdige Reputation.

Wettbewerbsstärke resultiert nicht aus kurzfristigen Erfolgen, sondern aus proaktiver und nachhaltiger Marktbearbeitung. Nachhaltiges Wettbewerbsverhalten und eine entsprechende proaktive Kultur werden durch eine Vielzahl von Einflussfaktoren gefördert; dies zu fördern und einzufordern ist aber gerade in internationalen Firmen mit zahlreichen und verschiedenen „Schauplätzen“ eine herausfordernde, aber wichtige Führungsaufgabe. Viele diesr ermöglichenden Faktoren werden in den Grundlagemodulen erfasst, insbesondere im Modul Systemmanagement (systemisches Denken und systemische Prozesse), im Modul Integritätsmanagement (lösungsorientierte Zusammenarbeitskultur) und im Modul Risikomanagement (kontinuierliches Abwägen von Risiken bezüglich der Märkte im Allgemeinen sowie der Kunden im Speziellen).

5.2 Innovationsfähigkeit

Für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen aller Größenklassen und für den Wohlstand unserer Gesellschaft sind Innovationen unverzichtbar. Die meisten Unternehmen sind zum Überleben auf erfolgreiche Innovationen angewiesen.

Von Innovationen innerhalb eines Unternehmens spricht man immer dann, wenn das Unternehmen etwas tut, das außerhalb seiner bisherigen Erfahrungen liegt. Hierbei kann es sich um die Modifikation bestehender Angebote, um ein neues Produkt, eine neue Geschäftsidee, den Eintritt in einen neuen Markt oder das Anwenden eines neuen Herstellungsverfahrens handeln.

Die organisationale Fähigkeit zu „wahrer“ Innovation ist schwer kopierbar und zahlt sich in Form eines langen profitablen Wachstums aus. Verschiedene empirische Studien belegen, dass Innovationen einen positiven Einfluss auf den Unternehmenswert haben. Beispielsweise hat die Höhe der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen positive Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens (Woolridge und Snow 1992). Mit verschiedenen Ansätzen der sogenannten Open Innovation verwischen sich die Grenzen klassischer Entwicklungsabteilungen; Innovation findet häufig in losen, spontanen und dynamischen Netzwerken statt. Während eine Abhandlung aller innovationsfördernden Faktoren den Rahmen dieser Publikation sprengen würde, werden durch die vorgestellten Grundlagenmodule wichtige Bedingungen gelegt für die organisationale Fähigkeit, erfolgreiche Innovationen hervorzubringen. Die zentralen Faktoren für die Innovationsfähigkeit, welche aus den Grundlagenmodulen abgeleitet werden können, sind:

  1. 1.

    Systemverständnis als Innovationsgrundlage

  2. 2.

    Kundenverständnis als Innovationsgrundlage

  3. 3.

    Innovationsfördernde Kultur.

Abb. 5.3 zeigt beispielhafte Einflussfaktoren der Inhaltsmodule, welche matrixartig die Innovationsfähigkeit beeinflussen.

Abb. 5.3
figure 3

Einfluss der Inhaltsmodule auf die Innovationsfähigkeit

5.2.1 Systemverständnis als Innovationsgrundlage

Grundsätzlich innoviert eine Organisation mit einem guten Systemverständnis besser und vor allem nachhaltiger. Systemverständnis bedeutet, auf verschiedenen Ebenen in Abhängigkeiten und Verbindungen zu denken. Im Kontext einer internationalen Organisation entstehen Innovationen meist durch die Zusammenarbeit verschiedener unternehmensinterner und -externer Akteure (siehe Expertenwissen Open Innovation). Die geografischen Grenzen und kulturellen Besonderheiten von Niederlassungen stellen keine Barrieren mehr dar, sondern werden zu Stärken. Je besser derartige Netzwerke genutzt werden können bspw. zum grenzübergreifenden Informationsaustausch hinsichtlich Märkten, Lieferanten, Gesetzgebern, Verbänden, Konkurrenten, Wissenschaftlern etc., desto wahrscheinlicher sind erfolgreiche Innovationen.

Förderlich für das Systemverständnis und damit für Innovationen sind zudem eine systemische Kultur (bspw. interdisziplinär orientiert) und systemische Prozesse (mit Iterationen und Feedbackschlaufen). Die Kenntnis der Kernkompetenzen und der angestrebten strategischen Positionen (z. B. Marktführer in einer Nische zu sein) ist wichtig, damit die kreativen Mitarbeitenden wissen, wo sie mit ihrer Innovationsarbeit ansetzen sollen (Thom 2006).

Praxistipp: Synergien zwischen Geschäftsbereichen – neue strategische Geschäftsfelder

Gerade in der jüngsten Krise stellt sich in zahlreichen Großunternehmen verstärkt die Frage, wie Synergien zwischen einzelnen Geschäftsbereichen erschlossen werden können. Ein wichtiges Potenzial liegt in der Hervorbringung neuer Produkte und Dienstleistungen, die auf Ressourcen mehrerer Geschäftsbereiche basieren. Eine Pharmaunternehmen kann bspw. die Aktivitäten von Geschäftsbereichen wie Diagnostik und Pharma bündeln, um personalisierte Diagnose- und Therapielösungen für Patienten zu entwickeln. Ein systematisches Management dieser bereichsübergreifenden Vorhaben, basierend auf systemischem Denken und damit Flexibilität der Mitarbeitenden, stellt einen nicht zu unterschätzenden Erfolgsfaktor dar.

5.2.2 Kundenverständnis als Innovationsgrundlage

Innovative Unternehmen sind in der Lage, Kundentrends frühzeitig zu erfassen. Sie übertreffen Erwartungen und erarbeiten gemeinsam mit Kunden neue Entwicklungen. Allgemeine Konsumententrends können auch aus der Marktforschung eruiert werden. Naheliegende, aber oft wenig systematisch genutzte Quellen für Innovationsideen sind bestehende und zukünftige Kunden. Nicht selten werden in Verkaufsgesprächen, Wartungsgesprächen oder technischen Diskussionen mit dem Kunden konkrete Ideen oder Impulse für Innovationen geliefert. Gerade in Unternehmen mit zahlreichen Niederlassungen und strategischen Partnern stellt es eine Herausforderung dar, diese Innovationsimpulse zu erfassen und richtig zu kanalisieren. Erfolgreichen Innovatoren gelingt genau dies – bei weniger erfolgreichen wird dies Teil einer Führungslücke, letztlich eines Governance Gaps.

5.2.3 Innovationsfördernde Kultur

Die Kultur eines Unternehmens kann innovationsfördernd oder innovationshemmend sein. Je bewusster eine Organisation mit entsprechenden Kulturausprägungen umgeht, desto größer ist die organisationale Fähigkeit zu innovieren. Folgende Kulturausprägungen können als günstig eingeschätzt werden (Thom 2006):

  • Initiativen und Bereitschaft zur Erprobung neuer Problemlösungen werden belohnt.

  • Bei Nichtroutineaktivitäten dürfen Fehler gemacht werden, sofern sie sich nicht identisch wiederholen und sie als Ausgangspunkt für gezielte Verbesserungen genutzt werden.

  • Kunden werden ebenso wie Lieferanten als wertvolle Ideenquellen betrachtet (s. auch systemisches Denken).

  • Jeder Vorgesetzte betrachtet es als Teil seiner Aufgabe, seine Mitarbeitenden zu kreativen Leistungen anzuspornen.

  • Innovationserfolge werden gefeiert und gewürdigt.

Hochinnovative Organisationen haben bereits vor einer Weile begonnen, Innovationsprozesse in immer neuen Netzwerken zu fördern und ihre Innovationskapazität zu öffnen (Open Innovation). Dies gilt für nationale wie für international tätige Unternehmen. Ein Problem, das im internationalen Kontext aber anzutreffen ist und für eine innovationsfördernde oder innovationshemmende Organisationskultur ausschlaggeben ist, ist der sogenannte Kulturrelativismus. Mitarbeitende betrachten dabei – vereinfacht gesagt – das Andersartige in anderen Kulturen als limitierenden Faktor, statt es als Quelle für Innovationsideen aufzunehmen. So wird ersichtlich, wie wichtig, aber auch herausfordernd es gerade in geografisch weit vernetzten Organisationen ist, (mentale) Barrieren und Ängste abzubauen. Ansonsten werden Niederlassungsgrenzen zu Innovationsgrenzen.

Ein innovationsförderndes Arbeitsklima zu schaffen, ist eine Aufgabe auf allen Management- und Geografiestufen. Der alleinige Einsatz spezifischer Innovationsinstrumente (z. B. betriebliches Vorschlagswesen) verspricht nur dann nachhaltigen Erfolg, wenn die Organisationskultur innovationsfördernd ist.

Praxistipps: Innovationsmotivation durch Personalmanagementinstrumente

Die Motivation der involvierten, auch der niederlassungsübergreifenden Mitarbeitenden ist Grundlage einer innovationsfördernden Kultur. Erkenntnisse aus dem Personalmanagement zeigen, dass man durch regelmäßige Mitarbeitendengespräche, Gruppen- und Belegschaftsbefragungen konkrete Anhaltspunkte dafür gewinnen kann, wie Beteiligte an Innovationsprozessen zum Einsatz ihrer Fähigkeiten bewegt werden können (Thom 2006). Es ist also empfehlenswert, die genannten Personalprozesse auch für die Gestaltung einer innovationsfördernden Kultur einzusetzen.

Expertenwissen: Open Innovation

Innovation sollte nicht nur von innerhalb des Unternehmens stattfinden. Durch die Effekte der Digitalisierung und Globalisierung und die daraus mögliche Reduktion der Transaktionskosten können Teile der Wertschöpfungsaktivitäten und der Wertschöpfungskette eines Unternehmens ausgelagert und günstiger oder besser von externen Geschäftspartnern bezogen werden (Schwaferts 2020). Die Nutzung solcher Kollaborationsvorteile bietet sich auch für die Forschung und Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen an, welche dadurch eine neue Dynamik erfährt. Den Innovationsprozess versteht man sodann als „[…] einen vielschichtigen offenen Such- und Lösungsprozess, der zwischen mehreren Akteuren über die Unternehmensgrenzen hinweg abläuft […]“, wobei unternehmensexterne Kompetenzen in den Innovationsprozess miteinfliessen (Piller et al. 2017). Im Zusammenhang mit Subsidiary Governance sind solche Kompetenzen beispielsweise das relevante lokale Fach- und Expertenwissen. Wie für den Innovationsbegriff definiert, gilt auch für die Open Innovation das Ziel der Kommerzialisierung der auf internen und externen Einflüssen basierenden Innovation (Pohl und Engel 2020). Weshalb Open Innovation-Ansätze für die Innovationskraft einer Unternehmung relevant sind, zeigen zum einen die Erkenntnis, wonach es für ein Unternehmen nur schwer möglich ist über alle relevanten Kompetenzen selbst zu verfügen (Chesbrough 2003, 2006, zitiert in Herstatt und Nedon 2014), und zum anderen diverse Studien, wie beispielsweise das Verdi-Innovationsbarometer der deutschen Gewerkschaft Verdi, aus welchem hervorgeht, dass Unternehmen, welche Open Innovation-Ansätze stark verfolgen, mehr innovieren als Unternehmen, die Open Innovation-Ansätze weniger stark verfolgen (Verdi 2017). Hinzu kommt, dass durch die Öffnung und den Einbezug externer Parteien die Möglichkeit besteht, eine stärkere Bindung zwischen der Unternehmung und den externen Parteien zu erreichen. Zudem kann eine allfällige „Betriebsblindheit“ durch externe Ideen und „frischen Wind“ überkommen werden (Pohl und Engel 2020).

Für die Umsetzung von Open Innovation können drei Archetypen unterschieden werden, die sich nach der Fließrichtung des ausgetauschten Wissens einordnen lassen (Enkel 2009; Gassmann und Enkel 2004, 2006, zitiert in Herstatt und Nedon 2014):

  1. 1.

    Outside-In: Das Wissen strömt von außerhalb des Unternehmens in das Unternehmen. Der Fokus liegt auf der Exploration von externen Kompetenzen zur Erweiterung und Verbesserung des eigenen Innovationsprozesses.

  2. 2.

    Inside-Out: Das Wissen strömt von innerhalb des Unternehmens aus dem Unternehmen. Der Fokus liegt auf der Verwertung von internen Kompetenzen zur schnelleren Vermarktung von Konzepten oder dem Verkauf von Lizenzen.

  3. 3.

    Coupled: Die Kombination. Das Unternehmen erhält externes Wissen und gibt internes Wissen preis. Der Fokus liegt auf einer nachhaltigen Beziehung mit externen Partnern und einem intensiven Wissensaustausch.

Studien zeigen, dass der Coupled Ansatz am häufigsten von Unternehmen angestrebt wird, die Open Innovation systematisch betreiben (Chesbrough und Crowther 2006; Lichtenthaler 2008; Schroll und Mild 2011; van de Vrande, de Jong, Vanhaverbeke, de Rochemont 2009, zitiert in Herstatt und Nedon 2014).

Wie Open Innovation konkret umgesetzt werden kann, zeigt die im Folgenden genannte Auswahl an Open Innovation-Ansätzen. Die Ansätze können zum einen nach dem (Öffnungs-)Grad der Kundenintegration und zum anderen nach dem Einsatz in der Innovationsphase unterschieden werden (Pohl und Engel 2020).

Die Autoren möchten in diesem Buch einen einleitenden Überblick über die Open Innovation Thematik verschaffen. In diesem Sinne werden im Folgenden, den Erklärungen von Pohl und Engel (2020) folgend, nur die in der Literatur häufiger besprochenen Ansätze kurz vorgestellt (Abb. 5.4). Abb. 5.5 ermöglicht es jedoch der interessierten Leserschaft tiefer, den eigenen Bedürfnissen entsprechend, in die Thematik und die jeweiligen Ansätze einzusteigen.

Abb. 5.4
figure 4

(eigene Darstellung in Anlehnung an Pohl und Engel 2020)

Open Innovation-Ansätze nach Grad der Kundenintegration und nach Innovationsphase.

Abb. 5.5
figure 5

(eigene Darstellung in Anlehnung an Pohl und Engel 2020)

Überblick über Open Innovation-Ansätze. Die Erklärungen verstehen sich aus der Sicht der Open Innovation initiierenden Unternehmung.

Nachdem nun die Gründe und die Relevanz für Open Innovation und deren Umsetzung diskutiert wurden, werden im Folgenden auch Risiken im Zusammenhang mit Open Innovation angesprochen. Neben der oben bereits erwähnten (arbeits-)rechtlichen Fragen und der Frage nach der gerechten Entlohnung, spielt auch die Frage nach der Motivation der durch Open Innovation-Ansätze verbundenen externen Parteien eine wichtige Rolle. Diese kann zuweilen einen positiven oder negativen Einfluss auf die Qualität der Leistung bzw. der erarbeiteten Lösung haben. Ein anderer Aspekt, den es individuell abzuwägen gilt, ist der Grad der Preisgabe von unternehmensspezifischem Wissen, Arbeitsabläufen, Produktionsverfahren und sonstigen Informationen von strategischer Wichtigkeit, sowie ein durch die Öffnung möglicherweise entstehender Kontrollverlust.

Trotzdem sollten aber durch die obigen Ausführungen nicht nur die Vorteile von Open Innovation klar geworden sein, sondern auch, hervorgerufen durch die Herausforderungen der Digitalisierung und der digitalen Transformation, wie beispielsweise die sich rasch ändernden Kundenbedürfnisse und die schiere, unüberschaubare Komplexität des Geschäftsumfeldes, eine gewisse Notwendigkeit für wohldosierte und spezifisch angewendete Open Innovation.

5.3 Nachhaltigkeit

Die diversen Krisen der letzten Jahre führten zu einem Hinterfragen gewinnorientierter Unternehmensführung; „nachhaltiges“ unternehmerisches Handeln geriet immer mehr in den Vordergrund. Das kurzfristige Denken weicht zunehmend einem längerfristigen Horizont.

Das Thema Nachhaltigkeit hat eine unternehmensexterne und eine unternehmensinterne Dimension. Bei der externen Nachhaltigkeit geht es um die ökonomischen und sozialen Lebensbedingungen, d. h. um die natürlichen Lebensgrundlagen und die Entfaltungschancen zukünftiger Generationen. Die interne Nachhaltigkeit zielt auf die langfristige Überlebenschance eines Unternehmens ab, worunter bspw. eine durchdachte Nachfolgestrategie fällt. Die nachfolgenden Unterkapitel bauen auf dieser Unterteilung in unternehmensexterne und unternehmensinterne Nachhaltigkeitsdimension auf.

Ein Unternehmen sollte eine langfristige Perspektive einnehmen, sei das in Bezug auf seine Produkte (bspw. Rezyklierbarkeit, Haltbarkeit, ökologische Produktion, „ökologischer Fußabdruck“) oder auf seine soziale Verantwortung (Ausbildung des Nachwuchses). Hierfür benötigt man sowohl technische Voraussetzungen als auch – und dies ist der zentrale Punkt – den entsprechenden Managementwillen und das Engagement aller Beteiligten, auch über verschiedene Geografien und Niederlassungsgrenzen hinweg.

Der Einfluss etwa von ökologischen Maßnahmen auf das Unternehmensergebnis wird selten explizit erfasst oder in verschiedenen Niederlassungen untersucht. Dennoch ist offensichtlich, dass tiefere Kosten für Abfallentsorgung, reduzierter Wasserverbrauch, Wärmerückgewinnungsanlagen oder energiesparende Prozesse kostenmindernd wirken. Hohe Umweltstandards führen darüber hinaus zu tieferen ökologischen Risiken und senken damit die Versicherungsprämien. Der hohe immaterielle Reputationsgewinn verantwortungsbewusster Unternehmen letztlich sollte allen bewusst sein.

Das in diesem Buch beschriebene Governance-Modell liefert mit dem Systemmanagement, dem Integritätsmanagement, dem Anspruchsgruppenmanagement und dem Risikomanagement konkrete Faktoren als Grundlage für nachhaltige Unternehmen. Diese Faktoren können wie folgt zusammengefasst werden:

  1. 1.

    Verständnis der Nachhaltigkeitstreiber

  2. 2.

    Anspruchsgruppenunterstützung

  3. 3.

    Innere Nachhaltigkeit der Organisation.

Abb. 5.6 zeigt beispielhafte Einflussfaktoren der Inhaltsmodule, welche matrixartig die Nachhaltigkeit beeinflussen.

Abb. 5.6
figure 6

Einfluss der Inhaltsmodule auf die Nachhaltigkeit

5.3.1 Verständnis der Nachhaltigkeitstreiber

Nachhaltigkeit basiert auf einem guten Kontext- bzw. Systemverständnis. Die Natur bspw. ist wichtiger Teil des Systems, in welchem sich die Unternehmung befindet. Mehrere Führungspraktiken des in diesem Buch vorgestellten Modells bieten eine wichtige (wenn auch nicht abschließende) Grundlage, Nachhaltigkeitstreiber zu verstehen:

  • Ein expliziertes, auf systemischem Denken und dem Verständnis von Abhängigkeiten und Verbindungen basierendes Geschäftsmodell enthält per-se Aspekte, welche die Nachhaltigkeit der Unternehmung fördern.

  • Ein umfassendes Verständnis von Kernkompetenzen und Erfolgsfaktoren beinhaltet – bei verantwortungsbewussten Unternehmen – auch immer das Verständnis, inwiefern diese Kernkompetenzen nachhaltig, d. h. in Einklang mit Natur und Gesellschaft, sind.

  • Ein unternehmensweites Verständnis der Folgen von für ethischem Fehlverhalten sichert die längerfristige Existenz in Einklang mit Erwartungen und Gesetzen und ist ebenfalls ein Nachhaltigkeitstreiber.

  • Eine möglichst komplette Auslegeordnung aller Anspruchsgruppen zeigt auf, wo die Unternehmung nicht nachhaltig agiert.

  • Ein umfassendes Risikomanagement, welches regelmäßig kritische Einflussgrößen aus dem Umfeld (Natur, Gesellschaft etc.) mitbedeutet und daraus Maßnahmen ableitet, fördert die Nachhaltigkeit einer Unternehmung.

Grundsätzlich ratsam für international tätige Unternehmen ist es, auf die Konsistenz ihrer Führungspraktiken zu achten. Allein die Existenz andauernder Governance Gaps schwächt die Organisation und schmälert ihre Fähigkeit, sich in einem dynamischen Umfeld erfolgreich zu bewegen.

Praxistipp: Regelmäßiges Risikomanagement – Nachhaltigkeitsziele in den Erfolgskennzahlen

Eine regelmäßige Risikobewertung unterstützt – falls in Mutterhaus und Niederlassungen umfassend durchgeführt – das Verständnis dafür, welche Faktoren die Nachhaltigkeit der Unternehmung gefährden könnten. Als Teil der Erfolgskennzahlen der Niederlassungen ist es auch möglich, Nachhaltigkeitsziele zu definieren, und diese entsprechend zu kontrollieren.

5.3.2 Anspruchsgruppenunterstützung

Die Unterstützung der Kunden, Mitarbeitenden und weiterer Anspruchsgruppen ist ein Gradmesser für Nachhaltigkeit. Kann ein Unternehmen auf Dauer die Erwartungen seiner Anspruchsgruppen nicht erfüllen, werden sich diese abwenden und anderen Unternehmen zuwenden. Probleme und Zusammenbrüche von Unternehmen können meist in der Form erklärt werden, dass das Unternehmen nicht mehr in der Lage war, Interessen relevanter Anspruchsgruppen ausreichend zu bedienen. Damit ist das Management der Anspruchsgruppen kritisch für den Erfolg und essenziell für die Nachhaltigkeit.

Neben den Kunden und Mitarbeitenden gibt es weitere wichtige Anspruchsgruppen, die mit Bedürfnissen an ein Unternehmen herantreten (s. Modul Anspruchsgruppenmanagement). Diese können je nach Subsidiary-Kontext sehr unterschiedlich sein. Ihre Identifikation ist zentral für ein Unternehmen. Bedürfnisse aus dem ökologischen, politischen, rechtlichen oder sozialen Bereich werden – neben den offensichtlichen, produktnahen Bedürfnissen der Kunden – durch eine intensive Anspruchsgruppenanalyse identifiziert.

Auf den Homepages zahlreicher Firmen finden sich Aussagen dazu, dass sie Verantwortung gegenüber der Umwelt, der Gesellschaft und ihren Anspruchsgruppen übernehmen. Zentral ist, dass diesen Worten auch Taten folgen – das Urteil aller Anspruchsgruppen entscheidet letztlich, wie nachhaltig eine Unternehmung unterwegs ist.

5.3.3 Innere Nachhaltigkeit der Organisation

Um äußere Nachhaltigkeit zu erreichen, bedarf es einer inneren Nachhaltigkeit – d. h. eine Organisation muss gewisse organisatorische Merkmale aufweisen, die sicherstellen, dass die Organisation als solche länger existieren kann und soll. Eine wichtige Voraussetzung für ein internationales Unternehmen ist hierbei die Organisation der Niederlassungen und Partner: Wie sind die Strukturen und Prozesse gestaltet? Existiert bspw. eine aktive Nachfolgeplanung nicht nur im Mutterhaus sondern auch für Schlüsselpositionen in den Niederlassungen?

Die Aufmerksamkeit soll allerdings nicht nur den Schlüsselpersonen zukommen: Eine Organisation mit hoher Fluktuation ist primär mit sich selbst beschäftigt anstatt sich ihrem Auftrag widmen zu können. Eine niedrige Fluktuation erhöht die innere Nachhaltigkeit einer Organisation: Die Organisation wird getragen von den Mitarbeitenden. Dazu wirken Mitarbeiterbeurteilungen und Weiterentwicklungsmaßnahmen als unterstützendes Führungsinstrument (vgl. Anspruchsgruppenmanagement).

Eine nachhaltig agierende Organisation zeichnet sich auch aus durch die Fähigkeit, Probleme und Möglichkeiten frühzeitig und umfassend zu erkennen. Diese Lösungsorientierung wie auch die ebenfalls in den Grundlagemodulen besprochene systemische Denkkultur und die Neigung der Mitarbeitenden, gerne Verantwortung zu übernehmen, stellen eine wichtige innere Basis für Nachhaltigkeit dar.

5.4 Führung

Die Art und Weise, wie Niederlassungen und strategische Partner gesteuert und kontrolliert werden, erlaubt Rückschlüsse auf das Führungsverständnis und die Führungskultur. Verschiedene Faktoren aus dem Subsidiary Governance Modell ermöglichen konkrete Aussagen zur Art und Weise der Führung, insbesondere zu drei zentralen Führungsbereichen:

  • Inwiefern wird Ganzheitlichkeit in der ganzen Firma als zentral angesehen und gefördert?

  • Existiert so etwas wie „Führungskraft“ oder Führungsstärke, sichtbar z. B. in vorbildhaftem Verhalten?

  • Werden moderne Arbeitsweltstrategien und -konzepte zusammen mit den Mitarbeitenden definiert und umgesetzt?

  • Wird die Gestaltung von Prozessen und Strukturen als Führungsaufgabe gelebt und deren Effektivität kontrolliert?

5.4.1 Ganzheitliches Verständnis

Während sich ganzheitliches Verständnis nicht diktieren lässt, ist es letztlich dennoch eine Führungsaufgabe, dieses als wichtig und langfristig überlebensnotwendig zu erkennen, einzufordern und entsprechend zu fördern. Dadurch wird auch die Führung selbst ganzheitlich.

Ganzheitliche Führung zeichnet sich u. a. dadurch aus, dass sich Führungskräfte der begrenzten Möglichkeiten der Einflussnahme auf interne wie externe Bereiche bewusst werden (vgl. Rüegg-Stürm 2003). Ganzheitliche Führung zeichnet sich dadurch aus, dass Spielräume (und ihre Grenzen) im System bewusst und gezielt angegangen werden. Konkret manifestiert sie sich in der Existenz eines expliziten Geschäftsmodells und darin, dass dieses als Teil eines größeren Systems mit beeinflussenden Gegebenheiten dargestellt und kommuniziert wird.

Ganzheitliche Führung ist sich der eigenen Organisationskultur bewusst und versteht die Gestaltung dieser Kultur als zentrale Führungsaufgabe. Weiteres Zeugnis eines ganzheitlichen Verständnisses ist das Thematisieren und Fördern systemischen Denkens durch die Führungskräfte. Dazu gehört die regelmäßige Überarbeitung der Anspruchsgruppenauslegeordnung.

Am einfachsten identifizierbar ist ganzheitliches Verständnis – bzw. ob das Management ein solches fördert – im Kontext von Risikomanagement: Nicht ganzheitlich denkende Organisationen verwenden einen Standardrisikokatalog, ohne diesen zu hinterfragen. Ganzheitlich denkende Organisationen hingegen tasten das Umfeld der Unternehmung oder der Niederlassungen kontinuierlich auf neue Risiken ab – sie hinterfragen, wie gut und umfassend ihr eigener Risikokatalog wirklich ist.

5.4.2 Führungsstärke

Das Subsidiary Governance Modell erlaubt Aussagen dazu, ob in einer Unternehmung Führungsstärke existiert und ob diese auf den verschiedenen Stufen konsistent oder mit Divergenzen wahrgenommen wird.

Führungsstärke geht Hand in Hand mit dem Umsetzungswillen. Dies ist in internationalen Firmen einfacher gesagt als getan: Wie entdeckt das Mutterhaus, ob es in gewissen Niederlassungen systematische Führungsschwächen gibt, v. a. dann, wenn diese Niederlassungen in entfernten Geografien und Kulturen liegen? Verschiedene Bereiche aus dem Subsidiary Governance Modell zeigen, ob die Führung auf verschiedenen Stufen ihre Anliegen auch selbst vorlebt: Ist Systemmanagement wiederkehrend auf der Managementagenda zu finden? Wird Integritätsmanagement als fester Bestandteil – egal unter welchem Namen – in Führungsgespräche integriert? Ist ein umfassendes Anspruchsgruppenmanagement ein kontinuierlich thematisiertes Anliegen der Niederlassungsleitung?

Führungskraft wird dann demonstriert, wenn die für eine erfolgreiche Führung und Kontrolle wichtigen Themen wiederkehrend auf der Managementagenda sind. Bewusstsein für die sechs Themen der Grundlagenmodule ist ein sehr direkter Indikator.

5.4.3 Arbeitswelt 4.0

Die digitale Transformation (vgl. Abschn. 5.5) und die Corona-Pandemie treiben die interne Transformation von Unternehmen voran. Jedoch geschieht dies vielfach ohne den Einbezug der Mitarbeitenden und zu wenig ganzheitlich und methodisch (Peter 2019). Im Zentrum stehen die drei Erfolgsfaktoren Führung und Mitarbeitende, Arbeitsumfeld und Technologieeinsatz. In der Dimension Führung und Mitarbeitende steht die Zusammenarbeit, Arbeitgebendenreputation sowie die Kompetenzentwicklung der Mitarbeitenden im Vordergrund. Die am dringendsten benötigten Mitarbeitendenkompetenzen in der Arbeitswelt 4.0 sind Lernfähigkeit, Veränderungsbereitschaft, Flexibilität sowie Teamorientierung und Kooperationsfähigkeit.

Im modernen Arbeitsumfeld ist das Bedürfnis nach flexiblen Arbeitszeiten und -orten wie z. B. dem Homeoffice und Mobile Working hoch. So entstehen neue Organisationsstrukturen (u. a. mit virtuellen Teams), Arbeitsformen und Arbeitszeitmodelle. Bei den Technologien unterstützen gezielte Hardware- und Software-Investitionen (z. B. in Kollaborationssoftware wie Microsoft Teams, Cloud-Plattformen und Online-Konferenzplattformen via Zoom) die Transformation in die Arbeitswelt 4.0. Über alle Dimensionen hinweg werden als primäre Treiber für neue Strategien und Konzepte der Innovationsdruck für Organisationen, der Bedarf nach einer besseren Kommunikation und das Erlangen von mehr Flexibilität, gefolgt vom Bedarf nach einer besseren Reputation der Arbeitgeberin/des Arbeitgebers und dem Bedarf nach einer kundenfreundlicheren Organisation genannt.

Um dies zu erreichen, erarbeiten Unternehmen ihre Arbeitswelt 4.0 unter Einbezug der Mitarbeitenden (vgl. Abb. 5.7), um ihre Bedürfnisse und Ideen für Optimierungen zu identifizieren. Gleichzeitig soll eine Balance zwischen den Bedürfnissen der Mitarbeitenden für mehr Flexibilität und dem Unternehmen für Stabilität und Führungskontrolle erreicht werden – und dies unter Berücksichtigung internationaler Besonderheiten und dem vielfach vorhandenen Wunsch nach gemeinsamer Identität/Kulturentwicklung im Unternehmen.

Abb. 5.7
figure 7

(eigene Darstellung in Anlehnung an Krättli und Peter 2021)

Erfolgsfaktoren der Arbeitswelt 4.0.

5.4.4 Organisation, Struktur und Kontrolle

Die Art und Weise, wie eine Unternehmung organisiert ist, erlaubt Rückschlüsse auf die Führung. Werden Strukturen und Prozesse – gerade bei international aufgestellten Organisationen – als Führungsaufgabe aktiv gestaltet oder sind sie „organisch“ gewachsen und werden selten kritisch durchleuchtet und bewusst verbessert? Es geht nicht darum, unternehmensweit möglichst identische und standardisierte Prozesse zu haben; lokale Abweichungen oder Varianten machen durchaus Sinn. Aber Prozesse wie aktive Nachfolgeplanung, Qualifizierung von Schlüsselpersonen, Identifikation von Kundenkaufprozessen, Risikobewertungen oder Sicherstellung niederlassungsspezifischer Aufbauorganisationen sind exemplarische Hinweise dafür, wie stark die Führung die Organisation mitgestaltet und damit mittelbar zu Effizienz, Effektivität und guten Geschäftsresultaten beiträgt.

5.5 Digitale Reife

Die digitale Reife beschreibt den Umsetzungsgrad der digitalen Transformation im Unternehmen. Die digitale Transformation ist eine strategische Initiative (im besten Fall im Kern der Unternehmensstrategie), welche das Ziel verfolgt, dass das Unternehmen seine Wettbewerbsstärke im digitalen Zeitalter beibehält bzw. weiter ausbauen kann (im Gegensatz zur fokussierten Digitalisierung, welche primär Prozesse automatisiert bzw. „digitalisiert“). Als strategische Initiative ist die digitale Transformation ein kundenorientierter Ansatz, bei dem mittels neuer Technologien und der Verwendung von Erkenntnissen aus Daten Leistungen erbracht werden, die intern mit optimierten Prozessen (und teilweiser Automation) erstellt werden. Eine solche Transformation setzt die aktive Führung und den Einbezug der Mitarbeitenden voraus (vgl. Abschn. 5.4.3 zur Arbeitswelt 4.0).

Für die Planung und Umsetzung der digitalen Transformation ergeben sich aus der Governance-Perspektive drei Kernfragen:

  • Werden die aktuellen Managementthemen (Handlungsfelder) des digitalen Zeitalters in Strategien und Konzepten abgedeckt?

  • Wie hoch ist die digitale Reife der Niederlassungen (und des Hauptsitzes) bezüglich der digital relevanten strategischen Themen und Fragen?

  • Welche Defizite und Potenziale bestehen; und wie werden diese Lücken geschlossen und Möglichkeiten erschlossen?

5.5.1 Handlungsfelder der digitalen Transformation

Aufgrund einer Auswertung von über 4200 Transformationsprojekten bei 2590 Schweizer Unternehmen wurden die sieben Handlungsfelder der Digitalen Transformation identifiziert (Peter, Kraft und Lindeque 2020):

Customer Centricity – die konstante Kundenorientierung

Unternehmen legen – im besten Fall als Ausgangspunkt für ihre Strategien – einen starken Fokus auf die Kundenorientierung (Customer Centricity), personalisierte Angebote und Kundenportale, unterstützt durch digitale Technologien/Kanäle und Kunden- sowie Produktdaten, die digitale, markt- und zielgruppengerechte Strategien ermöglichen (vgl. Abschn. 5.2.3 zu Open Innovation-Ansätzen).

New Technologies – Apps, Internet of Things/Industrie 4.0 und Cybersicherheit

Die neuen Technologien werden je nach Branche und Marktleistung des Unternehmens unterschiedlich eingesetzt und beinhalten hauptsächlich technologische Plattformen, Apps und Software (mit Fokus auf Lösungen aus dem Enterprise Resource Planning (ERP) und für die Zusammenarbeit/Kommunikation mit Teams und Kunden). Viele Unternehmen investieren in die Cybersicherheit und testen die Anbindung an Industrie- und Konsumentenprodukte (Sensoren, Robotik) als Bestandteil der Industrie 4.0 bzw. des Internet of Things.

Cloud and Data – moderne IT-Infrastruktur und neue Erkenntnisse

Die Kundenorientierung, die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und optimierter Prozesse sowie das digitale Marketing bedürfen aller Daten (Smart Data) und neuer Erkenntnisse, aufbauend auf Informationstechnologien (IT). Im Kern steht die integrierte bzw. vernetzte Datenbasis, welche mittels intelligenter Analyseverfahren zu neuem Wissen führt, um strategische Entscheidungen (in Echtzeit) zu treffen. Gleichzeitig ist der Bedarf nach flexibler und von überall her zugänglicher technologischer Infrastruktur hoch: Hier stehen Investitionen in die Cloud und webbasierte Lösungen auf der Prioritätenliste der Unternehmen.

Digital Business Development – neue Strategien und Geschäftsmodelle

Die neuen Technologien treiben Unternehmen dazu an, bestehende Kompetenzen und Angebote zu hinterfragen, um die Wertschöpfungskette zu digitalisieren und neue Leistungen zu erbringen (vgl. Abschn. 4.1.1). Dabei werden neue Plattformen und Kanäle genutzt sowie Kooperationen mit den unterschiedlichsten Marktpartnern eingegangen, um innovative Geschäfts- und Ertragsmodelle zu entwickeln.

Process Engineering – optimierte Arbeitsabläufe und Automation

Grundsätzlich sollen Prozesse standardisierter, schneller und effizienter gestaltet werden. Durch die Automatisierung bzw. Digitalisierung der Prozesse können Teilaufgaben ohne Medienbrüche vernetzt werden, um so unter anderem das papierlose Büro zu schaffen und die Wertschöpfungskette zu optimieren. Im Zusammenhang mit agilen Methoden soll dies die Produktivität und Innovationsfähigkeit steigern und gleichzeitig eine höhere Transparenz schaffen.

Digital Leadership & Culture (Arbeitswelt 4.0) – neue Ansätze in Führung, Kultur und Arbeit

Durch den digitalen Wandel wird ein Veränderungsprozess ausgelöst, der mittels Change Management zu einer Anpassung der Führungsgrundsätze im Unternehmen führt. Teil von Digital Leadership und Kultur sind Kreativität und Innovation, der digitale und mobile Arbeitsplatz sowie neue Organisationsformen und Technologien, um Wissen zu teilen sowie Teams zu führen, schulen und motivieren.

Digital Marketing – neue Plattformen und Kanäle

Durch die Verfügbarkeit und Analyse von Kunden-, Produkt- und Absatzdaten sowie die Messbarkeit der Marketing- und Vertriebsaktivitäten wird ein System geschaffen, in dem die Marktaktivitäten laufend optimiert werden können. Zu den Aspekten des Digital Marketing (hierzu zählen auch Vertriebs- und Verkaufsaktivitäten) gehören (mobile) Online-Plattformen, das Content-Marketing, E-Commerce, Kommunikationskanäle wie Social Media, Online-Gemeinschaften (Communities) und Suchmaschinenmarketing, die Marketing-Automation sowie Video-Marketing. Alle hier genannten Teilbereiche (Marketing, Vertrieb, Verkauf und Service) können als Go-To-Market-Funktion zusammengefasst werden.

Diese sieben Handlungsfelder dienen als Orientierungshilfe, um (internationale) Strategien auf ihre Vollständigkeit hin zu überprüfen. Dabei wird auch sichergestellt, dass die Unternehmensleitung die aktuell zentralen Managementthemen diskutiert und die Potenziale der Digitalisierung und digitalen Transformation in Strategien und Konzepten aktiviert werden.

5.5.2 Reifegrad der wichtigsten digitalen, strategische Themen

In einer Folgestudie zur Strategieentwicklung im digitalen Zeitalter zur Planung und Umsetzung der digitalen Transformation (Peter 2021) wurde bestätigt, dass Unternehmen in den o. g. Handlungsfeldern Maßnahmen planen und umsetzen. Gleichzeitig wurden für jedes Handlungsfeld die wichtigsten fünf strategischen Maßnahmen aus der Grundlagenstudie zur digitalen Transformation abgefragt. 24 Maßnahmen und somit strategische Fragen (vgl. Abb. 5.8) für die Strategieerarbeitung im digitalen Zeitalter wurden im Durchschnitt mit einem Wert von 3.5 oder höher (auf einer Skala von 1 keine Maßnahmen umgesetzt bis 7 Maßnahmen voll und ganz umgesetzt) bewertet. Es wird deshalb empfohlen, mindestens diese Themen in jedem Strategieprozess zu berücksichtigen und im besten Fall in der Strategie zu definieren. Diese Managementthemen helfen auch, die digitale Reife im Hauptsitz und in den Niederlassungen zu bestimmen und so mögliche Defizite und weitere Potenziale zu identifizieren.

Abb. 5.8
figure 8

24 strategische Themen für die Strategieentwicklung im digitalen Zeitalter und zur Messung der digitalen Reife

Praxistipp: Die digitale Reife mit dem Online-Strategiecheck messen

Mit dem kostenlosen Online-Strategiecheck auf www.digital-strategy-check.ch können die aus der Forschung validierten digitalen Themen für die Strategieentwicklung im eigenen Unternehmen gemessen werden, um die folgenden Fragen zu beantworten:

  • Haben Sie die wichtigsten strategischen Fragen/Themen abgedeckt?

  • Wie weit sind Sie mit Ihrer Transformation fortgeschritten?

  • Wo liegt das (größte) Potenzial für Ihre Strategiearbeit?

5.5.3 Mit einer digitalen Roadmap Defizite reduzieren und Potenziale nutzen

Die regelmäßige Messung der digitalen Reife über alle Niederlassungen hinweg liefert einerseits weitere niederlassungsspezifische Erfolgskennzahlen. Gleichzeitig helfen die Resultate, aktiv den Dialog mit den Niederlassungen zu führen, um einerseits die Rolle des Hauptsitzes und der Notwendigkeit von Investitionen für die digitale Transformation zu bestimmen, und anderseits den Fortschritt und die Umsetzung in den Niederlassungen zu besprechen und Optimierungsmaßnahmen zu definieren. In den meisten Fällen ist die digitale Roadmap Bestandteil der Unternehmensstrategie, in einigen Unternehmen wird die digitale Roadmap in der IT-Strategie abgedeckt, in anderen als eigenständige digitale Strategie geführt.

5.6 Umsetzungsexzellenz

Operationelle Effizienz (besser, schneller, weniger verschwenderisch und damit leistungsstärker) sollte entlang der gesamten Wertschöpfungskette umgesetzt werden, also auch Lieferanten und Konsumenten miteinbeziehen. Höhere Effizienz bedeutet geringere Kosten und das Umsetzen der richtigen Dinge. Höherwertige Produkte, bessere Kundenbeziehungen und zufriedenere Konsumenten sind das Resultat.

Governance-Kodizes, Verhaltenskodizes oder Visionspapiere sind wertlos, wenn die Umsetzung bis in die untersten Ebenen der Subsidiaries nicht stattfindet. Umsetzungsexzellenz wird geprägt vom Umsetzungswillen (auf Worte Taten folgen lassen), von der Umsetzungskompetenz und von der Verankerung der Exzellenz in einzelnen Führungsprozessen – und dies bis auf Niederlassungsstufen. Die in Kap. 4 vorgestellten Grundlagenmodule liefern drei zentrale Grundlagen:

  1. 1.

    Umsetzungswille

  2. 2.

    Umsetzungskompetenz

  3. 3.

    Umsetzungsexzellenz in konkreten Prozessen.

5.6.1 Umsetzungswille

Mit Umsetzungswille bezeichnen wir den grundsätzlichen Willen der Führungsebenen, Vorhaben und Pläne zu realisieren und mit Unwägbarkeiten zielstrebig umzugehen. Umsetzungswille ist nicht nur daran erkennbar, dass Projekte abgeschlossen werden. Eine Unternehmung, bei welcher die zu Beginn des Buches eingeführten Themen System, Anspruchsgruppen, Integrität, Risiko und Audit nicht nur einmal, sondern kontinuierlich auf der Traktandenliste verschiedener Hierarchiestufen (auch bei den Subsidiaries) stehen, zeigt Entschlossenheit zur Umsetzung und die nötige Ausdauer.

Umsetzung oder Durchführung bedeutet die Integration von Personalentwicklung, Strategie und operativer Planung zu einem einheitlichen Prozess. Eine leistungsfördernde, selbstkritische und dialogorientierte Unternehmenskultur ist hierfür eine wichtige Voraussetzung (Bossidy und Charan 2002).

5.6.2 Umsetzungskompetenz

Unter Umsetzungskompetenz versteht man die Fähigkeit, Ziele oder Vorhaben konsistent in Ergebnisse umzusetzen. Insbesondere in international operierenden Unternehmen ist es eine Herausforderung, Umsetzungskompetenz auch in entfernten Niederlassungen zu kontrollieren und zu fördern. Das hier vorgestellte Governance-Modell beinhaltet mehrere Parameter, die als Gradmesser dienen und damit auch aktiv für eine verbesserte Umsetzungskompetenz angegangen werden können.

Zum ersten bedarf es der Verantwortung: In umsetzungsstarken Unternehmen übernehmen Mitarbeitende und Führungskräfte gerne Verantwortung. Über unerwartete negative Konsequenzen kann offen gesprochen werden, und es wird daraus gelernt.

Der proaktive Umgang mit Risiken auf operativer Stufe ist ebenfalls Ausdruck einer gewollten Umsetzungskompetenz. In Prozessen eingebaute „Checks und Balances“ sprechen für die Kompetenz, professionelle Umsetzung zu fördern.

Eine resultatorientierte Haltung ist letztlich auch an einer positiven Haltung gegenüber der Auditorganisation ersichtlich: Audits werden als geschäftsfördernd angesehen, weil sie letztlich – richtig eingesetzt – gute Resultate sicherstellen.

5.6.3 Umsetzungsexzellenz in konkreten Prozessen

Wie umsetzungsstark eine Unternehmung ist – auch über Landesgrenzen oder Mutterhausgrenzen hinaus – ist an der Existenz verschiedener Führungsprozesse feststellbar (Strategieumsetzungsprozess, Einsatz von Erfolgskennzahlen auf Niederlassungsstufe, Prozesse zur Überprüfung von ethischem Verhalten etc.).

Siebzig bis neunzig Prozent der Unternehmen scheitern bei der Strategieumsetzung (Horvath & Partner 2000). Dabei sind Unternehmen mit komplizierten Strukturen, geografischen und kulturellen Distanzen zwischen einzelnen Einheiten besonders gefährdet. Strategien lassen sich nur dann erfolgreich umsetzen, wenn sie sorgfältig geplant und konsequent kontrolliert werden (Bossidy und Charan 2002). Umsetzungsexzellenz bedarf eines adäquaten Transfers der Strategie auf die Niederlassungsstufe durch die oberste Führungsebene. Durch eine optimierte Subsidiary Governance entsteht ein stufenübergreifendes Strategieverständnis, bessere Abstimmungen führen zu weniger Schnittstellenverlusten und schnellere Rückkopplungen optimieren den Zeitbedarf von der Konzeption zur Umsetzung.

Die Existenz niederlassungsspezifischer Erfolgskennzahlen ist auch Ausdruck einer Umsetzungsexzellenz, sofern diese Kennzahlen vom Niederlassungsmanagement als sinnvoll anerkannt werden. Weitere Praktiken, die auf Umsetzungsexzellenz hindeuten, sind Systeme zur Prüfung ethischen Verhaltens oder Prozesse zur Erfassung der Mitarbeitenden- sowie der Kundenzufriedenheit inklusive darauf abgestimmter Korrekturmaßnahmen.

Take-Aways zu den sechs Subsidiary Governance Resultatsmodulen

  • Wettbewerbsstärke misst die Reife zum Wissensstand/Verständnis der Wettbewerbstreiber, der Kundenorientierung, eines nachhaltigen Wettbewerbsverhaltens und einer proaktiven Kultur.

  • Innovationsfähigkeit misst das Innovationsverständnis, das Kundenverständnis und die Innovationskultur.

  • Nachhaltigkeit misst das eigene Verständnis der Nachhaltigkeitstreiber, den Grad der Anspruchsgruppenunterstützung und die Nachhaltigkeit der eigenen Organisation.

  • Führung misst das Selbstverständnis und die Ganzheitlichkeit von Führung, die Führungsstärke sowie das Vorhandensein moderner Arbeitsweltstrategien und -konzepte.

  • Digital Reife misst den Umsetzungsgrad der digitalen Transformation und seiner zentralen Handlungsfelder im Unternehmen.

  • Umsetzungsexzellenz misst die drei Erfolgsfaktoren Umsetzungswille, Umsetzungskompetenz und Umsetzungsexzellenz in konkreten Prozessen.