1.1 Das Management von Mensch-Wildtier-Konflikten in anthropogenen Landschaften

Die Natur befindet sich in einem steten Wandel, an den sich Wildtiere durch Selektion im Laufe von Millionen von Jahren angepasst haben. Das daraus resultierende evolutionäre Rüstzeug befähigt Wildtiere, auf jahreszeitliche Schwankungen oder zufällige natürliche Störungen in der Regel angemessen zu reagieren. Der Mensch hat nun über die Jahrtausende seiner kulturellen Entwicklung die natürlichen Landschaften maßgeblich verändert (Foley et al. 2005). Weltweit gibt es kein Ökosystem mehr, welches sich als ursprünglich und von Menschen unberührt beschreiben ließe. In den letzten Jahrhunderten, spätestens seit der industriellen Revolution, erfolgten die Änderungen in höherer Taktrate, und die durch den Menschen verursachten Störungen waren weitreichender und tiefgreifender. Der Mensch war und ist für die funktionelle Vereinfachung nicht nur von Teillebensräumen, sondern von ganzen Landschaften (Dainese et al. 2017) verantwortlich. Gleichzeitig schuf er neue Lebensräume wie Stadtlandschaften und entfremdete sich von der Natur (Turner et al. 2004). Zudem förderte oder verhinderte er die Ausbreitung von Wildtieren in den anthropogen überprägten Lebensräumen. Manche Wildtiere erwiesen sich als anpassungsfähiger als andere. Landnutzungsänderungen führten bei einem Großteil der Arten zu signifikanten Bestandsrückgängen bis hin zum Verschwinden von Arten (Barnosky et al. 2011; Gámez-Virués et al. 2015). Dieser Trend ist anhaltend und Teil des sechsten Massenaussterbeereignisses, welches erdgeschichtliche Dimensionen hat (Barnosky et al. 2011) und Teil des Merkmalskomplexes eines von Forschenden neu ausgerufenen Erdzeitalters ist: dem Anthropozän (Steffen et al. 2011; Lewis und Maslin 2015). Die Faktoren, die auf Wildtiere wirken, sind im Anthropozän vielfältig. Neue Herausforderungen wie die Erderhitzung sind im Anthropozän hinzugekommen (Gray 2007). Weltweit wandelt die stetig wachsende menschliche Bevölkerung immer größere Flächen zu ihrem Nutzen um, was zu Lebensraumverlusten für Wildtiere und zwangsläufig zu stärkeren Konflikten mit Wildtieren führt.

Dieses Buch soll helfen, Mensch-Wildtier-Konflikte zu lösen bzw. diese Konflikte in Koexistenzen zwischen Mensch und Wildtier umzuwandeln. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass der Begriff Wildtier in diesem Buch weit gefasst ist und sowohl jagdbares Wild als auch geschützte und invasive Wildtierarten umfasst. Der Fokus liegt dabei auf relativ großen oder langlebigen Säugetieren. Dieses Buch erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, d. h. es bestand nicht der Anspruch, Kapitel zu allen großen und langlebigen Säugetieren im deutschsprachigen Raum zu verfassen. Vielmehr ergab sich der Inhalt aus aktuellen Forschungsaktivitäten sowie aus der Bereitschaft von Autorinnen und Autoren, diese im vorliegenden Buch zu präsentieren. Jedes Buchkapitel wurde von zwei unabhängigen Expertinnen/Experten im jeweiligen Feld begutachtet, um eine hohe Qualität und sachliche Richtigkeit der Beiträge zu gewährleisten.

Das vorliegende Buch ist in zwei Abschnitte gegliedert. Im ersten Abschnitt befinden sich Zusammenfassungen zu aktuellen Themen des Wildtiermanagements, beginnend mit zwei Kapiteln zum Management von jagdbarem Wild. In den einzelnen Kapiteln wird vorzugsweise eine gendergerechte Ansprache von männlichen und weiblichen Personen praktiziert. Dabei beziehen wir uns auf Menschen jeglichen Geschlechts, auch wenn dies stilistisch und sprachlich nicht immer einfach umzusetzen ist.

Im ersten Kapitel des ersten Abschnitts gibt Niko Balkenhol eine Übersicht zum evidenzbasierten Rotwildmanagement in Deutschland. Zudem unterbreitet er konstruktive Vorschläge, wie dieses zu verbessern ist. Klaus Hackländer beschreibt Aspekte des evidenzbasierten Managements von Feldhasen. Das Team um Berit Michler behandelt Aspekte des Managements von Waschbären, einer invasiven Säugetierart in Deutschland. Darauf folgen Kapitel zum Management bedrohter bzw. geschützter Wildtierarten. Das Team um Anne Berger fasst die wesentlichen Aspekte eines wissenschaftsbasierten Igelmanagements zusammen. Dabei beinhaltet das Kapitel nicht nur eine Diskussion des Lebensraummanagements, sondern auch eine Beschreibung methodischer Ansätze zum effizienten Monitoring von Igelpopulationen. Im Kapitel des Teams um Anja Roy werden Ansätze zur Reduktion des Konflikts zwischen Fischotter und Menschen behandelt. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf dem Konflikt zwischen Fischotter und Fischerei. Auch die beiden folgenden Kapitel behandeln Konfliktfelder zwischen Wildtieren und Menschen: Michael Veith und sein Team beschäftigen sich mit dem Windenergie-Fledermaus-Konflikt und diskutieren sowohl Lösungsansätze als auch den Forschungsbedarf. Christian Voigt und Daniel Lewanzik behandeln den Einfluss von Lichtverschmutzung auf Fledermäuse und wie man die negativen Folgen des künstlichen Lichts auf diese obligat nachtaktive Tiergruppe abschwächen oder vermeiden kann. Im darauffolgenden Kapitel diskutieren Ilka Reinhardt und ihr Team basierend auf einer Literaturübersicht, wie sich Nutztierübergriffe von Wölfen wirksam vermeiden lassen. Die letzten zwei Kapitel des Buchs besitzen einen konzeptionellen Schwerpunkt. Sie sollen die Diskussion in kontrovers diskutierten Themenfeldern bereichern oder dem Wildtiermanagement neue Lösungsansätze hinzufügen. Im ersten dieser zwei Kapitel behandeln Claudia Kistler und ihr Team, wie sich das Fuchsmanagement mit wissenschaftlichen Evidenzen verbessern ließe. Im abschließenden Kapitel behandelt das Team um Tanja Straka, wie eine Berücksichtigung der menschlichen Dimension und Perspektive zur Lösung von Mensch-Wildtier Konflikten beitragen kann.

Dieses Buch soll eine Brücke zwischen der universitären und außeruniversitären Wildtierforschung und dem praktischen Naturschutz schlagen. Dadurch soll es einen wirksamen Beitrag zur Lösung von Mensch-Wildtier-Konflikten leisten und gleichzeitig weiteren Forschungsbedarf aufdecken. Nur durch wissenschaftlich fundierte Artenschutzmaßnahmen können wir wirksam Mensch-Wildtier-Konflikte reduzieren und unser Naturerbe für die nachfolgenden Generationen bewahren.