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Jehovas Zeugen

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„Narren in Christo“

Part of the book series: Studien zu Literatur und Religion / Studies on Literature and Religion ((STLIRE,volume 5))

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Zusammenfassung

Jehovas Zeugen verstehen sich selbst nicht als neue religiöse Bewegung, sondern als eine christliche Religionsgemeinschaft, die, darin anderen religiösen Minderheiten seit dem Ausgang des Mittelalters ähnelnd, zurück zu den urchristlichen Wurzeln möchte. Im Gegensatz zu dieser Selbsteinschätzung stehen vielfach kolportierte Aussagen über bestimmte ihrer Glaubenslehren und -praktiken. Das Ziel scheint mitunter zu sein, ihnen das Prädikat ‚christlich‘ abzusprechen und sie als eine ‚Sekte‘ zu diskreditieren. Vor allem Politiker und Vertreter der beiden Großkirchen nehmen diese Position ein. Sie findet sich aber auch in religions- und geschichtswissenschaftlichen Arbeiten.

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Notes

  1. 1.

    Walter Köbe: Geschichte und Gegenwart – Jehovas Zeugen in Deutschland. In: Hans Hesse (Hg.): ‚Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas‘. Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus. Bremen 1998, S. 345–356, hier S. 347.

  2. 2.

    Erinnert sei zum Beispiel an das Schicksal der Albigenser, Waldenser, Katharer, Täufer, Spiritualisten, Pietisten und anderer religiöser Gruppen (siehe dazu Johannes Neumann: Religion und Religionen. In: Gerhard Besier (Hg.): Religionsfreiheit und Konformismus. Über Minderheiten und die Macht der Mehrheit. Münster 2004, S. 17–26, hier S. 23; Bernd Roeck: Außenseiter, Randgruppen, Minderheiten. Fremde im Deutschland der frühen Neuzeit. Göttingen 1993, S. 42–51; Joachim Süss: Häresie als Staatsgefährdung? Religionsgeschichtliche Anmerkungen zum gesellschaftlichen Umgang mit religiöser Pluralität. In: Gerhard Besier (Hg.): Religionsfreiheit und Konformismus. Über Minderheiten und die Macht der Mehrheit. Münster 2004, S. 65–75, hier S. 69–71; Eckhard Rohrmann: Mythen und Realitäten des Anders-Seins. Gesellschaftliche Konstruktionen seit der frühen Neuzeit. Wiesbaden 2007, S. 29–32).

  3. 3.

    Es geht dabei unter anderem um das von der Religionsgemeinschaft propagierte ‚Neutralitäts‘-Gebot, das von der Gegenseite als mangelnde Rechtstreue gegenüber dem Staat ausgelegt wird, dann um die Ablehnung bestimmter medizinischer Behandlungsmethoden (Bluttransfusionen), um den Ausschluss von Mitgliedern sowie den Umgang mit ihnen und um Fragen der Kindererziehung. Siehe dazu Klaus-Dieter Pape/Gary Lukas Albrecht: Zeugen Jehovas. In: Harald Baer/Hans Gasper/Joachim Müller/Johannes Sinabell (Hg.): Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen. Orientierungen im religiösen Pluralismus. Freiburg im Breisgau 2005, S. 1411–1419, hier S. 1414 und Christoph Link: Zeugen Jehovas und Körperschaftsstatus. In: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht. 43. Band. 1. Heft. Tübingen 1998, S. 1–54, hier S. 23 ff.; auf Christoph Link antworten Gerhard Besier/Renate-Marie Besier: Zeugen Jehovas/Wachtturm-Gesellschaft: Eine ‚vormoderne‘ religiöse Gemeinschaft in der ‚modernen‘ Gesellschaft? Gutachtliche Stellungnahme. In: Gerhard Besier/Erwin K. Scheuch (Hg.): Die neuen Inquisitoren. Religionsfreiheit und Glaubensneid. Teil II. Zürich 1999, S. 95–210 und Armin Pikl/Gajus Glockentin: Jehovas Zeugen als Körperschaft des öffentlichen Rechts. In: Gerhard Besier/Erwin K. Scheuch (Hg.): Die neuen Inquisitoren. Religionsfreiheit und Glaubensneid. Teil II. Zürich 1999, S. 211–279.

  4. 4.

    Der Lexikonartikel Zeugen Jehovas und freie Bibelforscher-Gemeinden gebraucht zum Beispiel den ‚Sekten‘-Begriff; zudem enthält er eine ganze Reihe von falschen Aussagen (Georg Schmid/Georg Otto Schmid: Zeugen Jehovas und freie Bibelforscher-Gemeinden. In: Georg Schmid/Georg Otto Schmid (Hg.): Kirchen, Sekten, Religionen. Religiöse Gemeinschaften, weltanschauli-che Gruppierungen und Psycho-Organisationen im deutschen Sprachraum. Ein Handbuch. Begründet von Oswald Eggenberger. Zürich 72003, S. 168–170); dies gilt ebenfalls für Thomas Schirrmacher: Zeugen Jehovas. In: Berthold Budde/Christine Laue-Bothen (Hg.): Harenberg Lexikon der Religionen. Die Religionen und Glaubensgemeinschaften der Welt. Ihre Bedeutung in Alltag, Geschichte und Gesellschaft. Dortmund 2002, S. 266 f. und Helmuth von Glasenapp: Die fünf Weltreligionen. Hinduismus, Buddhismus, Chinesischer Universismus, Christentum, Islam. Kreuzlingen/München 2005, S. 350. Der Eintrag im Oxford-Lexikon der Weltreligionen ist sehr knapp und zum Teil ungenau; schon die Orthographie („Jehovahs Zeugen“) weist einen Fehler auf (John Bowker (Hg.): Das Oxford-Lexikon der Weltreligionen. Für die deutschsprachige Ausgabe übersetzt und bearbeitet von Karl-Heinz Golzio. Düsseldorf 1999, S. 479). Zur ‚Sekten‘-Debatte im Anschluss an den Endbericht der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages zu „sogenannten Sekten und Psychogruppen“ Mitte der 1990er Jahre (1996–1998) siehe die beiden Bände von Gerhard Besier/Erwin K. Scheuch (Hg.): Die neuen Inquisitoren. Religionsfreiheit und Glaubensneid. 2 Teile. Zürich 1999. Die Kontroverse um das Anerkennungsverfahren der Zeugen Jehovas zur Erlangung des Körperschaftsstatus lässt sich exemplarisch anhand zweier gegensätzlicher Gutachten aufzeigen, die Mitte der 1990er Jahre verfasst und dem Oberverwaltungsgericht Berlin beziehungsweise dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig vorgelegt worden sind: Hermann Weber: Körperschaftsstatus für die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland? In: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht. 41. Band. 2. Heft. Tübingen 1996, S. 172–222 und Link: Zeugen Jehovas und Körperschaftsstatus (Anm. 3), S. 1–54. Die Beziehungen zwischen den Großkirchen und den religiösen Minderheiten (‚Sekten‘) thematisiert der Band von Gerhard Besier (Hg.): Religionsfreiheit und Konformismus. Über Minderheiten und die Macht der Mehrheit. Mit Beiträgen und Essays von Gerhard Besier, Hermann Lübbe, Johannes Neumann, Hubert Seiwert und anderen. Münster 2004. Die Kritik der Zeugen Jehovas an den anderen Religionen, hier vor allem den beiden christlichen Großkirchen, und die Gegenstrategien, die Letztere gebrauchen, um dem religiösen Konkurrenten zu begegnen, kann man deuten als „Konkurrenzkampf um das Monopol über die Verwaltung der Heilsgüter und der legitimen Ausübung der religiösen Macht“ (Pierre Bourdieu: Genese und Struktur des religiösen Feldes (frz. 1971). In: Pierre Bourdieu: Religion. Schriften zur Kultursoziologie 5. Hg. Von Franz Schultheis und Stephan Egger. Aus dem Französischen von Andreas Pfeuffer, Hella Beister und Bernd Schwibs. Berlin 2011, S. 30–90, hier S. 62; ähnlich auch Friedrich Wilhelm Graf: Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur. München 2004, S. 36 f.). Siehe auch Norbert Elias’ allgemeine soziologische Untersuchung zu Etablierten-Außenseiter-Beziehungen in Norbert Elias: Zur Theorie von Etablierten-Außenseiter-Beziehungen. In: Norbert Elias/John L. Scotson (Hg.): Etablierte und Außenseiter. Übersetzt von Michael Schröter. Frankfurt am Main 42006, S. 7–56 (engl. 1965) und Jürgen Habermas: Religiöse Toleranz als Schrittmacher kultureller Rechte. In: Jürgen Habermas: Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze. Frankfurt am Main 2005, S. 258–278, hier S. 272 f.

  5. 5.

    So gebraucht zum Beispiel Michael H. Kater unreflektiert den ‚Sekten‘-Begriff. Andererseits kommt ihm das Verdienst zu, am Ende der sechziger Jahre als einer der ersten die Verfolgungsgeschichte der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus untersucht zu haben (Michael H. Kater: Die Ernsten Bibelforscher im Dritten Reich. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. 17. Jahrgang. 2. Heft. April. Stuttgart 1969, S. 181–218.). In den religionssoziologischen Studien von Pierre Bourdieu und Gert Pickel taucht der ‚Sekten‘-Begriff ebenfalls auf, allerdings ohne direkten Bezug zu Jehovas Zeugen (Bourdieu: Genese und Struktur des religiösen Feldes (Anm. 4), S. 62 ff.; Gert Pickel: Religionssoziologie. Eine Einführung in zentrale Themenbereiche. Wiesbaden 2011, S. 25 ff.). Ein nicht problematisierter Begriffsgebrauch findet sich zum Beispiel auch bei dem Soziologen Zygmunt Bauman (Zygmunt Bauman: Vom Nutzen der Soziologie. Aus dem Englischen von Christian Rochow. Frankfurt am Main 22001 (engl. 1990), S. 107–109) und dem Philosophen Max Horkheimer (Max Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft. In: Max Horkheimer: Gesammelte Schriften. Band 6: ‚Zur Kritik der instrumentellen Vernunft‘ und ‚Notizen 1949–1969‘. Hg. von Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr. Frankfurt am Main 1991, S. 21–188, hier S. 126). Horkheimer vergleicht das Mittelalter mit dem Nationalsozialismus; an die Stelle von „Hexen, Zauberern und Ketzern“, die damals verfolgt wurden, seien jetzt „politisch Geächtete, exzentrische religiöse Sekten wie die deutschen Bibelforscher […] und die Juden“ getreten.

  6. 6.

    Das Wort ‚Sekte‘ (lateinisch „sequi“, „sequor“, „secutum“: folgen) bezeichnet ursprünglich „die Nachfolge eines religiösen Führers bzw. die Anhänger einer religiösen Lehre“. Der religionswissenschaftliche ‚Sekten‘-Begriff bezeichnet später „eine gemeinschaftliche Abspaltung aus Glaubensgründen von einer größeren Kirche“ (lateinisch „secare“: abspalten, sich trennen) (siehe dazu Nuria Schaub: Der Schutz kleiner Glaubensgemeinschaften vor staatlicher und privater Diskriminierung. Mit einer Einführung von Martin Kriele. Stuttgart 2008, S. 11–19, hier S. 12).

  7. 7.

    Sybil Milton: Zeugen Jehovas – vergessene Opfer? In: Kreismuseum Wewelsburg (Hg.): Widerstand aus christlicher Überzeugung: Jehovas Zeugen im Nationalsozialismus. Dokumentation einer Tagung. Essen 1998, S. 29–37, hier S. 31. Die pejorative Bedeutung des ‚Sekten‘-Begriffs im Kampf der Kirchen gegen andere religiöse Gemeinschaften bestätigt das Evangelische Staatslexikon in der dritten Auflage von 1987: Er sei „ein abwertender, verächtlicher Begriff der herrschenden Kirche (und Gesellschaft) für bestimmte […] Sondergruppen; ein Begriff der Auseinandersetzung also“ (zitiert nach Hermann Weber: Minderheitenreligionen in der staatlichen Rechtsordnung. In: Gerhard Besier/Erwin K. Scheuch (Hg.): Die neuen Inquisitoren. Religionsfreiheit und Glaubensneid. Teil 1. Zürich 1999, S. 174–210, hier S. 174). Siehe auch Hubert Seiwert: Angst vor Religionen. Ein Versuch über Deutschland und China. In: Gerhard Besier (Hg.): Religionsfreiheit und Konformismus. Über Minderheiten und die Macht der Mehrheit. Mit Aufsätzen und Essays von Gerhard Besier, Hermann Lübbe, Johannes Neumann, Hubert Seiwert und anderen. Münster 2004, S. 77–91, hier S. 86; Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 15.

  8. 8.

    Zum Beispiel bei Pickel: Religionssoziologie (Anm. 5), S. 27 und Schaub: Der Schutz kleiner Glaubensgemeinschaften (Anm. 6), S. 14; bei Nicolette Bohn wird auf einen älteren Kriterienkatalog zurückgegriffen (Nicolette Bohn: Im Bann der Seelenfänger. Jugendbücher über Sekten (1981–2000). Frankfurt am Main 2004, hier S. 19–21). Zur Problematik der Unterscheidungskriterien siehe schon bei Pickel: Religionssoziologie (Anm. 5), S. 32.

  9. 9.

    Besier/Besier: Zeugen Jehovas/Wachtturm-Gesellschaft (Anm. 3), S. 117 f.; Weber: Minderheitenreligionen (Anm. 7), S. 209; Martin Kriele: Die rechtspolitischen Empfehlungen der Sektenkommission. In: Gerhard Besier/Erwin K. Scheuch (Hg.): Die neuen Inquisitoren. Religionsfreiheit und Glaubensneid. Teil 1. Zürich 1999, S. 306–339, hier S. 314 f.; Graf: Die Wiederkehr der Götter (Anm. 4), S. 35 ff.). Zur Anwendbarkeit der Unterscheidungsmerkmale auf Jehovas Zeugen siehe ausführlicher unter Punkt 2.1.

  10. 10.

    Hier und im Folgenden Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 43 ff.; Besier/Besier: Zeugen Jehovas/Wachtturm-Gesellschaft (Anm. 3), S. 105 ff.; Harder/Hesse: Zeittafel (Anm. 2), S. 425 ff.; Pape/Albrecht: Zeugen Jehovas (Anm. 3), S. 1411 ff.

  11. 11.

    Graf: Die Wiederkehr der Götter (Anm. 4), S. 133–178, hier S. 135, 143.

  12. 12.

    Gerhard Besier: Jehovas Zeugen in Deutschland. In: Gerhard Besier/Katarzyna Stokłosa (Hg.): Jehovas Zeugen in Europa. Geschichte und Gegenwart. Band 3. Berlin 2018, S. 120–268, hier S. 136 f. Die anfänglichen Aktivitäten der Zeugen Jehovas (rege publizistische Tätigkeit, Vortragsreisen, Nutzung der damals neuen Massenmedien wie zum Beispiel des Radios und der Zeitung) sind zeittypischer Ausdruck der seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts zu beobachtenden „öffentliche[n] Inszenierung der Religionsdiskurse“ (Graf: Die Wiederkehr der Götter (Anm. 4), S. 137 ff.).

  13. 13.

    Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 51; Yonan: Jehovas Zeugen (Anm. 87), S. 10 f. Der Chiliasmus hat seinen Ursprung im frühen Christentum, reicht aber noch einige Jahrtausende weiter in die Vergangenheit zurück (Besier/Besier: Zeugen Jehovas/Wachtturm-Gesellschaft (Anm. 3), S. 96 ff.).

  14. 14.

    Gert Pickel spricht von der „religiösen Weltsicht“ (Pickel: Religionssoziologie (Anm. 5), S. 46 f.), Klaus Bayer vom „religiösen Weltbild“ (Klaus Bayer: Religiöse Sprache. Thesen zur Einführung. Münster 2004, S. 12–20). Diese Weltbilder seien „funktional komplex“, das heißt, sie „beschreiben und bewerten ihre Welt“. Sie seien „selbstreflexiv“, indem sie sich „auf sich selbst [beziehen]“ und „indem sie angeben, wie man sie erweitern, bewerten oder etwa vor dem Einfluss konkurrierender Weltbilder schützen kann“. Religiöse Weltbilder seien gefährdet und müssten deshalb durch „verschiedene Formen autoritativer, übernatürlicher Offenbarung durch Götter- und Geistererscheinungen, durch inspirierte Religionsstifter und Chronisten, Propheten, […], durch Orakel oder Medien“ gestützt werden. Außerdem besäßen sie „in der Regel eine Erzählung und Erklärung der Entstehung der Welt […] und des Menschen“, der Naturvorgänge, der profanen Geschichte und der Zukunft. Ihr immanent seien auch „Normen für die Interaktion der Menschen untereinander sowie für die Interaktion der Menschen mit den Göttern und Geistern“ (ebd.). Siehe auch Habermas: Religiöse Toleranz (Anm. 4), S. 268.

  15. 15.

    Im Folgenden fasse ich die Aussagen verschiedener Autoren zusammen. Einen kurzen Überblick über die Geschichte und Lehren der Zeugen Jehovas bieten Yonan: Jehovas Zeugen (Anm. 87), S. 10–12; Gerald Hacke: Die Zeugen Jehovas im Dritten Reich und in der DDR. Feinbild und Verfolgungspraxis. Göttingen 2011, S. 21–24; Gerhard Besier/Katarzyna Stokłosa: Jehovas Zeugen im Westen und Süden Europas. In: Gerhard Besier/Katarzyna Stokłosa (Hg.): Jehovas Zeugen in Europa. Geschichte und Gegenwart. Band 1. Berlin 2013, S. 7–17, hier S. 7–11. Etwas ausführlicher die Darstellungen in Pape/Albrecht: Zeugen Jehovas (Anm. 3), S. 1411–1419 und Besier/Besier: Zeugen Jehovas/Wachtturm-Gesellschaft (Anm. 3), S. 105–112. Zum Teil etwas negativ wertend Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 49–57, zum Teil zu positiv wertend Haas: Erinnerungsliteratur (Anm. 40), S. 65–70. Aus der Sicht der Zeugen Jehovas mit dem Schwerpunkt auf Deutschland siehe Köbe: Geschichte und Gegenwart – Jehovas Zeugen in Deutschland (Anm. 1), S. 345–356.

  16. 16.

    Bei allen Bibelzitaten oder –bezugnahmen in meiner Monographie folge ich, wenn nicht anders vermerkt, der Einheitsübersetzung (Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Gesamtausgabe. Psalmen und Neues Testament, ökumenischer Text. Stuttgart 51988). Die „wörtliche Auslegung der Schriften“ durch Jehovas Zeugen steht im Gegensatz zu der „liberale[n] und historisch-kritische[n]“ der Kirchen (Pickel: Religionssoziologie (Anm. 5), S. 27).

  17. 17.

    Das für ‚Sekten‘ (im Vergleich zu den Kirchen) behauptete Unterscheidungsmerkmal ‚Jenseitsorientierung‘ ist bei Jehovas Zeugen nicht zutreffend (siehe dazu die Taxonomie bei Pickel: Religionssoziologie (Anm. 5), S. 27). Sie glauben nicht an ein Leben nach dem Tod, da der Mensch als Ganzes eine „Seele“ sei und damit beim Tod sterbe. Wohl hoffen sie auf ein zukünftiges diesseitiges Leben, ein „irdisches Paradies“, in dem gerechte Menschen leben würden. Eine Ausnahme bilden ihrem Verständnis nach die in der Offenbarung erwähnten „144 000“ (Offenbarung 7, 4 und 14, 1–3). Dabei handle es sich um eine Personengruppe, die vorbildlich gelebt habe, Gott treu geblieben sei und die nach ihrem Tod im Himmel „Mitregenten des himmlischen Königreiches Gottes“ sein werde.

  18. 18.

    Auch beim Unterscheidungsmerkmal ‚Verhältnis zur säkularen Umwelt‘ ist es schwierig, Jehovas Zeugen eindeutig zuzuordnen (Pickel: Religionssoziologie (Anm. 5), S. 27).

  19. 19.

    Herfried Münkler folgend wäre eine Differenzierung bezüglich der „Fremdheit“ dieser Religionsgemeinschaft nötig: Einerseits handelt es sich um „Fremdexklusion“, die durch die Mehrheit (in) der Gesellschaft vorgenommen wird, andererseits aber auch um „Selbstexklusion“, die auf dem Selbstverständnis, den Glaubensvorstellungen und Praktiken dieser Gruppe beruht (siehe Herfried Münkler/Bernd Ladwig: Dimensionen der Fremdheit. In: Herfried Münkler/Bernd Ladwig (Hg.): Furcht und Faszination. Facetten der Fremdheit. Berlin 1997, S. 11–44, hier S. 23 f.). Eine Gemeinsamkeit zwischen Jehovas Zeugen und Eremiten besteht in der Selbstexklusion; sie unterscheiden sich aber insofern, als Letztere sich auch räumlich von der Gesellschaft ganz absondern und zum Teil Heiligenstatus besitzen beziehungsweise mit diesem versehen werden (Roeck: Außenseiter, Randgruppen, Minderheiten (Anm. 2), S. 10).

  20. 20.

    Was das Unterscheidungsmerkmal ‚Grad der Reglementierung des Lebens‘ anbelangt, könnte man davon sprechen, dass Jehovas Zeugen „streng“ sind und „stark“ reglementieren. Dies fußt zum Teil auf der oft „wörtlichen Auslegung der Schriften“. Einschränkend muss man jedoch sagen, dass die Zugehörigkeit zu dieser Religionsgemeinschaft auf einer vorausgehenden freien Entscheidung des Einzelnen beruht und nicht qua Geburt erfolgt (Pickel: Religionssoziologie (Anm. 5), S. 26 f.).

  21. 21.

    Diese „heilsgeschichtliche Exklusivität“ kennzeichnet nicht nur Jehovas Zeugen (Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 52). Alle religiösen Organisationen und Gruppen arbeiten mit Unterscheidungen von „wir – andere“, „gut – böse“ und „wahr – falsch“; sie alle unterliegen dem Zwang „zur permanenten Identitätsarbeit, zu erhöhter Konzentration auf Grenzziehungen und stabilisierende Mechanismen von Exklusion und Inklusion“ (Graf: Die Wiederkehr der Götter (Anm. 4), S. 19). Zum Konkurrenzkampf zwischen den institutionalisierten Großkirchen und kleineren Religionsgemeinschaften auf dem „religiösen Feld“ siehe auch Bourdieu: Genese und Struktur des religiösen Feldes (Anm. 4), S. 62 ff.

  22. 22.

    Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 54 f.

  23. 23.

    Siehe dazu Römer 13, 1 ff. Bis 1929 glauben die Bibelforscher, bei den „Trägern der staatlichen Gewalt“ handle es sich um die weltlichen Regierungen, denen gebührende Achtung und Gehorsam entgegenzubringen seien. In diesem Jahr kommt es dann zu einer Neuauslegung dieser Textstelle: Die „obrigkeitlichen Gewalten“ würden die höchsten Mächte, Jehova Gott und Jesus Christus, darstellen; ihnen gegenüber sei man zum Gehorsam verpflichtet (Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 55 f.). Ab Ende 1962 wird dieses Verständnis erneut revidiert. In den „Trägern der staatlichen Macht“ sieht man jetzt wieder die weltlichen Regierungen. Neu ist allerdings, dass die Unterordnung eines Christen ihnen gegenüber nur relativ sein könne. Von heute rückblickend wird das damalige Verständnis von Römer 13 durch Jehovas Zeugen zwar als falsch, aber angesichts der damaligen politischen Verhältnisse dennoch gleichzeitig als richtig und demnach hilfreich eingeschätzt. In Gott und Christus die Mächte gesehen zu haben, denen unbedingt zu gehorchen sei, habe geholfen, in der NS-Zeit stets eine kompromisslose Haltung gegenüber der Hitler-Diktatur einzunehmen.

  24. 24.

    Die Position der strikten Neutralität dürfte nur schwer zwischen den Polen ‚Weltablehnung‘ und ‚Weltunterstützung‘ einzuordnen sein (Pickel: Religionssoziologie (Anm. 5), S. 27).

  25. 25.

    Durchaus zutreffend ist es, von einem ‚hohen Vergemeinschaftungsgrad‘ sowohl bei den Zeugen Jehovas als auch bei den „neuen religiösen Bewegungen“ im Allgemeinen zu sprechen (Pickel: Religionssoziologie (Anm. 5), S. 49).

  26. 26.

    Bourdieu: Genese und Struktur des religiösen Feldes (Anm. 4), S. 70.

  27. 27.

    Pickel: Religionssoziologie (Anm. 5), S. 27.

  28. 28.

    Köbe: Geschichte und Gegenwart – Jehovas Zeugen in Deutschland (Anm. 1), S. 352/Anm. 36.

  29. 29.

    Ebd., S. 352/Anm. 36. Kirchenvertreter und Religionswissenschaftler bewerten die Organisationsstruktur dieser religiösen Gemeinschaft ganz anders: Sie sehen darin eine „streng hierarchische Ausrichtung“ (Pape/Albrecht: Zeugen Jehovas (Anm. 3), S. 1412); die „strikt zentralist[ische] Struktur“ (Hans Gasper/Friederike Valentin: Zeugen Jehovas. In: Walter Kasper (Hg.): Lexikon für Theologie und Kirche. Zehnter Band. Begründet von Michael Buchberger. Freiburg/Basel/Rom/Wien 32001, S. 1446 f., hier S. 1446) verleihe „dem Vorstand absolute Macht“ (Schmid/Schmid: Zeugen Jehovas (Anm. 4), S. 170) und führe dazu, dass die „Wachtturmgesellschaft-Ideologie […] nicht zu hinterfragen“ sei (Pape/Albrecht: Zeugen Jehovas (Anm. 4), S. 1414; ähnlich auch Schirrmacher: Zeugen Jehovas (Anm. 119), S. 266 und Gasper/Valentin: Zeugen Jehovas (Anm. 29), S. 1447). Die Aussage Detlef Garbes, von den Gläubigen werde „treue und widerspruchslose Gefolgschaft“ erwartet, bezieht sich zunächst auf die Zeit des zweiten Präsidenten, Joseph F. Rutherford, dürfte aber seiner Meinung nach grundsätzlich, allerdings in abgeschwächter Form, auch heute noch gelten (Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 57, 552 f.). Das von Gert Pickel genannte Unterscheidungsmerkmal ‚Herrschaftsform‘ ist insofern problematisch, da auch die Kirchen „bürokratisch organisiert und hierarchisch ausgerichtet“ sind (Pickel: Religionssoziologie (Anm. 5), S. 27). Siehe dazu auch Bourdieu: Genese und Struktur des religiösen Feldes (Anm. 4), S. 70 ff.; Besier/Besier: Zeugen Jehovas/Wachtturm-Gesellschaft (Anm. 3), S. 169 f.; Pikl/Glockentin: Jehovas Zeugen als Körperschaft des öffentlichen Rechts (Anm. 4), S. 227 f.; Johannes Neumann: Wenn Juristen ‚Schutzengel‘ spielen, ist die Religionsfreiheit in Gefahr. In: Gerhard Besier/Erwin K. Scheuch (Hg.): Die neuen Inquisitoren. Religionsfreiheit und Glaubensneid. Teil I. Zürich 1999, S. 228–254, hier S. 235 f.; Kriele: Die rechtspolitischen Empfehlungen der Sektenkommission (Anm. 9), S. 314 f.

  30. 30.

    So spricht Norbert Elias vom Aufstieg der „nationalsozialistischen Bewegung und ihres Glaubenssystems“; der Nationalsozialismus verbinde „viele Züge einer religiösen Bewegung mit denen einer politischen Partei. Ihn so zu sehen, als eine Bewegung, die sich auf ein sehr ernst genommenes Glaubenssystem stütz[t]e, ist eine der ersten Voraussetzungen, um das Geschehene zu begreifen“ (Norbert Elias: Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1992, S. 411 f.). Auch für Walther Hofer hat der Nationalsozialismus die „Funktion eines Religionsersatzes oder einer Ersatzreligion“ (Walther Hofer: Stufen der Judenverfolgung im Dritten Reich 1933–1939 [1985]. In: Herbert A. Strauss/Norbert Kampe (Hg.): Antisemitismus. Von der Judenfeindschaft zum Holocaust. Bonn 1988, S. 172–185, S. 173). Michael B. Buchholz unterstreicht ebenfalls den religiösen Charakter der NS-Ideologie, die ein „religiöse[s] Superangebot“ biete; einerseits gehe es um die „Ausbeutung religiös-mystischer Erlösungssehnsüchte seiner Anhänger“, andererseits um eine „mentale Rundumversorgung und metaphysische Komplettbetreuung“ (Michael B. Buchholz: Fremde und das Assimilationsparadox. Zur politischen Theologie des Antisemitismus. In: Ortrud Gutjahr (Hg.): Fremde. Würzburg 2002, S. 69–93, hier S. 70 f.). Die Aussage: „Wer Religion verkennt, erkennt Politik nicht“, gilt nicht nur im Rahmen eines religionspolitologischen Ansatzes (Claus-E. Bärsch: Die politische Religion des Nationalsozialismus. Die religiöse Dimension der NS-Ideologie in den Schriften von Dietrich Eckart, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler. München 1998, S. 11, 34–44). Auch für Wolfgang Braungart ist Religion eine basale Kategorie im Hinblick auf die „politische Semantik und Ästhetik“, wie auch für „politische Kommunikation“ überhaupt (Wolfgang Braungart: Ästhetik der Politik, Ästhetik des Politischen. Ein Versuch in Thesen. Göttingen 2012, S. 39–50.).

  31. 31.

    Siehe dazu grundsätzlich Bärsch: Die politische Religion des Nationalsozialismus (Anm. 30); Anton Grabner-Haider/Peter Strasser: Hitlers mythische Religion. Theologische Denklinien und NS-Ideologie. Wien/Köln/Weimar 2007. Kritische Anmerkungen zu Bärschs Ansatz bei Hans Mommsen: Der Nationalsozialismus als säkulare Religion. In: Gerhard Besier (Hg.): Zwischen ‚nationaler Revolution‘ und militärischer Aggression. Transformationen in Kirche und Gesellschaft während der konsolidierten NS-Gewaltherrschaft (1934–1939). München 2001, S. 43–53, hier S. 53.

  32. 32.

    Ausführlicher dazu Bärsch: Die politische Religion des Nationalsozialismus (Anm. 32), S. 45 ff., 136 ff., 188 ff.; Grabner-Haider/Strasser: Hitlers mythische Religion (Anm. 31), S. 119 ff., 145 ff.

  33. 33.

    Hans-Ulrich Thamer: Adolf Hitler: Biographie eines Diktators. München 2018; Jan Kershaw: Hitler: 1889–1945. Aus dem Englischen von Jürgen Peter Krause. Vom Autor gekürzte Ausgabe. München 2009 (engl. 1998/2000); Norbert Frei: Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945 [1987]. München 2013, S. 207–215, hier S. 207 f. Das ‚Führerprinzip‘ ist ein Grundgesetz der nationalsozialistischen Ideologie und verpflichtet alle Deutschen zu blindem Gehorsam und bedingungsloser Treue gegenüber Adolf Hitler (Wolfgang Benz: Argumente gegen rechtsextreme Vorurteile. In: Informationen zur politischen Bildung – aktuell. Bonn 2001, S. 1–16, hier S. 6).

  34. 34.

    Grundsätzlich zum Hitlergruß siehe unter dem Lemma ‚Heil Hitler‘ in Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. Berlin/New York 2000, S. 299–301; außerdem auch Tilman Allert: Der deutsche Gruß. Geschichte einer unheilvollen Geste [2005]. Stuttgart 2010.

  35. 35.

    Claus-E. Bärsch unterstreicht besonders den religiösen Charakter des Hitlergrußes. Er zieht dabei die Beziehungstriade Mensch (Grüßender) – Gott – Gesellschaft (Hitler) und ihre Intersubjektivität in Betracht. Der Grüßende glaube an seine Beziehung zu Gott, dessen Macht sich politisch-institutionell durch den Reichskanzler realisiere. Neben der Teilhabe an der Verbindung zwischen Religion und Politik glaube er auch daran, dass eine besondere Beziehung zwischen Gott und Adolf Hitler bestehe. Jeder, Grüßender und Gegrüßter, bejahe mit dem Gruß sich und die anderen. Der Grüßende, Hitler, aber auch Gott seien „die Mittler zwischen den sich Begegnenden. Der Gegrüßte ist der Spiegel für das eigene Heil. Jeder Grüßende empfängt das Heil vom anderen, von Hitler und von Gott zugleich. Durch den anderen, durch Hitler und durch Gott wird im Gruß eine gesellschaftlich konstitutive Verbindung hergestellt“ (Bärsch: Die politische Religion des Nationalsozialismus (Anm. 30), S. 136). Vergleiche dazu schon Bruno Bettelheim: Aufstand gegen die Masse. Die Chance des Individuums in der modernen Gesellschaft [1960]. München 1980, S. 313. Tilman Allert sieht im Hitlergruß aber auch einen „Akt der Selbstdemontage“; die Interaktion mittels des Grußes lasse „das Erlebnis einer paradoxalen einsamen Kohäsion“ entstehen (Allert: Der deutsche Gruß (Anm. 34), S. 63).

  36. 36.

    Ebd., S. 12, 18 f. Der Gruß moderiert für Tilman Allert die menschliche Begegnung; er bringe „die zivile Existenz unter den Geltungsbereich asymmetrischer Befehlshierarchien“ und verpflichte wechselseitig „zu einer Mitgliedschaft in der mit Hitler assoziierten Gemeinschaft“. Die Zugehörigkeit werde akustisch und sichtbar beglaubigt, sodass die Einstellung zum politischen System sofort und überall evident wird. Damit sei jeder Einzelne herausgefordert, nämlich selbst zu grüßen beziehungsweise den Gruß zu erwidern oder beides zu verweigern. Besondere Probleme ergäben sich im letzteren Fall (ebd., S. 38–65, hier S. 48 ff., 54 ff.); Besier: Jehovas Zeugen in Deutschland (Anm. 12), S. 162, 173.

  37. 37.

    Vergleiche Bettelheim: Aufstand gegen die Masse (Anm. 35), S. 313; Allert: Der deutsche Gruß (Anm. 34), S. 63.

  38. 38.

    Bruno Bettelheim beschreibt diesen Typus des Andersdenkenden so: Er kann „vorgeben, für eine Sache zu sein, an die er nicht nur nicht glaubt[e], sondern die er haßt[e] und verachtet[e]“ (Bettelheim: Aufstand gegen die Masse (Anm. 35), S. 312).

  39. 39.

    Ebd., S. 313–315. Den Verlust der Selbstachtung, der zur Selbstverleugnung führt, beschreibt René König in einem Brief aus Berlin im Juni 1937, der an Karl Löwith adressiert ist: „Die Gedrücktheit, die Unlust, die Resignation, alles ist so allgemein geworden, daß Sie glauben, ersticken zu müssen. Dann allgemeine Erweichung, die sich durch den ständigen Zwang, Kompromisse zu suchen, zu einer allgemeinen Charaktereigenschaft ausgewachsen hat. Schließlich werden auch da Kompromisse gesucht, wo sie garnicht nötig wären, und es entsteht ein Zustand fauler Verlogenheit, der auch die Besten ergreift, wenn sie nicht den Mut haben, sich zu isolieren. […]. Es ist einfach ein allgemeines Sichgehenlassen, ein Sündigen aus dem Unterlassen des Guten“ (zitiert nach Allert: Der deutsche Gruß (Anm. 34), S. 78 f.).

  40. 40.

    Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus (Anm. 34), S. 301 f. Tilman Allert untersucht in seiner Studie die Folgen des Grußzwangs für religiöse Gemeinschaften, sowohl für die beiden Großkirchen als auch für Jehovas Zeugen (Allert: Der deutsche Gruß (Anm. 34), S. 84–93).

  41. 41.

    Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 159–161; Hacke: Die Zeugen Jehovas (Anm. 15), S. 75–78; Yonan: Jehovas Zeugen (Anm. 87), S. 17.

  42. 42.

    Zu Beginn der dreißiger Jahre wird der Umgang mit dem Hitlergruß von Jehovas Zeugen zunächst noch uneinheitlich gehandhabt. Der ministerielle Erlass vom Juli 1933 bezüglich einer allgemeinen Grußpflicht macht es schließlich erforderlich, sich in dieser Frage klar zu positionieren. Ab September 1934 setzt sich die kompromisslose Strategie durch, den deutschen Gruß zu verweigern (Hacke: Die Zeugen Jehovas (Anm. 15), S. 76–78).

  43. 43.

    Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 161; Hans Hesse/Jürgen Harder: ‚…und wenn ich lebenslang in einem KZ bleiben müßte…‘. Die Zeuginnen Jehovas in den Frauenkonzentrationslagern Moringen, Lichtenburg und Ravensbrück. Essen 2001, S. 25.

  44. 44.

    Als ein nicht- beziehungsweise transnationales und somit unpatriotisches (Stör-)Element, den Juden in dieser Hinsicht nicht unähnlich, kann man mit Peter Sloterdijk in Jehovas Zeugen eine „deterritorialisierte Gruppe“ sehen, deren Kohärenz nicht vom Boden einer Nation getragen wird (Peter Sloterdijk: Im Weltinnenraum des Kapitals. Für eine philosophische Theorie der Globalisierung [2005]. Frankfurt am Main 2006, S. 235); ähnlich auch schon Zygmunt Bauman, der im Nichtnationalen der Juden gesellschaftlich Störendes erkennt (Zygmunt Bauman: Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust. Aus dem Englischen übersetzt von Uwe Ahrens. Hamburg 2002 (engl. 1989), S. 66 ff.).

  45. 45.

    Hesse/Harder: ‚…und wenn ich lebenslang in einem KZ bleiben müsste…‘ (Anm. 43), S. 21; Haas: Erinnerungsliteratur (Anm. 40), S. 71. Ausgenommen sind antijudäische Tendenzen Anfang der dreißiger Jahre (Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 66, 105 f.).

  46. 46.

    Ebd., S. 117 f. Religionsgemeinschaften, die auf Missionierung und öffentliche Präsenz weitgehend verzichten, und deren Glaube weniger stark im Gegensatz zur NS-Ideologie steht, sind weniger gefährdet beziehungsweise nicht von einem Verbot und Verfolgung bedroht (ebd.).

  47. 47.

    Ebd., S. 221 f.

  48. 48.

    Hesse/Harder: ‚…und wenn ich lebenslang in einem KZ bleiben müsste…‘ (Anm. 43), S. 24.

  49. 49.

    Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 161–165; Hesse/Harder: ‚…und wenn ich lebenslang in einem KZ bleiben müsste…‘ (Anm. 43), S. 25; Hacke: Die Zeugen Jehovas (Anm. 15), S. 72–74.

  50. 50.

    Detlef Garbe schreibt: „Sie [die Zeugen Jehovas, N. S.] waren […] im ‚Dritten Reich‘ die einzige Gruppe, die in ihrer Gesamtheit die Kriegsdienstverweigerung propagierte und in großer Zahl auch praktizierte“ (Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 12). Zur Kriegsdienstverweigerung ausführlicher: ebd., S. 352–402; ähnliche Aussagen finden sich in Hacke: Die Zeugen Jehovas (Anm. 15), S. 150–160. Siehe dazu auch Marcus Herrberger: Zeugen Jehovas als Kriegsdienstverweigerer in der NS-Zeit (1939–1945). In: Marcus Herrberger (Hg.): Denn es steht geschrieben: ‚Du sollst nicht töten!‘ Die Verfolgung religiöser Kriegsdienstverweigerer unter dem NS-Regime mit besonderer Berücksichtigung der Zeugen Jehovas (1939–1945). Wien 2005, S. 61–236; Hans Hesse: ‚Dann wäre der Krieg gleich zu Ende‘. – Die Kriegsdienstverweigerer im NS-Staat und das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. In: Winfried Nerdinger (Hg.): Die Verfolgung der Zeugen Jehovas in München 1933–1945. Publikation zur Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum München 27. September 2018 bis 7. Januar 2019. Berlin 2018, S. 20–31.

  51. 51.

    Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 429.

  52. 52.

    Ebd., S. 430–436. Das KZ Buchenwald ist eines der wenigen Lager, in denen es unter den Bibelforschern deshalb zur Spaltung kommt. Zur Fraktionsbildung unter den Bibelforscherinnen im FKL Ravensbrück und ihrem Verhalten dort siehe die ausführliche Darstellung bei Hesse/Harder: ‚…und wenn ich lebenslang in einem KZ bleiben müsste…‘ (Anm. 43), S. 151–172, aber auch schon knapp bei Buber-Neumann: Als Gefangene bei Stalin und Hitler (Anm. 19), S. 265, 284–287. Weitere Beispiele für unterschiedliche Auffassungen zur Vereinbarkeit gewisser Tätigkeiten mit der religiösen Überzeugung im KZ Sachsenhausen in Antje Zeiger: Zeugen Jehovas im Konzentrationslager Sachsenhausen. In: Hans Hesse (Hg.): ‚Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas‘: Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus. Bremen 1998, S. 76–101, hier S. 87.

  53. 53.

    Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 398 ff., 426. Zu den „Verpflichtungserklärungen“ für die Bibelforscherinnen im FKL Ravensbrück siehe Hesse/Harder: ‚…und wenn ich lebenslang in einem KZ bleiben müsste…‘ (Anm. 43), S. 181 f.

  54. 54.

    Hacke: Die Zeugen Jehovas (Anm. 130), S. 22, 398.

  55. 55.

    Detlef Garbe listet in seiner Dissertation eine ganze Reihe konkurrierender Begriffe auf (Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 516).

  56. 56.

    So zum Beispiel bei Eva Kuhn: Zivilcourage – Widerstand gegen Unrecht und Diktatur. In: Regin Weinreich (Hg.): Verachtet. Verfolgt. Vergessen. Leiden und Widerstand der Zeugen Jehovas in der Grenzregion am Hochrhein im ‚Dritten Reich‘. Häusern/Schwarzwald 2002, S. 15 f., hier S. 15. Detlef Garbe spricht von „ihre[r] couragierte[n] Haltung“ (Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 554); an anderen Stellen seines Buches bezeichnet er es als „nonkonformes Verhalten“ (ebd., S. 155). Auch Gerald Hacke gebraucht diesen Begriff und spricht zugleich auch von „ihrer konsequent renitenten Haltung“ (Hacke: Die Zeugen Jehovas (Anm. 15), S. 181, 397).

  57. 57.

    Eugen Kogon bezeichnet die Zeugen Jehovas in seinem Buch als „weltanschauliche Gegner“ (Kogon: Der SS-Staat (Anm. 15), S. 67–74, hier S. 70), Paul Martin Neurath hält sie für eine „ideologische Gruppe“ (Neurath: Die Gesellschaft des Terrors (Anm. 15), S. 103), Wolfgang Sofsky ordnet bei seinem Klassifizierungsversuch der Häftlingsgesellschaft Kommunisten, Sozialdemokraten und Bibelforscher der Gruppe der „ideologische[n] Gegner“ zu, die auf Grund ihrer „religiöse[n] oder politische[n] Weltanschauung“ den Nazis als besonders gefährlich“ gelten (Wolfgang Sofsky: Die Ordnung des Terrors: Das Konzentrationslager [1993]. Frankfurt am Main 1997, S. 141). Zur Kritik an Wolfgang Sofskys Die Ordnung des Terrors aus geschichtswissenschaftlicher Sicht siehe zum Beispiel Karin Orth: Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Eine politische Organisationsgeschichte. Hamburg 1999, S. 15 f.; aus literaturwissenschaftlicher Perspektive im Rahmen eines Lagerdiskurses, der den Begriff ‚Hölle‘ in den Mittelpunkt stellt, siehe Thomas Taterka: Dante Deutsch. Studien zur Lagerliteratur. Berlin 1999, S. 84–92; soziologisch orientiert die Einwände bei Maja Suderland: Territorien des Selbst. Kulturelle Identität als Ressource für das tägliche Überleben im Konzentrationslager. Frankfurt am Main 2004, S. 23–25. Trotz der vielfach geäußerten Einwände gegen diese Studie verweise ich häufiger auf Sofsky, da er eine „dichte Beschreibung der Machtwelt des Konzentrationslagers“ liefert (Sofsky: Die Ordnung des Terrors (Anm. 57), S. 11–26, hier S. 24), die idealtypisch ihre Struktur(en) zu erarbeiten versucht.

  58. 58.

    Siehe zum Beispiel Milton: Zeugen Jehovas – vergessene Opfer? (Anm. 7), S. 29; Jürgen Harder/Hans Hesse: Die Zeuginnen Jehovas im Frauen-KZ Moringen: ein Beitrag zum Widerstand von Frauen im Nationalsozialismus. In: Hans Hesse (Hg.): ‚Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas‘. Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus. Bremen 1998, S. 35–62, hier S. 52 ff.; Hesse/Harder: ‚…und wenn ich lebenslang in einem KZ bleiben müsste…‘ (Anm. 43), S. 19–26, 79–85, 100–108; Yonan: Jehovas Zeugen (Anm. 87), S. 12 f.; Hubert Roser: Die Verfolgung von Zeugen Jehovas zur Zeit des Nationalsozialismus in Baden und Württemberg. In: Regin Weinreich (Hg.): Verachtet. Verfolgt. Vergessen. Leiden und Widerstand der Zeugen Jehovas in der Grenzregion am Hochrhein im ‚Dritten Reich‘. Häusern/Schwarzwald 2002, S. 32–42, hier S. 32 ff.; Wippermann: Umstrittene Vergangenheit (Anm. 37), S. 261.

  59. 59.

    Sofsky: Die Ordnung des Terrors (Anm. 57), S. 142; Kirsten John-Stucke: Der ‚lila Winkel‘ in Wewelsburg. In: Kreismuseum Wewelsburg (Hg.): Widerstand aus christlicher Überzeugung: Jehovas Zeugen im Nationalsozialismus. Dokumentation einer Tagung. Essen 1998, S. 39–52, hier S. 39; Henry Friedlander: Kategorien der KZ-Häftlinge. In: Hans Hesse (Hg.): ‚Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas‘: Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus. Bremen 1998, S. 15–20, hier S. 16; Neurath: Die Gesellschaft des Terrors (Anm. 15), S. 101.

  60. 60.

    Hier und im Folgenden Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 514–526, 538–542.

  61. 61.

    Ebd., S. 518, 541 f. Selbst anhand der Textpassage seiner Dissertation, die den ‚Widerstands‘-Begriff problematisiert, lässt sich zeigen, dass Detlef Garbe in seiner Wortwahl nicht immer konsequent vorgeht. Ich möchte in meiner Arbeit die hier genannten verschiedenen Begriffe synonym verwenden, aber mit dem Bedeutungsinhalt gefüllt wissen, den Detlef Garbe dem Begriff der ‚Resistenz‘ beigibt.

  62. 62.

    Ob Garbes Gesamteinschätzung berechtigt ist, ihre „couragierte Haltung“ in der NS-Zeit könne „zwar Respekt und Würdigung für sich beanspruchen“, nicht aber „als Leitbild in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft“ dienen und auch nicht „Vorbildfunktion im pädagogischen Sinn“ beanspruchen (ebd., S. 554), mag dahingestellt sein. Schon Hesse und Harder formulieren diesbezüglich kritische Einwände (Hesse/Harder: ‚…und wenn ich lebenslang in einem KZ bleiben müsste…‘ (Anm. 43), S. 14). Meines Erachtens zeigt sich hier letztlich (wieder) eine Engfassung des Politikbegriffs und die häufig anzutreffende, aber kaum plausibel begründbare Wertungshaltung, Opfergruppen hinterrücks doch wieder zu hierarchisieren und politische Widerstandsformen höher zu gewichten als zum Beispiel religiöse (vergleiche dazu Rüdiger Lautmann: Die soziale Ordnung des Gedenkens. Opfergruppen in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern. In: Daniela Klimke (Hg.): Exklusion in der Marktgesellschaft. Wiesbaden 2008, S. 281–299, hier S. 286, 291 f.; siehe auch schon bei Harder/Hesse: Die Zeuginnen Jehovas (Anm. 58), S. 56).

  63. 63.

    Besier: Jehovas Zeugen in Deutschland (Anm. 12), S. 163 f.; Hacke: Die Zeugen Jehovas (Anm. 15), S. 25 ff.; Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 46–49; Hesse/Harder: ‚…und wenn ich lebenslang in einem KZ bleiben müsste…‘ (Anm. 43), S. 19 f.

  64. 64.

    Dies scheint mir ein früher Beleg für ‚moral panics‘ zu sein (siehe dazu Massimo Introvigne: Religiöse Minderheiten und ‚moral panics‘. In: Gerhard Besier/Erwin K. Scheuch (Hg.): Die neuen Inquisitoren. Religionsfreiheit und Glaubensneid. Teil 1. Zürich 1999, S. 78–99). Dieses Phänomen ist häufiger in Verbindung mit religiösen Minderheiten bis in die Gegenwart beobachtbar.

  65. 65.

    Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 58–85; Hacke: Die Zeugen Jehovas (Anm. 130), S. 25–40. Beide Autoren bieten auch eine ganze Reihe von Gründen dafür, wieso diese Religionsgemeinschaft in dieser Zeit derartig wachsen konnte.

  66. 66.

    Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 53–55.

  67. 67.

    Hacke: Die Zeugen Jehovas (Anm. 15), S. 22; Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 53 f.; Besier: Jehovas Zeugen in Deutschland (Anm. 12), S. 163; Haas: Erinnerungsliteratur (Anm. 40), S. 70–75. Für Carl Schmitt, deutscher Staatsrechtler und NSDAP-Mitglied, ist der politische Feind „ein Anderer, ein Fremder“ (Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen [1932]. Hamburg 31933, S. 7 ff.). Die Bibelforscher wären dieser Kategorie zu subsumieren.

  68. 68.

    Alle Zitate nach Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 64–69 und Hacke: Die Zeugen Jehovas (Anm. 15), S. 31 f. Erwähnenswert ist an dieser Stelle, dass in der DDR später genau das Gegenteil behauptet werden wird: Sie seien „neo-faschistische“ Agenten, die „imperialistische Propaganda für das amerikanische Monopolkapital“ betrieben und von diesem auch finanziert wären; alle Zitate nach Hans-Hermann Dirksen: ‚Keine Gnade den Feinden unserer Republik‘. Die Verfolgung der Zeugen Jehovas in der SBZ/DDR 1945–1990. Berlin 22003, S. 198, 203 f., 233, 235; Hacke: Die Zeugen Jehovas (Anm. 15), S. 258 f.

  69. 69.

    Alle Zitate nach Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 70–76 und Hacke: Die Zeugen Jehovas (Anm. 15), S. 35–40. Die Affinität zu den gegenüber den Juden erhobenen Vorwürfen ist unübersehbar: Juden werden ebenfalls von den Nationalsozialisten mit dem Großkapital, der Freimaurerei, dem Liberalismus und dem internationalen Kommunismus in Verbindung gebracht (siehe dazu zum Beispiel Bauman: Dialektik der Ordnung (Anm. 44), S. 60–75). Auch für die Verfolgungsgeschichte der Zeugen Jehovas während der NS-Zeit gelten René Girards und Mary Douglas’ allgemein formulierte Aussagen: In gesellschaftlichen Krisensituationen neigten Menschen dazu, die Schuld für Missstände entweder der Gesellschaft insgesamt zuzuschieben oder aber „anderen Individuen, die […] als besonders schädlich erscheinen“, hier besonders „ethnische[n] und religiöse[n] Minderheiten“ (René Girard: Der Sündenbock. Aus dem Französischen von Elisabeth Mainberger-Ruth. Zürich 1988 (frz. 1982), S. 26, 30). Angriffe auf eine Gemeinschaft von außen riefen „eine innere Solidarität“ hervor, werde sie aber „durch aufrührerische Personen von innen her angegriffen, werden diese bestraft, und die Struktur kann öffentlich wiederhergestellt werden“; die durch Minderheiten hervorgerufene Störung scheint mit einer gefährlichen Verunreinigung vergleichbar, die immer dem Verunreinigenden angelastet werde: „Ein verunreinigender Mensch ist immer im Unrecht. Er hat sich in einen Zustand gebracht, der nicht akzeptiert werden kann, oder einfach eine Linie überschritten, die nicht hätte überschritten werden dürfen“ (Mary Douglas: Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigung und Tabu. Berlin 1985 (engl. 1966), S. 149, 183).

  70. 70.

    Hacke: Die Zeugen Jehovas (Anm. 15), S. 36 f., 49; Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 118 f. Weitere Beispiele bei Besier/Besier: Zeugen Jehovas/Wachtturm-Gesellschaft (Anm. 3), S. 120 f. Auf Ausnahmen einzelner Kirchenvertreter verweist Detlef Garbe (Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 120).

  71. 71.

    So heißt es in einer kirchlichen Rundschau, die im gesamten Gebiet des deutschen Reichs Verbreitung findet: „Die Kirche wird dankbar anerkennen, daß durch dieses Verbot [gemeint ist das preußische Bibelforscherverbot vom Juni 1933, N. S.] eine Entartungserscheinung des Glaubens beseitigt worden ist.“ Kardinal Faulhaber bedankt sich in einem Schreiben an die bayerischen Staatsminister schon Anfang Mai 1933, „daß sich im öffentlichen Leben unter der neuen Regierung manches gebessert hat: Die Gottlosenbewegung ist eingedämmt, die Freidenker können nicht mehr offen gegen Christentum und Kirche toben, die Bibelforscher können nicht mehr ihre amerikanisch-kommunistische Tätigkeit entfalten“ (zitiert nach Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 97, 119).

  72. 72.

    Ebd., S. 155–158; Hacke: Die Zeugen Jehovas (Anm. 15), S. 41 und Hesse/Harder: ‚…und wenn ich lebenslang in einem KZ bleiben müsste…‘ (Anm. 43), S. 24.

  73. 73.

    Im Folgenden jeweils zitiert nach Yonan: Jehovas Zeugen (Anm. 87), S. 64.

  74. 74.

    Ebd., S. 23; Besier: Jehovas Zeugen in Deutschland (Anm. 12), S. 173.

  75. 75.

    Yonan: Jehovas Zeugen (Anm. 87), S. 66, 69.

  76. 76.

    Garbe: Verfolgung und Widerstand (Anm. 75), S. 32.

  77. 77.

    Ebd.; Besier/Besier: Zeugen Jehovas/Wachtturm-Gesellschaft (Anm. 3), S. 119 f.

  78. 78.

    Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 105; Detlef Garbe: Die Verfolgung der Zeugen Jehovas im nationalsozialistischen Deutschland – Ein Überblick. In: Kreismuseum Wewelsburg (Hg.): Widerstand aus christlicher Überzeugung: Jehovas Zeugen im Nationalsozialismus. Dokumentation einer Tagung. Essen 1998, S. 16–27, hier S. 18; Garbe: Verfolgung und Widerstand (Anm. 75), S. 32 f.

  79. 79.

    Yonan: Jehovas Zeugen (Anm. 87), S. 23–26; ähnlich argumentieren auch Besier/Besier: Zeugen Jehovas/Wachtturm-Gesellschaft (Anm. 3), S. 119 f.

  80. 80.

    Harder/Hesse: Zeittafel (Anm. 2), S. 427.

  81. 81.

    Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 106.

  82. 82.

    Ebd., S. 113–115, 127, 131 f.

  83. 83.

    Henrik Eberle (Hg.): Briefe an Hitler. Ein Volk schreibt seinem Führer. Unbekannte Dokumente aus Moskauer Archiven – zum ersten Mal veröffentlicht. Bergisch Gladbach 2009, S. 206–210; Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 128–131. Zum Inhalt der oftmals gleichlautenden Protestschreiben siehe Eberle: Briefe an Hitler (Anm. 83), S. 206–208. Die Briefe sind affirmativ bezüglich des eigenen Glaubens, betonen aber auch den Entschluss, sich weiterhin nonkonform bei zu weit gehenden staatlichen Forderungen zu verhalten; sie enthalten außerdem Angriffe und Vorwürfe gegenüber dem nationalsozialistischen Staat und Adolf Hitler.

  84. 84.

    Der Brief findet sich abgedruckt in Besier: Jehovas Zeugen in Deutschland (Anm. 12), S. 180 f.

  85. 85.

    Zeugen Jehovas veröffentlichen in ihren international erscheinenden Publikationen eine ganze Reihe von Artikeln, die, oft kritisch und polemisch im Ton, detailliert über die Zustände in den Konzentrationslagern berichten, über Misshandlungen und Folterungen, über unzureichende Ernährung und schlechte Lebensbedingungen (Sybil Milton: Die Konzentrationslager der dreißiger Jahre im Bild der in- und ausländischen Presse. In: Ulrich Herbert/Karin Orth/Christoph Dieckmann (Hg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur. Band 1 [1998]. Frankfurt am Main 2002, S. 135–147, hier S. 135 f., 143 f.). Im Jahr 1938 erscheint im Europa-Verlag in der Schweiz eine Dokumentensammlung über die Verfolgung der Zeugen Jehovas in Deutschland mit dem Titel Kreuzzug gegen das Christentum. Um die europäische Öffentlichkeit zu erreichen, kommt es auch zu einer Übersetzung in französischer und polnischer Sprache. Der Verfasser ist Franz Zürcher, ein Zeuge Jehovas. Diese Veröffentlichung kann als eine frühe „Darstellung [der Nazi-Verbrechen, N. S.] gelten, die das Ausland erreicht[e]“ (Yonan: Jehovas Zeugen (Anm. 87), S. 33). Auch hier werden wieder Details benannt: Skizzenpläne der Konzentrationslager Esterwegen und Sachsenhausen, durch die Nazis angewandte Foltermethoden und anderes. Thomas Mann schreibt kurz vor seiner Emigration in die Vereinigten Staaten an das Büro der Watch Tower Society in Bern: „Ich habe Ihr so schauerlich dokumentiertes Buch mit größter Ergriffenheit gelesen … auf jeden Fall haben Sie Ihre Pflicht getan, indem Sie mit diesem Buch vor die Öffentlichkeit traten, und mir scheint, einen stärkeren Appell an das Weltgewissen kann es nicht geben“ (Thomas Mann, zitiert nach Yonan: Jehovas Zeugen (Anm. 87), S. 34).

  86. 86.

    Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 221–266, 321–352; Hacke: Die Zeugen Jehovas (Anm. 15), S. 125–127; Yonan: Jehovas Zeugen (Anm. 87), S. 34–36.

  87. 87.

    Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 165–220. Detlef Garbe geht von „mindestens 860 Fällen“ des Sorgerechtentzugs aus (ebd., S. 208), Brigitta Hack spricht von „maximal 467“ (Brigitta Hack: Bibelforscher-Kinder. Jehovas Zeugen in der NS-Zeit im Spiegel erzählter Kindheits- und Jugenderinnerungen. Aachen 2006, S. 523). Nach aktuellem Forschungsstand kann derzeit „von 600 namentlich bekannten Kindern ausgegangen werden“ (Besier: Jehovas Zeugen in Deutschland (Anm. 12), S. 171 f./Anm. 107). Exemplarisch im Hinblick auf das Schicksal jugendlicher Zeugen Jehovas siehe Martin Guse: ‚Der Kleine, der hat sehr leiden müssen…‘. Zeugen Jehovas im Jugend-KZ Moringen. In: Hans Hesse (Hg.): ‚Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas‘. Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus. Bremen 1998, S. 102–120.

  88. 88.

    Der Vergleich mit anderen religiösen, sozialen und politischen Gruppen zeigt, dass bei ihnen anteilsmäßig sogar weit mehr Frauen an den Widerstandsaktivitäten beteiligt sind. Sehr knapp zur Rolle der Frauen während der NS-Zeit innerhalb und außerhalb der Lager Christl Wickert: Frauenwiderstand und Dissens im Kriegsalltag. In: Peter Steinbach/Johannes Tuchel (Hg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Bonn 1994, S. 411–425, hier S. 420 f.; Wachsmann: KL (Anm. 46), S. 159 f.; ausführlicher bei Detlef Garbe: Kompromißlose Bekennerinnen. Selbstbehauptung und Verweigerung von Bibelforscherinnen. In: Christl Wickert (Hg.): Frauen gegen die Diktatur – Widerstand und Verfolgung im nationalsozialistischen Deutschland. Berlin 1995, S. 52–73 und Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 233, 238, 259, 321 f., 338, 419, 431 f., 435, 437, 503 f., 513. Zu Zeuginnen Jehovas in Frauenkonzentrationslagern siehe Hesse/Harder: ‚…und wenn ich lebenslang in einem KZ bleiben müsste…‘ (Anm. 43); Harder/Hesse: Die Zeuginnen Jehovas (Anm. 58), S. 35 ff.; Ursula Krause-Schmitt: Widerstand und Verfolgung von Zeuginnen Jehovas. In: Hans Hesse (Hg.): ‚Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas‘. Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus. Bremen 1998, S. 242–247.

  89. 89.

    Dies sind dann auch die Gründe, die zur Einweisung von Bibelforscherinnen in ein KZ führen. Für Moringen siehe Harder/Hesse: Die Zeuginnen Jehovas (Anm. 58), S. 45–49.

  90. 90.

    Garbe: Kompromißlose Bekennerinnen (Anm. 88), S. 70; Hesse/Harder: ‚…und wenn ich lebenslang in einem KZ bleiben müsste…‘ (Anm. 43), S. 206–210, hier S. 208 f.

  91. 91.

    In welchem Umfang Jehovas Zeugen auch unter den Euthanasie-Opfern zu finden sind, ist bisher kaum gründlich erforscht worden. Helga Schubert streift in ihrem literarischen Text Die Welt da drinnen diesen Zusammenhang (Helga Schubert: Die Welt da drinnen. Eine deutsche Nervenklinik und der Wahn vom ‚unwerten Leben‘. Frankfurt am Main 2003, S. 46 f., 99–101, 121 f., 197 f.).

  92. 92.

    Angesichts des totalitären Zugriffs des NS-Staates auf das gesamte Leben jedes Individuums muss kritisch gefragt werden, wo die anderen 10 000–15 000 Zeugen Jehovas gewesen sind beziehungsweise wie sie die Zeit des Nationalsozialismus überstanden haben.

  93. 93.

    Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 403 f. Im KZ Buchenwald sind zum Beispiel im Mai 1938 zwölf Prozent der Häftlinge Zeugen Jehovas, im FKL Lichtenburg über 40 %, wohingegen der Anteil der Kommunistinnen und Sozialdemokratinnen zusammen zur gleichen Zeit nur bei etwas über 10 % liegt (ebd.).

  94. 94.

    Ebd., S. 491–500, hier S. 500. Wiederholt werden diese Zahlenangaben in Garbe: Die Verfolgung der Zeugen Jehovas (Anm. 78), S. 23. Der Beitrag von Brigitte Oleschinski in dem von Peter Steinbach und Johannes Tuchel herausgegebenen Sammelband übernimmt Garbes Zahlen (Brigitte Oleschinski: Religiöse Gemeinschaften im Widerstand. In: Peter Steinbach/Johannes Tuchel (Hg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Bonn 1994, S. 193–201, hier S. 197). In einer späteren Veröffentlichung revidiert Detlef Garbe seine Zahlen geringfügig: Er spricht dort von circa 4000 in Konzentrationslagern inhaftierten Zeugen Jehovas, wobei diese Zahl die ausländischen Anhänger mit beinhalten soll; die Zahl der deutschen Todesopfer liegt jetzt bei über 1000, diejenige der ausländischen Glaubensangehörigen bei bis zu 500; Garbe spricht zudem von mehr als 300 Hinrichtungen von Zeugen Jehovas wegen Kriegsdienstverweigerung (Garbe: Verfolgung und Widerstand (Anm. 75), S. 18). Hacke geht von knapp 20 000 aktiven Anhängern zu Beginn der Nazi-Herrschaft im Jahr 1933 aus; ansonsten ähneln die Zahlen denen aus Detlef Garbes Dissertation (Hacke: Die Zeugen Jehovas (Anm. 15), S. 211). Geringfügig abweichend die Zahlenangaben bei Gabriele Yonan, die ebenfalls ausländische Zeugen Jehovas mit einbezieht (Yonan: Jehovas Zeugen (Anm. 87), S. 9). Der aktuelle Stand wird dokumentiert in Garbe: ‚Barbarei in einem Land der ‚Christenheit‘‘ (Anm. 75), S. 17. Differenzen bei den Opferzahlen betreffen häufig den Umstand, dass die Autoren die Bibelforscher aus den besetzten Ländern (nicht) einbeziehen.

  95. 95.

    Es handelt sich um August Dickmann, der am 15. September 1939 im KZ Sachsenhausen vor der versammelten Lagergemeinschaft hingerichtet wird (Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 420–422). Harry Naujoks, damaliger kommunistischer Lagerältester und Augenzeuge, schildert in seinem KZ-Bericht den Ablauf dieser Hinrichtung (Harry Naujoks: Mein Leben in Sachsenhausen 1936–1942. Erinnerungen eines ehemaligen Lagerältesten. Bearbeitet von Ursel Hochmuth. Köln 1987, S. 142). Arnold Weiss-Rüthel, selbst ehemaliger Häftling im KZ Sachsenhausen, verarbeitet meines Erachtens dieses Ereignis literarisch in seiner Kurzgeschichte Die Erschießung des Bibelforschers, die in der von Wolfgang Weyrauch herausgegebenen Anthologie Tausend Gramm veröffentlicht worden ist (Arnold Weiss-Rüthel: Die Erschießung des Bibelforschers. In: Wolfgang Weyrauch (Hg.): Tausend Gramm. Ein Bekenntnis in dreißig Geschichten aus dem Jahr 1949. Mit einer Einleitung von Charles Schüddekopf. Überarbeitete und erweiterte Neuausgabe [1949]. Reinbek bei Hamburg 1989, S. 113–117). Auch Eugen Kogon bezieht sich vermutlich auf diese Hinrichtung. Seine Behauptung allerdings, es seien vierzig Bibelforscher wegen Kriegsdienstverweigerung erschossen worden, dürfte kaum der Realität entsprechen (Kogon: Der SS-Staat, (Anm. 15), S. 286). In der Gedenkstätte Sachsenhausen erinnert heute eine Gedenktafel an August Dickmann (Hesse: ‚Dann wäre der Krieg gleich zu Ende‘ (Anm. 50), S. 29).

  96. 96.

    Im Folgenden siehe Wachsmann: KL (Anm. 46), S. 453–571; Sofsky: Die Ordnung des Terrors (Anm. 57), S. 193–225; Ulrich Herbert/Karin Orth/Christoph Dieckmann: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Geschichte, Erinnerung, Forschung. In: Ulrich Herbert/Karin Orth/Christoph Dieckmann (Hg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur. Band 1 [1998]. Frankfurt am Main 2002, S. 17–40, hier S. 24 ff. Außerdem siehe die Beiträge der Sektionen 2 und 4 aus Ulrich Herbert/Karin/Orth/Christoph Dieckmann, (Hg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur. 2 Bände [1998]. Frankfurt am Main 2002, S. 167–360, 531–751, besonders die kommentierenden Bemerkungen von Bernd Weisbrod: Entwicklung und Funktionswandel der Konzentrationslager 1937/38 bis 1945. Kommentierende Bemerkungen. In: Ulrich Herbert/Karin Orth/Christoph Dieckmann (Hg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur. Band 1 [1998]. Frankfurt am Main 2002, S. 349–360 und Michael Zimmermann: Arbeit in den Konzentrationslagern. Kommentierende Bemerkungen. In: Ulrich Herbert/Karin Orth/Christoph Dieckmann (Hg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur. Band 2 [1998]. Frankfurt am Main 2002, S. 730–751.

  97. 97.

    Weisbrod: Entwicklung und Funktionswandel der Konzentrationslager (Anm. 211), S. 351.

  98. 98.

    Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 451–461; Sofsky: Die Ordnung des Terrors (Anm. 57), S. 142; Hacke: Die Zeugen Jehovas (Anm. 15), S. 186–192.

  99. 99.

    Hier und im Folgenden Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 11 f.; wiederholt werden diese Aussagen in Garbe: Die Verfolgung der Zeugen Jehovas (Anm. 78), S. 24 und Garbe: Verfolgung und Widerstand (Anm. 75), S. 17. Ähnlich die Einschätzung in Wippermann: Umstrittene Vergangenheit (Anm. 37), S. 257–261. Bezüglich der Kriegsdienstverweigerung und der Kennzeichnung in den Konzentrationslagern siehe Hacke: Die Zeugen Jehovas (Anm. 15), S. 150–160, 176–185. Zur Verfolgungsgeschichte der Zeugen Jehovas während des Nationalsozialismus im europäischen Kontext siehe auch Gerhard Besier/Katarzyna Stokłosa (Hg.): Jehovas Zeugen in Europa. Geschichte und Gegenwart. 3 Bände. Berlin 2013 ff. Zu bemängeln ist der zum Teil apologetische Stil in einzelnen Beiträgen.

  100. 100.

    Detlef Garbe: Gesellschaftliches Desinteresse, staatliche Desinformation, erneute Verfolgung und nun Instrumentalisierung der Geschichte? In: Hans Hesse (Hg.): ‚Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas‘. Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus. Bremen 1998, S. 302–317, hier S. 305. Exemplarisch hierfür Kogon: Der SS-Staat (Anm. 15); Hanns Lilje: Im finstern Tal. Nürnberg 1947, S. 62–65; Erwin Gostner: 1000 Tage im KZ. Ein Erlebnisbericht aus den Konzentrationslagern Dachau, Mauthausen und Gusen. Mit authentischem Bildmaterial und Dokumenten sowie einem zeitgeschichtlichen Nachwort von Christoph von Hartungen und Georg J. Anker. Innsbruck 1947; Karl Barthel: Die Welt ohne Erbarmen. Bilder und Skizzen aus dem KZ. Rudolstadt 1946, S. 52–57; Günther Weisenborn: Der lautlose Aufstand. Bericht über die Widerstandsbewegung des deutschen Volkes 1933–1945 [1953]. Frankfurt am Main 41974, S. 87–89.

  101. 101.

    Einen knappen Gesamtüberblick bietet Wolfgang Benz: Die späte Aufarbeitung der NS-Verfolgungsgeschichte der Zeugen Jehovas. Publikation zur Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum München. 27. September 2018 bis 7. Januar 2019. In: Winfried Nerdinger (Hg.): Die Verfolgung der Zeugen Jehovas in München 1933–1945. Publikation zur Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum München 27. September 2018 bis 7. Januar 2019. Berlin 2018, S. 60–69. Der geschichtswissenschaftliche Forschungsstand bis Anfang der 1990er Jahre findet sich beschrieben bei Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 16–39. Zur späten Aufarbeitung des Verfolgungsschicksals der Zeugen Jehovas siehe auch Garbe: Gesellschaftliches Desinteresse (Anm. 100), S. 302–317.

  102. 102.

    Benz: Die späte Aufarbeitung (Anm. 101), S. 69.

  103. 103.

    In einem Grundsatzurteil vom 24. Juni 1964 hat der Bundesgerichtshof seine Entscheidung diesbezüglich damit begründet, Kriegsdienstverweigerung könne nicht als gerechtfertigter Widerstand gewertet werden, die damals Verurteilten hätten vielmehr „ihre soldatische Pflicht“ erfüllen müssen (zitiert nach Garbe: Gesellschaftliches Desinteresse (Anm. 100), S. 305 f.; ebenso Milton: Zeugen Jehovas – vergessene Opfer? (Anm. 7), S. 30). Erst eine im Mai 1997 verabschiedete Entschließung des Bundestages erklärt die Nichtanerkennung der Kriegsdienstverweigerung für unrechtmäßig und bewilligt eine einmalige Entschädigungszahlung für die Opfer.

  104. 104.

    Garbe: Gesellschaftliches Desinteresse (Anm. 100), S. 306. Siehe im Besonderen Dirksen: ‚Keine Gnade den Feinden unserer Republik‘ (Anm. 68); Hacke: Die Zeugen Jehovas (Anm. 15), S. 213 ff.; Yonan: Jehovas Zeugen (Anm. 87), S. 75 ff.; Gabriele Yonan (Hg.): Im Visier der Stasi. Jehovas Zeugen in der DDR. Mit einem Vorwort von Ehrhart Neubert. Niedersteinbach 2000.; zur wechselhaften Rolle als „Opfer des Faschismus“ siehe Falk Bersch: Aberkannt! Die Verfolgung von Jehovas Zeugen im Nationalsozialismus und in der SBZ/DDR. Hg. von der Beauftragten des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur. Berlin 2017, S. 73 ff.; Elke Reuter/Detlef Hansel: Das kurze Leben der VVN von 1947 bis 1953. Berlin 1997, S. 300–303. Etwas ausführlicher gehe auf diesen Aspekt weiter unten unter Punkt 3.4.1 ein.

  105. 105.

    So zum Beispiel 1965 das Buch von Friedrich Zipfel: Kirchenkampf in Deutschland 1933–1945. Religionsverfolgung und Selbstbehauptung der Kirchen in der nationalsozialistischen Zeit. Mit einer Einleitung von Hans Herzfeld. Berlin 1965; 1969 folgt der Aufsatz von Kater: Die Ernsten Bibelforscher im Dritten Reich (Anm. 5), S. 181–218.

  106. 106.

    Es handelt sich dabei um die Dissertation von Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14).

  107. 107.

    Rüdiger Lautmann stellt fest, dass sich „Staat und Wissenschaften“ immer erst dann „mit den Nazi-Verbrechen“ befassen, „wenn Opfer, deren Nachfolger und Organisationen darauf drängen“ (Lautmann: Die soziale Ordnung des Gedenkens (Anm. 62), S. 290). Mit Blick auf sozial Ausgegrenzte und ethnisch-religiöse Fremdheit formuliert es Daniela Klimke allgemeiner: „Ausschließungsprozesse bleiben meist unsichtbar. Zum sozialen Problem werden sie erst dann, wenn sich die Ausgeschlossenen zurückmelden und auf Teilnahme bestehen“ (Daniela Klimke: Zur Einführung. In: Daniela Klimke (Hg.): Exklusion in der Marktgesellschaft. Wiesbaden 2008, S. 7–15, hier S. 10).

  108. 108.

    Lautmann: Die soziale Ordnung des Gedenkens (Anm. 62), S. 282. Für Aleida Assmann ist das Ziel dieser notwendigen Debatte, „auch anderen Opfergruppen im öffentlichen Bewusstsein zur Anerkennung zu verhelfen“ (Assmann: Der lange Schatten (Anm. 5), S. 248).

  109. 109.

    Benz: Die späte Aufarbeitung (Anm. 101), S. 69; siehe auch Barbara Distel: Die Zeugen Jehovas im KZ Dachau. In: Winfried Nerdinger (Hg.): Die Verfolgung der Zeugen Jehovas in München 1933–1945. Publikation zur Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum München 27. September 2018 bis 7. Januar 2019. Berlin 2018, S. 40–49, hier S. 40; Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 554.

  110. 110.

    Winfried Nerdinger: Einführung – Die Verfolgung der Zeugen Jehovas. In: Winfried Nerdinger (Hg.): Die Verfolgung der Zeugen Jehovas in München 1933–1945. Publikation zur Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum München 27. September 2018 bis 7. Januar 2019. Berlin 2018, S. 7; Garbe: ‚Barbarei in einem Land der ‚Christenheit‘‘ (Anm. 75), S. 8; Hesse: ‚Dann wäre der Krieg gleich zu Ende‘ (Anm. 50), S. 30. Sutterlüty und Neckel sprechen von einer „negativen Klassifikation“. Diese beinhaltet, dass „bestimmte Akteure als unterlegen betrachtet, abgewertet und symbolisch aus dem Kreis anerkannter Gesellschaftsmitglieder ausgeschlossen“ werden; sie beruht auch hinsichtlich der Zeugen Jehovas „auf einer kategorialen Semantik“: Die Gesellschaft fällt über diese religiöse Minderheit „qualitative Urteile der Andersartigkeit“; die wahrgenommenen Merkmale werden nach dem Maßstab von ‚gleich/ungleich‘ sortiert, so dass „ein Nebeneinander sich ausschließender Kategorien [zustande kommt]“; die „Ungleichheit von rangniedrigeren Akteure [wird] als deren Ungleichwertigkeit“ interpretiert (Sighard Neckel/Ferdinand Sutterlüty: Negative Klassifikationen – Konflikte um die symbolische Ordnung sozialer Ungleichheit. In: Wilhelm Heitmeyer/Peter Imbusch (Hg.): Integrationspotentiale einer modernen Gesellschaft. Wiesbaden 2005, S. 405–428, hier S. 414 f.). Herfried Münkler und Bernd Ladwig stellen einen Zusammenhang her zwischen der Klassifikation als Fremde und der verweigerten Anerkennung: „Prinzipiell gehört der Fremde nicht zur moralischen Gemeinschaft. […]. Wer nicht dazugehört, steht außerhalb des Bezugsrahmens wechselseitiger Anteilnahme und Anerkennung“ (Münkler/Ladwig: Dimensionen der Fremdheit (Anm. 19), S. 17).

  111. 111.

    Garbe: Gesellschaftliches Desinteresse (Anm. 100), S. 309.

  112. 112.

    Lautmann: Die soziale Ordnung des Gedenkens (Anm. 62), S. 290.

  113. 113.

    Milton: Zeugen Jehovas – vergessene Opfer? (Anm. 7), S. 32.

  114. 114.

    Siehe dazu die Arbeit von Haas: Erinnerungsliteratur (Anm. 40).

  115. 115.

    Terminologisch folge ich hier Erll: Kollektives Gedächtnis (Anm. 38), S. 32 f.

  116. 116.

    Herbert/Orth/Dieckmann: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager (Anm. 96), S. 21 f. Immer wieder wird die „Hierarchie der Opfer“ festgestellt und beklagt, so zum Beispiel bei Lautmann: Die soziale Ordnung des Gedenkens (Anm. 62), S. 286; Wachsmann: KL (Anm. 46), S. 706–713, hier S. 711 f.; Orth: Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager (Anm. 57), S. 18 f.

  117. 117.

    Milton: Zeugen Jehovas – vergessene Opfer? (Anm. 7), S. 30 f.

  118. 118.

    Garbe: Gesellschaftliches Desinteresse (Anm. 100), S. 304.

  119. 119.

    Ebd.

  120. 120.

    Ebd., S. 303; Lautmann: Die soziale Ordnung des Gedenkens (Anm. 62), S. 281; Wolfgang Benz: Nachkriegsgesellschaft und Nationalsozialismus. Erinnerung, Amnesie, Abwehr. In: Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hg.): Erinnern oder Verweigern. Das schwierige Thema Nationalsozialismus. Dachauer Hefte Band 6. München 1990, S. 12–24. Zum gesamten Rezeptionsprozess des Nationalsozialismus siehe unter anderem Torben Fischer/Matthias N. Lorenz: Lexikon der ‚Vergangenheitsbewältigung‘ in Deutschland. Debatten und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. Bielefeld 32015; Norbert Frei: 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewusstsein der Deutschen. München 2005, ferner Aleida Assmann/Ute Frevert: Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit. Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945. Stuttgart 1999 und, aus Sicht der Psychotherapie, Tilmann Moser: Dämonische Figuren. Die Wiederkehr des Dritten Reiches in der Psychotherapie. Frankfurt am Main 2001, S. 19–54, 115–137. In diesem Zusammenhang sei auch verwiesen auf Ralph Giordano: Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein [1987]. Köln 22008; Alexander Mitscherlich/Margarete Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens [1967]. München 151988.

  121. 121.

    Ich muss hier die Unterschiede zwischen der BRD und der DDR vernachlässigen: Die fünfziger Jahre sind wesentlich durch den Kalten Krieg bestimmt, im Westen ideologisch durch den Antikommunismus unterfüttert, im Osten durch die parteiideologische Antifaschismus-Doktrin; ausführlicher hierzu Garbe: Gesellschaftliches Desinteresse (Anm. 100), S. 303–308. In Verbindung mit dem jahrzehntelangen Ost-West-Konflikt muss auch die je nach Gesellschaftssystem durchaus unterschiedliche Aufarbeitung des Schicksals bestimmter Verfolgtengruppen (zum Beispiel der Kommunisten) hier unberücksichtigt bleiben.

  122. 122.

    Christoph Daxelmüller: Solidarität und Überlebenswille. Religiöses und soziales Verhalten der Zeugen Jehovas in Konzentrationslagern. In: Hans Hesse (Hg.): ‚Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas‘. Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus. Bremen 1998, S. 21–34, hier S. 32. Sind Vorurteile im Spiel, dann geht es auch um gesellschaftliche Ressentiments gegenüber Minderheiten; in dieser Abwehrhaltung sieht auch Detlef Garbe einen Grund für die mangelhafte Rezeption dieser kleinen Religionsgemeinschaft (Garbe: Gesellschaftliches Desinteresse (Anm. 100), S. 303). Zudem geht es bei Minderheiten auch um deren Fremdheit, die verstört und provoziert, und um Tabus. Auf den Zusammenhang zwischen Tabus, Ressentiments und Vorurteilen verweisen schon Mitscherlich/Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu trauern (Anm. 120), S. 110 ff. Die Fremdheit einer Minderheit wird oft als Störfaktor der sozialen und religiösen Ordnung angesehen; auf den Zusammenhang zwischen Tabus und der „Ordnung der Religion“ im Hinblick auf den „Gemeinschaft stiftende[n] Wertekanon einer Kultur“ wird verwiesen in Claudia Benthien/Ortrud Gutjahr: Interkulturalität und Gender-Spezifik von Tabus. Zur Einleitung. In: Claudia Benthien/Ortrud Gutjahr (Hg.): Tabu. Interkulturalität und Gender. München 2008, S. 7–16, hier S. 8.

  123. 123.

    Lautmann: Die soziale Ordnung des Gedenkens (Anm. 62), S. 297. Auch Sybil Milton nennt als einen wichtigen Grund für das langjährige Beschweigen dieser religiösen Minderheit Intoleranz und Vorurteile (Milton: Zeugen Jehovas – vergessene Opfer? (Anm. 7), S. 30 f.).

  124. 124.

    Garbe: Gesellschaftliches Desinteresse (Anm. 100), S. 302. Norbert Elias’ Aussage bezüglich der „verhasste[n] [jüdischen, N. S.] Minderheit“ erweist sich ebenfalls als zutreffend, wenn es um das Verfolgungsschicksal der Zeugen Jehovas geht: „Im großen und ganzen haben die Opfer der Geschichte, haben machtlose Gruppen, die besiegt wurden, nur eine geringe Chance, daß man sich ihrer erinnert“ (Elias: Studien über die Deutschen (Anm. 30), S. 393).

  125. 125.

    Assmann: Der lange Schatten (Anm. 5), S. 52, 104–108.

  126. 126.

    Hartmut Schröder: Zur Kulturspezifik von Tabus. Tabus und Euphemismen in interkulturellen Kontaktsituationen. In: Claudia Benthien/Ortrud Gutjahr (Hg.): Tabu. Interkulturalität und Gender. München 2008, S. 51–70. Sven Kramer hält das „gesamte Diskursgelände, das mit der Shoah und dem Nationalsozialismus in Verbindung steht“, für „tabudurchsetzt“ (Sven Kramer: Tabuschwellen in literarischen Diskursen über den Nationalsozialismus und die Shoah. In: Claudia Benthien/Ortrud Gutjahr (Hg.): Tabu. Interkulturalität und Gender. München 2008, S. 177–190, hier S. 187); Hartmut Kraft: Nigger und Judensau. Tabus heute. In: Claudia Benthien/Ortrud Gutjahr (Hg.): Tabu. Interkulturalität und Gender. München 2008, S. 261–273. Aleida Assman unterscheidet zwei Formen von ‚verordnetem Vergessen‘: Vergessen als Strafe (damnatio memoriae) und Vergessen als Gnade und Schonung. Die damnatio memoriae, die Form des Vergessens, die man mit Jehovas Zeugen verbinden kann, definiert Assman so: „[Sie, N. S.] ist eine Form der Verfolgung durch Vernichtung des Namens; hier geht es darum, die Spuren der Existenz eines Menschen [oder einer Gruppe, N. S.] zu löschen, ihn [beziehungsweise sie, N. S.] aus den Annalen der Geschichtsschreibung sowie durch Kommunikationsbegrenzung aus dem sozialen Gedächtnis zu tilgen. Auch die Exkommunikation verhängt einen Bann des Schweigens und Vergessens über eine Person (oder Gruppe, N. S.] und löscht so ihre Mitgliedschaft in der Gemeinschaft“ (Assmann: Der lange Schatten (Anm. 5), S. 105); ebenso in Assmann: Formen des Vergessens (Anm. 5), S. 49 ff.

  127. 127.

    Für Brigitte Oleschinski aktualisiert das Widerstandsverhalten kleiner religiöser Gemeinschaften wie das der Zeugen Jehovas „ethische[n] Fragestellungen um Verstrickung und Gegenwehr, Schuld und Ohnmacht im nationalsozialistischen Herrschaftssystem“ (Oleschinski: Religiöse Gemeinschaften im Widerstand (Anm. 94), S. 194).

  128. 128.

    Ich kann hier weder auf die unterschiedliche Rezeption der NS-Zeit in den beiden deutschen Staaten der Nachkriegszeit und die jeweiligen ideologischen Implikationen eingehen noch auf geschichtswissenschaftliche Debatten wie zum Beispiel den Historikerstreit, Fragen der Kollektivschuld im Anschluss an die Goldhagen-Kontroverse und Ähnliches. Exemplarisch sei verwiesen auf Fischer/Lorenz: Lexikon der ‚Vergangenheitsbewältigung‘ (Anm. 120); Dietmar Süß/Winfried Süß, (Hg.): Das ‚Dritte Reich‘. Eine Einführung. München 2008, hier besonders den Beitrag von Christoph Classen: Was bleibt vom ‚Dritten Reich‘? Der Umgang mit dem Nationalsozialismus im geteilten Nachkriegsdeutschland. In: Dietmar Süß/Winfried Süß (Hg.): Das ‚Dritte Reich‘. Eine Einführung. München 2008, S. 311–353; Assmann/Frevert: Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit (Anm. 120); Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit. München 1996; Frei: 1945 und wir (Anm. 120); Wilfried Loth/Bernd-A. Rusinek (Hg.): Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft. Frankfurt am Main 1998; Peter Reichel: Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur in Politik und Justiz [2001]. München 22007; Wippermann: Umstrittene Vergangenheit (Anm. 37); Giordano: Die zweite Schuld (Anm. 120). Zur sprachlichen Seite des Schulddiskurses siehe Kämper: Der Schulddiskurs (Anm. 1); für sie ist die „Rehabilitierung der Deutschen […] zentrales Anliegen der nachkriegsdeutschen Funktions- und Interpretationseliten in West und Ost und quer durch die Gesellschaft“ (ebd., S. 57).

  129. 129.

    Benz: Die späte Aufarbeitung (Anm. 101), S. 66.

  130. 130.

    Yonan: Jehovas Zeugen (Anm. 87), S. 25, 36; ähnlich auch bei Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 14.

  131. 131.

    Assmann: Der lange Schatten (Anm. 5), S. 74–79.

  132. 132.

    Ebd., S. 70–83, hier S. 82; siehe auch Moser: Dämonische Figuren (Anm. 120); Techniken und Abwehrmechanismen beschreiben schon Mitscherlich/Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu trauern (Anm. 120), S. 13–83. Exemplarisch verdeutlichen lässt sich dies anhand der Art und Weise, wie zum Beispiel Soldaten erzählstrategisch Kriegserlebnisse bewältigen (siehe dazu Ludger Tekampe: Kriegserzählungen. Eine Studie zur erzählerischen Vergegenwärtigung des Zweiten Weltkrieges. Mainz 1989, S. 115 ff.). Ein anderes Beispiel betrifft die Reaktionsweise der Frauen, die gegen Kriegsende Opfer sexueller Gewalt geworden sind. Die Untersuchung ihrer Tagebücher zeigt: Ihre Unschuld wird von ihnen auch auf den Vernichtungskrieg und den Holocaust bezogen und um diese Dimension erweitert; sie verschweigen die eigenen „kleinen alltäglichen Kompromisse und Opportunismen gegenüber dem NS-Regime“, die „potentielle Mitwisserschaft und (Mit)Täterinnenschaft […] wird ausgeblendet“. Mit der Rückkehr der eigenen „Männer/ehemaligen Wehrmachtsangehörigen“ aus dem Krieg „verstummt das Sprechen“; Wehrmachtsverbrechen werden mit einem Tabu belegt, um die Ehemänner zu entlasten und zu schützen (Sabine Grenz: (Ent-)Tabuisiertes Erzählen: Sexuelle Gewalt an ‚deutschen‘ Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs. In: Ute Frietsch/Konstanze Hanitzsch/Jennifer John/Beatrice Michaelis (Hg.): Geschlecht als Tabu. Orte, Dynamiken und Funktionen der De/Thematisierung von Geschlecht. Bielefeld 2008, S. 171–185, hier S. 172, 182 f.). Symptomatisch auch das Verhalten der Flakhelfer-Generation. Die meisten von ihnen verdrängen und leugnen im Nachhinein selbst noch das sinnfälligste Stigma ihrer eigenen Verstrickung während der Nazi-Zeit, nämlich die Mitgliedschaft in der NSDAP. Auch Schriftsteller sind von diesem Verhaltensmuster nicht ausgenommen (Malte Herwig: Die Flakhelfer. Wie aus Hitlers jüngsten Parteimitgliedern Deutschlands führende Demokraten wurden. München 2013, S. 23; allgemeiner bezüglich der Mentalität der Flakhelfer-Generation in der Nachkriegszeit siehe Heinz Bude: Deutsche Karrieren. Lebenskonstruktionen sozialer Aufsteiger aus der Flakhelfer-Generation. Frankfurt am Main 1987). Zur Biographie Max von der Grüns und ihrer Bedeutung für seine Erzähltexte siehe unter Punkt 4.2.3. Auch Hans Werner Richter ist bestrebt, sein eigenes Mitläufertum im Dritten Reich und das des Großteils seiner Romanfiguren mittels bestimmter Strategien zu rechtfertigen und sich beziehungsweise sie freizusprechen; siehe dazu weiter unten unter Punkt 4.2.2.

  133. 133.

    Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium (Anm. 14), S. 14; ähnlich auch, allerdings mit stärkerem Bezug zu den Großkirchen, in Yonan: Jehovas Zeugen (Anm. 87), S. 36 ff. Martin Kriele macht am Beispiel des Islam deutlich, wohin es in einer säkularisiert-christlichen Gesellschaft führt, wenn Menschen in ihrer Mitte leben, die ihre Religion (noch) ernst nehmen. Sie würden den anderen Menschen zeigen, was der Großteil bezüglich des eigenen Glaubens zu opfern bereit gewesen sei oder mittlerweile als unerwünscht unterdrückt habe. Der praktizierte Glauben stelle das Verhalten derer in Frage, für die die Religion nicht (mehr) lebensbestimmend ist. Letztere reagierten entsprechend aggressiv: Derjenige, der seine Religion ernst nimmt, sei ein Fanatiker, seine Vorstellungen beruhten nur auf „voraufgeklärten Subjektivismen und Traditionen“ (Martin Kriele: Säkularisierung und die islamische Herausforderung. In: Gerhard Besier (Hg.): Religionsfreiheit und Konformismus. Über Minderheiten und die Macht der Mehrheit. Mit Aufsätzen und Essays von Gerhard Besier, Hermann Lübbe, Johannes Neumann, Hubert Seiwert und anderen. Münster 2004, S. 243–259, hier S. 254 f.); ebenso auch Johannes Neumann, der meint, dass „leidenschaftlich religiöse Menschen“ in der Gesellschaft verstörend wirkten (Neumann: Religion und Religionen (Anm. 2), S. 26). Dieser allgemeine Wirkmechanismus scheint übertragbar auf die NS-Verfolgungsgeschichte von Jehovas Zeugen und die Reaktionsweisen der Menschen auf sie in den Nachkriegsgesellschaften (Besier: Jehovas Zeugen in Deutschland (Anm. 12), S. 163).

  134. 134.

    Garbe: ‚Barbarei in einem Land der ‚Christenheit‘‘ (Anm. 75), S. 8; Distel: Die Zeugen Jehovas im KZ Dachau (Anm. 109), S. 68 f.; Benz: Die späte Aufarbeitung (Anm. 101), S. 68 f.

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Schmidtchen, N. (2022). Jehovas Zeugen. In: „Narren in Christo“. Studien zu Literatur und Religion / Studies on Literature and Religion, vol 5. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-65922-9_2

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