Der Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) führt zu spezifischen Anforderungen, Bedingungen und Auswirkungen für die Beschäftigten. Während zu Beschäftigten hierzu Forschungsergebnisse vorliegen, bestehen Forschungs- und Gestaltungslücken inbesondere in Bezug auf operative Führungskräfte in virtuellen Teams. In diesem Kapitel stellen wir daher Ansätze zur Unterstützung und Reflexion der Arbeitsbedingungen operativer Führungskräfte vor, um diese in virtuellen Kontexten zu stärken und gesund zu erhalten. Diese wurden im Teilprojekt des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen entwickelt. Hierzu erläutern wir zunächst in Abschn. 5.1 den konzeptionellen Hintergrund unseres Vorgehens und des Feedback- und Reflexionstools, das wir zu diesem Zweck entwickelt haben. Wir stellen dann in Abschn. 5.2 die explorativen Befunde zur Ressourcen- und Belastungssituation der teilnehmenden operativen Führungskräfte (TN) in virtuellen Arbeitskontexten vor und die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen für die Gestaltung und Regulierung der Arbeitssituation, die zu einem verbesserten Ressourcenmanagement der operativen Führungskräfte beitragen sollen. Um den Nutzen der eingesetzten Tools sowie die möglichen Wirkungen der Empfehlungen aus den Feedback-Gesprächen abzuschätzen, wurde eine Nachbefragung der teilnehmenden operativen Führungskräfte durchgeführt, deren Befunde und weitere operative Hinweise zur Nutzung und Anwendung abschließend in Abschn. 5.3 präsentiert werden.

5.1 Ansätze zur Unterstützung von Reflexion und Gestaltung der Arbeitsbedingungen.

Die Nutzung moderner IKT ermöglicht es, dass Beschäftigte von unterschiedlichen Orten aus und zeitlich entkoppelt zusammenarbeiten. Beschäftigte arbeiten dabei in einem Team an einer gemeinsamen Aufgabe oder Problemlösung und nutzen hierfür unterschiedliche IT-gestützte Kommunikationsmedien (Boos et al., 2017). Technisch werden in den letzten Jahren neben den weiterhin eingesetzten schriftlichen Kommunikationsformen (wie e-mailing) zunehmend Videokonferenzsysteme und Plattformen verwendet, die mobile Endgeräte für Austausch und Bearbeitung unterschiedlicher Datentypen einbinden können. Aus Sicht der Unternehmen lassen sich so u. a. Reiseaufwände optimieren bzw. aufwändige Wohnsitzwechsel vermeiden. Ökonomisch bedeutsamer ist allerdings, dass dies mittlerweile auf der Grundlage der verfügbaren Infrastruktur eine weltweite Kompetenz- und Ressourcennutzung erschließt. Zudem wird durch die online-Kommunikation die Bearbeitung der Aufgaben tendenziell beschleunigt und der Arbeitseinsatz zeitlich wie räumlich flexibilisiert.

Diese Form der Arbeitsorganisation ist durch spezifische Herausforderungen gekennzeichnet, die sich als spezifische Anforderungen und Bedingungen für die Beschäftigten niederschlagen. Hierzu gibt es mittlerweile Forschungsbefunde in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen (u. a. Gilson et al., 2015). Insbesondere die Arbeitssituation der operativen Führungskräfte in virtuellen Teams erweist sich allerdings bisher als Forschungs- und Gestaltungslücke.

Als operative Führungskräfte werden im Folgenden Team- und Projektleitende bezeichnet, wobei Teamleitende disziplinarisch und fachlich für ‚ihr‘ Team verantwortlich sind, während Projektleitende in der Regel für ihr(e) Projekt(e) die zeitlich befristete inhaltlich-fachliche Verantwortung tragen. Typisch für Projektmanagement ist der dynamische Arbeitsmodus, der auf ein Ausbalancieren von verfügbarer Zeit, Kosten und Qualität der Projektergebnisse zielt; dem/der Projektmanager*in kommt dabei die Hauptlast der Koordination und Steuerung des Ergebnisses zu. Gleichzeitig fehlen oft der Zugriff auf bzw. die Entscheidungskompetenz über Ressourcen sowie die Weisungsbefugnis und disziplinarische Zuständigkeit und damit wichtige Voraussetzungen für die Umsetzung von Anforderungen.

Erfolgt die Interaktion von Führungskraft und Geführten mittels IKT, wird dies als „virtuelle Führung“ verstanden (Wald, 2014). Sheninger (2014) spricht in diesem Zusammenhang von „digitaler Führung“ und betont damit den digital vermittelten Arbeitskontext, bei dem die Beschäftigten durchaus auch räumlich verbunden tätig sein können, während sich virtuelle Führung stärker auf verteilt arbeitende Beschäftigte richtet. Dabei gilt mittlerweile als gesichert, dass operative Führungskräfte eine zentrale Rolle für Erfolg und Leistungsfähigkeit der virtuell zusammenarbeitenden Teams haben (z. B. Akin & Rumpf, 2013), ebenso wie für Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Teammitglieder (u. a. Gregersen et al., 2011).

Obwohl diese Gruppe von Beschäftigten also als erfolgskritisch anzusehen ist, verdichten sich die Hinweise, dass es sich um eine zumindest teil- bzw. zeitweise höher beanspruchte Beschäftigtengruppe handelt. Pangert und Schüpbach (2011) ermittelten u. a., dass in den unteren Führungsebenen Ressourcen geringer, Stressoren stärker ausgeprägt sind und dort zudem von stärkerer Beanspruchung berichtet wird als auf höheren Führungsebenen. Zimber et al. (2015) halten in ihrer Bilanzierung aktueller Forschungsbefunde fest, dass hinsichtlich psychischer Beeinträchtigungen gerade bei klinischen Befunden die Gesundheitsrisiken bei Führungskräften mit Verantwortung für operative Aufgaben tendenziell höher sind als bei anderen Beschäftigtengruppen. Pinto et al. (2016) kommen zusammenfassend zur Einschätzung, dass Projektleitende signifikant höhere emotionale Erschöpfung erleben als andere Beschäftigtengruppen. Ähnliches zeigten eigene Untersuchungen bei operativen Führungskräften im Vergleich mit höherem Management und mit anderen, nicht führenden Mitarbeitenden, bei denen die operativen Führungskräfte die höchsten Beanspruchungswerte hatten (Latniak, 2017). Die Frage nach der Entwicklung von Belastungen und Beanspruchungen in virtuellen Teams ist zwar mittlerweile im Fokus der Forschung (u. a. Kordsmeyer et al., 2019), sie ist für Teamleitende und operative Führungskräfte allerdings bisher empirisch weitgehend unbeantwortet.

Vor welchen spezifischen Herausforderungen stehen die operativen Führungskräfte in virtuellen Arbeitsumgebungen? Für sie ist, wie für alle operativen Führungskräfte charakteristisch, dass sie häufig an einer dreifachen Schnittstelle tätig sind, und zwischen den unterschiedlichen Perspektiven und Interessen von internen wie externen Kunden, dem strategischen Management (z. B. bei Ressourcenallokation bzw. Budgetfragen) und den jeweils ausführenden Teams vermitteln müssen. Ihre Tätigkeit lässt sich deshalb als kommunikationsintensives und spannungsreiches, Widerspruchsmanagement im Alltag charakterisieren: Operativen Führungskräften kommt die Aufgabe zu, die teilweise widersprüchlichen Vorgaben, Bedingungen und Ziele der genannten Stakeholder vereinbar zu machen (‚Scharnierposition‘). Die konkreten Aufgabenstellungen variieren dabei erheblich; es gibt kaum vergleichbare Team- oder Aufgabenstrukturen und auch die inhaltlich-fachliche Ausrichtung der Tätigkeiten ist ausdifferenziert. (u. a. Latniak, 2017)

Virtuell arbeitende operative Führungskräfte sind im Vergleich zur ‚traditionellen‘ Führung damit konfrontiert, Teams zeitlich entkoppelt, räumlich (teilweise) getrennt und mit weniger face-to-face (ftf)-Kontakt, z. T. über Zeitzonen und Ländergrenzen hinweg, koordinieren zu müssen; sie stehen dabei vor technischen, zeitlichen, sprachlichen und kulturellen Herausforderungen, die sich in spezifischen Kommunikations- und Koordinationsanforderungen niederschlagen. Eine solche Form der Führung wird als herausfordernd und komplex erlebt (Akin & Rumpf, 2013).

5.1.1 Zielsetzung

Ziel des im Folgenden vorgestellten vLead-Teilprojekts „Operative Führungskräfte in virtuellen Kontexten stärken und gesund erhalten“ war es vor diesem Hintergrund, die Arbeitsbedingungen, Belastungen und Ressourcen der operativen Führungskräfte explorativ zu untersuchen, um darauf aufbauend Maßnahmen bzw. Bausteine zu erarbeiten, die die Leistungsfähigkeit und Gesundheit dieser Führungskräfte fördern bzw. erhalten sollen. Angesichts der individuellen Ausdifferenzierung der Anforderungen wurde dabei primär eine Förderung der individuellen Handlungsfähigkeit im Rahmen der konkreten betrieblichen Bedingungen angestrebt.

Um dies zu unterstützen, wurde zum einen ein Feedback- und Reflexionstool auf Screening-Niveau erarbeitet, das die individuelle Reflexion der Arbeitsbedingungen und des Bewältigungshandelns der operativen Führungskräfte unterstützt. Zum anderen haben wir Gestaltungsvorschläge in Form einer Handreichung ausgearbeitet, die individuell nutzbare Anregungen und Hilfen geben und so ein verbessertes individuelles Ressourcenmanagement fördern sollen. Diese Bausteine können z. B. individuell oder im Rahmen eines Coachings angewendet werden, um Arbeitsbedingungen und das Bewältigungshandeln der Gesprächspartner*innen zu reflektieren und um Ansatzpunkte für Verbesserungen zu erarbeiten.

Praktisch entwickelt und erprobt wurden diese Tools im Rahmen von sog. ‚Feedbackgesprächen‘ zu Arbeitssituation und individueller Bewältigung; das Feedback- und Reflexionstool und die Empfehlungen wurden jeweils in Entwurfsfassungen in diesen Feedbackgesprächen angewendet. Das Feedback- und Reflexionstool diente dabei dazu, einerseits die Arbeits- und Bewältigungsmuster der Gesprächspartner*innen bewusst zu machen und andererseits Ansatzpunkte für Verbesserungen beim Ressourcenmanagement durch Belastungsabbau bzw. Aufbau von Arbeits- und Bewältigungsressourcen zu ermitteln. Aufbauend auf dieser Reflexion wurden in den Gesprächen mit den Teilnehmenden konkrete Vorschläge für Maßnahmen im Arbeitsumfeld oder bei der individuellen Arbeitsweise erarbeitet, die dann als Empfehlungen in die Handreichung übernommen wurden.

Im folgenden Beitrag wird das konzeptionelle Fundament des Feedback- und Reflexionstools und seine Struktur vorgestellt. Dafür wurde vorbereitend einerseits eine Literaturrecherche zu Rahmenbedingungen, Belastungen und Ressourcen virtuell arbeitender operativer Führungskräfte durchgeführt. Andererseits befragten wir solche Führungskräfte in zwei IT-Services-Unternehmen zu ihren Arbeitsbedingungen, Belastungen und Ressourcen, um aktuelle Entwicklungen der Arbeitssituation qualitativ zu ermitteln (s. u. zu ausgewählten Befunden). Beide Vorarbeiten dienten der Identifizierung und Auswahl der spezifischen Faktoren, die dann im Feedback- und Reflexionstool berücksichtigt wurden. Aufbauend darauf und in der Weiterführung konzeptioneller Überlegungen aus vorangegangenen Projekten (u. a. Gerlmaier & Latniak, 2011a; Gerlmaier, 2019a) wurde das Feedback- und Reflexionstool aus Einzelfragen und Kurzskalen entworfen und dann in den ‚Feedbackgesprächen‘ mit insgesamt 24 virtuell arbeitenden operativen Führungskräften testweise eingesetzt: Das Tool diente einerseits dazu, durch gezielte Fragen zu Ressourcen, Belastungen, Bewältigungsaktivitäten und Befinden sowie durch eine Visualisierung der Antworten das Feedbackgespräch zu strukturieren und dabei die Einschätzungen der Führungskräfte zu visualisieren, d. h. möglichst schnell Ansatzpunkte zur Optimierung der Arbeitssituation zu liefern. Gleichzeitig sollten die Fragen möglichst viele der auftretenden psychischen Belastungen, Arbeits- und Bewältigungsressourcen abbilden bzw. thematisieren, die Auswirkungen auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der operativen Führungskräfte haben können. Die explorativen Ergebnisse zur Ressourcen- und Belastungssituation werden in Abschn. 5.2 vorgestellt.

Wie weit der jeweilige Arbeitszusammenhang durch die operativen Führungskräfte gestaltet werden konnte oder inwieweit veränderte Rahmenbedingungen zu einer Verschärfung der Belastungssituation und einer Verschlechterung der Ressourcenbasis beitragen (Boes & Kämpf, 2019; Verburg et al., 2013), sollte im Rahmen einer Nachbefragung der Teilnehmenden untersucht werden. Dies ließ sich auf Grund veränderter Rahmenbedingungen allerdings nur ansatzweise untersuchen, da durch organisatorische Änderungen, vor allem aber durch die Corona-bedingte Umstellung der Arbeitstätigkeit auf Home-Office seit Frühjahr 2020 ein Teil der Gestaltungsvorschläge nicht mehr umsetzbar war. Die Befunde der Nachbefragung sind in Abschn. 5.3 zusammengefasst.

5.1.2 Operative digitale Führungsarbeit als Ansatzpunkt

Um die angesprochenen Anforderungen an operative Führungskräfte konkreter zu fassen, werden im Folgenden auf Basis der Literaturrecherche und der Interviews die Herausforderungen skizziert, denen Team- und Projektleitende in virtuellen Teams und digitalen Arbeitsumgebungen gegenüberstehen.

5.1.2.1 Forschungsstand zu Belastungen und Ressourcen bei operativer Führung

Aufbauend auf von Wegge und Rosenstiel (2004) ist für die ‚traditionelle‘ Führungsarbeit davon auszugehen, dass sie stark kommunikativ geprägt ist; dabei spielt der Austausch auf gleicher Hierarchieebene und mit Vorgesetzten eine zentrale Rolle. Charakteristisch ist zudem eine extreme Fragmentierung der Tätigkeiten, insbesondere auf den unteren Führungsebenen, ausgelöst durch häufige Anstöße bzw. Unterbrechungen durch Stakeholder (s. o.); dies führt insgesamt zu einer begrenzten Planbarkeit der Tätigkeiten.

Hinsichtlich der Belastungen und Ressourcen von Führungskräften wurden Faktoren wie hohe Arbeitsintensität bzw. quantitative Arbeitsbelastung, Zeit- und Termindruck sowie lange Arbeitszeiten als Risiken für die Entstehung psychischer Beeinträchtigung identifiziert. Belastungen von Führungskräften ergeben sich dabei aus Konflikten mit der Führungsrolle, wie z. B. Rollenambiguität, Konflikte zwischen Beruf und Privatleben (u. a. Zimber et al., 2015). Auch mangelnde Anerkennung und Wertschätzung (z. B. Zimber et al., 2018) werden in diesem Zusammenhang genannt. Die soziale Interaktion z. B. mit dem Team, Kolleg*innen oder der eigenen Führungskraft wird dabei ambivalent gesehen: Sie kann eine Belastung – z. B. in Form von Konflikten mit Vorgesetzten und Mitarbeitenden –, aber auch eine Ressource als Form von sozialer Unterstützung darstellen, z. B. durch regelmäßiges Feedback. Zudem werden die Handlungs- und Gestaltungsspielräume als Schutzfaktor gegen die Entstehung psychischer Beeinträchtigungen bei Führungskräften gesehen (Zimber et al., 2015).

Als Ressourcen von Führungskräften werden individuelles Bewältigungsverhalten, wie z. B. ein aktives Coping, das Gesundheits- bzw. Erholungsverhalten, Selbstorganisation, Selbstführung und Selbstbeeinflussung betont. Hinzu kommen Faktoren, die einen Bezug zur Qualität der Arbeitsaufgabe und der beruflichen Sinnerfüllung haben, wie z. B. abwechslungsreiche bzw. herausfordernde Aufgaben oder Kohärenzerleben (Busch & Steinmetz, 2002).

Für operative Führungskräfte wurde die Bedeutung dieser Aspekte u. a. in der Untersuchung von Pangert und Schüpbach (2011) deutlich: Im engen Zusammenhang mit Befindensbeeinträchtigungen standen dort Zeitdruck, emotionale und kognitive Widersprüche sowie auch soziale Stressoren. Richmond und Skitmore (2006) ermittelten für IT-Projektleitende als Risikofaktoren u. a. Zeitdruck und Arbeitsüberlastung sowie Team- bzw. Rollenkonflikte, Kommunikationsprobleme, widersprüchliche Anforderungen, Verantwortung unter Unsicherheit, aber auch den Umgang mit neuer Technologie. Bei Smith et al. (2011) gaben IT-Projektleitende an, dass zu wenig Zeit der Hauptgrund für Stress sei. Fehlende Unterstützung durch die eigene Führungsperson oder das Management wurde als hinderlich für den Projektfortschritt gesehen. Als unterstützende Ressourcen wurden u. a. Feedbackprozesse, ein positives Umfeld und ein kompetentes Team gesehen, während die Unsicherheit darüber, ob das Team die Fähigkeiten/Kompetenzen für das Projekt besitzt, belastungskritisch auf IT-Projektleitende wirkte. Roth (2015) nennt für Führungspersonal aus dem Dienstleistungssektor Unterbrechungen durch Telefonate und Kollegen, starken Zeitdruck, Informationsdefizite und widersprüchliche Arbeitsanforderungen, häufig in Kombination mit hoher Arbeitsintensität, als am weitesten verbreitete Belastungen, gleichwohl ein Belastungsempfinden lediglich von 40 % der Befragten angegeben wird.

Insgesamt gibt es damit deutliche Anhaltspunkte für eine spezifische Belastungssituation bei der operativen Führung in den Unternehmen. Dabei konzentrieren sich die Befunde der ausgewerteten Studien auf psychische Belastungen wie

  • Zeitdruck und Auslastung (‚workload‘),

  • Ziel- und Rollenkonflikte,

  • Psychosoziale Belastungen,

  • Regulationsbehinderungen wie Unterbrechungen, Zusatzaufwand, und

  • Informationsdefizite/-probleme,

sowie auf Ressourcen wie

  • soziale Unterstützung durch Kolleg*innen oder Vorgesetzte,

  • Handlungs- und Gestaltungsspielraum,

  • Rollenklarheit,

  • Wertschätzung und Feedback,

  • Work-Life-Balance,

  • berufliche Sinnerfüllung, und

  • Bewältigungsressourcen.

5.1.2.2 Forschungsstand zur digitalen Führungsarbeit

Hinsichtlich digitaler Führungsarbeit sind darüber hinaus eine Reihe spezifischer Herausforderungen und Belastungen zu berücksichtigen: Digital vermittelte Formen der Zusammenarbeit erschweren es den operativen Führungskräften, Transparenz und Kontrolle über die Arbeitsleistung der Teammitarbeitenden zu gewinnen. Herausfordernd für die digitale Führung ist dabei die Kombination aus einerseits Informationsüberflutung sowie vielfältiger Interaktion (‚Kommunikationsrauschen‘) – es handelt sich dabei um Situationen, in denen Mitarbeitende „aufgrund des technologischen Fortschritts mit Informationen überladen werden, die für ihre Arbeit nicht direkt relevant sind“ (Böhm et al., 2017, S. 17) –, und andererseits dem begrenzten Zugriff auf steuerungs- und koordinationsrelevante Informationen zur Arbeit einzelner, ‚remote‘ tätiger Teammitglieder.

Die Leistungsbeiträge einzelner Teammitglieder sind für die Führungskräfte dabei oft schwerer erkennbar, weil der Kontakt seltener und indirekt erfolgt (Staar et al., 2019). Dies führt zu Unsicherheit in der Kommunikation und in der Steuerung der Prozesse (Breuer et al., 2017). Das, was in Teams bei direkter Zusammenarbeit – quasi ‚nebenbei‘ – als Überblick über Leistungsbeiträge entsteht, muss in digital vermittelten Arbeitskontexten gezielt hergestellt werden.

Operative Führungskräfte sind bei digitaler Führung kontinuierlich in mehrere parallele Informationsflüsse (Seidler et al., 2018) eingebunden – bis hin zu einem quasi ungeregelten Multitasking. Neue Systeme und Kommunikationswege ersetzen dabei i. d. R. nicht die vorhandenen Mittel, sondern kommen ‚on top‘ hinzu. Diese parallele Nutzung trägt zur Wahrnehmung einer ‚Informationsflut‘ bei, der sich die operativen Führungskräfte oft ausgesetzt sehen (u. a. Schulz-Dadaczynski et al., 2019). Dabei kann es verstärkt zu störenden Unterbrechungen, gerade bei der Bearbeitung konzentrationsintensiver Aufgaben kommen. Gleichzeitig verkürzen sich im virtuellen Kontext die erwarteten Reaktionszeiten auf Anfragen in den Teams (z. B. in mitlaufenden Chats); insgesamt ist deshalb von einer zunehmenden Dynamisierung der Abläufe in den Teams auszugehen (insg. Korunka & Hoonakker, 2014), die auch die operativen Führungskräfte betrifft.

Diese Führungskräfte sind in vielerlei Hinsicht von der Motivation und Kooperationsbereitschaft der Teammitglieder für den Team- bzw. Projekterfolg und die Bewältigung der gemeinsamen Aufgaben abhängig (Boes & Kämpf, 2019): Wegen dieser Abhängigkeit ist die Motivierung der Teammitglieder eine Aufgabe, die bei reduzierten Kontakten gezielt anzugehen und damit tendenziell aufwändiger und schwieriger ist. Die Abhängigkeit führt zudem dazu, dass sich Spannungen in den Teams schnell zu emotionalen wie sozialen Belastungen gerade für die operativen Führungskräfte entwickeln können, ohne dass umgehend geeignete Lösungswege umsetzbar sind. ‚Hierarchische‘ Anweisungen oder Sanktionen sind dabei zumindest zwiespältig: Möglicherweise lassen sich damit kurzfristig Konflikte eindämmen, aber gleichzeitig kann durch Effekte auf persönlicher bzw. Interaktionsebene die langfristige Kooperation im Team beeinträchtigt werden. Dies kann wiederum zusätzliche Anstrengungen zum Vertrauensaufbau und -erhalt notwendig machen. Das ist zwar nicht grundsätzlich neu, denn auch früher gab es schon bei Projekt- bzw. Teamarbeit Situationen, in denen sich die Kooperationsbeteiligten lediglich durch Telefonate kannten. Während das früher aber eher die Ausnahme war, ist es heute vielfach der Regelfall. Die angesprochene Dynamisierung kann zu einer Verschärfung der Effekte solcher Handlungsmuster beitragen.

In virtuellen Teams ist Personalführung tendenziell aufwändiger als dies bei traditioneller Führung der Fall war; weniger und weniger intensive persönliche Kontakte und Bindungen müssen gezielt kompensiert werden: Dies zeigt sich u. a. darin, dass Vertrauensaufbau bei fehlenden face-to-face (ftf)-Kontakten oft Zusatzaufwand erfordert (Breuer et al., 2017), etwa zusätzliche Telefonate oder virtuelle Treffen, bei denen entstandene Unklarheiten bearbeitet werden müssen. Die Führungskräfte müssen gegebenenfalls für ein persönliches ftf-Kennenlernen im Team sorgen. Zudem steigt das ‚Vereinzelungsrisiko‘ bei Teammitgliedern, die ausschließlich im Home-Office arbeiten und damit in die Gefahr geraten, sozial abgekoppelt und ohne ausreichende Einbindung ins Team bzw. in den Arbeitsprozess tätig zu sein.

Bei weltweit verteilten Teams ist es häufig wegen der unterschiedlichen Lage der Arbeitszeiten notwendig, dass Teamtreffen und Kommunikation in die Morgen- oder Abendstunden gelegt werden müssen, um ‚remote‘ Beschäftigte bei überlappender Arbeitszeit aller Beteiligten einzubinden. Dies kann zu einer Entgrenzung der Arbeitszeit der operativen Führungskräfte beitragen, und Regeneration und Work-Life-Balance beeinträchtigen.

Schließlich ist für digitales Führen von zunehmenden technischen Kompetenz-Anforderungen an operative Führungskräfte auszugehen, insbesondere, wenn etwa neue Groupware- oder Collaboration-Systeme eingeführt werden (oder nicht gut in die technische Arbeitsumgebung integriert sind). Operative Führungskräfte müssen sie sicher beherrschen und einsetzen können (zur Nutzung neuer Medien vgl. Gilson et al., 2015). Dies ist eine potenzielle Quelle für Regulationsbehinderungen; deshalb sind Probleme z. B. durch unstrukturierte Ablagen auf Speicherlaufwerken, durch den Einsatz unterschiedlicher Informationstechnologien (Müller, 2018) oder durch den mangelhaften Zustand von Softwarelösungen, die als komplex und wenig zuverlässig von den Beschäftigten wahrgenommen werden (Buchtal, 2014), auch für operative Führungskräfte ein Risikofaktor.

Diese Führungskräfte sind schließlich durch ihre Position in der Organisation in einer Doppelrolle als Geführte und Führende: Häufig werden sie selbst digital geführt; damit fällt z. T. eine alltägliche, informelle Rückmeldung durch die Vorgesetzten als Ressource aus, wenn dies nicht explizit organisiert ist. Eine gesicherte Unterstützung ‚von oben‘ ist häufig nicht zeitnah verfügbar (Roth & Müller, 2017).

Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass die Tätigkeit von virtuellen Führungskräften spezifische Herausforderungen mit sich bringt: Für die Personalführung ergibt sich Zusatzaufwand durch zusätzlich erforderliche Kommunikation für den Aufbau einer vertrauensvollen Zusammenarbeit. Dies führt dazu, dass digitale Führung insgesamt tendenziell zeit- und ressourcenintensiver als ftf-Führung sein kann (Hoch & Kozlowski, 2014). Sowohl Arbeitsunterbrechungen, Informationsüberflutung, Kommunikationsrauschen als auch ein zusätzlicher Aufwand (um Informationsmängel zu beseitigen) sind vor diesem Hintergrund als Belastungsfaktoren zu berücksichtigen. Einerseits ermöglichen die eingesetzte technische Infrastruktur bzw. die digitalen Medien die skizzierte Tätigkeit der operativen Führungskräfte erst in der aktuellen Form, sie können aber die Gefahr einer zeitlichen Entgrenzung der Arbeit erhöhen oder technische Probleme mit sich bringen; die Abhängigkeit von der Technik kann z. B. bei zeitweisem Ausfall oder schlechter, ‚unintuitiver‘ Bedienbarkeit zu Regulationsbehinderungen führen. Zudem ist die kontinuierliche Aktualisierung der technischen Kompetenzen erforderlich, was z. B. unter Zeitdruck nicht angemessen zu leisten ist (Aneignungsbehinderungen).

5.1.2.3 Ausgewählte Befunde aus den Interviews

Um vor diesem Hintergrund die spezifischen Bedingungen digitaler Führung durch operative Führungskräfte unter aktuellen Bedingungen (Stand: Frühjahr 2019) zu erfassen, wurden ergänzende Interviews durchgeführt, in denen die Anforderungen, Belastungen und Ressourcen der operativen Führungskräfte in den Unternehmen erfragt wurden. Insgesamt führten wir dafür zwölf Interviews mit 13 Personen, die Auskunft zur Arbeitssituation unserer Zielgruppe geben konnten. Die Interviews dauerten jeweils etwa eine Stunde. Sie wurden in zwei IT-Services-Unternehmen großer Konzerne durchgeführt.Footnote 1 Unter unseren Gesprächspartner*innen waren sowohl operative Führungskräfte wie Unternehmensvertreter* innen aus Funktionsbereichen (wie z. B. HR und Betriebsrat). Die Gespräche wurden aufgezeichnet, transkribiert und die in den Interviews angesprochenen Themenbereiche (in Bezug auf Rahmenbedingungen, Belastungen und Arbeits- und Bewältigungsressourcen) qualitativ mit Hilfe des Softwarepaketes MAXQDA ausgewertet.

So wurde in diesen Interviews die anhaltend hohe Gesamtbelastung, der die operativen Führungskräfte offenbar ausgesetzt sind, vor allem durch eine Interviewaussage pointiert benannt: Solange alles wie geplant laufe, ließe sich die Arbeit bewältigen; sobald aber Unvorhergesehenes eintrete, habe dies Auswirkungen auf die gesamte Arbeit, weil alle Planungen ‚zeitlich ins Rutschen‘ kämen. Dies führt zu temporären Hoch- bzw. Überlastphasen: In mehreren Gesprächen berichteten Interviewte über länger anhaltende Überlastungserfahrungen aus der Vergangenheit, die z. T. zu Befindensbeeinträchtigungen und Motivationsverlust geführt hätten.

Eine häufig genannte Belastung sind Aneignungs- bzw. Lernbehinderungen, konkret in Form von fehlender Einarbeitungszeit z. B. für Methoden oder Tools, die eigentlich als Arbeitsunterstützung dienen sollen. Die Einarbeitung erfolge z. T. am Wochenende; Angebote dazu während der Arbeitszeit könnten nicht genutzt werden, weil durch die Prioritäten des Alltags hierfür die Kapazität fehle.

Relativ selten berichteten unsere Interviewpartner*innen – entgegen den Befunden der Literaturrecherche – von Problemen durch Arbeitsunterbrechungen: Zwar sind Chat-Anfragen, E-Mail-Häufung und Video-Calls oder Anrufe bei der Arbeit sehr verbreitet. Eine Interviewpartnerin beschrieb dies aber als unumgänglichen Teil der Arbeitsaufgabe, weil der Kern der Arbeit in der Kommunikation mit dem Team liege:

„Wie gesagt, meine Art zu arbeiten ist sozusagen ständig mit Mail und Jabber und Telefon zu arbeiten, und deswegen ist das für mich keine wirkliche Unterbrechung, sondern Teil von dem was ich den ganzen Tag mache. Das heißt (…) dieses konzentriert Arbeiten würde dann ja eine Unterbrechung sein, wenn mich dann jemand „anjabbert“. Aber da ich ja Mails schreibe, die ja – keine Ahnung – 15 Min/20 Min dauern, und dann, die nächste Unterbrechung ist dann die nächste Mail oder der nächste Jabber. Deswegen ist das für mich nicht wirklich – also ich sehe es nicht als Unterbrechung.“

An dieser Aussage wird deutlich, dass die Wahrnehmung der Unterbrechung als Störung oder Behinderung des eigenen Handlungsablaufs bei dem Befragten von der Art der Tätigkeit abhängt, d. h. – wie in diesem Fall – kommunikationsintensive Arbeiten weniger von als solchen wahrgenommenen Arbeitsunterbrechungen betroffen sind als konzentrationsintensive Tätigkeiten.

Die skizzierte Ambivalenz der technischen Unterstützung, die hilfreich und gleichermaßen beeinträchtigend sein kann (und so z. B. zu Zeitdruck und Priorisierungsproblemen beiträgt), wird in einer anderen Interviewpassage plastisch geschildert:

„Also ich denke bei mir kommt das sehr häufig vor, allein durch die Mail-Flut und dass diese vielen Kommunikationsmöglichkeiten, die wir haben – das ist gleichzeitig Fluch und Segen, meines Erachtens. (…) Meetings werden direkt in die Kalender eingetragen ohne irgendeine Übergangszeit. Deshalb kam ich ja auch zu spät jetzt hier rein (…) Es werden, es werden sehr viele Mails geschrieben. (…) Es gibt auch irgendwelche Angewohnheiten, dass Mails an große Verteiler geschickt werden, aus denen nicht eindeutig hervorgeht: ‚Habe ich jetzt was damit zu tun oder habe ich nichts zu tun?‘. Also gucke ich mal rein und lese es und dann überlege ich mir, wie ich es für mich priorisiere – ob ich es gleich verarbeiten muss. (…) Also ich habe kurz vor Weihnachten habe ich eine Mail bekommen, da waren 300 Empfänger drauf – finde ich heiß.“

Daneben wurden in den Interviews häufig Zusatzaufwände als störende Belastungen genannt: So u. a. zusätzlicher Koordinationsaufwand durch Planen mehrerer Meetings mit Teammitgliedern an den unterschiedlichen Standorten, um die asynchronen Arbeitszeiten in den Zeitzonen weltweit abzudecken. Die Zusammenarbeit mit global verteilten Teams wurde von den Gesprächspartner*innen im Hinblick auf Zeitzonen und kulturelle Unterschiede als herausfordernd und hinderlich für die Projektarbeit geschildert, weil sie mit erschwerter Kommunikation (durch fehlende persönliche Ebene in der Interaktion) und Missverständnissen einhergehen. Die Kommunikation über technische Medien wird durch Unterschiede in der Sprachkompetenz erschwert: Englisch wird dabei generell als Verkehrssprache genutzt. Die (bei weltweit verteilten Teams) auftretenden sprachlichen und kulturellen Unterschiede führen häufig zu Zusatzaufwand, wenn etwa zwei nicht muttersprachliche Sprecher sich über komplexe Zusammenhänge in Englisch verständigen müssen und dies neuen Klärungsbedarf nach sich zieht. Abweichende Auffassungen und Wahrnehmungen führen zu E-Mail-„Kaskaden“, in denen versucht wird, aufgetretene Unklarheiten oder Missverständnisse schriftlich zu klären.

Dabei hat die technische Infrastruktur in den Unternehmen, in die wir Einblick bekamen, insgesamt offenbar eine zufriedenstellende Qualität erreicht und läuft verlässlich. Sie wird als positiv wahrgenommen, weil dadurch auch weniger aufwändige Fernreisen anfallen.

Im Arbeitsalltag der operativen Führungskräfte ergeben sich Ressourcen sowohl aus der Organisation der Arbeit (z. B. alternierende Telearbeit) als auch aus der Nutzung von Unternehmensangeboten (z. B. technische Tools). ‚Soziale Unterstützung‘ wurde uns in den Gesprächen in zwei Formen als hilfreich geschildert: Einerseits kurzfristig, als Unterstützung durch Kollegen und Kolleginnen, die durch ihre Einschätzungen und Kenntnisse zu einer aktuellen Problemlösung beitragen können, sowie andererseits langfristig, z. B. durch aufgebaute Netzwerke mit Fachkolleg*innen, die als Vertraute in einer Art Mentor*innenrolle bei der Einordnung von Konflikten oder Entwicklungen im Unternehmen helfen können. Dies hat den Charakter eines ‚sozialen Kapitals‘, das bei Bedarf genutzt werden kann.

Vor allem die Beständigkeit des Teams und das dabei entstehende Vertrauensverhältnis wurden in den Interviews als wichtige Grundlagen einer erfolgreichen virtuellen Zusammenarbeit betont:

„In den letzten Jahren ist es eher so, dass wir hier dann mit den virtuellen Tools arbeiten, was ich aber wie gesagt jetzt nicht als unbedingten Nachteil empfinde, weil die Fluktuation bei mir im Team, die ist, was das eigeninitiative Verlassen des Teams betrifft, quasi null oder fast null. Das ist sehr beständig, (…) und klassisch ist halt eben auch das Vertrauensverhältnis der Kollegen untereinander, die jetzt schon (mehrere Jahre; Anm. d. V.) bevor ich in das Team kam, zusammenarbeiten, schon groß, und dann geht es auch insgesamt virtuell gut.“

Gemeinsame Workshops zum Kennenlernen werden z. B. beim Projektstart überwiegend als hilfreich angesehen, was anschließend auch die digital vermittelte Zusammenarbeit erleichtere. Die Möglichkeit dazu ist allerdings von den verfügbaren Budgets abhängig; bei schwieriger ökonomischer Situation des Unternehmens wird vielfach zuerst hier gespart. Andererseits stehen mehrere Gesprächsparner*innen der Einsparung solcher oft mehrtägigen Dienstreisen durch medienvermittelte Kommunikation positiv gegenüber, die sonst als anstrengend eingestuft werden.

Daneben nannten die Gesprächspartner*innen ihre eigene Einstellung und ihre Erfahrungen im Umgang mit kritischen Situationen als relevante Ressourcen. Um mit belastenden Situationen in der Arbeit umzugehen, nutzen sie das Spektrum der Möglichkeiten, die sich aus ihrer Position ergeben: Sie delegieren, reorganisieren, priorisieren und ziehen Grenzen, indem sie die eigene Erwartungshaltung kommunizieren sowie Ideen und Vorschläge zur Lösung einer Situation einbringen.

Zusammenfassend zeigt sich das insgesamt hohe Arbeitsvolumen der Interviewpartner*innen, das sich oft in Termindruck oder Aneignungsbehinderungen niederschlägt. Herausforderungen ergeben sich zudem durch zusätzlichen Koordinationsaufwand mit Teammitgliedern, die global verteilt arbeiten. Als Ressourcen nannten die Gesprächspartner*innen sowohl individuelle Bewältigungsressourcen als auch die soziale Unterstützung durch das Team, die Kolleg*innen und die Führungskraft.

5.1.3 Theoretische Konzepte und praktisches Vorgehen

Die aus diesen Herausforderungen resultierenden unterschiedlichen Belastungs- und Ressourcenmuster machen es schwierig, mit regulierenden Maßnahmen auf Unternehmensebene zur Arbeitsgestaltung beizutragen. Insofern war es, wie angesprochen, für unser Vorgehen zweckmäßig, für operative Führungskräfte entsprechend individualisierte, situationsangepasste Lösungsmöglichkeiten für unterschiedliche Problemlagen zu erarbeiten. Sowohl in den Forschungsbefunden als auch in unserer Interview-Vorstudie zeigte es sich, dass die jeweils konkrete Ausprägung der Arbeitssituation nicht ein-für-allemal gesetzt, sondern der Reflexion und damit der Veränderung durch die Handelnden zugänglich ist. Insofern bietet sich hier durch Belastungsabbau bzw. ein entsprechendes Ressourcenmanagement grundsätzlich die Möglichkeit, zu verbesserten Arbeitsbedingungen der operativen Führungskräfte beizutragen. Zum Belastungsabbau bzw. Ressourcenmanagement haben wir auf Basis des Belastungs- und Ressourcenkonzepts ein Feedback- und Reflexionstool entwickelt. Im Folgenden stellen wir zunächst das zugrundegelegte Belastungs- und Ressourcenkonzept kurz vor.

5.1.3.1 Belastungs- und Ressourcenkonzept

Ressourcen verstehen wir dabei als Handlungspotenziale, die von den Beschäftigten funktional unterstützend zur Bewältigung ihrer Anforderungen oder zur Reduzierung von Belastungen genutzt werden können (Gerlmaier, 2019a). Dabei wird im Sinne eines relationalen Belastungs- und Ressourcenkonzepts davon ausgegangen (Moldaschl, 2005; Gerlmaier & Latniak, 2007), dass Ressourcen erst im Gebrauch ihren Ressourcencharakter entfalten, und insbesondere ihre stressreduzierenden Wirkungen von äußeren und inneren Bedingungen der Arbeitssituation bzw. der Handelnden abhängig sind. Dies knüpft an Überlegungen zum Arbeitsanforderungs-Ressourcen-Modell an (u. a. Bakker & Demerouti, 2007), das davon ausgeht, dass es keine ‚universalen‘ Ressourcen gibt, die in allen Arbeitssituationen entlastend wirken, sondern die Ressourcenwirkung aus den jeweils tätigkeitsspezifischen Anforderungsmustern heraus entsteht.

Als mögliche Quellen gesundheitsförderlicher Ressourcen, die beeinflusst werden können, unterscheiden wir im Anschluss an die genannten Arbeiten (a) arbeitsorganisatorische und kapazitätsbezogene Ressourcen, die z. B. in Form von Handlungs- und Gestaltungsspielraum, Kapazitätspuffern oder Arbeitstandems (Gerlmaier, 2019b) stressreduzierend wirken können. Eine zweite wichtige Ressourcenquelle sind (b) soziale Ressourcen, wie das soziale Klima, soziale Unterstützung durch Kolleg*innen, oder das Führungsverhalten des oder der Vorgesetzten, für die stressmindernde Wirkungen als nachgewiesen gelten. Daneben gibt es (c) Qualifikationsressourcen, die z. B. durch arbeitsimmanentes Lernen präventive Effekte entfalten können. Hinzu kommen schließlich (d) persönliche und Bewältigungsressourcen, die der Aufrechterhaltung der Gesundheit dienen können, wie etwa Selbstmanagementfähigkeiten oder Erholungskompetenz.

Dabei handelt es sich häufig zunächst um organisational bereitgestellte bzw. verfügbare Optionen, die jeweils individuell genutzt werden können. Gemeint ist damit beispielsweise, dass eine Führungskraft z. B. Aufgaben und Verantwortlichkeiten delegiert; wie und in welchem Umfang das geschieht, ist dabei je nach den Bedingungen und Möglichkeiten individuell unterschiedlich. Die Nutzung schlägt sich zunächst allerdings als zusätzlicher Aufwand nieder, ermöglicht aber eine Reduzierung spezifischer Belastungen und kann damit zu einem verbesserten Beanspruchungsmanagement beitragen.

Hinsichtlich der Typisierung psychischer Belastungen, die wir im Tool berücksichtigt haben, schließen wir im Folgenden an das Konzept widersprüchlicher Arbeitsanforderungen an (Moldaschl, 2005), das postuliert, dass in der Arbeit spezifische Widersprüche zwischen Anforderungen, Regeln und Ressourcen bestehen, die von den Betroffenen nicht gelöst oder bearbeitet werden können. Stress (als Form der Beanspruchung) entsteht nach diesem Verständnis als Resultat einer unzureichenden Ressourcensituation für die Bewältigung der Anforderungen bzw. der Folgen solcher widersprüchlichen Konstellationen, d. h. es liegt zusätzlich eine Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten der Betroffenen vor. Für die Arbeit in IT-Projekten wurden fünf Widerspruchstypen identifiziert und operationalisiert (Gerlmaier & Latniak, 2007), denen jeweils spezifische Belastungen zugeordnet werden können: Neben (1) Zielwidersprüchen sind dies (2) Widersprüche zwischen Anforderungen und Ausführungsbedingungen, (3) zwischen Aufgaben und Aneignungsbedingungen (Aneignungsbehinderungen), (4) zwischen subjektiven Erwartungen und betrieblichen Zielen sowie (5) zwischen Arbeits- und Lebensweltanforderungen (work-life-balance).

Die angesprochene Nutzung oder Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten wirkt zunächst auf drei Wegen auf die Bearbeitung der Arbeitssituation:

  1. (1)

    Durch Verhandeln von Terminen oder Arbeitsvolumina oder durch Aufbau von Puffern (z. B. durch Delegieren von Aufgaben) kann entlastender Zeit- oder Handlungsspielraum gewonnen werden.

  2. (2)

    Das Fehlen einer Ressource, wenn etwa soziale Unterstützung durch den Vorgesetzten fehlt, kann z. B. zu Überforderung beitragen.

  3. (3)

    Ressourcen können – wie erwähnt – den Charakter eines ‚sozialen Kapitals‘ haben, das bei Bedarf (z. B. zur Absicherung von Einschätzungen) genutzt werden kann. Dies ist insgesamt eher latent wirksam.

Die skizzierten Belastungen und Ressourcen können im alltäglichen Arbeitshandeln verändert werden: Für operative Führungskräfte bietet ein reflektiertes Ressourcenmanagement einen geeigneten Ansatzpunkt zur gesundheitsförderlichen und produktiven Verbesserung der Arbeitssituation. Ein solches individuell ansetzendes Ressourcenmanagement umfasst die Reflexion und Gestaltung der Arbeitssituation. Dabei sind Lösungen angepasst an die jeweiligen Bedürfnisse und Bedingungen zu erarbeiten. Wir knüpfen damit an Vorerfahrungen aus früheren Projekten zur Arbeitsgestaltung im IT-Sektor (Gerlmaier & Latniak, 2007; 2011) an: Im Kontext von Teamtrainings wurden damals mit Diagnosefragebögen und Feedbackgesprächen Impulse für eine Verbesserung der individuellen Arbeitssituation der Teilnehmenden vermittelt. Dieses Vorgehen sollte für die individuellen Reflexions- oder Beratungssituationen bzw. Coaching-Ansätze für operative Führungskräfte fruchtbar gemacht und mit geeigneten Hilfsmitteln unterstützt werden.

5.1.3.2 Feedbackgespräche als Ansatzpunkt für Coaching

Coaching wird nach Rauen (2014) verwendet als Sammelbegriff für personenzentrierte Beratungsleistungen. Es richtet sich grundsätzlich auf die Stärkung bzw. den Aufbau von Autonomie und Selbstregulation des oder der Klienten*in durch Förderung von Selbstreflexion und Verantwortung, um damit zu höherer Selbstwirksamkeit im organisatorischen Kontext beizutragen. Dies geschieht in Gesprächen, die einen geschützten Raum darstellen, in dem die Interaktion zwischen Coach und Klient*in dazu genutzt wird, mit transparenten Vorgehensweisen auf ein vereinbartes Entwicklungsziel zuzuarbeiten. Grundprinzipien für Coachings sind deshalb die Freiwilligkeit der Teilnahme, persönliche Akzeptanz und Wertschätzung der Gesprächsbeteiligten sowie Diskretion und Vertraulichkeit des Besprochenen.

Die von uns geführten Feedbackgespräche führen u. a. Überlegungen von Busch und Steinmetz (2002, S. 394) weiter, Einzelcoaching als ergänzende Maßnahme für Führungskräfte zu nutzen, um die stressbezogene Reflexion der eigenen Tätigkeit bei höherer Vertraulichkeit besser bearbeiten zu können. Zudem sollte ein „Einzelcoaching im Bereich Gesundheit und Stressmanagement […] an die Besonderheiten des Einzelfalls und an die organisationalen Kontextbedingungen [… angepasst werden]“ (Greif, 2011, S. 368; Auslassungen durch d. V.). Laut Greif und Bertino (2018) schätzen es Personen im Coaching, wenn im Vorfeld des Gesprächs eine Analyse der Belastungsfaktoren erfolgt und empfehlen, die Ressourcen ebenfalls zu erfassen. Die konkrete Problemanalyse – zusammen mit einer Motivationsklärung – können dabei hilfreich sein, „um bei Klienten vorhandene Ressourcen zu aktivieren und selbstständig zu einer Verhaltensmodifikation zu gelangen.“ (Hautzinger, 2018, S. 629).

Die durchgeführten Gespräche, in denen wir dies umzusetzen versuchten, haben wir als Feedback-Gespräche bezeichnet; wir verstehen sie als ein Reflexionsangebot, bei dem mit den Gesprächspartner*innen die Schwerpunkte der Ressourcen und Belastungen besprochen und anknüpfend daran konkrete Verbesserungsvorschläge erarbeitet wurden. Dabei haben wir eine Entwurfsfassung des Feedback- und Reflexionstools als Fragebogen eingesetzt, der zu Beginn des Gesprächs von den Teilnehmenden ausgefüllt wurde. Für das Tool wurde dies in Hinweise auf potenzielle Ressourcendefizite und Belastungsschwerpunkte sowie darauf bezogene Gestaltungsvorschläge umgesetzt, um dies im Dialog mit Vertrauten oder in Coachingsituationen nutzen zu können.

Die Anforderungen, denen ein solches Instrument genügen sollte, lassen sich zunächst mit drei Kriterien beschreiben: Es sollte (1) die wesentlichen Variablen abbilden, die für die Beanspruchungsentstehung von Führungskräften relevant sein können. Es sollte (2) im Gesprächskontext einfach handhabbar sein, um ohne großen Aufwand die Befunde zu zeigen (und gegebenenfalls ins Gespräch einbinden zu können). Es sollte (3) effizient sein und schnell die Erarbeitung von Handlungsmöglichkeiten erschließen können. Dies sehen wir als Heuristik, die die zentralen Belastungsfaktoren sowie Arbeits- und Bewältigungsressourcen in Form von Einzelfragen und Kurzskalen berücksichtigt. Eine Übersicht über die Faktoren zeigen Tab. 5.1 und Tab. 5.2.

Tab. 5.1 Ressourcen
Tab. 5.2 Belastungen

Für die Belastungen wurden folgende Aspekte berücksichtigt (vgl. zur Struktur Gerlmaier & Latniak, 2007):

Daneben werden ergänzende Fragen zu den individuellen und organisatorischen Rahmenbedingungen gestellt (u. a. zu Arbeitszeit und -orten, Zeitdifferenzen im Team sowie Einschätzungen zu Teamkapazität, -stabilität und -kompetenzen (Chudoba et al., 2005; Boos et al., 2017; Reif et al., 2018; Smith et al., 2011).

Ergänzt wurde dies Output-seitig durch Fragen zu arbeitsbedingter Motivierung, psychischem Erleben (Stress bzw. Burnout) und Befindensbeeinträchtigungen (u. a. Hacker & Rheinhold, 1999; Mohr et al., 2005 in der Fassung von Gerlmaier, 2011b; Maslach & Jackson, 1984 in der Fassung von Böhm et al., 2017; Fahrenberg, 2004 in der Fassung von Gerlmaier, 2011b).

5.1.3.3 Weitere Hinweise zum Vorgehen

Die durchgeführten Feedbackgespräche wurden überwiegend im direkten Kontakt im Unternehmen durchgeführt (sowie ein Video-basiertes Gespräch) und dauerten zwischen 90 und 120 min. Die Gesprächsinhalte sowie die konkreten Empfehlungen und Anregungen wurden dokumentiert, ebenso wie positive Erfahrungen der Gesprächspartner*innen. Für die Durchführung und Auswertung sicherten wir Anonymität zu; zur Dokumentation wurden keine Mitschnitte der Gespräche, sondern schriftliche Gesprächsprotokolle angefertigt. Nach jedem Gespräch erhielten die Teilnehmenden ein Kurzprotokoll mit zentralen Ergebnissen des Diagnoseinstruments, den wesentlichen Inhalten des Gesprächs und den Gestaltungsvorschlägen sowie der Anregung, diese auszuprobieren. Der Feedbackbogen diente als Erinnerungshilfe nach dem Gespräch.

Dabei ist insgesamt zu berücksichtigen, dass die Durchführung der Feedbackgespräche ausschließlich mit freiwillig Teilnehmenden erfolgte. Dies ist zum einen dadurch bedingt, dass Coaching-Gespräche auf freiwilliger Basis durchgeführt werden sollten, zum anderen birgt es das Risiko der Verzerrung der Stichprobe, bei der mglw. nur Interessierte mit verfügbarer Kapazität teilnehmen, während akut Überlastete sich dafür eher keine Zeit nehmen.

Die für die Feedbackgespräche gewählte Vorgehensweise wird soweit möglich für das Tool sowie für die Gestaltungsempfehlungen übertragen: Auf Grundlage des ausgefüllten Diagnosebogens wurden in den Gesprächen durch Leitfragen mögliche individuelle Gestaltungskorridore ausgelotet. Grundprinzip war dabei, zunächst Belastungsschwerpunkte zu thematisieren, deren Zustandekommen von den Gesprächspartner*innen erläutert wurde. Anschließend wurden Wege zur Reduzierung gesucht. Zum anderen wurden Arbeits- und Bewältigungsressourcen ermittelt und bei schwach ausgeprägter Nutzung nach Wegen zu einer Optimierung gesucht. Das Vorgehen ist dabei insgesamt als Heuristik zu verstehen, die mit überschaubarem Aufwand möglichst schnell erste hilfreiche Ergebnisse für die Nutzenden liefern soll.

Bei den Gesprächen erfolgte zudem bei Bedarf eine kurze Information zum besseren Verständnis von Zusammenhängen und möglichen Ansatzpunkten des Ressourcenmanagements, z. B. zum Verhältnis von Verausgabung und Regeneration (mit Hinweisen u. a. zu Detachment, Abgrenzungen durch Alltags-‚Rituale‘, Sichern von „Me-Time“ und positiven Erlebnissen sowie Regeneration durch Ausdauersport) oder zur Wirkung von Kurzpausen. Die Belastungs- und Ressourcensituation der Teilnehmenden und die im Zuge der Gespräche entwickelten Handlungs- und Gestaltungsempfehlungen werden im Folgenden beschrieben.

5.2 Ressourcenmanagement für operative Führungskräfte in virtuellen Kontexten – Optionen der Gestaltung und Regulierung

Nachdem der konzeptionelle Hintergrund für Instrument und Vorgehen erläutert wurde, werden im Folgenden die explorativen Befunde zur Ressourcen- und Belastungssituation der teilnehmenden operativen Führungskräfte (TN) der durchgeführten Feedbackgespräche beschrieben und darauf aufbauend Handlungsempfehlungen für Gestaltung und Regulierung der Arbeitssituation abgeleitet, die zu einem verbesserten Ressourcenmanagement der TN beitragen sollen. Hierzu wird zunächst kurz die Durchführung der Feedbackgespräche dargestellt und die Arbeitsituation der Befragten skizziert.

5.2.1 Durchführung der Feedbackgespräche

Im Rahmen des Projekts wurden in der zweiten Jahreshälfte 2019 insgesamt 24 Feedback-Gespräche mit freiwillig Teilnehmenden durchgeführt, 23 dieser Gespräche erfolgten face-to-face sowie eines Video-basiert; sie dauerten zwischen 90 und 120 min. Die Feedbackgespräche wurden schwerpunktmäßig mit Teilnehmenden in Unternehmen im IT-Services-Bereich durchgeführt, die Teams bzw. Projekte überwiegend mit Entwicklungs- und Serviceaufgaben leiten. Wir waren vor allem in einem IT-Service-Tochterunternehmen eines großen Konzerns aktiv, in dem wir die überwiegende Mehrzahl der Gespräche (22) geführt haben; 23 Teilnehmende waren im IT- bzw. Softwareentwicklungsbereich tätig, ein Teilnehmender arbeitete in der Forschung.

An den Gesprächen waren 17 männliche TN und sieben weibliche TN beteiligt. Alle befragten Führungskräfte befanden sich in einer festen Beziehung. Zwölf Teilnehmende hatten ein oder mehrere Kinder, die zum Gesprächszeitpunkt im Haushalt lebten. Sie verfügten überwiegend über langjährige Führungserfahrung; 18 hatten dabei zwischen 5,5 und 25 Jahren, sechs hatten deutlich weniger als 5,5 Jahre Führungserfahrung vorzuweisen. Zum Gesprächszeitpunkt waren drei Befragte zwischen 31 und 40 Jahren alt, acht waren zwischen 41 und 50, zwölf zwischen 51 und 60 Jahren alt, und eine Person war älter als 60 Jahre. 16 TN gaben an, zum Gesprächszeitpunkt disziplinarisch für ihre jeweiligen Teams verantwortlich zu sein. Die Hälfte aller TN war (z. T. zusätzlich) in einer Projektleitungsposition. Die Teams, die diese TN leiteten, waren überwiegend relativ groß; 17 TN berichteten von mehr als zehn Mitarbeitenden im wichtigsten Projekt.

Der Ablauf der Feedbackgespräche war einheitlich: Nach einer Einführung zum Kontext des vLead-Projekts und ersten Informationen zu Aufgabe und Tätigkeit der TN füllten diese das Feedback- und Reflexionstool aus. Aufbauend darauf wurden dann im gemeinsamen Gespräch die angegebenen Beanspruchungsindikatoren, Ressourcendefizite und Belastungsschwerpunkte besprochen, nach Gestaltungs- und Verbesserungsmöglichkeiten gesucht und Informationen, Empfehlungen bzw. Hinweise zu praktischen Ansatzpunkten eines verbesserten Ressourcenmanagements vermittelt. Dabei wurde jeweils auf das Zustandekommen bzw. den Hintergrund der Potenziale und Defizite eingegangen. Bei schwach ausgeprägten Arbeits- und Bewältigungsressourcen versuchten wir Wege einer Optimierung zu erarbeiten. Für die Belastungen wurden Reduzierungs- bzw. Bearbeitungsmöglichkeiten gesucht. Über die wichtigsten Befunde sowie die besprochenen und erläuterten Empfehlungen erhielten die Teilnehmenden nach wenigen Tagen ein schriftliches Feedback mit der Bitte, die angesprochenen Vorschläge zu testen und in ihren Arbeitsalltag zu integrieren.

Um die Einordnung der explorativen Befunde zu erleichtern, wird zunächst ein Überblick über die spezifische Arbeitssituation der TN gegeben, bevor die Befunde zu Ressourcen und Belastungen erläutert und die erarbeiteten Maßnahmen vorgestellt werden.

5.2.2 Skizze der Arbeitssituation

Zum Zeitpunkt der Gespräche war virtuelles Arbeiten für die TN normaler Arbeitsalltag und weitgehend routiniert. Sie arbeiteten dabei – neben weiterhin üblicher Präsenztätigkeit – weitgehend digital vermittelt über Kollaborationsplattformen, Chats, E-Mail und Video- bzw. Telefonkonferenzen. Sie nutzten dafür vor allem Laptops und Smartphones (sowie den dazugehörigen Infrastrukturen), mit denen von unterschiedlichen Arbeitsorten auf zentrale Server zugegriffen wurde, über die (neben den Festnetz- und Mobilfunknetzen) die Kommunikation mit den Kolleg*innen ablief. Die Nutzung des Home-Office durch die TN wurde durch ein Desk Sharing-Konzept nahegelegt – die Mitarbeitenden hatten dabei kein eigenes Büro oder einen festen Arbeitsplatz, sondern suchten sich jeweils ihre Arbeitsplätze aus; auch Besprechungsräume wurden bedarfsweise gebucht. 17 TN arbeiteten mindestens einmal wöchentlich selbst im Home-Office (oder an anderen ‚externen‘ Orten). Insofern kann man hier für die TN von alternierender Telearbeit als Regelarbeitsform sprechen.

Die TN führten dabei in der Regel international zusammengesetzte Teams, die sich durch große Zeitzonendifferenzen sowie durch kulturelle Unterschiede der Teammitglieder auszeichneten. Diese arbeiteten sowohl u. a. an unterschiedlichen Unternehmensstandorten, bei Dienstleistungsunternehmen sowie am gleichen Standort. Man kann insofern hinsichtlich der räumlichen Zuordnung von ‚hybriden‘Teams sprechen, bei denen Arbeiten am Standort, im Home-Office, und (in geringerem Umfang) ‚von unterwegs‘ bei den Teammitgliedern und den operativen Führungskräften wechseln. 18 TN arbeiteten täglich mit Personen zusammen, die eine andere Sprache als Deutsch (ihre Muttersprache) sprechen, und 15 TN arbeiteten täglich mit Beschäftigten aus unterschiedlichen Zeitzonen zusammen. Bei elf TN betrug die maximale Zeitzonendifferenz zwischen den Teammitgliedern zwischen sechs und acht Stunden, sieben TN gaben eine Zeitzonendifferenz von zwölf Stunden an, was zu spezifischen Lösungen bei der Organisation von Teamsitzungen führte: Entweder wurden dort Gesamtteam-Meetings in der Mittagszeit durchgeführt, um die Teammitglieder in Amerika und Asien gemeinsam zu Beginn bzw. am Ende der jeweiligen Arbeitszeit zu erreichen, oder die Teilnehmenden führten zwei Teammeetings (morgens und abends) durch, um die Teammitglieder zu informieren, was zu entsprechendem Zusatzaufwand führte.

Einschätzungsunterschiede zeigten sich hinsichtlich der Qualität der digitalen Kommunikation, die über entsprechende Fragen im Tool erhoben wurde: Mit Personen aus dem deutschen Sprachraum wurde sie überwiegend als ‚gut‘ bis ‚sehr gut‘ (von 20 TN = 83 %, 5-stufige Antwortmöglichkeit) bewertet, mit Personen aus unterschiedlichen Zeitzonen ‚gut‘/‚sehr gut‘ (14 TN, = 61 %, N = 23). Die Qualität der digitalen Kommunikation mit Personen mit einem anderen sprachlichen bzw. kulturellen Hintergrund fiel etwas schlechter aus (‚gut‘/‚sehr gut‘: 13 TN = 54 %, N = 24). Die technische Infrastruktur lief dabei aus Sicht der Befragten weitgehend zufriedenstellend; lediglich individuelle technische Bedingungen einzelner Teammitglieder (z. B. instabile Leitungen oder mangelhaftes WLAN) führten zu Einschränkungen. Technisch verursachte Probleme traten bei der Zusammenarbeit nur fallweise auf: Während das für die Hälfte der Führungskräfte in den letzten sechs Monaten (vor der Erhebung) lediglich ‚manchmal‘ der Fall war, waren sechs (25 % ‚immer‘/‚oft‘) hiervon stärker betroffen. Insgesamt war die alltägliche Funktionsfähigkeit und Verfügbarkeit der Infrastruktur aber offenbar kein zentrales Problem für die TN, gleichwohl dies im konkreten Fall häufig mit Ärger und Zusatzaufwand einherging.

Das organisatorische Arbeitsumfeld der TN war durch häufige Restrukturierungsmaßnahmen und Änderungen in der Teambesetzung gekennzeichnet: In den letzten sechs Monaten vor dem Gespräch fanden bei 21 TN Veränderungen in der Teambesetzung statt, 18 TN waren von Restrukturierungsmaßnahmen am Standort betroffen und bei elf TN gab es einen Wechsel in den Arbeitsaufgaben bzw. im Aufgabenfeld. Von häufig wechselnden Aufgabenprioritäten und Zielen bei den teilnehmenden operativen Führungskräften und in ihrem Team berichteten zwölf TN (‚immer‘/‚oft‘).

Dabei befinden sich die Führungskonzepte in den IT-Unternehmen insgesamt im Umbruch hin zu agilen Methoden des Projektmanagements. Mit den neuen Rollen dieser Konzeption (wie z. B. Scrum Master oder Product Owner) und den veränderten Abläufen werden auch für die Teilnehmenden neue Arbeits- und Führungsanforderungen entstehen, die im Unternehmen nicht bruchlos umgesetzt werden können, wenn die ‚Restorganisation‘weiter ganz oder in Teilen nach den bisher praktizierten Führungs- und Steuerungsmustern agiert. Wie dieser Übergang in virtuellen Arbeitskontexten in den Unternehmen umgesetzt werden kann und welche Arbeitsbedingungen sich daraus ergeben werden, war zum Gesprächszeitpunkt offen.

Die Befragten arbeiten damit in einem bis in ihre individuellen Aufgabenzuschnitte hinein hoch dynamischen organisatorischen Umfeld bei teilweise schwierigen Kapazitätsvoraussetzungen: Während nämlich Motivation (von 17 TN) und Kompetenz (von 16 TN) der Teammitglieder für die anstehenden Aufgaben überwiegend als ‚gut‘oder ‚sehr gut‘ bewertet wurden, wurde die Personalkapazität für die anstehenden Aufgaben eher kritisch gesehen; hier gaben sieben Teilnehmende an, dass diese ‚schlecht‘/‚sehr schlecht‘ sei (sowie 13 TN ‚teils/teils‘).

5.2.3 Explorative Befunde

Im Folgenden stellen wir explorative deskriptive Ergebnisse der Feedback-Tools dar. Dabei sind zwei Einschränkungen zu berücksichtigen: (1) Wir haben das Instrument nicht als systematisches Befragungsinstrument zum wissenschaftlichen Nachweis von Wirkungszusammenhängen ausgelegt, sondern als heuristisches Hilfsmittel für einen praktischen Einsatz (z. B. bei der Reflexion der Arbeitssituation oder beim Coaching): Es sollte ein relativ kurzer, leicht handhabbarer Fragebogen auf Screening-Niveau sein, der bei den Feedbackgesprächen zur Gesprächseröffnung und zur Fokussierung der Maßnahmenentwicklung und Reflexion der Arbeitssituation eingesetzt werden kann. Dafür wurden Kurzskalen und Einzelitems genutzt. Mit dem Einsatz im Feld sollte zunächst dessen praktische Nutzbarkeit geprüft werden. Der Anspruch an die anschließend dargestellten explorativen Ergebnisse der deskriptiven Resultate ist entsprechend begrenzt; sie geben plausible Ansatzpunkte für konkrete Schritte wieder und Hinweise für weitergehende Forschungen. Die Qualität ist deshalb einerseits begrenzt durch die kleine Stichprobe sowie andererseits durch die Datengüte des genutzten Instruments. Die zweite Einschränkung liegt darin begründet, dass bei den Gesprächen ausschließlich freiwillig Teilnehmende mitwirkten. Dies birgt das Risiko einer systematischen Verzerrung der Resultate, da möglicherweise nur Interessierte mit verfügbarer Kapazität teilnehmen, während akut Überlastete sich dafür eher keine Zeit nehmen. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen halten wir es dennoch für sinnvoll, die explorativen Befunde vorzustellen. Zudem dienen sie als Basis für die Gestaltungs- und Regulierungsvorschläge im fünften Abschnitt dieses Unterkapitels.

5.2.3.1 Arbeits- und Bewältigungsressourcen

Die folgende Abbildung (Abb. 5.1) vermittelt einen ersten Überblick über die zehn von den TN am häufigsten angegebenen Arbeitsressourcen (5-stufige Antwortmöglichkeit von ‚trifft völlig zu‘ bis ‚trifft gar nicht zu‘). Insgesamt beschreiben die 24 TN eine für sie relativ günstige Ressourcensituation, bei der zunächst soziale Ressourcen sowie Rollen- und Aufgabenklarheit hervorstechen: Von den TN wurden jeweils zwei Items zur ‚Unterstützung durch Kolleg*innen‘und zur Rollenklarheit als die am häufigsten genutzten Ressourcen genannt (21 TN bzw. 19 TN).

Abb. 5.1
figure 1

Die am häufigsten genutzten Arbeitsressourcen in % (N = 24), 5-stufige Antwortmöglichkeit

Eine weitere wichtige Ressource ist für die TN offensichtlich die ‚berufliche Sinnerfüllung‘(drei Items, von 17-19 TN angegeben). Es folgten die ‚Unterstützung durch die Führungskraft‘(18 TN) sowie zwei Items zur Work-Life Balance (17 bzw. 18 TN).

Um mit belastenden Situationen in der Arbeit umzugehen, nutzten die TN eine ganze Reihe von Ressourcen, am häufigsten dabei das ‚Erweitern ihres Wissens‘, was von 19 TN ‚immer‘ oder ‚oft‘ genutzt wurde (5-stufige Antwortmöglichkeit von ‚immer‘ bis ‚nie‘), gefolgt von ‚besserer Planung/Organisation‘, was von 17 TN so angegeben wurde (s. Abb. 5.2). ‚Sich Distanz zur Arbeit verschaffen‘ und ‚sich mit Situationen abfinden, die nicht zu ändern sind‘ werden von jeweils 16 TN ‚immer‘/‚oft‘ angewandt. Als weitere, eher kognitive Coping-Ressourcen werden daneben von 15 TN genannt, sich den Sinn der Arbeit vor Augen zu führen sowie ‚Situationen mit Humor zu nehmen‘. Höhere Nutzungswerte erreichen zudem organisatorische Maßnahmen wie ‚das Delegieren von Aufgaben im Team‘ und ‚das Setzen von Prioritäten‘, ähnlich wie ‚das Sprechen über das, was passiert ist‘ – diese werden von jeweils 15 TN (‚immer‘/‚oft‘) angewendet sowie schließlich Kurzpausen, von 13 TN (‚immer‘/‚oft') eingesetzt.

Abb. 5.2
figure 2

Die am häufigsten genannten Bewältigungsressourcen, Items in % (N = 24 bzw. 23), 5-stufige Antwortmöglichkeit

Hinsichtlich der psychischen Belastungen (s. Abb. 5.3) zeigte sich, dass ‚Unterbrechungen bei der Arbeit durch andere Personen‘ und das ‚Erledigen beruflicher Dinge außerhalb der Arbeitszeit‘ von 17 TN jeweils am häufigsten (mit ‚trifft völlig zu‘/‚trifft eher zu‘) genannt werden. Als weiterer Entgrenzungsaspekt wurde von zwölf TN angegeben, in der Freizeit für Personen erreichbar zu sein, mit denen sie beruflich zu tun haben. Häufig genannte psychische Belastungen waren darüber hinaus ‚Schwierigkeiten an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen‘ (13 TN) und der Zusatzaufwand durch das Beschaffen von Informationen, die eigentlich vorliegen sollten (zwölf TN). Daneben wurde Zeitdruck (aufgrund von Terminvorgaben) genannt. Jeweils eine Frage zu Arbeitsunterbrechungen aufgrund fehlender oder fehlerhafter Zuarbeiten, zu Informationsüberflutung (‚keine effektive Info-Verarbeitung‘), zu Aneignungsbehinderung (‚fehlende Einarbeitungszeit‘) sowie zu Rollenkonflikten (‚Arbeit auf andere Weise tun‘) wurde von je neun TN mit ‚trifft völlig zu‘/‚trifft eher zu‘ angegeben.

Abb. 5.3
figure 3

Die am häufigsten genannten Belastungen, in % (N = 24), 5-stufige Antwortmöglichkeit

In der Summe zeigten sich damit für die TN einerseits Belastungsschwerpunkte bei eher ‚klassischen‘ Regulationshindernissen (wie Unterbrechungen, Informationsdefizite etc.) und Entgrenzungsaspekten sowie andererseits bei Zeitdruck, Informationsverarbeitungsproblemen und kritischen Bearbeitungsformen. Insgesamt betrachtet sind dies Indikatoren für einen hohen Workload der TN, die sich in Priorisierungsproblemen, Extensivierung der Arbeit und knapper Zeit u. a. für die individuelle Weiterentwicklung niederschlagen.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die am häufigsten genutzte Bewältigungsressource (‚Wissen erweitern‘) in einem Spannungsverhältnis zu den Bedingungen der Nutzung zu stehen scheint, da die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung von über der Hälfte der TN als schwierig eingeschätzt wird.

5.2.3.2 Unterschiede bei Ressourcen und Belastungen nach Beanspruchung

Um im nächsten Schritt konkretere Anhaltspunkte dafür zu gewinnen, welche Arbeits- und Bewältigungsressourcen sich auf die Beanspruchungssituation der TN auswirkten, haben wir anhand der verwendeten Beanspruchungsskalen (‚Stress‘ und ‚Burnout‘) mit einem Mediansplitt der Summenscore-Werte zwei Vergleichsgruppen gebildet, in denen dann 13 TN (höhere Beanspruchungswerte) bzw. elf TN (niedrigere Werte) waren. Die Übersicht folgt dabei der in Abschn. 5.1 entwickelten und vorgestellten Strukturierung der Ressourcen.

Deutlichere Unterschiede zwischen den Beanspruchungsgruppen zeigten sich bei Arbeits- und Bewältigungsressourcen zunächst für Aspekte der ‚Rollenklarheit‘ und für ‚Gestaltungsspielraum‘, wobei klarere Rollen und größerer Gestaltungsspielraum bei den geringer beanspruchten TN anzutreffen waren (s. Abb. 5.4). Zudem waren bei der Zielklarheit und bei der Aushandlungsmöglichkeit von Fertigstellungsterminen oder Arbeitsvolumen die Unterschiede im Vergleich der beiden Gruppen stärker ausgeprägt.

Abb. 5.4
figure 4

Nutzung von arbeitsorganisatorischen und kapazitätsbezogenen Ressourcen, in % (‚trifft völlig zu‘/‚trifft eher zu‘) im Vergleich nach Mediansplit (N1 = 13, N2 = 11)

Auch bei den sozialen Arbeitsressourcen (s. Abb. 5.5) wie Unterstützung durch Kolleg*innen oder durch Vorgesetzte zeigten sich nennenswerte Unterschiede: Insbesondere die Unterstützung durch Kollegen und Kolleginnen sowie Rückendeckung durch die eigene Führungskraft und Interesse der eigenen Führungskraft an der Gesundheit ergaben unterschiedliche Ausprägungen im Vergleich der Gruppen.

Abb. 5.5
figure 5

Nutzung von Team- und sozialen Unterstützungsressourcen, in % (‚trifft völlig zu‘/‚trifft eher zu) im Vergleich nach Mediansplit (N1 = 13, N2 = 11)

Beim Vergleich der Antworten zur Work-Life-Balance und zur beruflichen Sinnerfüllung (s. Abb. 5.6) lässt sich feststellen, dass es den höher beanspruchten TN offenbar nicht so gut gelingt einen Ausgleich zwischen belastenden und erholsamen Tätigkeiten in ihrem Leben zu erreichen (61,5 % vs. 81,8 %) oder die Anforderungen des Berufs- und Privatlebens gleichermaßen gut erfüllen zu können (69,2 % vs. 81,8 %). Sie gaben allerdings häufiger an, zufrieden mit der Balance zwischen Arbeit und Privatleben zu sein (75 % vs. 54,5 %). Gleichzeitig waren die Werte für berufliche Sinnerfüllung und Wertschätzung bei den höher beanspruchten Führungskräften stärker ausgeprägt: Sie erlebten ihre Arbeit als sinnvoll (84,6 % vs. 54,5 %), gaben zudem an, dass ihre berufliche Tätigkeit gut zu dem passe, was sie sich in ihrem Leben vorgenommen haben (84,6 % vs. 63,6 %), und sie erfuhren mehr Anerkennung und Wertschätzung für ihre Arbeit (69,2 % vs. 54,5 %).

Abb. 5.6
figure 6

Nutzung von persönlichen Ressourcen (Work-Life-Balance, Motivation und Wertschät-zung), in % (trifft völlig zu/eher zu) im Vergleich nach Mediansplit (N1 = 13, N2 = 11)

Auffällig war in den Gesprächen zu diesem Aspekt, dass viele TN von früheren Beanspruchungserfahrungen berichteten, und vor diesem Erfahrungshintergrund verschiedene Wege nutzten, um mit belastenden Situationen umzugehen. Betrachtet man deshalb als zweiten Ressourcenschwerpunkt die Verteilungen der Bewältigungsressourcen bei den verglichenen Gruppen, so zeigten sich zunächst Unterschiede hinsichtlich zweier Aspekte: Die weniger beanspruchten TN nutzten sowohl häufiger Kurzpausen (72,7 % vs. 38,5 %) als auch (bei der individuellen Arbeitsplanung) die Kenntnis ihrer persönlichen Leistungskurve (45,5 % vs. 15,4 %) (s. Abb. 5.7).

Abb. 5.7
figure 7

Nutzung von Bewältigungsressourcen, in %-Angaben (‚immer/oft‘ bei 5-stufiger Antwortmöglichkeit) der Gruppen nach Mediansplit (N1 = 13, N2 = 11)

Geringer beanspruchte Führungskräfte nutzten darüber hinaus häufiger die Möglichkeit, sich gezielt von der Arbeit zu distanzieren (81,8 % vs. 53,8 %), und sie finden sich häufiger mit der Situation ab, wenn diese als nicht änderbar eingeschätzt wird (72,7 % vs. 61,5 %).

Die höher beanspruchten Führungskräfte gaben an, vergleichsweise seltener mit den Kolleg*innen oder Vorgesetzten eine bessere Gestaltung abzustimmen (38,5 % vs. 63,6 %), oder bessere Planung und Organisation zu nutzen (61,5 % vs. 81,8 %). Allerdings delegierten sie häufiger Arbeitsaufgaben im Team (69,2 % vs. 54,5 %). Weithin gelang es den höher Beanspruchten seltener, das eigene Wissen zu erweitern (69,2 % vs. 90,9 %).

Daneben wurde gefragt, inwieweit die TN regenerative Bewältigungsmaßnahmen nutzen und neben z. B. einer gesunden Ernährung auf ausreichend Schlaf achten sowie Entspannungsübungen und Ausdauersport in ihren Tagesablauf integrieren. Bis auf die Entspannungsübungen, die höher Beanspruchte etwas weniger ‚täglich/mehrmals die Woche‘ nutzen (7,7 % vs. 36,4 %) zeigten sich hier allerdings keine Unterschiede in der Ausprägung der Nutzung zwischen den beiden Gruppen.

Hinsichtlich der Belastungssituation (s. Abb. 5.8) zeigt sich beim Vergleich der beiden Beanspruchungsgruppen, dass höher beanspruchte Führungskräfte deutlich häufiger angaben, mit der Arbeit nicht fertig zu werden, wenn sie diese gründlich erledigen wollten (61,5 % vs. 9,1 %). Allerdings war aus ihrer Sicht der ‚Zeitdruck aufgrund von Terminvorgaben‘ weniger ausgeprägt als bei den geringer beanspruchten TN (30,8 % vs. 45,5 %).

Abb. 5.8
figure 8

Arbeitsbelastungen, % Angaben (‚trifft völlig zu‘/‚trifft eher zu‘) im Vergleich nach Me-diansplit (N1 = 13, N2 = 11)

Größere Unterschiede ergaben sich daneben bei der Frage, ob sie bei ihrer Arbeit durch Personen oder Telefonate unterbrochen werden; dies trifft für 84,6 % der höher beanspruchten, aber lediglich für 54,5 % der geringer beanspruchten TN zu. Spezifisch für die hohen Kommunikationsanteile bei ihrer Arbeit, die die TN auf Nachfrage in den Gesprächen bestätigten, waren bei den höher Beanspruchten höhere Werte für die Aspekte Informationsüberflutung und Kommunikationsrauschen, so u. a. für die Frage danach, ‚nicht alle Informationen effektiv verarbeiten zu können‘ (61,5 % vs. 9,1 %). Diese Gruppe hatte zudem häufiger das ‚Gefühl, von den Informationen überwältigt‘ zu sein (30,8 % vs. 18,2 %) sowie häufiger Zeit damit zu verschwenden, E-Mails oder Sprachnachrichten zu beantworten, die nicht direkt mit ihren Aufgaben zusammenhängen (38,5 % vs. 9,1 %).

Höher beanspruchte Führungskräfte gaben häufiger an, sich nicht angemessen in neue Sachverhalte einarbeiten zu können (53,8 % vs. 18,2 %). Gleichzeitig erwies sich allerdings die Teilnahme an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen für sie leichter als für die geringer beanspruchten TN (Aneignungsbehinderungen: 38,5 % vs. 72,7 %).

Ein letzter Aspekt psychischer Belastung, der im Zusammenhang mit virtuellem Arbeiten diskutiert wird, ist die Entgrenzung von Arbeit und Regeneration bzw. Privatleben. Höher beanspruchte TN gaben dabei in unserer Untersuchung an, in der Freizeit weniger erreichbar zu sein für Personen, mit denen sie beruflich zu tun haben als die geringer Beanspruchten (38,5 % vs. 63,6 %).

5.2.3.3 Zwischenbilanz

Die dargestellten Befunde illustrieren insgesamt die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen und ihre Effekte, die die TN bei hohem Anteil medial vermittelter Kommunikation zu bewältigen haben. In ihrem Alltag stehen den TN mit den günstigeren Beanspruchungswerten auf organisatorischer Ebene insbesondere konkrete Gestaltungsspielräume, Rollenklarheit sowie soziale Ressourcen (wie die Unterstützung durch das Team und den oder die Vorgesetzte*n) zur Verfügung. Daneben sind es Möglichkeiten zur Weiterbildung – bei insgesamt knappen und offenbar wenig variablen Zeitressourcen (u. a. blockiert durch Meetings).

Bei den persönlichen Bewältigungsressourcen ermittelten wir vergleichsweise höhere Werte bei Wertschätzung und beruflicher Sinnerfüllung für höher Beanspruchte, wobei das Verhältnis der Faktoren klärungsbedürftig ist (s. dazu Abb. 5.6). Hier wäre zu klären, inwieweit sich diese TN mit großem Einsatz in ihre Aufgaben einbringen und damit in die Gefahr „interessierter Selbstgefährdung“ (Krause et al., 2015) kommen, bei der hohe Motivationswerte mit vergleichsweise höheren Beanspruchungswerten verbunden sind. Dies ist ein Verhalten, bei dem aus Interesse am beruflichen Erfolg durch das persönliche Arbeitshandeln bewusst die eigene Gesundheit gefährdet wird (vgl. auch Peters, 2011). Entsprechend ist es zweckmäßig, die individuelle Reflexions- und Gestaltungskompetenz der Führungskräfte zu fördern (vgl. dazu Gerlmaier & Geiger, 2019; Dettmers & Clauß, 2018; Gerlmaier & Latniak, 2016).

Beim konkreten Bewältigungshandeln fanden wir höhere Nutzungswerte für die weniger Beanspruchten bei der Kurzpausennutzung, bei der Berücksichtigung der eigenen Leistungsfähigkeit über den Tag und bei einigen instrumentellen und mentalen Bewältigungsressourcen.

Die psychischen Belastungen, die bei den TN mit den schlechteren Beanspruchungswerten vergleichsweise deutlich höher ausgeprägt waren, sind Aspekte von Zeitdruck und Informationsüberflutung, daneben Aneignungsbehinderungen, Arbeitsunterbrechungen und Kommunikationsrauschen.

Mögliche strukturelle Unterschiede, die zu diesen Befunden beigetragen haben könnten, deuten sich an bei der eher größeren Führungsspanne, d. h. mehr als zehn Mitarbeitende im wichtigsten Team (84,6 % vs. 54,5 %) bei den höher Beanspruchten, und dem etwas höheren Anteil von TN mit disziplinarischer Verantwortung in dieser Gruppe (76,9 % vs. 54,5 %). Daneben waren die höher beanspruchten Führungskräfte etwas stärker von Restukturierungsmaßnahmen (84,6 % vs. 63,6 %) und einem Wechsel der Arbeitsaufgabe (53,8 % vs. 36,4 %) betroffen. Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Führungskräften konnten wir nicht feststellen. Mögliche individuelle Unterschiede deuten sich an bei der insgesamt größeren Führungserfahrung der weniger Beanspruchten. Bemerkenswert ist dabei, dass sie tendenziell weniger Kinder in ihrem Haushalt haben (33,3 % vs. 69,2 % der höher Beanspruchten). Gleichzeitig bewerteten sie die Motivation ihrer Teammitglieder für die anstehenden Aufgaben besser („gut/sehr gut“ 100 % vs. 46,2 % der höher Beanspruchten). Mögliche Zusammenhänge wie diese sollten in weiteren Untersuchungen mit größeren Stichproben geklärt werden.

5.2.4 Ansatzpunkte für die Gestaltung und Regulierung

Wir haben in den Feedbackgesprächen mit den TN konkrete Gestaltungs- und Regulierungsmöglichkeiten erarbeitet und individuell zusammengestellt, die zu einer Verbesserung des Ressourcenmanagements der operativen Führungskräfte beitragen sollen. Dabei sind zwei Punkte zu berücksichtigen:

Einerseits werden die Maßnahmen und Ansatzpunkte in der folgenden Darstellung zunächst einzelnen Belastungs- oder Ressourcentypen zugeordnet. Gleichwohl ist es naheliegend (Gerlmaier, 2011a), dass sich eine Maßnahme auf mehrere Faktoren auswirken kann: So kann sich z. B. eine verstärkte Nutzung von Blockzeiten auf die Unterbrechungen und die Work-Life-Balance auswirken, oder auch das Arbeiten gemäß der eigenen täglichen Leistungskurve erleichtern. Insofern sind die folgenden Zuordnungen als Ansatzpunkte mit guten Wirkungschancen zu begreifen, die eine Orientierung für konkrete Änderungen geben können. Andererseits wurden im Verlauf der durchgeführten Gespräche konkrete Hinweise zum ‚Warum?‘ und ‚Wie?‘ der vorgeschlagenen Maßnahmen gegeben mit dem Ziel, die Gestaltungskompetenz der TN an dieser Stelle aufzubauen bzw. zu verbessern (u. a. Gerlmaier & Geiger, 2019; Dettmers & Clauß, 2018). Fallweise wurden dafür weitere Informationen und Materialien für die TN verfügbar gemacht. Dies wird analog für die Handreichung übernommen.

Unser Vorgehen bei der Erarbeitung von Gestaltungsempfehlungen in den Gesprächen war dabei darauf ausgerichtet, Maßnahmen auf vier unterschiedlichen Handlungsebenen zu thematisieren: Ein erster Ansatzpunkt ist die Suche nach – mit geringem Aufwand – erzielbaren Erfolgen. Zweitens war es unser Bestreben, den individuellen Ressourcenaufbau zu fördern, was häufig mit Planung und individueller Disziplin bei der Umsetzung verbunden sein kann. Drittens ging es um die Entwicklung organisatorischer Lösungen (im Team und in der weiteren Teamumgebung), für deren Umsetzung angesichts der Ressourcen- und Rahmensituation der TN fallweise auch nach geeigneten Gelegenheiten gesucht werden musste, um eine Umsetzung zu ermöglichen. Der vierte Ansatzpunkt sind regulierende Eingriffe auf der Ebene der Organisation bzw. des Unternehmens.

Dabei ist davon auszugehen, dass diese vier Ansatzpunkte nicht als sequenziell zu bearbeitende, fortschreitende ‚Stufen‘ im Gestaltungsprozess zu begreifen sind. Stattdessen sind eingespielte Praktiken oder organisatorische Regulierungen (etwa zu Personalführung, Arbeitszeit und Erreichbarkeit) vorausgesetzt, um eine ‚lokale‘ Handlungsfähigkeit der operativen Führungskräfte zu unterstützen oder überhaupt erst zu schaffen. Denn sie sind quasi ‚Befähigende‘ für das konkrete Handeln. Regulierungen können eine Voraussetzung für Handlungsfähigkeit der TN sein, denn als Rahmenbedingungen wirken sie quasi wie Haltegriffe in einer Straßenbahn: Man muss sie nicht ständig nutzen, aber man ergreift sie individuell bei Bedarf, um Schlimmeres zu verhindern und sicher ans Ziel zu kommen (Lehndorff, 2006). Solche Regelungen bieten eine Grundlage für individuelles Handeln, wenn z. B. für die Bearbeitung von E-Mails im Streitfall auf festgelegte Regelungen verwiesen werden kann, und damit der/m Betroffenen die Abgrenzung von Arbeitszeit und Regeneration erleichtert wird. Dies gilt es für alle Gestaltungsansätze zu berücksichtigen. Wegen des Fokus auf individuelle Bedingungen wurden regulierende Aspekte auf organisationaler Ebene allerdings nur sehr eingeschränkt zum Thema in den Gesprächen.

Generell gilt für die im Folgenden aufgeführten Ansatzpunkte, dass all diese Maßnahmen für die initiierenden TN mit einem gewissen Zusatzaufwand verbunden sind: Zumindest für einen begrenzten Zeitraum ist ein Mehr an Energie und Arbeit zu investieren, um zu einer Verbesserung der Situation zu kommen. Dies ist für die Initiierung von Maßnahmen zu berücksichtigen, gerade wenn die Betroffenen bereits unter relativ hoher Arbeitsbelastung arbeiten. Aber nur durch diesen Aufwand und die aktive Rolle der Betroffenen entsteht überhaupt erst die Möglichkeit erfolgreicher Verbesserung der Arbeitssituation. Dies ist immer im Wechselspiel von Organisation und Beschäftigten zu sehen. Denn die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Initiierung von Veränderungen variieren zwischen Organisationen (und Organisationsbereichen) durchaus erheblich.

Im individuellen Umfeld und im Team sind solche Verbesserungen vergleichsweise schnell und mit überschaubarem Aufwand möglich. Je weiter der Kreis der Beteiligten ist, umso eher ist mit administrativen Beschränkungen zu rechnen. Diese zu bearbeiten erfordert mehr Aufwand, längeres Durchhaltevermögen und Unterstützung von Seiten der eigenen Vorgesetzten bzw. der Organisation.

Es folgen eine Übersicht über Gestaltungs- und Regulierungsmaßnahmen, gegliedert nach den in Abschn. 5.1 vorgestellten Ressourcen- und Belastungstypen (s. Tab. 5.3 und 5.4). Die dargestellten Handlungsmöglichkeiten werden in den Handreichungen auf der Webseite des vLead-Projekts beschrieben (www.vlead.de).

Tab. 5.3 Ressourcen – Gestaltung und Regulierung
Tab. 5.4 Belastungen – Gestaltung und Regulierung

5.3 Erfahrungen beim Ressourcenmanagement für operative Führungskräfte in virtuellen Kontexten – Feedbackgespräche in der Einschätzung der Teilnehmenden

Um den Nutzen der eingesetzten Hilfsmittel sowie die möglichen Wirkungen der Empfehlungen aus den Feedback-Gesprächen (siehe Abschn. 5.2) abzuschätzen, wurde im Rahmen des vLead-Teilprojekts „Ressourcenstärkende Führung - operative Führungskräfte in virtuellen Kontexten stärken und gesund erhalten“ eine Nachbefragung der teilnehmenden operativen Führungskräfte (TN) durchgeführt, deren Befunde im Folgenden präsentiert werden. Die Feedback-Gespräche mit Empfehlungen an die TN sind im Zeitraum von Juni bis Dezember 2019 geführt worden.

5.3.1 Zielsetzung

In der Nachbefragung zwischen Mai und Juli 2020 sollte ermittelt werden, inwieweit die Empfehlungen umgesetzt wurden und ggf. wirkten. Konkretes Ziel war es, Einschätzungen zu erhalten,

  • ob es aus Sicht der TN gelang, durch Einsatz des Diagnosebogens und Gesprächsführung zentrale Ressourcen und Belastungsaspekte zu thematisieren und die TN für deren Entwicklung zu sensibilisieren,

  • inwieweit Impulse für konkrete Veränderungen vermittelt, und

  • die in den Gesprächen gegebenen Hinweise und Maßnahmen im praktischen Alltag genutzt bzw. umgesetzt werden konnten.

Daneben wurden in der Nachbefragung Basisinformationen zu Veränderungen im organisationalen und persönlichen Umfeld der TN erfragt, um die variierenden Umsetzungsbedingungen sowie die Veränderung ihres Befindens (hinsichtlich Motivation und Beanspruchung) zumindest im Ansatz erfassen zu können.

Dabei sind für die Bewertung der im Folgenden dargestellten Befunde zwei Besonderheiten zu berücksichtigen: Zum einen wurde zu Jahresbeginn eine neue Führungsstruktur in dem Unternehmen eingeführt, in welchem die meisten Gespräche geführt wurden. Dies führte teilweise zu einer neuen Strukturierung der Aufgaben der TN und zu personellen Änderungen der Teams, wie z. B. der Zuordnung zu neuen Vorgesetzten und damit zu grundlegenden Veränderungen der Anforderungs- und Unterstützungssituation der TN.

Zum anderen kam ab März 2020 hinzu, dass im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und dem sog. ‘Lockdown‘ eine fundamentale Veränderung der Lebens- und Arbeitsbedingungen stattfand, die auch die TN in vielerlei Hinsicht traf. Die TN, die vorher überwiegend alternierende Telearbeit geleistet hatten, waren nun für einen vergleichsweise langen Zeitraum ausschließlich im Home-Office tätig, was sich in einem wesentlich höheren Anteil digitaler Führungstätigkeit und veränderten Arbeitsbedingungen zuhause (z. B. zusätzlicher Kinderbetreuung) niederschlug. Ein Vorher-Nachher-Vergleich des Befindens im Zusammenhang mit den genutzten Maßnahmen wäre angesichts dieser weitreichenden Organisationsänderungen letztlich nicht aussagefähig. Insofern sind auch die folgenden Befunde und Erfahrungen als explorativ zu begreifen und sollen so weitergehende Untersuchungen der angesprochenen Zusammenhänge anregen.

Nach einer kurzen Darstellung unseres Vorgehens bei der Nachbefragung werden zunächst die von den TN genannten organisationalen Veränderungen dargestellt, bevor ihre Einschätzungen zur Intervention durch die Feedbackgespräche (Methode und Vorgehen) sowie die individuellen Veränderungen bei Motivation und Beanspruchung dargestellt werden. Dabei ließen sich hinsichtlich der Vorgehensweise und des Instrument-Einsatzes Einschätzungen festhalten, die den Nutzen aus Sicht der TN widerspiegeln und illustrieren.

5.3.2 Vorgehen bei der Nachbefragung

Von den insgesamt 24 TN der Feedbackgespräche nahmen 18 an der telefonischen Nachbefragung teil, die zwischen 30 und (bei vier TN) bis zu ca. 60 min dauerte. Die Gespräche wurden anhand eines ‚Follow-up‘-Fragebogens vorstrukturiert, den die TN vor dem Gespräch ausfüllten. Aus Datenschutzgründen wurde auf eine Aufzeichnung der Gespräche, in denen u. a. auch persönliche Lebensumstände thematisiert wurden, verzichtet. Die Gesprächsinhalte wurden protokolliert und hinsichtlich der o. g. Leitfragen qualitativ inhaltsanalytisch ausgewertet.

Der Follow-up Fragebogen erfasste zunächst die retrospektiven Einschätzungen der TN zu den Feedback-Gesprächen und dem dabei eingesetzten Screening-Tool. Es wurde nach Praktikabilität und Zielgerichtetheit des Screening-Tools und der Gespräche sowie nach konkreten Auswirkungen (u. a. Sensibilisierung für besprochene Themen, gewünschte Unterstützung durch weitere Handreichungen) gefragt. Zudem wurden die TN befragt, ob bzw. inwieweit sie in den Gesprächen empfohlene Maßnahmen individuell oder in ihrem Team genutzt bzw. umgesetzt hatten. Ein weiterer Fragenblock richtete sich auf akute Veränderungen im jeweiligen Arbeitsumfeld (wie individuelle Position, Wechsel von Teamzusammensetzung, individuellen und Team-Aufgaben sowie der eigenen Führungskraft) oder im persönlichen Umfeld. Abschließend wurde erneut das individuelle psychische Erleben (mit den Fragen des Screening-Tools) erfragt. Insgesamt sendeten 17 TN die ‚Follow-up‘-Fragebögen ausgefüllt zurück, die für die Auswertung verwendet werden konnten.

5.3.3 Veränderte Arbeitsbedingungen in der Corona-Pandemie

Einen ersten Überblick über die Veränderungen von Arbeitssituation, Position und beruflichen sowie privaten Aufgaben der befragten TN seit den Feedback-Gesprächen zeigt die folgende Abb. 5.9.

Abb. 5.9
figure 9

Veränderungen von Arbeits- und Privatsituation der TN (N = 17/16)

Dabei ist neben dem fast vollständigen Wechsel der TN ins Home-Office zunächst bemerkenswert, dass bei elf TN personelle Wechsel in der Teambesetzung in der Zeit zwischen Feedback-Gesprächen und Nachbefragung stattfanden. Neben dem Wechsel der eigenen Führungskraft bei acht TN sind für jeweils sieben TN Änderungen der Position, der Team-Aufgaben oder der individuellen Aufgabenzuschnitte eingetreten. Hinzu kamen für fünf TN noch substanzielle Veränderungen im persönlichen Umfeld.

Die TN äußerten sich differenziert über die organisationalen und arbeitsbezogenen Veränderungen, die u. a. im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie das digitale Führen und Arbeiten veränderten. Insgesamt wurde dabei häufiger festgestellt, dass das virtuelle Arbeiten im Home-Office aktuell gut funktioniere (in sieben Gesprächen; die einzelnen Gespräche werden im Folgenden mittels Initialen unterschieden), wobei dafür auf die Vorerfahrungen mit dieser – vorher weniger ausgiebig genutzten – Arbeitsform zurückgegriffen werden konnte (in drei Gesprächen).

„Ich war vorher etwas skeptisch, was das virtuelle Arbeiten angeht, wahrscheinlich wegen meinem Alter, aber wir haben es durch den Zwang durch Corona schneller adaptiert“ (T).

So werde die Arbeit im Home-Office hinsichtlich Leistung und Effektivität als gleichwertig zur Arbeit im Büro am Unternehmensstandort wahrgenommen (O, E) und die eigenen Aufgaben können unter den gegebenen Bedingungen gut erledigt werden (S, A). Auch seitens des Managements gab es dazu offenbar positives Feedback (O):

„Ursprünglich dachten nämlich Einige, dass man nichts schafft, wenn man zuhause arbeitet und jetzt hat man gemerkt, dass man doch was schafft“.

Einige TN erwarten deshalb, dass virtuelles Arbeiten zukünftig verstärkt genutzt werde (u. a. T, O).

Sechs Gesprächspartner*innen äußerten sich explizit positiv zu entfallenen Pendelzeiten und Reiseaufwänden, was neue Zeitspielräume eröffnete. Dadurch ließen sich die eigenen Aufgaben konsequenter und besser abarbeiten (J, A). Das ermögliche eine flexiblere Gestaltung des Arbeitstages (T, H) sowie einen engeren Kontakt zur Familie (K), wodurch auch private Aufgaben besser bewältigt werden können (H).

Positiv wurde wahrgenommen, dass die Arbeit im Home-Office weniger häufig unterbrochen werde und so ein konzentrierteres und fokussiertes Arbeiten ermögliche (in vier Gesprächen). Home-Office-Tätigkeit sei zwar auch mit Informationsverlusten mangels face-to-face-Kontakt verbunden, was sich aber (bis zum Gesprächszeitpunkt) noch nicht nennenswert niedergeschlagen habe (A). Im Gegenteil: Es wurde positiv angemerkt, dass die jetzt für alle im Team gleichen Arbeitsbedingungen (d. h. virtuell vom Home-Office aus) sich positiv auf die Kommunikation in den Meetings auswirkte, was sich an „ausbalancierten“ Diskussionen zeige (G). Die Kommunikation wird dabei als effizienter wahrgenommen, weil bei Bedarf schnell etwas über ein Chat-Tool geklärt werden könne (J). Gleichzeitig wären der Ablauf der Meetings sowie die Kommunikation insgesamt disziplinierter, weil z. B. kein störendes Gespräch nebenbei mehr stattfinde (in fünf Gesprächen genannt). In diesem Zusammenhang wurden auch Lerneffekte hervorgehoben, denn man habe gelernt, in solchen Meetings besser aufeinander zu achten (J). So sei es in hybrid durchgeführten Meetings (d. h. mit einer Mischung aus digital via Bildschirm vermittelten und physisch in einem Raum Anwesenden) vor der Corona-Pandemie so gewesen, dass diejenigen, die nicht vor Ort waren, oft weniger oder gar nicht zu Wort kamen; das habe sich deutlich verbessert (in drei Gesprächen genannt). Diese Entwicklung führe u. a. dazu, dass den Mitarbeitenden in global verteilten Teams, die schon länger ausschließlich digital vermittelt arbeiteten, jetzt mehr Wertschätzung entgegengebracht werde, weil von den Teammitgliedern besser verstanden wird, welche Herausforderungen mit einer rein virtuellen Teamarbeit verbunden sind (H).

Problematisch wird die veränderte Arbeitssituation seitens der TN dann gesehen, wenn z. B. bei anstehenden Aufgaben eine intensivere Interaktion mit Anderen notwendig ist, wie beim sog. ‚Onboarding‘ neuer Kolleg*innen (T, K) oder wenn kurzfristige Hilfe benötigt wird (C, W, H). Als schwieriger und aufwändiger zu bearbeiten werden auch Gesprächssituationen wahrgenommen, bei denen Themen anstehen, die „nicht ganz so positiv“ seien, wie z. B. Budgetdiskussionen, schwierige Personalgespräche oder Themen, bei denen eine gewisse Empathie eine Rolle spiele (Q).

Verschärft wurde durch die ausschließlich virtuelle Kommunikationssituation offenbar das Problem, nicht sicher einschätzen zu können, ob die Teilnehmenden in einem Meeting tatsächlich zuhören (K), oder der Eindruck, die Kolleg*innen seien weniger erreichbar (E): TN berichteten von Schwierigkeiten, Kontakt zu anderen Mitarbeitenden oder Kunden und Kundinnen herzustellen (C, O), um Informationen zu bekommen. Dies müsse dann über zusätzliche Meetings oder Telefonate geleistet werden (O, W). Auch wäre es für die Teamleitung ‚virtuell‘ schwieriger zu bemerken, wenn sich ein Konflikt im Team anbahne (H, A). Einige Gesprächspartner*innen berichteten schließlich von insgesamt höherem Aufwand, den das kontinuierliche digital vermittelte Arbeiten mit sich bringe (H, K), es wird z. T. als „mühseliger“ wahrgenommen (C).

Als Mangel virtueller Tätigkeit wurde in sieben Gesprächen genannt, dass die informellen sozialen Kontakte, die Interaktion und der Smalltalk in der Kaffeeküche fehlen bzw. es nicht möglich sei, Dinge ‚nebenbei‘ zu besprechen. Hier wird im Vergleich zur Arbeit ‚vor Ort‘ ein Informationsdefizit gesehen (T, U). So berichtet auch ein TN, dass sie kürzlich im Büro andere Teammitglieder getroffen habe und dabei auffiel, dass es nach längerer Home-Office-Phase schwieriger war, informelle Themen und die gewohnte soziale Interaktion wiederzufinden; die Gespräche seien „hölzern“ gewesen, weil man zwar berufliche Themen hätte, aber persönlich keinen guten Zugang mehr zueinander habe:

„Sie waren es nicht mehr gewohnt Kaffee-Gespräche zu führen“ (A).

Offenbar grundlegendere Veränderungen gab es auch bei der notwendigen Planung von Kommunikationsgelegenheiten in den Teams: So berichteten TN, dass die Zahl der Meetings insgesamt zugenommen hätte (in fünf Gesprächen genannt), u. a. weil es ad hoc-Anrufe oder den sog. ‚Flurfunk‘ nicht mehr wie in den Zeiten vor Corona gebe (S, C):

„Wenn ich im Meeting bin, dann gehe ich nicht ans Telefon. Und dann stellt halt jeder ein Meeting ein“ (S).

Da die beruflichen Termine aller Beteiligten über serverbasierte Kalender-Tools koordiniert werden, müssen diese zunehmend gezielt vereinbart werden (in drei Gesprächen genannt) – man sei quasi ständig in Terminen (Q) bzw. Meetings erfolgten schnell hintereinander. Das führe dazu, dass man im nächsten Meeting immer ein paar Minuten im Verzug sei, was am Ende in Zeitdruck resultiere (J).

Drei TN berichteten, dass sie jetzt mehr und länger arbeiten (W, S, U). Zudem bestehe der Eindruck, dass das auch bei anderen Kolleg*innen so sei (Q). Die Gründe hierfür sehen die TN zum einen in der globalen Verteilung der Arbeit, weswegen der Arbeitstag schon früh morgens um 7:00 Uhr beginne, um bestimmte, weit entfernte Partner*innen noch während deren Arbeitszeit zu erreichen, und dann folge eine Videokonferenz nach der anderen (U). Zudem fehle häufig das im Büro sonst vorhandene ‚Feierabendziel‘

(„Ich muss jetzt die Bahn bekommen!“) (S).

Gleichzeitig habe man es mit motivierten Leuten zu tun, die gerne arbeiteten (Q, C) – sei es aus individuellem Ehrgeiz (Q) oder weil eine Verpflichtung wahrgenommen werde, mehr als das Nötige zu tun (W). Druck komme dabei nicht vom Vorgesetzten, sondern entstehe aus Eigenantrieb; Spaß an der Arbeit und Wertschätzung der Teamleistung waren hier zentrale Stichworte:

„Wenn man das wegnimmt, dann ist das noch schlimmer!“ (W).

Als Zwischenfazit der Home-Office-Erfahrungen der TN unter Corona-Bedingungen lassen sich damit zunächst folgende Punkte festhalten:

  • Die mit der stark erweiterten Home-Office-Nutzung verbundene Ausdehnung der virtuellen Kooperation unter Corona-Bedingungen hat zunächst größere Zeitspielräume zur individuellen Planung durch den Wegfall der Pendel- und Reisezeiten erschlossen.

  • Das überwiegende Arbeiten im Home-Office wurde von mehreren TN als funktional und positiv beschrieben. So förderte die extensive Nutzung der virtuellen Kommunikation nicht nur das Verständnis für die Herausforderungen, denen remote Teamarbeitende unterliegen, sondern trug offenbar auch zur Disziplinierung während der videobasierten Sitzungen und zur Effektivierung bei.

  • Die Grenzen dieser Form der Kooperation werden durch die vermehrte Nutzung allerdings verstärkt sichtbar: Sie wurden u. a. in der Einarbeitung von Mitarbeitenden, dem Kontaktaufbau und -erhalt zu Kund*innen und Mitarbeitenden, in Eskalationssituationen und wenn Bedarf nach schneller Hilfe und Vertretung besteht deutlich sowie bei (tendenziell spannungsreichen) Diskussionspunkten zu Budgets und Themen, bei denen eine gewisse Empathie seitens der befragten operativen Führungskräfte notwendig wäre.

  • Die in vielen Unternehmen lebendige informelle Kommunikation in den hybriden Teams fiel dagegen als Informationsquelle für die TN während der Corona-bedingten Home-Office-Zeiten weitgehend aus, und musste – zumindest aufgabenbezogen – durch explizite Verabredungen ersetzt werden. In der Summe führte das tendenziell zu volleren Terminkalendern bei den TN und engte die eben erst erschlossenen Planungsspielräume wieder ein.

  • Äußerungen zu Mehrarbeit und längeren Arbeitszeiten legen die Vermutung nahe, dass Abgrenzungsprobleme zwischen Arbeits- und Privatleben bei ausschließlicher Home-Office-Nutzung stärker in den Vordergrund traten.

Da einige der genannten Herausforderungen mit Gestaltungsmaßnahmen bearbeitet werden können, die z. T. als Vorschläge in die Feedbackgespräche eingingen, wird im folgenden Abschnitt dargestellt, was von den TN aus den Feedback-Gesprächen aufgenommen und umgesetzt werden konnte.

5.3.4 Befunde zu den Feedbackgesprächen und zur Maßnahmenumsetzung

Nach ihrer Einschätzung gefragt (s. Abb. 5.10), bewerten die TN die Feedbackgespräche insgesamt positiv: 16 von 17 TN gaben an, durch das Gespräch Anregungen erhalten zu haben, was sie in ihrer Arbeit bzw. ihrem Arbeitsbereich zur Verbesserung ihrer Ressourcen- und Belastungssituation ändern können. Zwölf von 16 TN haben seit dem Gespräch verstärkt auf die besprochenen Aspekte (wie Erholung und spezifische Belastungen) geachtet. Immerhin acht von 17 TN haben sich über die angesprochenen Themen auch weitergehend mit Kolleg*innen ausgetauscht. Eine weitere eigenständige Information der TN über die angesprochenen Themen fand lediglich in geringerem Umfang statt; lediglich vier von 16 TN gaben dies an.

Abb. 5.10
figure 10

Einschätzungen zu den Feedbackgesprächen (N = 17/16)

In der Nachbefragung wurde dazu erläutert, dass das aktuelle virtuelle Arbeiten im Home-Office und die Tatsache, dass die Inhalte der Gespräche auch andere Kolleg*innen betreffen, den Austausch angeregt habe: Kolleg*innen im Home-Office würden teilweise bis in den Abend arbeiten; zudem könne man im Home-Office häufig „die Mittagspause vergessen“ (K).

Das mache einen bewussteren Umgang und eine Thematisierung von arbeitsgestalterischen Aspekten notwendig; das „darüber Reden“ mit Kolleg*innen helfe, die eigene Arbeitssituation zu reflektieren (drei Gespräche) und bewusst zu gestalten (Q, W).

15 der 17 TN finden es sinnvoll (s. Abb. 5.11) solche Gespräche über die eigene Arbeitssituation regelmäßig (z. B. im Rahmen eines Coachings oder der Führungskräfteentwicklung) zu führen. Dies könne durchaus auch online erfolgen. Zwölf von 17 TN gaben an, solche Feedback-/Reflexionsgespräche häufiger nutzen zu wollen. Nach sinnvollen Zeitintervallen gefragt, reichten die Einschätzungen von ein Mal im Quartal bzw. zwei Mal im Jahr bis zu einer zwei- bis dreijährlichen Durchführung. Insbesondere für junge Führungskräfte, die digital führen und sich neuen Aufgaben gegenübersehen, seien solche Gespräche relevant, weswegen sie von Unternehmensseite im Rahmen von Coaching-Angeboten für Führungskräfte bereitgestellt werden sollten (D). Darüber hinaus gaben alle Führungskräfte an (s. Abb. 5.11), dass ihnen der Fragebogen als Anregung bei der Suche nach Verbesserungsmöglichkeiten geholfen hat.

Abb. 5.11
figure 11

Einschätzungen zum Vorgehen (N = 17)

Das Diagnose-Tool, das in den Feedbackgesprächen eingesetzt wurde, wird als hilfreich dafür erachtet (s. Abb. 5.12): 14 bzw. 15 TN bejahten, dass er wichtige Punkte zur Gestaltung der eigenen Arbeit bzw. des eigenen Arbeitsverhaltens (wieder) bewusst gemacht und Handlungsmöglichkeiten zur Verbesserung des eigenen Befindens thematisiert hat. Gleichzeitig wurden so die Gespräche gut vorbereitet (Zustimmung 100 %). Trotz eines Umfangs von sechs DIN A4-Seiten wurde er nicht als zu umfangreich oder zu wenig zielgerichtet bewertet (abgelehnt von 14 von 16/17 TN). Gewünscht wurde von den TN mehrheitlich ein Fragebogen z. B. in Form eines Analyse-Tools, um Ressourcen und Belastungen zu identifizieren, und Hinweise zur Arbeitsgestaltung (‚Handreichung‘).

Abb. 5.12
figure 12

Einschätzungen der TN zum Diagnosebogen (N = 17/16)

5.3.4.1 Maßnahmen – Veränderungen des individuellen Bewältigungsverhaltens

In den 24 geführten Feedback-Gesprächen wurde bei den Handlungsempfehlungen, soweit möglich, auf erprobte Maßnahmen und wissenschaftlich weitgehend gesicherte Erfahrungen zurückgegriffen (u. a. Gerlmaier & Latniak, 2019) sowie bei Bedarf deren Wirkungsweise erläutert. Die Schwerpunkte der Empfehlungen lagen auf individuell arbeitsgestaltenden Maßnahmen wie der Nutzung von ‚Blockzeiten‘, d. h. bewusst blockierte und im Team kommunizierte Zeiten für bestimmte (z. B. konzentrationsintensive) Aufgaben (10× empfohlen), von Kurzpausen über den Tag (8×), von gezieltem Wechsel zwischen anspruchsvollen und weniger konzentrationsintensiven Aufgaben (7×) und auf der gezielten Nutzung von Home-Office-Zeiten (7×). Diese richteten sich in erster Linie auf Belastungsreduzierung und Ressourcenaufbau durch verbesserte Zeitstrukturierung und bessere Regeneration bzw. Wiederherstellung der kognitiven Leistungsfähigkeit während der Arbeit.

Einen zweiten Schwerpunkt bildeten Maßnahmen zur Effektivierung der digitalen Kommunikation und Zusammenarbeit, z. B. für virtuelle Meetings, und die Nutzung von Kommunikationsregeln sowie Ordnungshilfen bei Sitzungen bzw. für E-Mail-Verkehr (15×), die u. a. Zusatzaufwand vermeiden helfen und die Kommunikation vereinfachen sollen. Weitere Maßnahmen betrafen die Abgrenzung von Arbeit und Nicht-Arbeit (11×) und Aktivitäten außerhalb der Arbeitszeit zur Regeneration (10×). Auch teamorientierte Maßnahmen (u. a. zur Kapazitätserweiterung, Tandem-Arbeit oder Mitarbeitermotivation, insgesamt 5×) spielten eine Rolle.

Die Auswertung der Follow-up Bögen (s. Abb. 5.13) zeigt, dass zwölf von siebzehn TN ‚Blockzeiten‘ und neun TN Kurzpausen mehr als vor den Feedback-Gesprächen nutzen. Auch die Möglichkeit, E-Mails nach Ende der Arbeitszeit nicht mehr zu beantworten, wird von acht der sechzehn TN stärker in Anspruch genommen, genauso wie mehr sportlicher Ausgleich zur Erholung. Auf die eigene Leistungskurve bei der Arbeitsplanung achteten hingegen nur drei von siebzehn TN mehr als vorher. Neben den o. g. individuellen Maßnahmen wird auf Teamebene jetzt stärker darauf geachtet (s. Abb. 5.14), die Qualität der Meetings zu verbessern (zwölf von 17 TN).

Abb. 5.13
figure 13

Nutzung individueller Gestaltungsmaßnahmen durch die TN (N = 17/16)

Abb. 5.14
figure 14

Maßnahmen im Team

In den Nachbefragungen wurden ebenfalls die Gründe für diese Veränderungen bzw. deren Nichtnutzung thematisiert: Auf die Frage, warum die einzelnen Maßnahmen jetzt mehr genutzt würden, gab u. a. ein TN an, dass die angesprochenen Gestaltungsthemen ihm zwar grundsätzlich bekannt waren, das Gespräch habe aber bewusst gemacht, dass auch er von Beanspruchungsfolgen betroffen sein könne (C) – der Handlungsbedarf wurde so verdeutlicht. Insgesamt äußerten die TN die Einschätzung, dass die thematisierten Maßnahmen im Home-Office gut oder besser als im Büro umzusetzen seien (explizit in drei Gesprächen): Das Home-Office erlaube mehr Möglichkeiten, um z. B. joggen zu gehen oder Kurzpausen zu machen, gleichzeitig würde dieser Spielraum aber über die vielen angesetzten Meetings wieder eingeschränkt (U).

Blockzeiten wurden von den TN als hilfreich angesehen (in fünf Gesprächen), um z. B. den Wechsel zwischen Arbeit und privaten Angelegenheiten („beim Homeshiften“) besser zu bewältigen (E), oder um zu verhindern, dass Termine im Kalender von anderen Personen direkt hintereinander gelegt werden, was bei (Q) zu Beginn der Home-Office-Phase zuerst zutraf: Blockzeiten für die eigene Arbeit, aber auch für Teamkontakte – z. B. als eine Art ‚Sprechstunde‘ – festzulegen, habe hier für klare Strukturen gesorgt und gut funktioniert (Q). Auch andere TN hatten Schwierigkeiten damit, dass durch Terminsetzung im digitalen Kalender zunehmend von außen auf die eigene Zeit und die Arbeitsgestaltung zugegriffen wurde, was sie aber mit einer kombinierten Nutzung von Blockzeiten und Kurzpausen bearbeiteten: Bei (K) war es so, dass er quasi acht Stunden ‚durchgetaktet‘ wurde. Er habe sich dann konsequent 15–30 min ‚Blocker‘ gesetzt, um Pausen zu ermöglichen und kombinierte dies mit körperlicher Bewegung als Ausgleich:

„Das waren zwei interessante Tipps, die einfach umzusetzen sind, aber das muss man eben machen und teilweise sind die einfachen Tipps die, die gerade so schwer umzusetzen sind.“

(H) beschrieb als Effekt der bewussteren Kurzpausennutzung, dass sie am Abend nicht mehr so müde sei. Beeindruckend fand schließlich (E), dass erstmals auch in Online-Meetings auf Pausen geachtet werde; so wurden bei einem auf vier Stunden geplanten Meeting nach 50–55 min Arbeitszeit 5–10 min Pause gemacht und die Pausenregel auch eingehalten, wenn das Meeting verlängert wurde.

Grenzen hätte die Umsetzung der Maßnahmen durch die zunehmende Außensteuerung: Eine enge Termintaktung (U) und der Anspruch anderer, Termine zum vorgegebenen Zeitpunkt wahrzunehmen (B), seien hier ursächlich:

„Man muss so flexibel und variabel sein. Agil heißt das…“ (U).

Einige TN kommen hier offenbar an ihre Grenzen: (R) z. B. berichtete, keinen Freiraum mehr zu haben oder Zeit für Kurzpausen zu finden. Sie habe neun bis zehn Meetings pro Tag von 9–19 Uhr, E-Mails seien zu beantworten und es gäbe keine Lücken zwischen den einzelnen Meetings, in denen man sich vorbereiten oder etwas abarbeiten könne. Damit steige der „Stresspegel“. So werde der Berg an Arbeit, die zu erledigen ist, immer höher, was mit der zunehmenden Unsicherheit einhergehe, dass das, was gefordert werde, nicht „abgeliefert“ werden kann. Auch (J) berichtete, dass er sich häufiger vornehme, fünf Minuten Pause zu machen, das aber nicht immer zu schaffen sei, weil er dies aktiv einplanen müsse: Das Kalendersystem gebe 30 min-Blöcke für die Meeting-Planungen vor, obwohl es aus Sicht des TN besser wäre, diese Blöcke automatisch auf 25 min anzusetzen, um Pausen nach Ende des Meetings zu ermöglichen.

Generell äußerten sich vier TN dahingehend, dass das Abschalten von der Arbeit im Home-Office als schwieriger wahrgenommen wird. Die TN geben z. T. an, dass es dort schwerer sei, Abschlussrituale zu nutzen, den Rechner gezielt herunterzufahren und nicht mehr an die Arbeit zu denken (F), weil man, wenn man am Büroarbeitszimmer vorbeigeht, doch versucht sei, die E-Mails ‚mal eben‘ zu lesen (Q).

5.3.4.2 Anhaltspunkte für Veränderungen bei der Beanspruchung der Teilnehmenden

In den Follow-up Fragebögen wurde schließlich erfragt, ob bzw. wie sich die Werte des individuellen Erlebens der TN hinsichtlich arbeitsbedingter Motivation und Beanspruchung zwischen beiden Gesprächszeitpunkten verändert haben. Wegen der geringen Fallzahlen wurden zur Auswertung (siehe Abschn. 5.2) die Summenscores und Mittelwerte der eingesetzten Skalen individuell im Zeitverlauf verglichen, um Anhaltspunkte zu finden, die in weiteren Untersuchungen systematischer überprüft werden sollten.

Für die Veränderungen der Burnout-, Stress- und der Motivations-Werte zwischen den beiden Zeitpunkten (Feedback-Gespräch vs. Nachbefragung) ergab sich ein gemischter Befund: Für die verwendeten Burnout-Fragen (s. dazu Abschn. 5.1) hatten sieben TN verbesserte, drei identische und sieben schlechtere Werte als zum Zeitpunkt der Feedback-Gespräche. Im Mittelwert stieg der Burnout-Wert bei den TN der Nachbefragung insgesamt von 2,29 auf 2,49 (jeweils bei Antwortmöglichkeiten von 1-5 und N = 17). Für ‚Stress‘ ergaben sich bei sieben TN bessere, bei fünf identische und bei fünf TN schlechtere Ausprägungen (Mittelwert minimal verbessert von 2,49 auf 2,39). Für Motivation gaben sechs TN verbesserte, zwei TN identische und neun TN verschlechterte Werte an; im Mittelwert sanken die Motivationswerte der TN von 4,15 auf 3,85.

Geht man genauer auf die individuellen Wertveränderungen der TN zwischen Feedbackgespräch und Nachbefragung ein, so zeigt sich zunächst, dass bei fünf der sieben TN mit verbesserten Burnout-Werten eine relative Stabilität der Rahmenbedingungen für die Arbeit (jenseits der bei fast allen veränderten Home-Office-Nutzung) gegeben war, d. h. die eigene Position, die eigenen Aufgaben, die eigene Führungskraft, Teambedingungen und Teamaufgaben als auch das persönliche Umfeld blieben weitgehend gleich: Lediglich bei einem dieser TN änderte sich die Position im Unternehmen und bei zwei TN die Teamzusammensetzung, während die weiteren erfragten Faktoren unverändert blieben. Bei zwei dieser sieben TN fanden dagegen grundlegende Veränderungen in allen erfragten Kategorien statt: Hier war lediglich eine Stabilität im privaten Bereich vorhanden.

Untersucht man die Nutzung der empfohlenen Maßnahmen, so zeigt sich, dass die TN mit eher stabilen Bedingungen mehr Blockzeiten (5×), Kurzpausen (5×) und eine Verbesserung der Meetings (4×) wahrnehmen sowie weniger E-Mails nach Beendigung des Arbeitstages beantworten und Rituale zur Beendigung des Arbeitstages nutzen (3×).

Betrachtet man die TN mit verschlechterten Burnout-Werten so zeigt sich, dass sich für diese TN die erfragten, beruflichen wie privaten Rahmenbedingungen zwischen den Gesprächen weitreichend geändert hatten: Dies waren – neben der jetzt dominierenden Home-Office-Arbeit – Positionswechsel, Aufgabenänderungen, Wechsel der Führungskraft, Veränderungen der Aufgaben des Teams (bei vier TN), Veränderungen im Team (bei fünf TN) sowie Veränderungen im persönlichen Umfeld (bei insgesamt sechs TN). Ein TN (der sonst keine gravierenden Veränderungen im Fragebogen für das private Umfeld angab) sah die Kinderbetreuungssituation und die fehlende Freizeit unter Corona-Bedingungen als Problem an: Er sagte, dass die veränderten Beanspruchungswerte durch eine Kombination aus verstärktem Arbeiten im Home-Office, Kinderbetreuung und veränderter Freizeitgestaltung bedingt seien und zu einer schlechteren Work-Life Balance beitragen.

Alles in allem sind damit für sechs der sieben TN mit solchen negativen Burnout-Wertentwicklungen arbeitsstrukturelle bzw. private Veränderungen deutlich geworden.

In den Follow up-Gesprächen mit diesen Personen wurde häufig die hohe Gesamtauslastung und die Reduzierung der Teamkapazität thematisiert (in fünf Gesprächen): So arbeiten diese TN laut eigenen Aussagen mehr und länger, weitere Aufgaben seien individuell zu bearbeiten, weil Kolleg*innen ersetzt oder externe Unterstützung verringert wurde. Teilweise sei die Führungsspanne größer geworden. Drei TN bemängelten die Arbeitsabläufe und die Dynamik der eigenen Arbeitssituation, was auf die Notwendigkeit von Prozessverbesserungen verweist.

Auch die TN mit verschlechterten Werten nutzten mehr Maßnahmen zur Verbesserung der Meetings (5×) sowie Blockzeiten (4×), mehr Ausgleichssport (4×) und Aufgabenwechsel (4×). Drei der sieben TN gaben einen reduzierten Einsatz bestimmter (z. T. empfohlener) Maßnahmen an, d. h., dass auch vorher genutzte Maßnahmen in der Zwischenzeit seltener angewendet wurden, und vier TN konstatierten, dass es unter den aktuellen Bedingungen schwieriger geworden sei, Maßnahmen umzusetzen.

Hinsichtlich der Gründe war bei den Follow-up-Gesprächen mit diesen TN erhellend, dass die Arbeit im Home-Office auch von dieser Personengruppe grundsätzlich geschätzt wurde (sechs Gespräche), sie jedoch in der Tendenz mehr von den negativen Konsequenzen dieser Arbeitsform berichtete (so z. B. über Entgrenzungsaspekte (3×), Schwierigkeiten beim Kontakt zu den Mitarbeitenden (3×) oder dem kommunikativen Aufwand zur Informationsbeschaffung (4×)).

Diese Muster legen die Annahme nahe, dass es den TN eher unter stabilen Rahmenbedingungen der Arbeit gelang, ihre Ressourcen- und Belastungssituation mit den entwickelten bzw. vorgeschlagenen Maßnahmen positiv zu beeinflussen; bei arbeitsstrukturellen Änderungen und insbesondere dann, wenn im privaten Umfeld zusätzlich gravierende Veränderungen eintraten – etwa durch zusätzliche Anforderungen oder wegfallende Unterstützung –, scheint die Maßnahmennutzung nicht zu erkennbaren Effekten beigetragen zu haben. Dieser Zusammenhang und die möglichen Wirkungsketten bleiben in weiteren Untersuchungen auf einer breiteren Datenbasis zu prüfen.

5.3.5 Zusammenfassung und Einschätzungen

Seit Beginn der Corona-Pandemie war es für die TN und deren Mitarbeitende unumgänglich geworden, nahezu ausschließlich von zuhause aus zu arbeiten. So veränderte sich die Führungssituation von einer hybriden Form alternierender Telearbeit zu einer vollständig virtuellen, digital vermittelten Arbeitssituation. Gleichzeitig änderte sich auch die Führungsstruktur bei der Mehrheit der TN, was für die Ressourcensituation Veränderungen mit sich brachte. Vor diesem Hintergrund war ein Wirkungsnachweis für die eingesetzten Instrumente und für die Wirksamkeit der individuell genutzten Maßnahmen in diesem Rahmen nicht zu leisten.

Aus den dargestellten Ergebnissen ziehen wir zunächst zwei Konsequenzen. Einerseits sind die dargestellten Befunde als Hinweis dafür zu werten, dass es mit dem gewählten Vorgehen gelang, einen Beitrag zur Sensibilisierung und zur Reflexion des Arbeitsverhaltens sowie zur Stabilisierung bzw. Verbesserung der Ressourcen- und Belastungssituation der TN zu leisten. Offensichtlich war in der Einschätzung der TN die Reflexion in den Feedbackgesprächen, die systematische Vorbereitung durch den Screening-Bogen und die Erarbeitung bzw. Vermittlung konkreter, auf die jeweils individuelle Tätigkeit bezogener Vorschläge zum Aufbau von Ressourcen und zur Reduzierung von Belastungen für sie überwiegend hilfreich und sinnvoll. Insofern erweist sich der Ansatzpunkt, die individuelle Gestaltungskompetenz der virtuell arbeitenden operativen Führungskräfte zu stärken, als tragfähig. Aufbauend auf diesen Erfahrungen werden deshalb praktische Hilfen (Diagnose-Tool und Handouts) nach Projektende auf der Webseite des vLead-Projekts zur Verfügung gestellt, die die individuelle Reflexion unterstützen, aber auch in Dialog- oder Coaching-Situationen als Heuristik eingesetzt werden können.

Andererseits zeigte sich anhand der eher uneinheitlichen Beanspruchungsentwicklung der TN, dass es für systematische Verbesserungen im praktischen Anwendungskontext nicht ausreicht, lediglich bei den Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten der einzelnen Führungskräfte anzusetzen: So wurde der in diesem Projekt gewählte Ansatz zur Förderung der individuellen Gestaltungskompetenz von den Führungskräften zwar als positiv und sinnvoll bewertet. Insgesamt verdichtete sich dabei aber der Eindruck, dass es nicht unbedingt die Digitalisierung oder der Umgang mit der Technik für die virtuelle Kommunikation sind, die auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Teilnehmenden wirken, sondern strukturelle Arbeitsbedingungen, die sich der Digitalisierung (quasi als ‚Enabler‘) bedienen. Hierfür ergeben sich zwar jeweils individuelle Gestaltungsmöglichkeiten (Mache & Harth, 2020; Schulz-Dadaczynski et al., 2019). Die Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen kommt aber dann an ihre Grenzen, wenn Sie mit den strukturellen Bedingungen der Organisation (Stichworte: Auslastung, Prozesse) kollidiert. Anders ausgedrückt: Eine dauernde individuelle Optimierung des Arbeits- und Regenerationshandelns der operativen Führungskräfte kann arbeitsstrukturelle Probleme nicht dauerhaft kompensieren oder gar lösen (Gerlmaier & Latniak, 2011). Diese Prozesse und Strukturen, die die Arbeit aufwändiger bzw. herausfordernder machen, sind deshalb auch auf Team- bzw. Projekt- oder auf Unternehmensebene zu regulieren.

Auch hierfür werden im angesprochenen Tool Anregungen gegeben, die korrespondierend zu den individuellen Ansätzen Beiträge zur Schaffung einer potenziell nachhaltigen Gestaltung der Arbeit in den Unternehmen liefern sollen. Ohne eine entsprechende Koppelung verbleibt ein individueller Gestaltungsansatz – auch bei reflektierten, motivierten und gut ausgebildeten operativen Führungskräften, wie wir sie im Rahmen dieser Untersuchung kennengelernt haben – zwar für sich genommen sinnvoll und hilfreich, aber er ist nicht ausreichend, um dauerhaft zur Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Zielgruppe beizutragen.