FormalPara Zusammenfassung

Der Aufsatz gibt einen Überblick über den Verlauf der Covid-19-Pandemie in Hessen, stellt die zentralen Instrumente der Krisenbewältigung durch das Hessische Ministerium für Soziales und Integration (HMSI) im stationären Bereich vor, wirft einen Blick auf die während der Pandemie neu entwickelten Möglichkeiten zur Pandemiebewältigung und zieht ein erstes Fazit. Demnach sind die zentrale Steuerung, die Vorhaltung einer Vernetzungsstruktur sowie eine stringente Planung sowie eine gute Personalausstattung und vernünftige Arbeitsbedingungen die zentralen Erfolgsfaktoren für die Krisenbewältigung. Der Fokus des Aufsatzes liegt dabei auf der Krisenbewältigung und Patientensteuerung im stationären Bereich.

The paper provides an overview of the course of the Covid-19 pandemic in Hesse, presents the central instruments of crisis management by the Hessian Ministry for Social Affairs and Integration (HMSI) in the inpatient sector, takes a look at the new options for pandemic management developed during the pandemic, and draws an initial conclusion. According to the paper, centralised control, the provision of a networking structure, and stringent planning as well as good staffing and reasonable working conditions are the key success factors for crisis management. The focus of the paper is on crisis management and patient management in the inpatient sector.

1 Covid in Hessen

Die Covid-19-Pandemie hat Hessen in vergleichbarer Weise getroffen wie andere Bundesländer auch. Die Pandemie ist in Deutschland durch einen wellenförmigen Verlauf mit bislang vier Wellen charakterisiert.Footnote 1 Als Maßstab der Beobachtung und auch zur Bewertung der Intensität der Pandemie wurde im Wesentlichen die Anzahl der belegten Betten in den hessischen Akutkrankenhäusern herangezogen. Sowohl die Anzahl der belegten Intensivbetten wie auch die Anzahl der belegten Normalbetten wird in Hessen seit dem 20. März 2020 kontinuierlich und systematisch erhoben. Per Definitionem schließt die Anzahl der Covid-19-Fälle sowohl bestätigte als auch Verdachtsfälle ein. Es wird hierbei nicht differenziert, ob Patienten an oder mit Covid-19 erkrankt sind und einer stationären Aufnahme bedurften. Die einheitliche Betrachtung dieser medizinisch bisweilen durchaus distinkten Sachverhalte wurde gewählt, um die Belastung des Gesundheitswesens vergleichbar betrachten zu können: Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf Covid-19 oder einem primären anderweitigen Behandlungsbedarf mit begleitender Covid-19-Infektion ziehen aus krankenhausorganisatorischer bzw. infektionsepidemiologischer Sicht einen vergleichbaren Aufwand nach sich. Dies betrifft vorrangig die notwendigen Isolations- und Hygienemaßnahmen.

Wird die Entwicklung der Pandemie im Detail betrachtet, so fällt auf, dass sie in Hessen – gemessen an der Anzahl der mit Covid-19-Fällen belegten Intensivbetten – nahezu vollständig dem bundesweiten Verlauf folgt. Eine bemerkenswerte Differenz gibt es allein im Verlauf der ersten Welle, bei der der frühere Beginn der Pandemie in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen zu einem gewissen Nachfolgen der Entwicklung in Hessen geführt hat.

Aus diesem Grund folgt der Planungsstab stationäre Versorgung im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration (HMSI) (Beschreibung siehe Abschn. 10.2) der Hypothese, dass die Entwicklung in Hessen weiterhin proportional zum Pandemieverlauf in Deutschland erfolgt. Einen Überblick über die Entwicklung bis zum 04.12.2021 vermittelt Abb. 10.1.

Abb. 10.1
figure 1

Pandemieverlauf in Hessen im Vergleich zu Deutschland. Maßstab sind die ausweislich des DIVI-Intensivregisters belegten Intensivbetten. Der jeweilige Maximalwert der Belegung ist auf 100 gesetzt. Betrachtungszeitraum: 20.03.2020 bis 04.12.2021

Im Vergleich der Bundesländer ist bemerkenswert, dass der Anteil der in Hessen wegen oder mit Covid-19 behandelten Personen etwas über dem Anteil Hessens an der Gesamteinwohnerzahl der Bundesrepublik Deutschland liegt: Bei einem Bevölkerungsanteil von rund 7,57 % beträgt der Anteil Hessens an der Gesamtzahl der hier versorgten Intensivpatientinnen und -patienten im Mittel des gesamten Betrachtungszeitraums rund 8,8 %. Im Betrachtungszeitraum zwischen September 2020 und Mai 2021 – den Wellen zwei und drei der Pandemie in Deutschland und in Hessen – betrug der Anteil Hessens vergleichsweise stabil rund 8,6 %. Aufgrund der relativen Stabilität dieses Anteils ist der Planungsstab stationäre Versorgung im HMSI für die Zwecke der Patientensteuerung davon ausgegangen, dass auch im weiteren Verlauf der Pandemie von einem leicht überproportionalen stationären Behandlungsbedarf auszugehen ist. Diese Erkenntnis war vor allem dann von Bedeutung, wenn bundesweite Prognoserechnungen ohne Regionalisierung auf die Verhältnisse in Hessen übertragen werden mussten (Abb. 10.2).

Abb. 10.2
figure 2

Anteil (in %) der in Hessen wegen oder mit Covid-19 belegten Intensivbetten am bundesweiten Leistungsgeschehen (X-Achse) nach den Daten des DIVI-Intensivregisters. Betrachtungszeitraum: 20.03.2020 bis 04.12.2021 (Y-Achse)

Die auf die Gesamtperspektive eines Bundeslandes bezogene Sichtweise ist allerdings für die Beurteilung der Versorgungssituation in Hessen allein nicht ausreichend. Notwendig ist vielmehr ein deutlich stärker regionalisierter Blick auf die Situation in den einzelnen nach § 1 KrankenhausVO zu Zwecken der Krankenhausplanung eingeführten medizinischen Versorgungsgebieten in Hessen.

Bei einer derartigen Betrachtung fällt auf, dass die Bevölkerung nicht gleichmäßig auf die in § 1 der KrankenhausVO festgelegten sechs medizinischen Versorgungsgebiete verteilt ist. Da die Versorgungsgebiete anhand der tatsächlichen Patientenbeziehungen aufgebaut sind, gibt es zwangsläufig unterschiedliche Zuschnitte und damit erheblich voneinander abweichende Größenverhältnisse. Einen Überblick über die geographischen Gegebenheiten vermittelt Abb. 10.3.

Abb. 10.3
figure 3

Karte der Versorgungsgebiete in Hessen

Mit Blick auf die stationäre Versorgung ist festzustellen, dass die gesamte Behandlungskapazität in den Krankenhäusern weder gleichmäßig auf die Versorgungsgebiete verteilt ist noch eine proportionale Relation zur Bevölkerungsverteilung aufweist. Vielmehr ist die vorhandene Krankenhausstruktur historischer Natur. Auch ist die überproportionale Krankenhauskapazität in Nord- und Osthessen zu einem Teil auf Fachkrankenhäuser und ausschließlich in der psychiatrischen Versorgung tätige Krankenhäuser zurückzuführen. Wird die Betrachtung auf die für die Covid-Versorgung bedeutenden Krankenhäuser fokussiert,Footnote 2 nämlich solche, die tatsächlich an der Notfallversorgung teilnehmen, rückt die Proportionalität zur Einwohnerzahl ein Stück näher – ohne dieser aber schlussendlich ganz gerecht zu werden (Tab. 10.1).

Tab. 10.1 Verteilung der Krankenhauskapazität auf die Versorgungsgebiete in % (Stand 10.12.2021) KH = Krankenhaus, VG = Versorgungsgebiet

Betrachtet man nun die Inanspruchnahme der einzelnen Versorgungsgebiete bei der Behandlung von Personen mit stationärem Behandlungsbedarf aufgrund von oder mit Covid-19, so fällt auf, dass auch die Belastung der Versorgungsgebiete unterschiedlich stark ausgeprägt ist (Tab. 10.2).

Tab. 10.2 Relative Verteilung der Covid-19-Patienten in den Versorgungsgebieten (Datenerhebung bis zum 06.12.2021)

Aus der dargestellten Verteilung der Patientinnen und Patienten mit Covid-19 resultiert, dass die Vorgehensweise in Hessen auf die regionalen Unterschiede in der Entwicklung der Pandemie und bei der Belegung der Kliniken Rücksicht nehmen muss. Die Steuerung der Patienten und Patientinnen erfolgte daher regional angepasst, die jeweiligen spezifischen Kapazitäten wurden dabei berücksichtigt.

2 Der Planungsstab stationäre Versorgung des HMSI als zentrales Instrument der Versorgungssteuerung

Das zentrale Instrument zur Steuerung der stationären Versorgung in der pandemischen Situation in Hessen ist der vom Minister für Soziales und Integration bereits im März 2020 berufene „Planungsstab stationäre Versorgung“. Der Planungsstab hat die Aufgabe, die stationäre Versorgung unter strategischen und medizinischen Gesichtspunkten zu steuern. Er ist das wichtigste Bindeglied zwischen allen hessischen Krankenhäusern und der Landesverwaltung.

Der Planungsstab stationäre Versorgung setzt sich im Kern aus den Expertinnen und Experten der Fachabteilung Gesundheit des HMSI zusammen und arbeitet unmittelbar dem Sozialminister zu. Die Leitung wurde dem Ärztlichen Direktor und Vorstandsvorsitzenden des Universitätsklinikums Frankfurt übertragen. Der Planungsstab analysiert fortlaufend und erörtert in mindestens wöchentlich stattfindenden Sitzungen das pandemische Geschehen insbesondere in Hessen und in Deutschland. Gleichzeitig werden Gesetze, Verordnungen und Erlasse in die Umsetzung gebracht bzw. vorbereitende Zuarbeit zu Gesetzen, Verordnungen und Erlassen auf Landes- und Bundesebene geleistet. Regelmäßig – meist wöchentlich – werden Telefonkonferenzen mit den koordinierenden Krankenhäusern aller medizinischen Versorgungsgebiete durchgeführt, 14-tägig finden Abstimmungsgespräche mit den zentralen Akteuren im Hessischen Gesundheitswesen statt, wie der Landesärztekammer Hessen, der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, den Krankenkassen und den Verbänden der Krankenkassen in Hessen, der Hessischen Krankenhausgesellschaft und dem Öffentlichen Gesundheitsdienst.

In den sechs Versorgungsgebieten Hessens wird die Steuerung der Patientinnen und Patienten von den insgesamt sieben koordinierenden Krankenhäusern übernommen. Bei diesen handelt es sich um ausgewählte Krankenhäuser der Maximalversorgung bzw. Universitätsklinika, die sowohl im Hinblick auf ihre medizinische Leistungsfähigkeit als auch ihre generelle Kapazität eine zentrale Rolle im jeweiligen Versorgungsgebiet einnehmen. Dies ist auch der Grund dafür, dass das Versorgungsbiet 3 Gießen/Marburg mit den beiden Standorten der Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH (UKGM) über zwei koordinierende Krankenhäuser verfügt (Tab. 10.3). Die koordinierenden Krankenhäuser sind in der Abb. 10.3 oben mit einem grauen Punkt gekennzeichnet.

Tab. 10.3 Übersicht über die Versorgungsgebiete und die jeweiligen koordinierenden Krankenhäuser in Hessen

Die koordinierenden Krankenhäuser haben die Aufgabe, die stationäre Covid-Versorgung in ihrem jeweiligen Versorgungsgebiet zu betrachten, zu organisieren und zu steuern. Zu diesem Zweck führen sie zum einen organisatorische Besprechungen mit den Vertretern der im Versorgungsgebiet gelegenen kreisfreien Städte und Landkreise, mit den Gesundheitsämtern, Trägern des Rettungsdienstes, den Vertretern der ambulanten Leistungserbringer sowie dem Katastrophenschutz durch. Zum anderen haben sie die Aufgabe, die Patientensteuerung in dem Versorgungsgebiet zu übernehmen. Zu diesem Zweck führen sie regelmäßige – erforderlichenfalls auch tägliche – Bettenkonferenzen mit den kooperierenden Krankenhäusern durch. Schließlich nehmen die koordinierenden Krankenhäuser bei den strategischen Verlegungen von Patientinnen und Patienten eine zentrale Rolle ein, da diese Verlegungen zum Ausgleich der unterschiedlichen Belastungssituation in den einzelnen Versorgungsgebieten bzw. innerhalb Hessens zwischen den koordinierenden Krankenhäusern abgestimmt werden.

3 Die Patientensteuerung

3.1 Die Leitsätze der Patientensteuerung in Hessen

Die Patientensteuerung in Hessen erfolgt nach dem Paradigma einer zielorientierten, situativ und regional angepassten, verlässlichen und transparenten Steuerung. Diese fünf Leitmotive bedeuten, dass die Patientensteuerung

  • zielorientiert an der Behandlungskapazität der Krankenhäuser ansetzt. Diese muss im notwendigen Umfang erweitert und bestmöglich ausgenutzt werden, um für den Rettungsdienst eine verlässliche Aufnahmekapazität in der Region zu bieten. Die Kapazität des Rettungsdienstes darf nicht durch eine „Jagd nach dem letzten freien Bett“ und daraus resultierende weite Fahrten gebunden werden, da dies die Vorhaltung des Rettungsdienstes für die Versorgung von Notfällen aller Art stark beeinträchtigen würde. Zielorientiert heißt aber auch, dass der Fokus dabei auf den Krankenhäusern liegt, die aufgrund ihres Versorgungsauftrages zur Covid-Versorgung beitragen können.

  • situativ an die jeweilige pandemische Lage angepasst ist. Dies bedeutet, dass es in der stationären Versorgung keine festgelegten Stufen der Versorgung gibt, sondern z. B. der Anteil der für die Versorgung von Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehenden Betten graduell an die Erfordernisse angepasst wird.

  • regional an die Belastungssituation in den einzelnen Versorgungsgebieten anknüpft. Da es zwischen den Versorgungsgebieten in Struktur, Leistungsfähigkeit und pandemischer Belastung erhebliche Unterschiede gibt, ist die Steuerung darauf ausgerichtet, diese Unterschiede angemessen abzubilden. Dies bedeutet praktisch, dass die pandemische Lage möglicherweise in einzelnen Versorgungsgebieten schon eine weitgehende Einstellung der elektiven Eingriffe erfordert, während diese in anderen Landesteilen noch möglich sind.

  • verlässlich ist; das heißt schließlich, dass die Grundlinien der Patientensteuerung durch das Hessische Ministerium für Soziales und Integration rechtssicher vorgegeben werden und so ein hohes Maß an Handlungssicherheit für alle Beteiligten besteht.

  • transparent ist und aufgrund der Abstimmungen, verbindlicher Kommunikation und der Hinterlegung der Bettenkapazitäten aller hessischen Krankenhäuser in IVENA (Interdisziplinärer Versorgungsnachweis) vorgeht. Ergänzend werden den hessischen Krankenhäusern und den an der Sicherstellung der Versorgung mitwirkenden Institutionen täglich umfangreiche Informationen zur aktuellen Situation zur Verfügung gestellt.

3.2 Der erste Schritt: Das Sonderkapitel zum Hessischen Krankenhausplan

Die Bewältigung der Pandemie hat sich im Verlauf der Pandemie immer wieder auch den Notwendigkeiten folgend herausgebildet. Nachfolgend soll ein Überblick über die wesentlichen Zwischenschritte gegeben werden.

Ein erster Ansatzpunkt war das vom Kabinett beschlossene Sonderkapitel des Krankenhausplans Hessen.Footnote 3 Es nahm eine Berechnung der für die weitere Bewältigung der Pandemie voraussichtlich benötigten Kapazitäten vor und verteilte diese in Stufen auf die einzelnen Versorgungsgebiete und die Krankenhäuser in den Versorgungsgebieten. Dieses Sonderkapitel galt bis zum 30. September 2020. Daran anschließend wurde es in der Rechtsform eines Erlasses weitergeführt.Footnote 4 Inhaltlich basierte das Sonderkapitel auf dem Paradigma, dass Patientinnen und Patienten in Abhängigkeit von der Schwere des Covid-Verlaufs in den dafür geeigneten Krankenhäusern behandelt werden sollten. Zu diesem Zweck wurden die Krankenhäuser in Versorgungslevel eingeteilt, die von Level 1 (z. B. Universitätsmedizin) bis hin zu Level 4 (Fachkrankenhaus einer anderen Fachdisziplin) reichten. Dabei sollten die Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden Krankheitsbildern möglichst in den Level-1-Krankenhäusern behandelt werden. Je nach Verlauf der Pandemie war die allmähliche Ausweitung der einbezogenen Krankenhäuser geplant.

3.3 Der zweite Schritt: Die Anpassung an den bundesrechtlichen Rahmen des § 21 Abs. 1a KHG

Die Vorgehensweise der Patientensteuerung stand allerdings beständig in einer engen Wechselbeziehung mit der für die Krankenhäuser geltenden Regelung zum wirtschaftlichen Ausgleich. Auch wenn keine direkte Beziehung zwischen den wirtschaftlichen Ausgleichsmechanismen und der Einbeziehung in die Covid-Versorgung besteht – etwa dergestalt, dass eine Mitwirkung an der Covid-Versorgung nur dann erwartet werden dürfe, wenn auch ein wirtschaftlicher Ausgleich gewährt wird –, sind die beiden Themen doch eng verbunden. Daher war es notwendig, die Vorgehensweise in Hessen beständig an die sich ändernden bundesrechtlichen Rahmenbedingungen anzupassen.

Infolge der Änderung der in § 21 Abs. 1a und Abs. 4a KHG geregelten Ausgleichszahlungen für Krankenhäuser zum 18. November 2020 war es notwendig, das hessische System der Covid-Versorgung geringfügig zu modifizieren. Die Anspruchsberechtigung im Sinne des § 21 Abs. 1a KHG knüpfte an die Teilnahme am strukturierten System der Notfallversorgung an. Aus diesem Grund wurde es erforderlich, sehr schnell den Notfallstatus der hessischen Krankenhäuser zu erheben. In beispielgebender Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern und den Krankenkassen gelang es, den in unterschiedlichen Graden der rechtlichen Verbindlichkeit vereinbarten Staus der strukturierten Notfallversorgung zu erheben und als Basis eines neuen Systems zu verwenden. Einschließlich der diversen Änderungen des bundesweiten Ausgleichssystems nach § 21 Abs. 1a KHG durch Rechtsverordnungen konnten dann insgesamt 77 Krankenhäuser in Hessen als dem Grunde nach ausgleichsberechtigt festgestellt werden. Wie viele dieser Häuser tatsächlich ausgleichsberechtig waren, hing entsprechend der rechtlichen Ausgestaltung des § 21 Abs. 1a KHG auch von den weiteren dort genannten Kriterien (Auslastung der intensivmedizinischen Versorgung, Inzidenz in der Gebietskörperschaft) ab. Insgesamt ist aber festzustellen, dass es gelungen war, die relativ breit und dynamisch auf die Anforderungen reagierend angelegte Organisationsstruktur auch unter den neuen Rahmenbedingungen fortzusetzen.

3.4 Der dritte Schritt: Eine gerechte Lastenverteilung zwischen den Krankenhäusern

Der dritte Schritt der Entwicklung der Patientensteuerung in Hessen bestand darin, das Instrumentarium weiter zu verfeinern und damit die unter Punkt a) dargestellten Leitsätze vollständig umzusetzen. Dieser Schritt wurde bereits überlappend zu Schritt zwei in die Wege geleitet.

Konkret heißt dies, dass die Verteilung der prognostizierten Patientinnen und Patienten mit Covid-19 in Hessen wöchentlich bettengenau vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration per Erlass vorgegeben wird. In einer Anlage zum Erlass wird für jedes Krankenhaus festgelegt, wie viele Patientinnen und Patienten mit Covid-19 es bei der prognostizierten Patientenzahl mindestens intensivmedizinisch und/oder normalstationär zu versorgen hat. Entsteht vor Ort ein höherer Bedarf, muss dieser – aufgrund der Behandlungspflicht der Krankenhäuser nach § 5 Abs. 1 S. 1 des Hessischen Krankenhausgesetzes (HKHG) – auch abgedeckt werden. Eine Unterschreitung der Prognose ist in der Praxis aufgrund der wöchentlichen Erstellung der Prognose kaum vorgekommen und könnte dann in Abstimmung mit dem koordinierenden Krankenhaus bewältigt werden.

Der Vorteil dieser Zuteilung der Patientinnen und Patienten liegt in der für alle Beteiligten bestehenden Planungssicherheit und Transparenz. Sowohl die Krankenhäuser als auch der Rettungsdienst wissen, worauf sie sich in der kommenden Woche einzurichten haben und können so entsprechende organisatorische Vorbereitungen treffen und die für alle Seiten ungünstigen Notzuweisungen weitgehend vermeiden.

Rechtlich gesehen handelt es sich dabei um Allgemeinverfügungen, welche die nach § 5 Abs. 2 HKHG bestehende Aufnahmepflicht der Krankenhäuser und die in § 19 Abs. 1 S. 4 HKHG geregelte Pflicht zur umfassenden Erfüllung der Versorgungsaufträge ausformen.Footnote 5 Die Pflicht aller Krankenhäuser zur umfassenden Erfüllung ihres Versorgungsauftrages besteht dabei unabhängig davon, ob von Seiten des Bundes Ausgleichszahlungen erfolgen, da diese auf dem geltenden Hessischen Krankenhausgesetz beruht. Daher besteht für kein an der Notfallversorgung teilnehmendes Krankenhaus und kein Krankenhaus, das über einen umfassenden Versorgungsauftrag in der inneren Medizin verfügt, ein Recht darauf, sich der Behandlung von Covid-Patientinnen und -Patienten zu entziehen. Allerdings strebt das HMSI selbstverständlich einen weitestmöglichen Gleichklang zwischen der Präzisierung der ohnehin bestehenden rechtlichen Verpflichtung nach hessischem Landesrecht und der Ausgleichsregelung des Bundes an. Aus diesem Grund werden Krankenhäuser, die keine Ausgleichszahlung erhalten, zum spätestmöglichen Zeitpunkt in die Verpflichtung einbezogen und, sobald dies möglich ist, wieder aus der Verpflichtung entlassen.

Die Patientensteuerung basiert dabei auf folgenden Grundlagen:

  • Die Basis für die Verteilung der Patientinnen und Patienten auf die Krankenhäuser bildet eine vom Universitätsklinikum Frankfurt am Main erstellte Prognose. Dieses Prognose-Instrumentarium entstand auf Basis des Projekts egePAN Unimed im Rahmen des Netzwerks Universitätsmedizin (NUM).Footnote 6 Es wird derzeit vom Land Hessen fortgeführt. Die Prognose wird wöchentlich auf Basis der Daten des Donnerstags erstellt und am Freitagmorgen mit dem Erlass des HMSI übermittelt. Zieldatum der Prognose ist der Freitag der folgenden Woche. Diese Terminfolge wurde bewusst gewählt, um die Operationsplanung für die folgende Woche noch zu ermöglichen und beispielsweise sehr kurzfristige Absagen grundsätzlich planbarer Interventionen oder Eingriffe zu vermeiden.

  • In die Erlassregelung werden alle Krankenhäuser einbezogen, die an dem System der strukturierten Notfallversorgung teilnehmen oder den teilnehmenden Krankenhäusern gleichgestellt sind. Dies bedeutet, dass in Hessen derzeit insgesamt 77 Krankenhäuser einbezogen werden. Bei einer steigenden Zahl von behandlungsbedürftigen Personen bleibt die Einbeziehung weiterer Krankenhäuser ausdrücklich vorbehalten.

  • Der Maßstab der Verteilung ist zwischen normal- und intensivstationären Betten unterschiedlich ausgeformt. Bei den normalstationären Betten erfolgt die Verteilung allein anhand des Maßstabes der Zahl der aktuell bepflegbaren Betten. Diese Zahl wird tagesaktuell über die IVENA-Sonderlage erhoben. Bei den Intensivbetten erfolgt die Verteilung der Patientinnen und Patienten hingegen nach einem Maßstab, der sowohl die historische Intensivkapazität vor der Covid-19-Pandemie als auch die Zahl der mit der Bonus-Zahlung des Bundes geförderten zusätzlichen Intensivkapazitäten und die tagesaktuelle Zahl der betriebsbereiten Intensivbetten berücksichtigt. In beiden Fällen erfolgt eine begrenzte Modifikation, um die koordinierenden Krankenhäuser in ihrer besonderen Funktion der speziellen Notfallversorgung arbeitsfähig zu halten und damit vollumfänglich die lokoregionäre Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

  • Die zugrunde liegenden Daten werden der IVENA-Sonderlage entnommen und stehen damit für alle Krankenhäuser in Hessen tagesaktuell zur Verfügung.

4 Die Weiterentwicklung der Patientensteuerung

Damit das arbeitsorganisatorisch sehr komplexe hessische System der Patientensteuerung in der praktischen Umsetzung tatsächlich funktioniert, muss es über eine solide und transparente Informationsbasis verfügen, flächendeckend eine hohe Behandlungsqualität sicherstellen und punktuelle Belastungen erkennen und ausgleichen können.

Die Informationsbasis stellt dabei die IVENA-Sonderlage dar. Diese zusätzlichen Elemente zu Erfassung von Daten wurden an die in allen Krankenhäusern Hessens seit mehreren Jahren im Einsatz befindliche Software IVENA angegliedert. Über die IVENA-Sonderlage wurde eine Vielzahl von Daten erhoben, die von der Verfügbarkeit von persönlicher Schutzausrüstung über die Zahl der bepflegbaren Intensiv- und Normalbetten bis hin zur Altersstruktur der Patientinnen und Patienten und deren Impfstatus reichen. Die über die IVENA-Sonderlage ermittelten Daten waren und sind eine der zentralen Grundlagen für die Entscheidungen der Landesregierung. Die Dateneingabe erfolgt im Wesentlichen durch die hessischen Krankenhäuser, wobei mithilfe der Hessen Agentur und des HMSI eine Plausibilisierung und Qualitätssicherung erfolgt. Im Vergleich mit dem DIVI-Register des Robert Koch-Instituts (RKI) ist die Validität der Einträge in der IVENA-Sonderlage deutlich höher einzuschätzen.

Ein zweites zentrales Element für die Patientensteuerung ist die Sicherstellung einer flächendeckend hohen Behandlungsqualität. Wenn die Behandlung von Personen mit Covid-19 nur in wenigen zentralen Krankenhäusern möglich ist, besteht die Gefahr, dass diese eine zu hohe Zahl von Patientinnen und Patienten bewältigen müssen und darunter die spezialisierte Notfallversorgung leidet. Daher ist es notwendig sicherzustellen, dass auch in einem Krankenhaus der Basis-Notfallversorgung eine sehr hohe Behandlungsqualität geboten wird. Ein Element, um dies zu gewährleisten, ist das von Hessen eingeführte Landesprojekt TeleCovid. Für dieses wurden alle an der Notfallversorgung teilnehmenden Krankenhäuser mit jeweils zwei Tablets und der notwendigen Software ausgestattet, um ein hessenweites Netzwerk aller Intensivstationen zu errichten. TeleCovid erlaubt dabei zum einen durch eine direkte, bidirektionale audiovisuelle Kommunikation in Echtzeit die Durchführung von Konsilen und zielt damit auf die Vermeidung von Sekundärverlegungen, weil die Patienten länger in einem kooperierenden Krankenhaus behandelt werden können. Zum anderen dient TeleCovid der Vorbereitung von Verlegungen. Die abgebenden Krankenhäuser können über eine einfach zu bedienende App in datenschutzkonformer Weise mit ihrem jeweiligen Zielkrankenhaus in Verbindung treten und die Details der Verlegung abstimmen.

Ein drittes zentrales Element ist die Fähigkeit, Belastungsunterschiede auszugleichen, die zwischen den Versorgungsgebieten zwangsläufig entstehen. Dafür sind Patientenverlegungen durch den Rettungsdienst notwendig. Um diese in einer verlässlichen und einheitlichen Struktur anzubieten, hat das Land Hessen seine gesetzliche Verantwortung für die Organisation der Sekundärtransporte wieder stärker wahrgenommen und die Koordinierungsstelle für Sekundärtransporte (KST) neu errichtet. Diese ist – derzeit als Pilotprojekt im Sinne des Rettungsdienstplans Hessen – bei der Branddirektion Frankfurt am Main angesiedelt und hat die Aufgabe, alle ärztlich begleiteten Sekundärverlegungen in Hessen durchzuführen.

Diese drei verstärkten, neu eingeführten oder reaktivierten Steuerungselemente müssen kommunikativ und administrativ miteinander verknüpft sein. Aus diesem Grund bestehen Schnittstellen zwischen TeleCovid und der von der KST verwendeten Software Rescuetrack, damit die zur Besprechung eines Verlegungsfalls in TeleCovid eingegebenen Daten für die eigentliche Verlegung weiterverwendet werden können. Darüber hinaus sind auch Rescuetrack und IVENA miteinander verbunden, damit die Sekundärtransporte in den Zielkrankenhäusern einfach und verlässlich erkennbar angekündigt werden.

5 Ist Hessen gut durch die Krise gekommen?

Die Frage, ob Hessen mit diesem Steuerungsmodell gut durch die Krise gekommen ist, ist naturgemäß nicht einfach zu beantworten, zumal die krisenhafte Situation der Belastung des Gesundheitssystems andauert. Es gilt dabei strategisch und operativ zu unterscheiden. Der Planungsstab stationär selbst hat sich aus strategischer Sicht bewährt, da dem Gesundheitsministerium ständig ein realistisches Lagebild über die stationäre Versorgung zur Verfügung steht. Entscheidungen werden unmittelbar und kurzfristig getroffen und mit der politischen Leitung abgestimmt. Darüber hinaus ist die Kommunikation mit den medizinischen Versorgungsgebieten permanent gewährleistet.

Bezogen auf die Bewältigung der pandemischen Situation aus operativer Sicht kann „gut“ in diesem Kontext nicht bedeuten, dass die Pandemie gleichsam unbemerkt von der Öffentlichkeit und ohne Beeinträchtigung des allgemeinen Lebens bewältigt wurde. Ein solcher Anspruch wäre angesichts von Lockdown, Kontaktbeschränkungen und vielen weiteren freiheitseinschränkenden Maßnahmen vermessen. „Gut durch die Krise gekommen“ kann in dem Zusammenhang nur bedeuten, dass das zentrale Ziel der Krisenbewältigung in Bezug auf die stationäre Versorgung erreicht wurde: Für an Covid-19 erkrankte Personen standen genügend Behandlungskapazitäten zur Verfügung, ohne die stationäre Behandlung aller anderen Krankheiten in zu starkem Umfang zu beeinträchtigen.Footnote 7

Dieses Ziel wurde bisher erreicht: Es ist zwar zu keinem Zeitpunkt zu einer andauernden Überlastung des Gesundheitssystems gekommen und die Beeinträchtigung der Versorgung aller anderen, nicht Covid-19-assoziierten Erkrankungen wurde nicht über ein unvermeidbares Maß hinaus beeinträchtigt. Dennoch ist es insbesondere während der sehr hohen Belastung des stationären Gesundheitswesens während der sogenannten zweiten Welle (Dezember 2020 und Januar 2021) in Hessen wie in den anderen Bundesländern auch zu Beeinträchtigungen gekommen.

Aufgabe des Planungsstabs ist es, den Abstand zwischen Vorhaltung von Betten und genutzten Betten so groß wie notwendig, aber auch so klein wie möglich zu halten. Ein zu geringer Abstand zwischen Bedarf und Vorhaltung würde dazu führen, dass es punktuell zu Versorgungsengpässen kommt und in einzelnen Regionen keine Aufnahmemöglichkeit für Covid-19-Patienten oder die Akut- und Notfallversorgung besteht. Dies müsste dann durch den Rettungsdienst ausgeglichen werden, was wiederum dessen Kapazität durch Transporte über größere Entfernungen bindet und damit sowohl für die einzelne Patientin/den einzelnen Patienten nachteilig ist als auch die Reaktionsfähigkeit für alle anderen Notlagen beeinträchtigt.

Wird der Abstand zwischen Vorhaltung und Nutzung hingegen zu groß bemessen, werden für die Regelversorgung benötigte Behandlungskapazitäten unnötigerweise blockiert. Daraus würde sowohl ein Schaden für die Patientinnen und Patienten als auch ein wirtschaftlicher Nachteil für die Krankenhäuser entstehen. Daher liegt die optimale Relation zwischen tatsächlich belegten Betten und vorgehaltenen Betten bei 80 bis 90 zu 100.

6 Schlussfolgerung

Zusammenfassend ist festzustellen, dass Hessen im Hinblick darauf, dass die stationäre Versorgung jederzeit gewährleistet wurde, die Anforderungen der Pandemie im Sinne der Aufgaben der medizinischen Daseinsfürsorge bislang sehr gut bewältigt hat. Allerdings hat die Covid-19-Pandemie einige Schwächen des deutschen Systems der stationären Versorgung wie ein Katalysator verstärkt, die optimiert werden sollten.

Als zentrale Handlungsfelder können dabei folgende Punkte identifiziert werden:

  • Für die Bewältigung von Krisen sind die Notfallstrukturen zentral. Diese müssen erhalten, ausgebaut und mit der Möglichkeit einer zentralen Steuerung versehen werden. Dies schließt auch eine stärkere Berücksichtigung der Teilnahme an der erweiterten und umfassenden Notfallversorgung in der Krankenhausfinanzierung mit ein.

  • In einer Krise ist der schnelle Zugriff auf die relevanten Informationen von hoher Bedeutung. Da es in einer Krisensituation schwierig ist, neue Kommunikationswege aufzubauen, müssen diese bereits zuvor errichtet und eingeübt werden. Daher sollten geschaffene Vernetzungen und Strukturen wie die IVENA-Sonderlage oder TeleCovid erhalten bleiben.

  • Auf Ebene der Krankenhausplanung ist in den für die Krisenbewältigung maßgeblichen Feldern eine dauerhaft stringente Planung notwendig, sodass Faktoren, die in Krisen von Bedeutung sind, wie z. B. die Intensivkapazitäten, weiterhin einer verstärkten planerischen (und damit auch regulativen) Betrachtung unterliegen.

  • Das Konzept hat sich auf Ebene eines Bundeslandes als funktionsfähig erwiesen. Es ist zu erwägen, ob dies oder vergleichbare Überlegungen auch länderübergreifend zum Einsatz gebracht werden können.

  • Als limitierender Faktor der Versorgung hat sich weniger die Verfügbarkeit des Materials als die Verfügbarkeit des qualifizierten Personals herausgestellt. Daher sind weiterhin Anstrengungen zum Gewinnen und Halten der Beschäftigten der verschiedenen Berufsgruppen im Gesundheitswesen, insbesondere der Pflegenden und der verschiedenen Gesundheitsfachberufe, notwendig.

  • Eine zentrale Option für die Erhöhung der Versorgungsfähigkeit in Krisenzeiten und zugleich Steigerung der Attraktivität des Arbeitsplatzes Krankenhaus könnte die Herabsetzung der Normalauslastung von rund 80 % auf 60 % darstellen. Dies würde den Druck von den Beschäftigten nehmen – in einem marktorientierten Gesundheitswesen allerdings aufgrund der relativ noch höheren, nicht gegenfinanzierten Vorhaltekosten die wirtschaftlichen Spielräume der Träger mutmaßlich aufbrauchen.