Schlüsselwörter

Das juristische Kollisionsgefüge zwischen dem Rechtsgut der Kunstfreiheit einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht andererseits macht nicht davor Halt, mitunter selbst fiktionale Literatur zu einem literature-in-law-Fall werden zu lassen. VergegenständlichungsprozesseFootnote 1 von Literatur in der Variante von VerrechtlichungsprozessenFootnote 2 sind der Literaturgeschichte nur allzu vertraut. So dienen etwa Gustave Flauberts Madame Bovary als europäisches und Klaus Manns Mephisto als bundesdeutsches Paradebeispiel innerhalb der Literatur- und Rechtsgeschichte. Hierbei sind Fälle dezidiert ‚fiktionaler‘ Literatur besonders störanfällig und mindestens dem Anschein nach als aporetisch zu verzeichnen. Die (vermeintliche) Aporie äußert sich genau dann, wenn fiktionale Literatur Gegenstand eines juristischen Materialisierungsprozesses wird. Wenn es in der Rechtspraxis möglich ist, selbst der Fiktion Beschränkungen aufzuerlegen, obwohl diese der eigentlichen begrifflichen Konzeption nach als außerhalb eines jeden Rechtsraums stehend verstanden wird,Footnote 3 so scheint zunächst einmal eine Reversion vonstatten zu gehen: Kunst,Footnote 4 die sowohl in der sozialen Praxis als auch in der Verfassungsgebung als frei postuliert wird, und das Recht entfernen sich von ihren eigentlichen Zuständigkeitsbereichen. Indes äußert sich eine Problematik bereits auf einer früheren Stufe: Noch ehe das keineswegs ausschließlich juristische Defizit eines Fiktionalitäts- und Fiktionsbegriffes moniert werden kann, taucht die Schwierigkeit auf, überhaupt erst einmal einen KunstbegriffFootnote 5 festlegen und innerhalb eines Rechtssystems und einer Rechtsgemeinschaft etablieren zu können.

Im Folgenden werden die beiden erwähnten Problemfelder als Kontroversen der Vergegenständlichungsprozesse von (fiktionaler) Literatur im Recht je einer möglichen Perspektive unter vielen vonseiten zweier Disziplinen unterzogen: Mit der grundlegenden Frage im Hinterkopf, wann, weshalb und woher die Legitimation nehmend eine Materialisierung von Kunst im Allgemeinen (und fiktionaler Literatur im Besonderen) von Gerichten ausgeübt wird, nähert sich Ino Augsberg (Kiel) in seinem rechtsphilosophischen Beitrag den Kriterien und Modalitäten der Materialisierung von Literatur im und durch Recht. Hierfür muss notwendigerweise zuerst eine juristische Definition von Kunst erfolgen, bevor Fragen der Vergegenständlichung von fiktionaler Literatur behandelt werden können. Augsberg macht die juristischen Schwierigkeiten und Schranken einer Definition und Bestimmung des Kunstbegriffes deutlich, die vor der problematischen Unvermeidbarkeit einer dominanten Zirkularität stehen: Das Rechtsgut der Kunstfreiheit verlangt zunächst einmal nach einem mindestens rechtssysteminternen, juristisch „konsens- wie auch subsumtionsfähigen“ (Wittreck 2013, Rn. 41) Kunstbegriff. Eine definitorische Festlegung oder auch nur eine Kartierung eines Kunstbegriffes würde aber gewissermaßen schon eine Präskription der eigentlich auch grundgesetzlich als frei gewährleisteten Kunst mit sich bringen. Kunstfreiheit im Sinne von Art. 5 Abs. 3 S. 1 Var. 1 GG meint vor allem eine Freiheit ex negativo: Kunst ist grundsätzlich frei von staatlicher Regulierung. Schutz und Freiheit vor staatlicher Regulierung impliziert auch, dass eine begriffliche Festlegung von Kunst kaum kompatibel mit einer juristisch-dogmatischen Tendenz im Umgang mit Kunstfreiheit sein kann. Da es sich bei Kunst um eine sozialeFootnote 6 und gerade nicht rechtliche Praxis handelt, kann die Ausformulierung von Kunst kaum im juristischen Kompetenzbereich liegen. Eine solche Kritik ist mitunter aber nicht bloß rechtsextern zu finden, sondern wird auch aus den eigenen Reihen erbracht: Die Beteuerungen von rechtswissenschaftlicher Seite, eine adäquate Definition des Begriffes ‚Kunst‘ zu erbringen, sei schlichtweg nicht möglich und es müsse alternativ eine „kanonische Hilfsdefinition“ (Wittreck 2009, 132) herangezogen werden, sind vor diesem Hintergrund mannigfach (BVerfGE 30, 173 [188 f.]; Häberle 1985, 600; von Arnauld 2009, Rn. 11; Hufen 2011, Rn. 19; Wittreck 2013, Rn. 41 ff. Kritik hieran bei Würkner 1988, 317–319). Das Definitionsproblem manifestiert sich daher als eine Definitionsaporie, die Grenzziehungen via Definition als normativ aufgeladene Bestimmungsformen. Mit Rekurs auf die vom Bundesverfassungsgericht und der Rechtswissenschaft entwickelten und ausbuchstabierten Kunstbegriffe (Wittreck, 2013, Rn. 37 ff.) – ein formaler, materialer und offener – wird die jeweilige Problematik der einzelnen Kunstdefinitionsversuche offengelegt. Während die drei konkurrierenden Kunstbegriffe des bundesdeutschen Rechtssystems als Ausdruck juristischer Ohnmacht vor dem Kunstbegriff gedeutet werden können, stufen andere dies als Vertrauensschuss an die Richterpersönlichkeit ein. So äußert sich Claus Dierksmeier dahingehend zuversichtlich, dass im Einzelfall nicht „schematisch-subsumtiv, sondern typusorientiert-reflektierend“ entschieden werde (Dierksmeier 2000, 886). Aber auch bei dieser Lesart lässt sich die genannte Problematik nicht eliminieren: Das Definiendum (Kunst) ist da und drei heuristische, rechtssysteminterne, d. h. dogmatische,Footnote 7 Annäherungen an einen Kunstbegriff ebenfalls. Allein, es fehlt an einem Definiens, das nicht zugleich normativ bestimmend agiert. Juristische Bestimmungsversuche scheinen kaum einen Ausweg aus dem Definitionsdilemma finden zu können, da eine juristische Begutachtung des ‚literarischen Handelns‘ (vgl. Gideon Stiening in diesem Band) stets eine normative Begutachtung ist. Eine juristische Begutachtung läuft somit Gefahr, eine heteronome Bestimmung von Kunst vorzunehmen. Den juristischen Umgang mit dieser Aporie legt Augsberg in seinem Beitrag „Ver-Gegenständlichung. Zum Kunstbegriff des Grundgesetzes“ dar. Er stellt die sowohl theoretische, sprich: prä-juristische, als auch die rechtspraktische Frage, ob und wie ein unabgeschlossener bis hin zu undefinierbarer Befassungsgegenstand vergegenständlicht werden kann. Denn einerseits muss der Rechtsstaat in der Tat richten, andererseits kann dieser im Hinblick auf Kunst kaum richten ohne die gerichtliche Praxis in Selbstwidersprüche zu verwickeln.Footnote 8

Mithin erinnert die dargelegte Aporie in Bezug auf das literarische Feld an die von Klaus Weimar schon eruierte Feststellung, einen Literaturbegriff – oder hier ergänzend: einen Fiktions- und Fiktionalitätsbegriff – nicht ohne die wechselseitige Abhängigkeit zwischen dessen jeweiligem intensionalen und extensionalen Gehalt denken zu können:

Die Bestimmung der Extension ist angewiesen auf ein Kriterium, mittels dessen sie Literatur […] von Nicht-Literatur […] unterscheiden und abgrenzen kann, und das kann sie nur erhalten aus der Bestimmung der Intension des Literaturbegriffes. Die aber hinwiederum ist angewiesen darauf, dass das Gebiet bereits umgrenzt (die Extension bestimmt) ist, in dessen theoretischer Beschreibung jenes Unterscheidungskriterium ausfindig und namhaft gemacht werden kann. (Weimar 2009, 88)

Während für die Literaturwissenschaften keine praktische Notwendigkeit (vgl. Weimar 2009, 78) einer definitorischen Festlegung besteht, verhält es sich im Rechtssystem anders, wenn ein normativer Umgang mit Kunst nicht umgangen werden kann. Welche rechtsdogmatischen Strategien lassen sich vor diesem Hintergrund mit welchem Erfolg feststellen? Und wie können verschiedene Begrenzungen durch eine Definition des Gegenstandes ‚Kunst‘ schon die Freiheit der Kunst selbst wieder einschränken? Diesen Kernfragen widmet sich Augsbergs Beitrag.

Nachdem zunächst das Kunstfeld juristisch und rechtstheoretisch beleuchtet worden ist, wird im darauffolgenden Beitrag eine Schwerpunktverschiebung auf das Literatur- und Fiktionsfeld vorgenommen: Ergänzt wird die Materialisierung der Kunst in ihrer zunächst spezifisch fiktional-literarischen, danach literarischen Ausprägung durch Gerichte von Benjamin Gittel (Göttingen) und Tilmann Köppe (Göttingen). Die beiden Autoren nehmen sich in ihrem literaturwissenschaftlichen Beitrag „Fiktion, Literatur und die Verletzung von Persönlichkeitsrechten“ der grundlegenden Problematik der Verrechtlichung von Literatur an. Dabei untersuchen sie ausgehend von der Verlautbarung des Romanverbots Esra (Maxim Biller) die Referenzialisierbarkeit und hierdurch auch Justiziabilität dezidiert fiktionaler Literatur im Besonderen sowie auch nicht-fiktionaler Literatur im Allgemeinen. Die ihrem Beitrag zugrundeliegende Fragestellung erinnert nicht zuletzt an das auch schon vom Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem in seinem abweichenden Votum zur Esra-Entscheidung aufgeworfene Problemkomplex: „Wann aber kann eine ‚ästhetische Realität‘ (verstanden als kunstspezifische Konstruktion von Wirklichkeit) Persönlichkeitsrechte überhaupt verletzen?“ (BVerfGE 119, 1 [57]). Konkreter gewendet: Sowohl das Potential zur Persönlichkeitsrechtverletzung mittels fiktionaler Literatur als auch mittels Literatur, die nicht als fiktional erachtet wird, wird im genannten Beitrag gleichermaßen untersucht. Hierfür legen die genannten Autoren zunächst dar, was als konstitutives Merkmal fiktionaler Rede gehandhabt werden kann. Der Fiktionsansatz von Gittel/Köppe äußert sich dabei als einer, der die Autorin- bzw. Autorintention als zentral für das Prädikat ‚fiktional‘ erachtet: Demnach sei einem ‚kategorialen Intentionalismus‘Footnote 9 folgend Fiktionalität eine Eigenschaft von Texten, die mit der Intention verfasst werden, „gemäß den Regeln der Fiktionalitätsinstitution verstanden zu werden“ (Benjamin Gittel und Tilmann Köppe, in diesem Band). Zugleich machen sie deutlich, dass Fiktionalität als kontextabhängige Eigenschaft nicht ausschließlich von einer Autorin oder einem Autor intentional hervorgebracht wird. Intentionen können misslingen, sofern diese im hier relevanten Sinne nicht von Rezipierenden erkannt, anerkannt und umgesetzt werden, wodurch ihr Fiktionsansatz der Linie Lamarque/Olsen folgend um eine wichtige, institutionelle Komponente ergänzt und die Rezipierendenrolle bei der Institution der Fiktion als ebenso gewichtig erachtet wird.

Den Schwerpunkt jedoch nicht bloß auf fiktionale Literatur legend, sondern das relationale Verhältnis zwischen a) Fiktion und potentieller Persönlichkeitsrechtsverletzungen sowie b) Literatur und potentieller Persönlichkeitsrechtsverletzungen beleuchtend, entwickeln sie auch für den juristischen Umgang mit dem genannten Problemkomplex mögliche Lösungsansätze, mindestens jedoch Klärungsangebote. Ihre Untersuchungen erfolgen dabei stets vor dem Hintergrund der Möglichkeit von Referenzakten wie auch Prädikationsakten, die die beiden Autoren als ‚notwendige‘ Voraussetzung für Persönlichkeitsrechtsverletzungen einschätzen und proklamieren. Ob und unter welchen Umständen Referenz und Prädikation gegeben ist, wird dabei zunächst anhand von fiktionaler Rede, anschließend anhand von literarischer Rede unter Rückgriff auf ein Relationsmodell, das zwischen einer konstitutiven, einer kontributiven und schließlich einer evidentellen Beziehung differenziert, eruiert.