Zusammenfassung
Die Salonkonversation des 19. Jahrhunderts passte sich dem Wandel der Zeit an; es gab nicht nur restaurative, sondern auch innovative Tendenzen und damit mehr Diversität. Ein europäischer Pluralismus löste die alte, primär französisch geprägte Salonlandschaft ab. Der Horizont der aristokratischen Eliten erweiterte sich, der Einfluss bildungsbürgerlicher Konversationsgeselligkeit wuchs, es kamen nun Salons jüdischer Frauen hinzu. In Berlin standen sie sogar ganz am Anfang der deutschen Konversationstradition. Das Gedankengut der Romantik gab neue Impulse (Poesie, Sympoesie usf.), die Epoche der „Weltliteratur“ machte sich bemerkbar, der internationale Austausch wuchs. Salongespräche trugen ihren Wert in sich, doch konnten sie ausstrahlen auf das kulturelle Leben ihrer Zeit. Aufzeichnungen aus den Pariser und Berliner Salons (teils normativen, vor allem jedoch deskriptiven, sehr anschaulichen Inhalts) berichten von einer Vielfalt von heiteren und ernsten Unterhaltungen, in denen das „bien-dire“, das „savoir“ und das „savoir-vivre“ untrennbar verbunden waren. Bis zur Katastrophe von 1914 bereicherte die Konversation in den Salons die Kultur des „Alten Europa“.
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Notes
- 1.
Ausführlich Fumaroli 1992, S. 717 ff. – Viele gesellschaftliche Veränderungen wirkten sich belastend aus (Materialismus, Massengesellschaft, Mythenbildung usf.).
- 2.
- 3.
- 4.
- 5.
Pauline zur Lippe 1990, S. 83 (1.11.1807).
- 6.
Godo 2003, S. 203 ff., siehe dort zu den Werken von Morellet, Delille, Roederer, d’Abrantès usf.
- 7.
- 8.
Zu den frankophonen Berliner Salons vgl. Wilhelmy-Dollinger 2009, S. 63 ff.
- 9.
Friedrich der Große 1913, Bd. 8, S. 309 (An Voltaire, 24. 7.1775).
- 10.
- 11.
- 12.
Rochow 1908, S. 42 (vor 1857).
- 13.
Schleiermacher 1913; auch beeinflusst durch Schillers Briefe „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“.
- 14.
- 15.
Staegemann 1846, Bd. 2, S. 158 (um 1802).
- 16.
„Die Gebildeten in beiden Classen werden sich gewiß an ihren rechten Platz zu setzen wissen.“ Staegemann 1846, Bd. 2, S. 141 f. (um 1802).
- 17.
Wiedemann 2009, S. XXIII.
- 18.
Mendelssohn 1985, S. 81 (1784).
- 19.
- 20.
- 21.
Dollinger 2001.
- 22.
Herz 1984, S. 67.
- 23.
Gramont 2017, S. 188.
- 24.
Varnhagen 1983, Bd. 2, S. 24 (8.3.1812).
- 25.
- 26.
Varnhagen 1983, Bd. 2, S. 609 (30.11.1819).
- 27.
Staël o. J., S. 30. Man überhörte den Unterton, dass selbst in Paris nicht alles ihren Anforderungen genügte.
- 28.
Fouqué 1814, S. 11 f.
- 29.
Varnhagen 1983, Bd. 2, 218, vgl. S. 217 ff. (23.5.1814). Nur Sara von Grotthuß (1763–1828) war willens, Mme de Staël gegen einige Vorwürfe zu verteidigen Grotthuß 1911, Sp. 150–151 (An Goethe, 25.11.1814).
- 30.
- 31.
Müller 1967, S. 54 und S. 57 f., vgl. S. 52 f. („Vom Gespräch“). Eine ähnliche Einschätzung der französischen Konversationstradition des 17. Jahrhunderts findet sich wiederholt bei Rahel Varnhagen.
- 32.
Maillé 2012, S. 121.
- 33.
Maillé 2012, S. 61 f.
- 34.
Vgl. Boigne 1999, Bd. 2, S. 10 zur Lage um 1820: „Je voyais les gens de toutes les opinions. […] Nous étions les royalistes du Roi et non pas les royalistes de Monsieur, les royalistes de la Restauration et non pas les royalistes de l’Émigration, les royalistes enfin qui, je crois, auraient sauvé le trône si on les avait écoutés.“
- 35.
Goncourt 1947, S. 142 (23.10.1864).
- 36.
Mohl 1862, S. 1 ff. und S. 100 ff.
- 37.
- 38.
- 39.
Hier gab es viele Nietzsche-Kenner (Richard M. Meyer, Raoul Richter, Harry Graf Kessler u. a.). Nietzsche schätzte die französische Konversationstradition und kommentierte einzelne Aspekte der Konversation im Allgemeinen in seinen Aphorismen. Nietzsche 1980, Bd. 1, S. 343 ff. und Bd. 2, S. 241 ff. Vgl. zu den Problemen der Deutschen in Geist und Leben durch den Gegensatz „von Form und Inhalt, von Innerlichkeit und Convention“ auch Bd. 1, S. 275 ff. (Vom Nutzen und Nachtheil der Historie …).
- 40.
Nostitz 1933, S. 63.
- 41.
Vgl. Dollinger 1999.
- 42.
Eckermann 1908, Bd. 1, S. 329 f. (31.1.1827). Ausführlich dazu Bohnenkamp 2008. – Für Wilhelm von Humboldt war die Sprache nicht nur ein Zusammenwirken von Verstehen, Empfinden und Gestalten, sondern ein kulturelles Bindeglied zwischen dem Individuum und der ganzen Menschheit. Humboldt 1963a, Bd. 3, S. 76 ff.
- 43.
Ausführlich nach Schlegel dargelegt und in den Konsequenzen kommentiert bei Mainusch 1991, S. 122 ff.
- 44.
In dem Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ (1805) heißt es, eine lebhafte Wechselrede könne sich elektrisch aufladen und einen Sprecher zu unerwarteten, ja dramatischen Deklarationen hinreißen (er nennt als Beispiel Mirabeau am 23. Juni 1789). Kleist 1952, Bd. 2, S. 321 ff.
- 45.
H. v. Olfers, Mitteilung an Otto Brahm, 1884, in: Sembdner 1992, Bd. 1, S. 397.
- 46.
Schlegel 2018, S. 199 und 201 f. (Gespräch über die Poesie).
- 47.
Shakespeare, Love’s Labour’s Lost, II, 1, 238. Die Gespräche dort wirken fast wie eine Vorwegnahme von Gesprächen im Hôtel de Rambouillet.
- 48.
Olfers 1914, Bd. 2, S. 15 f. (17.10.1816). Bei der erwähnten Komödie handelt es sich um „Viktoria und ihre Geschwister“ (entstanden 1813, gedruckt 1817).
- 49.
Dazu ausführlich Dollinger 2016.
- 50.
- 51.
Zitiert nach Wilhelmy 1989, S. 176.
- 52.
- 53.
Helmholtz 1929, Bd. 2, S. 40 (15.12.1891).
- 54.
R. Mohl 1902, Bd. 1, S. 36, Bd. 2, S. 433.
- 55.
Lesser 1984, S. 24 f.
- 56.
Helmholtz 1929, Bd. 1, S. 41 (25.10.1852).
- 57.
Mohl 1862. Die Arbeit war auch von der Geschichtsauffassung ihres alten Freundes Augustin Thierry geprägt.
- 58.
„[…] for when the habit of changing all thoughts and sentiments into words has become natural and easy, it offers so great a variety in itself that society needs no other.“ Mohl 1862, S. 191.
- 59.
Mohl 1862, S. 191 f. „The most abstract thoughts may be made tangible by lively imagery, – the most complicated subjects may be simplified by the learned to obtain the approbation of an attentive listener […]. Conversation is the mingling of mind with mind, and is the most complete exercise of the social faculty“ (S. 192).
- 60.
O’Meara 1885, S. 37.
- 61.
- 62.
Helmholtz 1929, Bd. 1, S. 41 (18.10.1852).
- 63.
Goncourt 1947, S. 128 (27.9.1863).
- 64.
Nietzsche 1980, Bd. 1, S. 265 ff. (Vom Nutzen und Nachtheil der Historie).
- 65.
- 66.
Bonaparte 2019; vgl. zur Biographie Picon 2005.
- 67.
- 68.
Laisney 2020, S. 56.
- 69.
Kessler 2004, Bd. 3, S. 210 f. (26.10.1898).
- 70.
Am Anfang dieser Salonnièrendynastie stand die Herzogin Dorothea von Kurland (1761–1821), welche um 1800 einige Winter lang (bis 1806) einen Salon in Berlin führte. Die Tradition wurde fortgesetzt von ihrer jüngsten Tochter Dorothea (Mme de Dino, Herzogin von Talleyrand und Sagan), ihrer Enkelin Pauline Marquise de Castellane (1820–1890) und von der Urenkelin Marie Fürstin Radziwill.
- 71.
Radziwill 1931, S. V.
- 72.
- 73.
Rathenau 2006, S. 1035 f.; vgl. Rathenau 1967, S. 153 (beides 30.12.1911). – Ein Extremfall mündlicher Überlieferung wird vom Hof der Kaiserin Eugénie berichtet, als eine sehr alte Dame, die Herzogin von Richelieu, beiläufig erwähnte, was Ludwig XIV. einst zu ihrem Mann gesagt hatte! („Le roi Louis XIV avait prédit à mon mari …“). Nach Martin-Fugier 2009, S. 10.
- 74.
Wilhelmy-Dollinger 2010.
- 75.
Helmholtz 1929, Bd. 2, S. 39 (18.10.1891).
- 76.
Legras 1892, S. 66 f.
- 77.
Wie viele kluge Frauen ihrer Kreise fühlte sich die Gräfin Greffulhe im Trubel der eleganten Welt nicht wirklich wohl und litt unter der geistigen Enge ihrer Umgebung (sie wurde von der eigenen Verwandtschaft kritisiert, weil sie in ihrem Salon eine „gemischte“ Gesellschaft empfing). Vgl. de Pange 2014, S. 95.
- 78.
Gramont 2018, S. 25.
- 79.
Lazarus 1878, S. 258 ff., zur „gemeinschaftlichen Arbeit der Geister“ im Gespräch S. 262 f.; es gibt Analogien zu den Gedanken Mme Mohls.
- 80.
Während des Zweiten Weltkriegs ließ sie sich als alte Dame im eisigen Salon eine kleine beheizbare Holzhütte bauen, um weiter das Gespräch mit Freunden pflegen zu können. Hillerin 2018, S. 493.
- 81.
Lepsius 1916, S. 37; vgl. Simmel 1986, S. 229 und 239 ff. Das Prinzip der Komplementarität wurde von der Soziologie und Lebensphilosophie jener Zeit stark betont.
- 82.
Bunsen 1932, S. 66.
- 83.
- 84.
Helmholtz 1929, Bd. 2, S. 35 (31.1.1891). – Harry Graf Kessler sprach von ihrem „sozialen Genie“. Kessler, Bd. 3, S. 291 (15.3.1900) und S. 456 (30.1.1905). Cosima Wagners Kunst der Konversation überrascht nicht bei einer Tochter Marie d’Agoults.
- 85.
Bunsen 1932, S. 66.
- 86.
- 87.
Nostitz 1933, S. 13.
- 88.
Carl Bernstein nahm sich auch des jungen Dichters Jules Laforgue an, als dieser Vorleser der Kaiserin Augusta in Berlin war. Vgl. Wilhelmy-Dollinger 2021.
- 89.
Lepsius 1916, S. 42.
- 90.
Nostitz 1933, S. 50.
- 91.
Bunsen 1929, S. 158 f.
- 92.
- 93.
Bamberger 1898, S. 94 f. In Berlin scheute man sich meist, „seinen Freunden zuzumuten, daß sie erst nach aufgehobener Tafel kommen, en cure-dents, als Zahnstocher, wie man es scherzhaft im Französischen […] ausdrückt.“
- 94.
- 95.
Martin-Fugier 2011, S. 217 ff.
- 96.
M. Olfers 1928, Bd. 1, S. 297 (17.3.1864).
- 97.
Lepsius 1916, S. 39.
- 98.
Schleich 1922, S. 318.
- 99.
Nostitz 1933, S. 60.
- 100.
Maillé 2012, S. 61 f.
- 101.
Olfers 1914, Bd. 2, S. 579 (22.7.1884).
- 102.
Olfers 1914, Bd. 2, S. 85 (25.11.1825).
- 103.
„[…] ce sentiment si fin de ce qui doit se taire et de ce qui peut se dire“, „ce don de bien choisir“. Maillé 2012, S. 432 (1850).
- 104.
Martin-Fugier 2011, S. 226 ff.
- 105.
Maillé 2012, S. 61 f.
- 106.
- 107.
- 108.
Senior 1880, Bd. 1, S. 303 f. (29.4.1861).
- 109.
Gans 1995, S. 150 (1835).
- 110.
Varnhagen 1983, Bd. 2, S. 19 (27.2.1812).
- 111.
Liebermann 1914, S. 51.
- 112.
Gramont 2017, S. 188 f.
- 113.
Wilhelmy 1989, S. 118 f. und S. 504. Theodor Fontane setzte ihr als „Frau von Carayon“ in seinem Roman „Schach von Wuthenow“ ein belletristisches Denkmal. Er war wie sie ein lebenslustiger Nachfahre der Hugenotten und ein geistvoller Causeur.
- 114.
- 115.
Olfers 1914, Bd. 2, S. 579 (7.8.1884).
- 116.
Grimm 1892, S. VI.
- 117.
Marie von Olfers erzählte im Dezember des Revolutionsjahres 1848 den Ausspruch eines Ladenbesitzers: „Na, warten Sie man zu Weihnachten, da wird det Geschäft wieder janz jut, denn uff sone fürchterliche Traurigkeit, da machen sich die Menschen ne ordentliche Freude.“ M. Olfers 1928, Bd. 1, S. 33. Auch König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, ein Meister des Witzes in allen Nuancen, wählte gern den Berliner Dialekt.
- 118.
Vgl. z. B. Radziwill 1933, Bd. 1, S. 49 (3.12.1890), S. 115 (9./10.3.1892) und S. 131 (8./9.11.1892).
- 119.
M. Olfers 1928, Bd. 1, S. 21 (10.8.1848).
- 120.
Gramont 2017, S. 186.
- 121.
Goncourt 1947, S. 162 ff. (24./31.5.1867). Vgl. aber auch S. 170 f. (Karfreitag 1868).
- 122.
K. A. Varnhagen 1859a, Bd. 8, S. 580 f. Es soll sich um eine Anekdote von Chamfort gehandelt haben.
- 123.
Helmholtz 1929, Bd. 1, S. 50 f. (26.1.1853). Mme Mohl wusste durch Prosper Mérimée, dass es sich um Verleumdungen handelte.
- 124.
M. Olfers 1928, Bd. 1, S. 26 (18.8.1848), vgl. S. 20.
- 125.
Liebermann 1914, S. 51.
- 126.
Hillerin 2018, S. 181 („une reine conciliatrice entre l’ancienne noblesse et la troisième République“).
- 127.
Olfers 1914, Bd. 2, S. 335 (Juni 1854).
- 128.
Daudet 1910, S. 202 f. (August 1894).
- 129.
Lesser 1984, S. 101 (nach Elizabeth Gaskell, 1854).
- 130.
- 131.
Gans 1995, S. 150. Es handelte sich um eine kontroverse Diskussionen über die Todesstrafe. Mme Récamier gab am Schluss ein ausgewogenes Urteil ab.
- 132.
Dino 1909, Bd. 3, S. 247 f. (2.4.1843).
- 133.
Dino 1909, Bd. 3, S. 250 f. (14.4.1843).
- 134.
Zitiert nach Martin-Fugier 2009, S. 133 f.
- 135.
- 136.
Kleist 1952, Bd. 2, S. 326.
- 137.
- 138.
Mme Mohl habe manche Ideen und Ansichten ihres Gesprächspartners blitzschnell ergriffen, von allen Seiten betrachtet und oft mehr darin gefunden, als dieser selbst ahnte. O’Meara 1885, S. 146.
- 139.
„[Friedrich] Schleiermacher entdeckt […] als Grundsituation der pluralisierend-literarischen Hermeneutik die Gesprächsgeselligkeit des unendlichen Gesprächs, das jeden zu Wort kommen läßt, ohne zeitliches Limit und ohne Einigungszwang […]. Das Reden und Redenlassen des unendlichen Gesprächs, zu dem das Lesen und Lesenlassen gehört, dient dem Leben und Lebenlassen.“ Marquard 1984, S. 131.
- 140.
- 141.
Olfers 1914, Bd. 2, S. 107 (Gespräch bei Gabriele von Bülow geb. von Humboldt, Anfang 1827). In seiner Sprachphilosophie betont Humboldt auch den Aspekt „lebendigen“ Sprechens. Sprache entwickle sich „gesellschaftlich“, sie sei eine dynamische „Thätigkeit“ bzw. „Energeia“. Humboldt 1963b, S. 418 und S. 429.
- 142.
Varè 1940, S. 16 f. Hier konnte nur ein Ausschnitt aus dem von Varè ausführlich geschilderten Gespräch zitiert werden. Zuvor war von der Datierung der Jahrhundertwende (1900 oder 1901) die Rede gewesen, vom deutschen Kaiser, von der Malerei, vom „Lachenden Kavalier“ von Frans Hals usf.
- 143.
Varnhagen 1983, Bd. 2, S. 24 (8.3.1812).
Literatur
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Dollinger, P. (2022). Konversation im Salon und bei Salonnièren des 19. Jahrhunderts in Paris und Berlin. In: Strosetzki, C. (eds) Der Wert der Konversation. Abhandlungen zur Medien- und Kulturwissenschaft. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-65188-9_10
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