In Europa wurden mehrere Strategien eingesetzt, um die steigende Nachfrage an akut- und intensivmedizinischer Versorgung von Covid-19-Patienten zu bewältigen und eine ausreichende physische Infrastruktur sicherzustellen. Im folgenden Abschnitt wird ein Überblick gegeben, wie die Länder es geschafft haben, Kapazitäten für Covid-19-Patienten in den Krankenhäusern zu schaffen. Im Anschluss werden die effektiv geschaffenen intensivmedizinischen Krankenhauskapazitäten im Ländervergleich dargestellt.
2.4.1 Strategien zur Schaffung von Akut- und Intensivkapazitäten für Covid-19-Patienten
Insgesamt haben die meisten Länder schnell Krankenhaus-Notfallpläne umgesetzt oder initiiert, um Kapazitäten für Covid-19-Patienten freizumachen und zusätzliche Akut- und Intensivbetten in bestehenden Einrichtungen einzurichten. Die häufigste Strategie war die Anpassung, Neukonfiguration und Zuweisung von Krankenhausstationen und Räumen wie postoperativen Aufwachräumen oder Akut- und Intermediate-Care-Einheiten, um intensivpflichtige Patienten mit Covid-19 unterzubringen, indem nicht dringende und elektive Eingriffe verschoben wurden (Winkelmann et al. 2021b; OECD/European Union 2020). In vielen Ländern wurden private Krankenhäuser vorübergehend als Teil des öffentlichen Systems genutzt, um wesentliche Leistungen für Covid-19-Patienten sowie für dringende elektive Eingriffe, die nicht mit Covid-19 in Verbindung stehen, zu erbringen. Diese Strategie wurde vor allem in Ländern angewandt, die stark von der Pandemie betroffen waren und/oder einen starken privaten Krankenhaussektor haben. Zum Beispiel blockierten die Regierungen in Irland, England, Italien und Spanien Betten, Ausrüstung und Personal privater Krankenhäuser, damit diese während der Krise flexibel zur Verfügung standen. In Irland und Italien (Lombardei) trugen die privaten Krankenhausbetten wesentlich zur Überbrückungskapazität der Krankenhäuser bei: 2.000 private Krankenhausbetten in Irland und 30 % der Überbrückungskapazität der Intensivstation in der Lombardei. In weniger betroffenen Ländern wie Dänemark und Portugal war vorgesehen, private Krankenhausbetten im Bedarfsfall zur Verfügung zu stellen. Um den Druck auf die bestehenden Krankenhäuser zu verringern und die Notaufnahmen zu entlasten, haben viele Länder temporäre Krankenhäuser in Konferenzzentren, in Stadien oder auf Messegeländen eingerichtet, viele Länder errichteten Feldkrankenhäuser, oft mit Hilfe der Armee, die für die Aufnahme weniger schwerer Covid-19-Fälle vorgesehen waren (Winkelmann et al. 2021b; OECD/European Union 2020).
2.4.2 Die Ausweitung der intensivmedizinischen Kapazitäten
Mit den verschiedenen Strategien konnten die europäischen Länder teilweise sehr schnell den Ausbau von Akutbetten, insbesondere aber von Intensivbetten vorantreiben; allerdings gab es große Unterschiede. Der Ausbau der Akut- und Intensivbetten war natürlich auch vom Fallgeschehen in den Ländern geprägt. Einige Länder, die keinen kritischen Anstieg der Covid-19-Fälle und Krankenhausaufenthalte in der ersten Welle verzeichneten, darunter Dänemark, Estland und Norwegen, hatten Notfallpläne, um für Extremsituationen Überkapazitäten zu reservieren. Abb. 2.1 zeigt den Ausbau der Intensivkapazitäten während der ersten Covid-19-Welle. Die Daten stammen zu Teilen aus dem Covid-19-Gesundheitsreaktionsmonitor, zum anderen aus offiziellen nationalen Quellen wie dem DIVI-Intensivregister oder Zeitungsbeiträgen (Italien) (Berger et al. 2021).
In Irland, den Niederlanden und Schweden – sowie in der stark betroffenen italienischen Region Lombardei („IT-25“) – haben sich die Kapazitäten der Intensivstationen seit Beginn der Covid-19-Krise etwa verdoppelt. Auch in Belgien, Deutschland, Griechenland und Italien insgesamt stieg die Zahl der Intensivbetten deutlich an. Laut dem norwegischen Notfallplan konnte die Kapazität der Intensivstationen in einer Notfallsituation mehr als verdoppelt werden. Ein Anstieg der Bettenzahl trat wahrscheinlich auch in den Akutstationen auf, Daten dazu wurden jedoch im Covid-19-Gesundheitsreaktionsmonitor und den länderspezifischen Quellen nicht konsistent gemeldet.
Die Schaffung der Intensivbettenkapazitäten muss natürlich als eine dynamische Entwicklung gesehen werden. Die Anzahl der Betten wurde sukzessive aufgestockt und je nach Infektionsgeschehen und Vorhersagen wurden Intensivbetten durch Verschiebung von planbaren Eingriffen und/oder Schaffung neuer Betten freigehalten, um für Covid-19-Patienten zur Verfügung zu stehen. Im Lauf der Pandemie und mit fortschreitenden Erfahrungen zu den Auswirkungen des Infektionsgeschehens auf die Covid-19-bedingten Hospitalisierungen wurden Notfallreserven vorgehalten.
2.4.3 Die Auslastung der akut- und intensivmedizinischen Kapazitäten im Zeitverlauf
Ein Querschnittsvergleich der Krankenhausbettenauslastung während der ersten Covid-19-Welle über elf europäische Länder zeigt, dass die Kapazitäten an Akutbetten (basierend auf Daten von 2018, also vor der Pandemie) in keinem der Länder überschritten wurden (Abb. 2.2). In der italienischen Region der Lombardei erreichte der Prozentsatz der Akutbetten, die von Covid-19-Patienten belegt waren, mit 38,3 % Anfang April 2020 seinen Höhepunkt, gefolgt von Italien insgesamt mit 21,1 %, während in Österreich der höchste Prozentsatz bei 2,3 % lag (Berger et al. 2021).
Abb. 2.3 stellt die Kapazität der Intensivbetten vor der Pandemie (blaue Linie) und die Ausweitung der Intensivkapazitäten (blaue gestrichelte Linie) im Vergleich zur Anzahl der täglich auf den Intensivstationen behandelten Covid-19-Patienten während der ersten Welle in 15 Ländern und der Region Lombardei dar. In den Niederlanden und Schweden hätten die Intensivkapazitäten vor der Pandemie nicht ausgereicht, um alle Patienten mit Covid-19, die eine Intensivbehandlung benötigten, zu behandeln. In der Region Lombardei wurden die zusätzlich geschaffenen Intensivkapazitäten sogar überschritten. Bei der Darstellung der Belegung mit Covid-19-Patienten und den verfügbaren Kapazitäten ist jedoch anzumerken, dass Nicht-Covid-19-Patienten, die eine Akut- oder Intensivbehandlung benötigten, in der Analyse nicht berücksichtigt wurden. Diese Patienten sollten jedoch für eine umfassende Schätzung der gesamten Belastung der Krankenhäuser während der ersten Welle berücksichtigt werden. Die dazu notwendigen Daten sind jedoch nicht für alle Länder, die der Analyse zugrunde liegen, verfügbar. Des Weiteren berücksichtigt die Analyse nicht die geographische Verteilung der Krankenhauskapazitäten, der Covid-19-Aufnahmen und der Auslastungsmuster der Krankenhäuser. Es ist nicht möglich, aus den aggregierten Daten zu entnehmen, ob es in Ländern Zeiten gegeben hat, in denen die Intensivstationen in bestimmten Regionen überlastet waren. So waren die Intensivstationen in der Lombardei beispielsweise überlastet, nicht jedoch in Italien insgesamt. Ebenso können wir anhand unserer Daten nicht feststellen, ob die Kapazitätsgrenzen der einzelnen Krankenhäuser überschritten wurden. So wird zum Beispiel aus England berichtet, dass die Krankenhauskapazitäten eines Drittels aller Krankenhäuser während der ersten Covid-19-Welle überschritten wurden (Mateen et al. 2021). Schlussendlich konzentriert sich die Analyse auf die Bettenkapazitäten in den Krankenhäusern, ohne dabei die zur Patientenversorgung unerlässlichen Ressourcen im Hinblick auf medizinisches Personal, medizinische Ausrüstung wie PSA und Beatmungsgeräte zu berücksichtigen (Berger et al. 2021).