5.1 Biologische Grundlagen für ein wirkungsvolles Management

Dieses Kapitel fasst bekannte Aspekte der Biologie des Igels zusammen; ein solches Wissen ist unabdingbar für das Verständnis der Bedürfnisse der Igel und in einem weiteren Schritt für eine sinnvolle Umsetzung von Schutz- und Fördermaßnahmen in deren Lebensräumen.

5.1.1 Systematik und Verbreitung

Igel (Erinaceidae) gehören zur Gruppe der Lipotyphla (auch Eulipotyphla, veraltet auch „Insektenfresser“ oder „Insectivora“) und somit in die Verwandtschaft der Maulwürfe (Talpidae), Spitzmäuse (Soricidae) und Schlitzrüssler (Solenodontidae) (Asher 2018). In Europa sind vor allem zwei Igelarten heimisch (Wilson und Reeder 2005; Amori 2016; Amori et al. 2016): Zum einen der Braunbrustigel (Erinaceus europaeus; auch Westigel oder Westeuropäischer Igel), der in West- und Zentraleuropa bis in den Westen Russlands vorkommt. Zum anderen der Nördliche Weißbrustigel (E. roumanicus), der in Osteuropa bis Zentralasien und Westsibirien verbreitet ist. In den Überlappungszonen der beiden Arten (im deutschsprachigen Raum v. a. im Osten Österreichs) kommt es nur selten zu Hybridisierungen (Bolfíková und Hulva 2012). Die Nachkommen solcher Hybridisierungen sind zumindest teilweise fortpflanzungsfähig (Zolotareva et al. 2021). Beide Arten sind sich in Aussehen und Biologie ähnlich (Corbet 1988), wobei der Braunbrustigel weit besser erforscht ist als der Nördliche Weißbrustigel. Deshalb werden wir in diesem Kapitel vor allem Fakten zum Braunbrustigel (ab hier einfach „Igel“ genannt) wiedergeben. Die Schutz- und Fördermaßnahmen, die in den weiteren Kapiteln beschrieben sind, gelten für beide Igelarten.

5.1.2 Körperliche Eigenschaften

Die offensichtlichste und auch bekannteste körperliche Eigenart von Igeln ist ihr hochspezialisiertes und effektives Verteidigungssystem, bestehend aus Stacheln (abgewandelte Haare) und einem speziell ausgeprägten Hautmuskelsystem (Reeve 1994; Westheide und Rieger 2010): Bei Gefahr können die Stacheln aufgestellt und die bestachelte Haut über Kopf und Körper gezogen werden. Wenn nötig, kann sich der Igel sogar komplett „einkugeln“, was durch einen einem Turnbeutelverschluss ähnlichen, um den Körper führenden Hautmuskel ermöglicht wird.

Das Gewicht der adulten Igel variiert mit der Jahreszeit (Winterschlaf), dem Alter und der geographischen Lage und beträgt 800–1700 g bei einer Körperlänge von 20–30 cm (Holz und Niethammer 1990; Ineichen et al. 2012; Morris 2018; Reeve 1994). Rücken, Flanken und Kopfoberseite sind unbehaart und mit 5000–8700 rund 2 cm langen, hell und dunkel gebänderten Stacheln besetzt, während Gesicht, Bauch und Beine behaart sind. Zwischen den Stacheln haben Igel keine Haare. Aufgrund dieser fehlenden Isolation ist ein gut mit Pflanzenmaterial ausgebautes Winternest für die Igel überlebenswichtig. Die Fellfärbung variiert von grau bis braun-gelb mit einer helleren Unterseite und einer dunklen Maske über Augen und Nase, wobei auch albinotische und leuzistische Tiere vorkommen können. Männchen und Weibchen sehen sich sehr ähnlich und sind nur anhand der äußeren Genitalien auf der Bauchseite optisch voneinander zu unterscheiden. Der Geruchssinn und das Gehör der Igel sind besonders gut ausgeprägt, während der Sehsinn eine untergeordnete Rolle spielt.

5.1.3 Aktivität und Fortpflanzung

Igel sind dämmerungs- und nachtaktive, nicht-territoriale, jedoch standorttreue Einzelgänger. Die monatlichen Streifgebietsgrößen variieren nach Geschlecht (Weibchen < Männchen), Jahreszeit (größer bei Männchen während der Brunft), Alter (größer bei abwandernden Jungigeln) und Lebensraum (Stadt < Land) und variieren zwischen 5,5–110 Hektar (Zingg 1994). Pro Nacht können Igel mehr als 2,5 Kilometer Wegstrecke zurücklegen (Zingg 1994). Diese Zahlen zeigen auf, dass einzelne Kleingärten den Raumanspruch eines Igels nicht decken können und wie wichtig gut vernetzte Lebensräume für sie sind. Igel orientieren sich vor allem nasal und sind meist in einer kriechend anmutenden Fortbewegungsweise bis schnell laufend unterwegs, wobei sie auch gut schwimmen können (Holz und Niethammer 1990). Der Fall in einen steilwandigen Teich ohne Ausstiegshilfe verläuft für die Tiere trotzdem oft tödlich, weil sie sich mit der Zeit erschöpfen. Den Tag verbringen die Igel in wechselnden Nestern z. B. unter Hecken, Ast- und Holzhaufen, in Hohlräumen unter Gebäuden oder im hohen Gras (Reeve 1994). Igel nutzen im Laufe des Jahres verschiedene Tagesschlafplätze, diese werden unterschiedlich lang und z. T. mit Unterbrechungen wiederholt genutzt. Männchen nutzen eine größere Zahl von Schlafplätzen als Weibchen. In Mitteleuropa sind die Tiere von Mitte März/Anfang April bis Mitte Oktober/Mitte November aktiv. Im Winter erfolgt ein Winterschlaf in selbst gebauten und mit Laub ausgekleideten Nestern, währenddessen die Körperfunktionen (z. B. Herzschlag und Körpertemperatur) stark reduziert werden und die Igel ausschließlich von körpereigenen Fettreserven zehren. In dieser Zeit ist eine Störung besonders gefährlich für die Tiere, weil dies zu einem Verlust an Energie führt, welche die Tiere während des Winterschlafes besonders benötigen.

Die Paarung erfolgt nach Ende des Winterschlafes von ca. April bis Ende August und ist mit einem intensiven und teilweise lautstarken Werbeverhalten verbunden („Paarungskarussell“) (Holz und Niethammer 1990; Reeve 1994). In Mitteleuropa bringen die Weibchen nach rund 35 Tagen Tragezeit 2–10 Junge in selbstgebauten Nestern zur Welt, wobei es in der Regel einen, in Ausnahmefällen zwei Würfe pro Jahr gibt. Die Jungtiere werden blind und nackt geboren, besitzen jedoch bereits die erste Generation von Stacheln, die kurz nach der Geburt unter der abschwellenden Haut zutage treten. Die Igeljungen werden während 4–6 Wochen gesäugt und verlassen das Nest zum ersten Mal nach gut 3 Wochen. Die Jungigel müssen selber lernen, was essbar ist und was nicht. Nach rund 5–6 Wochen sind die Jungigel selbstständig. Beobachtet man also Jungtiere (die bereits behaart sind) ohne ihre Mutter, ist das also durchaus normal und noch kein Zeichen dafür, dass die Tiere in Not sind. Die Igel sind ab dem 2. Lebensjahr geschlechtsreif.

5.1.4 Lebensraum und Nahrung

Zu den wesentlichsten Faktoren für einen geeigneten Igellebensraum zählen das Vorhandensein sowohl von Nahrung als auch von Verstecken für Tages- und Winterschlafnester, inklusive Laub für deren Auspolsterung (Morris 1973; Reeve und Morris 1985; Holz und Niethammer 1990). Igel kommen vor allem in strukturreichen, mosaikartigen Lebensräumen in Kulturlandschaften und im Siedlungsraum, jedoch nicht oder nur selten in Mooren, Nadelwäldern, Monokulturen jeglicher Art und ab einer Höhe von 1500–2000 m ü. M. vor (z. B. Corbet 1988).

Igel sind Nahrungsopportunisten. Den größten Anteil an der natürlichen Nahrung machen verschiedene Invertebraten aus (Yalden 1976; Dickman 1987; Holz und Niethammer 1990): Käfer(-larven) (Coleoptera), Regenwürmer (Annelida), Raupen (Lepidoptera), Ohrwürmer (Dermaptera), Schnecken (Gastropoda), Fliegen(-larven) (Diptera) und Tausendfüßer (Diplopoda). Wenn sich die Gelegenheit bietet, werden aber auch größere Tiere (z. B. Nestlinge und Aas) und Haustierfutter nicht verschmäht. Pflanzliche Nahrung (z. B. Früchte) nimmt nur einen sehr kleinen Stellenwert ein und kann vom Verdauungssystem des Igels nicht aufgeschlossen werden. Igel profitieren also von einer hohen Biodiversität der Flora und der (Invertebraten-)Fauna in einem Gebiet.

5.1.5 Populationsdynamik

Die hauptsächlichen natürlichen Mortalitätsfaktoren sind Verhungern, Prädation und Krankheiten. Die Sterblichkeit der Igel ist mit 65 % im ersten Lebensjahr besonders hoch; die Lebenserwartung liegt bei durchschnittlich 2 Jahren, wobei 5–7 Überwinterungen selten sind (Morris 2018). Die natürlichen Feinde von ausgewachsenen, gesunden Igeln sind vor allem Dachs (Meles meles) und Uhu (Bubo bubo), während jungen und geschwächten Igeln auch andere Beutegreifer wie Füchse, Rabenvögel und Hunde gefährlich werden können (Holz und Niethammer 1990; Reeve 1994). Zusätzlich zu den natürlichen Gefahren gibt es eine Vielzahl an tödlichen Gefahren für Igel, die durch menschliche Aktivitäten verursacht sind. Dazu zählen vor allem der Autoverkehr (z. B. Reeve 1994; Huijser und Bergers 2000; Rautio et al. 2016), der Einsatz von Motorsensen/Fadenmähern bzw. Mährobotern (Rasmussen et al. 2021), steilwandige Schächte und Gartenteiche (Fallen/Ertrinken), liegengelassener Abfall und Netze (Verfangen) (e.g. Reeve 1994; Bexton und Couper 2019; Lukešová et al. 2021) und ausgelegte Giftköder. Globale Veränderungen im Anthropozän (z. B. industrialisierte Landwirtschaft, Insektensterben, Urbanisierung) haben wahrscheinlich einen noch wesentlich stärkeren Einfluss auf die Igelpopulationen. Die relative Bedeutung der natürlichen und anthropogenen Mortalitätsfaktoren ist jedoch methodisch schwierig zu erfassen und heute noch mehrheitlich unbekannt.

5.1.6 Schutzstatus

Obwohl der Igel (E. europaeus) laut der internationalen Roten Liste als nicht gefährdet eingestuft wird (‚Least Concern‘, Amori 2016), gilt die Art lokal als potenziell gefährdet (‚Near Threatened‘). Das bedeutet, dass negative Bestandsentwicklungen festgestellt wurden und die Gefahr des Aussterbens in Teilen ihres Verbreitungsgebietes besteht. So steht der Igel in Österreich, der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland bereits auf der Vorwarnliste der Roten Liste (Spitzenberger 2005; Meinig et al. 2020; Graf und Fischer 2021); in Großbritannien ist er sogar als gefährdet (‚Vulnerable‘) eingestuft (Mathews und Harrower 2020).

Die Ursachen dieses europaweit festgestellten Populationsrückganges sind bisher nicht geklärt. Gründe dafür könnten multifaktoriell oder je nach Lebensraum unterschiedlich sein. Folgende Faktoren werden als mögliche Ursachen für den Rückgang diskutiert: die allgemein zunehmende Lebensraumzerstörung und Verschlechterung der Lebensraumqualität, die einhergehende Isolierung von Populationen, der Verlust der Nahrungsgrundlage durch den Rückgang der Insekten, eine zunehmende Prädation und Konkurrenz durch Dachse, eine Zunahme des Verkehrs, Toxizität von Wirkstoffen in der Landschaft sowie klimatische Veränderungen. Dieser Mangel an Evidenz zeigt einen dringenden Forschungsbedarf auf. Um den Rückgang der Igelbestände zu stoppen, sind Schutzmaßnahmen in Zukunft unerlässlich.

5.2 Igelschutz im ruralen Lebensraum

Igel werden traditionell als eine in ländlichen Gebieten lebende Art betrachtet, neuere Studien haben jedoch gezeigt, dass Igel eher in Städten zu finden sind und in städtischen Gebieten eine höhere Dichte aufweisen als in Agrarlandschaften oder in Dörfern, die von einer landwirtschaftlichen Matrix umgeben sind (Hubert et al. 2011; van de Poel et al. 2015; Pettett et al. 2017a; Williams et al. 2018). In der Tat sind Igel in diesen ländlichen Gebieten nicht mehr allgegenwärtig und weisen dort eine sehr viel lückenhaftere diskontinuierliche Verteilung auf. Bisher hat keine Studie direkt untersucht, ob Veränderungen im landwirtschaftlichen Management zu Änderungen in der Dichte und Verteilung von Igelbeständen führen, nichtsdestotrotz könnten generelle Naturschutzmaßnahmen im ländlichen Bereich sicher auch speziell dem Igel von Vorteil sein. Im Folgenden wird dargestellt, welche Maßnahmen in ländlichen Gebieten bzw. Agrarlandschaften für den Schutz von Igeln aufgrund von Forschungsergebnissen vorgeschlagen werden.

5.2.1 Verbesserung des natürlichen Nahrungsangebotes

Igel benötigen eine proteinreiche und abwechslungsreiche Nahrung, die in erster Linie aus verschiedenen Arthropoden besteht, aber auch Vogeleier, Aas und gelegentlich Früchte umfasst (Hubert et al. 2011; Pettett 2016). Was ein Igel in einer bestimmten Nacht frisst, hängt vom örtlichen Nahrungsangebot ab, das wiederum von einer Reihe von Faktoren wie dem örtlichen Lebensraum, dem Wetter oder der Jahreszeit bestimmt wird (Wroot 1984; Dickman 1987; Morris 2018).

Die Verfügbarkeit von Nahrung wird als positiver Einfluss auf die Verbreitung von Igeln genannt (Cassini und Krebs 1994) und hat nachweislich einen Einfluss auf deren Habitatwahl (Hof und Bright 2010a, b; Hof et al. 2012; Haigh et al. 2013). Experimentell wurde nachgewiesen, dass Igel nahrungsreiche Plätze gezielt aufsuchen, weshalb Orte mit hoher Nahrungsverfügbarkeit auch zur Erklärung von Igelbestandsdichteschwankungen herangezogen wurden (Cassini und Krebs 1994; Hubert et al. 2011; Pettett 2016). So wurde zum Beispiel die Zusatzfütterung in Dörfern als Ursache für die dort beobachteten höheren Igeldichten im Vergleich zur umgebenden Agrarlandschaft herangezogen (Hubert et al. 2011). Ein größeres Angebot an natürlicher Beute in den Dörfern kann aber auch durch den geringeren Pestizideinsatz im Vergleich zu landwirtschaftlichen Flächen verursacht sein (Hubert et al. 2011). Generell wird die geringe und breit gestreute Nahrungsverfügbarkeit in den Agrarlandschaften auch als Ursache für größere Igelstreifgebiete gesehen: Der Aktionsraum muss größer sein, um den täglichen Energiebedarf decken zu können (Pettett et al. 2017b).

Auch die intra- und interspezifische Konkurrenz um Nahrungsressourcen kann sich auf Igel auswirken (Morris 2018), wobei unbekannt ist, inwieweit dieses Wetteifern die Populationsgröße der Igel beeinflusst (Trewby et al. 2014). Es hat sich jedoch gezeigt, dass Igel in Gebieten, in denen Nahrungsressourcen reichlich vorhanden sind, auch mit starken Nahrungskonkurrenten wie Dachsen (Meles meles) und Füchsen (Vulpes vulpes) koexistieren können. Reichhaltige Nahrungsressourcen ermöglichen daher wahrscheinlich die Koexistenz vieler verschiedener Säugetiere und können eine größere Nischendifferenzierung ermöglichen.

Da die Nahrungsverfügbarkeit die Igeldichte und -verteilung in ländlichen Lebensräumen begrenzt (Hof 2009; Pettett 2016), sollten Managementmaßnahmen darauf abzielen, das Beutetierangebot für den Igel quantitativ und qualitativ zu erhöhen. Dazu gehören Maßnahmen wie der Verzicht auf Insektizide und die Anlage und Pflege von Ackerrandstreifen, von Hecken, Käferbänken und Totholzplätzen (Dickman 1987; Yarnell und Pettett 2020). Zudem erhöht der abwechselnde Betrieb mit Weideflächen, Ackerbau und stillgelegten Feldern die Heterogenität in der Landschaft und schafft damit einen besseren Lebensraum für eine größere Vielfalt von Arten. Es ist wahrscheinlicher, dass solche diversen Landschaften eine lebensfähige Igelpopulation beherbergen als einseitig genutzte Ackerbaubetriebe (Macdonald et al. 2007).

Dort, wo Igel in ländlichen Gegenden vorkommen, bevorzugen sie eindeutig die Lebensräume Weide und Feld, wohingegen sie Acker- und Waldlebensräume meiden (Doncaster 1992; Williams et al. 2018). Gelegentlich suchen Igel nach der Ernte aber auch aktiv Ackerflächen zur Nahrungssuche auf (Haigh et al. 2013), was durch ausgedehnte und schutzspendende Umgrenzungen mit Hecken und Wildwiesen gefördert werden kann (Doncaster 1994; Hof und Bright 2010a; Hof et al. 2012).

Die (Wieder-)Anlage von Hecken und Feldrändern werden insbesondere in intensiv bewirtschafteten Ackerlandschaften empfohlen, in denen Nahrungsangebot und Nestplätze für Igel spärlich sind (Hof und Bright 2010b). Besonders effektiv ist das Vorhandensein eines Heckenstreifens bzw. einer Heckenbucht, die zusätzliche Deckung, Nestmaterial und wirbellose Beutetiere bieten. Wo möglich, sollten mindestens 2 m breite, grasbewachsene bzw. gebüschartige Ränder um landwirtschaftliche Felder angelegt werden (Moorhouse et al. 2014). Auch unbewirtschaftete Grasflächen in Weidegebieten sollten gefördert werden, um Nest- und Ruheplätze für den Sommer zu schaffen (Moorhouse et al. 2014). Das Anlegen bzw. Erhalten von 4–6 m Feldrändern und die Einbeziehung von Heckenbuchten in ackerbaulich geprägte Landschaften wird auch durch Agrarumweltprogramme empfohlen und unterstützt, um Rückzugs- und Nahrungshabitate für verschiedene Wildtiere zu schaffen (Hof et al. 2012).

Traditionelle Anbaumethoden mit einem Mosaik aus Weide- und Ackerflächen, gut vernetzten Hecken, Büschen, Überwinterungsbrachflächen und Futterpflanzen werden empfohlen (Hof et al. 2012). Je größer die Vielfalt der Landtypen ist, desto größer ist auch das Angebot an Lebensraumtypen, die das ganze Jahr über wirbellose Beutetiere aufnehmen können (Dickman 1987). In wirtschaftlich stark genutzten Agrarlandschaften sollten z. B. in für den Menschen wirtschaftlich weniger wichtigen Gebieten Maßnahmen für den Igelschutz getroffen werden. So könnte beispielsweise der Lebensraum für Igel rund um landwirtschaftliche Gebäude verbessert werden bzw. sollten Gärten, Grünland und kleine Weideflächen aufgewertet werden, um lokale Populationen zu unterstützen.

Mithilfe des ökologischen Landbaus lässt sich die Verfügbarkeit von Beutetieren für den Igel erhöhen (Hole et al. 2005). Diese Zunahme der Abundanz und des Artenreichtums ist hier in erster Linie auf die Verringerung des Einsatzes von Pestiziden, die schonende Bewirtschaftung bzw. zeitweise Nicht-Bewirtschaftung von Flächen und die Nutzung von Mischkulturen zurückzuführen. Die erhöhte Verfügbarkeit von Beutetieren ist für den Igel wahrscheinlich vorteilhaft und die sie verursachenden Maßnahmen könnten daher auch vorteilhaft sein, wenn sie auf einzelne Gebiete in nicht-ökologischen Betrieben übertragen werden (Macdonald et al. 2007).

Eine reduzierte Bodenbearbeitung erhöht die Abundanz von Regenwürmern (Peigné et al. 2009; Briones und Schmidt 2017) und kann die Nutzung von Ackerflächen durch Igel erhöhen (Haigh et al. 2013). Es besteht ein direkter negativer Zusammenhang zwischen dem Regenwurmvorkommen und der Tiefe der Bodenbearbeitung, wobei Direktsaat und konservierende Landwirtschaft die höchste Regenwurmdichte aufweisen. Es ist jedoch anerkannt, dass es nach Umstellung von konventioneller Bodenbearbeitung auf Direktsaat oder konservierende Landwirtschaft bis zu 10 Jahre dauern wird, bis sich Verbesserungen in der Bodenstruktur und -gesundheit sowie der Biomasse der Regenwürmer einstellen (Briones und Schmidt 2017).

Es ist anzunehmen, dass Käferbänke (mindestens 2 m breite und 40 cm hohe Erdwälle mit ganzjährigem insektenfreundlichen Bewuchs), die große Ackerflächen durchqueren, das Nahrungsangebot für Igel verbessern und als Wanderkorridore dienen können. Der Vorteil für den Landbesitzer bei der Anlage und Pflege von Käferbänken ist, dass die durch die Käferbänke in das Ackerland einwandernden räuberischen Spinnen und Käfer sich von Arten (z. B. Blattläusen) ernähren, die wiederum die Nutzpflanzen schädigen (Collins et al. 2002). Durch Käferbänke werden also die Schäden an den Feldfrüchten und der Bedarf an Insektiziden verringert, was dem Landwirt zusätzliche wirtschaftliche Vorteile bringt (Wratten 1988), und sie bieten einen guten Lebensraum für Käfer, Spinnen und Raupen (Meek et al. 2002), die eine wichtige Nahrungsquelle für die Igel darstellen.

5.2.2 Verbesserung von Schutzstrukturen

Einer der wichtigsten Orte für Igel ist deren Nest : Tagsüber ruhen Igel in einem Tagesschlafnest, das Sicherheit und Schutz bietet und von Zeit zu Zeit gewechselt wird. Noch wichtiger ist das Winterschlafnest, in dem sie mehrere Monate und größtenteils bewegungsunfähig verbringen (Yarnell et al. 2019; Bearman-Brown et al. 2020a) und das Nest für die Geburt der Jungen (Morris 2018). Nester variieren in Bezug auf Baumaterialien und Standort, bestehen aber typischerweise aus breiten Blättern und/oder Gras, die in eine feste Stützstruktur aus Brombeersträuchern, Gehölz oder auch in kleine Hohlräume (in Bäumen oder in der Erde) eingebaut werden (Morris 2018). Viele Nester befinden sich dabei in dorniger oder stechender Vegetation, unter Brombeeren, Stechpalmen, Weißdorn oder Brennnesseln (Morris 1973; Reeve und Morris 1985; Bearman-Brown et al. 2020a). Im Sommer verzichten Igel manchmal auch auf den Bau von Nestern und schlafen einfach in der dichten Vegetation (Morris 2018). Wesentlich größer und fester gebaut sind die Nester für den Winterschlaf, der in der Regel von Mitte November bis Mitte März dauert, aber aufgrund der lokalen Wetterbedingungen in der Dauer stark variiert (Haigh et al. 2012b). Die meisten Igel werden im Winter nur für kurze Zeit aktiv, in der Regel als Reaktion auf wärmere Temperaturen, und im Durchschnitt nutzen Igel ein bis fünf verschiedene Nester pro Winter, die sie alle zumeist vor Beginn des Winterschlafes schon gebaut haben (Yarnell et al. 2019; Bearman-Brown et al. 2020a).

Da Nester überlebensnotwendig für Igel sind, muss der Schutz von Igeln in einer Verbesserung von Nistmöglichkeiten bestehen. Ungepflegte Flächen, die Deckung und Laubstreu bieten, werden von Igeln bevorzugt zum Nestbau genutzt (Reeve und Morris 1985). Dabei ist Laubstreu ein wichtiges Nestbaumaterial und sollte entweder liegen gelassen oder in der Nähe potenzieller Igelnestplätze wie Baumreihen, Gehölzen oder Hecken zu Haufen gesammelt werden (Morris 1973). Geschützte Bereiche mit größeren, langlebigen Brombeerhecken sollten angelegt und/oder erhalten werden, da diese wichtige, sichere Überwinterungsplätze bieten, was die Störung und damit das Risiko der Sterblichkeit von Igeln im Winter verringern (Morris 1973). Bei der Bewirtschaftung von Gebüschen und Gehölzen im Winter sollte man auf überwinternde Igel Rücksicht nehmen, sie vorab suchen und gegebenenfalls schützen oder – wenn nötig – umsetzen und bei diesen Maßnahmen die vorhandenen Buschflächen und Laubstreuhaufen möglichst intakt halten (Morris 1973; Reeve und Morris 1985).

In Gebieten, in denen Dachse und Igel koexistieren, kann man vermuten, dass Lebensraummerkmale wie dichte Vegetation, intakte Hecken und Gebüsche dazu beitragen, geeignete Rückzugsgebiete zu schaffen, die es dem Dachs erschweren, Igel zu jagen (Hof et al. 2012). Igel halten sich in Gebieten, die von Dachsen frequentiert werden, mehr in der Nähe von Schutzstrukturen auf als in Gebieten ohne Dachse (Hof et al. 2012). Unter diesen Umständen könnte jede Vergrößerung von Schutzstrukturen (wie z. B. kleinere Felder, mehr Hecken und ausgedehnte Feldränder) das Fortbestehen von Igeln in Gebieten mit Dachsvorkommen erleichtern.

Für die Anlage eines Nestes braucht der Igel eine stützende Struktur, wofür er Hecken nutzen kann. Größere Hecken bieten mehr Unterschlupf- und Futtermöglichkeiten für Igel als kleine Hecken, allerdings findet sich in großen dichten Hecken aufgrund des geringeren Lichteinfalls weniger Nestmaterial (Laub), welches der Igel dann im Umfeld sammelt und in die Hecke einträgt. Hecken, die mehr als 3 m hoch sind und im Winter in einem 3-jährigen Turnus geschnitten werden, sorgen für robuste und gesunde Hecken, die einen hohen Blüten- und Fruchtertrag haben (Staley et al. 2012), was wiederum der biologischen Vielfalt wirbelloser Tiere (Maudsley 2000) und deren Fressfeinden zugutekommt. Ein Rotationsschnitt stellt außerdem sicher, dass zwei Drittel der Hecken in jedem Jahr ungeschnitten bleiben, wodurch die Mulch an der Basis der Hecke das für den Nestbau erforderliche vegetative Wachstum im Unterholz behindern kann. Idealerweise sollte die Basis der Hecke mehr als 2 m breit sein und mit einer dichten, lückenlosen Vegetation an der Basis ausgestattet sein. Beim Schneiden von Hecken muss darauf geachtet werden, dass die Vegetation an der Basis der Hecke nicht abgeschnitten wird, um nistende und überwinternde Igel zu schützen.

Eine Erhöhung der Dichte, Breite, Höhe und Länge von Hecken auf landwirtschaftlichen Flächen kommt vielen Arten, darunter auch Igeln, zugute, wobei möglichst artenreiche Hecken mit Baumbeständen die Abundanz und Vielfalt der Wirbellosen und damit das Nahrungsangebot für Igel besonders erhöhen (Amy et al. 2015). Der Erhalt und die Wiederherstellung von gut vernetzten Hecken mit Brombeer- und Rosenunterwuchs und guter Bodenbedeckung innerhalb von Ackerlebensräumen wird empfohlen, um die Eignung von Feldern für Igel sowohl in den Sommernächten als auch während des Winterschlafs zu verbessern (Haigh et al. 2012b; Morris 2018). Ältere Bäume bieten zusätzliches Nistmaterial und sind auch für wirbellose Beutetiere von Vorteil (Merckx et al. 2012). In Kombination mit geeigneten Feldrändern erleichtert die Heckenmatrix Bewegungen zwischen Habitaten und so die Ausbreitung von Igelpopulationen (Moorhouse et al. 2014), wodurch die Fragmentierung der Lebensräume verringert und die Lebensfähigkeit der Populationen erhöht wird.

5.2.3 Vernetzung von Lebensräumen

Die Fragmentierung von Lebensräumen ist eine der Hauptursachen für den weltweiten Verlust der biologischen Vielfalt. Fragmentierte Lebensräume führen zu kleinen Populationen, die mit höherer Wahrscheinlichkeit aussterben werden (Forman und Alexander 1998). Jüngste Studien über Igel zeigen, dass ihre Populationen in der ländlichen Agrarlandschaft in Großbritannien stark fragmentiert sind (Williams et al. 2018). Außerdem sind die lokalen Populationen auf dem Lande genetisch differenziert (Becher und Griffiths 1998), was darauf hindeutet, dass Igel entweder schlechte Ausbreitungsmöglichkeiten haben oder dass Ausbreitungshindernisse die Populationen fragmentieren (Barthel et al. 2020). Daher kann die Identifizierung und Schaffung geeigneter Verbindungshabitate wie Hecken oder Feldränder die Wahrscheinlichkeit eines lokalen Aussterbens verringern (Moorhouse et al. 2014).

Einige der Erkenntnisse über Igelbewegungen stammen aus Studien, in denen rehabilitierte Igel in der ländlichen Umgebung ausgewildert wurden. Diese Studien haben gezeigt, dass Igel sich schnell durch Agrarlandschaften bewegen (Doncaster 1992, 1994; Doncaster et al. 2001). Igel, die in eine neue Umgebung entlassen werden, zeigen sehr unterschiedliche Erkundungsbewegungen, wobei sie eine deutliche Vorliebe für Siedlungsgebiete zeigen, während sie landwirtschaftlich geprägte Gebiete meiden (Doncaster et al. 2001; Pettett et al. 2017a).

Ob Igel bestimmten Mustern folgen, ist ungewiss, und weitere Untersuchungen darüber, wie und über welche Entfernungen sich Igel ausbreiten, sind notwendig, um über die Funktionalität von Lebensraumkorridoren zu informieren. Auf der Grundlage der verfügbaren Daten ist es jedoch plausibel, dass die Igelbewegungen durch die Landschaft wahrscheinlich durch eine größere Komplexität der Lebensräume erleichtert wird, wobei die Zahl der linearen Merkmale wie Hecken, Ackerränder, Feldwege und Fahrspuren die Bewegung erleichtern und die Vernetzung der Populationen verbessern (Moorhouse et al. 2014). Daher sind Landschaften mit einer hohen Dichte an linearen Merkmalen und kleinen Landparzellen vorteilhaft für die Wanderung. Bei großen Feldern sollten Feldränder, robuste Hecken und Merkmale wie Käferbänke hinzugefügt werden, um die Durchlässigkeit dieser Lebensräume zu erhöhen und gleichzeitig zusätzliche Nahrungsressourcen bereitzustellen (Moorhouse et al. 2014; Pettett et al. 2017a).

Igel sind in der Lage, sich über weite Entfernungen zu verbreiten (> 4 km), sodass Populationen innerhalb dieses Bereichs wahrscheinlich nicht isoliert sind (Doncaster et al. 2001). Lineare Strukturen und Habitatränder, insbesondere Straßenränder und Hecken, werden von Igeln als Ausbreitungskorridore genutzt, sodass bei deren Bewirtschaftung auf die potenzielle Anwesenheit von Igeln geachtet werden sollte (Hof et al. 2012).

Hecken werden oft eingezäunt, um Schäden an ihnen durch Weidetiere zu verhindern. Kosten für solche Zäune zum Zwecke des Natur- bzw. Artenschutzes werden den Landwirten teilweise erstattet. Die Zaunmaschengröße sollte dabei 10–20 cm betragen, um den Igeln den Durchgang und Zugang zur Hecke zu ermöglichen und nicht als eine weitere Barriere zu fungieren.

In vielen Fällen können das Nahrungsangebot, Schutzstrukturen und die Vernetzung des Lebensraumes gleichzeitig durch dieselben Managementmaßnahmen verbessert werden. Zum Beispiel sollte die Erhöhung der Heckendichte bzw. -fläche den Igeln gleichzeitig Nestplätze und Schutz bzw. Zuflucht vor Raubtieren bieten und zudem die Biomasse und womöglich Vielfalt an wirbellosen Beutetieren erhöhen und Korridore für die Ausbreitung zwischen benachbarten Populationen bieten (Hof et al. 2012). Zudem kommen viele der Optionen, die in den derzeitigen Agrarumweltprogrammen zur Verbesserung der Lebensräume für Vögel und wirbellose Tiere in der Landwirtschaft beworben und gefördert werden, zugleich auch Igeln zugute. Angesichts der großen Betriebsflächen bei Landwirtschaftsbetrieben sollte ein großes Potenzial für die Förderung der Igel bei einem ökologischen Umbau der Bewirtschaftungsweise bestehen.

5.3 Igelschutz im Siedlungsraum

Igel können regelmäßig in städtischen Gebieten angetroffen werden, sie erreichen hier sogar höhere Dichten als in ländlichen Gebieten (Hubert et al. 2011; van de Poel et al. 2015; Pettett et al. 2017a; Williams et al. 2018). Folgende Faktoren führen dazu, dass Igel in Städten günstige Lebensbedingungen finden: gute Lebensraumqualität (Zingg 1994), hohes anthropogenes Nahrungsangebot (Hubert et al. 2011), höhere Diversität und Verfügbarkeit der Vegetationsstrukturen zum Bau von Tagesnestern (Baker und Harris 2007), günstige klimatische Bedingungen (Pickett et al. 2001) sowie ein geringeres Prädationsrisiko durch Dachse (Møller 2012; Pettett et al. 2017a). Obwohl Städte als potenzieller Zufluchtsort für Igel nach deren Rückgang in ländlichen Gebieten galten, sind Igelzahlen auch in städtischen Gebieten rückläufig (Taucher et al. 2020). Schutzmaßnahmen sind daher wichtig, um ihr weiteres Überleben zu sichern. Unsere Empfehlungen zur Förderung von Igeln im städtischen Raum haben wir wieder in drei Abschnitte unterteilt: Nahrungsangebot, Schutzstrukturen und Vernetzung.

5.3.1 Verbesserung des natürlichen Nahrungsangebotes

Studien haben gezeigt, dass zwar die Regenwurm-Biomasse und die Verfügbarkeit von menschlichen Futterquellen in städtischen Gebieten höher ist als auf dem Land, doch die Arthropoden-Biomasse geringer ist (Hubert et al. 2011). Es ist anzunehmen, dass Igel als Insektenfresser vom aktuellen, globalen Insektenrückgang betroffen sind (Hallmann et al. 2017). Die Verfügbarkeit von natürlichen Nahrungsquellen scheint für Igel in allen Lebensräumen ein limitierender Faktor zu sein. In einer Studie aus Finnland von der nördlichen Verbreitungsgrenze war das Verhungern der Grund für mehr als die Hälfte (56 %) der natürlichen Todesfälle bei Igeln (Rautio et al. 2016). Auf öffentlichen und privaten Flächen können Igel indirekt durch die Förderung von Arthropoden – ihre Nahrungsgrundlage – gefördert werden. Dazu wird am besten eine Vielfalt an einheimischen Sträuchern, Kräutern und Bäumen gepflanzt, sodass nicht nur eine große Vielfalt an Arten, sondern auch an Vegetationsstrukturen, die wiederum verschiedenen Arten Verstecke und Nahrung bieten, entsteht. Einheimische Arten haben hier einen besonderen Wert, da die lokale Tier- und Pflanzenwelt über Jahrtausende der gemeinsamen Evolution aufeinander abgestimmt sind und dadurch einige Insektenarten existenziell mit bestimmten (einheimischen) Nahrungspflanzen verknüpft sind. Auch Elemente wie Asthaufen, Komposthaufen oder sogenannte „wilde Ecken“ fördern die Nahrungsgrundlage der Igel. Auf den Einsatz von Pestiziden und anderen Giften sollte verzichtet werden. Es gibt Hinweise darauf, dass sich Rattengifte und Chlorkohlenwasserstoffe in Igeln anreichern können (D’Havé et al. 2006; Dowding et al. 2010a). Die Auswirkungen solcher Gifte auf Igel sind unbekannt, doch als Insektenfresser leidet der Igel wahrscheinlich unter dem Einsatz von Pestiziden durch eine Reduktion der Nahrungsverfügbarkeit.

Nebst dem Verlust von natürlichen Nahrungsquellen stehen in Städten auch die Räume, welche Igel für die Nahrungssuche nutzen, also offene Grünflächen mit Versteckmöglichkeiten, zunehmend unter dem Verdichtungsdruck der Städte. Es ist daher wichtig, bestehende Grünflächen soweit wie möglich zu erhalten und versiegelte Flächen zu entsiegeln, um dadurch die Arthropodenvielfalt und -biomasse zu fördern. Eine übermäßige Pflege der Grünräume (z. B. sehr häufiges Mähen oder Laub unter Hecken entfernen) sollte aus demselben Grund vermieden werden.

Die Fütterung von Igeln scheint in Siedlungsgebieten weit verbreitet zu sein. In einer Studie aus Finnland wurden die Mageninhalte von toten Igeln untersucht (Rautio et al. 2016). 92 % der untersuchten Tiere wiesen Rückstände von anthropogener Nahrung im Magen auf, vor allem Fisch und Milch. Gleichzeitig konnte in 57 % der untersuchten Igel eine Salmonella enteritidis-Infektion festgestellt werden. In einer Untersuchung aus Kopenhagen starben 2 von 9 Tieren an einer Salmonella-Infektion (Rasmussen et al. 2019). Mit zunehmender Dichte der Igel nehmen auch die Prävalenz und die Intensität von Parasiten und Krankheiten zu, dies konnte auch in städtischen Igeln gezeigt werden (Egli 2004). Futterstellen sind oft Orte, an denen mehrere Tiere zusammenkommen und somit häufig Parasiten und Krankheiten untereinander übertragen werden können. Neben der möglichen Übertragung von Parasiten an Futterstellen ist ein weiteres Problem der künstlichen Zufütterung, dass Igel kaum entsprechend ihrer natürlichen Ansprüche (proteinreiche und kohlenhydratarme Nahrung) gefüttert werden können. Die Auswirkungen einer solchen Fehlernährung auf die Konstitution, das Verhalten und die langfristigen Überlebenschancen der Igel muss noch im Detail untersucht werden. Klar ist aber, dass gewisse Nahrungsmittel, die Igel nicht verdauen können, wie zum Beispiel Milchprodukte, Durchfall verursachen. Eine Studie zeigte, dass eine Futterstelle im Garten die Aktivität der Igel im Winter erhöht, einer Zeit, in der sich Igel normalerweise im Winterschlaf befinden und zwischenzeitliche Aufwach- und Aktivitätsphasen besonders gefährlich sind, da sie lebensnotwendige Fettreserven beanspruchen, die im Winter selbst nicht aufgefüllt werden können (Gazzard und Baker 2020). Zusätzlich änderte sich das Raumnutzungsverhalten der Igel in Gebieten mit Futterstellen, und die Igel verbrachten mehr Zeit in der Nähe von Futterstellen anstatt mit der Suche nach natürlicher Nahrung (Gazzard und Baker 2020). Aufgrund der bisher genannten Gründe raten wir dringend von einer Fütterung von Igeln ab und appellieren stattdessen an ein Habitatmanagement zur Verbesserung des natürlichen Nahrungsangebotes für Igel.

5.3.2 Verbesserung von Schutzstrukturen

Nester sind wichtige Strukturen für Igel. Sie bieten Schutz während des Winterschlafs, werden für die Aufzucht der Jungen genutzt und bieten tagsüber Versteckmöglichkeiten. Zwei wichtige Faktoren beim Nestbau sind stützende Elemente und Laubblätter zum Füllen des Nests (Morris 1973). Somit sind die Verfügbarkeit eines passenden Ortes und Füllmaterial für den Nestbau ausschlaggebend. Laubblätter sind in städtischen Gebieten weit verbreitet, hier sollte ein Fokus darauf gelegt werden, diese nicht gleich nach Laubfall zu entfernen, sondern liegenzulassen oder an einem ungestörten Ort zu deponieren, sodass sie von den Igeln für den Nestbau genutzt werden können. Gleichzeitig dienen diese Blätter vielen Insekten als Versteck und Nahrungsgrundlage, wodurch Igel auch indirekt gefördert werden. Wir plädieren für etwas mehr Wildnis in der Stadt, wo dies sicherheitstechnisch möglich ist. Dies muss nicht ein großes Areal sein, es reicht beispielsweise, eine Ecke in jedem Garten oder Park etwas sich selbst zu überlassen. Öffentliche Grünflächen können mit einem guten Beispiel vorangehen. Der zweite wichtige Punkt für den Nestbau sind stützende Elemente in Bodennähe. Diese Funktion können Brombeerbüsche, dichte, niedrige Hecken oder aber ein Hohlraum unter einem Gartenhaus übernehmen, die auch im Winter Schutz bieten. Sie dienen als Orte für den Nestbau (Morris 2018) oder als Versteck, wenn Gefahr durch Fressfeinde droht (Pettett et al. 2017b). In Städten ist auffällig, wie besonders bei Neubauten oft die Strauchschicht komplett fehlt. Es werden Bäume und Rasen oder Wiesen gepflanzt, häufig fehlt aber die wichtige Schicht dazwischen. Durch die Pflanzung von einheimischen (siehe oben), dichten Sträuchern können Igel im Siedlungsraum gefördert werden. Diese Strukturen bieten Igeln auch Schutz vor Fressfeinden, beispielsweise Dachsen, und können den beiden Arten ein Zusammenleben ermöglichen. Igel meiden Gebiete mit hoher Dachspräsenz, und die Siedlungsgebiete zeichnen sich dadurch aus, dass sie generell weiter von Dachsbauten entfernt liegen (Hubert et al. 2011). Große Hintergärten, wie sie in England typisch sind und dort bevorzugte Lebensräume der urbanen Dachse sind, wurden von weiblichen Igeln gemieden (Dowding et al. 2010b). Untersuchungen aus der Schweiz haben gezeigt, dass Dachse selbst in städtischen Gebieten auf dem Vormarsch sind (Geiger et al. 2018). Wie sich die zunehmenden Dachszahlen auf die städtischen Igel auswirken, bedarf weiterer Forschung. Da der Dachs nicht nur ein Fressfeind, sondern auch ein Nahrungskonkurrent des Igels ist, ist anzunehmen, dass durch eine Förderung der Nahrungsgrundlage die Konkurrenz zwischen den zwei Arten reduziert werden kann.

Weitere durch Menschen verursachte Sterblichkeitsfaktoren für Igel in der Stadt sind der Straßenverkehr und Unfälle bei Gartenarbeiten. In einer Untersuchung aus Finnland machte der Straßenverkehr 97 % der vom Menschen verursachten Sterblichkeit von Igeln aus (Rautio et al. 2016). Untersuchungen des Verhaltens von besenderten Igeln bei Straßenüberquerungen zeigten, dass Igel diese Barrieren bewusst in ihr Raumsystem integriert haben und im Sinne einer aktiven Risikovermeidung agieren (Bontadina 1991). Autofahrer sollten besonders im Juli und August nachts vorsichtig fahren, um das Überfahren von Igeln zu vermeiden, da zu dieser Zeit die Sterblichkeit durch den Straßenverkehr einen Höhepunkt erreicht (Holsbeek et al. 1999; Haigh et al. 2013; Rautio et al. 2016). Zu dieser Zeit dispersieren die Jungtiere, und die Weibchen erhöhen ihre Aktivität nach der Aufzucht der Jungtiere. Geschwindigkeitsreduktionen können in durchgrünten Quartieren oder an kritischen Querungsstellen sinnvoll sein, da dadurch die Bremsbereitschaft der fahrenden Person erhöht wird. Weiterhin können Igel durch die Anlage von Dunkelkorridoren mithilfe von Vegetation und reduzierter Beleuchtung durch Straßenlaternen entlang der Straße um besonders gefährliche Straßenabschnitte herumgeführt werden (Berger et al. 2020a). Wildtierbrücken oder Unterführungen sind eine weitere Möglichkeit, um Igel von gefährlichen Straßenquerungen abzuhalten (van Vuurde und van der Grift 2005; Ascensão und Mira 2007; Baker et al. 2007; Eldridge und Wynn 2011). Eine Studie zu den Todesursachen von städtischen Igeln in Dänemark hielt fest, dass von neun Igeln einer in einem künstlichen Flusslauf ohne Ausstiegshilfe ertrank und ein weiterer Igel samt Nest bei Gartenarbeiten geschreddert wurde (Rasmussen et al. 2019). Wenn bei Gartenarbeiten, besonders beim Umschichten eines Asthaufens, bei der Verwendung von Fadenmähern oder beim Entfernen von Sträuchern, vorsichtig vorgegangen wird, können solche Unfälle vermieden werden. Es ist darauf zu achten, mit Mähgeräten niemals unter Sträuchern und Hecken zu mähen, Asthaufen vorsichtig und ohne spitze Gegenstände (z. B. Heugabeln) auseinanderzunehmen und Netze oder lose Zäune nicht im Garten herumliegen zu lassen, da sich Igel darin verheddern können. Wasserstellen, beispielsweise Gartenteiche, werden von Igeln gerne besucht, um dort zu trinken (Hof und Bright 2009), können aber schnell zur Todesfalle werden, wenn Igel reinfallen und bei steilwandigen Ufern nicht mehr herausklettern können. Daher ist es wichtig, solche Orte, wie beispielsweise auch Lichtschächte, mit einer Ausstiegshilfe zu versehen (Schneider und Waffel 1978).

Weiterer Erforschung bedarf der Effekt des Klimawandels und des städtischen Wärmeinsel-Effekts auf die Nahrungsverfügbarkeit, die Gesundheit, das Verhalten und die Fitness der Igel, so wie sie bei anderen Tierarten durchaus schon nachgewiesen wurden (Acevedo-Whitehouse und Duffus 2017).

5.3.3 Vernetzung von Lebensräumen

Fragmentierung im Siedlungsraum kann durch Barrieren (Hof und Bright 2009; Braaker et al. 2017) wie Straßen, Bahngleise, Zäune, Mauern oder intensiv beleuchtete Gebiete, die vom Igel nicht überwunden werden können, entstehen (Huijser und Bergers 2000; Rondinini und Doncaster 2002; Braaker et al. 2014; Pettett et al. 2018; Berger et al. 2020a). Die Hauptursache für solche Veränderungen in städtischen Gebieten ist die Verdichtung sowie lineare Verkehrsstrukturen (Hof 2009). Es wurde gezeigt, dass die Fragmentierung die Bewegungsmuster der Igel prägten (Braaker et al. 2014) und Igel in stark fragmentierten Gebieten größere Streifgebiete besaßen und sich schneller fortbewegten (Berger et al. 2020b). Dadurch wird Energie verbraucht, die sonst für die Fortpflanzung oder Nahrungssuche eingesetzt werden könnte. Die Vernetzung der Igellebensräume kann auf verschiedene Arten gefördert werden, je nachdem, wodurch die Fragmentierung verursacht wird. Viele städtische Grünflächen, die nicht zu weit voneinander entfernt sind, können als Trittsteine dienen, die Populationen miteinander verbinden und somit den Genfluss zwischen Populationen aufrecht halten (Barthel et al. 2020). Statt Zäunen und Mauern können Hecken als Abgrenzung zwischen Grundstücken eingesetzt werden, um Durchgängigkeit für Igel zu garantieren. Falls Mauern oder Zäune nötig sind oder bereits bestehen, können kleine Durchschlüpfe (ca. 13 cm × 13 cm) oder Rampen eingebaut werden und den Igeln so einen Zugang bieten (siehe auch die landesweite Kampagne „hedgehog street“ in Großbritannien und deren Erfolge in Gazzard et al. 2021 sowie die Projekte „Freie Bahn für Igel & Co.“ in den Städten Luzern (https://luzern.stadtwildtiere.ch/node/10395) und St.Gallen (https://stgallen.stadtwildtiere.ch/node/10166)). Lücken in Grundstücksbegrenzungen zeigten einen positiven Einfluss auf die Präsenz der Igel in diesen Gärten (Hof und Bright 2009). Außerdem können Lebensräume durch künstliche Beleuchtung und menschliche Störung unterbrochen werden (Berger et al. 2020a). Es ist daher darauf zu achten, die Beleuchtung sehr zielorientiert einzusetzen und falls möglich nicht die ganze Nacht eingeschaltet zu lassen, sodass Dunkelkorridore für Igel und andere Wildtiere entstehen (Reichenbach et al. 2021). Auch Großanlässe mit intensiver Störung, beispielsweise Musikfestivals, können einen Einfluss auf das Raumnutzungsverhalten von Igeln haben (Rast et al. 2019; Berger et al. 2020b). Bei der Planung solcher Anlässe kann auf Wildtiere Rücksicht genommen werden, indem die Störung zeitlich limitiert bleibt und Rückzugsorte für Wildtiere mit möglichst geringer menschlicher Störung eingeplant und baulich abgegrenzt werden (Tab. 5.1).

5.4 Wirkungskontrolle und Igelmonitoring

Bei der Erfassung von Igelvorkommen sowie zur Wirkungskontrolle von Maßnahmen zur Igelförderung kommen verschiedene einfache, nicht-invasive Methoden zum Einsatz, die auch im angewandten Naturschutz systematisch und wiederholt eingesetzt werden können. Viele der vorgeschlagenen Förder- und Schutzmaßnahmen für Igel wurden bisher noch nicht auf ihre Wirksamkeit untersucht. Aufgrund der Bedrohungslage der Igel besteht ein großes Interesse an einer experimentellen Überprüfung der Wirkung der vorgeschlagenen Maßnahmen.

Für eine Wirkungskontrolle von einzelnen Maßnahmen wie das Anlegen von Ackerrandstreifen oder Käferbänken sollten Before–After Control-Impact (BACI) oder Randomized Controlled Trials (RCTs) mit sehr spezifischen, auf die Fragestellung ausgerichteten Methoden angewendet werden (Christie et al. 2019). Als Methode mit einer hohen Detektierquote würden sich hier zum Beispiel Wärmebildaufnahmen oder Igelsuchhunde eignen. Christie et al. 2019 schlagen vor, dass in der Ökologie mehr in robustere Designs investiert werden muss, da Schlussfolgerungen aus einfacheren Designs (Before-After ohne Control-Impact) selbst bei großen Stichprobengrößen irreführend sein können.

Beim Monitoring der Igelbestände hingegen ist ein möglichst einfaches, langfristiges, standardisiertes und vergleichbares Untersuchungsdesign entscheidend, sodass langfristige Trends nachweisbar sind. Hier können Studien von einzelnen Freiwilligen mit präzisen Vorgaben bzw. mit einem klar definierten Suchaufwand, z. B. Spurentunnel oder Suchtransektläufe, gute und vergleichbare Resultate ergeben (Reichholf 2015; Taucher et al. 2020). Im Folgenden werden die verschiedenen Methoden zum Monitoring bzw. Einschätzen von Igelpopulationen kurz beschrieben.Footnote 1

5.4.1 Bestandsschätzung, Markierung und Altersbestimmung

Systematische und langfristige Zählungen von Igelkadavern, die bei Straßenverkehrskollisionen entstehen, können verlässliche Informationen über Bestandsveränderungen geben (George et al. 2011). Die Erhebung von Daten über verunglückte Igel kann dabei von BürgerwissenschaftlerInnen bzw. Einzelpersonen (Reichholf 2015; Müller 2018) durchgeführt werden und ist vergleichsweise zeit- und kosteneffektiv.

Igelzählungen können auch mittels systematischer nächtlicher Suchläufer mit Taschenlampen oder Wärmebildkameras durchgeführt werden (Haigh et al. 2012a). Da Igel das Licht der Taschenlampen meiden (Berger et al. 2020a) und sie sich dem Licht und dem Entdecken durch einen Rückzug ins dichte Gebüsch oft entziehen können, erzielen Wärmebildkameras in offenen Habitaten und auf relativ lange Distanz bessere Suchergebnisse (Bowen et al. 2019).

Wildtierkameras können Anwesenheitsnachweise von Igeln erbringen (Glen et al. 2013). Da Igel jedoch auf Fotos nicht individuell erkennbar sind, ist eine Dichteschätzung mittels Wildtierkameras noch immer eine Herausforderung. Untersuchungen zeigen zudem, dass eine Kombination von Wildtierkameras mit dem REM (Random Encounter Modell) eine Dichteschätzung ermöglicht (Schaus et al. 2020).

Spurentunnel sind eine einfache Methode, mit der die relative Dichte von Igeln in einem Lebensraum erfasst werden kann (Yarnell et al. 2014; Williams et al. 2018; Taucher et al. 2020). Spurentunnel sind idealerweise etwa einen Meter lang und 20–30 cm hoch. Sie können aus plastifiziertem Karton oder Holz gebaut sein. In ihrem Inneren werden Papier, ungiftige Farbe und Futter-Köder ausgebracht. Geht ein Igel durch einen Spurentunnel, hinterlässt er dank der im Tunnel ausgebrachten Farbe seine Fußabdrücke auf den Papierstreifen. Die Anzahl der Igel, die einen Tunnel benutzt, kann man nicht bestimmen, doch mit einem systematischen Vorgehen (Yarnell et al. 2014) kann man relative Igeldichten in einem Gebiet eruieren.

Eine bewährte Methode für die Dichteschätzung ist die Fang-Wiederfang-Methode (Capture Mark Recapture). Dabei werden möglichst viele Tiere in einem Gebiet gefangen und mit Nagellack, einem Spray oder mit Schrumpfschläuchen aus dem Elektrobedarf an den Stacheln individuell markiert (Mori et al. 2015; Taucher et al. 2020). Durch den Anteil an Tieren, die bei den nächsten Fangaktionen, wiederentdeckt werden, kann die Größe der Population geschätzt werden. Das gleiche Prinzip kann auch mit genetischen Proben angewandt werden, wobei die Tiere durch eine genetische Speichel- oder Gewebeprobe im Labor individuell bestimmt werden.

Mittels ausgebildeter Igelsuchhunde können Igel systematisch und im Gegensatz zu allen anderen Methoden auch während des Winterschlafes gefunden und durch den Hund angezeigt werden (Bearman-Brown et al. 2020b; WDD e. V.). Diese Methode hat auch großes Potenzial, um Igel auf Flächen, die für eine Bebauung oder Gehölzpflegemaßnahmen vorgesehen sind, zu finden und gegebenenfalls (zeitweise) umzusetzen.

Für genaue Einschätzungen zur Entwicklung von Populationen sind Angaben zur Altersstruktur von Vorteil, eine genaue Altersabschätzung von wilden Igeln unbekannten Alters kann aber in der Regel nur post-mortal (bei z. B. Straßenopfern) vorgenommen werden, indem die Jahresabzeichnungen in den Längsschnitten der Kieferknochen ausgezählt werden. Bei lebenden Igeln kann lediglich zwischen juvenilen und adulten Individuen unterschieden werden, indem bestimmte Körpermaße wie Gewicht, Hinterfußlänge und Körperlänge bestimmt werden (Haigh et al. 2014) (Tab. 5.1).

Tab. 5.1 Übersicht zu Schutz- und Fördermaßnahmen für Igel (Erinaceus sp.) in Siedlungsgebieten und in ruralen Lebensräumen