Die Corona-Pandemie erforderte zunächst schnelle Reaktionen, die unter den Bedingungen von starkem Handlungsdruck und großer Unsicherheit getroffen werden mussten. Besonders zu Beginn der Pandemie wurde der parlamentarische Prozess massiv verkürzt. Noch stärker als schon in den ersten Monaten der Amtszeit von Jens Spahn dominierte nach Beginn der Krise die Regierung die parlamentarischen Entscheidungsprozesse. Durch die Beschleunigung der Prozesse, deren Verlagerung auf die exekutive Ebene und die Folgen der Lockdown-Maßnahmen verringerten sich die Möglichkeiten und die Anzahl der politischen parlamentarischen Ansprechpartner (Eckert und Rüsenberg 2020).
14.3.1 Aufstieg des Bundes zum zentralen Akteur der Krankenhauspolitik
Mit Beginn der Corona-Pandemie wurde der Bund zum zentralen Akteur in der Krankenhauspolitik. Diesen Aufstieg erreichte die Bundesebene zum einen durch die zeitlich begrenzten Kompetenzzuweisungen und zum anderen durch die Stärkung des Bundes bei der allgemeinen und spezifischen Finanzierung der Krankenhäuser.
Die Kompetenzzuweisungen wurden zwischen März 2020 und Frühjahr 2021 durch vier Gesetze zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage nationaler Reichweite beschlossen. Diese Bevölkerungsschutzgesetze waren (bis auf das vierte) zustimmungspflichtige Gesetze des Bundes, die von den Regierungsfraktionen, Bündnis 90/Die Grünen und Teilen der Opposition im Bundestag sowie den von diesen Parteien gebildeten Landesregierungen im Bundesrat getragen wurden. Bereits das erste Bevölkerungsschutzgesetz vom März 2020 befähigte das BMG zu Rechtsverordnungen ohne Zustimmung des Bundesrats, um Vorkehrungen zur Sicherstellung der Gesundheitsversorgung zu treffen. Dazu zählen auch die Anpassung oder Aussetzung von der Selbstverwaltung beschlossener Regelungen im stationären Bereich. Das zweite Bevölkerungsschutzgesetz vom Mai 2020 schließt mit vielen Detailmaßnahmen an, beinhaltet aber keine grundlegenden Veränderungen im Verhältnis zwischen Bund und Ländern in der Krankenhauspolitik. Im dritten Bevölkerungsschutzgesetz (November 2020) wurden die ersten beiden Bevölkerungsschutzgesetze entsprechend den Entwicklungen der Pandemie angepasst. Das vierte Bevölkerungsschutzgesetz (April 2021) mit der Einführung der Bundesnotbremse hat keine direkte Bedeutung für die Kompetenzverteilung in der Krankenhauspolitik.
Im Fokus der Pandemiepolitik stand zunächst die Befürchtung, dass die verfügbaren Intensivbettenkapazitäten überlastet werden. Das BMG sprach im März 2020 eine Empfehlung aus, planbare Operationen zu verschieben. Um diesen Rückgang an Behandlungen auszugleichen, sieht das Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetz vom März 2020 für jedes freigehaltene Bett gegenüber 2019 eine Pauschale von 560 € pro Tag und Patient vor. Für psychiatrische Einrichtungen galten diese Ausgleichszahlungen zunächst gleichermaßen. Pro zusätzlich geschaffenes Intensivbett erhielten die Krankenhäuser 50.000 €. Für die 13.700 zusätzlich geschaffenen Intensivbetten entstanden somit Investitionen mit einem Gesamtvolumen von 686 Mio. € (Beerheide und Maybaum 2021). Auch der Pflegeentgeltwert wurde erhöht. Die Zahlungen wurden aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds sowie dem Bundeshaushalt finanziert. Hinzu kommen mehrere Regelungen, die die Krankenhäuser von bürokratischen Aufgaben entlasten sollten, wie beispielsweise Erleichterungen bei der Rechnungsprüfung durch den Medizinischen Dienst. Die Ausgleichszahlungen wurden im dritten Bevölkerungsschutzgesetz zielgenauer angepasst. Die dort festgelegten finanziellen Hilfen für Krankenhäuser orientieren sich an der 7-Tage-Inzidenz des jeweiligen Landkreises und an der Größe der Intensivstationen. Die Ausgleichszahlungen galten ab November 2020 ausschließlich für somatische Einrichtungen. Diese Rettungsschirme wurden laut Gesetz aus dem Bundeshaushalt finanziert.
Weitere Investitionen durch den Bund in Höhe von zusätzlich drei Milliarden Euro bis Ende 2023 wurden durch das Krankenhauszukunftsgesetz (Oktober 2020) bereitgestellt. Damit investiert der Bund direkt aus Haushaltsmitteln in die Krankenhäuser. Die Länder sollen sich mit 1,3 Mrd. € beteiligen, womit insgesamt eine Fördersumme von 4,3 Mrd. € zur Verfügung steht. Diese Mittel dienen der digitalen Infrastruktur und Vernetzung. Krankenhäuser müssen ihren Bedarf an Investitionsmitteln bei den Ländern anmelden, die dann einen Förderantrag an das Bundesamt für Soziale Sicherung stellen. Nicht zuletzt dadurch wurde das Koalitionsvorhaben, das eine Investitionspflicht bei den Ländern vorsah, weitestgehend verworfen.
Neben den zweckgebundenen Bundeszuweisungen wurde auch der Bundeszuschuss zum Gesundheitsfonds schrittweise erhöht. Ein wichtiger Hintergrund ist die schon im Koalitionsvertrag vereinbarte Zielsetzung der Bundesregierung, die Sozialabgaben nicht über 40 % steigen zu lassen. Der Bundeszuschuss lag vor der Pandemie bei 14,3 Mrd. €. Er wurde 2020 um 3,5 Mrd. € und 2021 zusätzlich um 5 Mrd. € erhöht (vdek 2021).
Insgesamt hat damit die Pandemie zu einer deutlichen Verschiebung der Finanzgrundlagen des deutschen Gesundheitswesens beigetragen und die Rolle des Bundes wesentlich gestärkt. Das zeigt sich auch an der Etatentwicklung des BMG: Das Gesundheitsministerium war vor der Krise gemessen am Etat eines der kleinsten Bundesressorts mit 15,3 Mrd. € (2019). 2020 hatte sich der Etat auf 41,3 Mrd. und 2021 (Stand August 2021) auf 49,9 Mrd. € mehr als verdreifacht (Bundesfinanzministerium 2021). Insgesamt belaufen sich die Zahlungen des Bundesamts für Soziale Sicherung für die Krankenhäuser aufgrund der Covid-19-Pandemie Stand Juli 2021 auf über 15 Mrd. € (Bundesamt für Soziale Sicherung 2021).
Die zentral finanzierten Maßnahmen zur Sicherung der stationären Versorgung waren gemessen am vorgegebenen Ziel zumindest kurzfristig effektiv: Anders als in anderen Ländern konnten in Deutschland Überlastungen der Krankenhäuser auch in den stärksten Belastungsphasen der Pandemie verhindert werden. Der kausale Zusammenhang zwischen Maßnahmen und Ergebnissen ist nur schwer nachzuweisen. Zum durchgängigen Funktionieren der Krankenhausversorgung haben viele Faktoren beigetragen: Schon vor der Krise war die Bettendichte in Deutschland im internationalen Vergleich extrem hoch. Ein großer Teil der Pandemie wurde durch den ambulanten Sektor bewältigt. Hinzu kamen die umstrittene Verschiebung planbarer Eingriffe und teilweise auch von Vorsorgemaßnamen. Außerdem gehörte Deutschland in keiner Phase der Pandemie zu den am stärksten betroffenen Ländern (Gandjour 2020).
14.3.2 Entwicklung neuer Koordinationsstrukturen
Der deutsche Krankenhausföderalismus hat sich nicht nur durch die Finanzströme verändert. Auch die Koordination der Krankenhauspolitik wurde in der Krise zentralisiert. Dazu wurden Akteure der Bundesebene gestärkt, neue Akteure in die Krankenhauspolitik eingebracht und die Bedeutung von Koordinationsmechanismen ausgeweitet. Die Entwicklung der neuen Strukturen folgt keinem vorher festgelegten Modell und findet sich so auch nicht in den Pandemieplänen. Vielmehr ist sie die Folge einer Reihe situativer Beschlüsse, mit denen jeweils auf die unmittelbaren Anforderungen reagiert wurde.
Die Stärkung des Bundes betrifft zunächst das BMG und die nachgeordneten Bundesoberbehörden des Ressorts, insbesondere das Robert Koch-Institut (RKI) und später auch das Paul-Ehrlich-Institut. Das RKI wurde nicht nur zum zentralen Kommunikator der Pandemiepolitik, sondern wurde unter anderem durch die Erhebung der zentralen Orientierungsdaten zum zentralen Akteur. Zudem sprach die am RKI angesiedelte wissenschaftliche Geschäftsstelle der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) Empfehlungen zum Umgang mit Covid-19-Patienten in Krankenhäusern aus, um weitere Infektionen zu vermeiden.
Als neuer wichtiger Akteur der Krankenhauspolitik stieg die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) auf. Vor der Pandemie gab es in Deutschland keine vollständige Datenbank zu tagesaktuellen Kapazitäten in der Intensivversorgung. Vorherige Versuche in einigen Bundesländern, eine solche Datenbank durchzusetzen, waren nicht überall erfolgreich. Die DIVI, das RKI und die Deutsche Krankenhausgesellschaft erstellten im März 2020 eine solche bundesweite Datenbank, um das Krisenmanagement effektiver zu gestalten. Seit April 2020 verpflichtet die Intensivregisterverordnung die Krankenhäuser dazu, ihre intensivmedizinischen Kapazitäten im DIVI-Register anzugeben.
Die Selbstverwaltung mit dem G-BA als oberstem Gremium war von der Krise zwar nicht zentral betroffen, hat aber in einzelnen Bereichen Kompetenzverluste hinnehmen müssen (Geschonneck et al. 2021). Hierzu gehören die Aussetzung der Pflegepersonaluntergrenzen, die vom BMG erstmals im März 2020 verordnet wurde (seitdem mit mehrfachen Anpassungen), und die Lockerung von Dokumentationspflichten. Der G-BA selbst hat viele Maßnahmen der Qualitätssicherung in verschiedenen Bereichen wie z. B. in der Versorgung von Frühgeburten oder bei der Durchführung von minimalinvasiven Herzklappeninterventionen gelockert. Auch die Mindestmengenregelung ist von den G-BA-Sonderregelungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie betroffen (Gemeinsamer Bundesausschuss 2021).
Im Gegensatz zum G-BA haben die horizontalen Abstimmungen der Bundesländer während der Pandemie an Bedeutung gewonnen. So hat die Gesundheitsministerkonferenz 2020 und 2021 mehrheitlich Themen behandelt, die mit Covid-19 in Verbindung stehen. Im stationären Bereich befürworten die Mitglieder der Konferenz ein bundesweites Register über Kapazitäten zu unterschiedlichen Versorgungsbereichen über den Intensivbereich hinaus (Gesundheitsministerkonferenz 2020, 2021). Parallel zur Gesundheitsministerkonferenz tagt regelmäßig das informelle Gremium der Bund-Länder-Konferenz, um allgemeine Regelungen zur Eindämmung der Pandemie zu beschließen.
Insgesamt führte die Krise zur Stärkung von Akteuren und Gremien, die jeweils kurzfristig benötigte Ressourcen (Finanzen und Daten) einbringen. Angesichts des besonderen Problemdrucks bei der Entstehung der neuen Strukturen ist es nicht überraschend, dass es nicht durchgängig gelungen ist, Kontrollstrukturen gegen Fehlanreize zu schaffen, die aus der Integration vielfältiger neuer Strukturen und Informationssysteme erwachsen.
14.3.3 Verbleibende Effizienzdefizite
Die Effizienz der neuen Strukturen des Krankenhausföderalismus lässt sich noch nicht abschließend bewerten. Die unmittelbar auftretenden Skandale und Kritiken weisen aber darauf hin, dass es nur begrenzt gelungen ist, die umfassenden finanziellen Mittel des Bundes optimal einzusetzen.
Defizite bei der Überwachung der Mittelverwendung wurden spätestens im Sommer 2021 sichtbar. So fehlte es an Informationen zur konkreten Verteilung und Nutzung von Geldern. Erste Überprüfungen zeigten Probleme von Überkompensationen und auch von betrügerischem Missbrauch auf Grundlage manipulierter Daten (Beerheide 2021; Bundesrechnungshof 2021).
Ein weiterer Hinweis auf Effizienzdefizite ist die unausgeglichene Verteilung von Erlösänderungen in den Krankenhäusern. Wie aus einem Bericht des Expertenbeirats zu den Auswirkungen des Covid-19-Krankenhausentlastungsgesetzes im BMG hervorgeht (Stand: Mai 2021), war die Verteilung zwischen den Ländern und Krankenhäusern sehr unterschiedlich. So erhielten Nordrhein-Westfalen mit ca. 111 Mio. € und Baden-Württemberg mit 89,6 Mio. € die größten Anteile, während auf Bayern und das Saarland nur rund 15 Mio. € entfielen. Auch die Verteilung auf einzelne Krankenhäuser zeigte starke Streuungen. So erhielt beispielsweise das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein 11,7 Mio. € und verfügt somit – zusammengerechnet mit den verfügbaren Intensivbetten vor der Pandemie – über insgesamt 406 Intensivbetten, von denen 166 Betten als Reserve dienen (Beerheide und Maybaum 2021).
Auch die Gegenüberstellung der verwendeten Mittel und der Erträge spricht für eine begrenzte Effizienz der Maßnahmen. So waren im Jahresschnitt 2020 nur 2 % der gesamten Betten und 4 % der Intensivbetten durch Corona-Patienten belegt. Selbst in der kurzen Phase des Höhepunkts der Pandemie im Januar 2021 wurden lediglich 17 % der Intensivbetten durch Covid-19-Patienten belegt. Insgesamt lag die allgemeine Bettenauslastung im Jahr 2020 bei 67,3 % und auf den Intensivstationen bei 68,6 % (Augurzky et al. 2021). Auch im öffentlichen Diskurs ist die nicht bedarfsgerechte Versorgung und Förderung in den Intensivstationen auf scharfe Kritik gestoßen (Schrappe et al. 2021a, b).
Darüber hinaus ist zu sehen, dass der Erlöszuwachs in somatischen Einrichtungen bei 3,7 % liegt und bei den psychiatrischen Einrichtungen bei 10,6 %. Vor dem Hintergrund der rückgängigen Fallzahlen im Jahr 2020 um 13 % wurden vor allem die psychiatrischen Einrichtungen überfinanziert. Mit steigender Bettenzahl in den Krankenhäusern sanken die Erlöszuwächse (Augurzky et al. 2021). Diese Ergebnisse zeigen, dass die Steuerung der finanziellen Mittel nicht effizient war.
Ein weiterer Hinweis auf Effizienzprobleme sind die teilweise existenzbedrohenden Finanzprobleme vieler Krankenhäuser, die trotz der enormen Bundeszuschüsse entstanden sind. Während der dritten Welle konnten die Krankenhäuser 20 % weniger Leistungen bei gleichbleibenden Kosten erbringen. Die Bundeszuschüsse haben zwar die 2020 entstandenen Defizite bei den meisten Kliniken ausgeglichen. Die Abkehr von pauschalen Kompensationen zugunsten individueller Lösungen stellte viele Kliniken vor die Herausforderung, dass sie keine zuverlässigen Prognosen über die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel treffen konnten (Schiebold 2021).
Diese Effizienzdefizite können auf mehrere Faktoren zurückgeführt werden. Die ungewöhnlich starke Beteiligung des Bundes an der Finanzierung machte die Abstimmung und Überwachung der Mittel komplexer. Dies war kein reines Koordinationsproblem: Mit der Geldverteilung ist auch Machtverteilung verbunden. In Mehrebenensystemen wie dem deutschen Föderalismus sind Finanzierungsfragen immer mit Zuständigkeits- und Einflussfragen verbunden. Der Einsatz und die Verteilung von Finanzmitteln des Bundes zur Krankenhausfinanzierung darf daher nicht allein an gesundheitlichen Bedarfen orientiert sein, sondern muss auch politische Fragen berücksichtigen. Dies macht eine grundlegende Herausforderung der Gesundheitspolitik deutlich, die aktuell am Beispiel der Versorgungsforschung aufgegriffen wird: Gesundheitspolitische Entscheidungen orientieren sich zwar systematisch an wissenschaftlichen Ergebnissen, die gesundheitsnahen Wissenschaften sind aber bisher nur wenig an verhaltenswissenschaftliche Theoriebestände angebunden. Ein konkretes Beispiel ist die fehlende Berücksichtigung interessengeleiteter Motive bei der Meldung von Indikatoren. Wenn etwa die Meldung von verfügbaren Intensivbetten einen Einfluss auf Ressourcenverteilungen hat, muss das bei der Entscheidung für Erhebungsverfahren berücksichtigt werden. Eigenmeldungen interessengeleiteter Akteure haben sich empirisch als problematisch herausgestellt. Eine vorherige theoretische Reflektion unter Berücksichtigung aller Anreizwirkungen könnte zu effizienteren Instrumenten beitragen. In diesem Fall wäre es etwa notwendig, externe Akteure mit der Erhebung von Indikatoren zu beauftragen (Pfaff und Stegmaier 2021).