2.1 Einleitung

2.1.1 Hinführung zum Thema und bearbeitete Fragestellung

Eine Reihe von Publikationen befasst sich mit der Frage, welche Patienten-bezogenen epidemiologischen Daten und zeitgleich zum Hörsturz aufgetretenen Beschwerden auf die Höhe des initialen Hörverlustes wie auch den nach einer Therapie erreichten Hörerfolg Einfluss genommen haben können [29, 30, 33, 57, 65, 97, 101]. In diesem Kapitel soll es zunächst darum gehen, nach Patientenuntergruppen zu fahnden, bei denen sich vor Behandlungsbeginn die Ausgangslage in Bezug auf den Anfangshörverlust als besonders vorteilhaft resp. unvorteilhaft darstellt. Darüber hinaus interessierte uns, ob sich ggf. die Kombination des Auftretens einzelner Ausgangsparameter besonders günstig oder ungünstig auf die weitere Entwicklung der ISSNHL ausgewirkt hatte.

Nachfolgend soll deshalb zum einen unser eigenes Patientengut (n = 51) vorgestellt und hinsichtlich der o. g. Fragestellungen analysiert werden, zum anderen im Vergleich zu den Ergebnissen korrespondierender Studien, in denen ebenfalls explorative Tympanoskopien durchgeführt wurden, betrachtet werden.

2.1.2 Rekrutierung des eigenen Patientengutes

Für die nachfolgenden Auswertungen verblieben 51 Patienten, die in die Evaluation einbezogen werden konnten (Abb. 1.2). Dabei wurden auch jene 4 Patienten mit berücksichtigt, bei denen sich erst im Rahmen der Tympanoskopie herausstellte, dass sie pathologische Mittelohrbefunde aufweisen.

2.1.3 Rekrutierung der Patientendaten

Für den numerisch-statistischen Vergleich bezüglich der Häufigkeit des Vorkommens einzelner epidemiologischer und anamnestischer Angaben sowie von klinischen Befunddaten standen uns einerseits die Ergebnisse der Analysen von Autoren zur Verfügung, die ein vergleichbares Studienprotokoll verwendeten hatten [29, 30, 33, 97] (Tab. 2.1, Tab. 2.2). Andererseits berücksichtigten wir in dem folgenden Auswertungsteil zumindest aufzählungsmäßig auch die Ergebnisse jener Publikationen, in denen von geringfügig anderen Untersuchungsvoraussetzungen ausgegangen worden war [57, 75, 78].

Tab. 2.1 Übersicht der Studien zur explorativen Tympanoskopie inkl. Obliteration des runden/ovalen Fensters beim Hörsturz: Charakterisierung der Patientengruppen

2.2 Ergebnisse

2.2.1 Geschlechtsverteilung

Von den 51 Patienten unseres Krankengutes gehörten 33 dem männlichen (64,7 %) und 18 dem weiblichen (35,3 %) Geschlecht an (Abb. 2.1).

Abb. 2.1
figure 1

Prozentuale Geschlechts- und Altersverteilung sowie prozentuale Angaben zur Seitenlokalisation des Hörsturzes (n = 56). Vertikale Achse im linken unteren Abbildungsteil: Durchschnittsalter der Patienten in Jahren

In den meisten publizierten Untersuchungsgruppen überwog der Anteil des männlichen Geschlechts, wobei er in den einzelnen Studien zwischen 43,5 % [29] und 64 % betrug [30] (Tab. 2.2). Im gewichteten Mittel bestanden die Kollektive zu 56,3 % aus Männern und zu 43,7 % aus Frauen.

2.2.2 Alter

Das Durchschnittalter der Männer lag bei unseren Erkrankten bei 62,5 Jahren (Standardabweichung [SAW]: 12,0 Jahre; n = 32), das der Frauen bei 67,6 Jahren (SAW:12,1 Jahre; n = 19), der Mittelwert aus beiden Geschlechtern betrug 65,0 Jahre (SAW: 11,9 Jahre; n = 51) (Abb. 2.1).

Im Literaturvergleich erstreckte sich die Variationsbreite der Mittelwerte von den Patienten zwischen 55 Jahren [33] und 65 Jahren (eigene Studie) (Tab. 2.2). Im gewichteten Mittel betrug das Alter der Patienten 58,8 Jahre.

Im Vergleich zu anderen Autoren hatten wir in der Zusammenschau mit den anderen Veröffentlichungen das im Durchschnitt älteste Patientenkollektiv tympanoskopiert. Wir konnten, zumindest nach der Bonferroni- und Li-Korrektur, keine statistisch signifikante Abhängigkeit im Ausmaß des Ausgangshörverlustes zum Alter der Betroffenen eruieren, wenngleich ältere Erkrankte mit höheren initialen Hörverlusten in der Klinik erschienen als jüngere Erkrankte. Patienten jünger als 65 Jahre zeigten einen anfänglichen Hörverlust von 95,6 dB (SAW 18,9 dB; n = 18), Patienten älter als 65 Jahre erlitten einen anfänglichen Hörverlust von 104,9 dB (SAW 14,3 dB; n = 33) (Tab. 2.3). Haubner et al. gelang es, in ihrer Studiengruppe im Gegensatz zu uns eine solche Differenz der Mittelwerte auch auf dem Signifikanzniveau abzusichern [29]. Ältere Erkrankte zeigten in der Studie von Haubner et al. auch die ausgeprägteren Ausgangshörverluste. Insgesamt kann man wohl davon ausgehen, dass bei älteren Patienten schon größere Hörverluste vor dem Hörsturz vorgelegen hatten, als dies bei jüngeren Erkrankten der Fall war. Der neu hinzugetretene Hörschaden hat sich dann möglicherweise dem schon bestehenden Hörverlust sozusagen „aufgepropft“. So darf es nicht allzu sehr verwundern, wenn unsere betagteren Erkrankten auch mit bereits höheren Ausgangshörverlusten nach dem Hörsturzereignis in der Klinik erschienen.

2.2.3 Seitenlokalisation der Hörstürze

Bei 21 Patienten unseres Krankengutes war der Hörsturz rechts aufgetreten (41,1 %), bei 30 (58,9 %) links (Abb. 2.1).

Bezüglich der Seitenlokalisation ergab sich in den zum Vergleich herangezogenen Veröffentlichungen ein uneinheitliches Bild (Tab. 2.2). Hier schwankten die Verteilungswerte für den Befall der rechten Seite in den publizierten Untersuchungsgruppen zwischen 41,1 % (eigene Studie) und 56,5 % [31].

Die Beobachtung an unserem Patientengut, dass der Hörsturz auf der linken Seite deutlich häufiger (im ersten Auswertungsschritt ohne Bonferroni- und Li-Korrektur signifikant häufiger links als rechts aufgetreten) war als rechts, bestätigte sich im Vergleich zu den anderen Studiengruppen nicht durchgehend. Deshalb sahen wir auch keine Notwendigkeit, die bei uns beobachtete Bevorzugung der linken Seite einer weiteren Analyse zu unterziehen.

2.2.4 Jahreszeitliches Auftreten der Hörstürze

Das Auftreten der Hörstürze, die mittels explorativer Tympanoskopie behandelt worden waren, zeigte bei uns über das Jahr gesehen einen ungleichmäßigen Verlauf (Abb. 2.2). Teilt man das Jahr in die Frühlings-/Sommermonate April bis September einerseits und Oktober bis März andererseits, tritt der Unterschied deutlich zu Tage. Nahezu 2/3 der Fälle (n = 35; 68,6 %) hatten sich in der warmen Jahreszeit und nur etwa 1/3 der Hörsturzereignisse (n = 16; 31,4 %) in den Herbst- und Wintermonaten ereignet. Die Hörerfolge, die in diesen beiden Halbjahresgruppen erreicht wurden, unterschieden sich statistisch nicht signifikant voneinander.

Abb. 2.2
figure 2

Verteilung des Auftretens der Hörstürze in den Monaten April bis September (Sommer) und den Monaten Oktober bis März (Winter) (linker Abbildungsteil) sowie der Hörgewinne in den beiden Jahreszeiträumen (rechter Abbildungsteil). Vertikale Achse linker Abbildungsteil: Anzahl der vom Hörsturz betroffenen Patienten; vertikale Achse rechter Abbildungsteil: Hörgewinn in dB

Bislang haben sich nach unseren Recherchen lediglich zwei andere Autorengruppe der jahreszeitlichen Verteilung der Hörsturzereignisse gewidmet [63]. Sie hatten keine saisonale Häufung der Hörsturzerkrankung nachweisen können. Weitergehende Untersuchungen hätten aus unserer Sicht der Frage nachzugehen, ob sich unsere Beobachtungen auf den zwischen Herbst/Winter und Frühling/Sommer veränderten Hormonstatus im Körper beziehen können. Derartige saisonale Schwankungen sind für das Thyreoidea-stimulierende Hormon (TSH) und das Parathormon mit Auswirkungen auf den Vitamin-D-Stoffwechsel bekannt [49]. Weiter lassen sich auch jahreszeitliche Unterschiede bei den Blutkonzentrationen der Geschlechtshormone nachweisen, wobei sie sich zwischen den lichtarmen Herbst-/Wintermonaten und den sonnenreichen Sommer-/Herbstmonaten ergeben [64, 86]. Nicht zuletzt zeigen auch die Melatoninkonzentrationen im Blut jahreszeitliche Schwankungen mit höheren Werten in den lichtreichen Monaten [17, 67]. Das Melatonin wiederum übernimmt bei der Abwehr von Entzündungserkrankungen eine wichtige Rolle.

2.2.5 Vorerkrankungen am Innenohr oder Schädel-Hirn-Traumen

Bei 12 Patienten (24,5 %) unseres Krankengutes hatte anamnestisch zu einem früheren Zeitpunkt bereits eine Innenohrerkrankung auf dem gleichen Ohr (z. B. Hörsturz, Vestibularisneuropathie, Herpes zoster etc.) oder ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT) vorgelegen, bei 37 Patienten (75,5 %) war das nicht der Fall (Abb. 2.3).

Abb. 2.3
figure 3

Prozentualer Anteil der tympanoskopierten Patienten mit Innenohr-bedingten Vorerkrankungen und oralen Vortherapien vor der stationären Krankenhausaufnahme

Dabei hatten Patienten, deren linkes Ohr vom Hörsturz befallen war, signifikant häufiger (40 %; p = 0,05) Innenohrvorerkrankungen/Schädel-Hirn-Traumen vorliegen, als dies für Erkrankte mit einer rechtsseitigen Hörminderung zutraf (Tab. 2.3).

Unter Einbeziehung einer weiteren Studie wiesen zwischen 4,4 % [97] und 24,5 % (eigene Studie) der am Hörsturz Erkrankten Innenohrvorerkrankungen auf. Daraus errechnet sich ein gewichteter Mittelwert von 9,6 % (Tab. 2.2).

2.2.6 Vortherapien

Vortherapien in Form einer oralen Medikation, initiiert von einem ambulant behandelnden Arzt, waren bei 8 unserer Erkrankten (17,1 %) vor der stationären Krankenhausaufnahme erfolgt (im Mittel 4,6 Tage lang), 38 Patienten (82,9 %) waren unbehandelt in der Klinik erschienen (Abb. 2.3).

Bei Patienten, die eine ambulante Vorbehandlung vor der stationären Krankenhausaufnahme erhalten hatten, war die Latenzzeit zwischen Hörsturzereignis und Klinikaufnahme signifikant länger (4,9 Tage; p = 0,004), als dies bei Nichtvortherapierten der Fall war (2,4 Tage) (Tab. 2.3).

Eine durch den ambulant behandelnden HNO-Arzt eingeleitete Vortherapie mit oral applizierten Medikamenten erhielten im Literatur- bzw. Studienvergleich zwischen 17,1 % (eigene Studie) und 42,6 % [33] der Patienten (Tab. 2.2). Ein gewichteter gemeinsamer Mittelwert liegt bei 34,7 %.

Die Differenz in der Anzahl der Vorbehandlungen zwischen dem Patientenklientel vom Kampfner et al. und unserem Krankengut erklärt sich am ehesten aus der Tatsache, dass die Patienten der Studie von Kampfner et al. im Mittel erst 14,1 Tage nach dem Hörsturzereignis in der Klinik aufgenommen worden waren [33]. Hier war der Hörsturz von den Betroffenen wohl frühzeitig wahrgenommen worden, dann aber ambulant eine Primärtherapie eingeleitet worden.

2.2.7 Vorliegen einer für eine PLF typischen Auslösesituation

Zum Zeitpunkt des Hörsturzereignisses lagen bei 13 der von uns behandelten Patienten (29,5 %) Situationen vor, die als typische „Auslöser“ für das Entstehen einer Perilymphfistel (plötzliche Erhöhung des atmosphärischen bzw. intrakraniellen Druckes) in der Literatur angegeben sind (Husten- oder Niesattacke, schweres Heben mit Aktivierung der Bauchpresse, starke körperliche Belastung etc.). In 31 Fällen (n = 70,5 %) stand der Eintritt des Hörsturzes in keinem Zusammenhang mit einem derartigen Ereignis (Tab. 2.2 und Abb. 2.4).

Abb. 2.4
figure 4

Prozentualer Anteil der tympanoskopierten Patienten mit typischen Auslösesituationen, Schwindel oder Tinnitus zum Zeitpunkt des Hörsturzereignisses (n = 51)

Bei den von uns behandelten Patienten fand sich ein statistisch relevanter Zusammenhang zwischen dem Ausmaß des Ausgangshörverlustes und dem Vorhandensein einer für das Bestehen einer PLF typischen „Auslösesituation“, die mit einer Erhöhung des intrazerebralen/atmosphärischen Druckes einherging. Dabei wiesen die Patienten, bei denen ein solcher „elicitor“ vorlag, in einem ersten Auswertungsschritt signifikant schlechtere, initiale Anfangshörminderungen auf als die Vergleichsgruppe der Erkrankten, die nicht von einer typischen Auslösesituation berichtet hatten. Der Bonferroni-Korrektur hielt diese Differenz jedoch nicht stand (p = 0,08 nach Bonferroni-Korrektur; p = 0,18 nach Li-Korrektur: p = 0,02). Der Hörverlust betrug bei Patienten mit Auslösesituationen 114,3 dB (SAW: 8,6 dB; n = 11), der Hörverlust bei Patienten ohne Auslösesituation lag bei 96,6 dB (SAW: 16,5 dB; n = 26) (Tab. 2.3). Über einen Zusammenhang der beiden Parameter fanden sich nach unseren Recherchen bislang keine vergleichbaren Literaturangaben.

In Zusammenhang mit einer typischen Auslösesituation trat der Hörsturz laut Literaturmitteilungen bei 13,9 % [33] bis 29,5 % (eigene Studie) der Fälle auf (Tab. 2.2). Daraus errechnet sich ein gewichteter Mittelwert von 18,8 %.

In der Zusammenschau der von uns ausgewerteten Publikationen konnten wir also den höchsten Anteil an den für die Entstehung einer Perilymphfistel typischen Auslösesituationen ausmachen, die, wie beschrieben, ja darüber hinaus auch auf die Höhe der initialen Hörminderung Einfluss nahmen. Dies erklärt sich möglicherweise durch die Tatsache, dass wir die Patienten von Anbeginn an sehr sorgfältig nach diesem Phänomen befragt haben. Die Abgrenzung einer idiopathisch entstandenen Hörminderung zu einer Perilymphfistel gehörte nämlich zu den fundamentalen Anliegen unserer Untersuchungen.

2.2.8 Schwindel

Synchron zur Hörminderung war bei 29 Patienten (56,8 %) Schwindel aufgetreten, 22 Erkrankte (n = 43,2 %) hatten nicht über dieses Begleitsymptom geklagt (Tab. 2.2 und Abb. 2.4).

Patienten mit Schwindelbeschwerden ließen einen Anfangshörverlust von 107,0 dB (SAW: 15,8 dB; n = 28) erkennen, während solche ohne Gleichgewichtsstörungen eine initiale Hörminderung von 93,8 dB (SAW: 14,6; n = 22) aufwiesen. Dieser Unterschied erwies sich sowohl nach der Bonferroni- wie auch Li-Korrektur als statistisch signifikant (p = 0,02).

Tab. 2.2 Vergleichende Darstellung der Studien zur explorativen Tympanoskopie beim Hörsturz: Unterschiede epidemiologischer, anamnestischer und klinischer Parameter im Hinblick auf die mittleren Ausgangshörverluste
Tab. 2.3 Wahrscheinlichkeiten, mit denen sich aufgrund des Students-T-Testes verschiedene Subpopulationen unseres Patientengutes hinsichtlich des Zutreffens bzw. Nichtzutreffens gesetzter Filterkriterien aus Daten der Epidemiologie, den Beschwerdeschilderungen und den erhobenen Eingangsbefunden in ihren mittleren Ausgangshörverlusten, den mittleren Hörgewinnen und den langfristig gemessenen Nachuntersuchungshörvermögen unterschieden (n = 51)

Synchron zum Hörsturz war laut Literaturangaben der Schwindel in einer großen Variationsbreite, nämlich zwischen 21,6 % [30] bis 56,8 % (Eichhorn) der Patienten aufgetreten (Tab. 2.2). Dies entsprach einem Durchschnittswert von 39,5 %.

Tab. 2.4 Einteilung der Patienten, die im Rahmen des Hörsturzgeschehens einen Schwin- del entwickelt hatten

Für den synchron zum Hörsturz aufgetretenen Schwindel fanden neben uns nur Maier et al. einen signifikanten Zusammenhang zu den initial erfassten Hördaten in der Art, dass sich das Vorhandensein von Schwindel signifikant negativ unterscheidend auf den Ausgangshörverlust ausgewirkt hatte. Im eigenen Patientengut zeigten Patienten mit Schwindel einen Anfangshörverlust von 107 dB, (SAW: 15,8 dB2, n = 29), während bei Patienten ohne Schwindel der Anfangshörverlust bei 93,9 dB lag (SAW: 14,6 dB, n = 22; p = 0,048) [57].

2.2.9 Schwindel und Nystagmus

Von den 29 Patienten (56,8 %), die bei der Aufnahme in unsere Klinik über einen zeitgleich zum Hörsturz aufgetretenen Schwindel geklagt hatten, konnten 26 Elektronystagmogramme ausgewertet werden. In 14 Fällen zeigte sich ein horizontaler Spontannystagmus, der in das nichtbetroffene, gesunde Ohr gerichtet war (Ausfallnystagmus; n = 53,8 %), 6-mal war er im Sinne eines Reiznystagmus in das am Hörsturz erkrankte Ohr gerichtet (23,1 %). Damit fanden bei 76,9 % der Patienten (n = 20/26) mit anfänglich geäußerten Gleichgewichtsstörungen diese in einem Spontannystagmus auch ein objektives Korrelat. Bei 6 Erkrankten (n = 23,1 %) mit akuten Schwindelsymptomen lag die Spontannystagmusfrequenz bei <5/30 s, was von uns als nicht vorhandener Spontannystagmus gewertet wurde.

Das aus der Kalorisation abgeleitete Seitenüberwiegen der Patienten mit einem Ausfallnystagmus betrug im Mittel 4,4 % (SAW: 16,5 %; n = 14), das im Drehtest ermittelte Richtungsüberwiegen lag bei 18,3 % (SAW: 37,5 %; n = 18).

Die Intensität des abgeleiteten Spontannystagmus korrelierte mit einem Korrelationskoeffizienten r = 0,52 (n = 18) mit dem aus dem Drehtest ermittelten Richtungsüberwiegen („directional preponderance“) und zeigte damit also ein relativ hohes Maß an Übereinstimmung (Abb. 2.5).

Abb. 2.5
figure 5

Zusammenhang zwischen dem Spontannystagmus (SPN) und der Directional Preponderance (Richtungsüberwiegen der Nystagmusantworten) (linker Abbildungsteil; n = 18; Abszisse: Anzahl der Spontannystagmen/30 s; Ordinate: Directional Preponderance in Prozent) sowie dem SPN und dem Ausmaß des gemittelten initialen Hörverlustes (rechter Abbildungsteil; n = 18; Abszisse: Anzahl der Spontannystagmen/30 s; Ordinate: Anfangshörverlust in dB)

Hintergrundinformation

Die Ausgangshörverluste der Patienten mit einem Spontannystagmus (107,1 dB; SAW: 17,6 dB; n = 15) differierten im Gegensatz zu denen, die keinen Spontannystagmus (99,0 dB; SAW: 15,3 dB; n = 38) erkennen ließen, nicht signifikant voneinander (p = 0,121).

Gliedert man die Patienten in zwei Gruppen, wobei die einen ein Richtungsüberwiegen von >25 % aufwiesen und die anderen eine Directional Preponderance (DP) von <25 % boten, so zeigten sich bezüglich der Anfangshörverluste (DP >25 %: 108,4 dB, n = 7; DP <25 %: 108,1 dB, n = 6; p = 0,89) nur äußerst geringe, statistisch nicht ins Gewicht fallende Unterschiede. Demgegenüber war das Vorhandensein eines SPN in der Gruppe der komplett Ertaubten (56,3 %) gegenüber den nicht ertaubten Patienten (16,2 %) signifikant häufiger vertreten (p = 0,004). Diese Beobachtung stützt die These, dass eine gleichzeitige Mitbeeinträchtigung des Vestibularisorgans neben der Einschränkung der kochleären Hörfunktion eine Bedeutung in dem Gesamtgeschehen eines Hörsturzes besitzt und insgesamt auf einen größeren Ausdehnungsgrad der Innenohrfunktionsstörung hinweist.

Bei Thomas et al. war das Verhältnis von den Patienten, die über Schwindel berichtet hatten (37,0 %), und jenen, bei denen ein Spontannystagmus nachgewiesen werden konnte (27,2 %), im Vergleich zu unserem Krankengut relativ gering (9,8 %). Im eigenen Krankengut lag der Anteil an Patienten mit Schwindel bei 56,8 %, der Anteil an Patienten mit SPN bei 39 % (Differenz:17,8 %) [97].

2.2.10 Tinnitus

Tinnitus hatte sich in unserem Patientengut bei 27 (54,0 %) der Erkrankten zeitgleich zum Hörsturz eingestellt, 23 Patienten (46 %) hatten nicht von Ohrgeräuschen berichtet (Tab. 2.2 und Abb. 2.4).

Begleitender Tinnitus wurde nach der Literatur in 47,7 % [97] bis 72,5 % [30] der Fälle dokumentiert (Tab. 2.3). Als gewichteter Mittelwert errechnet sich für dieses Krankheitssymptom ein Wert von 53,2 %.

2.2.11 Zeitintervalle in der Behandlung

Im Durchschnitt suchten unsere Patienten die Klinik 2,8 Tage nach dem Hörsturzereignis zur Behandlung auf (Tab. 2.2). Sie verbrachten im Mittel 5,3 Tage auf der Station, bevor die Tympanoskopie durchgeführt wurde. Insgesamt vergingen vom Auftreten der Erkrankung bis zur Operation im Durchschnitt 8,1 Tage. Bei 35,3 % der Erkrankten (n = 18) fand der chirurgische Eingriff innerhalb der ersten 3 Tage des Klinikaufenthaltes statt, in weiteren 43,1 % der Fälle (n = 22) erfolgte er zwischen dem 4. und 7. Tag nach Aufnahme in die Klinik. Nur bei 21,6 % der Patienten wurde die Tympanoskopie erst nach einer Woche konservativer, stationär systemischer Kortikosteroidbehandlung angesetzt.

Wenn die Dauer zwischen dem Hörsturzereignis und der stationären Aufnahme überdurchschnittlich hoch war (>4,5 Tage gegenüber 0,7 Tage), fiel dafür die stationäre Latenzzeit bis zum chirurgischen Mittelohreingriff (4,4 Tage gegenüber 6,3 Tage) signifikant kürzer aus (p = 0,02), als bei der umgekehrten Wertekonstellation der Fall war. Auch hier wollte wohl der behandelnde Arzt nicht das Risiko eingehen, das in der Literatur wiederholt beschriebene „Zeitfenster“ für einen noch mit einer Erfolgsaussicht verbundenen chirurgischen Eingriff zu überschreiten [30, 33, 57, 78 97, 101].

In der Studie von Kampfner et al. bestand, wie schon beschrieben, ein mittleres Zeitintervall von 14,1 Tagen zwischen dem Hörsturz und der Tympanoskopie, während es in der Studie von Hoch et al. (5,0 Tage) und in unserem Patientengut (8,1 Tage) deutlich tiefer lag (Tab. 2.3) [30].

Hinter dem vergleichsweise langen durchschnittlichen Zeitintervall zwischen Hörsturzereignis und Mittelohroperation (14,1 Tage) bei Kampfner et al. verbirgt sich eine große Variationsbreite, die von den Autoren mit 1 Tag bis 6 Monate angegeben wird [33]. Es fragt sich, ob ein Patientengut, das bei dem genannten Parameter eine derart große Schwankungsbreite aufweist, überhaupt als einigermaßen homogen betrachtet werden kann und ohne vorherige Filterung in eine gemeinsame Auswertung einbezogen werden darf.

Demgegenüber lagen die mittleren Zeiträume zwischen dem Auftreten der Hörminderung und der Tympanoskopie bei Thomas et al. und unserer Studie (7,7 resp. 8,1 Tage) recht dicht beieinander. Sie räumten den behandelnden Ärzten einen ausreichenden Spielraum ein, um Patienten sowohl einem First-Line- als auch Second-Line-Vorgehen im Behandlungsablauf zuordnen zu können [96].

2.2.12 Anfangshörverlust

Der durchschnittliche Hörverlust der von uns behandelten 51 Patienten betrug 101,3 dB (SAW: 16,5 dB; n = 51) (Tab. 2.2 und Abb. 2.6). Es zeigte sich, dass bei dem gemittelten Hörkurvenverlauf ein pankochleärer Schädigungstyp vorlag. Bei 16 Erkrankten (31,3 %) bestand eine komplette Surditas (120 dB), 11 Patienten wiesen eine anfängliche Hörminderungen zwischen 100 und 119 dB auf (21,6 %) und bei den restlichen 24 Betroffenen (47,1 %) lagen Hörverluste zwischen 60 und 99 dB vor.

Abb. 2.6
figure 6

Ausgangshörverluste in den einzelnen Frequenzen in Form eines Box-Plot-Diagramms (linke Abbildungsseite) und als Darstellung der arithmetischen Mittelwerte unmittelbar nach der Krankenhausaufnahme (rechte Abbbildungsseite) (n = 51). Ordinate: gemittelter Hörverlust (dB); Abszisse: audiologisch geprüfte Frequenzen (kHz)

In der Literatur schwankten die Ausgangshörverluste bei den einzelnen Studiengruppen zwischen 73,3 dB [30] und 106,9 dB [96]. Der gewichtete Mittelwert betrug 98,2 dB.

2.2.13 Varianzanalyse (ANOVA)

Die Durchführung der ANOVA ergab, dass sich lediglich die Subpopulationen, die einen Schwindel zeitgleich zum Hörsturz verspürt hatten, von allen anderen, parallel überprüften Untergruppen signifikant unterschieden (p = 0,03).

2.3 Zusammenfassung

Die explorative Tympanoskopie mit Obliteration der ovalen/runden Fensternische stellt ein Therapieverfahren dar, das bei hochgradigen, akut eingetretenen, idiopathischen sensorineuralen Hörminderungen (= Hörsturz) alternativ zu anderen Behandlungsmethoden eingesetzt wird.

In der vorliegenden Studie wird das Patientengut bezüglich seiner epidemiologischen Daten, anamnestischen Angaben und klinischen Erstbefunde vorgestellt, das in einem 10-Jahres-Zeitraum (2006–2015) am Carl-Thiem-Klinikum in Cottbus mit der genannten Operationsmethode therapiert wurde. Von insgesamt 76 Tympanoskopierten konnten nach Anwendung verschiedener Filterkriterien 51 in die Auswertung einbezogen werden. Die zusammengestellten Daten werden mit den Angaben anderer Autoren, die ihre Patienten mit einem vergleichbaren Studienprotokoll behandelt hatten, verglichen.

Männer stellten bei uns mit 62,7 % den Hauptanteil der Patienten. Das Durchschnittsalter der Erkrankten lag bei 65 Jahren. Nahezu 2/3 der Hörstürze ereigneten sich in den Frühjahrs- und Sommermonaten April–September. Von unseren Patienten hatten 22,5 % auf dem gleichen Ohr schon Innenohrvorerkrankungen oder ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Bei 29,5 % der Betroffenen war der Hörsturz im Rahmen einer Situation eingetreten, die mit einer Erhöhung des intrazerebralen Druckes einhergegangen war und damit für die Entstehung einer Perilymphfistel als typisch angesehen wird. Synchron zur Hörminderung war bei 57,0 % der Patienten Schwindel aufgetreten, in 54 % ein Tinnitus. Es war im Mittel zu einem pankochleären Schädigungstyp gekommen, wobei der durchschnittliche Hörverlust, gemessen anhand der Frequenzen 0,5, 1, 2 und 4 kHz, 101,3 dB betrug. Die mittlere Latenzzeit zwischen dem Hörsturzereignis und der Klinikaufnahme lag bei 2,8 Tagen; es folgte eine konservative systemische Kortikoidbehandlung von durchschnittlich 5,3 Tagen, bevor die Tympanoskopie durchgeführt wurde.

Das Ausmaß des Anfangshörverlustes unterschied sich, bezogen auf die Tatsachen, ob eine Auslösesituation für das Entstehen einer PLF vorgelegen hatte (Auslöser vorhanden: 114, dB; kein Auslöser: 96,6 dB) und ob ein begleitender Schwindel zum Hörsturz aufgetreten war (Schwindel vorhanden: 107,0 dB; kein Schwindel: 93,0 dB), als Ergebnis des T-Testes mit nachfolgender Bonferroni- und Li-Adjustierung signifikant in den beiden einander gegenübergestellten Untergruppen.

Während andere Autoren einen statistischen Zusammenhang zwischen dem Alter der Patienten und dem Ausgangshörverlust feststellen konnten, war das in unserem Krankengut nicht der Fall.

Für den Schwindel konnten auch Maier et al. einen signifikanten Zusammenhang zum Ausmaß des initialen Hörverlustes feststellen.

Weitere Untersuchungen könnten u. a. den Fragen nachgehen, ob sich die von uns beobachtete Häufung der Hörsturzereignisse in den Frühlings- und Sommermonaten mit statistischen Methoden absichern lässt und ob sie mit saisonalen Hormonkonzentrationsschwankungen im Blut zu erklären ist.