1 Eine beispielhafte Erfolgsgeschichte

Am Anfang eine kurze Erfolgsgeschichte, unter anderem als kleine Verneigung vor dem Wissenschaftsstandort Hamburg, denn Hamburger Virologinnen und Virologen spielen in ihr eine wichtige Rolle. Beim Ebola-Ausbruch 2013 bis 2016 in Westafrika, der seinen Ursprung in Guéckédou, Guinea, hatte, erkrankten mehr als 28.000 Menschen, von denen mehr als 11.000 starben. Während dieses Ausbruchs existierte noch kein Impfstoff gegen den Ebola-Virus – ein solcher wurde erst im Laufe der Epidemie in klinischen Studien getestet. Begonnen hatte die Entwicklung dieses Impfstoffs, der auf genetisch veränderten Vesikulären-Stomatitis-Viren (VSV) beruht, aber schon viel früher, nämlich zwischen 1999 und 2004. Im Jahr 2005 erfolgte dann ein Proof of Concept (Funktionsnachweis des Konzepts) dieses Impfstoffs im Tier. Die ersten klinischen Studien starteten allerdings erst 2014 während des großen Ebola-Ausbruchs. Ende 2014 waren die Phase-I-Studien abgeschlossen. Im Jahr 2015 folgten Phase II und III dieser Studien. Ende 2019 wurde der Impfstoff dann erstmals zugelassen.

Im Februar 2021 gab es dann wieder einen Ebola-Ausbruch in Guéckédou, also genau an der gleichen Stelle wie 2014. Es wurde sofort mit Impfungen begonnen – in Form einer sogenannten Ring-Vakzinierung. Es erkrankten während dieses Ausbruchs schließlich nur 23 Menschen, 12 davon starben. Impfstoffe können also einen großen Unterschied machen. Allerdings ist festzuhalten, dass der Ausbruch nicht allein durch Impfstoffe so erfolgreich eingedämmt wurde. Hinzu kam, dass der Ausbruch sehr schnell entdeckt wurde und sehr gut überwacht wurde, was vor allem den Forscherinnen und Forschern des Bernhard-Nocht -Instituts für Tropenmedizin in Hamburg zu verdanken ist.

2 WHO Blueprint R&D Initiative

Dieses Beispiel zeigt jedenfalls, dass es am besten ist, wenn bei dem Ausbruch einer Infektionskrankheit der benötigte Impfstoff bereits verfügbar ist. Diese Erkenntnis führte schließlich zur Blueprint Research and Development Initiative der Weltgesundheitsorganisation WHO [1]. Diese stellte eine Liste von Viren auf, die möglicherweise ein Pandemie-Potenzial haben. Und sie entwarf ein Konzept, um gegen diese Viren Impfstoffe zu generieren (Abb. 1).

Abb. 1.
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Das Konzept der Blueprint Forschungs-und Entwicklungsinitiative der WHO (Health Organization/Coalition for Epidemic Preparedness Innovations)

Demnach sollen zunächst präklinisch Impfstoffe gegen die Viren mit Pandemiepotential entwickelt werden. Dazu nutzen die beteiligten Forschungsgruppen eine der möglichen Impfstoff-Plattformen, also etwa die mRNA-Technologie, rekombinante Proteine oder virale Vektoren, die stark attenuiert sind. Der jeweilige Impfstoffkandidat wird dann in klinischen Studien der Phasen I und II daraufhin geprüft, ob er sicher ist und ob man eine effiziente Immunantwort bekommt. Weiterhin wird ermittelt, in welcher Dosierung und in welchen Abständen man den Impfstoff einsetzen muss. Schließlich produziert man eine Million Impfdosen und lagert sie unter qualitätsgesicherten Bedingungen ein.

Wenn es dann zu einem epidemischen Ausbruch aufgrund des Virus kommt, gegen das man einen Impfstoff entwickelt hat, folgt die Phase-III-Studie. Vorher ist das nicht möglich, denn die Wirksamkeit des Impfstoffes kann man erst während einer Epidemie erfassen. Bereits während der Phase-III-Studie erfolgt eine sehr enge Zusammenarbeit mit den regulatorischen Behörden, so dass man im Rolling-Review-Verfahren sehr schnell zu einer Zulassung des Impfstoffs kommen kann.

Dieses WHO-Blueprint-Konzept ist ein gutes Konzept. Es wird bereits umgesetzt, allerdings ist man derzeit noch bei den Phase-I-Studien.

3 Was ist mit neu auftretenden Viren?

Dass es sehr schnell gehen kann, auch gegen neu auftretende Viren einen Impfstoff zu entwickeln, ist am Beispiel SARS-CoV-2 zu erkennen. Innerhalb von einem Jahr nach Bekanntwerden der Genomsequenz des Virus stand bereits ein Impfstoff zur Verfügung.

Wie kam es dazu, dass man nicht – wie normalerweise – 15 Jahre auf einen Impfstoff warten musste? Welche der verschiedenen Schritte bei der Impfstoff-Herstellung können also verkürzt werden?

Kurze Entwicklungszeiten sind vor allem dadurch möglich, dass man die klinischen Phasen maximal parallelisiert (Abb. 2): Man arbeitet die verschiedenen klinischen Phasen nicht eine nach der anderen ab, sondern geht direkt in die nächste Phase über, wenn wichtige Informationen – etwa zur Sicherheit des Impfstoffes – da sind.

Abb. 2.
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Die Entwicklung von Impfstoffen – üblicherweise (oben) und bei SARS-CoV-2-Impfstoffen (unten) (Krammer/Nature) [2]

Schon die Vorbereitung auf die klinischen Studien spielt eine Rolle: Es ist gut, sozusagen einen generischen Antrag für eine klinische Studie in der Schublade zu haben, damit man ihn bei Bedarf schnell stellen kann. Außerdem kann man die potenziellen Teilnehmer an Impfstoff-Studien schon identifizieren, bevor der Antrag auf die Impfstoff-Studie genehmigt wurde. Es lässt sich eine Datenbank mit Interessenten anlegen, die dann direkt angesprochen werden können, sobald die Genehmigung erteilt wurde.

Beschleunigen lässt sich die Zeit bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffes auch durch einen besonders frühen Einstieg in die Produktion. Mit ihr kann man bereits starten, während sich der Impfstoff noch in den präklinischen Prüfungen befindet. Zudem müssen die Materialien für Lagerung, Transport und Applikation des Impfstoffs schon frühzeitig beschafft werden.

Darüber hinaus verkürzt das Rolling-Review-Verfahren [3] die Zeit zwischen dem Ende der klinischen Prüfungen und der Datenübergabe beziehungsweise der Datenprüfung durch die regulierende Behörde. Das ist ein Faktor, der für die Beschleunigung des gesamten Prozesses entscheidend ist.

Die Sicherheit der Impfstoffe leidet unter diesen Maßnahmen nicht, sofern jede Phase erfolgreich abgeschlossen ist, bevor der Impfstoff zugelassen wird. Das Verfahren wird ermöglicht durch eine Fokussierung auf bestimmte Aufgaben. Beispielsweise hat das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, während der COVID-19-Pandemie viele andere Aufgaben beiseitegelegt und sich auf die COVID-19-Impfstoffe konzentriert.

4 Das 100-Tage-Ziel

Wie wäre es denn, wenn wir neue Impfstoffe schon 100 Tage nach der Identifizierung eines neuen Krankheitserregers zur Verfügung hätten? Dieses 100-Tage-Ziel hat die Coalition for Epidemic Preparedness Innovation (CEPI) [4] ausgegeben.

Als der erste COVID-19-Impfstoff im Dezember 2020 erhältlich war, hatten sich bereits 70 Mio. Menschen infiziert. Zu diesem Zeitpunkt war es somit unmöglich, die Pandemie mit Impfstoffen zu beenden. Nach der ersten 100 Tagen hatten sich demgegenüber zwar erst 3 Mio. Menschen infiziert, doch auch diese Anzahl wäre zu hoch gewesen, um durch Impfungen die weitere Verbreitung des Virus zu verhindern und die Pandemie aufzuhalten oder gar zu beenden. Aber, man hätte den Verlauf der Pandemie gegenüber dem tatsächlichen Verlauf verzögert und damit Menschenleben gerettet.

Trotzdem sind Impfstoffe allein nicht die Lösung bei neu aufkommenden Infektionskrankheiten. Ohne nicht-pharmazeutische Maßnahmen wird es nicht gehen und so haben auch die Lockdowns und der Einsatz von Mund-Nase-Masken ihren Platz zur Bekämpfung von Pandemien, die durch respiratorische Erreger ausgelöst werden.

5 Voraussetzungen für eine schnelle Impfstoff-Entwicklung

Eine wichtige Voraussetzung für eine schnelle Impfstoff-Entwicklung ist, dass die Grundlagenforschung zu Impfstoffen und zu Viren unterstützt wird. Ein Beispiel: Die Wissenschaft hat schon 2017 gewusst, dass das Oberflächen-Protein von MERS-Corona-Viren stabilisiert werden kann, damit es ein optimales Ziel für die Immunantwort eines Geimpften ist [5]. Das war eine Erkenntnis, die dann auch entscheidend war für die Entwicklung der Vakzine gegen SARS-CoV-2.

Eine weitere Voraussetzung ist, dass die Viren schnell identifiziert und charakterisiert werden können, die für einen Ausbruch verantwortlich sind. Dazu müssen weltweit entsprechende Sequenzierungstechniken verfügbar sein. Erforderlich ist auch eine entsprechende Diagnostik, um zu wissen, wer infiziert ist und wer nicht. Nur so lässt sich die Krankheit epidemiologisch überwachen.

Wichtig für die Impfstoff-Entwicklung sind weiterhin Netzwerke zwischen akademischen Forschenden und Impfstoff-Herstellern sowie unter den Impfstoff-Herstellern. Ein Beispiel dafür ist die Zusammenarbeit im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) [6]. DZIF-Forschende der Ludwig-Maximilian-Universität (LMU) München, der Charité Berlin, dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und wir an der Philipps Universität Marburg entwickelten gemeinsam einen neuen Impfstoff gegen das SARS-CoV-2-Virus, der jetzt in der Klinischen Erprobung ist. Mit dabei ist die Firma IDT-Biologika, die sich um eine großtechnische Produktion kümmert. Hinzu kommt noch das EU-Forschungsnetzwerk VACCELERATE, das unter anderem Menschen identifiziert, die bereit sind, in klinischen Studien mitzuarbeiten.

6 Wie sicher sind schnell entwickelte Impfstoffe?

Da gibt es inzwischen gute Daten für die Zeit nach der Zulassung [7]: Bis Ende 2021 wurden rund 130 Mio. Impfdosen der Impfstoffe von BioNTech und Moderna appliziert. Bei 1000 Impfungen traten durchschnittlich 1,3-mal (BioNTech) beziehungsweise 1,9-mal (Moderna) Nebenwirkungen auf.

Die Zahl schwerer Nebenwirkungen betrug beim BioNTech-Impfstoff 0,2 auf 1000 Impfungen und beim Moderna-Impfstoff 0,1 auf 1000 Impfungen. Die Zahl derjenigen Menschen, die innerhalb von 6 Wochen nach einer Impfung gegen SARS-CoV-2 gestorben sind, war so groß, wie es statistisch unabhängig von Impfungen zu erwarten war.

Trotzdem zögerten und zögern viele Menschen, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen. Das ist ein großes Problem, das in Zukunft angegangen werden muss. Eine Lösung dafür ist derzeit nicht in Sicht.

7 Was haben wir über die schnelle und sichere Impfstoffentwicklung gelernt?

Man sollte

  • Impfstoffe gegen Viren mit pandemischen Potenzial vorhalten, bevor es zu einem Ausbruch kommt.

  • die Kapazitäten zur Produktion von Impfstoffen gegen neu auftretende Viren vergrößern.

  • die Grundlagenforschung zur Wirkungsweise von Impfstoffen und zu Viren verstärken.

  • mehr Netzwerke von Institutionen und Stakeholdern etablieren.

  • den Nutzen und die Risiken von Impfstoffen besser kommunizieren als wir das getan haben.

  • sich darüber klar sein, dass die Entwicklung von künftigen Pandemie-Impfstoffen öffentlicher Förderung bedarf.

Offen bleiben folgende Fragen:

  • Wer trägt die Kosten für die Pandemievorbereitung?

  • Wie können wir die Akzeptanz von schnell entwickelten Impfstoffen verbessern?

  • Wie können wir die regulatorischen Prozesse weltweit harmonisieren? Wird es möglich, eine globale Zulassung für einen Impfstoff zu erhalten?

  • Ist das 100-Tage-Ziel der CEPI erreichbar und gelingt es dann tatsächlich, Pandemien weitgehend zu verhindern?