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1 Einleitung

Bücher werden auf Märkten publiziert und entsprechend als Ware zwischen Anbietern und Nachfragern gehandelt, wodurch die Materie ‚Literatur‘Footnote 1 zum Gegenstand komplexer wirtschaftlicher Interaktionen und Prozesse sowie (potenziell) Marktregularien wird. Zu erklärende soziale Phänomene auf Buchmärkten – insbesondere das Entscheidungsverhalten von Firmen und Konsument/innen – bewirken regelmäßig Prozesse der Vergegenständlichung von Literatur durch die Ökonomie als Wissenschaft. Anlass für jüngere ökonomische Forschung geben vornehmlich die oligopolen Strukturen und besonderen rechtlichen Bedingungen von Buchmärkten sowie ihre Auswirkungen auf das Marktverhalten und -ergebnis.

Prozesse intradisziplinärer Vergegenständlichung von Literatur vollziehen sich mit der Anwendung wirtschaftswissenschaftlicher Methoden. Wesentliche epistemologische Funktionen erfüllen in den heutigen Wirtschaftswissenschaften die mathematische Modellierung sowie ökonometrisch-statistische Verfahren, mit deren methodischer Anwendung sich verschiedene Formen der Vergegenständlichung einer Materie in der ÖkonomikFootnote 2 ergeben (können). Hierbei konkretisiert sich die Materialität von Literatur – als zentrales ‚Element‘ eines Gütermarktes – in der Ökonomik bei der forschungszweckgebundenen Übersetzung eines zu erklärenden sozialen Phänomens auf einem Buchmarkt in ein mathematisches oder ökonometrisches Modell.

Im Rahmen des Teilprojekts A02 „Literatur und Markt“ soll im Folgenden – unter dem Gesichtspunkt der Materialität, als Begriff und Kategorie der KorrelationFootnote 3 – die Vergegenständlichung von Literatur durch die Ökonomik analysiert werden. Nach einer allgemeinen Betrachtung der Gegenstandsauswahl in der Ökonomik, werden in Kap. 2 die Bedingungen ökonomischer Vergegenständlichungsprozesse für die Literatur konkretisiert. Anschließend wird in Kap. 3 die Materialität von Literatur als Buch in den Wirtschaftswissenschaften ausgeführt, wobei hinsichtlich der erscheinenden Vergegenständlichungsformen eine Differenzierung nach der theoretischen und empirischen Ökonomik erfolgt. Schließlich werden in Kap. 4 die Prozesse der ökonomischen Vergegenständlichung von Literatur resümiert.

2 Die Bedingungen ökonomischer Vergegenständlichung von Literatur

Bevor die ökonomischen Vergegenständlichungsformen von Literatur dargelegt werden, soll zunächst eine allgemeine Eingrenzung des potenziellen Gegenstandsbereichs der Ökonomik erfolgen. Anschließend werden die Bedingungen der Prozesse spezifiziert, die aus der Literatur einen (Untersuchungs-)Gegenstand der Ökonomik machen (können).

2.1 Gegenstandsbereich der Ökonomik

Indem die Ökonomik zu den Sozialwissenschaften gezählt wird,Footnote 4 weist sie hinsichtlich ihres ‚gewählten‘ Gegenstandsbereichs, dem menschlichen Verhalten, zunächst potenzielle Schnittmengen sowohl mit dem ‚Recht‘ als auch der ‚Literatur‘ auf.Footnote 5

Aus einer historischen Perspektive heraus lässt sich weiter – über das Wirtschaftswissenschaftsverständnis in Fachkreisen – eine dynamische Entwicklung der intradisziplinären Materie feststellen.Footnote 6 Während frühe Definitionen der sogenannten klassischen Nationalökonomen noch primär auf das gesellschaftliche Streben nach Wohlstand (als Gegenstand) abstellten,Footnote 7 d. h. die Untersuchung der Allokation von Gütern, speziell ‚materieller‘ Bedürfnisse,Footnote 8 wurde zunehmend – geprägt durch Marshall (1890 [1920]), der die Ökonomik vornehmlich als eine „study of man“ sah – (auch) eine individualistische Ebene einbegriffen.Footnote 9 Insbesondere im 20. Jahrhundert kamen vermehrt Definitionen auf, die ‚Märkte‘ beziehungsweise auf Tausch ausgerichtete soziale Interaktionen als Untersuchungsgegenstand der Ökonomik hervorhoben.Footnote 10

Eine vielfach zitierte Beschreibung wirtschaftswissenschaftlicher Tätigkeit geht auf den neoklassischen Ökonomen Robbins (1935 [2008], 75) zurück, der die Ökonomik als eine Wissenschaft, “`which studies human behavior as a relationship between ends and scarce means which have alternative uses” definierte. Nach dieser (formalen) Definition befasst sich die Ökonomik nicht mit bestimmten ‚Arten‘ sozialer Phänomene; vielmehr mache sie sich einen bestimmten ‚Aspekt‘ menschlichen Verhaltens zu ihrem Gegenstand.Footnote 11 Im Zuge der Etablierung der neoklassischen Mikroökonomik hatte sich die ontologisch konstitutive Relevanz der (allgegenwärtigen) ‚Knappheit‘ für wirtschaftliche Probleme sowie das Verständnis vom Wirtschaften als individuelles (rationales) nutzenoptimierendes Entscheidungsverhalten – bekannt als das Modell des Homo Oeconomicus – in der „Mainstreamökonomik“ durchgesetzt.Footnote 12 Hierbei führten insbesondere die Arbeiten von Becker (1971, 1993), der sich unter Bezugnahme auf Robbins (1935) für eine Definition von Ökonomik über ihren wissenschaftlichen Ansatz (anstelle ihres Gegenstandes) besonders in Abgrenzung zu anderen Sozialwissenschaften aussprach,Footnote 13 Ende der 1950er Jahre – durch die Anwendung der mikroökonomischen Theorie z. B. auf die Ehe, politische Wahlen, Kriminalität oder Rassendiskriminierung – zu einer Erweiterung des Gegenstands der Ökonomik auf individuelle Entscheidungsprozesse und soziale Interaktionen in ‚Nicht-Marktbereichen‘.Footnote 14 Vergleichsweise junge Forschungsfelder wie die sogenannte experimentelle Ökonomik,Footnote 15 VerhaltensökonomikFootnote 16 oder auch ‚Neuroeconomics‘Footnote 17 zeigen, dass die Wirtschaftswissenschaft ihre methodischen Ansätze unter anderem durch den Einbezug von Erkenntnissen aus der Psychologie und Neurowissenschaft für bestimmte (auch nicht-rationale) Entscheidungskontexte in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt und ausgebaut hat.

Während volkswirtschaftliche Lehrbücher bei der Definition von Ökonomik vielfach Bezug auf das Problem der Ressourcenknappheit sowie den notwendigen allokativen Produktions- und Distributionsprozessen von Waren und Dienstleistungen nehmen,Footnote 18 sieht Bachmann (2013, 285) – allgemeiner – im Zentrum „wissenschaftlichen Interesses der Mainstreamökonomen […] die Frage, welche anreizrelevanten Einwirkungen zu welchen reaktionsbedingten Auswirkungen“ führen. Im Hinblick auf die beratenden Funktionen, die die Wirtschaftswissenschaften bei der Wahl geeigneter staatlicher Maßnahmen einnehmen, ginge es „Mainstreamökonomen nicht zuletzt auch darum zu klären, mit welchen anreizrelevanten Einwirkungen sich erwünschte Auswirkungen herbeiführen lassen“.Footnote 19

Heute finden die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsmethoden auf eine Vielzahl unterschiedlichster (realweltlicher) Phänomene privaten und gesellschaftlichen Verhaltens Anwendung.Footnote 20 Jene menschlichen Entscheidungssituationen und Koordinationsvorgänge, welche sich sowohl die Mikro- als auch Makroökonomik (als die zwei zentralen Teilbereiche der Volkswirtschaftslehre) regelmäßig zu ihrem Gegenstand ‚auswählt‘, finden typischerweise auf Gütermärkten statt.Footnote 21 Während die theoretische und empirische Mikroökonomik vornehmlich das individuelle Entscheidungsverhalten von Konsument/innen und Firmen auf Märkten untersucht,Footnote 22 liegt der Schwerpunkt industrieökonomischer Analysen speziell auf dem strategischen Firmenverhalten in oligopolistischen Märkten, d. h. Märkten mit nur wenigen Anbietern.Footnote 23

Analog zum ‚Recht‘Footnote 24 macht sich die Ökonomik somit von dem gesamten Umfang menschlichen Verhaltens in der Regel einen bestimmten, nämlich ökonomischen Aspekt zu ihrem Gegenstand, worunter insbesondere jenes Entscheidungsverhalten – von Konsument/innen, Unternehmen und staatlichen Einrichtungen – fällt, welches gewissermaßen Knappheitsbedingungen unterliegt.

2.2 Buchmärkte

Die potenzielle Vergegenständlichung der Materie ‚Literatur‘ durch die Ökonomie als Wissenschaft wird in hohem Maße durch die Existenz von Buchmärkten bedingt. Die grundsätzliche Markt- beziehungsweise Tauschfähigkeit von Büchern resultiert dabei aus deren Eigenschaft als knappe Güter, welche (in den meisten Fällen) eine wirtschaftliche Handlungsweise von Anbietern als auch Nachfragern nach Literatur erfordert.

Indem die Bereitstellung eines Buches – d. h. in der Regel dessen Veröffentlichung – mit dem Verbrauch knapper Ressourcen (mit alternativen Verwendungsoptionen) verbunden ist, agieren Buchproduzenten in der Regel unter Knappheitsbedingungen. So bedarf die Produktion eines Titels (insbesondere einer Neuerscheinung) aus Sicht eines VerlagsFootnote 25 den Einsatz begrenzt zur Verfügung stehender Produktionsfaktoren – angefangen mit den Manuskripten der Autor/innenFootnote 26 über personelle Ressourcen für die Auswahl, das Lektorat und das Marketing bis hin zu Kapitalressourcen, z. B. für die Bürogebäude oder die technologische Infrastruktur.Footnote 27 Demgegenüber steht ein menschliches Bedürfnis nach ‚Lektüre‘, wobei die Konsumentscheidung – neben allgemeinen Bedürfnissen nach Unterhaltung und Information – aus vielschichtigen (Lese-)Motiven heraus erfolgen kann.Footnote 28 Auch der reine Besitz oder die Zurschaustellung von Büchern können einen Nutzen stiften.Footnote 29 Indes deutet die Zunahme sogenannter Flatrate-Modelle im E-Book-Segment darauf hin, dass für manche Leser/innen der Zugang zu Inhalten, ähnlich wie im audiovisuellen Medienbereich, mit dem Besitz (wenigstens) gleichbedeutend geworden ist.Footnote 30 Gewissermaßen wird auch die Nachfrage nach Büchern restringiert, indem neben einkommensbedingten Beschränkungen in der Kaufkraft die Zeit, angesichts einer Vielzahl konkurrierender Medien- sowie Freizeitangebote, eine knappe Ressource für (Buch-)Konsument/innen darstellt.Footnote 31 Vorausgesetzt, die Restriktionen verhindern dies nicht, konkretisieren sich die individuellen Lesebedürfnisse der Menschen in einem Bedarf an Büchern und äußern sich als Nachfrage, d. h. in Form einer positiven Zahlungsbereitschaft, am Markt. Bücher können somit durch Kauf und Verkauf zu einem monetären Preis zwischen Anbietern und Nachfragern übertragen werden.Footnote 32

Buchmärkte sind durch eine Vielzahl von Akteuren charakterisiert, die an der Produktion und Distribution der Ware beteiligt sind. Den Ausgangspunkt der Wertschöpfungskette bilden die Autor/innen, die zur Veröffentlichung und Verbreitung ihrer Werke in der Regel einen Vertrag mit einem klassischen Verlag abschließen. Eine zunehmend bedeutsame Alternative stellt die (digitale) Publikation im Selbstverlag dar, indem insbesondere Self-Publishing-Plattformen den Markteintritt für Autor/innen erleichtert haben.Footnote 33 Auf seinem Weg zum/r Endkonsument/in durchläuft ein Buch eine klassische Wertschöpfungskette, vom Hersteller – hier dem Verlag – über den Großhandel bis zum Einzelhandel.Footnote 34 Indem oftmals wenige große Unternehmen den Markt beherrschen, sind Buchmärkte sowohl auf Verlags- als auch auf Handelsebene durch oligopole Strukturen gekennzeichnet. Eine vergleichsweise hohe Einzelhandelskonzentration zeigt sich im E-Book-Segment, wo neben dem Onlineversandhändler Amazon mittlerweile weitere große Technologiekonzerne wie Apple an dem Handel mit (digitalen) Büchern partizipieren und mit ihren Plattform- sowie Lesegerät-Angeboten, unter anderem, den US-amerikanischen E-Book-Markt dominieren.Footnote 35

Grundlegend für die sozialen Interaktionen in Buchmärkten sind die Produkteigenschaften des Buches, in physischer (gedruckter) Form und als E-Book. Ein wesentlicher Unterschied des E-Books gegenüber dem physischen Buch liegt in der Notwendigkeit, für den Konsum zusätzlich ein geeignetes Lesegerät (z. B. E-Reader) zu besitzen.Footnote 36

Das Buch wird in der Ökonomik als privates Gut klassifiziert, indem Nichtzahler vom Konsum ausgeschlossen werden (können) und der Konsum eines Buches, jedenfalls zu einem bestimmten Zeitpunkt, auf eine Person begrenzt ist.Footnote 37 Zudem sind mit der Produktion eines Titels hohe Fixkosten und geringe variable Kosten verbunden. So ist der Anteil der Kosten für die erstmalige Herstellung eines Buches durch einen Verlag – wie etwa für das Personal, das Autorenhonorar, das Lektorat und das Marketing – an den Gesamtkosten der Produktion und Distribution hoch, während die variablen Kosten vergleichsweise gering ausfallen.Footnote 38 Dies trifft besonders auf E-Books zu, deren Grenzkosten als digitale Güter deutlich unter jenen von physischen Büchern liegen.Footnote 39 Für Autor/innen, die ihre Werke verlagsunabhängig veröffentlichen, ergeben sich insofern andere Kostenstrukturen, als dass – z. B. bei der Nutzung eines Self-Publishing-Dienstleisters – (ebenfalls geringe Grenzkosten aber) aufgrund von relativ niedrigeren Anfangsinvestitionen in der Regel geringere Fixkosten vorliegen.Footnote 40

Verlage tragen zudem ein vergleichsweise hohes finanzielles Risiko, indem die Nachfrage nach Büchern (besonders im Publikumssegment) oftmals durch ein hohes Maß an Unsicherheit geprägt ist. Der Erfolg eines Titels – zumeist ein einzigartiges Produkt – ist vor der Markteinführung nur schwer prognostizierbar; mithin kennzeichnet das Verlagswesen eine hohe wirtschaftliche Unsicherheit.Footnote 41 Diesem Risiko kann mit Diversifizierung begegnet werden, indem das Erlösrisiko des gesamten Verlagsprogramms dann (aufgrund negativ korrelierender Titelerlöse) geringer als die Erlösrisiken der einzelnen Titel ausfällt.Footnote 42

Ferner sind Buchmärkte durch eine starke Produktdifferenzierung gekennzeichnet.Footnote 43 Potenzielle Käufer/innen respektive Leser/innen sind im Bucheinzelhandel mit einem hohen Titelangebot konfrontiert, wobei das Kaufverhalten in vielen Fällen durch unvollständige Informationen hinsichtlich der inhaltlichen ‚Qualität‘ geprägt ist.Footnote 44 Für das Buch ist weiter die Eigenschaft als Erfahrungsgut wesentlich, dessen Nutzwert sich erst nach vollzogenem Konsum – hier der Lektüre – feststellen lässt.Footnote 45 Zur Verringerung des Risikos von Fehlkäufen können Konsument/innen, neben beobachtbaren Merkmalen wie dem/r Autor/in oder der Buchreihe, oftmals auf eine Vielzahl weiterer produktbezogener ‚Qualitätsinformationen‘ eines Titels – wie z. B. Kundenbewertungen oder Bestsellerlistenrankings – im Markt zurückgreifen.

Schließlich resultiert ein kulturpolitisches Interesse an Büchern insbesondere aus deren Eigenschaft als meritorische Güter.Footnote 46 Hierunter fallen solche (privaten) Güter, die der Befriedigung meritorischer, d. h. gesellschaftlich erwünschter, Bedürfnisse dienen.Footnote 47 In der Betrachtung von Büchern aus dem Blickwinkel meritorischer Güter liegt eine Reihe von Privilegien begründet, welche die Buchbranche in Deutschland aber auch in vielen anderen Ländern besitzt. Vor diesem Hintergrund wird – zum Schutz des ‚Kulturguts‘ Buch – in den deutschen Buchmarkt, unter anderem, in Form einer gesetzlichen Buchpreisbindung sowie eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf BücherFootnote 48 durch den Staat eingegriffen.Footnote 49

3 Die Materialität von Literatur als Buch in den Wirtschaftswissenschaften

Eine ökonomische Vergegenständlichung vollzieht sich, wenn ein zu erklärendes soziales Phänomen – wie das Firmen- oder Konsumentenverhalten auf einem Gütermarkt – zum Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher Forschung wird. Zu den wesentlichen methodischen Zweigen der heutigen Wirtschaftswissenschaften gehören die mathematische Modellierung sowie die Ökonometrie, mit deren Anwendung sich – je nach Verwendungszweck – verschiedene Formen der Vergegenständlichung einer Materie ergeben (können). Aufgrund ihrer gegebenen Eigenschaften und Strukturen sowie besonderen regulatorischen Rahmenbedingungen werden Buchmärkte jüngst vorwiegend im Rahmen der theoretischen und empirischen Mikro- und Industrieökonomik untersucht.

Als zentrale Instrumente zur wissenschaftlichen Untersuchung von ökonomischen Wirkungsmechanismen erfüllen in den heutigen Wirtschaftswissenschaften mathematische und ökonometrische Modelle wesentliche epistemologische Funktionen.Footnote 50 Die Kerntheorien der Mikro- und Makroökonomik sind axiomatisiert und verwenden mathematische Methoden zur Modellierung sozialer Phänomene; hierbei bietet die Spieltheorie adäquate Instrumente, um speziell Entscheidungsverhalten in Situationen mit strategischer Interaktion zu modellieren.Footnote 51 Daneben werden auf Basis von empirischen Daten verschiedene ökonometrische Modelle zur Quantifizierung und Prognose von funktionalen Zusammenhängen in der realen Ökonomie eingesetzt. Ein ökonomisches Modell enthält eine oder mehrere (als gegeben betrachtete) ‚exogene‘ Variablen sowie eine oder mehrere ‚endogene‘ Variablen, die innerhalb des Modells erklärt werden.Footnote 52

Die Materialität von Literatur – als zentrales ‚Element‘ eines Gütermarktes – manifestiert sich bei der forschungszweckgebundenen Übersetzung eines zu erklärenden sozialen Phänomens auf Buchmärkten (oder bei der Analyse darauf einflussnehmender Randbedingungen, wie z. B. staatlichen Regulierungsmaßnahmen) in ein mathematisches oder ökonometrisches Modell.Footnote 53 Demnach zeigen sich im Rahmen des jeweiligen methodischen Zweigs spezifische Formen der Vergegenständlichung, welche die Literatur als Buch in der Ökonomik annehmen kann.

3.1 Theoretische Ökonomik

Mathematischen Modellen kommt im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess der Ökonomik insofern eine bedeutsame Funktion zu, als dass sie über eine zweckadäquate Abstraktion eines sozialen Phänomens analytischen Zugang zu einem spezifischen Aspekt der realen Welt gewähren können und (in diesem Rahmen) die Entwicklung von Theorien oder Hypothesen erlauben. Märkte stellen ein komplexes soziales und ökonomisches Beziehungsgeflecht dar, in dem eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure auf verschiedene Weise zu einem oder mehreren Gütern agieren. Die Absicht eines theoretischen Modells in der Ökonomik liegt in der abstrahierten Betrachtung der kausal relevanten Eigenschaften und Faktoren eines zu erklärenden sozialen Phänomens (wie z. B. ein beobachtbares Wettbewerbsverhalten in einem Markt), mit dem Ziel zu untersuchen, welchen Einfluss diese (wenigen isolierten) Variablen besitzen.Footnote 54

Grundlage mikroökonomischer Betrachtungen bildet eine Vielzahl unterschiedlicher (mathematischer) Modelle, die der Heterogenität von in der Realität beobachtbaren Märkten gerecht wird. Je nach Umfang anzunehmender Interdependenzen eines Marktes mit anderen Märkten wird in der Mikroökonomik zwischen total- und partialanalytischen Modellierungsansätzen unterschieden.Footnote 55 Die Industrieökonomik bietet hierbei unterschiedliche (mikroökonomisch fundierte) Partialmarktmodelle speziell zur Untersuchung von strategischem Firmenverhalten in Situationen sogenannten unvollkommenen Wettbewerbs, d. h. auf monopolistischen beziehungsweise oligopolistischen Märkten.Footnote 56 Aufgrund konzentrierter Marktstrukturen sowohl auf der Hersteller- als auch auf der Einzelhandelsstufe werden Buchmärkte jüngst zum Gegenstand speziell industrieökonomisch-theoretischer Forschung, wobei insbesondere das strategische Verhalten der Firmen entlang der Wertschöpfungskette – d. h. in einem vertikal gebundenen Markt – modelltheoretisch unter verschiedenen Gesichtspunkten untersucht wird. Zentrale ‚Momente‘ industrieökonomischer Vergegenständlichung von Literatur bilden dabei die besonderen wettbewerbs- und vertragsrechtlichen Bedingungen eines Buchmarktes.Footnote 57

Abhängig von der betrachteten Industrie und Marktsituation sowie dem Verwendungszweck eines Modells können in der Industrieökonomik spezifische Annahmen formuliert werden. Ein Markt wird zunächst durch die Konsument/innen und ihr Nachfragefrageverhalten sowie durch die Firmen und ihre Kostenstruktur – mathematisch-formal durch eine Nachfrage- und Angebotsfunktion – beschrieben. Weitere grundlegende Annahmen bezüglich der Marktstruktur betreffen die Anbieterkonzentration, den Grad der Produktdifferenzierung, die Marktzutrittsschranken, die Preiselastizität der Nachfrage,Footnote 58 die Substituierbarkeit der Güter aus Konsumentensicht oder auch den Informiertheitsgrad der Marktteilnehmer. Indem es sich überwiegend um interdependente Entscheidungssituationen handelt, finden zur Modellierung des Firmenverhaltens – grundlegend wird die von einer Firma strategisch gewählte Variable (wie Menge, Preis oder Qualität) sowie der zeitliche Ablauf der Entscheidungen (simultan oder sequentiell) bei der Modellspezifikation festgelegt – im Bereich der theoretischen Industrieökonomik insbesondere spieltheoretische Methoden Anwendung.Footnote 59 Das zentrale Lösungskonzept der (nicht-kooperativen) Spieltheorie zur Modellierung des optimalen Firmenverhaltens, gegeben dem Verhalten der anderen Firmen, bildet hierbei das sogenannte Nash-Gleichgewicht.Footnote 60

Eine Materie kann sich in einem industrieökonomischen Modell sowohl angebots- als auch nachfrageseitig vergegenständlichen; es ergeben sich unterschiedliche Formen der Vergegenständlichung von Literatur als Buch in der theoretischen Ökonomik.Footnote 61

3.1.1 Die wettbewerblichen Effekte des Agenturmodells im E-Book-Markt

Durch den Markteintritt von Apple in den US-amerikanischen E-Book-Markt im Jahr 2010, den bis dahin der Onlineversandhändler Amazon klar dominiert hatte, wurde das sogenannte Agenturmodell (engl. ‚agency model‘) erstmalig auch im Rahmen des E-Book-Vertriebs vertraglich vereinbart.Footnote 62 Bei diesem vertikalen Vertriebsvertrag, den der Technologiekonzern mit fünf Großverlagen für den iBook StoreFootnote 63 abgeschlossen hatte, legt der Hersteller – hier der Verlag – den Endkundenpreis für seine Produkte fest, während der Einzelhandel mit einem festen Umsatzanteil an den Verkäufen beteiligt wird. Im (klassischen) Großhandelsmodell hingegen bestimmt der Einzelhandel den Endkundenpreis, wobei der Hersteller abhängig von der Verkaufsmenge mit einem Großhandelspreis vergütet wird.

Mit Einführung des Agenturmodells kam es in den USA zu einem signifikanten Preisanstieg vieler E-Book-Titel, woraufhin eine Kartellklage gegen Apple und die fünf Großverlage – mit dem Vorwurf wettbewerbswidrigen Verhaltens aufgrund von Preisabsprachen – eingereicht wurde.Footnote 64 Eine wesentliche Rolle bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung spielte eine Meistbegünstigungsklausel, die ebenfalls Bestandteil des vertikalen Vertriebsvertrages war.Footnote 65 Vor diesem Hintergrund sind speziell das Agenturmodell sowie dessen Effekt auf das strategische Preissetzungsverhalten von Firmen im E-Book-Markt, gegenüber einem Großhandelsmodell, zum Gegenstand ökonomisch-theoretischer Forschung geworden, wobei die Wettbewerbsmodelle jeweils einen spezifischen Wirkungsmechanismus des Marktes betrachten.Footnote 66

Zur Untersuchung der Auswirkungen eines Agenturmodells modellieren Foros et al. (2017) einen Preiswettbewerb in einem vertikal verbundenen Markt mit einer duopolistischen Struktur (d. h. jeweils zwei Firmen) auf der Hersteller- und Einzelhandelsstufe.Footnote 67 Im Fokus der modelltheoretischen Betrachtung stehen die Anreizbedingungen einer Firma, auf Einzelhandelsebene (auch: Downstream-Firma) ein solches Agenturmodell für den (digitalen) E-Book-Vertrieb einzuführen, d. h. die Kontrolle über die Einzelhandelspreise an die entlang der Wertschöpfungskette vorgelagerten Hersteller (auch: Upstream-Firma) – hier die Verlage – abzugeben.

Die Nachfrage \(x_{d}^{u}\) nach einem E-Book-Titel (eines Verlags) \(u\) (mit \(u = 1, 2\)) auf einer E-Book-Plattform \(d\) (mit \(d = 1, 2\)) wird, als Funktion der Verkaufspreise \(\left( {p_{d}^{u} } \right),\) formal beschrieben als \(x_{d}^{u} = q_{d}^{u} \left( {p_{1}^{1} ,p_{1}^{2} , p_{2}^{1} , p_{2}^{2} } \right)\).Footnote 68 Die Nachfragefunktion zeigt einen fallenden Verlauf und die zwei angebotenen Produkte (beziehungsweise E-Book-Titel) werden von den Konsument/innen als substituierbar angesehen. Demnach sinkt die Nachfrage \(x_{d}^{u}\) nach einem E-Book-Titel im eigenen Verkaufspreis \(p_{d}^{u} ,\) steigt im Verkaufspreis \(p_{d}^{ - u}\) eines konkurrierenden Titels auf derselben Plattform und steigt im Verkaufspreis \(p_{ - d}^{u}\) des gleichen Titels auf der anderen Plattform.Footnote 69

An jedem verkauften Produkt wird eine E-Book-Vertriebsplattform \(d\) mit einem Umsatzanteil \(s_{d} \in \left( {0,1} \right)\) beteiligt; zudem wird unterstellt, dass einem Einzelhändler keine Grenzkosten bei der Produktion oder Distribution eines (angebotenen) Titels entstehen.Footnote 70 Der Gewinn \(\pi_{d}\) einer E-Book-Plattform \(d\) setzt sich demnach aus den Umsatzerlösen (d. h. der Verkaufspreis \(p_{d}^{u}\) malgenommen mit der abgesetzten Menge \(x_{d}^{u}\)) der zwei E-Book-Titel zusammen, multipliziert mit dem vertraglich vereinbarten Umsatzanteil \(\left( {s_{d} } \right).\) Der Verlag \(u\) erhält den übrigen Anteil, \(\left( {1 - s_{1} } \right)\) beziehungsweise \(\left( {1 - s_{2} } \right),\) der Umsatzerlöse seines Produktes auf der jeweiligen Vertriebsplattform; allerdings entstehen ihm bei der Produktion eines E-Book-Titels die Fixkosten \(F\).Footnote 71 Der Gewinn \(\pi^{u}\) eines Verlags (beziehungsweise Herstellers) \(u\) wird entsprechend in der Form \(\left( {1 - s_{1} } \right)p_{1}^{u} x_{1}^{u} + \left( {1 - s_{2} } \right)p_{2}^{u} x_{2}^{u} - F\) modelliert.

Indem Apple auf verschiedenen Märkten – neben E-Books agiert das Unternehmen auch als digitale Vertriebsplattform für Musik und Apps –, d. h. unabhängig von dem Vertriebsmodell, die gleiche Umsatzaufteilung verwendet,Footnote 72 wird das Firmenverhalten spieltheoretisch in zwei Szenarien modelliert: Auf der ersten Stufe des ersten Szenarios entscheidet eine E-Book-Plattform, ob sie das Agenturmodell einführt (oder nicht), wobei die eigene Umsatzbeteiligung \((s_{d} )\) exogen betrachtet wird. Auf der ersten Stufe des zweiten Szenarios hingegen wird neben dem Vertriebsmodell auch die Umsatzbeteiligung strategisch durch die einzelnen Plattformen gewählt (d. h. endogen modelliert). Auf der zweiten Stufe beider Szenarien wählen die Firmen, gegeben dem (Firmen-)Verhalten auf der ersten Stufe, simultan ihre Einzelhandelspreise. Die Literatur vergegenständlicht sich in diesem Modell somit als zwei von Kund/innen als substituierbar angesehene Güter mit ihren fixen Produktionskosten auf der Herstellerebene – hier formal als exogene Modellvariable \(F\) in der Gewinnfunktion eines Verlags; als E-Book materialisiert sich die Literatur dabei identisch mit anderen digitalen Gütern wie Musik oder Apps.

Zur Untersuchung der Anreizbedingungen, unter denen das Agenturmodell (d. h. die Abgabe der Preiskontrolle an die Verlage) zu höheren E-Book-Preisen führt, wird das Modell spieltheoretisch nach dem üblichen Verfahren der sogenannten RückwärtsinduktionFootnote 73 – beginnend mit dem Preiswettbewerb auf der zweiten Stufe des ersten Szenarios – gelöst. Aus dem analytischen Vergleich der Optimalitätsbedingungen, welche hier die gewinnmaximale Preissetzung auf der Hersteller- und Einzelhandelsebene charakterisieren, folgt, dass die (gleichgewichtigen) Einzelhandelspreise im Agenturmodell genau dann höher ausfallen, wenn die Konsument/innen die E-Book-Plattformen (z. B. Apple und Amazon) als stärker substituierbar ansehen als die auf den E-Book-Plattformen verkauften Produkte, d. h. der Wettbewerb zwischen digitalen Vertriebsplattformen intensiver ist, als der Wettbewerb zwischen Verlagen.Footnote 74 Auf der ersten Stufe des ersten Szenarios wird modelltheoretisch gezeigt, dass keine E-Book-Plattform, wenn die Firmen unabhängig und simultan entscheiden, das Agenturmodell im Gleichgewicht einführt, wenn die Substituierbarkeit zwischen den auf einer Plattform verkauften Produkten größer ist als die Substituierbarkeit zwischen den E-Book-Plattformen.Footnote 75

Die im Modell angenommenen Fixkosten \(F,\) d. h. die spezifische Form der Vergegenständlichung von Literatur, werden für das Marktverhalten im zweiten spieltheoretischen Szenario relevant, in dem die E-Book-Plattformen neben der Vertragsform auch die Umsatzbeteiligung strategisch wählen. Die Verlage beobachten das Verhalten der E-Book-Plattformen (in Stufe 1) und entscheiden daraufhin (in Stufe 2) unabhängig voneinander, ob sie bei den gegebenen (fixen) Produktionskosten profitabel in den Markt eintreten können (oder nicht).

Ferner wird die Bedeutung einer sogenannten Meistbegünstigungsklausel (engl. ‘most favored nation clause’) durch Foros et al. (2017) analysiert. Diese Vertragsklausel sah vor, dass der von einem Verlag (d. h. dem Hersteller) festgelegte Einzelhandelspreis für einen E-Book-Titel bei keiner konkurrierenden Plattform zu einem niedrigeren Preis angeboten werden darf als bei Apple (beziehungsweise im iBook Store).Footnote 76 Formal geht die Meistbegünstigungsklausel als Nebenbedingung in das Gewinnmaximierungsproblem des Verlags (d. h. der Upstream-Firma) ein.Footnote 77 Legt beispielsweise die E-Book-Plattform 1 eine solche Klausel vertraglich fest, gilt für den Verlag \(u,\) dass dieser bei der (optimalen) Preissetzung seines E-Book-Titels \(p_{1}^{u} \le p_{2}^{u}\) einhalten, d. h. der Verkaufspreis auf Plattform 1 \(\left( {p_{1}^{u} } \right)\) ‚kleiner oder gleich‘ dem Verkaufspreis auf Plattform 2 \(\left( {p_{2}^{u} } \right)\) sein muss.Footnote 78 Aus der Modellierung geht hervor, dass bei Verwendung eines Agenturmodells die (zusätzliche) Vereinbarung einer Meistbegünstigungsklausel tendenziell eine Erhöhung der E-Book-Preise, d. h. antikompetitive Effekte, bewirkt.

Neben Foros et al. (2017) analysiert auch Johnson (2017) das Agenturmodell im Zusammenhang mit einer Meistbegünstigungsklausel. Es wird ebenfalls ein vertikal verbundener Markt mit unvollkommenem Wettbewerb auf den zwei Handelsstufen unterstellt, jedoch ergeben sich neben dem Einzelhandelspreis auch die vertraglichen Bedingungen, gegeben durch den Großhandelspreis beziehungsweise die Umsatzbeteiligung, in endogener Weise am Markt.Footnote 79

Gaudin und White (2014) verwenden einen zu Johnson (2017) analogen Modellansatz, legen jedoch den Fokus ihrer Analyse der wettbewerblichen Effekte eines Agenturvertrags (gegenüber einem Großhandelsvertrag) auf die Eigenschaft des E-Books als komplementäres Gut, indem der Konsum eines E-Books in aller Regel auch den Erwerb eines geeigneten Lesegeräts bedarf. Entsprechend wird in der jeweiligen Vertragssituation durch den Einzelhändler, der in dem im Modell betrachteten ersten Szenario (sog. ‘Essential Case’) eine Monopolstellung im E-Reader-Markt innehat (d. h. als alleiniger Anbieter agiert), neben dem E-Book-Preis auch den Einzelhandelspreis für sein Hardware-Produkt strategisch gewählt. Das Modell zeigt dahingehend, dass das Preissetzungsverhalten eines Einzelhändlers auf dem E-Book-Markt (wie z. B. Amazon) im Rahmen eines vertikalen Vertriebsvertrags (auch) von dessen Marktmacht auf dem (komplementären) Markt für Lesegeräte abhängt.Footnote 80

Die Eigenschaft des E-Books als komplementäres Gut greift ebenfalls Johnson (2020) auf und modelliert einen dynamischen (d. h. zweiperiodischen) Preiswettbewerb auf der Einzelhandelsebene, wobei eine duopolistische Marktstruktur mit sogenannten WechselkostenFootnote 81 (engl. ‘switching costs’) unterstellt wird.Footnote 82 Konsumentenseitige Wechselkosten werden für das intertemporale Preissetzungsverhalten einer Firma in Abhängigkeit vom jeweiligen Vertriebsvertrag insofern relevant, als dass eine E-Book-Plattform (die im Großhandelsmodell die Einzelhandelspreise bestimmt) den potenziellen ‘Lock-in’ von Konsument/innen in seine preisstrategischen Entscheidungen einbezieht,Footnote 83 hingegen ein Hersteller beziehungsweise Verlag keine solchen strategisch-dynamischen Anreize zur Bindung von Konsument/innen an eine bestimmte Vertriebsplattform haben dürfte (indem er seine Produkte stets an beide Einzelhändler verkauft). Ausgangspunkt des Modells bildet demnach die Annahme, dass – neben generellen Unterschieden zwischen den zwei Vertragsformen – die E-Book-Preise als Folge von Lock-in-Effekten auch im Zeitverlauf variieren können.

Zwei konkurrierende E-Book-Vertriebsplattformen \(i\) und \(j\) wählen in zwei aufeinanderfolgenden Perioden \((t = 1, 2)\) simultan ihre Einzelhandelspreise \(P_{i}^{t}\) beziehungsweise \(P_{j}^{t}\) für einen E-Book-Titel. Die Konsument/innen entscheiden sich in einer Periode \(t\) in Abhängigkeit vom jeweiligen Verkaufspreis für den Kauf bei einer bestimmten E-Book-Plattform und zeigen daraufhin eine gleichverteilte Nachfrage für die (horizontal differenzierten) Produkte der Verlage.Footnote 84 Die Nachfrage bei einer E-Book-Plattform \(i,\) d. h. die Anzahl an neuen Konsument/innen, die sich einer Plattform \(i\) in einer Periode \(t\) anschließen, ist – als Funktion des eigenen Preises \(\left( {P_{i}^{t} } \right)\) sowie dem Preis der Konkurrenzplattform \(\left( {P_{j}^{t} } \right)\) – durch \(Q\left( {P_{i}^{t} ,P_{j}^{t} } \right)\) gegeben.Footnote 85 Ferner wird für diese Nachfrage in Periode 2 angenommen, dass zu den Konsument/innen aus Periode 1 (d. h. aus der Vergangenheit), für die nun Wechselkosten zur konkurrierenden Plattform bestehen, eine zweite Kohorte an (neuen) Konsument/innen hinzukommt.

Gegeben diesem Nachfrageverhalten wird ein dynamischer Preiswettbewerb zwischen den E-Book-Plattformen in den zwei Vertragssituationen spieltheoretisch modelliert.Footnote 86 Potenzielle Lock-in-Effekte werden im ‚Großhandelsmodell‘ für das preisstrategische (intertemporale) Firmenverhalten relevant, d. h. wenn der Einzelhandel die Endkundenpreise bestimmt. Einer digitalen Vertriebsplattform \(i\) entstehen für den Ankauf eines E-Book-Titels beim Verlag in einer Periode \(t\) konstante Grenzkosten \(m,\) die bei der Kalkulation des Stückgewinns vom gesetzten Einzelhandelspreis \(P_{i}^{t}\) zu subtrahieren sind.Footnote 87 Jene \(\tilde{Q}_{i}\) Konsument/innen, die in Periode 1 bei einer E-Book-Plattform \(i\) kauften, sind aufgrund von Lock-in-Effekten in Periode 2 an diese Plattform gebunden und fragen wiederholt E-Books nach.Footnote 88 Mithin hängt der Gewinn \(\pi_{i}^{2}\) einer E-Book-Plattform \(i\) in Periode 2 (auch) von ihrem Marktanteil \(\tilde{Q}_{i}\) (und demnach von ihren Verkaufspreisen) in Periode 1 ab und wird entsprechend in der Form \((P_{i}^{2} - m)\left[ {\tilde{Q}_{i} + Q\left( {P_{i}^{2} ,P_{j}^{2} } \right)} \right]\)Footnote 89 modelliert. Die Materialität von Literatur manifestiert sich in diesem Modell somit als ein horizontal differenziertes Gut mit den konstanten Grenzkosten \(m\) auf der Einzelhandelsebene, die das optimale Preissetzungsverhalten einer E-Book-Plattform mitbedingen.Footnote 90

Die Modellierung erlaubt nachfolgend eine vergleichende Analyse der zwei Vertriebsverträge hinsichtlich der Preissetzung im Zeitverlauf sowie der Konsumentenwohlfahrt sowohl bei exogener als auch endogener Markstruktur auf der Herstellerebene. Die theoretische Arbeit von Johnson (2020) weist insbesondere darauf hin, dass auf Märkten mit potenziellen Lock-in-Effekten von einer beobachteten Preiserhöhung bei der Umstellung vom Großhandels- auf das Agenturmodell nicht zwangsläufig auf eine Schädigung des Verbrauchers geschlossen werden kann. Vielmehr seien die unterschiedlichen Anreize der Firmen bei der dynamischen Preisgestaltung eines komplementären Guts, d. h. auch zukünftige wettbewerbliche Effekte, bei einer Beurteilung von E-Book-Preisen durch Regulierungsbehörden zu berücksichtigen.Footnote 91

3.1.2 Die ökonomischen Wirkungen einer Buchpreisbindung

Einen spezifischen Anlass für die Vergegenständlichung von Literatur durch die theoretische Ökonomik geben die Auswirkungen einer gesetzlichen Buchpreisbindung (im Ff. ‚BuchPrBi‘). Bei einer vertikalen Preisbindung legt – ähnlich zu einem Agenturvertrag – der Hersteller den Endkundenpreis für seine Produkte auf der Einzelhandelsebene verbindlich fest.Footnote 92 Indem hierdurch der (ansonsten freie) Preiswettbewerb auf der Einzelhandelsebene potenziell unterbunden wird, stellt eine BuchPrBi aus wettbewerbsökonomischer Sicht einen schwerwiegenden Markteingriff dar. Die Auswirkungen der Preisregulierung werden in der industrieökonomisch-theoretischen Forschung daher insbesondere aus Wohlfahrtsgesichtspunkten untersucht.Footnote 93

Zur wohlfahrtstheoretischen Untersuchung gebundener Buchpreise vergleichen Canoy et al. (2006) und van der Ploeg (2004) die Marktergebnisse in einer Situation vollkommenen Wettbewerbs mit einer Monopolsituation, in der eine gesetzlich vorgeschriebene BuchPrBi aufgrund der Preissetzungsmacht des Verlags dem Verlag/Bucheinzelhandel die Generierung gewisser Monopolgewinne (d. h. Preise über den Grenzkosten) erlaubt.Footnote 94

Indem das Lesen eines Buches oftmals eine zeitintensive Freizeitbeschäftigung darstellt, werden aufseiten der Konsument/innen neben dem Kaufpreis \(P\) zuzüglich einer Mehrwertsteuer \(T\) ebenfalls Lesekosten in Form von Opportunitätskosten der zum Lesen benötigten Zeit \(\emptyset\) im Modell angenommen.Footnote 95 Das Nachfrageverhalten der Konsument/innen respektive Leser/innen (d. h. die nachgefragte Menge \(B\) eines Titels im Optimum) wird mit dem üblichen Nutzenmaximierungsansatz ermittelt, wobei unter der Nebenbedingung des Einkommens optimiert wird.Footnote 96 Die formale Analyse zeigt, dass der Einbezug von Opportunitätskosten in das Entscheidungskalkül potenzieller Buchkäufer/innen zu einer geringeren ‚effektiven‘ Preiselastizität der Nachfrage führt, indem eine Änderung des Kaufpreises in Anbetracht der totalen Lesekosten weniger schwer ins Gewicht fällt. Hierbei ist die Preissensitivität potenzieller Buchkäufer/innen umso geringer, je höher der Anteil der Opportunitätskosten an den totalen Lesekosten ist.

Der Gewinn \(\pi\) eines Verlags/Einzelhändlers ist durch \(PB - K\left( B \right) - F\) gegeben und setzt sich demnach aus den Verkaufserlösen (d. h. dem Verkaufspreis \(P\) multipliziert mit der Absatzmenge \(B\)) abzüglich der Produktionskosten eines Buches zusammen – hier hohe Fixkosten \(F\) sowie geringe variable Kosten \(K\left( B \right).\) Neben den bei der Produktion anfallenden Kosten auf Anbieterseite materialisiert sich die Literatur in diesem Modell auch auf Konsumentenseite, mit der für das Lesen eines Buches benötigten, d. h. konsumtiven, Zeit. Das Modell erlaubt die theoretische Vorhersage der gewinnmaximalen Marktpreise sowie der gleichgewichtigen Absatzmengen, die sich in einer Situation mit BuchPrBi gegenüber einem unregulierten Markt einstellen,Footnote 97 sowie eine vergleichende Beurteilung nach wohlfahrtsökonomischen Kriterien.Footnote 98 Die gewinnmaximale (Monopol-)Preisgleichung im Falle einer BuchPrBi zeigt, dass die Marktmacht (d. h. der Spielraum zur Preissetzung über den Grenzkosten) der Verlage/Einzelhändler mit dem Grad der Substituierbarkeit aus Konsumentensicht sinkt und in den Opportunitätskosten (der Lesezeit) eines Titels steigt. Die modelltheoretische Analyse hat zum Ergebnis, dass eine BuchPrBi eine größere Titelvielfalt bei gleichzeitig erhöhtem Preisniveau und geringeren Verkaufsmengen pro Titel bewirkt. Die modellierten Fixkosten \(F\) werden für das strategische Entscheidungsverhalten der Firmen relevant, da gilt: Je höher die Fixkosten eines Buches, desto unwahrscheinlicher wird eine kostendeckende Produktion aus Anbietersicht, sodass tendenziell weniger Titel veröffentlicht beziehungsweise angeboten werden.

Die modelltheoretische Betrachtung von Schulz (2007) untersucht die Bedeutung einer BuchPrBi speziell vor dem Hintergrund des sogenannten Service-Arguments, das einer vertikalen Preisbindung effizienzfördernde Wirkungen zuspricht. Den Ausgangspunkt bildet die Annahme, dass es aufgrund des wegfallenden Preiswettbewerbs potenziell zu einer Intensivierung des Service- beziehungsweise Qualitätswettbewerb kommt; der Einzelhandel investiert nun stärker in Servicemaßnahmen, z. B. eine bessere Beratungsqualität, die wiederum den Absatz der Produkte eines Herstellers – hier eines Verlags – positiv beeinflussen.Footnote 99

Schulz (2007) modelliert dahingehend einen vertikal verbundenen Markt bei Preis- und Servicewettbewerb, mit einem Monopol auf der Herstellerebene und einem Duopol auf der Einzelhandelsebene, wobei die Händler die Produkte der Hersteller an die Endkonsument/innen vertreiben.Footnote 100 Der Bucheinzelhandel ist horizontal differenziert an den Enden einer Hotelling-LinieFootnote 101 und konkurriert neben dem Preis \(p_{i}\) auch über den Service \(s_{i} .\) Die Nachfrage nach dem Produkt eines Verlags bei einem Einzelhändler \(i\) sinkt im eigenen Preis \(p_{i}\) und steigt im Preis \(p_{j}\) des Wettbewerbers. Basierend auf empirischen Befunden wird für die firmenspezifische Nachfrage \(D_{i} \left( {p_{i} ,p_{j} ,s_{i} ,s_{j} } \right)\) zudem eine negative (horizontale) Externalität angenommen, bei welcher sich das angebotene Serviceniveau \(s_{i}\) eines Einzelhändlers \(i\) negativ auf die Nachfrage bei einem konkurrierenden Einzelhändler \(j\) auswirkt. Ferner wird das Nachfrageverhalten an spezifische Präferenzen geknüpft, indem die zwei Konsumententypen ‚Spontankäufer/in‘ und ‚Vergleichskäufer/in‘ unterstellt werden, wobei nur Letzterem ex ante Kosten bei der Suche eines Händlers (zum Buchkauf) entstehen.Footnote 102

Bei der Bereitstellung des Serviceniveaus \(s_{i}\) entstehen einem Bucheinzelhändler \(i\) Kosten in Höhe von \(\frac{{cs_{i}^{2} }}{2}.\) Zudem berechnet der Verlag dem Einzelhandel pro verkauftem Buch einen Großhandelspreis \(q_{i}\) sowie eine von der Absatzmenge unabhängige Gebühr \(F_{i}\). Der Gewinn \(\pi_{i}\) eines Einzelhändlers \(i\) wird entsprechend in der Form \(\left( {p_{i} - q_{i} } \right)D_{i} \left( {p_{i} ,p_{j} ,s_{i} ,s_{j} } \right) - \frac{{cs_{i}^{2} }}{2} - F_{i}\) modelliert.Footnote 103 Gegeben dieser Marktstruktur werden im Hinblick auf den ökonomischen Vergegenständlichungsanlass von Literatur das Marktverhalten und -ergebnis – hier das Preis- und Serviceniveau sowie die Gesamtwohlfahrt – bei Preiswettbewerb (d. h. in einer Situation ohne BuchPrBi) und bei Servicewettbewerb (d. h. in einer Situation mit BuchPrBi) analysiert. Das optimale Firmenverhalten auf der Hersteller- und Einzelhandelsebene in dieser interdependenten Entscheidungssituation wird mittels eines zweistufigen Spiels abgeleitet, wobei in Stufe 1 der Verlag einen Großhandelspreis und in Stufe 2 der Einzelhändler, gegeben dem Großhandelspreis und der Gebühr sowie dem Einzelhandelspreis und Serviceniveau des konkurrierenden Einzelhändlers, ein Preis- sowie Serviceniveau wählt. In einer Situation mit BuchPrBi gibt der Hersteller dem Einzelhandel neben dem Großhandelspreis auch den Endkundenpreis vor, sodass dem Einzelhändler nur noch das Serviceniveau als strategische (Entscheidungs-)Variable zur Maximierung seiner Gewinne bleibt.

Die Literatur materialisiert sich in der Modellierung von Schulz (2007) somit als Produkt mit den Servicebemühungen eines Anbieters auf der Einzelhandelsebene – mathematisch-formal als endogene Variable in der Gewinnfunktion eines Buchhändlers. Das angebotene Serviceniveau \(s_{i}\) eines Einzelhändlers \(i\) steigert die Nachfrage nach dem Produkt eines Verlags (d. h. nach Literatur) und erhöht die Buchverkäufe bei der servicebetreibenden Firma. Eine gleichartige Form der Vergegenständlichung von Literatur zeigt sich bei von Gottberg (2009), der zur Analyse der ökonomischen Wirkungen einer BuchPrBi ebenfalls einen serviceorientierten oligopolistischen Markt bei Preis- und Nicht-Preiswettbewerb modelliert.Footnote 104

Neben den erwarteten Wohlfahrtswirkungen einer vertikalen Preisbindung für Bücher gibt jüngst insbesondere die spieltheoretische Analyse des strategischen Preissetzungsverhaltens einer digitalen Vertriebsplattform für E-Books bei unvollkommenem Wettbewerb Anlass für eine Vergegenständlichung von Literatur durch die theoretische (Industrie-)Ökonomik. Die Literatur materialisiert sich in einem industrieökonomischen Modell als Ware sowohl als physisches Buch als auch als E-Book mit seinen (zumeist als exogen angenommenen) fixen und/oder variablen Produktionskosten, die aufseiten einer Firma – hier eines Verlags oder Bucheinzelhändlers – für deren Angebot am Markt anfallen. Neben hohen Fixkosten zeigt sich eine spezifische Vergegenständlichung des Buches gegenüber anderen wirtschaftlichen Gütern auch durch die (hohe) zum Lesen benötigte Zeit auf der Nachfrageseite oder den von einem Einzelhändler angebotenen Service, der zur Beurteilung besonderer regulatorischer Rahmenbedingungen des Marktes modelltheoretisch vergegenständlicht und analysiert wird. Das ‚Recht‘ – hier vertrags- oder wettbewerbsrechtliche Bedingungen in den vertikalen Beziehungen eines Buchmarktes – geht dabei als Nebenbedingung in das Gewinnmaximierungsproblem einer Firma bei der Modellierung des Marktverhaltens ein.

3.2 Empirische Ökonomik

Neben der Modelltheorie gehört die ÖkonometrieFootnote 105 zu einem wichtigen methodischen Zweig und bedeutsamen Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaften. Ökonometrisch-statistische Verfahren werden auf empirisch gewonnene Beobachtungsdaten angewandt, um ökonomisch-theoretische Vorhersagen zu überprüfen oder vermutete Relationen zwischen ökonomischen Größen zu untersuchen.Footnote 106 Die ökonometrische Schätzung und numerische Konkretisierung von Wirkungszusammenhängen in der realen Wirtschaft erlauben überdies die Prognose z. B. volkswirtschaftlicher Kennzahlen.Footnote 107 Der Anteil an empirischen und ökonometrischen Beiträgen hat, unter anderem aufgrund einer wachsenden Verfügbarkeit von zugänglichen Daten, höherer Rechnerleistungen sowie der Etablierung von Laborexperimenten, in den letzten Jahrzehnten in den Wirtschaftswissenschaften stark zugenommen.Footnote 108

In Abhängigkeit von der Forschungsabsicht sowie dem verwendeten DatensatzFootnote 109 kommen in der Ökonometrie unterschiedliche Modelle zum Einsatz. Zu den bedeutsamsten ökonometrisch-statistischen Verfahren zählt die Regressionsanalyse, die allgemein die Beziehungen zwischen einer abhängigen und einer (oder mehreren) unabhängigen Variablen modelliert.Footnote 110 Die Literatur wird vornehmlich zum Gegenstand multipler linearer Regressionsmodelle, indem zur Erklärung buchmarktbezogener Phänomene – wie z. B. dem Nachfrageverhalten von Konsument/innen – in der Regel mehrere Einflussvariablen berücksichtigt werden (müssen). Daneben kommen verschiedene dynamische Modelle zum Einsatz, wenn es sich beispielsweise, wie beim Einfluss eines Bestsellerlistenplatzes auf die Nachfrage, um zeitlich verzögerte Effekte einer exogenen Variation handelt.Footnote 111 Speziell zur Erforschung von Konsumentenpräferenzen zeigt sich eine (ökonometrische) Vergegenständlichung von Literatur mitunter auch in diskreten Entscheidungsmodellen.

Den Ausgangspunkt eines Prozesses der ökonometrischen Vergegenständlichung bildet üblicherweise eine theoretisch begründete Hypothese oder Aussage über ein (zu erklärendes) soziales Phänomen. Im Hinblick auf den a priori vermuteten Wirkungszusammenhang werden die relevanten ökonomischen Größen identifiziert und bei der Formulierung des ökonometrischen Modells als abhängige und unabhängige Variable spezifiziert, wobei ebenfalls die Funktionalform der Gleichung konkretisiert wird.Footnote 112 Der Umstand, dass die beobachtete Variation einer zu erklärenden Variable potenziell nicht vollständig erfasst werden kann, wird in der Ökonometrie für gewöhnlich durch die Aufnahme nichtbeobachtbarer Zufallsvariablen in die Modellspezifikation berücksichtigt.Footnote 113 Mithilfe geeigneter statistischer SchätzmethodenFootnote 114 werden die Beziehungen zwischen den abhängigen und unabhängigen Variablen auf Basis von (zu den Variablen passenden) empirischen Daten quantifiziert, wobei insbesondere die Größenordnung und (statistische) Signifikanz der Schätzer – sowie eine Vielzahl weiterer Verfahren, die die Güte der Schätzer überprüfen – als Grundlage zur Bewertung und Interpretation der Regressionsergebnisse dienen.Footnote 115

Präformiert durch die Forschungsfrage beziehungsweise -hypothese ergeben sich unterschiedliche Formen der Vergegenständlichung, die das Buch mit seinen Eigenschaften in einem ökonometrischen Modell als Variable annehmen kann; im Hinblick auf die ökonometrischen Vergegenständlichungsformen sollen diese Produkteigenschaften zunächst weiter differenziert werden. Zu den internen Eigenschaften eines Buches sollen unter anderem der Verlag sowie der/die Autor/in,Footnote 116 die Editionsform (z. B. Hardcover, PaperbackFootnote 117), oder die inhaltsbezogene Kategorie wie etwa das Genre (z. B. Thriller, Biografie) oder die Warengruppe (z. B. Belletristik, Sachbuch) gezählt werden. Unter die externen Eigenschaften eines Titels fallen Bestsellerlistenrankings, professionelle Literaturkritiken in den Medien (z. B. Literatursendungen), Literaturpreise, Werbemaßnahmen und nicht zuletzt Mundpropaganda. Schließlich gehören zu den Eigenschaften eines Buches im weiteren Sinne auch seine vertrieblichen Eigenschaften (beziehungsweise Bedingungen), wie etwa der Vertriebskanal (z. B. Onlinebuchhandel) oder auch vertragsrechtliche Rahmenbedingungen, die den Vertrieb betreffen.Footnote 118

3.2.1 Einflussgrößen auf das Nachfrageverhalten

Eine Vielzahl ökonomisch-empirischer Studien untersucht die Determinanten der Buchnachfrage,Footnote 119 wobei potenziell nachfrage- beziehungsweise erfolgsinduzierende Faktoren als die im Fokus stehenden unabhängigen Modellvariablen fungieren.

Angesichts des Erfahrungsgutcharakters von Büchern besteht ein besonderes wirtschaftswissenschaftliches Interesse am funktionalen Zusammenhang zwischen produktbezogenen ‚Qualitätssignalen‘ und dem Verkaufserfolg eines Titels, da diese die Informationslage von Konsument/innen und mithin deren Kaufverhalten beeinflussen (können). Entsprechend vergegenständlicht sich das Buch in diesen ökonometrischen Modellen vornehmlich mit seinen externen Eigenschaften. Neben der Einflussnahme eines Bestsellerlistenplatzes auf die Nachfrage eines Titels, wobei neben informationellen auch vertriebliche Effekte eine Rolle spielen,Footnote 120 werden externe Signale wie Literaturkritiken in PrintmedienFootnote 121 oder Fernsehen,Footnote 122 LiteraturpreiseFootnote 123 sowie WerbemaßnahmenFootnote 124 als vermutete Erfolgsfaktoren zum Gegenstand ökonomisch-empirischer Forschung.Footnote 125

Daneben werden Nachfragedeterminanten verschiedener Editionsformen eines Titels, insbesondere Hardcover und Paperback, im Rahmen der empirischen Ökonomik untersucht.Footnote 126 Ein besonderes Forschungsinteresse liegt in der unterschiedlichen Relevanz der einzelnen internen und externen Eigenschaften des Buches – die sich dadurch hier gleichwertig als Regressoren in den ökonometrischen Modellen vergegenständlichen – für dessen Nachfrage im jeweiligen Format. Dazu gehören unter anderem das Coverdesign, das Genre, die Autorenbekanntheit, die Verlagsgröße, gewonnene Literaturpreise oder auch Mundpropaganda.Footnote 127

Ferner wird eine gesetzliche BuchPrBiFootnote 128 auch zum Gegenstand der empirischen Industrieökonomik. Mit der Absicht, die ökonomischen Wirkungen des Buchpreisbindungsgesetzes im Hinblick auf dessen Zielsetzungen speziell im deutschen Buchmarkt zu bewerten, wird der Einfluss exogener Variationen auch in der Einzelhandelsstruktur auf die Titelnachfrage empirisch analysiert.Footnote 129 Das Buch vergegenständlicht sich hier im weiteren Sinne mit seinen vertrieblichen Bedingungen, indem die Anzahl stationärer Buchhandlungen als im Fokus stehende unabhängige Variable in das ökonometrische Modell eingeht.Footnote 130

3.2.2 Einflussgrößen auf das Preissetzungsverhalten

Daneben widmet sich eine Reihe wirtschaftswissenschaftlicher Studien der empirischen Analyse von Einzelhandelspreisen in Buchmärkten hinsichtlich unterschiedlicher Determinanten, wobei sich das Buch überwiegend mit seinen vertrieblich relevanten Eigenschaften als potenzielle Einflussgröße auf das strategische Preissetzungsverhalten einer Firma materialisiert.

Die Effekte eines Agenturmodells auf den PreiswettbewerbFootnote 131 wurden ebenfalls im Rahmen der empirischen Industrieökonomik für den US-amerikanischen sowie britischen E-Book-Markt quantifiziert und im Lichte der theoretischen Vorhersagen interpretiert.Footnote 132 Die Literatur vergegenständlicht sich als E-Book im weiteren Sinne mit seinen vertriebsrechtlichen Bedingungen, wobei die Variation im vertikalen Vertriebsvertrag als Dummy-VariableFootnote 133 modelliert wird.

Als zentrales Element zur Erforschung von Marktmacht wird die Preiselastizität der NachfrageFootnote 134 durch die empirische Ökonomik für verschiedene Buchmärkte untersucht.Footnote 135 Das Buch erfährt bei dieser Vergegenständlichung teilweise weitere Differenzierungen auf Produktebene in seine physische und digitale Form, indem für das strategische Preissetzungsverhalten im E-Book-Markt eine Einflussnahme des Wettbewerbs im (komplementären) E-Reader-Markt, sofern eine Firma auf beiden Märkten agiert, angenommen wird.Footnote 136 Ferner findet sich die Unterteilung in Hardcover und Paperback, die sequentiell oder simultan in den Markt eingeführt werden, in der ökonomisch-empirischen Forschung zwecks Untersuchung von Preisdifferenzierungsstrategien durch Verlage.Footnote 137

Schließlich wird – ausgehend von Vorhersagen der modelltheoretischen ForschungFootnote 138 – der Einfluss von Suchkosten und asymmetrischen Informationen auf Konsumentenseite auf die Einzelhandelspreise sowie deren Streuung insbesondere im Onlinebuchmarkt im Rahmen der empirischen Industrieökonomik analysiert. Verschiedene Untersuchungen widmen sich dahingehend dem Effekt von kostengünstigeren Preisinformationen (z. B. durch Preisvergleichsportale im Internet) auf das strategische Preissetzungsverhalten von Onlinebuchhändlern und beziehen hierbei auch Produktdifferenzierungsstrategien als mögliche Ursache von Preisstreuung ein;Footnote 139 teilweise wird die erfasste Suchintensität von Konsument/innen – gemessen am Anteil an (informierten) Nutzern von sogenannten Shop Bots, die zum Vergleich von Buchpreisen im Internet genutzt werden – als die im Fokus stehende Einflussvariable sowohl auf die Preise als auch die Preisstreuung auf Einzelhandelsebene untersucht.Footnote 140

3.2.3 Experimentell-ökonomische Vergegenständlichung

In den bisher genannten empirischen Studien wurden mehrheitlich nicht-experimentelle Beobachtungsdaten des Buchmarktes verwendet, wie z. B. Verkaufsdaten aus dem Einzelhandel (von Marktforschungsinstituten), (öffentlich zugängliche) Daten zum Bestsellerstatus, der Editionsform oder dem Einzelhandelspreis eines Titels.Footnote 141 Daneben können empirische Daten in der Ökonometrie auch aus Experimenten stammen, d. h. in einem vergleichsweise kontrollierten Umfeld wie Laborexperimenten erhoben werden.Footnote 142 Die Literatur wurde bisher erst vereinzelt zum Gegenstand der sogenannten ‚experimentellen Ökonomik‘, die einen vergleichsweise jungen Zweig der empirischen Wirtschaftsforschung darstellt.Footnote 143

Anlass für die dortige Vergegenständlichung von Literatur gibt die Erforschung von einzelwirtschaftlichem Entscheidungsverhalten, das im Zusammenhang mit forschungszweckrelevanten Produkteigenschaften des Buches gezeigt wird. Als zentraler methodischer Ansatz zur Untersuchung von konsumentenseitigen Präferenzen werden experimentelle Daten – hier buchmarktbezogene Befragungsdaten – aus Choice-Experimenten mit disktreten Entscheidungsmodellen analysiert.Footnote 144 Neben den geäußerten Präferenzen hinsichtlich verschiedener Attribute eines Titels (z. B. die Editionsform) sowie deren Ausprägungen (z. B. Hardcover, Paperback) für unterschiedliche KäufergruppenFootnote 145 wird der Zusammenhang zwischen einer aus Verbrauchersicht fairen Bepreisung von E-Books und dem Anreiz zu illegalem Download-Verhalten (d. h. digitaler Piraterie) im Rahmen der experimentellen Ökonomik untersucht.Footnote 146 In beiden ökonometrischen Studien werden die relevanten Attributsausprägungen des Buches entsprechend als abhängige Variable modelliert.

Die Literatur zeigt in der ökonomisch-empirischen Forschung unterschiedliche Formen der Vergegenständlichung, indem das Buch mit seinen Eigenschaften (als Ware) auf vielfältige Weise in die ökonometrischen Modelle eingeht. Vornehmlich die quantitative Analyse von (vermuteten) Wirkungszusammenhängen zwischen spezifischen Produkteigenschaften, die sich als unabhängige Modellvariable(n) materialisieren, und dem Nachfrageverhalten von Konsument/innen beziehungsweise dem Preissetzungsverhalten von Firmen motivieren ökonometrische Vergegenständlichungsprozesse von Literatur.Footnote 147 Besondere rechtliche Bedingungen eines Buchmarktes gehen hierbei als Ausprägung einer kategorialen (Einfluss-)Variable in die statistischen Analysen ein. Im Rahmen der empirisch-experimentellen Ökonomik fungieren verschiedene Attributsausprägungen des Buches auch als abhängige Variable, indem in diskreten Entscheidungsmodellen produktbezogene Auswahlentscheidungen in Abhängigkeit von anderen, z. B. sozioökonomischen, Faktoren modelliert werden. Auf Basis der vorhandenen Beobachtungsdaten werden die Parameter eines ökonometrischen Modells mithilfe geeigneter Schätzverfahren quantifiziert beziehungsweise quantifizierbar;Footnote 148 im Vergleich zur Materialität in der theoretischen Ökonomik vollzieht sich in der empirischen Ökonomik somit letztlich stets eine quantitativ-faktische Form der Vergegenständlichung.

4 Fazit

Die Prozesse einer (potenziellen) Vergegenständlichung von Literatur durch die Ökonomik werden in hohem Maße durch die Existenz von Buchmärkten bedingt, indem menschliches Entscheidungsverhalten unter Knappheitsverhältnissen im Zentrum wirtschaftswissenschaftlicher Analysen steht. Analog zum ‚Recht‘Footnote 149 ‚wählt sich‘ die Ökonomik somit aus dem gesamten Umfang menschlichen Verhaltens einen spezifischen, nämlich ökonomischen Aspekt aus – hier insbesondere das Entscheidungsverhalten von Firmen und Konsument/innen auf Buchmärkten. Im Hinblick auf den gesamten Umfang der Materie ‚Literatur‘ ergeben sich insofern Eingrenzungserfordernisse, als dass sich die Ökonomik explizit das Buch beziehungsweise dessen Eigenschaften (als Ware) im weiteren Sinne zu ihrem Gegenstand macht.Footnote 150

Eine ökonomische Vergegenständlichung von Literatur vollzieht sich, wenn ein Buchmarkt zum Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher Methoden wird, wobei sich die Materialität bei der Übersetzung eines (zu erklärenden) sozialen Phänomens in ein mathematisches oder ökonometrisches Modell manifestiert. Die Literatur vergegenständlicht sich in der theoretischen (Industrie-)Ökonomik als Ware sowohl als physisches Buch als auch als E-Book vornehmlich mit seinen fixen und/oder variablen Produktionskosten aufseiten der Anbieter – mathematisch-formal als (zumeist exogene) Modellvariable in der Gewinnfunktion eines Verlags oder Bucheinzelhändlers. Neben hohen fixen Produktionskosten zeigt sich eine spezifische Materialisierung des Buches gegenüber anderen Produkten in der ökonomischen Modelltheorie beispielsweise auch in Form der konsumtiven (Lese-)Zeit oder des angebotenen Service im Bucheinzelhandel. Das ‚Recht‘ – hier besondere vertrags- oder wettbewerbsrechtliche Bedingungen, die die vertikalen Beziehungen in einem Buchmarkt betreffen – geht dabei als Nebenbedingung in das Gewinnmaximierungsproblem eines Verlags oder Bucheinzelhändlers bei der Modellierung des Marktverhaltens ein. In der empirischen Ökonomik materialisiert sich die Literatur als Buch, vorwiegend als unabhängige Variable in einem ökonometrischen Modell, je nach Forschungsabsicht auf unterschiedliche Weise mit seinen internen, externen und vertrieblichen Produkteigenschaften, wobei diese auf ihren Einfluss auf das Nachfrage- beziehungsweise Preissetzungsverhalten hin untersucht werden; besondere rechtliche Bedingungen eines Buchmarktes vergegenständlichen sich hierbei als Ausprägung einer kategorialen (Einfluss-)Variablen. Im Rahmen der experimentellen Ökonomik können Attributsausprägungen des Buches auch als abhängige Variable fungieren. Spezifische Vergegenständlichungsprozesse des Buches gegenüber anderen Produkten resultieren in der empirisch-ökonomischen Forschung beispielsweise aus dessen (besonderen) Eigenschaft als Erfahrungsgut. Indem die ökonometrische Schätzung der Regressionskoeffizienten mit realweltlichen Daten durchgeführt wird, zeigt sich in der empirischen im Vergleich zur theoretischen Ökonomik stets eine quantitativ-faktische Vergegenständlichungsform einer Materie. Schließlich lässt sich auf einer formalen Ebene des Transformationsprozesses feststellen, dass die qualitative Beurteilung und Bewertung von Literatur als Buch – wobei weniger die Literatur selbst, als das Entscheidungsverhalten der Akteure in einem Buchmarkt im Mittelpunkt der Untersuchungen steht – in der Ökonomik sowohl bei der positiven als auch normativen Analyse primär auf Basis von quantitativen Kriterien im Rahmen des jeweiligen methodischen Zweigs erfolgen.Footnote 151