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1 Einleitung

Time Sensitive Networks (TSN) beschreibt eine Sammlung von in der IEEE 802.1 definierten Mechanismen, die das Potenzial haben die Echtzeitfähigkeit und IT/OT Konvergenz von Ethernet signifikant zu verbessern [3, 4, 7]. Für eine herstellerneutrale und interoperable Nutzung dieser Standards bedarf es einer Profilbildung [2]. Hierbei wird festgelegt, welche dieser Standards zwingend in den Geräten und Systemen implementiert werden müssen und wie deren Nutzung konfiguriert wird. Diese Profilbildung findet zurzeit in der gemeinsamen Aktivität aus IEC und IEEE unter der Nummer 60802 statt [7, 8]. Eine erste Version dieses Standards wird für Ende 2021 erwartet. Schaut man im Detail auf relevante Mechanismen, so ergibt sich eine Sammlung von mehr als 30 Funktionen, die im Rahmen einer Profilbildung kombiniert werden können [11]. Um die damit einhergehende Variantenvielfalt beherrschbar zu machen, muss ein entsprechendes Nutzungskonzept zu Grunde gelegt werden. Hier sind zurzeit zwei mögliche Nutzungskonzepte in der Diskussion, die in diesem Papier als Preemption-basierte Kommunikation und TAS-basierte Kommunikation bezeichnet werden, da diese Verfahren in den Konzepten eine jeweils zentrale Rolle spielen. Die Verfahren Preemption und TAS lösen grundsätzlich die gleiche Problemstellung und haben Vorteile und Nachteile. In diesem Beitrag wird dies untersucht.

Der Beitrag ist wie folgt aufgebaut: Kap. ,,Konzept und Implementierung einer kommunikationsgetriebenen Verwaltungsschale auf effizienten Geräten in Industrie 4.0 Kommunikationssystemen“ beschreibt den relevanten Stand der Technik inklusive der aus der Industrie 4.0 erzeugten Anforderungen an Kommunikationssysteme. Kap. „Device Management in Industrial IoT“ erläutert die Ethernet TSN-Nutzungskonzepte. Kap. „Cross-Company Data Exchange with Asset Administration Shells and Distributed Ledger Technology“ zeigt anhand von Messungen an TSN-Netzwerken wie sich Scheduled Traffic in den Netzwerken verhält und leitet daraus ab welche Nutzungskonzepte in welchen Szenarien Vorteile oder Nachteile bieten.

2 Stand der Technik

2.1 Entwicklung der Anforderungskriterien an die industrielle Kommunikation

Die IT-Systeme in der industriellen Automation sind heute hierarchisch organisiert [1]. Die sogenannte Automatisierungspyramide umfasst dabei auf der Feldebene Maschinen, Sensorik und Aktorik sowie Echtzeitsteuerungssysteme wie z. B. Speicherprogrammierbare Steuerungen (SPS). Diese Ebene wird international als OT – Operation Technology bezeichnet. Höhere Ebenen der Pyramide enthalten Funktionen zur Auftrags- und Fabriksteuerung (ERP, MES, SCADA). Die Ebenen werden mit Hilfe von Gateways miteinander verbunden. Industrie 4.0 beschreibt eine automatisierte Massenproduktion für individuelle Produkte über kurze Lebenszyklen bis hin zur Losgröße 1 (Unikatproduktion) [1]. Dafür ist eine sehr flexible und wandelbare Produktionstechnik notwendig, in der auch die IT-Systeme entsprechend flexibel sein müssen. Per Plug-and-Play sollen sich Anlagenteile neu zusammenstellen lassen und Services einfach mit den Maschinen verbinden um z. B. Diagnose und Optimierungen auf Basis von Daten zu ermöglichen [5]. Die Vernetzung muss dafür sehr viel durchgängiger und einheitlicher werden, da die Konfiguration sonst zu komplex wird (Gateways) und die Daten an Qualität (Latenz: alte Daten, Synchronität, Vollständigkeit, Verfügbarkeit, Abtastraten) verlieren. Die dafür in der Fachwelt diskutierte Architektur ist das Industrial Internet of Things IIoT [6]. Das IIoT sieht eine durchgängige, dynamische und skalierbare Vernetzung ohne Gateways bis zum Sensor vor. Ethernet TSN wird zugesprochen die Netzwerkbasis dafür zu sein.

2.2 Ethernet TSN

Die im Allgemeinen mit Ethernet TSN bezeichneten Funktionen werden zum größten Teil im IEEE-Standard 802.1 Higher Layer LAN Protocols definiert. Einige der Funktionen erfordern aber neue Services aus dem Ethernet MAC-Layer. Diese sind im IEEE-Standard 802.3 definiert [2]. Ein Beispiel dafür ist die Funktion Express-MAC, die für Preemption benötigt wird. Der Standard IEEE 802.1 besteht derzeit aus 6 Substandards. Für diese Arbeit relevant ist davon der Standard IEEE 802.1Q, da er Strict-Priority, Preemption und TAS enthält und diese im Folgenden genauer beschrieben werden.

Um eine möglichst kleine Latenzzeit erreichen zu können, wurde Preemption in den Standard IEEE 802.1Q aufgenommen. Preemption ermöglicht es, Frames die auf einer Ethernet-Verbindung gesendet werden zu unterbrechen um ein höherpriores Frame zu senden [2]. Ein Frame das unterbrochen werden kann wird als preemptable bezeichnet. Ein Frame, dass andere Frames unterbrechen darf wird als preemptive bezeichnet [3] (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Preemption

Für Preemption ist neben den Erweiterungen im Standard IEEE 802.1Q, der Mechanismus Express-MAC im Standard IEEE 802.3 notwendig. Die minimale Fragmentlänge von unterbrochenen Frames beträgt 64 Byte [4]. An einem Port kann also nicht zu beliebigen Zeiten unterbrochen werden und es entstehen Wartezeiten. Aus diesem Grund eignet sich bei 100 MBit/s TAS für die Erreichung niedrigster Verzögerungszeiten besser. Bei einer Datenrate von 1 GBit/s sinkt die Wartezeit auf weniger als eine Mikrosekunde. Hier sind TAS und Preemption vergleichbar leistungsfähig [3].

Als zweites Verfahren, mit dem Ziel eine kleine Latenzzeit zu erreichen, wurde Time Aware Shaping standardisiert. Die Funktion ermöglicht es durch eine Konfiguration zu bestimmen, welche Queues zu welchen Zeiten Frames senden können. Dies wird als Queue Masking bezeichnet. Sogenannte Gates sind den Queues vorgeschaltet und unterdrücken das Senden (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

TAS Time Aware Shaping

2.3 Anforderungs- und Bewertungskriterien

Wichtige Anforderungs- und Bewertungskriterien sind:

  • Trennung von Netzwerk und Applikation

  • Geringe Komplexität

  • Stoßfreie dynamische Rekonfiguration

  • Robustheit gegen Synchronisationsabweichungen

  • Robustheit gegen Verzögerungsabweichungen und Jitter

  • Link-Speed Kombinationen

  • Zykluszeiten und Topologien

  • Bridge Ressourcen

Besondere Abhängigkeiten und Erfüllungsunterschiede bezüglich der Verfahren TAS und Preemption im Hinblick auf die genannten Anforderungs- und Bewertungskriterien bestehen bei den Themen Komplexität, Link-Speed Kombinationen und Bridge Ressourcen. Im Folgenden wird der Fokus entsprechend auf die Darstellung dieser Punkte gelegt.

3 Ethernet TSN-Nutzungskonzepte

Basierend auf den beschriebenen TSN-Basismechanismen Preemption und TAS sind unterschiedliche Nutzungskonzepte realisierbar. Ein Preemption-basiertes Konzept und ein TAS-basiertes Konzept werden im Folgenden beschrieben.

3.1 Preemption-basiertes Nutzungskonzept

In diesem Kapitel wird das grundlegende Funktionsprinzip des Preemption-basierten Konzepts beschrieben. Dabei wird bewusst auf eine zu detaillierte Darstellung verzichtet, um die wesentlichen Eigenschaften verständlich zu machen.

Synchronisierter Netzwerkzugang

Ein wesentliches Element des Konzepts ist die Anwendung des sog. synchronisierten Netzwerkzugangs. Dieser ist die Grundlage dafür, dass eine Trennung von Netzwerk und Applikation möglich ist.

Als Beispiel wird im Folgenden ein 16-Port Switch (16x1GBit/s) mit angeschlossenen End-Stations betrachtet. 15 End-Stations senden Frames (Ingress), die zur 16ten End-Station (z. B. eine SPS) übertragen werden müssen (Egress). Im schlimmsten Fall (B) können alle Stationen zum exakt gleichen Zeitpunkt senden. Hierbei ist dann ein Fall denkbar, bei dem die Speicherressourcen der Bridge nicht mehr ausreichen, um alle zu transferierenden Frames zu speichern. Alle 15 End-Stations übertragen zum exakt gleichen Zeitpunkt Realtime-Traffic von z. B. 20 % der verfügbaren Bandbreite. Dies führt zwangsläufig zur Überlastung des Egress-Ports, wenn dieser auch über die gleiche Bandbreite verfügt (15x200MBit/s = 3GBit/s). Das bedeutet, dass der größte Teil des Realtime-Traffic in der Bridge zerstört würde. Der Egress Port ist überlastet, was dazu führt das Frames zerstört und Übertragungsgarantien (Bounded Latency) nicht gegeben werden können. Dieser Fall wird als Congestion-Loss (Congestion = Stau/Überlastung) bezeichnet. Congestion-Loss kann heute bei Systemen wie PROFINET RT, MODBUS/TCP, Ethernet/IP oder auch OPC UA Pub/Sub unter Worst-Case Bedingungen auftreten, weshalb für diese Systeme keine absoluten Übertragungsgarantien gegeben werden können. Die hier vorgeschlagene Lösung für das Problem ist daher ein synchronisierter Netzwerkzugang (A) für echtzeitkritische Frames, der das Senden auf einzelne Zeitpunkte verteilt und damit eine Überlastung verhindert.

Es wird davon ausgegangen, dass nur die End-Stations über eine über IEEE 802.1AS synchronisierte Working-Clock verfügen. Die Switches selbst müssen nur über die Fähigkeit der Transparent-Clock verfügen und selbst nicht synchronisiert sein.

Mit dieser Working-Clock werden jetzt nacheinander mit absteigender Priorität alle Frames der entsprechenden Untersetzung/Phase gesendet. Die Netzwerkkonfiguration muss sicherzustellen, dass die eingespeiste Last in Bezug auf die verwendete Netzwerktopologie zu keinen überlasteten Egress-Ports führt.

Ferner muss sichergestellt werden, dass keine Überlastung durch Best-Effort Traffic stattfindet, da die zu sendenden Best-Effort Frames die verbleibende Bandbreite nicht überfordern. Hierzu muss die Sendelast für diese Frames durch Rate-Limiting begrenzt werden. Zusätzlich sorgt aber der Ressourcenschutz in den Bridges (Siehe 5.3) dafür, dass es im Falle einer Überlastung keine Rückwirkungen auf die Echtzeitkommunikation gibt.

Die zur Verfügung stehende Bandbreite und Topologie sind gegeben, allerdings müssen nicht alle Echtzeitframes mit dem gleichen Intervall gesendet werden. Hier wollen Anwender entsprechend ihrer Applikationsanforderungen unterschiedliche Zykluszeiten einstellen können. Dies wird dadurch gelöst, dass der eingespeiste Traffic durch Untersetzungen und Phasen (senden im n-ten Zyklus mit Offset) im Zeitbereich entzerrt wird und dadurch auch keine Überlastung der Egress-Ports auftreten kann.

Ressourcennutzung in den Bridges

Trotz eines synchronisierten Netzwerkzugangs sind Szenarien denkbar, in denen z. B. nicht echtzeitkritischer Traffic mehr Bandbreite benötigt, als im Netzwerk zur Verfügung steht. Damit dies nicht zu Rückwirkungen auf die Streamkommunikation führt, sollten die Bridges das folgende Modell unterstützen (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Ressourcenschutz in Bridges

Moderne Switch Chips verwalten ihr verfügbares Bridge-Memory in konfigurierbaren Ressourcenpools. Diese Pools können einzelnen Traffic-Klassen zugewiesen werden. Bei der Etablierung von Streams wird entsprechend den echtzeitkritischen Traffic-Classes in der Bridge ein eigener Ressourcenpool zugewiesen. Der restliche Traffic sollte einen anderen Pool nutzen. Der synchronisierte Netzwerkzugang in den angeschlossenen Devices stellt sicher, dass der Füllstand in dem echtzeitkritischen Pool im Normalbetrieb nie das Maximum erreicht und Congestion-Loss entsteht.

Während Stream-basierter Traffic gesendet wird (Pool A), müssen von allen anderen Ports Frames im (Pool B) gespeichert werden können, damit es nicht zu Paketverlusten kommt. Aber auch bei einer Überlastung des Netzwerks durch NRT Traffic ist durch dieses Modell sichergestellt, dass es keine Auswirkungen auf die echtzeitkritische Kommunikation gibt.

Daher wird festgelegt, dass im Normalfall, abhängig von der Bandbreite und Anzahl Ports, nicht mehr als ein bestimmter Prozentsatz für Echtzeitkommunikation genutzt werden sollte, um noch die Übertragung von Best-Effort Traffic zu sichern.

Die folgende Tabelle stellt das notwendige Bridge Memory abhängig von der Anzahl Ports bei einer Gigabit Bridge dar. Es wird eine maximale RT Bandbreitennutzung von 20 % angenommen, damit das Model auch von jeder Bridge unterstützt werden kann, auch wenn heutige Switch Chips in der Regel über mehr Speicher verfügen (Tab. 1).

Tab. 1 Bridge Memory

20 % der Bandbreite für Realtime Frames [9] entspricht 200 μs bei einer Zykluszeit von 1 ms. Es muss also NRT Traffic auf allen Port von 800 μs gepuffert werden können. Bei kürzeren Zykluszeiten kann daher die Länge der Echtzeitphase bei gegebener Kapazität verlängert werden. Zusätzlich kann durch Preemption bei kürzesten Zykluszeiten noch die Übertragung von Best-Effort Traffic sichergestellt werden. Der Anwender kann über die IA-ME vorgeben, welche maximale NRT Bandbreite genutzt werden soll.

Die damit erreichbaren Leistungsdaten werden in der folgenden Tabelle dokumentiert. Das dargestellte Mengengerüst an Devices ist rechnerisch in jedem Szenario größer. Auch können bei kürzeren Zykluszeiten mehr als 80 % der Bandbreite für RT genutzt werden. Es wurde aber auf eine sinnvolle Kenngröße gerundet (Tab. 2).

Tab. 2 Bandbreitenausnutzung für RT bei 1 Gbit/s

3.2 TAS-basiertes Nutzungskonzept

Das TAS-basierte Nutzungskonzept nutzt einen synchronisierten Netzwerkzugang identisch zum bereits beschriebenen Preemption-basierten Nutzungskonzept. Die restlichen beschriebenen Technologien wie zum Beispiel Strict Priority sind gleich. Ein großer Unterschied ergibt sich in der Speichernutzung. Der Grund für den Unterschied wird in Messungen im nächsten Kapitel veranschaulicht.

4 Veranschaulichung der Anforderungen und Kriterien durch Messungen an einer Beispieltopologie und Vergleich

In diesem Beitrag wurden bereits die Anforderungen abgeleitet und relevante Kriterien zur Bewertung von Kommunikationslösungen vorgestellt. An einer realen Beispieltopologie werden spezifische Eigenschaften der TSN-Nutzungskonzepte dargestellt und veranschaulicht werden.

4.1 Beschreibung der Testumgebung

Die folgende Abbildung zeigt eine Testtopologie in der die Kriterien Link-Speed-Kombinationen, stoßfreie dynamische Rekonfiguration, Robustheit und Komplexität für die zwei Nutzungskonzepte gegenübergestellt werden können. Die Topologie besteht aus 30 Devices mit 100 MBit/s-Datenrate, einer Steuerung und zwei TSN-Switches mit 1 GBit/s Datenrate. Die Devices kommunizieren mit einer Zykluszeit von 1 ms mit der Steuerung. Mit einer TSN-Monitorlösung wird die Kommunikation geprüft (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Ethernet TSN-Testumgebung mit verschiedenen Datenraten und Topologierekonfiguration

4.2 Messergebnisse Scheduled Traffic in einem Netzwerk mit gemischten Datenraten

Die folgenden Abbildungen zeigen die Ergebnisse der Messungen der beiden verschiedenen Topologievarianten. Im unteren Teil ist jeweils die 100 MBit/s Kommunikation vor dem zweiten Gigabit TSN-Switch und im oberen Teil die 1 GBit/s Kommunikation zwischen den Gigabit TSN-Switches zu sehen. Sehr anschaulich ist zu erkennen, dass die zeitgeplanten Frames auf dem Gigabit-Link mit „Lücken“ übertragen werden (Abb. 5 und 6).

Abb. 5
figure 5

Messergebnis Stern-mit-zwei-Strahlen-Topologie

Abb. 6
figure 6

Messergebnis Linientopologie

4.3 Vergleich der Nutzungskonzepte anhand der Kriterien

Die Tab. 3 und 4 zeigen eine Kriterienerfüllungsbewertung von TAS und Preemption für die Datenraten 100 MBit/s und 1 GBit/s.

Tab. 3 Kriterienerfüllungsbewertung für Preemption und TAS bei 1 GBit/s
Tab. 4 Kriterienerfüllungsbewertung für Preemption und TAS bei 100 MBit/s

5 Zusammenfassung und Ausblick

Bei der Nutzung von IEEE Standards mit dem Schwerpunkt Time Sensitive Networks (TSN) gibt es unterschiedliche mögliche Nutzungskonzepte. Zwei wesentliche Konzepte können unterschieden und anhand von Kriterien verglichen werden. Diese Nutzungskonzepte stehen grundsätzlich in Konkurrenz und haben je nach Nutzungskontext Vorteile und Nachteile. Während Preemption-basierte Kommunikation in Netzwerken mit skalierter Datenrate Vorteile im Bereich von Speichergrößen der Bridges und Bandbreitennutzung für Best Effort-Daten zeigt, bietet Time Aware Traffic (TAS) insbesondere in Netzwerksegmenten mit einer Datenrate von 100 MBit/s eine kleinere Latenzzeit.