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Dieser Beitrag gibt eine Einführung in den Themenkomplex „Qualität der Arzneimittelversorgung“ und liefert hierzu eine konzeptuelle Rahmung. Es wird zunächst eine inhaltstheoretische Annäherung an den Qualitätsbegriff in der gesundheitlichen Versorgung vorgenommen (Versorgungsqualität) und dieser mit Beobachtungsbereichen und Handlungsebenen der Arzneimittelversorgung verbunden. Darüber hinaus werden struktur-, mess- und handlungstheoretische Zugänge der Qualitätssicherung und des Qualitätsmanagements eröffnet, um Anknüpfungspunkte für die Qualitätsbestimmung und Qualitätsgestaltung im Gesundheitswesen, insbesondere für den Bereich der Arzneimittelversorgung, aufzuzeigen. Ergänzend dazu werden ausgewählte Aspekte eines pharmazeutischen und therapeutischen Qualitätsbegriffs anwendungsbezogen näher betrachtet.
1 Einleitung
Die Arzneimittelversorgung im deutschen Gesundheitswesen steht nicht zuletzt aufgrund der hohen Arzneimittelausgaben der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen oftmals im Fokus des gesundheitspolitischen Diskurses. So belief sich der Arzneimittelumsatz (exkl. MwSt.) in deutschen Apotheken im Jahr 2021 auf 54,66 Mrd. €, wovon 51,21 Mrd. € (93,7 %) auf Arzneimittelverordnungen und lediglich 3,45 Mrd. € (6,3 %) auf die Selbstmedikation entfielen (ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. 2022, S. 82). Angesichts dieser enormen monetären Belastungen für die Kostenträger stellt sich folgerichtig die Frage, ob den hohen Ausgaben auch eine entsprechend hohe Qualität der damit erzeugten Angebotsprodukte sowie bereitgestellten und erbrachten Leistungsangebote gegenübersteht.
Dies wirft insbesondere die Frage auf, welche „Qualität“ denn genau bei der Arzneimittelversorgung in den Fokus genommen werden soll und wie diese darzustellen und zu gestalten wäre. Der Gesetzgeber hat sich hierzu bereits an zentraler Stelle in der Sozialgesetzgebung zur gesetzlichen Krankenversicherung geäußert. So konstatiert er in § 2 SGB V grundlegend, dass die „[…] Qualität und Wirksamkeit der Leistungen […] dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen“ haben. Zu diesen Leistungen zählt explizit auch die Versorgung mit verordnungspflichtigen Arzneimitteln. Besondere Relevanz erfährt der Aspekt des „medizinischen Fortschritts“ im Rahmen der frühen Nutzenbewertung für erstattungsfähige Arzneimittel nach § 35a SGB V, bei der neue Wirkstoffe gegenüber einer durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festgelegten zweckmäßigen Vergleichstherapie ihren Zusatznutzen nachweisen müssen. Gleichzeitig sind nach § 135a SGB V alle Leistungserbringer zur „[…] Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der von ihnen erbrachten Leistungen“ verpflichtet. So ist das Qualitätsthema, beginnend von der Entwicklung neuer Wirkstoffe über die Verordnung durch die am Versorgungsprozess beteiligten Ärztinnen und Ärzte bis zur Einnahme durch die Patientinnen und Patienten, mannigfach und vielgestaltig in die Prozesse und Institutionenvielfalt der Arzneimittelversorgung integriert. Konzepte traditioneller Qualitätssicherung, systematischer Qualitätsverbesserung und berufsfachlicher Qualitätsentwicklung durchdringen ganz selbstverständlich das Leistungs- und Versorgungsgeschehen. Zusätzlich haben in den letzten Jahren Verfahren der vergleichenden Qualitätsbeurteilung und -darstellung im Rahmen des Health Technology Assessments (HTA) national und international zunehmend Raum gewonnen, wie beispielsweise die Aktivitäten im Rahmen des European Network for Health Technology Assessment (EUnetHTA) zeigen (Kisser et al. 2022). In diesem Beitrag soll eine kurze Einführung bzw. konzeptuelle Rahmung der Qualitätsbestimmung und -gestaltung im Kontext der Arzneimittelversorgung gegeben werden.
2 Annäherung an den Qualitätsbegriff
Qualität ist keine Beobachtungsgröße, die allgemeingültig, absolut und vorhersehbar in Erscheinung tritt. Bereits in der begrifflichen Grundlegung trennt sich zum einen die wertneutrale Analyse und Erfassung von Merkmalen und Eigenschaften einer Beobachtungseinheit (Qualität als Beschaffenheitsbegriff) und zum anderen eine normativ-evaluative Konzeptualisierung im Sinne der Bildung von Wertmaßstäben und dazugehörenden Werturteilen (Qualität als Gütebegriff).
Qualität ist ein mehrdeutiges Konstrukt, das sich unter dem Einfluss verschiedener Anspruchsgruppen, sachlicher Erfordernisse und individueller Erwartungen unterschiedlich formt. Als normatives Konzept definiert es ein bestimmtes „Sollen“, das gesellschaftliche und persönliche Wertmaßstäbe zum Ausdruck bringt. Als pragmatisches Konzept steht es wiederum für das Bestreben, unterscheidbaren Anforderungen und Ansprüchen mit den gegebenen Möglichkeiten bzw. vorhandenen Fähigkeiten gerecht zu werden, gewissermaßen als bestmögliches „Können“ unter bestimmten Bedingungen und Voraussetzungen. Eine in dieser Weise zum Ausdruck gebrachte Relativität des Qualitätsbegriffs findet ihren sprachlichen Ausdruck auch im Begriff einer kontextbezogenen bzw. „optimalen“ Qualität, die sich von einer „maximalen“ Qualität, d. h. von einem idealisierten Qualitätsverständnis unterscheidet (Harteloh 2003).
Nähert man sich einer wie auch immer zu bestimmenden „Qualität der Arzneimittelversorgung“, so fügt sich diese ein in ein übergeordnetes Verständnis von Versorgungsqualität (Quality of Care), mit der verallgemeinernd sowohl die „Qualität des Gesundheitsversorgungssystems“ als auch die „Qualität der Gesundheitsleistungen“ im Rahmen der individuellen und einzelbetrieblichen Leistungserbringung begrifflich gefasst wird. Versorgungsqualität umfasst subjektive Aspekte, die durch die verschiedenen Kundinnen- und Kundengruppen der Versorgungsleistung festgelegt und wahrgenommen werden (subjektiver Qualitätsbegriff). Auch objektive bzw. objektivierbare Aspekte, die durch Leistungsanbieter und Leistungserbringer (z. B. Krankenhäuser, Fachkräfte) oder andere „zuständige Dritte“ (z. B. Zulassungsbehörden, Qualitätsinstitute) bestimmt und beurteilt werden (objektiver Qualitätsbegriff), fallen darunter.
Mit der Fokussierung auf die Arzneimittelversorgung wird gewissermaßen eine „Teil-“Qualität oder ein inhärentes Merkmal der Versorgungsqualität im Gesundheitswesen in den Blick genommen; ein Qualitätsaspekt, der sich der gleichen Anspruchs- und Erfüllungslogik eines auf die gesundheitliche Versorgung bezogenen Qualitätsverständnisses bedient und dabei gleichzeitig besondere und verschiedenartige Beobachtungsbereiche und Handlungsebenen facettenreich umschließt (Abb. 2.1).
Der Qualitätsaspekt umfasst mehrere Stationen (z. B. Entwicklung und Produktion von Arzneimitteln, Vertrieb und Bereitstellung von Arzneimitteln, Applikation und Einnahme von Arzneimitteln), unterschiedliche Akteure (z. B. pharmazeutische Industrie, Apotheken, verordnende Ärztinnen und Ärzte), zum Teil gegensätzliche Interessen (z. B. gesellschaftlich, politisch, wirtschaftlich, berufsfachlich, wissenschaftlich) und etliche Instanzen eines hochregulierten Gesundheitsmarkts (z. B. Bundes- und Landesgesetzgeber, Gemeinsamer Bundesausschuss, Zulassungsbehörden). Es geht um die Erzeugung von Gütern und Waren (Produkt- und Produktionsqualität) sowie um die Erbringung von versorgungsrelevanten Dienstleistungen (Dienstleistungs- und Beziehungsqualität).
2.1 Modelltheoretische Zugänge zum Qualitätsbegriff
Um ein Konzept wie das der Versorgungsqualität fassen und bestimmen zu wollen, muss theoretische Vorarbeit geleistet werden. Bezugsgrößen hierfür liefern Qualitätsanforderungen, d. h. Aussagen über die erwartete oder erforderliche Beschaffenheit der jeweils zu betrachtenden Leistungseinheit, die in einem Qualitätsmodell beobachtet und gemessen werden soll. In den allermeisten Fällen machen Qualitätsmodelle inhaltstheoretische Aussagen zu grundsätzlichen und wünschenswerten Anforderungen an die Versorgungsqualität und führen diese listenartig als Kriterien auf. Nahezu übereinstimmend finden sich in der Literatur dazu (Donabedian 1988, 1990; Maxwell 1992; Campbell et al. 2000; IOM 2001; Evans et al. 2001; Arah et al. 2006; Allen-Duck et al. 2017): Wirksamkeit (Efficacy, Effectiveness), Wirtschaftlichkeit (Efficiency, Economy), Zugang zur Versorgung (Accessibility, Access to care), Sicherheit (Safety), Gleichheit (Equity, Fairness), Angemessenheit (Appropriateness, Relevance to Need), Patientinnen- und Patientenorientierung (Social Acceptibility, Patient-Centeredness, Responsiveness), Zufriedenheit (Satisfaction), Kontinuität (Continuity of Care, Integrated Care) oder Rechtzeitigkeit (Timeliness).
Prozesstheoretische Aspekte über Wirkzusammenhänge oder prognostische Aussagen über die tatsächlich zu erreichende Qualität bleiben damit weitgehend unberücksichtigt. Qualitätsaussagen dieser Art liefern aber den wissenschaftlich geleiteten Referenzrahmen für ein Qualitätsverständnis, das von möglichst allen an der Versorgung Beteiligten geteilt und getragen wird. Derart multidimensionale Qualitätsaussagen üben gewissermaßen eine „Leitplankenfunktion“ für die im Einzelnen vorzunehmende Spezifizierung von Versorgungsqualität aus (Reerink 1990).
Wird gesundheitliche Versorgung entlang der in der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung gebräuchlichen Gliederung aggregierter Gestaltungs- und Handlungsebenen betrachtet, so wird in der Regel zwischen einer gesamtgesellschaftlichen (Makroebene), intra- und interorganisationalen (Mesoebene) und individuell-interaktionellen Handlungs- und Gestaltungsebene (Mikroebene) unterschieden. Die drei Ebenen sind jedoch nicht eindeutig durch benennbare Umschlagpunkte gegeneinander abgrenzbar; sie sind viel eher durch Übergangsbereiche miteinander verbunden, in die sich die Qualitätsbegriffe der Makro- und Mikroqualität einbetten lassen. Makroqualität bildet sich als Funktion politischer Willensbildung, staatlichen Steuerungshandelns und interorganisationalen Markthandelns im Übergangsraum von Meso- und Makroebene heraus (Meso-Makro-Integration). In gleicher Weise materialisiert sich am Übergang von der einzelfallbezogenen Leistungserbringung zur Gestaltung des dafür notwendigen Leistungsrahmens (Versorgungs- und Betreuungsorganisation) ein gemeinsamer Struktur- und Wirkort (Meso-Mikro-Integration), in dem die Qualitätsbestimmung als Mikroqualität in Erscheinung tritt (vgl. Hensen 2018, S. 25).
Die makrodimensionale Konzipierung von Qualität widmet sich beispielsweise der Frage, ob die benötigten und nachgefragten Versorgungsleistungen wirksam und effizient zum Einsatz kommen (allokative Effizienz), ob Zugänge zum Versorgungssystem benachteiligungsfrei und bedarfsgerecht ermöglicht werden (Verteilungsgerechtigkeit), ob ein ausreichendes und zweckmäßiges Leistungsangebot sichergestellt wird (Leistungssicherheit) oder ob die Leistungsangebote dem aktuellen Stand von Forschung und Technik sowie dem sozialen Bedarf entsprechen (Angemessenheit). Ein mikrodimensionales Qualitätsverständnis materialisiert sich dagegen auf der einzelbetrieblichen Ebene der Leistungserbringung und wird durch die konkret fachliche Handlungslogik der Fachkräfte bzw. Gesundheitsberufe sowie durch die organisationsbezogene und betriebswirtschaftlich geprägte Managementlogik der leistungserbringenden Institution geprägt (vgl. Matul und Scharitzer 2002, S. 537; Meinhold und Matul 2011, S. 99). Modelltheoretisch wird mit den Begriffen Mikro- und Makroqualität eine Systematisierung angeboten, versorgungsrelevante Qualitätskriterien der ausführenden Leistungsebene (Qualität der Gesundheitsleistung) und der übergeordneten Versorgungssystemebene (Qualität der Gesundheitsversorgung) zuordnen und gegenüberstellen zu können (Abb. 2.2).
Als Strukturierungshilfe für die Qualitätsbestimmung im Gesundheitswesen wird üblicherweise die sequenzielle Gliederungssystematik nach Donabedian herangezogen, mit der die Leistungserbringung (i. e. S. die Versorgungsleistung) anhand ihrer Struktur-, Prozess- und Ergebnismerkmale aufgefächert wird (Donabedian 1966, 1980, S. 81 ff.). Diese Trichotomie bietet zwar keine Definition von Qualität an sich; wohl aber eine brauchbare Operationalisierung des Qualitätsbegriffs, wie hier exemplarisch am Beispiel von pharmazeutischen Interventionen durch Stationsapothekerinnen und -apotheker, die alle Aufgaben im Bereich der Klinischen Pharmazie wahrnehmen (Díaz de León-Castañeda et al. 2019), gezeigt wird:
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Strukturqualität (Structure): Sie betrachtet die strukturellen Voraussetzungen, die für die Arzneimittelversorgung notwendig sind. Hierunter werden sämtliche personenbezogenen Voraussetzungen (z. B. Qualifikation, Fähigkeiten des Apothekenpersonals), materielle Elemente (z. B. Verfügbarkeit der benötigten Gebrauchs- und Verbrauchsgüter, bauliche, räumliche und apparative Ausstattung), aber auch organisatorische Elemente (z. B. Bereitstellung einer geeigneten Aufbauorganisation, Bekanntheitsgrad des pharmazeutischen Service innerhalb einer Klinik) der jeweils zu betrachtenden Leistungseinheit gefasst („Über die richtigen Voraussetzungen verfügen“).
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Prozessqualität (Process): Sie betrachtet alle Aktivitäten, Tätigkeiten und Handlungen der versorgungsrelevanten Leistung (z. B. Bereitstellen der Arzneimittel), d. h. die dazugehörigen Teilprozesse (z. B. Beratung hinsichtlich der patientenindividuellen und -optimierten Auswahl, Dosierung und Applikation von Arzneimitteln sowie das Screening von Verordnungen hinsichtlich Arzneimittelinteraktionen und -nebenwirkungen) und Unterstützungsprozesse (z. B. Beschaffung der Arzneimittel durch die Klinikapotheke). Prozessqualität bezieht sich auf die Art und Weise der Leistungserbringung (z. B. Ablauforganisation) hinsichtlich ihrer zeitlichen und sachlichen Erforderlichkeit inklusive der Einhaltung von Vorgaben und Beachtung von Standards („Das Richtige richtig tun“).
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Ergebnisqualität (Outcome): Sie betrachtet die Resultate hinsichtlich ihrer (pharmazeutischen) Zielerreichung (z. B. Veränderung des Gesundheitszustands der Patientinnen und Patienten). Ergebnisqualität bezieht sich auf Versorgungsendpunkte (z. B. Lebensqualität) oder auf sog. Surrogatparameter (z. B. Verbesserung einer Körperfunktion, Vermeidung von Schäden). Sie kann objektivierbare Veränderungen (z. B. Reduktion der Krankheitsprogression) oder subjektive Bewertungen (z. B. Patientinnen- und Patientenzufriedenheit, Zufriedenheit des medizinischen Personals auf Station mit der pharmazeutischen Intervention) umfassen („Den angestrebten, erreichbaren Zustand erreichen“).
Diese Art der Konzeptualisierung (Three-Part-Approach) orientiert sich an dem produktionstheoretischen Grundsatz, nach dem Leistungen – so auch Gesundheits- und Versorgungsleistungen – durch das Zusammentreten von Potenzialität und Performanz ein komplexes, mehrdimensional zu bewertendes Produkt (Leistungsbündel) bilden (vgl. Kleinaltenkamp 2001, S. 40). Das Hinzuziehen von Anforderungen (Qualitätsanforderungen) und die damit in Verbindung stehende Bestimmung, ob und inwieweit diese Anforderungen erfüllt werden (Qualitätsmerkmale), begründet den Gebrauch des Fachbegriffs „Qualität“. Diese Gliederungssystematik ist eine bis heute gebräuchliche Referenzfolie für die Qualitätsbestimmung auf allen Ebenen und in allen Beobachtungsbereichen des Gesundheitswesens. Sie ist anschlussfähig an die Produktions-, Dienstleistungs- und Prozesstheorie (Meyer und Mattmüller 1987; Fließ et al. 2005, S. 397) und liefert ein universales Werkzeug, um bereichs- und branchenspezifische Konkretisierungen, auch ihres räumlich-zeitlichen Ergebnisgehalts (z. B. individuelle Langzeitergebnisse als personenbezogener Outcome, gesellschaftliche Folgen als regionaler Impact) vorzunehmen. Die Gliederungssystematik betrachtet explizit jedoch nicht die verschiedenen Akteure mit ihren unterscheidbaren Anforderungen, sodass eine Anforderungsebene ergänzend zur Leistungsebene eingezogen werden muss (Abb. 2.3).
Mit der Unterscheidung von „Kundenbezogener Qualität“, „Professionsbezogener Qualität“ und „Managementbezogener Qualität“ werden drei Qualitätsbegriffe voneinander unterschieden (Øvretveit 1992; Piligrimiene und Buciuniene 2008), mit denen Anforderungen aus verschiedenen Perspektiven gegliedert und konkretisiert werden können (Attree 1996). Zu jedem Element der sequentiellen Gliederungssystematik lassen sich spezifische Erfordernisse und Erwartungen formulieren, deren Erfüllung im Rahmen der Qualitätsbestimmung geprüft wird.
Die Kundenbezogene Qualität zielt auf die Erfüllung der von den Leistungsempfangenden und Adressaten der Leistungsangebote (z. B. Patientinnen und Patienten) gestellten Wünsche und Erwartungen (z. B. an die spezifische Arzneimitteltherapie). Es sind die Anforderungen, die situations- und interaktionsübergreifend an die Leistungsangebote (z. B. Verfügbarkeit bestimmter Arzneimittel) oder individuell an die konkrete Leistungserbringung (z. B. Verordnung eines bestimmten Produkts) gestellt werden. Daneben entspricht die Professionsbezogene Qualität den Anforderungen bzw. den Vorstellungen und Möglichkeiten, die von den Angehörigen der Gesundheitsberufe bzw. den Fachkräften an die Versorgung gerichtet werden. Sie umfasst Festlegungen darüber, welche Versorgungsangebote und-leistungen den Bedürfnissen und dem Bedarf der Kundinnen und Kunden bzw. Patientinnen und Patienten entsprechen (z. B. leitliniengerechte Arzneimitteltherapie), ebenso wie die richtigen Vorgehensweisen und Mittel, die angewendet werden sollen, um im Einzelfall den Bedarfen, Wünschen und Erwartungen gerecht zu werden (z. B. Auswahl und Anwendung eines Arzneimittels). Grundlage hierfür liefert ein in der Regel kodifiziertes und explizites Professionswissen (z. B. Studiendaten, Expertenstandards) wie auch ein informelles und implizit-praktisches Handlungs- und Erfahrungswissen. Die Managementbezogene Qualität entspricht den Anforderungen an die Bereitstellung und Organisation der Ressourcen und Verwendungsmittel, die innerhalb des institutionellen Leistungsrahmens notwendig sind, um sowohl den individuellen Wünschen und Erwartungen als auch den Bedarfen und versorgungsrelevanten Erforderlichkeiten entsprechen zu können (z. B. Organisation des Arzneimittelmanagements, nötige und mögliche Arzneimittelbeschaffung). Diese Anforderungsperspektive zielt auf einen möglichst produktiven und effizienten Mitteleinsatz unter Beachtung der Erfordernisse übergeordneter Stellen (z. B. gesetzliche Festlegungen, behördliche Auflagen) oder anderer gesellschaftlicher (indirekter) Anspruchsgruppen (z. B. Spezifikation des Versorgungsauftrags).
2.2 Messtheoretische Zugänge zur Qualitätsbestimmung
Qualität selbst ist keine Größe, die auszumessen wäre, sondern vielmehr eine Aussage, die ein Verhältnis bestimmt. Qualitätsbestimmung bedeutet, wichtige Elemente der Versorgung sichtbar zu machen, d. h. ihre Eigenschaften (auch: Merkmale) zu ermitteln und Ausprägungen zu messen, und sie sodann in Beziehung zu der Vielzahl der dazu existierenden Vorstellungen (auch: Anforderungen) zu setzen. Die Qualitätsbestimmung gibt somit Auskunft über die Beschaffenheit wie über die Erfüllung, den Erfüllungsgrad oder aber die Nicht-Erfüllung von Qualitätsanforderungen. Konzepte wie Qualitätssicherung und -management oder die Beurteilung der Versorgungsqualität, resp. Qualität der Arzneimittelversorgung, wären ohne entsprechende Feststellungen undenkbar. Dies gilt in makro- wie in mikrodimensionaler Betrachtung.
Die modellhafte Formulierung von Qualitätskriterien macht deutlich, dass Qualitätsbestimmung nicht bedeutet, jedes erdenkliche und messtheoretisch erfassbare Merkmal abzubilden, sondern lediglich jene Eigenschaften, die sich unmittelbar auf eine qualitätsrelevante Anforderung („Soll“-Konzept) beziehen. Der Begriff „Kriterium“ wird allerdings uneinheitlich definiert und abstrahiert (Donabedian 1981). Er kann sowohl den Charakter einer übergeordneten Wertaussage (z. B. Angemessenheit der Versorgung) annehmen als auch den einer formal umschriebenen Qualitätsanforderung, die sich auf messbare Merkmale des Versorgungsgeschehens bezieht (z. B. leitliniengerechtes Handeln). Mess- und merkmalstheoretisch gelten Kriterien auch als „Eigenschaften, deren Erfüllung typischerweise bei einer qualitativ hochwertigen Versorgung erwartet wird.“ (Geraedts et al. 2002). In einem enger gefassten Verständnis liefert ein Qualitätskriterium also einen konkreten Wertmaßstab und die Vorstellung von einem definierten Zielausmaß (Referenzgröße) des zu erfüllenden Qualitätsmerkmals. Nur mithilfe eines festgelegten Zielausmaßes sind letztendlich Aussagen darüber möglich, ob und wann eine Versorgungsleistung als „zugänglich“, „bedarfsgerecht“ oder „angemessen“ bzw. ein zu beurteilendes Arzneimittel als „wirksam“, „sicher“ oder „verkehrsfähig“ im Sinne einer „hochwertigen Versorgung“ bezeichnet werden kann.
Die Beurteilung qualitätsrelevanter Merkmale erfolgt in der Regel anhand von Qualitätsindikatoren. Ein Indikator ist eine Kenngröße, mit deren Hilfe unmittelbar nicht wahrnehmbare Zusammenhänge und Komplexe ausschnittsweise und stellvertretend abgebildet werden können. Es besteht eine „hypothetische Beziehung“ zwischen dem gemessenen Indikator (z. B. Anzahl von unerwünschten Ereignissen) und der abzubildenden Variable (z. B. Sicherheit als Kriterium der Qualität der Arzneimittelversorgung), sodass ein indirektes Bild der Qualität des jeweiligen Sachverhalts erzeugt wird (JCAHO 1991; Idvall et al. 1997; Altenhofen et al. 2002). Indikatoren liefern Daten, aus denen Informationen über den Zustand eines Versorgungsaspekts oder Qualitätsmerkmals gewonnen werden können (z. B. Auftreten von Medikationsfehlern, Einhaltung von Standards). Ohne festgelegte Referenzgrößen werden Kenngrößen dieser Art mitunter auch als Kennzahlen oder Qualitätskennzahlen bezeichnet. Bei Hinzuziehung einer vorher definierten Referenzgröße zeigt der so ermittelte Merkmalswert dagegen an, ob oder in welchem Maße eine umschrieben gestellte Anforderung (z. B. Vermeidung von Medikationsfehlern) erfüllt ist oder eine (vorher definierte kritische) Abweichung vorliegt. Diese Zusammenhänge werden in einem einfachen Modell der Qualitätsbestimmung skizziert (Abb. 2.4). Darin bilden Anforderungen („Soll“-Konzept) und Merkmale („Ist“-Konzept) das Theoriekonzept, die messbaren Merkmale und die Indikatoren das Bestimmungskonzept.
Grundsätzlich setzt ein Indikator (oder eine Kennzahl) metrische Eigenschaften voraus und bildet einen Zahlenwert (Mainz 2004). Mit Indikatoren werden Teilaspekte des Leistungsgeschehens sichtbar, sodass Qualitätsaussagen zu einem bestimmten Versorgungsausschnitt (z. B. Arzneimitteltherapiesicherheit) möglich werden. Die Annäherung an ein komplexes Konstrukt (z. B. Qualität der Arzneimittelversorgung im Gesundheitswesen) im Sinne einer Gesamtbetrachtung wäre letztendlich nur durch die Verwendung mehrerer, nebeneinander zu betrachtender Indikatoren bzw. durch die Bildung von Indikatorprofilen oder Indikatorensets denkbar.
Die Aussagekraft eines Indikators (oder eines Indikatorprofils) ist stets an methodische Merkmale gekoppelt. Zunächst ist ein inhaltliches Verständnis für die Strukturen und Prozesse, die seine Ausprägung determinieren, notwendig (Kazandjian 1991). Zusätzlich zu dieser „Ortskenntnis“ gelten als methodische Anforderungen üblicherweise: die Relevanz und der Nutzen für die Gesundheitsversorgung und Qualitätsverbesserung, die wissenschaftliche Güte des Indikators (z. B. Genauigkeit, Zuverlässigkeit, Unterscheidungsfähigkeit etc.) sowie Praktikabilitätskriterien wie z. B. die Möglichkeit, die gewünschte Indikatorausprägung überhaupt und mit vertretbarem Aufwand ermitteln zu können (Schyve 1995; Groene 2006; Reiter et al. 2008; Lüngen und Rath 2011; Schmitt et al. 2013). Die Konkretisierung und Auswahl dieser Anforderungen orientiert sich dabei immer am jeweiligen Einsatzbereich und gewählten Messansatz. So sollten Indikatoren beispielsweise unterschiedlich in der Lage sein, entweder alle problematischen Fälle zu erfassen und falsch-negative Ergebnisse zu vermeiden (hohe Sensitivität), wie dies beim Monitoring-Ansatz verfolgt wird, oder „gute“ von „schlechter“ Qualität unterscheiden zu können und dabei falsch-positive Befunde zu vermeiden (hohe Spezifität), wie dies bei Evaluations-Ansätzen beabsichtigt ist (Schrappe 2017).
2.3 Handlungstheoretische Zugänge zur Qualitätsgestaltung
Handlungstheoretisch lassen sich zwei methodische Grundhaltungen identifizieren (Verbeck 1998; Ruckstuhl et al. 2001), welche in ihrer praktischen Anwendung untrennbar miteinander verbunden sind. Bei der ersten geht es grundsätzlich darum, festgelegten, allgemein gültigen oder vereinbarten Qualitätsanforderungen zu entsprechen („Erfüllungsparadigma“ der QualitätssicherungFootnote 1). Dahinter stehen Aktivitäten, die – als retrospektive Qualitätssicherung bezeichnet – im Rahmen des Leistungsgeschehens eine prüfende Funktion erfüllen und Anpassungen „im laufenden Betrieb“ ermöglichen (Qualität durch Kontrolle und Korrektur); wie auch Maßnahmen, die – als vorbeugende Qualitätssicherung bezeichnet – präventive Maßnahmen der Fehlervermeidung und vorausschauende Maßnahmen zur Einhaltung definierter Qualitätsstandards bereithalten (Qualität durch Standardisierung und Korrektur- bzw. Vorbeugungsmaßnahmen). Aktivitäten dieser Art sind vielfach bereits Bestandteil eines professionellen oder kundenorientierten Selbstverständnisses, ohne dass sie zwangsläufig mit einem besonders zu benennenden Qualitätskonzept in Verbindung gebracht werden (z. B. Zählkontrollen im OP, Vier-Augen-Prinzip beim Stellen von Medikamenten).
Die zweite Grundhaltung zielt auf Veränderungen von Zuständen, Voraussetzungen und Bedingungen mit dem Ziel, die messbare Qualität der Leistungen auf ein höheres Niveau zu heben („Optimierungsparadigma“ der Qualitätsverbesserung). Eine solche Qualitätsverbesserung orientiert sich in einem eng gefassten Verständnis an der Optimierung der vorhandenen Ressourcen, Vorgehensweisen und Mittel („Steigern der Leistungsfähigkeit“). In einem weiter gefassten Verständnis umfasst sie alle Aktivitäten und ergriffenen Maßnahmen zur Erhöhung der Effektivität und Effizienz des Leistungs- und Handlungsrahmens, mit der ein zusätzlicher Nutzen für die Versorgung und ihrer Adressaten erreicht werden soll („Steigern der Leistung“). Werden Veränderungen nicht nur anlassbezogen und problemorientiert in Form von Einzelmaßnahmen realisiert, sondern planvoll und regelmäßig auf Grundlage einer qualitätsbezogenen Haltung durchgeführt, wird von ständiger oder kontinuierlicher Qualitätsverbesserung gesprochen.
Als integrierende Klammer für diese handlungsorientierten Grundhaltungen hat sich der vergleichsweise junge Begriff des Qualitätsmanagements etabliert, der im Sinne eines „leitenden und lenkenden“ Gestaltungsansatzes („Management von Qualität“) die vorgenannten Prinzipien miteinander vereint. Qualitätsmanagement bringt in einem institutionellen Kontext – vor allem in der Konnotation eines Umfassenden Qualitätsmanagements (auch: Total Quality Management, TQM) – die unternehmerische bzw. einrichtungsinterne Perspektive der Qualitätsgestaltung zum Ausdruck und versteht Qualität als eine organisationsweite Führungs- und Unternehmensstrategie (Dotchin und Oakland 1992; Zink und Schildknecht 1994). Diesen eher konzepthaft gefassten Ansätzen der Qualitätsgestaltung können je nach Nomenklatur und Taxonomie eine Vielzahl von Unter- bzw. Querschnittsaufgaben (z. B. Qualitätsmessung, Qualitätsbewertung) zu- und untergeordnet werden.
Als ein gemeinsames Merkmal weisen die hier genannten „Wirkkonzepte der Qualitätsgestaltung“ (Hensen 2019, S. 102) einen hohen Systematisierungsgrad auf, der sich durch analytische (die Ausgangslage untersuchende) und intentionale (ziel- und zwecksetzende) Elemente bei der Realisierung qualitätsrelevanter Anforderungen auszeichnet. Dieser orientiert sich durchgängig am Prinzip der methodisch geleiteten Bemessung, Bewertung und Beurteilung („Evaluationsparadigma“ der Qualitätsgestaltung) entweder im Sinne der Überwachung des unmittelbaren Leistungsgeschehens (operative Evaluation) oder im Sinne der Erfolgskontrolle von Plan- und Zielgrößen (strategische Evaluation). Die Zusammenhänge von Analyse und Zielplanung, Ausführung und Überwachung sowie Messung und Beurteilung des Geschehens bzw. der Resultate treten funktional als Kreislaufmodell in Erscheinung und werden im Qualitätswesen modellhaft als PDCA-Zyklus („Plan-Do-Check-Act“) gefasst (Deming 1982). Konzeptübergreifend verfolgt eine solche Systematisierung stets die gleichen Absichten: das Definieren von Inhalten, Zielen und Teilzielen (für die Versorgung), das Planen und Verwirklichen von Durchführungs-, Überwachungs-, Mess-, Analyse- und Verbesserungsmaßnahmen, die Überprüfung und das Bewerten von Daten und Resultaten sowie das Treffen der richtigen Schlussfolgerungen und die Ableitung von Konsequenzen.
3 Qualitätsbezogene Aspekte der Arzneimittelversorgung
Die eingangs vorgenommene Unterscheidung in Produkt- und Dienstleistungsqualität (vgl. Abb. 2.1) kann anwendungsbezogen für die Arzneimittelversorgung in die Begriffssphären einer „pharmazeutischen Qualität“ (Entwicklungs-, Herstellungs- und Produktqualität von Arzneimitteln im Allgemeinen) und der „therapeutischen Qualität“ (Bereitstellungs-, Anwendungs- und Behandlungsqualität von Arzneimitteln im Einzelnen) überführt werden. Beide Begriffssphären lassen makro- wie mikrodimensionale Einordnungen zu und sind anschlussfähig an die zuvor vorgestellten mess- und handlungstheoretischen Zugänge der Qualitätsgestaltung gesundheitlicher Versorgung. Beispielhaft und stellvertretend werden im Folgenden ausgewählte Aspekte eines solchen pharmazeutischen und therapeutischen Qualitätsbegriffs näher betrachtet.
In § 4 Abs. 15 Arzneimittelgesetz (AMG) wird Qualität lediglich als „[…] die Beschaffenheit eines Arzneimittels, die nach Identität, Gehalt, Reinheit, sonstigen chemischen, physikalischen, biologischen Eigenschaften oder durch das Herstellungsverfahren bestimmt wird“ beschrieben und bezieht sich somit zunächst auf produktionsbezogene Aspekte. Es steht außer Frage, dass die Arzneimittelherstellung strengen gesetzlichen Vorgaben unterliegen muss, da Produktions- und Produktmängel schwerwiegende Konsequenzen für die Patientinnen und Patienten zur Folge haben können. Aus diesem Grund bedarf „[d]ie Herstellung von Arzneimitteln […] nicht nur einer behördlichen Erlaubnis, sondern vor allem eines umfassenden, durchgängigen Qualitätssicherungssystems. Sämtliche Vorgänge und deren Funktionstüchtigkeit müssen engmaschig kontrolliert und dokumentiert werden. Hierbei müssen die Vorschriften der Guten Herstellungspraxis (Good Manufacturing Practice, GMP) beachtet werden“ (Blasius 2014, S. 54). Dazu zählen insbesondere die Überprüfung der bei der Produktion verwendeten Rohstoffe, die Inprozesskontrollen und die Chargenkonformität, damit die pharmazeutische Qualität für jede Produktionseinheit konstant bleibt.
Doch Qualitätssicherung beginnt schon sehr viel früher, zu einem Zeitpunkt, an dem sich ein neuer Wirkstoff noch in der Entwicklungsphase befindet. Für die Prüfung der Unbedenklichkeit und Wirksamkeit zeichnen zunächst die nationalen (in Deutschland das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bei Humanarzneimitteln bzw. das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel) oder übergeordneten Zulassungsbehörden verantwortlich. So können im Rahmen eines zentralisierten Zulassungsverfahrens pharmazeutische Unternehmen auch eine EU-weite Zulassung bei der European Medicines Agency („Centralised Procedure“, Verordnung (EG) Nr. 726/2004) beantragen. Die für die Arzneimittelzulassung zuständigen Bundesoberbehörden bzw. die Europäische Arzneimittel-Agentur prüfen aus Kostengründen jedoch nur die von den Herstellern eingereichten Unterlagen und führen selbst keine prospektiven Untersuchungen in Form von randomisierten klinischen Studien zur Bestimmung der Wirksamkeit (Efficacy) und Unbedenklichkeit/Sicherheit (Safety) durch. Hier offenbart sich bereits ein Trade-off, da es kein allgemeingültiges absolutes Maß für die Sicherheit (z. B. im Sinne akzeptierter Nebenwirkungen) geben kann, da diese stets im Kontext des jeweiligen Indikationsgebiets und der Krankheitsschwere zu betrachten ist. Die „Qualität“ eines Arzneimittels kann somit nur einzelfallbasiert, d. h. für einen bestimmten Anwendungsbereich, im Rahmen einer Nutzen-Risiko-Analyse beurteilt werden (Hart 2005; Schultz-Heienbrok 2019, S. 87 ff.).
Grundsätzlich ergeben sich aus der Tatsache, dass Arzneimittel ausschließlich in einer streng kontrollierten klinischen Umgebung (Setting) entwickelt und erprobt werden, im Rahmen der praktischen Anwendung Diskrepanzen, da zwischen dem maximalen therapeutischen Effekt unter optimalen Studienbedingungen (Efficacy) und der Wirksamkeit im Alltag (Effectiveness) zu unterscheiden ist. So kann auf Basis klinischer Studien von einer höheren Efficacy ausgegangen werden als bei der Anwendung unter realen Bedingungen, bei der die Effectiveness durch patientenindividuelle Faktoren (z. B. mangelnde Compliance, Arzneimittelinteraktionen aufgrund von Polymedikation) geringer ausfällt (Singal et al. 2014).
Allein die Tatsache, dass ein Hersteller eine Zulassung erlangt hat, ermöglicht es den Ärztinnen und Ärzten aber noch nicht, das Medikament im Rahmen der Versorgung zu verordnen. Je nach Land sind zunächst noch im Rahmen des Marktzugangs („Market Access“) weitere Verfahren zu durchlaufen, um die Erstattungsfähigkeit des Präparats durch die Kostenträger sicherzustellen. Ein weiterer Qualitätsaspekt ist in diesem Kontext der Zugang zur Versorgung (Accessibility), der auch im Rahmen internationaler Gesundheitssystemvergleiche eine zunehmend zentrale Rolle spielt. So bezieht beispielsweise der Euro Health Consumer Index den Zugang zur Versorgung mit innovativen Arzneimitteln (Access to new drugs (time to subsidy)) in die Bewertung mit ein. Hier zeichnet sich für Deutschland ein grundsätzlich positives Bild hinsichtlich der Qualität des Zugangs und der Arzneimittelversorgung in ausgewählten Indikationsgebieten ab (Health Consumer Powerhouse 2019, S. 28).
Zum Zeitpunkt der Markteinführung sind die pharmazeutischen Unternehmen in Deutschland verpflichtet, im Rahmen der frühen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V ein Nutzendossier beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) einzureichen. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) führt im Auftrag des G-BA anschließend eine Nutzenbewertung durch, bei der insbesondere patientenrelevante Endpunkte der Arzneimitteltherapie (d. h. Mortalität, Morbidität, Lebensqualität und Unerwünschte Ereignisse) im Fokus der Betrachtung stehen und auf deren Basis der G-BA eine Entscheidung über einen möglichen Zusatznutzen des innovativen Präparates trifft (Penske 2020, S. 266 ff.; Anton et al. 2020, S. 286 f.). Im Rahmen der frühen Nutzenbewertung kommt es somit auch auf die sozialrechtliche Interpretation der Qualität von Arzneimitteln an, die sich entsprechend am § 12 SGB V („Wirtschaftlichkeitsgebot“) orientiert, um die Solidargemeinschaft der Versicherten vor einer finanziellen Überforderung zu schützen. Das Ergebnis der Nutzenbewertung ist in der sich daran anschließenden Preisverhandlung zwischen den Herstellern und dem GKV-Spitzenverband ein wichtiger Anhaltspunkt, um eine wirtschaftliche Arzneimittelversorgung (Cost Effectiveness) der Versicherten sicherzustellen, wenngleich ein direkter Zusammenhang zwischen dem Ergebnis der Nutzenbewertung und den verhandelten Erstattungspreisen nicht immer gegeben sein dürfte (Radic et al. 2018; Theidel und Graf von der Schulenburg 2016).
Aus dem Zusammenspiel von Anforderungen an die Zulassungsstudien einerseits und den Anforderungen des G-BA/IQWiG im Rahmen der frühen Nutzenbewertung andererseits entstehen auch ökonomische Spannungsfelder, da die pharmazeutischen Unternehmen die „Qualität“ ihrer Präparate in der Regel auf Basis der Zulassungsstudien begründen und darauf auch entsprechend ihre Preisvorstellungen stützen, die „reale Qualität“ im Sinne der Real-World-Effectiveness aber aufgrund der zuvor geschilderten Aspekte geringer ausfallen kann, was zu einer Situation hoher Arzneimittelpreise bei gleichzeitig vermindertem klinischem Nutzen führen kann.
Andererseits können sich durch die regulatorischen und sozialrechtlichen Anforderungen auch Probleme hinsichtlich der Verfügbarkeit von Medikamenten ergeben. So konnten zahlreiche Arzneimittel (u. a. im Indikationsgebiet Diabetes) im Rahmen der frühen Nutzenbewertung keinen Zusatznutzen erlangen, woraufhin die pharmazeutischen Unternehmen die betreffenden Produkte vor dem erfolgreichen Abschluss der Preisverhandlungen wieder aus dem deutschen Markt zurückgezogen haben (Opt-out gemäß § 4 Abs. 7 Rahmenvereinbarung nach § 130b Abs. 9 SGB V). Wenngleich oftmals auch substitutive Therapieverfahren zugänglich sind, kann über die Angemessenheit (Relevance to Need) dieses Vorgehens kritisch diskutiert werden (Staab et al. 2018). Da innovative Präparate bereits mit Markteinführung (und somit vor Abschluss der Nutzenbewertung) verordnet werden können, bedingt eine denkbar frühe Einstellung auf neue Wirkstoffe vor dem Vorliegen des Ergebnisses der Nutzenbewertung ggf. eine Therapieumstellung der betroffenen Patientinnen und Patienten, die sich negativ auf die Versorgungsqualität auswirken kann und entsprechende Folgekosten durch Umstellungskomplikationen verursacht (Gallwitz und Müller-Wieland 2017).
Im Rahmen der ambulanten und stationären Versorgung spielt die Arzneimitteltherapie wiederum eine besondere Rolle. Aus der Perspektive der behandelnden Ärztinnen und Ärzte ist die Arzneimittelverordnung zunächst eine effiziente und niedrigschwellige Therapieform. Der einzelne Arzt oder die einzelne Ärztin „[…] kann dabei auf den medizinischen Sachverstand, die Fertigungstechnik und die Qualitätssicherung anderer, nämlich der [pharmazeutischen] Industrie, der Apotheker, der Zulassungsbehörden zurückgreifen und entlastet sich insofern teilweise von Risiken und Komplikationen eigener unmittelbarer Leistungen“ (Hajen et al. 2017, S. 220).
Der Medikationsprozess selbst bildet ein komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Prozessschritte und kann wie folgt unterteilt werden (Aly 2015, S. 100 f.):
-
Arzneimittelanamnese,
-
Verordnung/Verschreibung,
-
Information der Patientinnen und Patienten,
-
Selbstmedikation,
-
Verteilung/Abgabe,
-
Anwendung (Applikation/Einnahmen)
-
Dokumentation
-
Therapie-Überwachung/Arzneimitteltherapiesicherheits-Prüfung,
-
Kommunikation/Abstimmung,
-
Ergebnisbewertung.
Eine qualitativ hochwertige Arzneimitteltherapie kann letztlich nur unter adäquater intra- und interprofessioneller Kooperation aller am Medikationsprozess beteiligten Personen gelingen. Dabei „[…] soll sichergestellt werden, dass die Patientinnen und Patienten auch beim Auftreten nicht vorhersehbarer Ereignisse vor Risiken bei der Arzneimitteltherapie geschützt werden“ (Bundesministerium für Gesundheit 2021, S. 8). Somit müssen alle Handlungen auch vor dem Aspekt der Patientenorientierung (Patient-Centeredness) reflektiert werden. Das oberste Ziel sollte es sein, dass alle Patientinnen und Patienten eine ihrem medizinischen Bedarf entsprechende Versorgung mit Arzneimitteln erhalten (Horizontal Equity) und nicht die individuelle finanzielle Leistungsfähigkeit (z. B. im Rahmen von Zuzahlungen) über qualitativ unterschiedliche Arzneimitteltherapien entscheidet.
Die pharmazeutische Qualität wird durch eine Vielfalt an ergänzenden Maßnahmen komplementiert, um die therapeutische Qualität der Arzneimittelversorgung zu unterstützen. Dies gelingt beispielweise dadurch, dass den Leistungserbringern die für die Arzneimitteltherapie erforderlichen Informationen von den Herstellenden zur Verfügung gestellt werden. Hierzu zählen neben den Fachinformationen beispielsweise auch die Rote-Hand-Briefe der pharmazeutischen Unternehmen, um Angehörige der Heilberufe über auftretende Arzneimittelrisiken und Risikominimierungsmaßnahmen zu informieren (Bergner et al. 2022, S. 568 f.). Auch die Post-Marketing-Surveillance ist ein wichtiges Instrument zur Identifizierung von Nebenwirkungen, um den „[…] regulatory gap between release of a manufactured product and reporting of an adverse event following patient exposure […]“ zu adressieren (Beninger 2018, S. 1965). Vor dem Hintergrund der Qualitätssicherung spielt die Pharmakovigilanz somit eine entscheidende Rolle. Deren Ziel ist es, durch eine kontinuierliche und systematische Überwachung der Sicherheit eines Fertigarzneimittels unerwünschte Ereignisse oder andere arzneimittelbezogene Probleme zu erkennen und zu bewerten, um so einen Beitrag zur Risikominimierung (und damit inhärent verbunden eine Erhöhung der Qualität der Arzneimittelversorgung) zu leisten (World Health Organization 2004).
Betrachtet man den gesamten Medikationsprozess, so stellt die ärztliche Verordnung nur einen ersten initialen Schritt dar, der – insbesondere vor dem Hintergrund polypharmazeutischer Therapien – zahlreiche Kriterien in Betracht ziehen sollte (Seidling und Haefeli 2014).
4 Fazit
Anhand der bisherigen Ausführungen wird deutlich, dass allgemeingültige oder überordnende Qualitätsaussagen für den Bereich der Arzneimittelversorgung nicht getroffen werden können. Andererseits ist festzustellen, dass Qualitätsbetrachtungen zur Arzneimittelversorgung sich in ein übergeordnetes Konzept von Versorgungsqualität bzw. in die allgemeingültigen Funktionslogiken von Produkt- und Dienstleistungsqualität einbetten lassen, auch wenn die hier vorgestellten Betrachtungs- und Handlungsebenen, die makro- und mikrodimensionale Konzipierung eines mehrdimensionalen und multiperspektivischen Qualitätsbegriffs ebenso wie die mess- und merkmalstheoretischen Grundlagen der Qualitätsbestimmung nur eine konzeptuelle Annäherung und begriffliche Konturierung des Themenbereichs anbieten.
Qualitätsaussagen können immer nur für ausgewählte Beobachtungsbereiche getroffen werden; und dann auch nur ausschnittsweise und stellvertretend für bestimmte, als relevant markierte Merkmale bzw. Kriterien gesundheitlicher Versorgung. Eine den Maßstäben einer guten Herstellungspraxis entsprechende Fertigungsqualität eines Arzneimittels muss noch lange nicht den Anforderungen des Gesetzgebers an die Zulassung und Verordnungsfähigkeit, den gesellschaftlichen Anforderungen an die ausreichende Verfügbarkeit und Leistungssicherheit, den therapeutischen Anforderungen der medizinischen Fachberufe und wissenschaftlichen Gemeinschaft oder den Anforderungen der damit zu therapierenden Patientinnen und Patienten entsprechen. Gleichzeitig sollte es aber Anspruch aller Akteure sein, die Arzneimittelversorgung von der Entwicklung neuer Arzneistoffe über die Rohstoffbeschaffung, Herstellung und Verfügbarmachung bis hin zur finanzierbaren Bereitstellung und zum medizinischen Therapieerfolg so zu gestalten, zu steuern und zu entwickeln, dass sie übereinkommenden Ansprüchen genügt, d. h. in optimaler und bestmöglicher Weise den gültigen Qualitätsvorstellungen und gegebenen Möglichkeiten entspricht.
Der Anspruch an die optimale Gestaltung, Steuerung und Entwicklung von Leistungen ist zugleich untrennbar an die Erfassung, Darstellung und Beurteilung der damit verbundenen Qualität gekoppelt. Qualitätsmessung, d. h. die Entwicklung und der Einsatz geeigneter Kennzahlen und Qualitätsindikatoren, mit denen relevante Merkmale guter Versorgung sichtbar gemacht werden oder mit denen die Aufmerksamkeit auf mögliche Qualitätsprobleme gelenkt werden können, stellt sich in sämtlichen Bereichen der Arzneimittelversorgung als Querschnittsaufgabe und als immanenter Auftrag aller Beteiligten dar, nicht zuletzt, um den Informations- und Transparenzbedürfnissen einer interessierten (wie auch betroffenen) Öffentlichkeit Rechnung zu tragen. Die in diesem Beitrag vorgenommene theoretische Rahmung soll hierfür Anknüpfungspunkte liefern und Anregung zu einer intensivierten Qualitätsbetrachtung geben.
Notes
- 1.
Der Begriff Qualitätssicherung steht sowohl für die ursprünglich rein produkt- und herstellungsorientierte Darlegung einer vorliegenden Qualitätsfähigkeit (Quality Assurance im Sinne einer vertrauensbildenden „Zusicherung“). Er steht als begriffliche Metapher oft auch für die Gesamtheit aller qualitätswirksamen Aktivitäten und Zielsetzungen, deren Bereitstellung und Aufrechterhaltung wie planvolles und systematisches Zusammenwirken in institutionellen Kontexten mit dem Begriff des Qualitätsmanagements belegt ist.
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Hensen, P., Rottenkolber, D. (2022). Qualität der Arzneimittelversorgung – Theoretischer und konzeptueller Rahmen. In: Schröder, H., Thürmann, P., Telschow, C., Schröder, M., Busse, R. (eds) Arzneimittel-Kompass 2022. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-66041-6_2
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