Zusammenfassung
Das radikal Böse ist ein von Immanuel Kant 1792 zuerst verwendeter Begriff. Er bezeichnet in Kants Autonomie-Ethik, die sich nicht mehr an religiösen Normen und Geboten orientiert, sondern durch die der Mensch sein Handeln vernünftig und moralisch selbst bestimmt, eine fundamentale Verkehrung der Gesinnung und des moralischen Urteilsvermögens. Radikal böse, so Kant, ist nämlich die Haltung, andere Beweggründe als die unbedingte Achtung vor den Prinzipien der Moral und deren Regeln zum Ausgangspunkt des selbstbestimmten moralischen Wollens und Handelns zu machen. Hannah Arendt nimmt ursprünglich Kants Rede vom radikal Bösen auf, um damit den industrialisierten Massenmord in den Vernichtungslagern der Shoah als einzigartiges und unverzeihliches Menschheitsverbrechen zu kennzeichnen. Aber sie etabliert mit ihrem Buch Eichmann in Jerusalem von 1963 auch den Begriff der Banalität des Bösen, mit dem sie die letztlich banale moralische Gedankenlosigkeit, die niederen Motive und die opportunistische Beflissenheit von Schreibtischverbrechern wie Eichmann beschreiben will, die anscheinend nicht von radikaler Bösartigkeit zu ihren Mordtaten getrieben wurden.
Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung durch den Brill | Fink Verlag. Daniel Fulda/Christoph Schmitt-Maaß (Hg.): Vertriebene Vernunft? Aufklärung und Exil nach 1933, S. 17–29. Paderborn 2017.
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Notes
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GMS, 1. Satz. Vgl. Köhl (1990).
- 4.
Immanuel Kant: Über das radikale Böse in der menschlichen Natur. In: RGV 32.
- 5.
Ebd., 51 f.
- 6.
Ebd., 16.
- 7.
Ebd., 12.
- 8.
Ebd., 50.
- 9.
Ebd., 40–43.
- 10.
Schulte (1993).
- 11.
Vgl. Schulte (1989), bes. 33–36.
- 12.
Arendt (1955), 721.
- 13.
Ebd., 722.
- 14.
Ebd.
- 15.
Ebd.
- 16.
In deutscher Übersetzung erschien das Buch unter dem Titel „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht über die Banalität des Bösen“, München 1965 im Piper Verlag, seit 1986 erscheinen Neuauflagen des Buchs mit einem kritisch-distanzierenden einleitenden Essay von Hans Mommsen mit dem Titel „Hannah Arendt und der Prozeß gegen Adolf Eichmann“.
- 17.
Mommsen (1986).
- 18.
- 19.
Stangneth (2011).
- 20.
Dieser These widerspricht David Cesarani mit Hinweis auf die zahlreichen Dienstreisen und Einsätze Eichmanns an den Orten der Deportation und Vernichtung, wo er sich höchstpersönlich um das Funktionieren der Tötungsmaschinerie kümmerte; vgl. Cesarani (2004).
- 21.
Arendt/Scholem (2010), 444.
- 22.
- 23.
Arendt (2006), 150.
- 24.
Ebd., 179.
- 25.
Ebd., 28.
- 26.
Zuletzt dazu: Bozzaro (2007).
- 27.
Zu ihren Quellen vgl. Arendt (1990), 49–51.
- 28.
Vgl. Hilberg (1999).
- 29.
Vgl. Cesarani (2004).
Literatur
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Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft. München 1955.
Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht über die Banalität des Bösen [1965]. München 1986.
Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht über die Banalität des Bösen [1965]. Leipzig 1990.
Arendt, Hannah: Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik. München 2006.
Arendt, Hannah/Scholem, Gershom: Der Briefwechsel. Berlin 2010.
Bozzaro, Claudia: Hannah Arendt und die Banalität des Bösen. Mit einem Vorwort von Lore Hühn. Freiburg/Br. 2007.
Cesarani, David: Adolf Eichmann. Bürokrat und Massenmörder. Berlin 2004.
Hilberg, Raul: Eichmann war nicht banal. In: Die Welt v. 28.8.1999.
Köhl, Harald: Kants Gesinnungsethik. Berlin 1990.
Mommsen, Hans: Hannah Arendt und der Prozeß gegen Adolf Eichmann. In: Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht über die Banalität des Bösen. München 1986, 5–48.
Neiman, Susan: Das Böse denken: Eine andere Geschichte der Philosophie. Frankfurt a. M. 2004.
Schulte, Christoph: radikal böse. Die Karriere des Bösen von Kant bis Nietzsche. München 1988.
Schulte, Christoph: Die Wiederkehr des Bösen. Über radikale Vorstellungen vom Bösen in der Moderne. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 41 (1989), 33–51.
Schulte, Christoph: Unde malum? Notizen zu Herkunftsbestimmungen des Bösen im okzidentalen Menschenbild. In Alexander Schuller/Wolfert von Rahden (Hg.): Die andere Kraft. Zur Renaissance des Bösen. Berlin 1993, 3–10.
Stangneth, Bettina: Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmörders. Hamburg 2011.
Young-Bruehl, Elisabeth: Hannah Arendt. Leben, Werk und Zeit. Frankfurt a. M. 2004.
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Schulte, C. (2023). Radikalität oder Banalität des Bösen? Überlegungen zu Kant und Arendt. In: Kühnlein, M. (eds) Religionsphilosophie nach Kant. Neue Horizonte der Religionsphilosophie. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-66142-0_6
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