FormalPara Zusammenfassung

Orale Kontrazeptiva sind in Deutschland das mit am häufigsten verwendete Mittel zur Verhütung und werden es voraussichtlich in Zukunft auch bleiben, auch wenn insgesamt die Nutzung in allen Altersgruppen, aber am deutlichsten bei den 19- bis 28-Jährigen, rückläufig ist (BZgA 2018 ). In Deutschland ist durch die niedergelassenen Frauenärztinnen und -ärzte eine umfassende Kontrazeptionsberatung mit sehr hoher Expertise gewährleistet. Hierzu gehört die Beratung über hormonelle wie auch nichthormonelle Methoden, um eine individuell angepasste Kontrazeption für jede Patientin zu finden.

Bei der Auswahl eines oralen Kontrazeptivums ist zu beachten, dass die hormonelle Verhütung mit verschiedenen Nachteilen in Verbindung gebracht wird. Dazu gehört neben Depressionen und Libidoverlust vor allem das erhöhte Risiko einer venösen Thrombembolie (VTE). Über dieses Risiko und das Verhältnis von erwartetem Nutzen und möglichem Schaden bei verschiedenen empfängnisverhütenden Kombinationspräparaten (KOK) wurde ab dem Jahr 2011 in einer Reihe von Fachpublikationen berichtet. Ob und wie sich diese neu gewonnene Evidenz im Verordnungsverhalten niedergeschlagen hat, ist Gegenstand einer Analyse von Daten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Für diesen Beitrag hat das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) die Verordnungsdaten empfängnisverhütender Medikamente ausgewertet, die GKV-versicherten Mädchen und Frauen ab 15 Jahren bis zum vollendeten 20. Lebensjahr – ab Juli 2019 aufgrund einer Erweiterung des Anspruchs bis zum vollendeten 22. Lebensjahr – in den Jahren 2011 bis 2021 verschrieben und von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet wurden. Für die Auswertung wurden die kombinierten oralen Kontrazeptiva (KOK) nicht, wie sonst üblich, nach Generationen eingeteilt (was sich lediglich auf die Entwicklung und den Zeitpunkt der Vermarktung bezieht), sondern wie auch die weiteren Präparate nach ihrem Risikoprofil für venöse thromboembolische Ereignisse in risikoreichere und -ärmere eingeteilt.

1 Die Entwicklung der Verordnungen von Kontrazeptiva

Die Verordnungen von Kontrazeptiva in der Altersgruppe der 15- bis 20- bzw. 22-jährigen Frauen hat sich innerhalb den vergangenen zwei Jahrzehnten gewandelt. Nach einem Höhepunkt der verordneten Menge an Tagesdosen (DDD) im Jahr 2007 mit 332 Mio. DDD nahm die Gesamtmenge allmählich ab (Abb. 8.1). Der Anstieg ab 2019 beruht vor allem auf der Ausweitung der Erstattungsfähigkeit; die Verordnungen für die entsprechenden Altersjahrgänge waren vorher nicht enthalten. Im Jahr 2021 wurden noch 312 Mio. DDD mit der GKV abgerechnet. Der Anteil der risikoreicheren Präparate ist dabei von einem Höchstwert von 71 % erst ab dem Jahr 2010 zunächst langsam und ab 2016 deutlicher zurückgegangen, sodass erstmals im Jahr 2020 der Anteil der risikoärmeren Präparate überwiegt (Abb. 8.1). Hierzu haben auch die allmählich zunehmenden Mengen der risikoärmeren Minipillen einen Beitrag geleistet.

Abb. 8.1
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Entwicklung der Verordnungen von KOK, Minipille und Alternativen sowie Anteil der risikoreicheren Kontrazeptiva an GKV-versicherte Frauen in der Altersgruppe 15 bis 20 Jahre bzw. ab 2019 bis 22 Jahre seit 2002. (Quelle: GKV-Arzneimittelindex im Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO))

1.1 Entwicklung der Verordnung bezogen auf die Anwenderinnen

Auch die Anzahl der Anwenderinnen von KOK ist von Beginn des Jahrtausends bis zu ihrem Höhepunkt im Jahr 2010 kontinuierlich angestiegen; der Anteil der Anwenderinnen von risikoreicheren Präparaten nahm ebenfalls stetig zu. Im Jahr 2010, dem Jahr mit den meisten Anwenderinnen, bekamen insgesamt 46 % der weiblichen Versicherten unter 20 Jahren KOK verschrieben: 14 % erhielten Präparate mit niedrigem und 32 % solche mit erhöhtem Risikoprofil, weitere 2 % erhielten alternative Kontrazeptiva. Im Jahr 2021 zählten noch 32 % der jungen Frauen zu Anwenderinnen von KOK, allerdings bezogen auf Frauen bis zu 22 Jahren, nachdem die Erstattung für GKV-Versicherte im Jahr 2019 um zwei Altersjahrgänge erweitert wurde. Der Anteil der jungen Frauen, die risikoreichere KOK erhielten, sank 2021 auf 15 %, und war damit geringer als der Anteil der Anwenderinnen mit risikoärmeren Kombinationen (16 %) (Abb. 8.2).

Abb. 8.2
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Anteil der jüngeren GKV-versicherten Frauen, die Kontrazeptiva verordnet bekommen, nach Risikogruppen der KOK und Pillenalternativen seit 2010. (Quelle: GKV-Arzneimittelindex im Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO))

1.2 Rückläufige Entwicklung bei der Verordnung risikoreicherer Präparate

In das Jahr 2011 fiel die Veröffentlichung im „Bulletin für Arzneimittelsicherheit“ des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), in dem auf das erhöhte Risiko für tiefe Beinvenenthrombosen und Embolien bei KOK der dritten Generation hingewiesen wurde (BfArM 2011). Der Anteil an risikoreicheren Präparaten entsprach in diesem Jahr 68 % der Gesamtverordnungen nach Tagesdosen (DDD) innerhalb der KOK (Abb. 8.1). Bis zum Jahr 2015 zeigten sich nur geringfügige Veränderungen, sowohl in der Gesamtverordnungsmenge als auch im Anteil der risikoreicheren Gestagene. In einem Rote-Hand-Brief sprach das BfArM 2014 erneut die deutliche Empfehlung aus, insbesondere Erstanwenderinnen Präparate mit dem risikoärmeren Gestagen Levonorgestrel zu verordnen. Diese Empfehlung spiegelt sich im Verlauf der nächsten Jahre in den Verordnungszahlen wider: Seit 2015 bis 2021 sank der Anteil der risikoreicheren Präparate an den Gesamtverordnungen weiter von 63 % auf 48 % (Abb. 8.1). Der bereits aus früheren Untersuchungen bekannte Trend (Becker 2017) hat sich somit weiter verstetigt.

1.3 Zuwächse bei der Verordnung von alternativen Präparaten

Dem Rückgang bei den oralen hormonalen Kombinationspräparaten steht ein langsam wachsender Anteil von Gestagen-Mono-Präparaten, sogenannten Minipillen, sowie alternativen Applikationsmethoden wie dem Vaginalring oder Hormonpflastern gegenüber (Abb. 8.1). Verordnet werden Monopräparate mit dem Gestagen Desogestrel und dem seit 2021 auf dem Markt erhältlichen Drospirenon (Römer et al. 2022). Zusammen erreichten sie im Jahr 2021 einen Anteil von 7,1 % der Verordnungen bzw. 2,6 % der jungen Frauen wendeten diese an. Dies entspricht einem Anstieg von 1,8 % in den letzten zehn Jahren. Präparate wie Vaginalring und Hormonpflaster machten einen Anteil von 5,3 % der verordneten Tagesdosen für 1,9 % der Frauen im Jahr 2021 aus. Dies entspricht einem geringen Anstieg von 0,8 % seit dem Jahr 2011 (Abb. 8.2). Die Spirale als Verhütungsmethode spielt bei den Anwenderinnen in der Altersgruppe zwischen 15 und 22 Jahren kaum eine Rolle.

1.4 Die Verordnungsanteile unterschiedlicher Gestagene

Über Jahre hat sich nicht nur der Verordnungsanteil der KOK mit niedrigerem oder höherem Risikoprofil, sondern auch der Anteil der unterschiedlichen Gestagene am Gesamtvolumen der Verordnungen verändert (Abb. 8.3). Das Gestagen Dienogest, das ein erhöhtes Risikoprofil aufweist, hatte im Jahr 2011 einen Anteil von 21 % der verordneten KOK und lag ungefähr gleichauf mit dem Gestagen Chlormadinon (18 %), das aufgrund des bisher unbekannten Risikos für VTE den risikoreicheren KOK zugeordnet wurde. Im Jahr 2021 hatte sich dieses Verhältnis deutlich verschoben: Der Anteil der verordneten KOK mit dem Gestagen Dienogest war um 14 Prozentpunkte auf 35 % angestiegen, während Chlormadinon nur noch 10 % aller KOK-Verordnungen ausmachte. Auch die Verschreibung von KOK mit anderen Gestagenen wie Drospirenon oder Desogestrel, die der höheren Risikogruppe zugeordnet werden, war im Jahr 2021 auf niedrige einstellige Werte zurückgegangen.

Abb. 8.3
figure 3

Anteile und Risikoeinteilung der KOK nach Gestagenanteil, die GKV-versicherten Frauen im Alter von 15 bis 20 bzw. 22 Jahren in den Jahren 2011 und 2021 verordnet wurden. (Quelle: GKV-Arzneimittelindex im Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO))

Levonorgestrel, ein Gestagen mit einem niedrigeren Risiko für VTE-Ereignisse, verzeichnete innerhalb des Beobachtungszeitraumes einen Zuwachs um 19 Prozentpunkte – von 30 % der KOK-Gesamtverordnungen im Jahr 2011 auf 49 % im Jahr 2021. Dieses Verordnungsverhalten spiegelt die aktuelle Empfehlung des BfArM wider (BfArM 2021). Das Gestagen Nomegestrol, das 2012 neu in den Markt eingeführt wurde und ebenfalls ein niedrigeres VTE-Risiko aufweist, wurde in zunehmendem Maße verordnet und hatte im Jahr 2021 bereits einen Anteil von 1 %, während ältere Gestagene wie Norethisteron oder Norgestimat 2021 bei den Verordnungen keine Rolle mehr spielten (Abb. 8.3).

Die Verordnungen risikoreicherer KOK werden jedoch voraussichtlich nicht in unbegrenztem Umfang zurückgehen, da bei der Auswahl der Kontrazeption neben dem thrombembolischen Risiko noch weitere Faktoren zu berücksichtigen sind (WHO 2015; Römer 2021). In der klinischen Praxis gibt es zahlreiche Situationen, in denen erwünschte Zusatzeffekte von KOK eine wichtige Rolle für die Therapieentscheidung spielen. So empfiehlt zum Beispiel die Leitlinie (AWMF 2020) bei Patientinnen mit prämenstruellem Syndrom, insbesondere bei Vorliegen eines prämenstruellen dysphorischen Syndroms, die Anwendung von drospirenonhaltigen KOK, da diese Behandlung der Evidenz zufolge besonders effektiv ist. Solche Zusatzeffekte sollten nicht außer Acht gelassen werden, da sie gerade in der Altersgruppe der jungen Patientinnen wichtig für die Compliance sind.

2 Die Verordnung von KOK im klinischen Alltag

Der erste Rote-Hand-Brief zum VTE-Risiko im Januar 2014 (BfArM 2014) hat dazu geführt, dass im klinischen Alltag die sorgfältige Familien- und Eigenanamnese vor einer KOK-Verordnung noch stärker in den Fokus gerückt ist. Risikofaktoren für thrombembolische Ereignisse werden anhand von Checklisten genau eruiert (BfArM 2022a). Patientinnen, bei denen keine zusätzliche Indikation für andere KOK besteht, sollten seitdem vorrangig KOK mit Ethinylestradiol/Levonorgestrel verordnet bekommen. Dies hat, wie oben dargestellt, seit 2016 zu einem deutlichen Rückgang der Verordnungen von KOK mit einem höheren thrombembolischen Risiko geführt.

Bei einer Modifikation des Rote-Hand-Briefs (BfArM 2018) zum VTE-Risiko bei KOK wurden 2018 Daten für die KOK mit Ethinylestradiol/Dienogest aufgenommen, die ein etwas höheres thrombembolisches Risiko als Ethinylestradiol-Levonorgestrel-KOK aufweisen. 2021 erschien ein weiterer Rote-Hand-Brief, in den aber lediglich neue, nicht uneingeschränkt plausible Daten zu einer KOK mit Ethinylestradiol/Levonorgestrel im Langzyklus Eingang fanden und der nicht zu einer sofortigen relevanten Veränderung des Verordnungsverhaltens führte (BfArM 2022b).

Erstaunlich ist, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte die von der Europäischen Arzneimittelbehörde initiierte große INAS-Score-Studie (Heinemann et al. 2017) auch 2021 nicht berücksichtigt hat. Diese Studie, die zur Validierung des thrombembolischen Risikos eines KOK mit Estradiolvalerat/Dienogest durchgeführt wurde, hat gezeigt, dass hier ein vergleichbares VTE-Risiko wie bei Ethinylestradiol-/Levonorgestrel-KOK besteht. Diese Erkenntnisse haben sogar zu einer Änderung in der Fachinformation für diese Pille geführt. Auch die im November 2021 vorgelegte PRO-E2-Studie (Reed et al. 2021), in der KOK mit Estradiol/Nomegestrolacetat untersucht wurden, bestätigt, dass das thrombembolische Risiko von Estradiol-KOK mit dem von Ethinylestradiol/Levonorgestrel-KOK vergleichbar ist. In einer Mitteilung des BfArM im März 2022 (BfArM 2022b) wird diese Erkenntnis lediglich kurz erwähnt, verbunden mit der Empfehlung, es „sollten Pillen mit einem niedrigen thrombembolischen Risiko verordnet werden, z. B. mit Ethinylestradiol/Levonorgestrel.“

2.1 Die Entwicklung der Verordnung verschiedener Kontrazeptiva

2.1.1 Gestagen-Monopillen (Progesteron-Only-Pills/POP)

Wie die Auswertung der GKV-Daten zeigt, weisen die Verordnungen in einem bestimmten Segment der oralen Kontrazeptiva einen erkennbaren Zuwachs aus (Abb. 8.3). Die Verschreibung von Gestagen-Monopillen hat bereits zu einem Zeitpunkt zugenommen, als nur Desogestrel verfügbar war. Die Minipille mit Levonorgestrel spielt im klinischen Alltag aufgrund des ungünstigen, zur Bewertung der empfängnisverhütenden Wirkung bedeutenden Pearl-Index kaum eine Rolle (Römer et al. 2022). Seit 2021 ist nun auch eine Drospirenon-Monopille verfügbar; die Verordnungszahlen hierzu sind aufgrund der Kürze der Zeit noch nicht aussagekräftig. Aufgrund der bekannten Evidenz für ein nicht erhöhtes thrombembolisches Risiko unter Progesteron-Only-Pills (POP) ist jedoch mit einer Zunahme der Anwendung im Gestagen-Monosegment zu rechnen. Dass der Anteil der Anwenderinnen von Gestagen-Monopillen in der erfassten Altersgruppe unter 22 Jahren geringer ist als im Gesamtanwenderinnenkollektiv, liegt wahrscheinlich zum einen daran, dass in dieser Altersgruppe das thrombembolische Risiko primär noch nicht so hoch ist, und zum anderen an Bedenken, die gegen die Verordnung von POP bei Adoleszenten sprechen, wie zum Beispiel eine Reduktion der Knochendichte. Diese entbehren jedoch einer wissenschaftlichen Basis (AWMF 2020). Im Rahmen der Zulassung der Drospirenon-Monopille beispielsweise konnte eine hohe Akzeptanz und gute Verträglichkeit auch in einer Adoleszenten-Studie gezeigt werden (Römer et al. 2022). Gestagen-Monopräparate werden in einer Auflistung des BfArM für das thrombembolische Risiko nicht erwähnt, sodass es bei fachfremden Arztgruppen gelegentlich auch zu Missverständnissen kommt. So wurden, als der Rote-Hand-Brief im Jahre 2014 erschien, beispielsweise auch Desogestrel-Monopillen abgesetzt, obwohl sich das erhöhte thrombembolische Risiko ausschließlich auf die Kombination mit Ethinylestradiol/Desogestrel bezieht.

2.1.2 Vaginalring, Verhütungspflaster, LNG-IUS und Spirale

Andere Applikationsformen von kombinierten hormonellen Kontrazeptiva, wie der Vaginalring, machen nur einen geringen Teil der Verordnungen aus (5,4 % der verordneten DDD bzw. unter 2 % der jungen Frauen verwenden diese), wobei sich in jüngster Zeit ein leichter Anstieg zeigt. Hier ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass sowohl Vaginalring als auch transdermales kontrazeptives Pflaster ebenso wie orale Kombinationspräparate der risikoreicheren Gruppe ein erhöhtes thrombembolisches Risiko aufweisen (Römer und Göretzlehner 2017; Römer 2019). Besonders kritisch ist dies für das transdermale kontrazeptive Pflaster zu sehen; aus diesem Grund spielt es in der täglichen Praxis in Deutschland kaum eine Rolle. Die Zunahme bei der Anwendung des Vaginalrings ist am wahrscheinlichsten dadurch zu erklären, dass hier in den letzten Jahren Generika auf dem Markt gekommen sind, die einerseits preislich deutlich günstiger und andererseits anwendungsfreundlicher sind, da sie keiner spezifischen Lagerung mehr bedürfen.

Spiralen und andere intrauterine Verhütungssysteme spielen in der Altersgruppe unter 22 Jahren insgesamt noch eine geringe Rolle. Auch hier ist in den nächsten Jahren aber mit einer Zunahme der Anwendungen zu rechnen, da auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei Patientinnen, die noch kein Kind geboren haben, und Patientinnen unter 22 Jahren keine speziellen Kontraindikationen sieht. Die US-amerikanischen Fachgesellschaften etwa empfehlen die Spirale als sichere Kontrazeptionsmethode bei Adoleszenten. Hier wird in Zukunft in Deutschland sowohl für die lokal-hormonelle Therapie mit dem Levonorgestrel-Intrauterinsystem (LNG-IUS) als auch mit der hormonfreien Kupferspirale ein weiterer Zuwachs in der Altersgruppe zu erwarten sein.

2.2 Die Gestagenauswahl in der Praxis

Nach KOK mit Ethinylestradiol/Levonorgestrel werden KOK mit Ethinylestradiol/Dienogest am zweithäufigsten verordnet (Abb. 8.3). Dies ist aus klinischer Sicht am ehesten damit zu erklären, dass die Kombination mit Ethinylestradiol und Dienogest als Zusatztherapie bei Akne geeignet ist und hier eine gute Evidenz vorliegt (Nast et al. 2016; AWMF 2020). Dies spielt insbesondere in der Altersgruppe unter 22 Jahren relativ häufig eine Rolle. Außerdem ist Dienogest auch besonders effektiv in der Behandlung von Endometriose, die auch in dieser Altersgruppe nicht so selten ist. Gerade bei jüngeren Frauen wird die Kombinationspille mit Dienogest dann oft der Dienogest-Monotherapie vorgezogen. Auch in der Therapie der Dysmenorrhoe ist die Kombination Ethinylestradiol/Dienogest sehr effektiv. Vermutlich wurden hier auch die KOK mit Estradiolvalerat/Dienogest erfasst, die auch zur Therapie der Hypermenorrhoe in dieser Altersgruppe bevorzugt angewendet werden (Römer und Göretzlehner 2017; Römer 2021). Dies wäre aus klinischer Sicht eine plausible Erklärung dafür, warum die KOK mit diesem Gestagen dennoch auch in dieser Altersgruppe weiterhin einen hohen Stellenwert in der Verordnung haben.

2.3 Die Verordnung durch Behandelnde unterschiedlicher Fachrichtungen

Die Mehrzahl der Verordnungen von Kontrazeptiva (89 % der KOK und 91 % der Alternativen einschließlich Minipille) erfolgt der Datenauswertung zufolge durch Gynäkologinnen und Gynäkologen. Die restlichen 10 % der KOK bzw. 8 % der Alternativen verteilen sich auf Hausärztinnen und -ärzte, hausärztlich tätige Internistinnen und Internisten, Kinderärztinnen und -ärzte sowie Hautärztinnen und -ärzte. Hier wurden alle Altersgruppen betrachtet, für die Verordnungen zu Lasten der GKV abgerechnet wurden, da dies diagnoseabhängig auch für Frauen in höheren Altersgruppen möglich ist (Tab. 8.1). Inwieweit es sich bei hausärztlichen Verordnungen um eine Erst- oder Weiterverordnung handelt, lässt sich nicht eruieren. Aufgrund ihrer gynäkologisch-endokrinologischen Expertise ist grundsätzlich eine Erstverordnung und entsprechende Aufklärung durch Frauenärztinnen oder -ärzte zu empfehlen; bei Vorliegen spezifischer Fragestellungen kann dies aber natürlich auch durch kinder- oder hautärztliche Praxen erfolgen.

Tab. 8.1 Anteile der verordneten Mengen in Tagesdosen der KOK und alternativen Kontrazeptiva sowie Risikoanteil der verordneten KOK nach ausgewählten fachärztlichen Gruppen für Frauen aller Altersgruppen im Jahr 2021. (Quelle: GKV-Arzneimittelindex im Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO))

Die Verteilung risikoärmerer und risikoreicherer Präparate hält sich zwischen den genannten Fachrichtungen weitgehend die Waage – mit einer Ausnahme: In der Dermatologie werden Hormonpräparate bei der Akne vulgaris eingesetzt und risikoreichere Präparate mit antiandrogenem Effekt mit einem Anteil von 89 % deutlich bevorzugt verordnet. Dies kann therapeutisch sinnvoll sein, bedarf allerdings immer einer gründlichen Abwägung bezüglich des thrombembolischen Risikos (Nast et al. 2016).

3 Fazit und Ausblick

Verhütungsberatung ist in der Gruppe der jungen Frauen, die hier bis zum Alter von 22 Jahren erfasst wurden, besonders wichtig. Eine adäquate Verhütung hat für sie einen hohen Stellenwert, um unerwünschte Schwangerschaften zu vermeiden. Gegenstand dieser Beratung sollte das gesamte Spektrum der Kontrazeption sein, wobei orale Kontrazeptiva in der Praxis nach wie vor die größte Bedeutung haben. Das Angebot an oralen Kontrazeptiva ist in Deutschland sehr vielfältig und in jüngster Zeit durch die Einführung eines Drospirenon-Monopräparats und eines KOK mit Estetrol und Drospirenon noch einmal erweitert worden. Hier gilt es, aus der Vielzahl der verfügbaren Kontrazeptionsmethoden individuell die richtige Methode auszuwählen. Sowohl die Patientinnen als auch die Ärztinnen und Ärzte sind in Deutschland über die Kontrazeption relativ gut informiert. Es gibt ein gut strukturiertes System von niedergelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen, die insbesondere in der Erstverordnung von hormonellen Kontrazeptiva auch die Hauptverordnenden sind.

Die weiter oben beschriebenen Veränderungen im Verordnungsgeschehen machen deutlich, dass sich die Behandelnden bei der Verordnung von hormonellen Kontrazeptiva im Wesentlichen an den entsprechenden Empfehlungen des BfArM orientieren, die mit den Rote-Hand-Briefen von 2014 und 2018 ausgesprochen wurden (BfArM 2022b). Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass die Anstrengungen, möglichst risikoärmere Präparate einzusetzen, angesichts eines Anteils von noch immer nahe 50 % weiter intensiviert werden können. Über einen langen Zeitraum gab es in Deutschland keine aktuellen Leitlinien zur hormonellen Empfängnisverhütung. Deswegen erfolgte die Verordnung insbesondere in Risikosituationen auf Basis der WHO-Empfehlungen von 2015 (WHO 2015). Seit 2020 gibt es nun eine S3-Leitlinie „Hormonelle Empfängnisverhütung“ in Deutschland, in der sich die Empfehlungen der Rote-Hand-Briefe widerspiegeln (AWMF 2020). Weder die im Jahr 2020 veröffentlichte Leitlinie S3 „Hormonelle Empfängnisverhütung“ noch das „Bulletin zur Arzneimittelsicherheit“ aus dem Jahr 2021 (BfArM 2021) haben bei der Anteilsverteilung der Gestagene an den KOK-Verordnungen bisher eine nennenswerte Veränderung bewirkt. Im Vergleich zum Vorjahr blieb der Anteil von Dienogest (2021: 35 %; 2020: 36 %) und Chlormadinon (2021: 10 %; 2020: 10 %) nahezu unverändert. Die Langzeitkontrazeption mit Depot-MPA wird in dieser Leitlinie zwar sehr kritisch bewertet, spielt aber in der Altersgruppe unter 22 Jahren ohnehin nur eine sehr untergeordnete Rolle. Insgesamt haben diese jüngsten Veröffentlichungen nicht zu einer nennenswerten Veränderung im Verordnungsverhalten geführt, soweit dies zum jetzigen Zeitpunkt zu beurteilen ist.

Die Rote-Hand-Briefe, insbesondere auch die Checklisten für das thrombembolische Risiko, sind in der Praxis sehr hilfreich (BfArM 2022a, 2022b). Allerdings sollten Behandelnde bei der Auswahl des Kontrazeptivums weitere Aspekte – etwa den Nutzen bei der Behandlung des prämenstruellen Syndroms, der Dysmenorrhoe oder der Akne – nicht aus dem Blick verlieren.

Hormonelle Kontrazeptiva stellen die am häufigsten verwendete Kontrazeptionsmethode in Deutschland dar und sind bei richtiger Anwendung und individueller Auswahl hoch effektiv zur Kontrazeption und sehr sicher. Ihre Verordnung unterliegt einem ständigen Wandel. Es ist zu erwarten, dass in Zukunft vermehrt auch Estradiol-KOK und Gestagen-Monopräparate in der Altersgruppe bis 22 Jahren eingesetzt werden (Römer et al. 2022). Auch die Anwendung von LNG-IUS und Kupfer-IUD dürfte hier weiter zunehmen.

Für die Zukunft wäre es wünschenswert, dass Rote-Hand-Briefe mehr als nur ein einzelnes Segment der oralen Kontrazeption abbildeten. Vielmehr sollten Übersichten zur Gesamtheit der verfügbaren oralen Kontrazeptiva, einschließlich des Segments der Estradiol- und Estetrol-Pillen sowie des Segments der Gestagen-Monopillen, bereitgestellt werden (Heinemann et al. 2017; Reed et al. 2021; Mawet et al. 2021; Römer et al. 2021). Die beiden letztgenannten Segmente sind gerade unter dem Aspekt des thrombembolischen Risikos der Ethinylestradiol-KOK ein Wachstumsmarkt (Römer et al. 2021; Römer et al. 2022). Vor diesem Hintergrund wäre es sinnvoll, wenn hier klare Aussagen auf Basis der umfangreichen, durch die Europäische Arzneimittelbehörde erhobenen Daten und der WHO-Empfehlung getroffen würden (EMA 2022; WHO 2015). Dies würde sowohl zu einer erhöhten Behandlungssicherheit für die Patientinnen als auch zu einer forensischen Sicherheit bei den Verordnenden beitragen.