Zusammenfassung
L’Enfer – Die Hölle ist ein Spielfilm aus dem Jahr 1994. Claude Chabrol, einer der wichtigsten Regisseure der Nouvelle Vague, gibt darin Einblicke in die Höllenqualen der pathologischen Eifersucht. Im Mittelpunkt der Handlung stehen Paul und Nelly. Die beiden heiraten, eröffnen ein auf Pump finanziertes Hotel an einem idyllischen See in Südfrankreich; alles läuft gut und bald bekommen sie einen Sohn. Eigentlich ein perfektes Leben, wären da nicht Pauls Stress, der zu viel arbeitet, seine Schlaflosigkeit und vor allem seine Sorge in Bezug auf seine Frau. Nelly ist lebenslustig, leicht, lebendig, hat eine tolle Figur, pralle rote Lippen und ist verführerisch schön. Das weiß nicht nur Paul, sondern fällt auch anderen auf. Sie genießt es, gesehen zu werden, und Paul wird zusehends eifersüchtiger. Anfänglich kann er sich von seiner Eifersucht noch distanzierten, bis sich diese schließlich wahnhaft verselbstständigt und er zur Bedrohung seiner Frau wird.
Die Eifersucht ist ein sehr spannendes und komplexes Phänomen, das neben der Psychologie und Psychopathologie Thema der Literatur, des Theaters, der Oper, des Films, der bildenden Kunst und der Philosophie ist. Was die literarische Darstellung des eifersüchtigen In-der-Welt-seins anbelangt ist der Schatten des Eros auf geniale Weise in Shakespeares Othello (um 1603), Tolstojs Kreutzersonate (1887/1891), Prousts Eine Liebe Swanns (1953) und Catherine Millets Eifersucht (2010) dargestellt worden. Was philosophische Erörterungen betrifft, sind vor allem Robert Burtons Kapitel über die Eifersucht in seiner berühmten Anatomy of Melancholy (1621), Hubertus Tellenbachs Phänomenologie der Eifersucht (1997) und die Abhandlung Eifersucht – Zwischen Wahn und Wirklichkeit von Andreas Cremonini (2012) hervorzuheben, die alle sehr spannende Wesensmomente dieses terrorisierenden Gefühls beschreiben. Psychopathologisch haben sich unter anderem Karl Jaspers (1910) mit der Studie Eifersuchtswahn. Ein Beitrag zur Frage: „Entwicklung einer Persönlichkeit“ oder „Prozeß“? und Sigmund Freud (1922) mit seiner Arbeit: Über einige neurotische Mechanismen bei Eifersucht, Paranoia und Homosexualität für die Eifersucht und den Eifersuchtswahn interessiert.
Im vorliegenden Beitrag wird der Film Die Hölle im Kontext der oben genannten Quellen und der darin liegenden Erkenntnisse gespiegelt, analysiert und verortet und damit das Phänomen der Eifersucht und deren wahnhafte Verselbstständigung erörtert.
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Literatur
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Poltrum, M. (2023). „Das ganze Hotel ist über sie gestiegen.“ – Zur negativen Erotik des Eifersuchtswahns. In: Poltrum, M., Rieken, B., Heuner, U. (eds) Wahnsinnsfilme. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-64178-1_11
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