Wie kann eine Führungskraft vom Subsidiary Governance Modell und diesem Handbuch profitieren? Eine Möglichkeit besteht darin, die eigene Qualität der Subsidiary Governance innerhalb dieser sechs Bereiche zu messen. Die Ausführungen über die Bestandteile des Subsidiary Governance Modells und Beispiele in Kap. 4 verleiten hoffentlich dazu, die eigenen Governance-Praktiken selbstkritisch zu reflektieren. Im letzten Teil des Buches stehen hierfür eine Checkliste und ein Praxisbeispiel bereit.

Eine andere Möglichkeit, die mit überschaubarem Aufwand eine detailliertere Analyse möglich macht, ist die Anwendung des Subsidiary Governance Tools, das im Rahmen der Forschungsarbeit um das Modell herum (und deren Weiterentwicklung im Hinblick auf die digitale Transformation) entstanden ist. Mithilfe dieser Internetapplikation (abrufbar auf www.niederlassungen.ch) können Unternehmen den Reifegrad und mögliche Governance Gaps in der Führung ihrer Niederlassungen oder strategischen Partnerschaften in Eigenregie eruieren. Dabei werden die sechs Inhaltsmodule und die sechs Resultatmodule anhand von Fragebogen auf unterschiedlichen Hierarchiestufen im Stammhaus und in den Tochtergesellschaften gemessen und dann miteinander verglichen. Die rund 30 Indikatoren und dazu gehörenden 150 Fragen ermöglichen konkrete Verbesserungshinweise. Pro Indikator wird ein Wert, der sogenannte Reifegrad, zwischen 0 und 5 ermittelt (s. Abb. 3.1).

Abb. 3.1
figure 1

Auswertung der Governance-Dimensionen

Die Reifestufen sollen nicht als Benotung oder Beurteilung angesehen werden, sondern als Entwicklungschance. Unternehmen und ihre Mitarbeitenden durchlaufen diese Phasen und jeder Schritt auf dem Weg zur höchsten Reifestufe ist essenziell (s. Abb. 3.2). Die Reifestufe 5 lässt sich als „Meta-Kompetenz“ beschreiben, d. h. das Unternehmen verbessert kontinuierlich Instrumente, Prozesse und Kultur des entsprechenden Bereiches.

Abb. 3.2
figure 2

Bedeutung der Reifestufen

Ein klassisches Governance Gap existiert dann, wenn bspw. das Stammhaus einen Wert von 4 erreicht, die Tochtergesellschaft hingegen auf Level 1 ist. Dies könnte aussagen, dass das Stammhaus eine Anspruchsgruppenüberprüfung entwickelt hat, die Töchter aber nichts davon wissen und diese somit auch nicht umsetzen können. Weniger naheliegend aber ebenso möglich sind „umgekehrte“ Governance Gaps, d. h. der Wert der Tochter ist höher als der der Mutter. In diesem Fall ist die Tochter aktiv geworden, ohne dass es Vorgaben von der Mutter gab und höchstwahrscheinlich ohne dass die Mutter über die Aktionen informiert wurde. Auch dies ist ein ernstzunehmendes Gap, welches möglicherweise auf ein beträchtliches Potenzial hinweist.

Zahlreiche Unternehmen haben bereits Modelle und Managementsysteme implementiert wie bspw. EFQM oder ISO. Das Subsidiary Governance Modell stellt nicht ein weiteres Instrument dar, das die Komplexität und Bürokratie der Unternehmensführung unnötig erhöht. Es ist vielmehr anschlussfähig an bestehende Führungsrhythmen und füllt damit Lücken und schlägt Brücken. Beispiele für die Einbindung des Subsidiary Governance Tools in die Führungszyklen von Firmen verschiedener Größen und Branchenzugehörigkeiten finden sich im letzten Teil des Buches.

FormalPara Expertenwissen: Vergleich von verschiedenen Führungsmodellen und Managementsystemen

Nachfolgend werden einige verbreitete Führungsmodelle und Managementsysteme kurz eingeführt und abschließend mit dem Subsidiary Governance Modell verglichen.

FormalPara Begriffserläuterung EFQM

Die Zielsetzung von EFQM (European Foundation for Quality Management) besteht darin, den Qualitätsstandard europäischer Unternehmen zu erhöhen und sicherzustellen und als treibende Kraft für nachhaltige Exzellenz in Europa zu fungieren. Das EFQM-Modell ist unabhängig von Branche, Größe, Struktur und Reifegrad des Unternehmens einsetzbar (www.efqm.org).

Neun Hauptkriterien, 32 Teilkriterien und ca. 200 Orientierungspunkte bilden die Rahmenstruktur des Modells, anhand dessen sich der Fortschritt des Unternehmens in Richtung Exzellenz bewerten lässt. Die 9 Hauptkriterien werden dabei in 5 Befähiger- und 4 Ergebnis-Kriterien unterteilt, wie Abb. 3.3 darstellt:

Abb. 3.3
figure 3

EFQM Modell

Ein Unternehmen, das ein Qualitätsmanagement nach EFQM betreibt, wird Selbst- oder Fremdbewertungen durchführen und die notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung der Situation daraus ableiten.

Die im Subsidiary Governance Modell eruierten Qualitäten stellen Grundlagen für EFQM dar und können somit als „Befähiger für Befähiger“ positioniert werden: sie messen und geben Auskunft über die Faktoren, die Einfluss auf Führung, Mitarbeitende, Politik & Strategie sowie Partnerschaften & Ressourcen haben. Konkret drückt sich dies in den resultatorientierten Modulen aus.

FormalPara Begriffserläuterung ISO

ISO (International Organisation for Standardization) ist ein international anerkanntes Regelwerk zur Standardisierung des Qualitätsmanagements. ISO enthält Vorgaben zur Gestaltung des Qualitätsmanagements, Kriterien zu dessen Beurteilung dessen und Prozesse, wie Qualitätsziele erreicht werden. ISO ist ähnlich wie EFQM unabhängig von Branche und Größe des Unternehmens anwendbar.

ISO verwendet ein fünfstufiges Reifegradmodell zur Unternehmensbewertung ähnlich dem des Subsidiary Governance Modells. Sie sind einander in Abb. 3.4 gegenübergestellt:

Abb. 3.4
figure 4

Vergleich Bewertungssystem ISO – Subsidiary Governance

Der Nachteil von ISO besteht darin, dass hier nicht die Verbesserung im Vordergrund steht, sondern die Normkonformität. Zudem werden Dokumentationsumfang und -aufwand als sehr hoch beurteilt. In der Folge dieser beiden Nachteile kommt es leider häufig dazu, dass vorgegebene Standards zwar formal im Unternehmen existieren, aber nicht operativ umgesetzt werden. Die Qualität ist somit dokumentiert, wird aber nicht „gelebt“. Die ISO-Norm zeigt auf, was zu verbessern ist, aber nicht, wie es zu verbessern ist. ISO kann erfolgreich eingesetzt werden bei der Identifizierung, Darstellung und Beschreibung von Prozessen. Lücken weist es aber auf im Bereich Verantwortlichkeiten (wer hat welche Themen umzusetzen, zu kontrollieren, etc.) sowie bei den Themen Strategie und Integrität (Schmid 2010).

FormalPara Begriffserläuterung Balanced Scorecard

Mit der Balanced Scorecard lassen sich Unternehmensaktivitäten sowie Ergebnisse pragmatisch darstellen, und eine Bewertung der angedachten Strategie lässt sich vornehmen. Die Balanced Scorecard misst und beurteilt vier Dimensionen (s. Abb. 3.5): Finanzen, Kunden, Lernen & Entwickeln (= Potenziale) sowie Prozesse (Kaplan und Norton 1996).

Abb. 3.5
figure 5

Balanced Scorecard

Dabei werden Interessen unternehmensexterner Anspruchsgruppen genauso berücksichtigt wie interne Erfordernisse an Prozesse, Innovationen, Lernfähigkeit und Wachstum. Sowohl kurz- als auch langfristig ausgerichtete strategische Ziele fließen ein. Die verwendeten Indikatoren sind sowohl objektive als auch subjektive. Im Kern ist die Balanced Scorecard eine Art Kontrollcockpit. Unternehmen nutzen sie aber auch, um damit die Strategieentwicklung zu strukturieren (Müller-Stewens und Brauer 2009).

Die Balanced Scorecard sowie das Subsidiary Governance Modell zeichnen sich beide durch eine fundierte Strategieorientierung aus. Die Balanced Scorecard deckt zudem den finanziellen Bereich im Detail ab, während die Bereiche der Politik, des Systems, der Partnerschaften sowie Compliance Aspekte im Subsidiary Governance Modell deutlich besser abschließen (Schmid 2010).

FormalPara Begriffserläuterung Six Sigma

Six Sigma bezeichnet – einfach ausgedrückt – das Fehlerniveau innerhalb eines Prozesses. Bei drei Sigma treten 66.807 Fehler bei einer Million Fehlermöglichkeiten auf. Ein Niveau von sechs Sigma bedeutet weniger als vier Fehler, was einer Null-Fehler-Produktion entspricht. Six Sigma ist aber auch eine Qualitätsmanagementmethode, die mit einer statistischen Ist-Analyse beginnt. In einem nächsten Schritt werden innerhalb eines standardisierten Prozesses Maßnahmen identifiziert und umgesetzt, um ein höheres Sigma-Niveau zu erreichen. Six Sigma-Projekte sind klar organisiert, es gibt innerhalb der Teams eine klare Hierarchie; Projektmitglieder werden als Black Belts (Projektleiter) und Yellow Belts (Projektmitarbeitende) bezeichnet und durchlaufen eine intensive Ausbildung, bis sie diese Titel tragen dürfen.

Im Vergleich mit dem Subsidiary Governance Modell liegt das Gewicht von Six Sigma bei den Prozessen, während systemrelevante und politische Aspekte, Strategieorientierung und gezielte Niederlassungseinbindung wenig beachtet sind (Schmid 2010).

FormalPara Die vorgestellten Modelle im Vergleich zum Subsidiary Governance Modell

Inhaltlich bietet das Subsidiary Governance Modell einen essenziellen Vorteil gegenüber anderen Modellen: Partnerschaften und Niederlassungen werden explizit in den Vordergrund gestellt. Umgang mit und Einbezug von Niederlassungen werden explizit analysiert, ebenso die Rolle und Zukunft von Partnerschaften. Das Modell verhilft so den Unternehmen, die Rollen und Potenziale ihrer Partner innerhalb des Gesamtsystems zu verdeutlichen und die Zusammenarbeit zu verbessern. Spezifische Modelle zur Führung von Subsidiaries existierten bisher nicht. Die meisten Unternehmen führen ihre Subsidiaries fast ausschließlich über Zielvereinbarungsprozesse, die jährliche Budgetierung oder Quartalsabschlüsse.

Neben den Subsidiaries werden zudem weitere Anspruchsgruppen im Modell berücksichtigt, das Modell geht also weit über die Grenzen des Unternehmens hinaus und berücksichtigt den Einfluss zahlreicher Gruppen auf das Unternehmen. Wie derartige Anspruchsgruppen identifiziert, bewertet und „gemanagt“ werden, ist ein zentraler Bestandteil des Moduls Anspruchsgruppenmanagement.

Weiter hat das Subsidiary Governance Modell den Vorteil, dass es Beziehungen zwischen Hierarchien einbezieht. Das heißt, es legt großen Wert auf eine Durchgängigkeit sämtlicher Aufgabenbereiche vom Board bis zur operativen Einheit. Jede Ebene hat ihre Verantwortung innerhalb jedes Themenbereiches; der Umsetzung von Governance-Aufgaben über alle Hierarchiestufen wird höchste Priorität eingeräumt, während andere Modelle diese ebenen-übergreifende Operationalisierung nicht beinhalten.

Das Thema Integrität ist ein zentrales „weiches Thema“, das eine wichtige Rolle innerhalb des Subsidiary Governance Modells spielt. EFQM und ISO tangieren lediglich das Thema Compliance; die ebenfalls häufig zur Anwendung kommenden Modelle/Systeme Six Sigma und Balanced Scorecard machen keine Aussage zu dieser Thematik (Schmid 2010).

Unter Einbezug der „soften“ Themen ist das Subsidiary Governance Modell bezüglich seiner Vollständigkeit den anderen Modellen deutlich voraus. Die sechs Module decken sämtliche unternehmensrelevante Aspekte ab. Das Modell konzentriert sich nicht auf einen thematischen Schwerpunkt, sondern zeigt die Gesamtheit auf mit all den Zusammenhängen, Abhängigkeiten und Verantwortlichkeiten (s. Abb. 3.6, nach Schmid 2010).

Abb. 3.6
figure 6

Vergleich der Modelle

Schmid verglich die Modelle auch bezüglich des benötigten Implementierungs- und Betriebsaufwandes. Das Subsidiary Governance Modell zeichnet sich durch einen niedrigeren Aufwand aus. Beispielsweise ist der Dokumentationsaufwand des Subsidiary Governance Tools vergleichsweise gering. Mitarbeitende füllen Fragebogen aus, das Tool entwickelt daraus eine „Ergebnisübersicht“. Zusätzliche Dokumentationen sind nicht nötig. Six Sigma verlangt eine Dokumentierung von Projektbeginn und Projektstart. Der Dokumentationsaufwand sowohl von Balanced Scorecard als auch von EFQM sowie ISO wird in der Literatur als relativ hoch beurteilt.

FormalPara Take-Aways zur Anwendung des Subsidiary Governance Modells in der Praxis
  • Der Reifegrad der eigenen Subsidiary Governance sowie mögliche Governance Gaps lassen sich mithilfe von gezielten Checks und Fragen eruieren.

  • Unternehmen können sich entlang von Reifestufen in ihrer Subsidiary Governance weiterentwickeln.

  • Nutzen Sie die Checkliste und das Praxisbeispiel im letzten Teil des Buches.

  • Nutzen Sie das Subsidiary Governance Tool auf www.niederlassungen.ch zur Messung von Reifegrad und möglichen Governance Gaps.