Im Rahmen der Covid-19-Pandemie wurde erbittert über die Kostenverantwortung wesentlicher Finanzierungsblöcke der Gesundheitsversorgung gestritten. Hintergrund war, dass eine grundsätzliche Festlegung fehlte und seitens des Gesetzgebers kein einheitlicher Kurs verfolgt wurde.
Betrachtet man zum Beispiel die Rettungsschirme (bzw. Leerstandsfinanzierung) der unterschiedlichen Bereiche des Gesundheitswesens, wurden diese je nach Leistungsbereich stark unterschiedlich ausgestaltet. Waren die Freihaltepauschalen im DRG-Bereich in der akutstationären Versorgung immer eine Aufgabe der öffentlichen Hand, wurden die Minderbelegungskosten im Bereich des Pflegebudgets an die Krankenkassen durchgereicht und im Anschluss darüber hinaus bei der Betrachtung des Jahresschlussausgleichs für die Jahre 2020 und 2021 politisch ausgeklammert, obwohl dies auf keiner wirtschaftlich nachvollziehbaren Grundlage erfolgte. Auch bei den Rehabilitationseinrichtungen war das Vorgehen uneinheitlich. Hier wurde die GKV an den Leistungen zur Kompensation der Erlösausfälle durch Minderbelegung für bestimmte Zeiträume beteiligt, für andere Zeiträume hat der Bund die Finanzierungsverantwortung übernommen.
Bei den krisenbedingten Mehrkosten, beispielsweise persönliche Schutzkleidung und Testkosten, wurde im akutstationären Bereich die Finanzierungsverantwortung der GKV bzw. der PKV zugeordnet. Die Kosten für die Schaffung zusätzlicher Intensivkapazitäten hingegen wurde über den Gesundheitsfonds nur der GKV in Rechnung gestellt.
In der Summe führte dieser Maßnahmenmix bei der Krankenhausfinanzierung dazu, dass im Jahr 2020 trotz erheblichen Fallzahlrückgangs und der Finanzierung der Leerstandspauschalen durch die öffentliche Hand eine Steigerung der Ausgaben der GKV für die Krankenhausversorgung zu verzeichnen war (BMG 2021a). Im Gesamtjahr 2020 flossen den Krankenhäusern zusätzlich 9,4 Mrd. € für Freihaltungen sowie rund 700 Mio. € für die Erhöhung der Kapazitäten von Intensivbetten aus dem Gesundheitsfonds zu (BMG 2021b).
Klärt man die Frage der finanziellen Zuständigkeiten – nicht nur für den Krankenhausbereich – anhand des oben formulierten Grundsatzes, hat dies positive Konsequenzen für das Ziel Liquiditätssicherung für alle Beteiligten des Gesundheitswesens. Dieses Vorgehen schafft den notwendigen Raum dafür, den Erfordernissen der jeweiligen Krise primär aus der Versorgungssicht zu entsprechen und auch über zusätzliche Leistungsangebote auf dem Boden von Evidenz qualifiziert diskutieren zu können. So war schon früh zu erkennen, dass systematische und standardisierte Nachuntersuchungen von Patientinnen und Patienten mit Covid-19 frühzeitig sinnvolle epidemiologische Erkenntnisse für die weitere Pandemiebekämpfung und -bewertung gebracht hätten. In der unübersichtlichen Gesamtsituation überließ man solche Fragestellungen jedoch der ungesteuerten Studienlandschaft. In der Folge besteht auf diesem Gebiet bis heute eine wenig nützliche Kakophonie, obwohl breiten, fundierten und standardisierten Nachuntersuchungsprogrammen nichts entgegengestanden hätte.
Außerdem haben alle Leistungserbringer und die Krankenkassen eine verlässliche Finanzierungsbasis, wenn das Risiko der finanziellen Überforderung entscheidend sinkt. Das von der Bundesregierung gewählte Modell zur Finanzierung der Sonderfinanzierungstatbestände während der Pandemie hat bei der Diskussion der keinen erkennbaren Grundsätzen folgenden Finanzierungsaufteilung dazu geführt, dass in den zahlreichen Verhandlungen zu Einzeltatbeständen viel Energie verloren gegangen ist. Im ersten Schritt bei den Gesetzen und Verordnungen und anschließend bei den Vereinbarungen zwischen den Vertragspartnern stand oftmals die Wahrung der eigenen Finanzinteressen den Versorgungsnotwendigkeiten gegenüber. Das schafft ein Klima der allgemeinen Verunsicherung sowie fehlende Planungssicherheit und Transparenz. Einheitliche Grundsätze hingegen, die konsequent zur Anwendung kommen, können dies weitgehend vermeiden. Sie sollten wie folgt formuliert werden: GKV und PKV finanzieren die Behandlungskosten, die öffentliche Hand die Vorhaltekosten für Reservekapazitäten und die situative Freihaltung (Freihaltepauschalen). Die Finanzierung der krisenbedingten Mehrkosten bei der Behandlung kann nicht aus den Beiträgen der Versicherten erbracht werden, ohne dass Druck auf die Beitragssätze entsteht. Verfolgt man aber Ziele wie die Sozialgarantie der Lohnnebenkosten, sind die zusätzlichen Ausgaben durch Bundeszuschüsse an die Krankenkassen auszugleichen.
9.3.1 Fokus Liquiditätssicherung – der Krankenhausfinanzierungsansatz während der Krise
In einer Krise sollen die Akteure des Gesundheitswesens primär befähigt werden, besonderen und höheren Belastungen standzuhalten. Daher treten Ziele wie Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsanreize temporär in den Hintergrund. Es ist daher zielkonform, Selbstkostendeckung bei der Finanzierung der Krankenhäuser für begrenzte Zeiträume zuzulassen, auch wenn dies grundsätzlich jenseits der Ausnahmesituation legitimen Interessen der Versicherten widerspricht.
In Pandemie- oder Katastrophensituationen sollte eine konkret zu entwickelnde gesetzliche Finanzierungsgrundlage für die Krankenhäuser unter folgenden Prämissen in Kraft treten:
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1.
Die Krankenhäuser haben gegenüber den Bundesländern einen Anspruch auf Mindererlösausgleiche auf Basis von Belegungstagen, soweit gegenüber dem Ist-Jahresdurchschnitt des letzten Vorkrisenjahres ein Belegungsausfall stattfindet.
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2.
Für Leerstandspauschalen wird prospektiv im Rahmen der Budgetverhandlungen ein krankenhausindividueller Betrag vereinbart. Vergütet werden maximal 75 % eines durchschnittlichen Tagessatzes. Durch die krankenhausindividuelle Definition von Leerstandspauschalen erfolgt de facto eine Selbstkostendeckung, weil dadurch die Fixkosten abgedeckt werden.
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3.
Ebenfalls vereinbart wird der tagesdurchschnittliche Referenzwert der Belegung des Vorjahres, der für die Ermittlung des Belegungsausfalls vom Krankenhaus zugrunde gelegt wird. Dabei wird eine Differenzierung nach Wochentagen und ggf. saisonalen Aspekten vorgenommen.
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4.
Das Krankenhaus kann zur laufenden Liquiditätssicherung – auf Basis des „Feststellungsbescheides der zuständigen Behörde“ – wöchentlich gegenüber den zuständigen Landesbehörden eine Rechnung für einen Abschlag erstellen. Ein Spitzausgleich (von Über- und Unterzahlung über alle Zahlungen hinweg) erfolgt nach dem Ende der Krise. Hierbei sind klare Regeln und Verwaltungsvorschriften erforderlich, die prospektiv definiert werden müssen
Die skizzierten Schritte ermöglichen rationale Abschlagszahlungen auf eine Selbstkostendeckung der Kliniken, die außerhalb der üblichen Finanzierungsnorm erfolgt. Getrennt davon ist die Finanzierung der kurzfristigen Aufstockung von Kapazitäten im Krisenfall zu betrachten, beispielsweise der Aufbau von Behelfskliniken oder die Bereitstellung von Intensivbetten, für die zwingend Landesmittel und ggf. ergänzend Bundesmittel herangezogen werden müssen, die an klare Versorgungsziele zu koppeln wären.
9.3.2 Selbstkostendeckung muss faire finanzielle Ausgleiche beinhalten
Im Rahmen der oben skizzierten Systematik muss sichergestellt werden, dass eine ökonomisch bedingte Freihaltung von stationären Kapazitäten finanziell nicht belohnt wird. Dagegen ist zu überlegen, wie Krankenhäusern das Verbleiben in der Regelversorgung erleichtert werden kann. Ausdruck einer solchen Strategie ist es, wenn die mutmaßlich erreichten Finanzergebnisse von Krankenhäusern, die einen wesentlichen Beitrag zur Pandemiebekämpfung geleistet haben, regelhaft über den Ergebnissen der Einrichtungen liegen, die Leistungen ohne Vorgabe durch die Landesbehörden stark eingeschränkt haben.
Ferner müssen die oben skizzierten Parameter krankenhausindividueller Abschlagszahlungen zu Gunsten der Kliniken mit einem fairen Ausgleich unter Berücksichtigung aller Finanzierungskomponenten einhergehen, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Die Erfahrungen des Pandemiejahres 2020 zeigen, dass es sonst zu großen finanziellen Verwerfungen zwischen den Kliniken und den Krankenkassen kommt (Augurzky et al. 2021), die abgefangen werden müssen. So zeigen die Analysen von Augurzky und Busse zum Leistungsgeschehen der Krankenhäuser und zu Ausgleichszahlungen in der Corona-Krise, dass die stationären Erlöse der allgemeinen Krankenhäuser durchschnittlich um 3,7 % und die der psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken durchschnittlich um 10,6 % gestiegen sind. Zwischen den Häusern besteht dabei eine hohe Varianz. Grob vereinfacht lässt sich festhalten: Je geringer die Bettenanzahl bzw. die Fallschwere (CMI), desto höher die Erlösanstiege. Große Krankenhäuser, die einen wesentlichen Beitrag zur Krisenbewältigung geleistet haben (Quelle: Mostert et al. 2021), wurden demnach im Vergleich zu kleinen Krankenhäusern finanziell schlechter gestellt.
Maßgeblich für die Erlössteigerungen der Krankenhäuser insgesamt waren die geleisteten Ausgleichszahlungen des Bundes.
Und nicht zuletzt bedarf es nach dem Ende einer Krisensituation einer finanziellen Gesamtbetrachtung. Da auch bei einer prospektiven Ausrichtung eines Krisenfinanzierungssystems und einer regelbasierten Kostenaufteilung zwischen öffentlicher Hand und Krankenkassen hohe Gewinne und Verluste einzelner Krankenhäuser (und Kassen) nicht auszuschließen sind, muss nach einer Krise ein Kassensturz erfolgen. Ziel dieser Maßnahme ist es sicherzustellen, dass nicht bestimmte Leistungserbringer aufgrund einer manchmal hektischen Krisenfinanzierung hohe Gewinne realisieren oder aus der Versorgung ausscheiden müssen. Eigentlich sollte das bei der Anwendung des Selbstkostendeckungsprinzips auch gar nicht möglich sein. Sollten aber aufgrund von Fehleinschätzungen einzelne Akteure im Gesundheitswesen besondere Abweichungen bei Gewinn und Verlust im Zusammenhang mit einer Krisensituation verzeichnen, sind diese Gewinne/Verluste in Schlussausgleichen zumindest weitgehend zu begrenzen. Denn eine Krisensituation ist kein Katalysator für eine gute Versorgungsstruktur in Normalzeiten.
Außerdem führt der beschriebene und vor einer Krise bereits festgelegte Mechanismus dazu, dass ggf. vorliegende Anreize zur Gewinnmaximierung in Krisenzeiten nur eingeschränkt genutzt werden, weil die Nachhaltigkeit dieses Handelns eingeschränkt wäre. Denn bei der Umsetzung der skizzierten Mechanismen würde in erster Linie die Liquidität beeinflusst.
9.3.3 Liquiditätssicherung und Rechnungsprüfung während der Krise
Bei jedem zweiten Krankenhausfall, der durch den Medizinischen Dienst überprüft wird, wurde in der Vergangenheit festgestellt, dass Abrechnungskorrekturen notwendig sind. Daher ist die Rechnungsprüfung der Krankenkassen grundsätzlich essentiell, um dem Wirtschaftlichkeitsgebot im SGB V nachzukommen und eine sachgerechte Mittelallokation zwischen den Krankenhäusern sicherzustellen. Nichtdestotrotz kann die Intensität der Rechnungsprüfung unter bestimmten Bedingungen in Krisenzeiten eingeschränkt werden. Es ist unmittelbar einsichtig, dass während einer besonders hohen Belastung der Kliniken kaum Kapazitäten für die Bearbeitung von MDK-Prüfungen zur Verfügung stehen. Die aus Gründen der Fairness im Wettbewerb und des Erhalts der Wirtschaftlichkeit normalerweise zwingend erforderlichen Prüfungen binden personelle Ressourcen, die während einer Krise nur bedingt vorhanden sind. So wurden etwa die Ärzte des MDK teilweise bei der Bekämpfung der Covid-19-Krise eingesetzt.
Von hoher Relevanz für die Sonderregelungen im Krisenfall sind einige Randbedingungen:
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Die Anforderungen an die zu übermittelnden medizinischen Daten der Krankenhäuser dürfen nicht leiden, weil diese Daten die Grundlage von Steuerungsentscheidungen in Krisensituationen sind.
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Sobald die Krisenzeit vorbei ist, muss zeitnah der Status quo vor der Krise wiederhergestellt werden, da die Grundlagen der Rechnungsprüfung unverändert Bestand haben.
Der Bund muss jedoch für den Fall von beitragssatzrelevanten Mehrausgaben die Liquidität der Krankenkassen sicherstellen. So wie Krankenhäuser während einer Pandemie weniger Aufwand bei der Rechnungsprüfung haben wollen, ist die ständige Bedrohung von Einzelkassen durch fehlende Liquidität nicht wünschenswert. Denn Krankenkassen können nur auf der Basis einer gesicherten Finanzlage ihren Beitrag zur Krisenbewältigung leisten. Soweit die Liquiditätssicherung der Krankenkassen erfolgt, können diese den Krankenhäusern durch verkürzte Zahlungsziele flexibel und unbürokratisch auf Basis der etablierten Abrechnungswege finanziellen Spielraum einräumen.