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Essayistische Zugangsweisen in der Lyrik Monika Rincks am Beispiel des Gedichts „das gegenteil von verführung“

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Monika Rinck

Part of the book series: Kontemporär. Schriften zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ((KSDG,volume 10))

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Zusammenfassung

Der Beitrag erörtert die Frage nach essayistischen Zugangsweisen in Monika Rincks Gedichten, wobei er das Essayistische weniger als Gattungsform denn als Verfahrensweise bestimmt. Im Folgenden exponiert der Beitrag Nähen, auch wechselseitige Einflüsse, der essayistischer Prosaarbeiten Rincks und ihrer Gedichte. Im Close-Reading des Gedichts das gegenteil von verführung zeigt sich der Einsatz von Darstellungsmitteln aus Formaten der Prosa und die Anleihe an Prosaisch-Alltäglichem. In Parenthesen mündlicher Rede stellt Popp eine Verschränkung von Gesten (vorgeblicher) Unmittelbarkeit und versierter Selbstreflexion fest, die er als für Rincks Lyrik ebenso wie für ihren Essaystil prägende Eigenheit herausarbeitet.

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Notes

  1. 1.

    Dieser Diskurs besteht seit Anfang des 19. Jhs., intensiver geführt wird er mit unterschiedlichen Konjunkturen seit etwa den 1950er Jahren. Davon zu unterscheiden ist ein essaypoetologischer Diskurs insbesondere (aber nicht ausschließlich) in der ersten Hälfte des 20. Jhs., aus dem heraus Ansätze von Georg Lukács, Max Bense und Theodor W. Adorno den literaturwissenschaftlichen maßgeblich beeinflusst haben. Mein stark verkürzender ‚Crashkurs‘ entnimmt diesen Diskursen nur Aspekte, die für die Diskussion von Rincks Lyrik relevant sind.

  2. 2.

    Der Umstand, dass außerhalb des literarischen Gattungsschemas auch essayistische Fotokunst (‚Fotoessays‘) und Filmkunst (‚Essayfilme‘) existieren, die als solche bezeichnet und auch theoretisiert werden, scheint ebenfalls für diese Sichtweise zu sprechen. Siehe zum Essayfilm Jakob Hesler: Reading the World. The Essay Film as Form in Left Bank Cinema. Unveröffentlichte Dissertation, University of London 2011.

  3. 3.

    Christoph Ernst: Essayistische Medienreflexion. Die Idee des Essayismus und die Frage nach den Medien. Bielefeld 2005, 178–179.

  4. 4.

    Theodor W. Adorno: „Der Essay als Form“ [1958]. In: Noten zur Literatur I (Gesammelte Schriften 11). Frankfurt am Main 2003, 9–33. Birgit Nübel: Robert Musil – Essayismus als Selbstreflexion der Moderne. Berlin u. a. 2006, 28 und passim.

  5. 5.

    Simon Jander spricht von einer „Beweglichkeit des Standpunktes“, die sich aus der Implementierung „interaktiv[er] und ambivalent[er] Reflexionsstrukturen und -abläufe“ ergibt und „es erlaubt, einen Gegenstand von mehreren Seiten zu perspektivieren“. Simon Jander: Die Poetisierung des Essays: Rudolf Kassner, Hugo von Hofmannsthal, Gottfried Benn. Heidelberg 2008, 149, 150. Perspektivierungen dieser Art können so unterschiedliche Darstellungsmittel wie Metaphern und Vergleiche, „parodistische, ironische und selbstironische Elemente“ (ebd., 149), rhetorische Fragen, konjunktivische Formulierungen und logische Operatoren leisten. Auf die rhetorische Figur der Digression als „Lizenz zur Reihung von […] einzelnen Beobachtungen und Überlegungen ohne konsistenzstiftenden Oberbegriff“ verweist (mit Adorno) Georg Stanitzek: Essay – BRD. Berlin 2011, 20.

  6. 6.

    Ernst: Medienreflexion (wie Anm. 3), 51–54. Stanitzek: Essay – BRD (wie Anm. 5), 21. Peter von Zima: Essay/Essayismus. Zum theoretischen Potenzial des Essays: Von Montaigne bis zur Postmoderne. Würzburg 2012.

  7. 7.

    Birgit Griesecke: „Essayismus als versuchendes Schreiben. Musil, Emerson und Wittgenstein“. In: Wolfgang Braungart, Kai Kauffmann (Hg.): Essayismus um 1900. Heidelberg 2006, 157–175. Kritisch dazu Benjamin Gittel: „Essayismus als Fiktionalisierung von unsicheres Wissen prozessierender Reflexion“. In: Scienta Poetica 19 (2015), 136–171. In Anlehnung an Bense spricht Oliver Jahraus von einem „diskursiven Vorschlagscharakter“ essayistischer Schreibweisen, was meines Erachtens aber nur eine Facette ihrer Darstellungsmöglichkeiten erfasst. Oliver Jahraus: „Die Differenz zwischen Wissenschaft und Essayistik“ [1998]. https://www.medienobservationen.de/artikel/theorie/Essay.html (10.02.2021).

  8. 8.

    Ernst: Medienreflexion (wie Anm. 3), 174–179. Essayistische Zugänge bilden sich demnach „relativ zu den Darstellungsweisen“ eines Diskurses aus, ohne selbst eine – auch keine lediglich Diskurse verknüpfende ‚hybride‘ – eigenständige Darstellungsweise zu sein. Ernst spricht in diesen Zusammenhängen von ‚Essayismus‘ oder der ‚essayistischen Methode‘. Ebd., passim.

  9. 9.

    Ernst: Medienreflexion (wie Anm. 3), 178–179.

  10. 10.

    Walter Höllerer: „Lars Gustafsson“ [Einleitung]. In: Ein Gedicht und sein Autor. Lyrik und Essay. Berlin 1967, 9–11, hier 9. Siehe dazu auch Stanitzek: Essay – BRD (wie Anm. 5), 105, Anm. 149. Das Binnenzitat stammt von Charles Olson, in dessen Poetik und Lyrik die Relation von poetischer Sprachverwendung und dokumentaristisch-investigativen Darstellungsinteressen eine wichtige Rolle spielen. Vgl. Charles Olson: „Projective Verse“ [1950]. In: Collected Prose. Hg. von Donald Allen und Benjamin Friedlander. Berkeley u. a. 1997, 239–249.

  11. 11.

    Monika Rinck: Ah, das Love-Ding! Ein Essay. Idstein 2006; Dies.: Risiko und Idiotie. Streitschriften. Berlin 2015.

  12. 12.

    Siehe den Beitrag von Jörg Schuster in diesem Band.

  13. 13.

    Monika Rinck: „Kleinste Intervalle. Die poetische Form als Essay“. In: Edit. Papier für Neue Texte 50 (2009), 69–73, hier 69.

  14. 14.

    Ebd., 69.

  15. 15.

    Christian Metz: Poetisch Denken. Die Lyrik der Gegenwart. Frankfurt am Main 2018, 45, 98–99 und passim. Zum dem auf Rincks lyrisches Verfahren anwendbaren Begriff der Verschränkung, der auf Karen Barad zurückgeht, siehe Ders.: „Diffraktive Poetologie: Monika Rincks Poetik des Sprungs. Eine Lektüre“. In: Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXVIII, 2 (2018), 247–260, hier 248–249.

  16. 16.

    Ihre Sympathie für eine Poetik der nicht unterschiedslosen, aber doch ausnahmslosen Verwertung aller verfügbaren Ressourcen bekundet Rinck in einem poetischen Dialog mit Mechthild von Magdeburg: „Der Name des Tieres hat zu bedeuten: ALLES NUTZ“. Monika Rinck: [o.T.]. In: Mechthild Rausch (Hg.): Je tiefer ich sinke, je süßer ich trinke. Poetische Annäherungen an Mechthild von Magdeburg. Berlin u. a. 2010, 14–43, hier 42–43.

  17. 17.

    Felix Philipp Ingold: „Ungewollte Widersprüche. Von einem neuerdings in der deutschsprachigen Lyrik gepflegten intellektuellen Plauderton. Randnotizen zu Beispieltexten“. In: Manuskripte 177 (2007). Vgl. Monika Rinck: "NZL". In: Dies.: zum fernbleiben der umarmung. Idstein 2007, 54.

  18. 18.

    Ann Cotten: „Anmerkungen zu Felix Philipp Ingolds ‚Randnotizen zu Beispieltexten‘“. http://archiv.lyrikkritik.de/Cotten%20-%20Ingold.html (12.02.2021). Vgl. dazu Sebastian Kiefer: Was kann Literatur? Wien 2006, 42–53. Der Ton in Rincks Gedichten ist nicht mit dem essayistischen ‚Plaudern‘ zu verwechseln, das Stanitzek der Essayistik Michael Rutschkys attestiert. Vgl. Georg Stanitzek: „Plaudertasche Rutschky“. In: Essay – BRD (wie Anm. 5), 122–153. Unabhängig davon lässt sich Rincks Lyrik in ihrer Tonalität und Art des Zugriffs als Beleg für den Zusammenhang lesen, den Stanitzek zwischen der Verabschiedung eines monologisch konzipierten ‚rein lyrischen‘ Tons als Paradigma des Literarischen schlechthin und dem gleichzeitigen Einzug essayistischer Schreibweisen in die Literatur herstellt. Ebd., 142–143.

  19. 19.

    Monika Rinck: „das gegenteil von verführung“. In: zum fernbleiben der umarmung (wie Anm. 17), 10.

  20. 20.

    Diese Engführung kulminiert in der Frage „was ist denn das fürne pflanze?“ (V. 11), die eine Wendung aus der Berliner Mundart adaptiert: ‚Berliner Pflanze‘ steht für einen in Berlin geborenen und aufgewachsenen Menschen. Im Zusammenspiel von Büroszene und dem Genus von ‚Pflanze‘ ergibt sich daraus eine semantische Engführung von ‚Büropflanze‘ und ‚Büroangestellte‘. Der latente Eintrag von Mundart stützt den kolloquialen und gestisch saloppen ‚Plauderton‘, der in V. 1–12 angeschlagen wird.

  21. 21.

    Rinck spricht diesbezüglich von einer Betonung „[j]enseits der Semantik“. Dies., „Kleinste Intervalle“ (wie Anm. 13), 71. Zur prosodischen Organisation vieler Texte der Gegenwartslyrik jenseits von Versmetriken und freiem Vers vgl. Burkhard Müller-Sickendiek: Hörlyrik. München 2020.

  22. 22.

    Der genusmarkierte Begriff ‚Sprecherin‘ wird hier und im Folgenden verwendet, weil Rincks Spiel mit Personae, Kompositionssubjekt und dem Subjekt der empirischen Autorin die Diskussion von Autofiktion und autorfaktualen Adressanten in Gedichten, herausfordert, die an dieser Stelle aber nicht geführt werden kann. Siehe dazu Elisabeth Katharina Paefgen: „Was macht das Ich in lyrischen Texten der Gegenwart? Gedichte von Monika Rinck und Barbara Köhler“. In: Literatur in Wissenschaft und Unterricht 49/4 (2016), 287–301. Dass das ‚lyrische Ich‘ in Rincks Lyrik auch als Topos und Persona thematisch wird, steht noch einmal auf einem anderen Blatt – auf dem es um die Übernahme, das Sampling und die Weiterschreibung wissenschaftlicher Diskursfiguren in der zeitgenössischen deutschsprachigen Lyrik gehen müsste. Vgl. etwa Monika Rinck: „mein lyrisches ich“. In: zum fernbleiben der umarmung (wie Anm. 17), 22.

  23. 23.

    Eine Engführung von Beschreibung und reflexiver Erörterung konkreter Umstände wird in V. 1–10 entwickelt, eine stärker parataktische, allgemein erörternde und emphatischere Sprecherrede in V. 13–18. Die modale und perspektivische Differenz zwischen den beiden Textteilen, die in einem rhetorisch klassischen Verhältnis von Aufbau und Summe zueinander stehen, wird von einer ‚Gelenkzeile‘ (V. 13) moderiert, die einen Orts- und Haltungswechsel der Sprecherin in Szene setzt.

  24. 24.

    Auch in „NZL“ schlägt ein zunächst eher entspannter Ton in einen stark parataktischen, allgemein erörternden und emphatischeren um.

  25. 25.

    Rinck, „das gegenteil von verführung“, V. 14 und V. 17–18. V. 14 zit. aus Moses Mendelssohns Übersetzung von Psalm 23: „Gott ist mein Hirt, / mir wird nichts mangeln. / […] / du salbst mein Haupt mit Öle / und schenkst mir volle Becher ein, / mir folget Heil und Seligkeit / in diesem Leben nach, / einst ruh’ ich ew’ge Zeit / dort in des Ew’gen Haus.“ Moses Mendelssohn: „Die Psalmen, übersetzt von Moses Mendelsohn“ [o. J.]. In: Moses Mendelssohn’s gesammelte Schriften. Leipzig 1845, Bd. 6, 125–366, hier 160. V. 18–19 paraphrasieren Matthäus 6:26 in der Übersetzung von Martin Luther: „Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nähret sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie?“ Mit Blick auf Titel und Setting des Gedichts weist Rinck auf ein Zitat von Andy Warhol in einem Artikel von Josephine Pryde hin: „Die meisten Leute in den Büros werden in Wirklichkeit dafür bezahlt, dass sie sich in Tagträumen neue Verführungskünste ausdenken.“ Monika Rinck, Email an den Verfasser vom 21.6.2012. Vgl. Josephine Pryde: „Dream on / die Politik des Tagtraums“. Aus dem Englischen von Britta Lange. In: Texte zur Kunst 52 (2003), 86–92.

  26. 26.

    Giorgio Agamben: Bartleby oder die Kontingenz gefolgt von Die absolute Immanenz [it. 1993]. Berlin 1998, 52. Agambens Denkfigur der ‚negativen Erlösergestalt‘ wird in V. 16 aufgegriffen, seine Rede von einer „nicht mehr brauchbaren Zeit“ in V. 17 direkt übernommen. Auch Agambens Lesart von Bartlebys Formel „I would prefer not to“ als Geste einer zweiten Schöpfung und neuen Kreatur wird für das Gedicht adaptiert, vgl. V. 16–17. Siehe dazu auch Gilles Deleuze: Bartleby oder Die Formel [frz. 1993]. Berlin 1994.

  27. 27.

    „[…] und sage in das summen der rechner:“ (V. 13). Die Ansprache beginnt als wörtliche Rede der Sprecherin in V. 14 und setzt sich als Mitteilung, Notation oder Paraphrase ihres Denkens in V. 14–18 fort. Als eine weitere intertextuelle Referenz kommt in diesem Kontext die Franz von Assisi zugeschriebene ‚Predigt vor den Vögeln‘ – so in Bonaventuras Legenda Sancti Francisci, andernorts auch als ‚Predigt vor den Schweinen‘ überliefert – ins Spiel.

  28. 28.

    Ich folge hier und im Folgenden der Terminologie und dem Modell von Ralf Simon: Der poetische Text als Bildkritik. München 2009. Siehe dazu auch Ders.: „Poetik und Poetizität: Übersicht, historischer Abriss, Systematik“. In: Ders. (Hg.): Grundthemen der Literaturwissenschaft: Poetik und Poetizität. Berlin 2018, 3–57.

  29. 29.

    „Und ich hoffe auch, dass ich die letztlich unbefriedigende und hohle Pointe auslassen kann, die gerne eintritt, wenn man ein Genre auf das andere abbildet und dann, am Ende, weniger hat als zu Beginn.“ Rinck: „Kleinste Intervalle“ (wie Anm. 13), 70.

  30. 30.

    Monika Rinck: Honigprotokolle. Sieben Skizzen zu Gedichten, welche sehr gut sind. Berlin 2012; Dies.: Alle Türen. Berlin 2018.

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Popp, S. (2023). Essayistische Zugangsweisen in der Lyrik Monika Rincks am Beispiel des Gedichts „das gegenteil von verführung“. In: Taylor, N., von Passavant, N. (eds) Monika Rinck. Kontemporär. Schriften zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, vol 10. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-64898-8_14

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  • Publisher Name: J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg

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