19. August 1946. Eine Familie mit Mutter, Vater und drei Kindern – zwei Jungs und einem Mädchen – packt das Auto und verlässt Oslo. In ein neues Dasein. In ein neues Land. Zuerst mit dem Schiff nach Antwerpen, dann weiter durch die Niederlande und Luxemburg. Der Krieg ist vorbei. Die Welt wartet. Dem Vater wurde eine leitende Stelle am Hauptsitz von Brown Boveri in der Schweiz angeboten. Die Mutter findet das großartig. Sie ist das Öl im Getriebe, die Nabe im Rad, diejenige, zu der alle gehen, diejenige, die das Zuhause verwaltet. Der Mann ist schon immer viel gereist, jetzt aber soll die ganze Familie mit. Der Vertrag gilt für drei Jahre. Die Kinder sollen dort auch die Steiner-Schule beziehungsweise den Steiner-Kindergarten besuchen. Das Haus in Røa ist an seine Schwester und ihren Mann vermietet.

„Er“ ist natürlich Rolf. „Sie“ ist Ragnhild. „Die Kinder“ sind Unn, Arild und der kleine Rolf, direkt vor und während des Krieges geboren. Sie ziehen in eine kleine Wohnung in Zürich. Das neue Leben hat begonnen. Alles ist spannend. Für alle.

Rolf ist vor Ostern kurz in der Schweiz gewesen und hat das Vertragliche geregelt. War hingeflogen, obwohl es ihnen finanziell nicht besonders gut ging. In der Tat war er gezwungen gewesen, in diesem Jahr 30 seiner Patentrechte zu verkaufen. Freilich hatte die Firma, für die er arbeitete, NEBB in Skøyen, eine Tochtergesellschaft der Schweizer Brown Boveri, sie ihm abgekauft. In der Schweiz hatte er einen der Boveri-Brüder persönlich kennengelernt, Walter Boveri. Rolfs Aufgabe bestand anfänglich darin, ein großes Betatron für das Krankenhaus in Zürich zu bauen. Keiner von ihnen glaubte, dass ein Betatron mit so hoher Energie in Norwegen gebaut werden könne. Die technische Ausstattung war nicht ausreichend, zudem gab es keine Glasbläser, die die Arbeit hätten ausführen können, und es gab keine Technologie, um die Röhre luftdicht herzustellen.

Rolf hatte detaillierte Konstruktionszeichnungen dabeigehabt, und einzelne Vorbereitungen für den Bau waren bereits bei seinem Besuch vorgenommen worden. Das war eindeutig ein Prestigeprojekt, dem Priorität eingeräumt wurde. Brown Boveri wollte es der Welt zeigen, und dafür hatten sie genau den bekommen, den sie haben wollten. Nach dem Krieg waren die Amerikaner technologisch führend, und viele der besten europäischen Forscher waren wegen größerer Möglichkeiten in die USA gegangen. Europa blieb mit dem „brain drain“-Problem zurück, dem Verlust intelligenter Köpfe. Auf Wunsch des Unternehmens sollte er so schnell wie möglich anfangen. Sie dachten wohl, das Betatron sei besser als nichts, wie Rolf es ausdrückte.1

Im Oktober und November kehrte er zur Klärung diverser Formalitäten für einige Tage nach Oslo zurück. Dann galt es sich anzustrengen. Jetzt lag es an ihm. Sich zu entfalten, bedeutete jedoch unendlich viele Werktage, gefüllt mit dem, was Werktage ausmacht, und das galt für die ganze Familie. Die ersten drei, vier Jahre reiste er kaum. Alles drehte sich um den Bau des Betatrons. Würde es ihm gelingen, wäre es Europas erste Behandlungsmaschine dieses speziellen Typs. Und gelingen musste es. Seine ganze Glaubwürdigkeit und sein fachlicher Ruf standen auf dem Spiel.

Lärm, Gestank und Strickhandschuhe

Im Frühjahr nimmt das Betatron langsam Form an. Die Bauarbeiten finden in einem Inspektionstunnel unter einer riesigen Montagehalle statt, wo Generatoren getestet werden. Der Tunnel fungiert gleichzeitig als Kanal für die Klima- und Heizanlage mit den dazugehörigen Gerüchen und Geräuschen – Arbeitsverhältnisse, die heute kaum genehmigt würden. Am meisten quält Rolf der Lärm. Wenn in der darüberliegenden Halle die Maschinen laufen, ist unten im Tunnel niemand zu verstehen. Mitunter werden die Generatoren mit verschiedenen Isolierstoffen eingesetzt, was aufgrund des hereinziehenden Gestanks das Atmen im Tunnel zeitweise erschwert.2

Selbst 50, 60 Jahre danach hatte er Probleme zu begreifen, dass er das Zürich-Betatron schließlich wirklich zum Laufen gebracht hatte. Während des Krieges hatte er ein kleineres gebaut, was aber nach England gelangte, wo es verschwand. Von diesem neuen hatte er so lange geträumt. Ja, sich auch abgeschuftet, daran fehlte es nicht. Und er hatte es gebraucht. Für sein Renommee. Für seine finanzielle Lage. Dann aber wurde die Strahlengefahr ein Problem. Ja, nicht nur ein Problem, die Strahlung war unmittelbar gefährlich, obwohl er persönlich genau davor keine große Angst hatte. Jedoch gab es keinen besonderen Schutz gegen die Strahlen, weshalb er und sein Team einmal pro Woche die 30 km ins Krankenhaus fahren mussten, um das Niveau der weißen Blutkörperchen testen zu lassen. War es niedriger als 3000 pro Kubikmillimeter, „mussten wir ein bisschen frei machen“, wie er es ausdrückte. Als sie den Strom in der Maschine noch etwas erhöhten, wurde die Strahlung sogar für die Angestellten in der darüberliegenden Etage zu hoch. Aber nichts ist so schlecht, dass es nicht auch für etwas gut ist, denn jetzt bekamen sie ihr eigenes Strahlenlabor, das nicht nur sicherer, sondern auch besser geeignet war. Nicht unwesentlich auch die Freude über Luft und Licht. Bei Vorträgen pflegte er darauf hinzuweisen, dass die Entwicklung eines Betatrons zu 95 % aus Schweiß und zu fünf Prozent aus Inspiration bestünde. Dabei sei er nicht so sehr Technologe, als dass er nicht auch „die Inspiration manchmal sehr brauche“.

Auch die Wohnung war nicht zum Angeben geeignet. Klein, trist und ziemlich kalt, was sie im Herbst und Winter schnell feststellten. Für die Kinder ging die Kontinuität mit Veränderung einher. Ausgleich boten da all die Aktivitäten, bei denen sie sich austoben konnte, wie Ski-Abfahrten in den Alpen. Bergauf den Skilift zu nutzen, kam nicht infrage. Selbst gestrickte Wollhandschuhe, durch die der Wind direkt hindurchfegte, machten das Ganze nicht viel besser.

Dachboden mit Geheimzimmer

Die Zeit in Norwegen hatte auch ihre Dramatik gehabt – mit Krieg und vielen Dingen, die sie nicht ganz verstanden hatten. Der Vater war nur in den Ferien sowie ein paar Tage zwischendurch zu Hause gewesen. Jetzt, nachdem sie in die Schweiz gezogen waren, kam er jeden Tag nach Hause. Später begriffen sie, dass es die Mutter in Norwegen nicht immer leicht gehabt hatte. Der Ehemann ständig unterwegs, ohne dass sie viel darüber sagen konnte, drei kleine Kinder, Essensrationierungen, Nazi-Gerüchte – und Unsicherheit, viel Unsicherheit.

Arild, der Älteste, erinnert sich am besten und hat seither viel darüber nachgedacht. Auf die Frage, wie es seiner Mutter während des Krieges in Norwegen ging, antwortet er:

„Es war sicher schwer für meine Mutter. Ich weiß, dass wir viele Zeitungen der norwegischen Widerstandsbewegung hatten, die in unserem Haus im Melumveien 8 auf einem geheimen Dachboden deponiert wurden. Ich weiß auch genau wo. Und das war nicht ganz ungefährlich.“

„Waren die zur Weiterverteilung gedacht?“

„Die waren zur Weiterverteilung, ja.“

„In eurem Haus befanden sich haufenweise Zeitungen?“

„Ja.“

„Wer hat sie verteilt?“

„Ich habe keine Ahnung.“

„Hat sie jemand abgeholt?“

„Ja, sicher hat sie jemand abgeholt. Ich möchte behaupten, dass meine Mutter Kontakt zur Widerstandsbewegung hatte, sonst wäre das doch nicht passiert. Und das weiß ich ganz sicher, das ist mir nicht plötzlich eingefallen.“

„Wie hieß die Zeitung?“

„Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass das Haus in der ersten Etage so einen Vorbau hatte, eine Dachgaube, wo Vater eine Art Büro hatte, das als Gästezimmer diente, und dort drinnen hatten wir zwei Geheimzimmer, die man nicht sofort sah.“3

Für einen kleinen Jungen gab es viel, worüber man sich wundern konnte. Einige Fragen bleiben im Leben unbeantwortet, auch wenn man erwachsen wird.

BBC wird zu ABB

Die Firma BBC, in der Rolf nach dem Krieg anfing – sie hatte nichts mit dem britischen Rundfunk zu tun, sondern stand für Brown Boveri & Cie. –, war nicht irgendein Unternehmen. Es war 1891 von Charles Brown und Walter Boveri gegründet worden, im selben Jahr, als in der Schweiz der Bau der ersten Generatorenfabrik begann. Das Unternehmen spielte eine zentrale Rolle in der Elektrifizierung des europäischen Eisenbahnnetzes, was damit begann, dass BBC auf eigenes Risiko die Verantwortung für eine 20 km lange Strecke in der Schweiz übernahm. Das zweite große Projekt waren Dampfturbinen. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg lieferte die Fabrik die bis dahin mit 40.000 Pferdestärken größte Dampfturbine der Welt. Als der heimische Markt zu klein wurde, kam es weltweit zur Gründung von Tochtergesellschaften. Kurz vor dem 100-jährigen Bestehen des Konzerns hatte er fast 100.000 Angestellte sowie, nach heutigem Wert bemessen, einen Jahresumsatz von 60 Mrd. Kronen. Auf der Hälfte des Geschehens erschien Rolf auf der Bildfläche, als Verantwortlicher für die Betatron-Entwicklung, die über mehrere Jahrzehnte eines der Standbeine von Brown Boveri darstellte – in Konkurrenz unter anderem zu Siemens, einem ebenfalls großen, traditionsreichen und weltumspannenden Unternehmen.

Fährt man heute nach Baden, wo die Gründer ihren Hauptsitz hatten, wirkt die Ansammlung der Firmengebäude noch immer wie eine Stadt in der Stadt. Die Brown Boveri Strasse führt, wie sie es schon immer getan hat, an dem ursprünglich ersten Backsteinhaus vorbei, dem gegenüber ein neues modernes Gebäude aus Glas und Stahl, inklusive eines Empfangsbereichs, entstanden ist. An den Gebäuden steht nicht mehr BBC, sondern ABB in roten leuchtenden Buchstaben mit den charakteristischen weißen dünnen „Strichen“ des Logos, die ein verbindendes Gitternetz bilden. 1988 fusionierte Brown Boveri nämlich mit der schwedischen ASEA und wurde zu ABB – Asea Brown Boveri Ltd. Die Leitung übernahm der einstige Konzernchef von ASEA, Percy Barnevik. Der Umsatz schoss in die Höhe, und eine Zeit lang war das Unternehmen ein bejubeltes, wiederkehrendes Thema in norwegischen Zeitungen. ASEA hatte sich die Aktienmehrheit am norwegischen Telekommunikations- und Industriekonzern Elektrisk Bureau A/S gesichert, der in der norwegischen Elektronik- und Telekommunikationsindustrie zu den führenden gehörte und bis dahin die meisten Telefonapparate an norwegische Haushalte geliefert hatte. Wir befinden uns also inmitten der norwegischen und der europäischen Industriegeschichte.

Die Norsk Elektrisk & Brown Boveri A/S, besser bekannt als NEBB, war seit 1908 eine Tochtergesellschaft von Brown Boveri und hatte in den Fabriken in Skøyen und Strømmen unter anderem Lokomotiven für die Norwegische Staatsbahn NSB gebaut. Die Geschichte der Firma begann 1874 mit der Frognerkilens Fabrikk. Dann ging es wie folgt weiter: 1894 Namensänderung in Norsk Elektrisk A/S; 1905 Zusammenarbeit mit BBC; 1908 Fusion mit BBC und Namensänderung zu NEBB; 1948 Fusion der Skabo Jernbanevognfabrikk mit NEBB; 1973 Schließung der Skabo Jernbanevognfabrikk und Übertragung an die Strømmens Værksted; 1979 Aufkauf der Strømmens Værksted durch NEBB; 1988 wird NEBB Teil von ASEA (Allmänna Svenska Elektriska Aktiebolaget).

Als das Schweizer Unternehmen auf der Bildfläche erschien, blickte NEBB auf eine stolze Vergangenheit. Die legendäre Frognerkilens Fabrikk hatte sich über mehrere Generationen hinweg im Besitz der Familie Solberg befunden, die auch dann die Leitung behielt, als die Firma längst an NEBB übertragen worden war. Als Rolf in Skøyen anfing, stellte die dritte Solberg-Generation mit Sven Adolf den Direktor. Rolf und er waren etwa gleichaltrig und wurden Freunde fürs Leben. Er hatte denselben Namen wie sein Großvater, der die Firma einst gegründet hatte, und war ausgebildeter Ingenieur. Seinen Abschluss hatte er an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich gemacht, an der Rolf später viele Jahre lang Vorlesungen hielt. Im selben Jahr, in dem der junge Solberg seinen Abschluss machte, wurde er in der Mutterfirma in Baden angestellt. Vier Jahre später hatte er seine Lehrzeit absolviert und stieg in den Familienbetrieb in Oslo ein. Ab 1926 war er dort als geschäftsführender Direktor tätig.

Neuer Ford und freie Hand

Jetzt, 1946, war Rolf an der Reihe, am Hauptsitz von BBC angestellt zu werden, und er bekam dort freie Hand. Das Unternehmen wollte sich – sowohl gegen Siemens als auch gegen den Rest der Welt – innerhalb der Atomphysik und der Teilchenphysik behaupten, und bei allem, was er anschob, erhielt er die Unterstützung der Firmenleitung. Wenn es um Betatrone ging, konnte ihm in ganz Europa niemand das Wasser reichen, so viel stand fest. Rolf selbst war der Meinung, die weitreichenden Vollmachten seien nicht zuletzt Professor Paul Scherrer geschuldet, den er bereits im Frühjahr kennengelernt hatte und der ein glühender Verfechter der Betatrone sowie ein guter Freund von Walter Boveri war. Scherrer gehörte zu den Großen, nach denen später ein Forschungsinstitut benannt wurde. Rolf wurde er ein guter Freund und Helfer.

Obwohl das Betatron vor allem auf den medizinischen Gebrauch ausgerichtet war, sah die Leitung von BBC darin auch eine Möglichkeit, einen Fuß in die Kernphysik zu bekommen, was innerhalb der Forschung jetzt das große Thema war. In einer Zeit, in der die Atombombe über Japan die ganze Welt beeindruckt und die Industrie nachhaltig aufgeweckt hatte, übte ein Beschleuniger von 31 Mio. MeV auch auf diejenigen, die überhaupt nichts von Physik verstanden, einen gewissen psychologischen Effekt aus. Die Voltzahl wurden gewählt, weil Elektronen mit dieser Energie zehn Zentimeter Körpergewebe durchdringen können, was Rolf zu dieser Zeit für passend erachtete. Er etablierte eine gute Zusammenarbeit mit dem Mediziner Hans Rudolf Schinz von der Universität Zürich, der sich seinerseits auch für die neue Behandlungsmaschine einsetzte. Schinz war gleichzeitig Leiter der Radiotherapie-Abteilung des Krankenhauses der Stadt, womit Rolf die Mitstreiter beisammen hatte, die er brauchte. Bei der Firmenleitung, weil der Chef einen Professor kannte, der der Sache gegenüber positiv eingestellt war. Bei der Universität, weil man dort das Potenzial sah. Im Krankenhaus, weil man dort die Maschine brauchte und bereit war, dafür zu bezahlen.

Die Aufgabe, sie herzustellen, erwies sich jedoch als schwer. Anfänglich waren die technischen Probleme enorm und es war nicht einfach hinzubekommen, dass die Maschine so funktionierte, wie sie sollte. Rolf versuchte es mittels Vergleichs mit der kleineren Variante, die er einige Jahre zuvor gebaut hatte, zudem studierte er die letzte Entwicklung des Amerikaners Kerst. Anderthalb Jahre später, im Januar 1948, findet er schließlich die Lösung. Jetzt geht es los. Nach drei Jahren in der Schweiz verlängert er 1949 seinen Vertrag. Er kehrt nicht nach Norwegen zurück, wie Ragnhild und er es anfangs angedacht hatten. Er bleibt in der Schweiz. Dort sind die Möglichkeiten. Die Klassenkameraden der Kinder. Die Freunde. Der Tennisplatz. Außerdem musste er sehen, wie sein Betatron an Ort und Stelle installiert und eingesetzt wurde.

Die Maschine war jetzt so weit entwickelt, dass sie ins Krankenhaus transportiert werden konnte, wo sie in einem Spezialraum montiert und angepasst wurde, paradoxerweise zur gleichen Zeit, als Rolf mitsamt Familie in die entgegengesetzte Richtung, aus der Stadt hinauszog. Die fünfköpfige Familie übernahm ein Haus in der Nähe der Fabrik, in der Ortschaft Ennetbaden. Es stand noch immer viel Arbeit aus, vor allem was den Strahlenschutz betraf. Unzählige Messungen wurden durchgeführt und diverse Vorrichtungen gefertigt, um vor Strahlung zu schützen, die dort auftrat, wo sie es nicht sollte. Zum Schutz vor Röntgenstrahlen wurden vor allem Bleiplatten verwendet. Derartige Maschinen produzieren aber auch Neutronen, gegen die ein Schutz errichtet werden musste, und das war kompliziert, da hier zwischen schnellen und langsamen Neutronen unterschieden wurde, die jeweils andere Herausforderungen stellten. Die Testphase zog sich hin. Es war ein Kampf gegen die Zeit, und der Auftraggeber wurde langsam ungeduldig. Definitiv humorvoll gemeint, aber nicht ohne Spitze sagte Dr. Schinz, als er eines Tages Rolf bei der Inspektion der Arbeit unter der Maschine liegend vorfand: „Dort liegt mein größter Feind“, wobei er mit dem Spazierstock auf Rolf zeigte. Letztendlich aber erreichte Rolf sein Ziel. Europas allererstes Betatron für die hochenergetische Strahlentherapie war vollendet und die Begeisterung groß. Im April 1951 erhielten die ersten Patienten dort ihre Strahlenbehandlung. Rolf und Schinz setzten ihre Zusammenarbeit fort und schrieben zusammen mehrere Artikel über hochenergetische Strahlung.

Der Einsatz machte sich bezahlt. Wie sein Sohn Arild berichtet, ging es Rolf nach der Fertigstellung des Betatrons finanziell besser. Da lebte die Familie seit fünf Jahren in der Schweiz. Arild war 13 und erinnert sich gut daran. Der Vater verkaufte den alten Chevrolet und gönnte sich einen funkelnagelneuen Ford.

Arild (ältester Sohn):

„Als Norwegen von Deutschland besetzt wurde, hatte die norwegische Armee bereits Privatautos konfisziert, weil sie selbst nicht über ausreichend Autos verfügte. Mein Vater hatte zu dieser Zeit einen amerikanischen Ford, vermutlich Baujahr 36 oder 37, den er im Zuge dessen hergeben musste. Allerdings fuhr er umgehend in die Stadt und kaufte ein neues Auto. Einen Chevrolet, der nicht registriert wurde, sondern nur in der Garage stand. Ohne Räder. Unter einer Plane. Keiner wusste etwas davon. Das heißt: Die Armee wusste nicht, dass wir ein Auto hatten. Es blieb dort stehen, bis der Krieg zu Ende war. Daher war mein Vater faktisch einer der Ersten, die nach dem Krieg in Oslo Auto fuhren.“

Arild (ältester Sohn):

„1951 fuhren wir mit dem alten Chevrolet nach Norwegen und nahmen zurück in die Schweiz den Zug. Das Auto hatten wir in Norwegen gelassen. Wir standen fast die ganze Zeit, das heißt, wir hatten Sitzplätze, aber wir Kinder, wir standen, denn es gab viele deutsche Kriegsinvaliden, die eher sitzen sollten. Mein Bruder, Klein-Rolf, stand übrigens auch immer im Auto, von der Schweiz bis nach Norwegen. Denn auf der Rückbank war eigentlich nicht für alle Platz, weil wir so viel Gepäck dabeihatten, daher stand er auf dem Kreuzgelenk, wo er auch besser sah.“

Rolf jr. (jüngster Sohn):

„Das Auto, das wir bei unserem Umzug in die Schweiz fuhren, hatten wir bis 1951. Da kaufte sich Vater hier ein Auto, einen neuen Ford. Und der Chevrolet wurde an einen Schwager verkauft, Egil Reksten. Das war, als das erste Betatron verkauft wurde und er Geld bekam. Er hatte seine Patente an Brown Boveri verkauft und hatte einen Vertrag, dass er bei Erfolg und Verkauf der Maschine eine Provision erhielt. Und das Erste, was sie von dem Geld kauften, war dieses Auto.“

Rolf jr. (jüngster Sohn):

„Ich meine mich daran zu erinnern, dass wir auf dem Schiff waren. Aber vielleicht erinnere ich mich auch daran, weil ich Fotos gesehen habe.“

„Haben Sie einen Grund für den Umzug erfahren?“

„Mein Vater hatte eine Stelle in Baden bekommen.“

Arild (ältester Sohn):

„Meine Mutter erzählte mir später, dass sie entschieden hatten, in Zürich zu wohnen, obwohl mein Vater hier in Baden arbeitete. Sie meinte, in Baden zu wohnen, das sei nichts. Sie wollte nach Zürich, was eine ordentliche Stadt war, nicht nur so ein kleines Dorf. Später aber bereute sie es, denn als sie nach Baden gezogen waren, fanden sie dort gute Freunde und waren im Tennisklub, das komplette soziale Leben drehte sich im Grunde um Baden.“

Rolf jr. (jüngster Sohn):

„Die Steiner-Schule lag auf der anderen Seite von Zürich, in der Nähe des Universitätskrankenhauses. Wir konnten mit der Straßenbahn hinfahren, im Sommer aber sparte ich, ich glaube, es waren fünf Rappen, jedes Mal, wenn ich den Roller nahm.“

Arild (ältester Sohn):

„Auch mit uns Kindern war er geschickt. Ich erinnere mich, dass wir mitdurften, als das erste Betatron im Krankenhaus montiert wurde. Da gab es viele Nachtschichten, weil sie hinter dem Zeitplan lagen, auch sonntags wurde gearbeitet. Und als wir mitdurften – zumindest ich – und uns im Krankenhaus umsahen, gab es dort viel Merkwürdiges zu sehen. Später aber dachte ich, das geschah womöglich nicht nur, um nett zu sein, sondern vielleicht auch um ein wenig Begeisterung zu wecken. Er wollte zeigen, dass ihm das nun endlich gelungen war. Die Erfindung an sich, von 1927, als er seine Doktorarbeit schrieb, war schließlich reine Theorie. Hier aber ist mein Lebenswerk! Das nun endlich funktioniert. Und es kann Kranken helfen, wir können sogar Krebs heilen oder zumindest versuchen, Krebs zu heilen, ohne große Bereiche außerhalb des Geschwürs zu schädigen.“

Bergen vs. Oslo

Andernorts findet ein anderer Wettlauf statt, ein Kampf ums Prestige zwischen führenden norwegischen Krankenhäusern. Im Haukeland in Bergen wird darum gewetteifert, das Radiumhospital in Oslo zu schlagen. In beiden Einrichtungen weiß man, dass hochenergetische Strahlenbehandlung das Neueste ist. Wie aber kommt man an einen solchen Apparat? Nichts ist wie ein Kampf zwischen Oslo und Bergen, beide Städte schmücken sich mit internationaler Expertise, da sowohl in Amerika als auch in Europa momentan mehrere verschiedene Typen Hochspannungsgeneratoren getestet werden.

Während des Krieges hatte man in Bergen beschlossen, im Haukeland-Krankenhaus einen Generator zu bauen, eine sogenannte Van-de-Graaff-Maschine. Der Bergenser Odd Dahl, zu dem Rolf späterhin einen engen Kontakt entwickelte, sollte für den Bau verantwortlich sein. Dahl war ein lebhafter Autodidakt und Praktiker, Ingenieur und Pilot. Als Pilot hatte er Roald Amundsen auf dessen Maud-Expedition begleitet, war Assistent am Carnegie-Institut in den USA gewesen, hatte sich als Konstrukteur verschiedener Instrumente einen Namen gemacht und war nun im Chr. Michelsen Institute (CMI) angestellt. Dahl sollte eine führende Rolle in der technischen Entwicklung der Kernphysik in Norwegen spielen, späterhin war er an der Planung und dem Bau des ersten norwegischen Kernreaktors in Kjeller beteiligt. Jetzt aber war da die Haukeland-Maschine. Anfang 1938 hatte die Bergenser Abteilung des norwegischen Roten Kreuzes ein Antikrebs-Komitee eingesetzt, um den Kampf gegen die neue Volkskrankheit Krebs aufzunehmen, die bereits zu diesem Zeitpunkt jährlich mehr Leben forderte als die Tuberkulose. Dazu schreibt Dahl in seinem Buch:

„Man ergriff die Initiative für eine Spendensammlung zur Anschaffung von Radium zum Einsatz in der Strahlenbehandlung in der Radium-Abteilung von Haukeland. Bei den ungeheuerlichen Preisen für den seltenen Grundstoff war klar, dass weniger als ein Millionenbetrag nicht ausreichen würde. Da entstand die Idee von einer Hochspannungsanlage.“4

Weltweit wurden an den Universitäten jetzt Gruppen für kernphysikalische Forschung gegründet, eine natürliche Folge der Entwicklung von Beschleunigern. Dahl war daher der Meinung, eine Hochenergie-Anlage würde Bergens Bedeutung als wissenschaftliches Zentrum steigern und damit die Pläne hinsichtlich einer eigenen Universität in der Stadt unterstützen. Auch an der Technischen Hochschule Norwegens in Trondheim arbeitete man mit Hochspannung und hatte bereits den ersten Beschleuniger des Landes gebaut, einen Van-de-Graaff-Generator, den man im Haukeland-Krankenhaus für zu klein hielt.

Jedoch begegnete man in Bergen dem Generatorenprojekt sowohl seitens der Ärzteschaft als auch seitens anderer Richtungen mit Skepsis, schreibt Dahl, der kein Blatt vor den Mund nimmt:

„Die Pläne wurden in der Presse heftig debattiert, die meisten zogen den Schluss, es handele sich um Geldverschwendung für etwas, das niemals Ergebnisse erzielen würde. 'Glauben diese Leute drüben in Bergen, sie könnten etwas schaffen, was niemand anderem gelungen ist?', war in der Hauptstadt oft zu vernehmen.“5

Von einer Reise mit Kollegen zu Philips in den Niederlanden kehrte er enttäuscht zurück. Der Van-de-Graaff-Generator war zu teuer. Sollte es eine Anlage geben, dann musste man sie selbst bauen. Dahl, der im Carnegie-Institut mit dieser Art von Maschinen gearbeitet hatte, brachte seine ehemaligen norwegisch-amerikanischen Kollegen Tuve und Hafstad dazu, sich die Pläne anzusehen. Sie begannen umgehend mit dem Bau, und 1941 konnte in Bergen die Van-de-Graaff-Maschine in Betrieb genommen werden. Die Entwicklung schritt jedoch voran, und nach dem Krieg brauchte man im Haukeland-Krankenhaus eine größere Ausstattung. Das Problem war erneut das Geld, was sich aber auf unerwartete Weise löste. Sie gewannen, verloren aber zugleich. Sie bekamen die Ausstattung, machten Oslo gegenüber aber nicht das Rennen. Derjenige, der die Fäden zog, war der Vorstandsvorsitzende des Radiumhospitals, und so kam es, dass der Konkurrent zum Retter wurde:

„Im Radiumhospital in Oslo, wo man vor dem Krieg den größten Widerstand gegen die Hochenergie-Pläne im Haukeland geäußert hatte, sah man, dass die Anlage ihre Probe vollends bestanden hatte. So ein Ding müssen wir auch haben, dachten sie vermutlich, und auf Anfrage erklärte ich mich sofort bereit, eine solche Installation wie im Haukeland zu bauen. Ein Großteil der Arbeit war bereits erledigt, als die Krankenhausleitung erfuhr, dass Rolf Widerøe eine Anstellung bei Brown Boveri & Cie. in der Schweiz bekommen hatte, um das Betatron für den kommerziellen Verkauf an Hospitäler und Krankenhäuser zu entwickeln. Da wollte das Radiumhospital so eins haben, und ich erklärte mich bereit, es zu bauen. Sie aber wollten lieber eins aus der Schweiz kaufen – da könnten sie sicher sein, dass es funktioniere. Das Ende von der Geschichte war, dass Redakteur Schibsted von der Aftenposten, der damals Aufsichtsratsvorsitzender des Radiumhospitals war, es so regelte, dass die bestellte und begonnene Hochspannungsanlage voll bezahlt und Bergen als Geschenk vermacht wurde.“6

Auch in Moskau registrierte man das Interesse der Bergenser an der Kernphysik. Der Weltkrieg war vom Kalten Krieg abgelöst worden und alles, was mit Atomkraft zu tun hatte, galt als „heiße“ Ware. In der russischen Zeitung Roter Stern schrieb der Auslandskommentator – wenn es aus norwegischer Sicht betrachtet auch ein wenig ungeschickt klingt:

„Norwegische Wissenschaftler beteiligen sich derzeit an der Arbeit mit der Kernspaltung, die in den Vereinigten Staaten betrieben wird. Auch in Norwegen arbeitet man jetzt daran. In Bergen gibt es ein Spezialinstitut, in dem Norweger unter der Leitung amerikanischer Kollegen Untersuchungen in Verbindung mit der Atomspaltung durchführen.“7

Das Radiumhospital geht neue Wege

Auch in Oslo war eine Erneuerung der Ausrüstung zur Strahlenbehandlung vonnöten. Auch dort nahm man Kontakt zu Philips in den Niederlanden auf und prüfte die Möglichkeiten hinsichtlich eines Van-de-Graaff-Apparats. Mit derselben Schlussfolgerung wie in Bergen. Er war zu teuer. Da tauchte eine neuere und noch bessere Möglichkeit auf, ein Brown-Boveri-Betatron, von dem in Europa bisher nur eins gefertigt worden war, nämlich in der Schweiz. Professor Tor Brustad, der den Großteil seines Berufslebens im Radiumhospital verbracht hat, berichtet:

„Das, was jetzt geschah, war einer Reihe von Zufällen geschuldet. Es begann damit, dass das Radiumhospital 1949 einen Physiker von der Universität Oslo namens Olav Netteland anstellte. Das war dasselbe Jahr, in dem Brown Boveri sein erstes Betatron an das Krankenhaus in Zürich geliefert hatte, und Rolf Widerøe kannte diesen Physiker von der Rettungsaktion für die neue Physikzeitschrift vor dem Krieg. Viele Jahre später erzählte mir Netteland, dass er 1950 einen Brief von Rolf Widerøe aus der Schweiz bekommen habe, worin er berichtete, dass es ihm nun gelungen sei, das erste Behandlungs-Betatron herzustellen, und dass es an ein Krankenhaus in Zürich geliefert wurde. Die Firma sollte ein weiteres Betatron bauen, und wenn sie im Radiumhospital Interesse daran hätten, dann sollten sie schnell handeln, da weltweit bereits mehrere Krankenhäuser Kontakt zu Brown Boveri aufgenommen hätten. Netteland fand das so interessant, dass er den Direktor des Krankenhauses, Reidar Eker, davon in Kenntnis setzte. Der Direktor war ein Mann der Tat und beschloss, Netteland und einen Oberarzt zu schicken, um sich das Betatron anzusehen und herauszufinden, ob es für norwegische Gegebenheiten geeignet sei. Die beiden kehrten überaus begeistert zurück. Sie ließen den Direktor wissen, er müsse die Maschine bestellen, und zwar sofort.“8

Brustad erzählt, dass er viele Jahre später mit Rolf darüber gesprochen habe. Dieser wiederum sagte, die Bestellung vom Radiumhospital sei die merkwürdigste gewesen, die Brown Boveri jemals erhalten habe. Sie lautete in all ihrer Einfachheit: „Wir bestellen ein Betatron.“ Punkt. Gefolgt vom Datum und der Unterschrift des Krankenhausdirektors. Keine Spezifikationen, keine Angabe, welche Leistung die Maschine haben sollte. Nichts bezüglich Strahlenintensität, Spannung, benötigtem Schutz usw., nichts von dem, was normalerweise dazugehört.

„Als Rolf Widerøe mir das erzählte, lachte er und sagte: 'Daher bauten wir für sie ein 31-MeV-Betatron.' Es wurde 1952 geliefert, eine Maschine baugleich der, die das Krankenhaus in Zürich bekommen hatte. In der Zwischenzeit hatte man im Radiumhospital einen eigenen Bunker gebaut, der das Wunder beherbergen sollte, das in eine bis zum Jahresende andauernde Testphase ging. Mit dem Jahreswechsel wurde es Teil der routinemäßigen Patientenbehandlung. Das Radiumhospital hatte also Europas zweites Betatron zur Strahlentherapie für Krebspatienten erhalten. Dass wir so früh Teil der Entwicklung in der Strahlentherapie wurden – man kann es als eine Revolution bezeichnen –, platzierte das Radiumhospital ganz vorn. Durch Beschleuniger generierte Strahlung war schlicht und einfach das Neue, das Große.“

Bei Anschaffung der Widerøe-Maschine war Brustad gerade neu als Forscher angestellt. Später wurde er Professor und war gleichzeitig Leiter der Abteilung für Biophysik des Krebsforschungsinstituts als auch der Abteilung für medizinische Physik und Technik des Krankenhauses.

In Rolfs Worten

Auch Rolf hat die Geschichte vom Auftrag des Radiumhospitals und von den Geschehnissen in Bergen erzählt, und das Drama wurde nicht kleiner, als herauskam, dass auch Siemens involviert gewesen war.

Wie bereits erwähnt, hatte man in Bergen zuerst versucht, eine Philips-Maschine zu bekommen, die sich aber als nicht finanzierbar erwies. Es waren nur 150.000 Kronen zusammengekommen. „Wir dürfen nicht vergessen, dass ein solcher Van-de-Graaff-Generator eine Strahlung von einem Gramm Radium ersetzen konnte. Zu dieser Zeit kostete (…) ein Gramm Radium etwa eine Million Kronen“, teilte Rolf in einem Interview mit. Philips hatte jedoch empfohlen, dass sie selbst eine Maschine bauen könnten, erst recht, wenn Odd Dahl den technischen Prozess leitete. Er hatte bereits in den USA Hochspannungsmaschinen gebaut und betrieben. 1941 wurde der Van-de-Graaff-Generator in Kooperation mit dem Haukeland-Krankenhaus fertiggestellt. Er kam auf 1,7 Mio. Volt. Anschließend leitete Dahl die Konstruktion einer neuen Maschine gleichen Typs für das Krankenhaus, und diese erreichte bis zu 2 Mio. Volt. Letztendlich bat das Radiumhospital in Oslo um ein Gegenstück, und die Arbeit begann. Dann nahmen die Dinge Fahrt auf:

„Als aber 1948 die Betatrons aktuell wurden, bestellte der Chefarzt des Radiumspitals, Dr. Bull-Engelstad, ein Betatron bei der Firma Siemens in Erlangen. Es sollte 1949 geliefert werden und 6 MeV Energie haben. (…) Die ersten Teile der Van-de-Graaff-Maschine des Radiumspitals wurden daraufhin der Universität Bergen geschenkt. Dies war die Lage, als Olav Netteland im

Radiumspital anfing, im September 1949. Im Herbst 1949 fuhr Netteland nach Erlangen, um das 6-MeV-Betatron zu sehen. Aber damals entwickelte Siemens bereits ein 12- oder sogar 18-MeV-Betatron. Zu der Zeit waren wir in Baden bei BBC schon recht weit mit der 31-MeV-Maschine für das Kantonsspital. Im Jahr 1950 gab es einen Radiologenkongress in London, und hier hat Siemens die 6-MeV-Maschine ausgestellt. Später zeigte sich allerdings, dass es sich um ein nicht funktionsfähiges Ausstellungsmodell handelte, in dem gar keine Röhre eingebaut war.

Dann hat Olav Netteland Kontakt mit mir aufgenommen, und im September 1951 kam er mit Oberarzt Dr. Steen in die Schweiz, um unser 31-MeV-Betatron im Kantonsspital zu sehen, das ja schon im Betrieb war. Im Herbst des gleichen Jahres fuhr ich nach Erlangen. Hier hatte Siemens noch immer nur das 6-MeV-Betatron vorzuzeigen. Die 12-MeV-Maschine war noch lange nicht fertig. Deswegen fiel es mir nicht schwer, die Bestellung bei Siemens annullieren zu lassen. Prof. Eker hat also im Herbst 1951 'ein Betatron' bei BBC bestellt, und wir haben ihm im Sommer 1952 eine 31-MeV-Maschine geliefert (Abb. 2.1, 2.2 und 2.3). Die Inbetriebnahme dauerte knapp sechs Monate.“9

Abb. 2.1
figure 1

(Foto © ABB Archiv)

Die Arbeit an dem ersten medizinischen Betatron, einem 31-MeV-Betatron, dauerte vier, fünf Jahre bis 1950.

Abb. 2.2
figure 2

(Foto: © ABB Archiv)

Das erste medizinische Betatron war ein 31-MeV-Betatron für das Krankenhaus in Zürich. Links: D. Camper.

Abb. 2.3
figure 3

(Foto © NTB scanpix)

Rolf Widerøe am Bedienfeld des Betatrons, das für das Radiumhospital in Oslo entwickelt wurde – sein zweites 31-MeV-Betatron, das 1952 geliefert wurde.

In den kommenden Jahren hatte Rolf mehrfach Kontakt zum Radiumhospital, um sicherzustellen, dass die Glasröhren intakt waren und ihren Dienst taten (Abb. 2.4 und 2.5). Bei einem dieser Besuche machte der Forschungsstipendiat Tor Brustad seine Bekanntschaft. Die zu dieser Zeit verfügbaren Röhren hielten nur rund 500 h, manche sogar bis zu 1000 h. Das war viel zu wenig. Daher experimentierten sie mit anderen Arten von Röhren, Rolf aber war nicht zufrieden, auch wenn Netteland meinte, es hätte sich nach dem ersten Jahr gebessert. Das Problem wurde erst gelöst, als Rolf selbst zu Philips nach Eindhoven fuhr, wo man eine eigene patentierte Methode vorschlug. Das war im Herbst 1957. Danach wurden die Röhren immer von Philips geliefert. Sie hatten eine Lebensdauer von über 20.000 h, manche sogar bis zu 40.000. Dadurch konnten die Röhren bis zu 25 Jahre, wenn nicht länger, verwendet werden. Zur Geschichte des berühmten ersten Betatrons des Radiumhospitals gehört auch, dass sich die Experten Sorgen um die Strahlengefahr für das Personal machten, das mit dem Apparat arbeitete, der den Namen „Sterilisierungsmaschine“ bekam. Rolf aber wies diese Bedenken eindeutig zurück.

Abb. 2.4
figure 4

(Foto © Knut Bjerkan)

Die Beschleunigerröhre des ersten Betatrons des Osloer Radiumhospitals, die im Eingangsbereich des Krankenhauses ausgestellt ist.

Abb. 2.5
figure 5

(Foto: © ABB Archiv)

1952 erhielt das Universitätsspital Bern (Schweiz) sein erstes medizinisches Betatron, Nummer drei in der Serie der 31-MeV-Maschinen.

Französisches Schloss und norwegischer Sommer

Die ersten zwei, drei Jahre in der Schweiz waren harte Arbeitsjahre. Urlaub im herkömmlichen Sinne gab es kaum. Norwegen war weit weg, und in den Sommerferien fuhr Rolfs Frau alleine mit den Kindern in die Heimat. So kurz nach dem Krieg hielt auch die Reise an sich einige Dramatik bereit, und Arild – damals zehn Jahre alt und auf dem Rücksitz platziert – erzählt noch heute gern davon:

„Wir fuhren mit dem Auto durch Deutschland. Das war damals eine große Sensation. Man bekam kein Benzin zu kaufen, sodass wir überall Depots und immer 40 Liter in zwei Kanistern extra dabeihatten. Die Strecke verlief über Basel und weiter nach Heidelberg, dort hatte Vater einen alten Studienkameraden, der war Direktor von Brown Boveri in Mannheim. Dort konnten wir übernachten, denn Hotels gab es nicht. Das heißt, alles war von den Amerikanern oder von den Briten belegt. Abhängig davon, in welcher Zone man sich befand. Heidelberg lag in der amerikanischen Zone, und dort bekamen wir Benzin. Dann ging es weiter zum nächsten Depot. Dort machten wir den Tank erneut voll. Das hielt bis Northeim. Dort befand sich die norwegische Truppenunterkunft, wo wir den Tank wieder auffüllen konnten. Das hielt auf jeden Fall bis Hamburg. Dort hatte Vater einen weiteren Kameraden namens Seifert, bei dem wir auch übernachten konnten. Und dann waren wir bald in Dänemark. Damals nahm die Reise viel Zeit in Anspruch, die Autobahnen waren viel schmaler als heute und man fuhr auch nicht so schnell. Und ständig waren irgendwelche Brücken zerstört, von den Deutschen selbst gesprengt, um den Amerikanern und Briten den Weg zu versperren. Fast jede zweite Brücke auf der Strecke war gesprengt und es gab ständig Umleitungen. Man brauchte fünf, sechs Tage bis Norwegen. Anfangs fuhr am häufigsten meine Mutter, weil mein Vater keine Zeit hatte, uns zu begleiten. Da organisierte sie sich – dann kam eine ihrer Schwestern oder ein Onkel zu Besuch und fuhr uns nach Norwegen, und zurück fuhr uns dann jemand anderes.“

Von der Schweiz aus reiste die Familie in den Herbst- und Frühjahrsferien mit dem Auto ins Nachbarland Frankreich, wo Rolfs Vater Geschäftsverbindungen hatte. Und wie sie später erzählten, machte der Besuch von Weinschlössern Eindruck auf die Kinder. Es war eine neue Zeit sowohl für die Großen als auch für die Kleinen. Harte Arbeit für den Vater, durchaus. Aber für alle eine Zeit voller spannender Erlebnisse. Für den Rest des Jahres galt, unabhängig von der Arbeit und allem anderen: Der Sonntag war frei und Familientag. Das bedeutete: Raus in die Natur. Sowohl Rolf als auch Ragnhild waren fleißige Fotografen, was die Fotoalben dokumentieren. Würstchen essen, ruhige Waldseen, Berggipfel und Skitouren.

Nach einer intensiven Anfangsphase in den ersten Jahren begann Rolf im Auftrag von Brown Boveri ins Ausland zu reisen. 1952 war es enorm. Jeden Monat war er unterwegs, in der Regel an mehreren Orten. Und so ging es weiter, in immer neue Länder. Insgesamt besuchte er etwa 50 Länder, wo er Vorträge hielt, an Konferenzen teilnahm oder anderweitig über Betatrone sprach.

Er reiste gern, bekam aber auch gern Besuch. „Ihr müsst uns besuchen kommen“, hieß es stets, wenn er mit der Familie in Norwegen sprach. Und das taten sie. Alt und jung. Allein und zusammen. Die 1950er Jahre leiteten eine soziale Epoche ein, die das nächste halbe Jahrhundert über andauerte. „Willkommen bei uns! Bringt gern Freunde mit! Wir haben genügend Platz!“ Und sie kamen. Geschwister, Schwager und Schwägerinnen. Nichten und Neffen. Sie alle fanden es großartig, ins Ausland zu reisen und Rolf zu besuchen. Ihm ging es bestimmt gut? Oder nicht? Zudem hatte er ein schönes Haus. War immer gastfreundlich. Allerdings arbeitete er viel, das wussten sie. Einer der Neffen von Ragnhilds Seite, Jørgen Holmboe, verwendet das Wort „inkludierend“, wenn er heute daran zurückdenkt:

„Sie hielten sehr starke Verbindungen nach Norwegen. Wir hatten regelmäßig Kontakt, besuchten sie mehrfach, und im Sommer waren sie immer in Norwegen. Da besuchten sie die Familie und waren im Ferienhaus auf Skjæløy, das war sozusagen Teil der Sommertradition. Ich bin ja kein Widerøe, habe in gewisser Hinsicht in die Familie eingeheiratet, da Ragnhild die Schwester meiner Mutter war. Das sind relativ zarte Familienbande, jedoch kenne ich einige der Familie Widerøe, so auch Rolfs Geschwister Viggo und Else. Und das ist aus familiärer Sicht ein Stück weit entfernt. Allerdings ist es ein Zeichen dafür, dass sie, Rolf und Ragnhild, wenn sie zu Hause waren, sehr inkludierend waren. Ich war auch im Ferienhaus der alten Frau Widerøe auf Skjæløy zu Besuch. Und warum hätte ich dort sein sollen? Schließlich bin ich ein ziemlich entfernter Verwandter. Sie haben die Familienbande extrem gepflegt. Für alle, die ins Ausland reisten, war ihr Heim eine Zwischenstation. Man fuhr immer durch die Schweiz und besuchte sie. Ich muss sagen, dass wir engeren Kontakt zu ihnen hatten als zu manchem Familienmitglied, das in Norwegen wohnte. Auch das Haus in Røa und ein danebenliegendes Grundstück, das sich ebenfalls in ihrem Besitz befand, behielten sie lange, vermieteten es anfangs an andere Angehörige, dann zog die Tochter nach Norwegen und wohnte einige Jahre mit ihrer Familie dort. Zu Hause sprachen sie immer Norwegisch. Sie waren nie ganz 'umgezogen'. In der Schweiz waren sie immer Norweger. Obwohl ihre Freunde und ihr Bekanntenkreis selbstverständlich Schweizer waren. Allerdings nahmen sie die mit nach Norwegen. Freunde der Eltern und Freunde der Kinder. Jeden Sommer kamen sie, mit ihren Schweizer Freunden, um ihnen dieses tolle Land zu zeigen. Sie hatten sehr enge Verbindungen nach Norwegen und reisten zu allen möglichen Anlässen immer wieder dorthin. Sie waren ausgewanderte Norweger, keine Schweizer.“

Ehe-Philosoph in Knickerbockern

Auch ein anderer Neffe, Aasmund Berner, Sohn von Rolfs Schwester Grethe, berichtet von einem gastfreundlichen Onkel der alten Schule, den er ihm Rahmen seiner Hochzeitsreise in der Schweiz besuchte:

„Ich bin in ihrem Haus in Røa aufgewachsen. Meine Eltern mieteten es, bis sie das Elternhaus meiner Mutter in Vinderen übernahmen – dort, wo auch Rolf aufgewachsen ist, im Borgenveien 30. Nach meiner Hochzeit fuhren wir mit dem Auto durch Europa, wobei wir einen Stopp in Zürich machten und ihn dort besuchten. Und da sahen wir, wie typisch er war – so urnorwegisch, mit alten Lederstiefeln, Knickerbocker, Windjacke sowie Rucksack mit einer ordentlichen Kiepe, wie sie damals waren, und weit ausholenden Schritten.“

Rolf und Ragnhild waren bei ihrer Hochzeit in Oslo dabei, wo der Onkel eine Rede gehalten hatte. Zuerst hatte er sich höflich korrekt als der älteste Anwesende der Familie vorgestellt und das Brautpaar beglückwünscht. Er hatte Grüße von seiner Mutter, der Großmutter des Bräutigams, ausgerichtet, die aus gesundheitlichen Gründen leider nicht teilnehmen konnte. Ebenfalls grüßte er von seinen drei Kindern Unn, Arild und Rolf. Dann wurde er persönlicher, teilte mit, dass er der Braut vorab noch nicht begegnet war, „aber dir, Aasmund, bin ich oft begegnet und dein Vater hat mich gut über dein Leben und deine Geschäfte unterrichtet“. Am Vormittag habe er Holz gehackt, sagte er, und dabei über das alte Problem von Geist und Materie philosophiert:

„Nun meint ihr vielleicht, dass Holzhacken wenig mit Geist zu tun hat, das aber ist ein Trugschluss, denn die Gedanken werden befreit und gehen ihre eigenen Wege. Heutzutage steht das Körperliche, das Materielle im Vordergrund – geistige Werte werden anerkannt, stehen jedoch nicht so hoch im Kurs. Vermutlich teilen viele meine Meinung, dass das falsch ist, aber wie alles auf der Welt handelt es sich wohl um eine Wellenbewegung, und das Verhältnis wird sich zweifellos ändern – vielleicht bereits in der nächsten Generation. Die Bevorzugung des Materiellen ist sicher eine wichtige Ursache für viele der Schwierigkeiten, mit denen wir uns heute abmühen müssen. Auf der anderen Seite kann uns auch eine Bevorzugung des Geistigen vollkommen auf Abwege führen.

Daher gilt es, ein gesundes Gleichgewicht zu finden. Das gilt sowohl für das Persönliche im eigenen Leben als auch für die höhere Einheit – die Ehe. Ich glaube, Aasmund, du hast bereits während deines Studiums gemerkt, welch entscheidende Rolle das geistige Prinzip für einen Arzt spielt – ein wirklicher Arzt begreift, dass er an der Grenze zwischen den beiden Reichen agiert, und wenn das Leben auf dem Spiel steht, müssen auch die geistigen Reserven des Patienten gefunden und einbezogen werden.

Auch eine Ehe ist eine Wanderung, bei der ständig das Grenzgebiet zwischen dem Geistigen, der Welt der Fantasie und der Gefühle, und dem Materiellen, repräsentiert durch physikalische Chemie, Bronchialkarzinome, gebrochene Beine, Steuererklärungen und Bußgelder fürs Falschparken, durchquert wird. Daher lautet mein Rat an euch: Findet ein gesundes und natürliches Gleichgewicht zwischen den beiden Reichen, denkt daran, dass die Grenzlinien für zwei Menschen nicht dieselben sind und dass sie sich ständig verändern. Vergesst nicht, dass der Traum und die geistige Welt mindestens genauso wichtig sind, ja, heute vielleicht wichtiger als all die kleinen Details in der realen Welt. Versucht einander zu verstehen und zeigt Geduld.“

Ein Tänzchen gefällig?

Rolf mochte Geselligkeit. Familie war wichtig. Und Freunde waren wichtig. Ragnhild und er hatten zehn, zwölf befreundete Paare, mit denen sie ständig zusammen waren. Oft zu Hause bei sich, vor allem nachdem sie 1956 in Nussbaumen ein eigenes Haus gebaut hatten. Hier besaßen sie, wie sie selbst sagten, ein Kaminzimmer „ohne Kamin, aber mit Parkett“, das häufig genutzt wurde. Zusammen besuchten sie auch diverse Tanzkurse, weil sie gern tanzten, mehr lernen wollten und dies als eine schöne Art des sozialen Beisammenseins pflegten. Moderne Gesellschaftstänze mit nordamerikanischem wie auch lateinamerikanischem Einfluss überschwemmten Europa wie eine Welle. Charleston und Swing selbstverständlich, aber auch Samba, Rumba und Cha-Cha-Cha waren in gebildeten Kreisen ein Muss.

Peter Hug (Nachbarsjunge in der Schweiz)

„Ich erinnere mich, dass Rolf Widerøe einmal bei einer Feier am Swimmingpool tanzte. Weil ich mit ihrem jüngsten Sohn befreundet war, durfte ich in den Sommerferien mit ihnen nach Norwegen fahren.“

Egil Reksten (Schwager, verheiratet mit Ragnhilds Schwester Louise)

„Sie feierten dort unten viele Partys, meine Güte, ja. Der Bekanntenkreis war groß, und ich weiß nicht wie oft, aber sie waren ständig zusammen. Wir von der Familie in Norwegen waren immer nur ein paar Tage da, wenn wir auf der Durchreise waren.“

Arild (ältester Sohn)

„Ihre Eltern waren sehr sozial, habe ich gehört?“

„Ja, wenn man zurückdenkt, dann waren sie das. Das waren sie wirklich. Sie gaben ständig Partys, vor allem, als sie dann ein größeres Haus hatten. In Ennetbaden lebten wir in einer Wohnung. 1955 aber kauften sie ein Grundstück in Nussbaumen und bauten ein Haus – etwas weiter nördlich, näher an der deutschen Grenze, aber nicht weit von Baden, etwa vier Kilometer. Dort hatten sie einen Kellerraum – der war nicht besonders groß, aber doch so, dass Platz für einen Tisch mit mehr als 20 Gästen war, dort hatten sie viel geselligen Umgang. Und sie besuchten Tanzkurse. Vater gehörte nicht zu dieser Art vollkommen verschlossener Forscher, obwohl er sehr viel arbeitete.“

Rolf jr. (jüngster Sohn)

„Sie besuchten zusammen Tanzkurse, lange, gemeinsam mit Freunden. Und viele der Freunde müssen sie bei solchen Kursen kennengelernt haben. Es waren bestimmt 20, 25, mit denen sie Umgang pflegten. Ich erinnere mich, als sie einmal einen Kurs in Waldshut besuchten, es war mitten im Winter und ihr Auto war kaputt, da liehen sie sich meinen 2CV-Lieferwagen. Dem fehlte auf der linken Seite jedoch die Tür, und so fuhren sie mit dem offenen 2CV rüber nach Waldshut zum Tanzen.“

Martin Hug (Nachbarsjunge in der Schweiz)

„Rolf Widerøe interessierte sich für Musik, vor allem für klassische Musik. Damals war es beeindruckend, eine Stereoanlage zu besitzen, und ich war noch mehr beeindruckt, als er mir erzählte, dass er auf dem Fußboden Markierungen gemacht hatte, um den Stuhl genau dort zu platzieren, wo er das Maximale aus dem Stereoklang herausholte.“

Arild (ältester Sohn)

„Es war nicht so, dass er nur gearbeitet hätte. Auch als Familienmensch war er gut. Der Sonntag war ihm heilig. Da ging es immer raus in den Wald auf Tour. Mit Proviantpaket. Wir hatten immer einen alten braunen Koffer dabei, in dem wir Plastikgeschirr und sowas hatten, und dann den Brennspiritusapparat, auf dem wir Würstchen zubereiteten. Meine Mutter hatte Kartoffelsalat dabei, das war Standard. Wir fuhren in den Wald hinaus, stellten das Auto irgendwo ab, gingen eine lange Runde und aßen dann nach der Rückkehr zum Auto zu Mittag. Wir hatten oft Besuch von der Familie und Bekannten, und da fuhren wir gern Richtung Luzern oder nach Bürgenstock – immer mit dem Koffer. Oder wir fuhren hinauf in die Alpen, zum Klausenpass oder zum Sustenpass und zu solchen Orten, die Norweger zu dieser Zeit beeindruckten.“

Rolf jr. (jüngster Sohn)

„Ja, er war kein Extremsportler oder so, aber er hatte eine gute Kondition. Als ich klein war, half er mir beim Bau einer Sprungschanze, und sprang dort selbst mit über 50 Jahren.“

Rolf jr. (jüngster Sohn)

„Als ich zehn, elf Jahre alt war, fing ich mit dem Klavierspielen an, da war er etwa 50. Das zu lernen, war enorm anstrengend für mich. Er aber setzte sich einfach neben mich und spielte mit mir zusammen vierhändig. Er konnte es immer noch. Ich wusste, dass sie zu Hause bei seinen Eltern einen Flügel hatten, aber nicht, dass er spielen konnte, und nicht, dass er Noten konnte.“

Die Musikalität und die Liebe zum Tanz wurden vererbt. Nachdem sie sich zuerst, wie ihr Vater, im Ingenieurfach ausprobiert hatte, wurde Tochter Unn Balletttänzerin und Tanzlehrerin. Sie heiratete einen Architekten. Der älteste Sohn, Arild, wurde Jazz-Promoter und Musikproduzent. Sogenannte liberale Berufe, weit entfernt von den Labors. Durch seine Kinder erhielt der Technologe Rolf ständig neue, nichttechnologische Impulse, wobei die Entscheidungen auch in der neuen Generation oft von Neugierde und Unternehmungsgeist gesteuert wurden. Der Jüngste von ihnen gab das Ingenieurfach letztendlich zugunsten der Berater- und Maklerbranche auf. Der Älteste träumte lange davon, wie sein großes Vorbild, Onkel Viggo, Pilot zu werden. Der Vater hätte ihn durchaus lieber andere Richtungen einschlagen sehen, aber auch Selbstständigkeit war Teil der Widerøeschen Erziehung. Auch der Onkel ereiferte sich nicht für eine zukünftige Flugkarriere des Neffen. Hingegen übernahm Viggos Tochter, Turi Widerøe, das Erbe des Vaters und wurde die erste Pilotin einer westlichen Fluggesellschaft.

Noch immer haben beide Söhne Rolfs engen Kontakt zur Verwandtschaft in der alten Heimat, zudem halten sie die Tradition des Sommerurlaubs in Norwegen aufrecht. Als Rolf jr. seinen 70. Geburtstag feierte, waren dazu auch alle Cousins und Cousinen eingeladen. Arild seinerseits hat noch immer seinen norwegischen Freund aus Kindertagen, einen Jungen aus der Nachbarschaft.

„Darüber, dass meine Eltern den Kontakt nach Norwegen so gut pflegten, bin ich in der Tat sehr glücklich. Noch immer macht es mich froh, dass wir jeden Sommer nach Norwegen gefahren sind. Etwas anderes stand nicht zur Debatte. Ich hatte – das heißt, ich habe noch immer – einen guten Freund, der Pfarrer geworden ist. Seit Kindertagen waren wir die besten Freunde, und im Grunde ist es uns gelungen, daran festzuhalten. In den Ferien durfte ich oft bei ihm wohnen, wenn wir in Norwegen waren. Auch als Erwachsene trafen wir uns regelmäßig.“

Rolfs Söhne wohnen nur wenige Kilometer vom Haus der Eltern entfernt. Tochter Unn ist im Alter von 36 Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Um den Ring nach Norwegen zu schließen: Stian, der jüngste Sohn von Rolf jr., hat das Grundstück neben dem Haus des Großvaters in Røa geerbt.

Gott der Heilkunde

Ende der Fünfzigerjahre, als die Kinder noch zu Hause wohnten, arbeitete Rolf an einer stark verbesserten Ausgabe des Betatrons, einer Maschine, die sich um den Patienten herumbewegt, sodass die Strahlen durchweg auf die betroffenen richtigen Stellen eingestellt werden. Sie war 1959 fertig und bekam den Namen Asklepitron nach dem griechischen Gott der Heilkunst, Asklepios, der meistens als bärtiger Mann mit Mantel und Sandalen dargestellt wird, zusammen mit seinen Schülern durch das alte Griechenland gewandert sein soll und dem Mythos zufolge Tote zum Leben erwecken konnte. Sowohl in Griechenland als auch im Römischen Reich wurden Asklepios-Tempel errichtet. Sie wurden zu Pilgerstätten für Kranke und es kursieren viele Geschichten über Heilungen und Wunder. Der erste Käufer der modernisierten Version des Betatrons war ein privates Krankenhaus in Mailand. Das Radiumhospital in Oslo erwarb 1963 ein Asklepitron, das dritte in der Reihe der Betatrone, die das Krankenhaus von Brown Boveri kaufte.

Rolf entwickelte auch einen Beschleuniger, der Elektronenströme von unterschiedlichen Stellen in eine bestimmte Richtung zu dem Punkt im Körper dirigieren konnte, wo die Strahlung benötigt wird. Der Apparat verfügte über eine spezielle magnetische Linse, die umgeschaltet werden und die Elektronen steuern konnte. Hierbei hatte er sich seiner Kompetenz in Sachen Relais aus dem Stromausbau bedient. Diese Art der gesteuerten Strahlung reduzierte die Gefahr, gesundes Gewebe zu schädigen, noch mehr als beim Vorgänger. Der Beschleuniger wurde ein medizinischer Erfolg und für Brown Boveri ein Prestigeprodukt. Viele Krankenhäuser, die Betatrone bestellten, bevorzugten späterhin die mit einer solchen Linse ausgestatteten.

Parallel zu Rolfs beständigem Kampf, sein eigenes Betatron weiterzuentwickeln und zu verbessern, ging ein anderes Rennen vonstatten. Allen voran mit amerikanischen Teilnehmern, aber nicht nur. Das deutsche Unternehmen Siemens stellte für den Vater eine größere Bedrohung dar, sagt Arild:

„Mein Vater wusste immer genau – oder mehr oder weniger genau –, wie weit die Amerikaner waren. Und er wusste auch immer, wo Siemens stand. Das war hier in Europa der große Konkurrent für Brown Boveri. Die Siemens-Maschine wurde jedoch längst nie so gut wie das Betatron. Inwieweit es letztendlich eine reale Konkurrenz war, ist schwer zu sagen, eigentlich glaube ich nicht daran.“

Unparteiischere Quellen geben dem Sohn Recht. Das Schweizer Betatron war Spitzenklasse, was auch die Verkaufsstatistik bestätigt.

Keiner höher?

Betatrone werden nach der Höhe der erreichbaren Elektronenenergie klassifiziert. Wer damals einen Therapieapparat anschaffen wollte, hatte vieles zu bedenken. Vielleicht wollte man ein verhältnismäßig kleines Gerät, das Strahlung mit hoher Energie und guter Präzision generieren konnte. In diesem Fall lautete die Antwort Anfang der 1950er Jahre: ein Betatron, wie Rolf es für das Krankenhaus in Zürich gebaut hatte. Gleichzeitig schreitet die technologische Entwicklung so schnell voran, dass die in einem Jahrzehnt starke Maschine im nächsten bereits eine schwache sein kann. Hinzu kommen natürlich der Preis, die Strahlengefahr, die Effektivität, die Dosierung und anderes, was dazu führte, dass Medizin, Physik und Technologie einander fanden und schließlich zu einem eigenen Fach wurden, wie es 1970 an der damaligen NTH in Trondheim der Fall war.

In dem Jahr, als Rolf in die Schweiz zog, hatte der Amerikaner Kerst in einem Artikel in der Zeitschrift Nature die ganze Geschichte – oder, besser gesagt, die Geschichten – hinter der Entwicklung moderner Betatrone präsentiert.10 Darin griff er sowohl bereits früher veröffentlichten Stoff als auch neue Arbeiten auf, von denen er gehört hatte. Daraus zog Rolf den Schluss, dass in den letzten Jahren viele, ohne voneinander zu wissen, an Demselben gearbeitet hatten, nämlich der Konstruktion eines funktionsfähigen Betatrons. 1940 war dies Kerst weltweit als Erstem gelungen – ausgehend von dem Prinzip, das Rolf 1927 in seiner Doktorarbeit präsentiert hatte. Und, nicht zu vergessen, was Kerst Rolf zugutehielt. Was jedoch den Bau des Betatrons betraf, schien die Grundidee unabhängig voneinander zeitgleich an verschiedenen Orten entwickelt worden zu sein. Die Industrie war schnell zur Stelle, als etwas Neues auftauchte, und sah das Marktpotenzial sowohl für den Einsatz in der Medizin als auch in der Materialprüfung. Selbst während des Krieges waren in Europa und den USA langfristige Entwicklungsprojekte in Gang gesetzt worden – mit dem Gedanken an den Verkauf in Friedenszeiten.

Große amerikanische Unternehmen wie General Electric, Westinghouse und Allis-Chalmers waren mit von der Partie. Bei General Electric hatte Kerst sein erstes Betatron gebaut. Vorab hatte sich jedoch Westinghouse (Joseph Slepian) das Patent für einen wichtigen vorläufigen Schritt auf dem Weg zum Betatron gesichert. Allis-Chambers stellte seine 20-MeV-Betatrone kommerziell her. In Europa entwickelte und baute man bei Siemens in Erlangen kleine Betatrone (Konrad Gund).11 Ebenfalls groß im Betatron-Bau war die niederländische Philips – die Fabrik, an die sich sowohl das Haukeland-Krankenhaus als auch das Radiumhospital bezüglich Van-de-Graaff-Generatoren gewandt hatten –, wobei deren Interesse für das Gebiet bereits gegen Ende des Krieges deutlich gewesen war.

In der Schweiz hatte Rolf für Brown Boveri immer fortschrittlichere Maschinen entwickelt und produziert. In den 1960er Jahren konnten sie die Energie der Betatrone auf 35 MeV und 1970 bis auf 45 MeV erhöhen, was vor allem für den Einsatz bei der Materialforschung entscheidend war. Eine Zeit lang war auch die Rede davon, Betatrone bis zu 200 MeV und vielleicht noch darüber hinaus zu fertigen. Für Brown Boveri wurden Betatrone zwischen 31 und 45 MeV zum großen Erfolg. Rolf wusste aus Erfahrung, dass es viele gute Gründe gab, nicht zu versuchen, eine höhere Energie zu erreichen. Bereits eine Maschine von 31 MeV hatte aufgrund sogenannter schneller Neutronen gewisse Schwierigkeiten, wobei diese bei Apparaten mit noch höherer Energie zunahmen. Gleichzeitig war der Markt für Betatrone langsam gesättigt. In den 1970er Jahren sank die Nachfrage. Zu dieser Zeit produzierte Brown Boveri eine Art kleinere Linearbeschleuniger, die leichter und zudem preiswerter als Betatrone, in vielerlei Hinsicht aber ebenso gut geeignet waren.

Die Entwicklung in den USA war ähnlich. 1942 hatte Donald Kerst mit seinem zweiten Betatron, dem mit 20 MeV, Erfolg. Anschließend begann General Electric mit dem Bau eines 100-MeV-Betatrons, das 1945 fertig war. In der Zwischenzeit war Kerst an die Universität in Illinois zurückgekehrt, wo er zuerst ein Modell von 80 MeV und anschließend ein gigantisches Betatron von 300 MeV baute. Das war die größte, jemals von diesem Typ konstruierte Maschine und wurde als letzter Schritt in der Entwicklung von Betatronen betrachtet.

Es war nicht unbedingt so, dass eine neuere Maschine immer besser war. Die unterschiedlichen Betatrone hatten verschiedene Einsatzgebiete und Funktionen. 1962 nahm sich Rolf in einem Artikel drei Typen von Krankenhaus-Betatronen vor und erklärte deren Unterschiede. Dabei handelte es sich um die Modelle von Siemens in Deutschland, Allis-Chalmers in den USA und Brown Boveri in der Schweiz. Er beschrieb auch diverse in Produktion befindliche Linearbeschleuniger mit vielversprechenden Eigenschaften für die Krebsbehandlung.12

Nach dem Betatron kommt das Synchrotron

In der Zwischenzeit war jedoch ein weiterer Typ Beschleuniger aufgetaucht, das Synchrotron. Nicht dass es unbedingt besser war, aber es deckte einen anderen Bedarf, und hierbei übertraf es das Betatron. Für Letzteres hieß das, dass es sowohl hinsichtlich Größe als auch Preis gegenüber dem Synchrotron das Nachsehen hatte. In der Praxis hatte sich gezeigt, dass sich Betatrone am besten für Energien unter 50 MeV eigneten. Was den Einsatz bei geringeren Energien betraf, übernahmen – vor allem in der Patientenbehandlung – nach und nach die Linearbeschleuniger.13

Kann man daher sagen: Nach dem Betatron kam das Synchrotron? Ja und nein. Rolf hatte bei beiden seine Finger im Spiel. Um nicht zu sagen: vor beiden. Hier kann man wirklich fragen: Wer war zuerst da? Das Huhn oder das Ei? Rolf selbst war der Meinung, dass Größte in seiner Karriere sei das Betatron und dessen Perfektionierung gewesen, worin ihm die Nachwelt Recht gab. Das Zweitwichtigste war, ihm zufolge, das Synchrotron.14 Auch im Hinblick auf die Technologiegeschichte kam das Betatron zuerst, das heißt vor dem Synchrotron. Zeitgleich zur Entwicklung und Weiterentwicklung des Betatrons arbeitete Rolf – wie auch andere – bereits an einem neuen Prinzip zur Erreichung hoher Energien – also an dem, was später (ja, genau!) zum Synchrotron werden sollte. Faktisch hatte er sich von Beginn an dieser Problemstellung gewidmet. Dabei beschäftigte ihn vor allem die Stabilität in den Bahnen, welche die geladenen Teilchen passierten. Das führte zu einem im Januar 1946 genehmigten Patent, das viele der Formeln sowie die wichtigsten Ideen enthielt, die zur Konstruktion eines Synchrotrons erforderlich waren.

Da den Überblick zu behalten, ist mitunter eine Herausforderung. Denn es gibt noch einen dritten Begriff, und auch hier ist Rolf mit von der Partie. Bereits vorab existierte das Zyklotron, das Lawrence erfand, nachdem Rolfs Skizzen ihn auf die Idee gebracht hatten. Spricht man also von kernphysikalischen Beschleunigern mit runder Bahn, war das Zyklotron der erste dieses Beschleuniger-Typs, der gebaut wurde und funktionierte. Etwas vereinfacht kann man sagen, dass das 1940 von Kerst entwickelte – und auch von Rolf inspirierte – Betatron ebenfalls eine Art Zyklotron war (Abb. 2.6).

Abb. 2.6
figure 6

(© Brookhaven National Laboratory, mit freundlicher Genehmigung)

Ernest Lawrence erwies Rolf Widerøe stets die ihm gebührende Anerkennung. Er wusste, woher die Theorie stammte, und hatte den handgeschriebenen Zettel aufbewahrt, auf dem er sich Notizen über Widerøes Methode zur Beschleunigung elektrisch geladener Atome gemacht hatte. Lawrence hatte sich notiert: „… des Deutschen nicht mächtig, sah ich mir nur die Skizzen und Fotos von Widerøes Apparat an, und ausgehend von den verschiedenen Darstellungen in dem Artikel verstand ich seine generelle Herangehensweise an das Problem – d. h. der multiplen Beschleunigung positiv geladener Ionen …“

Will man eine Entwicklungslinie erstellen, lautet die Reihenfolge: Idee zum Betatron (Widerøe) – funktionsfähiges Zyklotron (Lawrence) – funktionsfähiges Betatron (Kerst) – Idee zum Synchrotron (Widerøe/Oliphant/Weksler) – funktionsfähiges Synchrotron (McMillan).

Dass sich zwei Namen der Maschinen nahezu gleichen, wirkt verwirrend. Allerdings ähneln sich die beiden Geräte mit dem fast gleichen Namen technisch nicht am stärksten. Es gibt drei Haupttypen kreisförmiger Beschleuniger: Betatrone, Synchrotrone und Zyklotrone. „Beta“ und „Synchro“ sind nahe Verwandte, da sie beide Teilchen in einer kreisförmigen „Röhre“ aus Glas beschleunigen. Beim Betatron gibt eine konstante kreisförmige Bahn, bei der zwei verschiedene Magnetsysteme verwendet werden: eines zur Beschleunigung der Teilchen und eines, um sie in der Bahn zu halten. Das Zyklotron ist eine runde niedrige „Kuchenform“, bei der die Teilchen in einer Spiralbahn von der Mitte nach außen mit einem elektrischen Feld beschleunigt und von einem Magnetfeld auf der Bahn gehalten werden. Dabei handelt es sich um eine einfachere Maschine mit Beschränkungen hinsichtlich der maximal erreichbaren Energiemenge. Somit war es auch logisch, dass es zuerst gelang, diese zu realisieren.

Es liegt was in der Luft

Gerüchte aus den USA führten Rolf im Winter 1945/46 mit seinen Synchrotron-Ideen in Tandbergs Osloer Patentkontor. In den zurückliegenden Monaten hatte er alles darangesetzt, fertig zu werden. Privat war der Herbst nicht einfach und es daher sicher hilfreich gewesen, Arbeit zu haben, in der man aufgehen konnte. Der Text des Patenantrags war kompliziert und beinhaltete Formeln, die er nach eigenen Aussagen 50 Jahre später selbst nicht mehr verstand.15 Alle, die den Text damals verstanden, hatten jedoch begriffen, dass er für die Entwicklung des Synchrotrons wichtig war. Viele verstanden auch, dass es sich um eine ringförmige Vakuumröhre handelte, um die ein Magnetfeld montiert war, das mit der Energie der Teilchen an Stärke zunahm und diese in der Bahn hielt. Allerdings gab es Hunderte weiterer Details, die nur wenigen etwas sagten und den Apparat von anderen Beschleunigern unterschieden. Mit anderen Worten drehte sich das Patent um das, was das Synchrotron zum Synchrotron machte. Oder anders ausgedrückt um das, was ein Betatron zu einem Synchrotron machte! Das Patent hatte also Bedeutung für die Weiterentwicklung des Betatrons zum Synchrotron. Rolf war auf dieses Patent besonders stolz.

Später erfuhr er, dass andere genau die gleichen Gedanken gehabt hatten, und war fasziniert davon, dass eine Idee vielerorts zeitgleich in der Luft liegen konnte. In den USA hatte McMillan das Prinzip entdeckt und in einem Artikel in der Septemberausgabe der Physical Review 1945 vorgestellt. 16Der zweiseitige Artikel wurde schnell weltberühmt. Unabhängig davon hatte Weksler in Moskau zur gleichen Zeit das Prinzip entdeckt und einen langen Artikel darüber verfasst. Als wäre dies nicht genug, schien es, als hätten der Australier Oliphant und seine Kollegen in England dasselbe herausgefunden oder zumindest etwas davon – auch sie ohne Kenntnis der anderen. Rolf behauptete, den Patentantrag ohne konkretes Wissen darüber, woran die anderen arbeiteten, Neujahr eingereicht zu haben:

„Einige Monate später las ich McMillans Artikel. Um wissenschaftlichen Kontakt und Informationsaustausch war es im Krieg schlecht bestellt.“17

Einige Jahre zuvor, während seines Studiums in Deutschland, hatte er den sogenannten Transportkanal der magnetischen Linsen vorgeschlagen und diesen patentieren lassen. Dabei handelt es sich um eine Methode zum Sammeln oder, besser gesagt, zum Fokussieren der Teilchenstrahlen. Er hatte eine Weile über das Problem nachgedacht und herausgefunden, dass die neue Methode einfacher zu realisieren und faktisch auch besser war. Zuerst erkannt hatte dieses Prinzip ein Grieche, der es im März 1950 patentieren ließ.18 Rolf zufolge wurde das jedoch erst im Februar 1956 publik. Der Grieche arbeitete bei Westinghouse, und Rolf, der im norwegischen Tochterunternehmen angestellt war, war ihm einmal auf einer Konferenz in Russland begegnet. Der Transportkanal der magnetischen Linsen war der Vorläufer des berühmten und später eingeführten strong focusing.

Mutige Italiener

In Rolfs Forscherkarriere beginnt nun ein neues Kapitel, eine seiner wirklich stolzen Phasen. In den 1950er Jahren konstruierte er für die Universität in Turin ein Synchrotron, das er neben dem Betatron selbst als seine wichtigste Maschine betrachtete. Und als wäre die Namensverwirrung nicht schon groß genug, fand er, „Beta-Synchrotron“ würde diesen Apparat am treffendsten beschreiben. Der Name deutet darauf hin, dass es sich um eine Weiterentwicklung des Betatrons handelt. Seit 1953 war er mehrfach in Italien gewesen, um über die Konstruktion von Synchrotronen zu sprechen. Dort planten zwei Forscher nichts Geringeres als ein gigantisches 1000-MeV-Elektronen-Synchrotron.19 Es wurde später in einem Labor in der Nähe von Rom gebaut, wo einer von Rolfs ehemaligen Assistenten, Bruno Touschek, arbeitete.20 Rolf schlug jedoch eine andere Richtung ein. Er verhandelte mit den Forschern in Turin über den Bau eines kleineren Beschleunigers zum Einsatz für Experimente in der Kernphysik. An dem Prestigeprojekt waren auch die FIAT-Fabrik und der italienische Forschungsrat beteiligt. Rolf hatte Gleichgesinnte gefunden:

„Mir war klar, dass ein Betatron nicht die beste Lösung für diese Aufgabe war. Verwendete ich stattdessen das Synchrotron-Prinzip, konnte ich viel kleinere Maschinen bauen und bessere Resultate erreichen – für das gesteckte Ziel, nämlich ca. 100 MeV. Ein Synchrotron aber erfordert einen Injektor, also einen Vorbeschleuniger, der die Teilchen mit einer Startenergie versorgt. Hierbei waren die Physiker in Turin bereit, ziemlich unerprobte Wege zu beschreiten, um eine kompakte, zuverlässige und wirtschaftliche Maschine zu erhalten, die in der Zukunft auch in anderen Forschungseinrichtungen verwendet werden konnte. Also entwickelten wir ein ziemlich originelles Konzept, auch wenn wir in großer Schuld von Erfindungen standen, die F. K. Goward und D. E. Barnes in England gemacht hatten. (…)

Bis die Elektronen 2 MeV erreichten, sollte die Maschine wie ein Betatron funktionieren. Anschließend sollte es wie ein Synchrotron die Teilchenenergie erhöhen. Für mich war das die lang ersehnte Möglichkeit, meine Ideen und mein Wissen über Synchrotrone für eine Maschine zu verwenden, die ich selbst bauen sollte. Selbstverständlich basierte dieses neue Projekt auf unseren früheren positiven Erfahrungen bei der Konstruktion von Betatronen bei Brown Boveri.“21

Wir befinden uns nunmehr in der Mitte der 1950er Jahre. Das Hauptprinzip hatte Rolf im Januar 1946 in dem norwegischen Patent beschrieben, und in der ersten Phase, in der die Maschine wie ein Betatron funktionieren sollte, realisierte er die 1948 patentierte Idee. Zudem sollte die Maschine Elektronen in beide Richtungen beschleunigen, wie es auch viele seiner früheren Betatrone getan hatten. Viele Physiker der Universität Turin waren von der Bestellung der Maschine bis hin zur fertigen Installation aktiv beteiligt.22 Jedoch stießen sie auf viele Schwierigkeiten und 1956 wurde klar, dass sie mehr Zeit brauchen würden als ursprünglich angenommen. Daher installierte Brown Boveri in Turin provisorisch ein 31-MeV-Betatron, das bis zur Lieferung des neuen Beta-Synchrotrons verwendet wurde. Es brauchte noch drei Jahre. Auf das Ergebnis war Rolf sehr stolz: eine 105-MeV-Maschine, genau so, wie sie es sich vorgestellt hatten. Zusammen mit einem Professor, der sich persönlich sehr engagiert hatte, und einem Kollegen von Brown Boveri schrieb Rolf einen begeisterten Bericht.23 Die drei hatten sowohl bei der Entwicklung des Konzepts als auch bei der Konstruktion der Maschine zusammengearbeitet. Das Engagement der italienischen Forscher hatte Rolf zufolge enorm zum Erfolg beigetragen, weshalb er den Helfern ein Lob aussprach. Das Wichtigste war zu zeigen, dass die Maschine in der Praxis funktionierte und verhältnismäßig einfach und preisgünstig herzustellen war. Seither wurden für diesen Energiebereich noch einfachere und kompaktere Linearbeschleuniger entwickelt, die sowohl Betatrone als auch kleine Synchrotrone in den Schatten stellten.24

Vielleicht liegt die Antwort im Papierkorb

Der Jüngste im Team rund um das Turin-Synchrotron war der norwegische Ingenieur Karsten Drangeid, der erst 29 Jahre alt war, als er in Rolfs Abteilung anfing.

„Einen besseren Chef als Widerøe konnte man nicht haben“, sagt er. „Eigentlich habe ich nicht gemerkt, dass er der Chef war, er war Teil des Teams.“

„Andere sagen, er sei kein Team-Player gewesen?“

„Doch, aber er hatte so viele Ideen, dass er Teamleiter wurde. Für mich war er das Ideal eines Chefs. Aufmunternd, stimulierend, angenehm in der Zusammenarbeit. Und lebhaft. Er interessierte sich für das, was ich tat. Zu anderen Chefs hatte ich nie so einen Kontakt.“

„War er impulsiv?“

„Nein.“

„Aber präsent?“

„Ja, persönlich interessiert.“

„An der Sache oder an Ihnen?“

„Beides.“

„Was hat ihn so besonders gemacht?“

„Ein gutes Beispiel ist, als wir an der Maschine für die Universität in Turin arbeiteten. Wir hatten eine zerbrechliche, ringförmige Synchrotron-Röhre, an der ich Messungen vornahm. Sie war teuer, kostete nach dem damaligen Geldwert bemessen sicher mehr als 5000 Kronen und hing für gewöhnlich an einem Haken an der Wand über seinem Pult. Einmal, als ich die Röhre nach den Messungen an den Haken hängte, brach der Haken ab, die Röhre fiel runter und zerbrach. Ich sah ihn an. Er saß da und schrieb. Und ohne ein Wort reichte er mir das Antragsformular für eine neue Röhre. Es ging nicht darum, einen Sündenbock zu finden, sondern um eine Lösung für das entstandene Problem. Wer schuld daran war, war gleichgültig.

Ein anderes Beispiel ist sein Optimismus. Wir kamen nur schwer voran, als wir an dem Synchrotron arbeiteten. Ich zeigte ihm einige Messungen, die ich vorgenommen hatte und die falsch sein mussten. Wir sahen sie uns gemeinsam an und dann sagte er: 'Vielleicht ist es genau das, was wir brauchen, damit wir es hinbekommen!' Ich habe ihn nie sagen gehört, dass etwas unmöglich sei. Oder: Als ich einmal etwas vergessen hatte und deshalb ins Büro zurückfuhr. Da wühlte er in meinem Papierkorb herum. Er sah zu mir auf: 'Sie schreiben interessante Sachen und dann schmeißen Sie sie weg?' Er hatte nicht vor, meine Ideen zu stehlen, er wollte nur daran teilhaben und das Problem lösen.“

Die Turin-Maschine war kompliziert, und von Rolfs Mitarbeit daran habe er viel gelernt, sagt Drangeid. Wenn es um die Arbeit ging, sprachen er und Rolf nie Norwegisch. Waren sie allein, war das Gegenteil der Fall. Nach nur zwei Jahren erhielt Karsten Drangeid ein Stellenangebot für den Aufbau des IBM-Forschungslabors in der Schweiz, dessen Direktor er später wurde. Das sorgte bei Brown Boveri für Aufruhr, wo man ihn gern behalten hätte. In seinem Arbeitszeugnis erwähnte Rolf besonders, dass Drangeid für die Lösung hinsichtlich des Turin-Synchrotrons wichtig gewesen war.

„Ich bewunderte Widerøe sehr. In all den Jahren, nachdem ich dort aufgehört hatte, schrieben wir einander Weihnachtskarten, und zusammen mit meiner Frau besuchte ich ihn, als die Familie in das neue Haus in Nussbaumen gezogen war“, so Drangeid.

Arild (ältester Sohn):

„Ich glaube, es war irgendwann in den Herbstferien, da fuhren wir mit dem Auto nach Frankreich. Woran ich mich am besten erinnere, ist, dass wir bei einem Weinhändler Halt machten. Denn der alte Widerøe, Theodor, hatte eine Weinvertretung. Unter anderem vertrat er Martell-Cognac für ganz Skandinavien. Wir waren dort ein paar Tage zu Gast, ich glaube, es war im Herbst 1949. Denn danach, im Frühjahr 1950, fuhren wir mit dem Auto nach Spanien. Mit der ganzen Familie. Teils mit Zelt. Vater war ein Draußenmensch. In den 1920er Jahren, die wir als die 'alten Tage' bezeichnen, war er oft auf Zelt- und Skitour gewesen. Sowohl mit Viggo als auch mit seinem jüngeren Bruder Arild. Davon haben wir Unmengen an Fotos.“

Rolf jr. (jüngster Sohn):

„In den Ferien waren wir da, wo Martell seinen Cognac herstellt. Dort wurden wir zum Essen in ein Schloss eingeladen, mit einem riesigen, großartigen Park, alles symmetrisch, fast so wie in Versailles. Ich erinnere mich, dass wir bei herrlichem Wetter draußen gegessen haben. Mit weißer Tischdecke. Es ging sehr feierlich zu und es gab viele gute Sachen.“

Rolf jr. (jüngster Sohn):

„Er konnte alles komplett ausblenden, und da bekam er nicht viel von dem mit, was sich um ihn herum abspielte. Einmal fuhr er mit dem Fahrrad an mir vorbei, ich rannte hinterher und warf meine Tasche hinten auf den Gepäckträger. Er aber merkte nichts und nahm sie mit nach Hause. Oder er hat einfach nur so getan, als sei nichts, das kann auch sein.“

Arild (ältester Sohn):

„Die Schwester meine Mutter, Lydia, war mit Iens Ludvik Høst verheiratet, der Verkaufsleiter bei Aschehoug war. Zu Weihnachten und an Geburtstagen schenkten sie uns immer Bücher. Gute Bücher. Auf diese Weise habe ich im Grunde Norwegisch schreiben und lesen gelernt. In der ersten Klasse ging ich auf die Steiner-Schule in Volvat. Da standen nur Modellieren und sowas auf dem Stundenplan, anfangs kein Schreiben. Daher habe ich Norwegisch-Schreiben erst gelernt, nachdem wir in die Schweiz gezogen sind.“

Norbert Lang (ehem. Archivchef BBC/ABB, Schweiz):

„Rolfs Hund, ein Schäferhund namens Rex, hörte auf Kommandos in drei Sprachen: Norwegisch, Deutsch und Englisch.“

Martin Hug (Nachbarsjunge in der Schweiz):

„In meiner Kindheit war Rolf Widerøe in der Stadt eine wichtige Person.“

Arild (ältester Sohn):

„Vater hat oft an Kongressen teilgenommen, wurde ständig eingeladen, Vorträge zu halten, und war ein sehr beliebter Referent. Die Vorträge wurden immer auf Englisch gehalten. Er schrieb sie auf Norwegisch und übersetzte sie dann ins Englische. Wenn ich sie jetzt lese, sehe ich, dass es ein nicht ganz fehlerfreies Englisch war. Aber das machte gewiss nichts, weil das, was er sagte, so interessant war, dass die Leute zuhörten. Und es ging nicht nur um technische Sachen. Sie beinhalteten auch viel Naturwissenschaft.“

Aasmund Berner (Neffe, Sohn von Rolfs Schwester Grethe):

„Von Natur aus waren sie doch eher geizig. Man sollte kein Geld für unnötigen Luxus ausgeben.“

„Die alte Schule?“

„Alte Schule, ja. Man sollte den harten Weg gehen und selbst klarkommen. Er lebte auch überhaupt nicht im Luxus. Meine Cousins haben gesagt: Wenn sie sonntags auf Tour gingen, hatten sie ganz einfaches Essen dabei, vielleicht schlechteres als ihre Freunde.“

„Es waren andere Dinge, die zählten?“

„Ja, obwohl sie es sich bestimmt leisten konnten, bekamen die Kinder nichts extra.“

Thor Spandow (Neffe, Sohn von Rolfs Schwester Else):

„Rolf war geschickt mit Zahlen. Viggo und Else waren geschickt mit Menschen.“

Krebsbehandlungsmaschinen für die ganze Welt

Parallel zur Entwicklungstätigkeit lief die Arbeit am Firmenhauptsitz auf vollen Touren. In Krankenhäusern weltweit wurden immer neue und bessere Typen von Betatronen installiert. Einer von Rolfs Mitarbeitern, Christian Gerber, ein Ingenieur, der in den 1960er und 1970er Jahren für die Anpassung und Kalibrierung der Maschinen an den jeweiligen Montageorten zuständig war, erzählt:25

„Ich hatte eine schöne Zeit bei Widerøe. Als ich bei ihm anfing, war ich jung und fand es spannend, in die Welt hinauszukommen. Das war ein faszinierender Typ Beschleuniger, vollkommen anders. Zuvor hatte ich mit Van-de-Graaff-Beschleunigern gearbeitet. Und Widerøe war fantastisch. Aber er verlangte viel.“

Gerber war für die sogenannte Dosimetrie verantwortlich – ein zentraler Aspekt der Strahlentherapie, wobei es um die richtige Einstellung des Behandlungsapparates geht, damit der Patient exakt die vom Arzt verschriebene Dosis erhält, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Alle Betatrone, die in die USA verkauft wurden, sind durch seine Hände gegangen. In den 1960er Jahren wurden Betatrone unter anderem im Montefiore Hospital in New York (1961), im University of Maryland Hospital in Baltimore (1964), im Hospital Galveston in Texas (1965), im Mercy Hospital in Chicago (1967) sowie im Henry Ford Hospital in Detroit (1968) installiert. Alle waren vom Typ Asklepitron 35.

Das erste Krankenhaus, in das Gerber geschickt wurde, war das in Helsingfors, wobei Rolf und er eine eigene Taktik entwickelten, die ein wenig auf Intuition und der Chemie zwischen den beiden beruhte:

„Ich erinnere mich daran, als ich nach Finnland reiste. Ich kam direkt von der Ausbildung und war frisch verheiratet. Es war mein erster Job für Widerøe. Er sagte: 'Du vollendest diese Maschine und lieferst sie.' Oh, jawohl. Ich entschied mich, das Krankenhauspersonal von Anfang an einzubeziehen; das war meine Rettung. Wenn ich das Betatron übergebe, muss ich wissen, was ich ihnen übergebe, und sie müssen wissen, was sie bekommen, sagte ich mir. Und das hat funktioniert. Die Finnen waren interessiert, Neues zu lernen, und außerdem, wenn irgendetwas nicht ganz der Spezifikation entsprach, was oft der Fall war, dann wussten sie selbst warum. Ich glaube, das mochte Rolf Widerøe, schließlich wurde erst bezahlt, wenn der Käufer akzeptiert und unterschrieben hatte.“

Das Krankenhaus erhielt sowohl 1962 als auch 1963 ein Betatron. Als sie das zweite Mal vor Ort waren, sagte Rolf:

„'Du kannst die Arbeit in einem halben Jahr erledigen.' Ich sagte: 'Ein Jahr', und erklärte warum. Es wurde ein Jahr, und alle waren zufrieden.“

Sie hatten ein Problem, mit dem sie sich abmühten, das schließlich aber gelöst wurde, was nicht zuletzt einem der finnischen Physiker zu verdanken war, mit dem er seither befreundet ist, erzählt Gerber, der gern in seinen Erinnerungen an die Jahre unter Widerøe schwelgt:

„Er gab mir Vertrauen und Möglichkeiten. Ich reise gern und begegne gern anderen Kulturen. Wohin ist nicht so wichtig, das Soziale stellt einen zentralen Aspekt dar. Die Zeit in Helsingfors war speziell. Wir waren Geschäftspartner, aber wir arbeiteten zusammen und mochten einander. Es war ein neues Krankenhaus mit großem Unternehmungsgeist, und wir hatten ein gutes Team. Sowohl die Physiker als auch die Mediziner waren tüchtig. Die Dosimetrie machte das Krankenhaus selbst, und als ich fuhr, kannten sie dort die Maschine genauso gut wie ich. Das war mein Geheimnis. Ich hatte Kollegen bei Brown Boveri, die im Krankenhaus niemanden in die Nähe der Maschine ließen, bevor diese nicht fertig war, und da war dann die Überraschung darüber groß, wie sie letztendlich geworden war. Ich habe mich weltweit meiner Methode bedient. Möglich war all das dank Widerøes Ruf und Führungsstil.

In gewisser Hinsicht hatten wir dieselbe enthusiastische Art. Leg los. Du schaffst das. Das war nicht immer leicht, aber die Maschinen waren einfach fantastisch. Widerøe selbst war kein Geschäftsmann. Es tut mir leid, das zu sagen. Er war ein Genie, er war Wissenschaftler, er hatte Ideen. Ich erinnere mich an die ältesten medizinischen Experten und Radioonkologen, denen ich begegnete und die sagten, sie kauften das Betatron wegen ihm – Schumacher in Berlin, Schinz in Zürich, Zuppinger in Bern.26 All die Großen in den Krebs-Krankenhäusern rundherum. Ich könnte viele mehr benennen. Widerøe kannten alle. Es gab keine Konkurrenten. Das heißt, in den Staaten hatten wir noch immer einen Konkurrenten, der Betatrone baute, Allis-Chalmers. Und dann war da die deutsche Siemens. Aber unsere waren die besten. In den 1970er Jahren begann es sich zu verändern, als man zu kleineren, preiswerteren Maschinen überging, aber auch das waren ausgeklügelte, kontrollierbare Apparate.“

„War sein Führungsstil hart?“

„Ja. Keine schlechte Art zu führen, aber eine harte. Er wusste, wie er etwas haben wollte. Wenn er den Kunden etwas versprach, nahm er es automatisch als gegeben, dass es sich realisieren ließ. Er fragte nicht nach dem 'Könnte'. Er rechnete einfach damit, dass man es hinbekam. Er gab keine Befehle, sondern Rat und er sagte stets: 'Das ist möglich!' Und er meinte tatsächlich, dass es machbar war. Oft war das nicht der Fall, zumindest nicht so ohne Weiteres. Da widersprach ich ihm nicht direkt, sondern zeigte ihm, dass es nicht möglich war, und das respektierte er. Oft handelte es sich um Dinge, die kaum jemals getestet worden waren. Wenn er in dieser Weise Dinge versprach, war es anschließend eine ordentliche Aufgabe, sie hinzubekommen und Lösungen zu finden. Das war damals mein Leben. Aber es war ein gutes Leben für mich und meine Familie. Ich war 14 Jahre bei Brown Boveri und arbeitete die meiste Zeit mit Widerøe zusammen, auch als er in Pension ging und weiterarbeitete. Am Ende wurde er, um ehrlich zu sein, aus seiner Stellung als Abteilungschef ein bisschen herausgemobbt, aber nicht von mir.“

„Warum das? Von wem?“

„Von demjenigen, der seinen Posten übernahm, Dr. Max Sempert. Weil Widerøe nicht ans Geschäft dachte. Noch immer war er weltweit als Referent auf Kongressen stark nachgefragt, denn keiner war besser als er, um begeistert von Beschleunigern zu erzählen. Brown Boveri musste verkaufen, und dafür brauchten sie Widerøe. Jedoch jemanden für die Leitung einer Entwicklungsabteilung einzusetzen, weil er gut im Verkauf ist, ergibt keinen Sinn. Auch war er nicht immer auf dem aktuellen Stand, was die neuesten Entwicklungen betraf, und sowas kann für ein Unternehmen gefährlich sein. Ich habe ihm das gesagt. Die anderen waren zu feige.“

Kein Pädagoge

„Wie aber war er? Als Person?“

„Alle kannten Widerøe, aber kaum einer kannte ihn gut. In Verbindung mit seinem 90. Geburtstag fand an der Hochschule in Zürich, wo er unterrichtet hatte, ihm zu Ehren ein Kolloquium mit Beiträgen prominenter Fachleute statt. Ich fuhr als gewöhnlicher Zuhörer hin. Da kam er angestürzt: 'Du musst neben mir sitzen!' 'Nein, ich bin nicht eingeladen, das kann ich nicht.' 'Doch', und dann nahm er mich schlicht und einfach mit und platzierte mich neben sich, zusammen mit all diesen bekannten Größen. Das wusste ich natürlich sehr zu schätzen. Persönlich jedoch waren wir uns nicht nahe, obwohl meine Frau und ich mehrfach zu ihm nach Hause eingeladen waren. Er ließ niemanden an sich heran. Ich kenne kaum einen wirklich engen Freund von ihm. Doch, einen. Man darf nicht vergessen, dass einige auch Konkurrenten waren, das ist in wissenschaftlichen Kreisen oft so. Man interessiert sich dafür, wer Geld bekommt und wer nicht. Zitierst du mich, dann zitiere ich dich.“

„War er ein Pädagoge?“

„Nein, nein, er war zu dominant. Kein Pädagoge. Das bin ich im Übrigen auch nicht, habe nicht die nötige Geduld. Aber er war eine Persönlichkeit. Ich glaube, niemand weiß wirklich, wie fantastisch dieser Mann war. Er war auch eine sehr spezielle Person. Zum Beispiel konnte er ins Labor kommen, den Arm ausstrecken und sagen: 'Ich habe hier im Ellenbogen Schmerzen. Gib mir ein bisschen Strahlung.' So erhielt der Ellenbogen Bestrahlung. Er glaubte daran und er wusste, was er tat. Selbstverständlich war das eine andere Zeit. Heute kann man nicht einmal ohne Weiteres in einen solchen Raum hineingehen.“

Gerber erzählt, dass Siemens Interesse an ihm hatte, als er in den USA war. Aber er entschied sich anders:

„Ich nahm die Stelle hier an, weil sie interessant war, und das blieb sie, nicht zuletzt wegen Widerøe. Lange nachdem er aufgehört hatte, kam er oft und sah sich an, woran ich arbeitete. Ich sehe ihn noch immer vor mir, zu Fuß über die Brücke zum Institut kommend, in dem ich tätig war. Ja, innerhalb der Strahlentherapie war er wirklich 'jemand'. Und hatte Kontakte zu allen 'big shots' der Welt. Keiner war wie er. Er konnte sich überall hinwenden. In China, in den Staaten – die Türen standen ihm immer offen.“

Der letzte Kaiser

„Sie waren auch mit in China ?“

„Ja, zuerst in Hongkong. Bereits 1963 installierten wir dort im Queen Elizabeth Hospital ein Betatron. Einige Jahre später taten wir das Gleiche in Peking. Widerøe war vorab dort gewesen und hatte die Maschine verkauft. Dann kam er zu mir und sagte: 'Hast du Lust dort hinzufliegen?' Das war während der Kulturrevolution. Er schickte ein Team für den Aufbau hin, und dann flogen wir beide runter. Ich hatte ein Team von 20 Personen, sechs, sieben Physiker, medizinisches Personal, Mitglieder der Kommunistischen Partei, Leute vom Sicherheitsdienst – 'alle' waren da. Und ich machte genau das, was ich in Finnland und andernorts getan hatte. Also: 'Das machen wir zusammen.' Es war ein fantastisches Team. Ich war ein paar Monate dort, und der Aufenthalt war megainteressant, ich versuchte sogar ein bisschen Chinesisch zu lernen.

Der Chef der Krebsklinik hatte in England studiert. Er war ein netter Kerl, seither haben wir den Kontakt aufrechterhalten. Und ich war nicht der Einzige, der gearbeitet hat, alle im Team, einige davon seltsame Menschen, aber feine Leute, und wir halfen einander. Als ich abreiste, gab es einen – ich weiß, dass er in der Kommunistischen Partei den höchsten Posten innehatte –, zu dem musste ich sagen: 'You are a good communist.' Das sollte bedeuten, dass er ein ehrlicher und aufrichtiger Mensch war. So habe ich ihn gesehen. Politisch sympathisierte ich nicht, aber ich konnte mit ihnen sprechen.“

„War ein solcher Kontakt für diese Menschen ungewohnt?“

„Ja, dass man offen reden konnte. Wir arbeiteten an dem Betatron, das Widerøe ihnen verkauft hatte, wir sprachen darüber, wie es uns hier in der Schweiz ging, und sie zeigten mir ihr Zuhause, was sie hatten. Das war zu dieser Zeit sehr ungewöhnlich.“

„Wie war es überhaupt möglich, während der Kulturrevolution ein solches Projekt durchzuführen?“

„Das bin ich bereits viele Male gefragt worden, wie sie das inmitten der Revolution tun konnten. Faktisch habe ich selbst danach gefragt, einen der offiziellen Vertreter, und er antwortete mir auf Englisch: 'One of the big guys got sick.' Ist das nicht typisch? Es ist überall das Gleiche. Der Chef ist krank und plötzlich werden Dinge möglich. Der letzte Kaiser von China lag auch in dem Krankenhaus, und ich habe einmal mit ihm gesprochen. Er starb in der Zeit, als ich dort war.“

Mit der Glasröhre im Hongkonger Betatron hatte Brown Boveri besonders viel Glück, berichtet Gerber. Sie hielt über 40 Jahre, und das weiß er, weil er seither fast jährlich Besuch vom chinesischen Chefphysiker bekam und von ihm auf dem Laufenden gehalten wurde. In der Tat hielt das gesamte Team den Kontakt lange aufrecht:

„Man mag es nicht glauben: Obwohl sie harte Kommunisten waren, hatte ich lange danach mit ihnen Kontakt. Fast 20 Jahre später bin ich mit meiner Familie nach China gefahren, und da sorgten sie für ein schönes Auto mit Chauffeur und Guide. Ich sagte: 'Warum tut ihr das?' Und die Antwort lautete: 'Beim ersten Mal waren wir nicht immer so nett zu dir.'“

Dann erzählt Gerber, damals mit eigenen Augen gesehen zu haben, wie chinesische Kollegen verprügelt wurden, und dass er selbst einmal verhaftet wurde.

„Während der Kulturrevolution war ich auf der Straße unterwegs und sah, wie Professoren von den Universitäten in Peking mit Stöcken auf den Rücken geschlagen wurden. Ich war mittendrin, und niemand fügte mir Schaden zu, abgesehen davon, dass ich einmal ins Gefängnis musste. Sie beschuldigten mich für irgendetwas, und als ich eines Morgens ins Krankenhaus kam, hingen überall Plakate und an den Wänden stand: 'Nieder mit Gerber'. Meine Leute im Krankenhaus hatten Tränen in den Augen. Sie konnten das nicht glauben. Eine Revolutionsgruppe kämpfte gegen eine andere, und ich war mittendrin. Aber das Krankenhaus brauchte mich, um die Arbeit zu beenden, weshalb ich nach drei Tagen freikam.“

Berühmtheiten

Überall auf der Welt, sowohl in medizinischen Kreisen als auch bei der Bevölkerung vor Ort, war es ein großes Ereignis, wenn ein Betatron übergeben wurde. Presse und Fernsehen waren stets anwesend. Es gibt haufenweise Krankenhaus-Magazine und Newsletter aus dieser Zeit mit Reportagen von der Übergabe der Wundermaschine und Bildern von Größen der Medizin, Politikern und Personen, die durch ihre Geldspenden die Investition ermöglicht hatten. Massenhaft Artikel über die neue, revolutionäre Behandlungsmethode, die ohne Schädigung des umliegenden Gewebes die Krebszellen im Geschwür abtöten konnte.

Im englischen Guilford zum Beispiel hatte Prinzessin Alexandra von Kent eine eigene Stiftung gegründet – The Betatron Cancer Appeal Trust –, die dafür sorgte, dass im St. Luke’s Hospital ein Betatron installiert wurde. Christian Gerber war für die Kalibrierung verantwortlich und zur Eröffnung eingeladen, bei der die Prinzessin persönlich anwesend war. Das Projekt war von Bugatti gesponsert worden, einem Freund des Direktors, und die Anlage sorgte für großes Prestige, erzählt er. Der Aufmacher auf der Titelseite der Lokalzeitung vom 5. Mai 1967 zeigt die Prinzessin bei der Eröffnung zusammen mit dem Bischof und dem Bürgermeister der Stadt – und selbstverständlich eine Nahaufnahme des Betatrons, einem Asklepitron 35. Drei Jahre später wurde auch in Bristol eine solche Maschine in Betrieb genommen. Dieser Betatron-Typ – mit drehbarer Linse – war eines der Dinge, auf die man bei Brown Boveri stolz war. In den 1960er Jahren realisierte Rolf auch vier solcher Projekte in Frankreich, zwei in Belgien, eines in Italien, zwei in Österreich, zwei in der Schweiz, vier in Schweden, drei in Dänemark, zwei in Deutschland, zwei in Kanada sowie eines, ein neues, im Radiumhospital in Oslo, wo ein Betatron bereits seit über zehn Jahren eingesetzt wurde.

Dann kamen die 1970er Jahre mit dem Asklepitron 45 als Hauptmodell – mit etwas höherer Strahlungsenergie, ebenfalls drehbar und mindestens genauso beliebt. Rolfs ordentlichen, per Hand geschriebenen Listen zufolge wurden davon insgesamt 23 Stück verkauft. Das neue Modell ging an die Krankenhäuser, die bereits den Vorgänger in Benutzung hatten, sowie in neue Länder wie Griechenland, Spanien und die damalige Tschechoslowakei. Der Verkauf nach Amerika war nunmehr so umfangreich geworden, dass Gerber dort in einem eigens eingerichteten Büro untergebracht war. Kurz zuvor war er in Japan gewesen, wo sie ein Betatron zur industriellen Materialprüfung an Toshiba in Yokohama geliefert hatten. Von diesem Typ baute Brown Boveri zwei Stück: eine Maschine, die durch 60 cm Stahl „sehen“ konnte, während das Metall noch flüssig war. Die zweite dieses Typs ging nach Deutschland.

„Man konnte die Löcher also entdecken, bevor das Material erstarrt war?“

„Ja, sehr interessant. Selbstverständlich war das schwer. Es ging darum, Kameras und Instrumente genau zu justieren, die mit 600 bis 800 °C heißem, rotem, flüssigem Metall hantierten.“

Trotz all des überschwänglichen Lobes war das Betatron-Projekt, isoliert betrachtet, nichts, mit dem Brown Boveri direkt das ganz große Geld verdiente, sagt Christian Gerber. Es ging um Status. Massenhaft Prestige. Für das Renommee bedeutete das Betatron viel.

100 Betatrone und 200 Patente

1986 war die Zeit des Betatrons vorüber. Da hatten insgesamt 22 Länder 93 maßgeschneiderte Maschinen von Rolf und Brown Boveri erhalten: Belgien (4), Kanada (3), Dänemark (5), Finnland (4), Frankreich (10), Griechenland (1), Hongkong (1), Israel (2), Italien (6), Japan (1), das damalige Jugoslawien (1),

China (2), die damalige Sowjetunion (1), Spanien (2), Großbritannien (4), Schweiz (12), Schweden (4), die damalige Tschechoslowakei (1), Deutschland (8), USA (14), Österreich (4) und Norwegen (3).

Laut Rolf war es schwer, die genaue Anzahl der Betatrone zu benennen, die weltweit von unterschiedlichen Unternehmen gebaut wurden. Allerdings waren es mindestens 200, von denen Brown Boveri, das heißt er selbst, für die Hälfte verantwortlich zeichnete. Betatrone in der Größe 30–45 MeV waren in vielen Bereichen einsetzbar. Der Großteil wurde in Krankenhäusern installiert, einige in Forschungseinrichtungen zum Einsatz in der kernphysikalischen Grundlagenforschung und einige in der Industrie für die Materialprüfung.27

Ab 1954 war Rolf Chef der Abteilung „Elektrische Beschleuniger“ von Brown Boveri, die 1973 in EKB, Elektrische Komponenten für Betatrone, umgetauft wurde. Gegen Ende seiner Zeit im Unternehmen kam es sowohl in als auch rund um Brown Boveri zu geschäftsmäßigen Veränderungen. Das Stanford Linear Accelerator Center leistete zunehmend wichtige Beiträge zur Betatron-Entwicklung, oft in Zusammenarbeit mit der Firma Varian Medical Systems, die nach Rolfs Renteneintritt die Abteilung übernahm, die er bei Brown Boveri geleitet hatte. Heute zählt Varian zu den weltweit führenden Unternehmen, was medizinische Ausrüstung zur Strahlenbehandlung bei Krebs betrifft. 1988 kam es zur Fusion, bei der aus Brown Boveri und der schwedischen ASEA der Konzern ABB wurde.

Insgesamt ließ Rolf im Laufe seiner Karriere über 200 Patente registrieren, die meisten davon in Deutschland, aber auch in der Schweiz, den USA und Norwegen.28 53 dieser Patente wurden für Brown Boveri angemeldet. Selbstverständlich machte er nicht die gesamte Arbeit selbst und war von guten Assistenten und Mitarbeitern abhängig. Karsten Drangeid war einer von ihnen. Ein anderer, den er direkt benannte, war Dr. Nabholz, der ihm bei der Maschine für Turin geholfen hatte. Lobende Erwähnung fand auch der „hervorragende Mechaniker“ des Unternehmens, Gräf, „der genau wusste, wie die feingliedrige Arbeit beim Bau der Kathoden ausgeführt werden musste“. „Allen voran war es ihm zu verdanken, dass unsere Maschinen so lange hielten, weil er sich der Aufgabe angenommen hatte, die Glasröhren zu fertigen“, so Rolf weiter. Anderen, denen Rolf seiner Ansicht nach viel schuldete, waren sein Stellvertreter Dr. Arnold von Arx, Gamper von der Materialentwicklung, der Designingenieur von Dechend sowie der Werkstattchef Jonitz. Von den Ingenieuren, die sich an den jeweiligen Einsatzorten um die Montage und Installation der Betatrone kümmerten, hob er neben Christian Gerber auch Alfons Fischer und den Norweger Kjell Vikene hervor. Er erwähnte auch seinen Nachfolger, Dr. Max Sempert, wobei es da auch ein gewisses Konkurrenzverhältnis gab, weshalb er ihn womöglich vor allem der Höflichkeit halber nannte.

Arild (ältester Sohn)

„Lag irgendein Druck auf euch, dass ihr Ingenieurwesen oder Technik studieren solltet?“

„Von Vaters Seite eigentlich nicht. Aber es war Druck da, dass wir das Abitur machten, um studieren zu können. Ich selbst habe nie Abitur gemacht. Nun, ich war zu dieser Zeit vielleicht ein bisschen schwierig und wollte nie auf Vater hören. Ich wollte kein Ingenieur werden, weil ich es komisch fand, hier in Baden – und Baden war eine kleine Stadt – fortwährend von Leuten auf der Straße angesprochen zu werden, und mein Vater war damals bereits bekannt. Viele fragten mich: 'Was willst du werden?', oder: 'Willst du nicht sowas wie dein Vater machen?' Jetzt, im Nachhinein, glaube ich, dass mich das unterbewusst bedrückt hat, weshalb das wohl eine Reaktion war.“

Arild (ältester Sohn)

„Was ist mit Ihrer Schwester? Hatte sie nicht Pläne, Ingenieurin zu werden?“

„Doch, sie wollte den gleichen Weg wie mein Vater einschlagen. Das war ganz sicher. Nach dem Abitur begann sie Maschinenbau zu studieren. Aber das hielt nicht lange an, vielleicht anderthalb Semester. Dann fiel sie im Garten von einer Mauer und zog sich eine Gehirnerschütterung zu. Ich habe immer gesagt, dass ihr das sehr gelegen kam. Da konnte sie abspringen und sagen: 'Nein, mit dem Kopf kann ich nicht weiterstudieren.' Also fing sie an, Ballettunterricht zu nehmen, und machte eine Ausbildung zur Tanzlehrerin.“

„Wie ich gehört habe, hat sie einen Jugoslawen geheiratet?“

„Ja, Dragomyr Trifunovic aus Belgrad, der auf Exkursion in Berlin war, sich absetzte und nach Westdeutschland ging. Dort hat sie ihn kennengelernt, in der Nähe von Mannheim, wo sie viele Jahre gewohnt hat. Dann zogen sie nach Norwegen – denn er hatte keinen Pass, lediglich einen Nansen-Pass, wie ihn Flüchtlinge zu dieser Zeit bekamen. Damit konnten sie nicht überallhin reisen – also zogen sie nach Norwegen. Dort wurde ihr Sohn Per geboren, und Dragomyr gefiel es in Norwegen. Innerhalb von drei, vier Jahren lernte er fehlerfrei Norwegisch und war ein wichtiger Teil der Familie. Was er allerdings nicht mochte, waren die langen Winter, weshalb er wieder in den Süden wollte, in Norwegen war es ihm zu kalt. In Oslo wohnten sie im Melumveien 8.“

„Sie haben das Haus Ihrer Eltern übernommen?“

„Ja. Aber nach einigen Jahren zogen sie wieder nach Mannheim, wo er eine Stelle in einer großen Architekturfirma bekam. Zu dem Zeitpunkt hatte er bereits die norwegische Staatsbürgerschaft angenommen.“

Arild (ältester Sohn)

„Ich erinnere mich: Als wir 1949 nach Baden kamen, bin ich zu den Pfadfindern gegangen. Ein Jahr zu früh, denn Vater fand, es habe keinen Sinn, als 'Wolfsjunge' anzufangen. Bei den Pfadfindern sollte man sofort ordentlich loslegen. Einmal war ich im Winterlager in den Alpen und hatte unsere übliche Ausrüstung dabei. Von Andermatt aus gingen wir den St. Gotthard hinauf, wo wir in einer Jugendherberge wohnten, und ich war natürlich der Jüngste. Und da hatten wir Felle, die wir auf die Ski zogen, damit wir aufsteigen konnten, ohne rückwärts runterzurutschen. Ich aber habe sie ständig verloren. Es war beißend kalt, und ich hatte nur selbst gestrickte Handschuhe, da ging die Kälte direkt durch. Jedoch erinnere ich mich: Im darauffolgenden Jahr wurde ich gut ausgestattet. Ich brauchte dies und jenes..“

Arild (ältester Sohn)

„Wir hatten in Norwegen schon auf Ski gestanden. Wohnte man in Røa, befand man sich sozusagen im Ski-Terrain, und damals war ein Stück weiter unterhalb auch ein Feld, auf dem man Ski laufen konnte. Deshalb hatten wir natürlich Ski, als wir hierherkamen. Allerdings hatten wir keine Abfahrtski, sondern Langlaufski. Im Alter von 8 bis 10 Jahren waren wir in den Weihnachtsferien in einem Ort namens Oberiberg. Dort wohnten wir in einem Hotel, und wir hatten noch immer norwegische Ski, mit Gleitwachs darunter. Wir kamen rauf und wir kamen runter, irgendwie. Richtigen Unterricht bekamen wir nicht. Es hieß nur: 'Haltet euch aufrecht.' Das rief uns Vater immer zu, damit wir nicht hinfielen. Als wir an den Sonntagen mit unseren Eltern zum Skifahren gingen, war Vater äußerst geschickt darin, Orte zu finden, wo es einen Skilift gab, wir liefen jedoch immer an der Liftstrecke entlang.“

„Ihr durftet den Lift nicht nutzen?“

„Kein Lift, nein.“

„Ihr musstet also nebenherlaufen?“

„Ja, sozusagen, liefen wir nebenher. Heute bin ich im Grunde froh darüber, dass wir nicht verwöhnt wurden. Nun, mein Vater hatte zu dieser Zeit auch nicht das Geld, damit alle den Skilift nehmen konnten.“

Mehrere Eisen im Feuer

Aber das war nicht alles. Relais und Betatrone waren nur ein Teil von Rolfs Karriere. Bereits in den ersten fünf, sechs Jahren in der Schweiz, während er finanziell und arbeitsmäßig Fuß fassen musste – also als das Betatron für das Krankenhaus in Zürich ein Erfolg werden musste und er wollte, dass Norwegen das Gegenstück bestellte, er parallel dazu in immer neue Betatron-Projekte einstieg und zudem am Synchrotron forschte –, mitten in all dem nahm er eine weitere beachtliche Aufgabe in Angriff. Er erklärte sich bereit, als Berater für das Prestigeforschungsprojekt Nr. 1 in Europa tätig zu werden, das CERN-Labor in der Schweiz. Als Europa nach dem Krieg technologisch wieder aufgebaut und ein Forschungsmilieu auf die Beine gestellt werden sollte, das es mit den USA aufnehmen konnte, wandte man sich dazu nämlich an Rolf.

Mit einem Teilchenbeschleuniger als Ausgangspunkt sollte ein Forschungszentrum gegründet werden. Das Gemeinschaftsprojekt CERN sollte das weltgrößte Teilchenphysik-Labor werden. Von riesigen Ausmaßen. Ein kreisförmiger Tunnel, eine Art Modelleisenbahn für Physiker, wenn man so will, mit Lokomotiven und Wagen, die herumrasten, um geladene, winzig kleine Teilchen zu beschleunigen und höhere Energie zu erzeugen. Dann lässt man die Teilchen kollidieren, um zu sehen, ob sie sich beim Zusammenstoß in noch kleinere Teilchen aufspalten. Und das tun sie. Daraufhin bewegt man sie noch schneller und noch schneller. Und was, wenn wir das Tempo einfach noch ein bisschen erhöhen? Was dann?

Das war ein Geschenk. Direkt in Rolfs Bereich. Und mit enormen Dimensionen, im doppelten Sinne. Was für Möglichkeiten! Was für Konsequenzen! Nie zuvor hatte jemand so etwas getan. Seine bis dahin gefertigten Beschleuniger waren größenmäßig im Vergleich zu den heutigen nahezu Monster gewesen, dennoch hatten sie in einem Behandlungszimmer mit ein wenig mehr Deckenhöhe Platz gefunden. Das war etwas anderes. Und nicht zuletzt durfte er sich unter den bekanntesten Kernphysikern der Welt tummeln.

Sowohl politisch als auch forscherisch war das Vorhaben mit Prestige verbunden. Als ehemalige Feinde in einem gigantischen Brückenbauprojekt zusammenarbeiten sollten, wurde die Schweiz als neutrales und ungefährliches Gebiet betrachtet. Slogans wie ‚Bridging the Atlantic‘ und ‚Science Bringing Nations Together‘ passten gut. Verhandlungen hatte es seit dem Krieg gegeben. Weder die USA noch Europa konnten ruhig zusehen, wie die bedeutendsten Wissenschaftler Europas den Atlantik überquerten, um sich dort zu entfalten, und so Europa kluge Köpfe verlor. Sowohl die Marshall-Hilfe als auch das Manhattan-Projekt waren involviert. Dasselbe traf auf die UN und die UNESCO zu, und die Angst bestand selbstverständlich darin, dass das Ganze zu bürokratisch und starr sein würde. Zu denen, die das befürchteten, gehörte der Däne Niels Bohr. Zudem wollten Schweden und Großbritannien lange Zeit am liebsten ihre eigenen Projekte durchführen, ohne Einmischung von anderen. Beiderseits des Atlantiks fanden wichtige Besprechungen statt (Abb. 2.7).

Abb. 2.7
figure 7

(Foto © Ritzau/NTB scanpix)

Im Juli 1953 nahmen Niels Bohr und Rolf Widerøe an einem internationalen Radiologie-Kongress in Kopenhagen teil.

Das war das erste wirkliche Gemeinschaftsprojekt im Nachkriegseuropa, und Norwegen und die damalige BRD waren von Beginn an dabei. Formal wurde das CERN 1954 gegründet. Die Organisation geriet zu einem Modell für das, was erreichbar ist, wenn Nationen ihre Kräfte für ein gemeinsames Ziel bündeln. Seither wurden, unter ähnlichen Prämissen, diverse internationale Forschungseinrichtungen gegründet, unter anderem die Europäische Weltraumorganisation ESA, das Europäische Laboratorium für Molekularbiologie EMBL, die European Synchrotron Radiation Facility ESRF sowie der weltgrößte Fusionsreaktor JET, jetzt ein Teil von EUROfusion. Niemand kann mehr allein, isoliert, nur in seinem Land forschen.29

Neugierig auf das CERN-Projekt

Für Rolf war beim CERN die Physik wichtig, nicht die große Politik. Für ihn begann das Ganze im Juni 1952 auf einer Besprechung in Kopenhagen, wo die Visionen konkretisiert und Einzelprojekte detailliert geplant werden sollten. „Und ich war dabei – ich hatte an der Sache einfach ein persönliches Interesse. Es hatte mit meiner Tätigkeit bei BBC ja relativ wenig zu tun“30, wie er es ausdrückte. Die Europäische Organisation für Kernforschung, französisch Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire, kurz CERN, war im Jahr zuvor gegründet worden. Jetzt sollte das Labor aufgebaut werden. Rolf war Teil der Expertengruppe, die für die Entwicklung der Beschleuniger verantwortlich war, die dort konstruiert werden sollten: ein Synchro-Zyklotron und ein Proton-Synchrotron, populär bezeichnet als SC und PS. Das war konkret, das war sein Fach, das war Physik. Und: Es sprengte Grenzen, war am Rande dessen, was zu dieser Zeit jemand realisieren oder sich ausdenken konnte. Rolf ergriff die Chance. Sechs Jahre zuvor hatte er das Patent für ein Proton-Synchrotron angemeldet.

Er nutzte all seine Kontakte, und er baute neue auf. So war zum Beispiel er es, der den deutschen Physikexperten Christoph Schmelzer an Bord holte, was dem Leiter der Planungsgruppe gewisse Sorge bereitete – vielleicht aus etwas anderen Gründen, als man glauben sollte:

„Ganz am Anfang suchten wir für die PS-Maschine einen guten Hochfrequenz-Ingenieur. Ich kannte Dr. Christoph Schmelzer und überredete ihn, zum CERN zu gehen. Ich erinnere mich sehr gut daran. Wir vereinbarten ein Treffen außerhalb von Waldshut, in Deutschland. Ich kam mit meinem Wagen von Baden, und wir fuhren zusammen den Weg nach Höchenschwand im Schwarzwald.

Außerhalb von Waldshut war ein schöner Grashang. Dort saßen wir und ich erklärte ihm das Prinzip des Synchrotrons. Er fand, daß es eine sehr interessante Aufgabe war, solch eine Maschine zu bauen, und so wurde er Mitglied der PS-Gruppe.Der Leiter der Gruppe, Odd Dahl, ebenfalls ein Norweger, war jedoch besorgt, daß es dadurch zwei Deutsche seien. Ein deutscher Professor war bereits Mitglied und Dahl fürchtete, die Deutschen würden sich beklommen fühlen.“31

In seinen Memoiren erwähnt Dahl die Kombination Norweger-Deutsche vor allem im Hinblick auf die Auffassung der Deutschen:

„Sie waren sich selbstverständlich im Klaren darüber, dass die allgemeine Haltung gegenüber Deutschen zu dieser Zeit nicht ausgeprägt positiv war, weshalb sie befürchteten, sich mit einem Norweger als Direktor der Gruppe vielleicht nicht richtig entfalten zu können. Es lief indessen sehr gut, und wir standen seither all die Jahre in einem freundschaftlichen Verhältnis und engem Kontakt zueinander.“32

Dahl arbeitete als Administrator und Koordinator für das PS-Projekt. Daneben war ein weiterer Norweger und Bergenser Teil der Gruppe, Kjell Johnsen, Beschleuniger-Experte und Professor der Kernphysik, auch er kam vom Chr. Michelsen Institute. Er war nicht von Beginn an dabei, jedoch nahm Rolf nach dem ersten Treffen in Kopenhagen Kontakt zu ihm auf, um sich mit ihm zu beratschlagen. Späterhin wurde er festes Mitglied der Gruppe. Leider war Johnsen so krank, dass ich ihn für dieses Buch nicht interviewen konnte; mittlerweile ist er verstorben. Allerdings haben viele über diese gigantische Anlage geschrieben, und nicht zuletzt hat das CERN, in Verbindung mit dem 50-jährigen Jubiläum 2004, seine Geschichte selbst dokumentiert. Darin wird Rolf konsequent als Beschleuniger-Pionier bezeichnet.

Eine Begegnung mit Rolf im Sommer 1952 hatte Odd Dahl von der Notwendigkeit überzeugt, ein Proton-Synchrotron für CERN zu bauen. Vermutlich entschieden sie das bereits bei der ersten Zusammenkunft, an der Rolf teilnahm.33 Die Gruppe kam zu dem Schluss, dass die Teilchenenergie 10 GeV betragen müsse. Wohlgemerkt: Es ist nicht mehr von MeV die Rede. Selbst ohne Technologieverständnis begreift man, dass G für „giga“ mehr ist als M für „mega“. Dass eine Zahl mit neun Nullen dahinter größer ist als eine mit sechs Nullen.

Stellvertretender Vorsitzender der Synchrotron-Gruppe war der Engländer Frank K. Goward. Er und D. E. Barnes waren die Ersten, die das Synchrotron-Prinzip erfolgreich getestet hatten. Daneben gehörten ein weiterer Brite, ein Schwede und zwei Franzosen der Gruppe an34 – sowie zwei Deutsche, die Rolf von früher kannte, Prof. Wolfgang Gentner und Dr. Schmelzer. Mit drei von neun Mitgliedern war Norwegen gut vertreten. Rolf war allerdings als Schweizer registriert, andernorts in der CERN-Geschichte wird er als Deutscher bezeichnet, was ihm keineswegs gefiel. Dass Rolf als einer der Ersten Teil der Gruppe wurde, war laut Odd Dahl kein Zufall. Als Forschungsdirektor bei Brown Boveri hatte er einen guten Job gemacht, und die beiden kannten einander von früher. In seinen Memoiren zollt er Rolf seine Anerkennung:

„In der Zwischenkriegszeit hatte er in Deutschland im Hinblick auf die großen Beschleuniger-Installationen zukunftsweisende Arbeiten ausgeführt, es gelang ihm da nur nicht, sein Betatron-Prinzip voll und ganz umzusetzen.“35

Dahl war selbst ein Mann der Tat, und vielleicht fanden sie einander nicht zuletzt deswegen. Eine typische Dahl-Aussage lautet: „Man muss den Gedanken zu Ende denken, jedoch ohne auf die ganze Welt Rücksicht zu nehmen, denn dann kriegt man nichts hin.“36

Anfeuerung seitens der Amerikaner

Eine entscheidende Antriebskraft auf europäischer Seite war der französische Physiker und UNESCO-Direktor Pierre Auger, eine weitere der Italiener Edoardo Amaldi. Rolf kannte sie beide. Auf der anderen Seite des Atlantiks war der Nobelpreisträger Isidor Rabi einer derjenigen, die enthusiastisch für CERN kämpften. Während des Krieges hatte er eine Schlüsselrolle im Strahlenlabor des MIT, Massachusetts Institute of Technology, inne. Nach dem Krieg war er entscheidend am Aufbau des berühmten Brookhaven Laboratory im Bundesstaat New York beteiligt. Sein Leitgedanke war, in Europa ein entsprechendes Labor zu errichten.37

Jetzt tut sich was. Rolf ist im Begriff, die CERN-Geschichte mitzuschreiben. Im August 1952 reist eine dreiköpfige Gruppe in die USA, um die Pläne für den gigantischen, im Bau befindlichen Beschleuniger zu studieren, das Synchrotron in Brookhaven. Das heißt, die Amerikaner nannten es cosmotron. Neben dem Vorsitzenden und seinem Stellvertreter ist Rolf mit von der Partie. Er fliegt über Australien, wo er einen Vortrag halten soll, und trifft dann in den USA die beiden anderen. Begeistert erzählt er: „Wir verbrachten einige Tage mit …“ und zählt dann auf: den Chef des Brookhaven Cosmotron Department, George Collins, und haufenweise großen Namen, Forscher, die nur Wochen zuvor das sogenannte strong focusing, die Methode der starken Fokussierung, entwickelt hatten.38 Im Anschluss folgt eine lange physikalische Auslegung. Dieser und jener meine dies und das. Sein eigenes Patent basiere auf dem und dem. Vielleicht sollten sie es vielmehr so machen. Weil. Kein Zweifel, Rolf entfaltete sich. Das Foto der Gruppe zusammen mit dem Chef des amerikanischen Labors ist seither berühmt geworden, es illustriert den Anfang von etwas Großem und findet sich in der Übersicht zur 50-jährigen Geschichte von CERN.

Was in Brookhaven diskutiert wurde, gehörte Rolf zufolge zum Grundlegenden moderner Synchrotrone, zudem zog er Vergleiche zu Ideen, die er selbst in Verbindung mit den Synchrotron-Patenten in den 1940er Jahren gehabt hatte. Bei einem der Treffen sprach Lawrence’ Assistent Livingston zum Beispiel über die Platzierung von Magneten und dass sich alle C-förmigen Magnete nach außen bogen. Warum sich keine nach innen biegen lassen? Courant, den Rolf auch von früher kannte, und die anderen erkannten sofort, dass es die Fokussierung verbessern und damit höhere Energien ermöglichen würde, wenn die Magnete abwechselnd nach innen und nach außen zeigten. Zu der Zeit, als das Dreierteam aus Europa auftauchte, waren die Amerikaner in ihrer Diskussion gerade bei der Frage hinsichtlich „alternierender Neigungswinkel“ angelangt. Eines der Hauptprobleme war, dass die sehr starken Magnetfeldgradienten es erforderlich machten, sowohl die Konstruktion als auch die Platzierung der Magnete mit einer Präzision auszuführen, die alles überstieg, was man bisher versucht hatte.39 Sie präsentierten ihren Gästen den revolutionären Plan für einen zukünftigen Hochenergie-Beschleuniger. Indem sie mit unterschiedlich geformten Magneten (alternating gradients) experimentierten, meinten sie zukünftig stärkere Beschleuniger zum gleichen Preis bauen zu können.

Der Vorschlag entwickelte sich umgehend zu einem heißen Diskussionsthema zwischen den angereisten Europäern und den Amerikanern. Rolf seinerseits hatte eine andere Methode zur besseren Fokussierung vorgeschlagen und diese 1943 patentieren lassen. Die von den Amerikanern präsentierte sei jedoch einfacher und besser, meinte er, und tatsächlich zeigte sich, dass unabhängig davon dasselbe Prinzip zwei Jahre zuvor von einem Griechen vorgeschlagen worden war.40 Ja, das war spannend und Rolf in seinem Element:

„Wir diskutierten mit ihnen eine ganze Woche lang, vom 4. bis zum 10. August 1952, und es war sehr interessant. Ich verstand sofort, daß es sich um ein viel besseres System handelte als die von mir vorher vorgeschlagenen 'Linsenstraßen'.“41

Das Brookhaven-Team hatte bereitwillig sein Wissen geteilt. Aber nicht nur das, es war gewillt, den Europäern bei dieser relativ riskanten Pionierarbeit zu helfen, und mit dieser Idee fuhr die CERN-Gruppe zufrieden nach Hause.42 Gut gelandet, gab es jedoch Krach. Das waren radikale Ideen. Da war es gut, Rolfs Begeisterung zu haben, sagt Professor Egil Lillestøl, der viele Jahre lang bei CERN tätig war, unter anderem als stellvertretender Leiter der Physik-Abteilung (Abb. 2.8):

Abb. 2.8
figure 8

(© Brookhaven National Laboratory, mit freundlicher Genehmigung)

In Vorbereitung der Gründung von CERN besuchte 1952 eine Gruppe aus Europa das Brookhaven National Laboratory in den USA. Von links: Frank Goward, Odd Dahl, Rolf Widerøe und Ernest Courant.

„Rein persönlich spielte Rolf für den Leiter der Gruppe, Odd Dahl, eine wichtige Rolle, als die dreiköpfige Gesandtschaft aus den USA zurückkehrte und 'alle' gegen den neuen Vorschlag für den Beschleuniger waren.“43

So wird’s gemacht

Nach zwei Monaten Tauziehen, im Oktober 1952, waren alle in der CERN-Gruppe vom Typ und der Größe der zu bauenden Maschine überzeugt, ebenso, dass die Maschine das Hauptelement des neuen Labors ausmachen sollte. Unbekannte Technologie mit großen technischen und theoretischen Herausforderungen, für Rolf – und Dahl – war genau dies das Reizvolle. Die Gruppe entschied, ihren ersten Vorschlag an die CERN-Leitung zu erweitern. Dieser wurde genehmigt, woraufhin die Planungen beginnen konnten. Zwei der Amerikaner, die sie getroffen hatten, kamen später hinzu und beteiligten sich an der Arbeit bei CERN.44

Nunmehr ging alles mit ungewöhnlich hohem Tempo vonstatten, und während die Physiker Fachfragen rund um das Synchrotron diskutierten, arbeiteten Verwaltung, Politik und Diplomatie an der Klärung der Formalitäten rund um die Gründung der Neuschöpfung CERN – eines internationalen Labors inmitten von Europa, an dem sich später auch die Amerikaner beteiligten. Das von den Mitgliedsländern finanziert wurde und in all den zwölf Ländern auf Regierungs- und Parlamentsebene behandelt werden musste. Heute sind es 23 Mitgliedsstaaten. Sie sollten keine Geheimnisse haben, nichts verkaufen, nichts mit Atomkraft oder militärischen Interessen zu tun haben, nicht von irgendeiner anderen internationalen Organisation abhängig sein. Sich nur der reinen Forschung widmen. Von so etwas hatte bisher niemand gehört. Durch die globale Brille der heutigen Zeit betrachtet ist das nichts Ausgefallenes, damals jedoch – und so kurz nach einem Weltkrieg – war es aufsehenerregend.

Ab Oktober des Folgejahres hielt die PS-Gruppe ihre Zusammenkünfte in Genf ab. Bis dahin hatte sie zwischen Amsterdam, Paris, Genf, Bergen, Brüssel und Harwell in Oxford gependelt. Mit Genf als festem Ort fand die Gruppe im dortigen Physikinstitut einen festen Treffpunkt. Jedoch brauchte es Zeit, bis die konkrete Entwicklungsarbeit in Gang kam. Der Beschlussprozess erwies sich für Rolfs Geschmack als zu umständlich, und er war sich bewusst, dass er auf einige ziemlich eifrig wirkte:

„Ich erinnere mich, daß einige der Teilnehmer fanden, daß ich alles zu schnell vorantreiben wollte. Ich fand dagegen, daß man den technischen Fragen mehr Beachtung schenken sollte, statt sich so viel mit administrativen Problemen zu beschäftigen.“45

Diplomatisch fügt er hinzu, dass er natürlich einsah, dass es für ein so großes Engagement wichtig war, Organisatorisches zu klären. Und auch fachlich gab es reichlich Probleme, mit denen es sich auseinanderzusetzen galt. Vier Jahre später aber, im Juni 1956, stand der wesentliche Plan für das Synchrotron. Etwa 140 Mann waren angestellt und alle wichtigen Verträge mit der Industrie über die Lieferung der Ausrüstung geschlossen. Ein Zeitplan war erstellt – handschriftlich wohlgemerkt. Demzufolge sollte das Synchrotron 1959 einsatzbereit sein. Damit war Rolfs Hauptengagement bei CERN vorüber, sein Interesse hingegen nicht.

Anfang 1957 zogen das Personal und die Labors in die neu errichteten Räumlichkeiten. Teile des Daches fehlten noch immer, aber die Süd- und die Nordhalle konnten bereits zum Testen und Lagern von Maschinenteilen genutzt werden, die in den verschiedenen Mitgliedsländern produziert wurden. Zwei Jahre später wurde in dem Tunnel der erste von insgesamt etwa 100 Hauptmagneten für den Beschleuniger installiert. Im Juli desselben Jahres war die Konstruktionsarbeit des Synchrotrons abgeschlossen. Im August konnte eine vergrößerte Ausgabe von Rolfs Linearbeschleuniger montiert werden. Der Starter, der das Ganze in Gang setzen sollte, war ein 50-MeV-Beschleuniger, der die Protonen generieren sollte, die sich in dem unterirdischen „Donut“ im Kreis bewegten. Im September liefen die ersten Strahlen durch die Bahn, noch nicht ganz so, wie die Konstrukteure es beabsichtigten, was aber nach und nach justiert wurde.

Im November geschieht es. Die Beschleunigung erreicht unwirkliche 24 GeV. Daraufhin werden die Magnete noch ein wenig korrigiert, und am 8. Dezember 1959 die Energiespitze erreicht: magische 28,3 GeV. Für die Fachleute fantastisch und unglaublich. Für gewöhnliche Menschen noch mehr. Das Wesentliche jedoch, dass dort etwas sehr Kleines sehr schnell herumstob und für die Forschung wichtig war, das erschien begreiflich. Weltrekord für die höchste Energie, das war verständlich. Und Rolf? Er konnte CERN nicht verlassen, bevor das Ziel erreicht war. Bei großen Entscheidungen war er stets dabei, und es brauchte insgesamt sieben Jahre, bis die erste Maschine von CERN fertig war.

Amerika geschlagen

Sieben, acht Monate lang war die PS-Maschine in Genf der Beschleuniger mit der weltweit höchsten Energie. Erst dann wurde die Schwestermaschine in Brookhaven fertig.46 Mit etwas höherer Endenergie. Aber nur etwas. Denn dank des Brookhaven-Besuchs war es den Europäern gelungen, die Energiestärke entgegen den ursprünglichen Plänen beinahe zu verdreifachen. 10 GeV waren zu fast 30 geworden.

In den 1960er Jahren war die PS im Bereich der Kernphysik die State of the Art-Forschungsmaschine, der wahrscheinlich weltweit vielseitigste Teilchen- und Strahlengenerator, der auch für viele andere Beschleuniger und Experimente des Zentrums zum Einsatz kam. Für CERN war das der Auftakt zu einer unglaublichen Erfolgsgeschichte, die sich stetig fortsetzte. Über mehr als 65 Jahre hinweg stets verbesserte Beschleuniger machten das Labor einzigartig. Das Rückgrat des Ganzen war das Synchrotron. Die Klugheit, das zu tun, wofür Rolf in die Bresche gesprungen war, zahlte sich aus.47 Das war „ein nahezu unglaubliches Projekt: eine Hochpräzisionsmaschine mit einem Durchmesser von 200 m, welche die Technologie bis an ihre absoluten Grenzen ausreizte und in vielen Bereichen Initiative und Neuentwicklungen erzwang“, wie es ein ehemaliger CERN-Direktor in Verbindung mit dem 50-jährigen Jubiläum 2004 ausdrückte.48 Rolf und seine Kollegen lobte er vorbehaltlos. Da der Beschluss, genau diesen Typ zu entwickeln, auf dem wichtigen Treffen im Oktober 1952 gefasst worden war, hätte man das 50-jährige Jubiläum eigentlich bereits 2002 feiern müssen, sagte er. Der damalige Beschluss „zeugte sowohl von außerordentlicher Einsicht als auch von Weitblick und Mut. Die Designer der ursprünglichen Maschine leisteten eine beachtliche Arbeit, und die Gründer von CERN fassten einen mutigen Entschluss, als sie sich entschieden, auf die Experten zu hören.“ Die Geschichte wäre definitiv eine ganz andere gewesen, wenn sie auf die alte und sichere Art gesetzt hätten, konstatierte er.49

Rolf erlebte das wie ein Abenteuer, und er konnte den Sieg in eine größere Perspektive einordnen, da auch noch andere in dem Bereich aktiv waren. Im Dubna-Forschungszentrum nördlich von Moskau wurde nach der traditionellen Methode ein 10-GeV-Proton-Synchrotron gebaut, das späterhin weak focusing genannt wurde. Stolz konstatierte er, dass die sowjetische Maschine im Wettbewerb in allen wichtigen Punkten unterlegen war:

„Sie wurde 1957 fertiggestellt, und für ihre Magnete wurden 36.000 Tonnen Eisen verbraucht. Diese Maschine hatte damals weltweit die höchste Energie. Für unsere CERN-Maschine mit starker Fokussierung, die dann 28 GeV erreichte, haben wir nur 3200 Tonnen Eisen benutzt, also weniger als ein Zehntel. (…) Und die CERN-Maschine ging noch vor einer ähnlichen, die unsere amerikanischen Freunde in Brookhaven bauten, in Betrieb (…), und übernahm somit den Weltrekord in Teilchenenergie von den sowjetischen Kollegen.“50

Arbeitspferd

Für CERN hat die PS-Maschine seither eine ganz besondere Rolle erfüllt. Arbeitspferd durch die gesamten 1960er Jahre hindurch, aber nicht nur das. Die PS ist noch immer CERNs Arbeitspferd Nummer 1 und funktioniert in der Kette größerer Beschleuniger mittlerweile als Injektor. Die PS-Technologie wurde in allen größeren Beschleunigern verwendet. Sie war zentral bei allen Aktualisierungen und Weiterentwicklungen dessen, was sich nach und nach zu einem ganzen System an Beschleunigern entwickelte. Die Anlage war populär und zog viele Forscher an. Eine neue Halle, die Osthalle, wurde gebaut, um Platz für Neuentwicklungen zu schaffen. Um abzusichern, dass man nicht etwas Unüberlegtes tat. Bevor man einen Schritt weiter ging, untersuchte eine Gruppe, ob eine andere Platzierung der Magnete im PS-Tunnel die Kapazität verbessern könne. Das Ergebnis war eindeutig: Die Maschine, wie sie vor 20 Jahren gebaut worden war, erwies sich noch immer als die beste, um sämtliche Anforderungen zu erfüllen.

Parallel zur Entwicklung der PS-Maschine arbeitete eine andere Gruppe bereits an der Entwicklung eines Synchro-Zyklotrons, später als SC bezeichnet, da Zyklotron auf Englisch mit „c“ geschrieben wird. Nach und nach kamen beständig neue Buchstabenkombinationen und Abkürzungen hinzu, für die Forscher ebenso wichtig wie für den Amateur unverständlich.

Der nächste Entwicklungsschritt nach PS war ISR (Intersecting Storage Ring), ein doppelter Protonenspeicherring, der die hochenergetischen Protonen der PS-Maschine zur Kollision bringen sollte. Die Protonen sollten in entgegengesetzter Richtung zirkulieren und frontal kollidieren. Das würde weitaus höhere Kollisionsenergien erzeugen. Die Probleme waren jedoch beträchtlich und wurden von vielen als unlösbar bezeichnet. Der Norweger Kjell Johnsen, der zu dieser Zeit Direktor der Abteilung für die Konstruktion von Speicherringen war, leitete das Projekt zum Bau der weltweit ersten proton-proton colliding beam machine, die 1971 in Betrieb genommen wurde. Das war einzigartig. Erstmals hatte ausschließlich Europa eine Teilchenphysik-Maschine am Start. Diese erreichte ein vollkommen neues Energieniveau, und viele Forscher waren neugierig zu sehen, was sie leisten konnte. Vor allem kamen viele Amerikaner. Sie waren Geburtshelfer gewesen und hatten das Geschehen bei CERN von Beginn an genau verfolgt, aber erst in den 1970er Jahren, als die ISR-Maschine in Betrieb genommen wurde, beteiligten sie sich mehr und mehr an den Laborversuchen. Die Möglichkeit, mit einer solchen Maschine Physik zu betreiben, war für das amerikanische Teilchenphysik-Milieu unwiderstehlich, und an fast der Hälfte aller Experimente mit ISR waren Amerikaner beteiligt.51

Eine Sache war, dass Rolf bereits 1946 ein Patent auf ein PS angemeldet hatte. Der „nicht aufzuhaltende Widerøe“ jedoch, wie Dahl ihn nannte, hatte faktisch drei Jahre zuvor auch das Patent für den Nachfolger ISR angemeldet.52 Aufgrund des Krieges wurde das jedoch erst 1953 veröffentlicht.53 Rolfs Prinzip wurde also zur Grundlage dafür, dass CERN seine erste Maschine bauen konnte, die Protonenstrahlen zum Kollidieren bringen konnte.

Das übrige Alphabet

Und wie gehabt: Noch bevor die ISR-Maschine fertig war, arbeitete man bereits an der nächsten, einem 300-GeV-Super-Proton-Synchrotron – kurz SPS. Jetzt ging bei CERN so viel vonstatten, dass es ohne eine dramatische Aufrüstung der Datentechnologie des Zentrums unmöglich gewesen wäre, alles unter Kontrolle zu behalten. Die alte PS-Maschine war stets mit von der Partie und konnte noch immer einige Herausforderungen meistern. Kombiniert mit der ISR wurde sie zu einem wichtigen Element in den Experimenten zur Entdeckung der kleinen Teilchen, genannt W’s und Z’s, die den CERN-Forschern 1984 den ersten Nobelpreis einbrachten.54 Darüber hinaus war die PS auch für die nächste Maschine für Antiprotonen, LEAR, und deren Nachfolgerin, AD, von Nutzen.55

Die 1980er und 1990er waren die wesentlichen Jahrzehnte für LEP, noch größer und noch stärker als ISR.56 Auch da wurde die PS, in Kombination mit der SPS, als Einspritzmaschine verwendet.57 Zu dieser Zeit war LEP der größte Speicherring (storage ring) der Welt, und ein zufriedener Rolf konnte feststellen, dass diese Lösung „genau dem Prinzip“ seines eigenen Patents entsprach.58 Der LEP-Speicherring hatte einen Umfang von 27 km und befand sich in einem Tunnel 100 m unter der Erde. Anfangs kamen sie „nur“ auf 50 GeV, späterhin erreichten sie 100 GeV. Rolf rechnete damit, dass dies der letzte Schritt in der Entwicklung dieses Typs von Speicherringen sei. Er hielt es für unwahrscheinlich, dass jemals ein Ring mit höherer Energie als im LEP gebaut würde, womit er bisher Recht behalten hat.

Und dann – 2007 – mussten sich die Physiker und Wissenschaftshistoriker eine weitere Buchstabenkombination einprägen, LHC.59 Ein neuer Protonenbeschleuniger mit zwei Strahlenröhren, die an Kollisionspunkten Teilchen zusammenführen. In derselben Bahn. Das Forschungszentrum erklärt das in seinem Informationsmaterial erstaunlich einfach: Das Beschleuniger-System von CERN besteht aus einer Serie diverser Maschinen mit beständig höheren Energien. Jede Maschine sendet (injects) Strahlen an die nächste, die dann übernimmt und die Strahlen zu noch höherer Energie treibt, was sich in gleicher Weise so fortsetzt. Und jetzt sprechen wir nicht mehr von mega und giga; was die Teilchenenergie betrifft, geht es um tera, also zwölf Nullen hinter der Zahl. In der LHC-Maschine – dem bisher letzten Glied der Entwicklungskette – wird jeder Teilchenstrahl auf 7 TeV beschleunigt, was 230-mal höher ist als bei der ISR. Zudem hat jeder der LHC-Injektoren seine eigenen Experimentierhallen, wo die Strahlen mit geringerer Energie zu Versuchen mit niedrigeren Energien verwendet werden.

Einfach aber war das ganz und gar nicht. Die Maschine sorgte für interne Dramatik und Schlagzeilen. Mäßigkeit gab es nicht: Sie sollte „Miniaturausgaben schwarzer Löcher erschaffen, neue Dimensionen finden, den Urknall wiederherstellen“, den großen Kosmos begreiflich machen, indem sie in die kleinsten Teilchen eindrang, die so klein waren, dass sie „nicht existierten“. Und all das Spektakuläre, was die Maschine leisten konnte, war nicht nur unverständlich, sondern auch mystisch und dadurch noch spannender. Wegen einer Panne war die Maschine über ein Jahr lang abgeschaltet gewesen, sie schluckte enorme Beträge und um Geld zu sparen, wurde mit einer weiteren Abschaltung gedroht. Jemand hatte ausgerechnet, dass eine Abschaltung für 15 Monate die Stromkosten um 150 Mio. Kronen reduzieren würde. Allein die Tatsache, dass ihr Bau über 7,5 Mrd. Euro gekostet hat, sie sich 30 Stockwerke unter der Erde befindet und Temperaturen von −271°C erzeugt, verursacht Schwindel. LHC ist eine Maschine, die in Größe und Potenzial nahezu unbegreiflich ist, auch für Physiker.60

Kirschen essen mit den Großen

Bis dahin konnte Rolf der Entwicklung nicht folgen. Den nächsten Schritt jedoch, LEP, erlebte er mit, bevor er 1996 starb. Nachdem sein offizielles Engagement beendet war, half er „nur mehr gelegentlich etwas mit“, wie er es ausdrückte.61 Er wurde zu den großen Beschleuniger-Kongressen 1956 und 1959 eingeladen, und für Brown Boveri war es ein persönlicher Triumph, dass ihr eigener Forschungs- und Entwicklungsdirektor eine so zentrale Stellung innehatte. Insgesamt nahm er im Laufe der 1950er und 1960er Jahre an 19 großen Zusammenkünften und Kongressen teil. Ganz los ließ ihn CERN aber vermutlich nie. Als Berater hatte er keine speziellen Arbeitsanweisungen, und die freie Position gefiel ihm. Als „Libero“ konnte er an Besprechungen und Zusammenkünften teilnehmen, Leute treffen, Einfluss ausüben – und selbst Impulse erhalten. Die sich daraus ergebende Arbeit empfand er offenbar nicht als Belastung, weil sie ihm so viel gab und er von Beginn an bei spannenden Sachen dabei sein durfte:

„Am 18. Dezember 1952 zum Beispiel war ich in Genf und besichtigte mit Professor Gentner und Dr. Citron den Ort, an dem die Maschine gebaut werden sollte. (…)

Wir bestimmten damals die Umlaufrichtung der Protonen,

und zwar so, daß möglichst keine Bauernhöfe oder Dörfer von den eventuell austretenden Protonen getroffen werden konnten. Später mußte doch noch ein Schutzhügel aufgeschüttet werden, der 'Mont Citron'.“62

Rolf war den Umgang mit den Großen gewohnt. Das gehörte für ihn ganz natürlich zum Job. Wolfgang Gentner zum Beispiel war während des Krieges einer der zentralen Kernphysiker in Deutschland. Für Berechnungen zur PS-Maschine arbeitete er zudem mit dem Briten Frank K. Goward und der Kanadierin Hildred Blewett zusammen. Auf dem Kongress 1956 lernte er auch den Amerikaner Gerry O’Neill kennen, und sie hatten mehr gemeinsam, als ihnen vorab bewusst war, was zu gegenseitiger Bewunderung und beiderseitigen Vorteilen führte. Rolf stellte nämlich fest, dass der Amerikaner an einem „kleinen Speicherringsystem mit kollidierenden Strahlen“ arbeitete und „anscheinend nichts“ von Rolfs „1943er-Patent gehört und das Prinzip neu entwickelt“ hatte. Im Jahr darauf besuchte er ihn in Stanford, erklärte ihm das Kriegspatent und notierte sich, dass O’Neill „sehr erstaunt war“.63

Möglicherweise war das derselbe Kongress, auf dem er Ernest O. Lawrence begegnete, dem Erfinder des Zyklotrons. Als er später danach gefragt wurde, konnte er sich an den Zeitpunkt nicht erinnern. Es kann auch auf der Konferenz Atoms for Peace (Atome für Frieden) gewesen sein, die CERN im August 1955 arrangierte. „Dieser populäre Kongreß war sicher gut geeignet für eine freundschaftliche Umarmung“, meinte Rolf. Es wäre aber auch denkbar, dass er seinen legendären Konkurrenten und Mitspieler erst im darauffolgenden Jahr kennengelernt habe, so Rolf. Als sie sich begegneten, planten die beiden auf jeden Fall, dass Rolf ihn in den USA besuchen solle. Lawrence starb jedoch an Krebs, bevor daraus etwas wurde.64

Die großen Fragen

Es ist schwer zu sagen, wie viel vom CERN-Szenario Rolf sich ausgemalt hatte. Nicht, dass es eine ganze Forschungsstadt mit Hunderten von Gebäuden und nach Einstein und anderen Größen benannten Straßen werden sollte. Definitiv nicht, dass etwas namens LHC entstehen sollte. Dass es jedoch groß war und größer werden könnte und lange Konsequenzen haben würde – das hatte er vorausgesehen. Vielleicht sogar, dass es im neuen Jahrtausend, das er so gern erleben wollte, für Sensationsüberschriften sorgen würde.

„Europa übernimmt die Führung in der Teilchenphysik“, stand am 23. März 2017 auf der Titelseite der amerikanischen Prestigezeitschrift Science; dazu gab es ein Bild von CERNs neuester gigantischer Installation. „Bereit für das größte Experiment der Welt“, schrieb die Verdens Gang. „Die Jagd nach dem Urknall“, titelte die Aftenposten. „Vorbereitung des weltgrößten Experiments, um die kleinsten Teilchen des Universums zu finden“, hieß es bei Apollon, dem Forschungsblatt der Universität Oslo. Gemini, die Zeitschrift von Norwegens Technisch-Naturwissenschaftlicher Universität, drückte sich so aus, dass alle begreifen mussten, dass etwas Großes im Gange war:

„Nach Plan soll der neue Beschleuniger Protonen bis zur Lichtgeschwindigkeit treiben. Dann erzeugen die Kollisionen viel höhere Energie, und die Chance, dass neue Teilchen auftauchen, wird um ein Vielfaches größer. So können neue und unerprobte Theorien bestätigt – oder entkräftet werden. (…) Auch hoffen die Physiker mit dem neuen Beschleuniger sogenannte supersymmetrische Materie zu finden. Die Theorie der Supersymmetrie ist ein Versuch, eine gemeinsame Theorie für alle fundamentalen Teilchen und Kräfte, ausgenommen die Gravitationskraft, zu erstellen. Das wurde nie zuvor gemacht.“

Den Menschen Quantenmechanik zu vermitteln, ist nicht leicht, die populärwissenschaftlichen Artikel gaben aber zumindest einen Eindruck von Tempo, Dimensionen, extremer Präzision und dem eigentlichen Paradox, dass mit etwas sehr Kleinem etwas sehr Großes geschehen sollte. Oder, wie die Illustrert Vitenskap schrieb: „Die Forscher zermalmen die kleinsten greifbaren Teilchen, um zu sehen, was in ihnen steckt. Sie sind schlicht und einfach auf der Suche nach den kleinsten Bausteinen des Universums in der Hoffnung, herauszufinden, wie diese entstanden sind.“65

Die Informationen über die CERN-Forschung, deren Reichweite die meisten Menschen nicht verstehen, sind dennoch amüsanter Lesestoff. Details wie 600 Mio. Teilchenkollisionen pro Sekunde. Wow! Zwischen Flut und Ebbe dehnt sich die Maschine um einen Millimeter aus beziehungsweise zieht sich zusammen. Der französische Schnellzug TGV stört das Experiment. Damit die Teilchen den Kurven im Tunnel folgen und nicht in die Böden der umliegenden Bauernhöfe geschleudert werden, wurden 1232 Magnete eingebaut. Jeder von ihnen ist 15 m lang und 35 t schwer.66 So könnte man fortfahren.

Am 30. März 2010 schrieb das Dagbladet, dass die „Big Bang-Maschine einen Weltrekord statuiert“, und berichtet gleichzeitig von 20 Jahren Planung. Und den Leuten war klar, dass es sich um CERN handelte. 2012 stand die Physikwelt für einen kurzen Moment still. Man glaubte, CERN-Forschern sei es gelungen, dass sich etwas schneller als Licht bewege. Dass dies nicht stimmte, zeigte sich recht schnell, es reichte jedoch aus, um für Sensationsüberschriften zu sorgen, so als hätte Einstein höchstpersönlich einen Fehler gemacht. CERNs Physik war in den Medien zu einem Begriff geworden. Einer von denen, die dazu beitrugen, ist Egil Lillestøl, der mehrere Jahre Leute in CERN herumgeführt und mit Journalisten gesprochen hat. Er unterstreicht, dass Rolfs Einsatz beim Aufbau des weltgrößten Labors für Teilchenphysik eine zentrale Rolle gespielt habe:

„Man kann sagen, dass Rolf Widerøe nahezu die Ursache für zwei Nobelpreise war. Es verläuft eine direkte Linie von ihm zu den Physikpreisen 1939 und 1984. Der erste ging an Lawrence, der nie einen Hehl daraus machte, dass er in Widerøes Schuld stand. Der zweite ging an den Italiener Carlo Rubbia und den Niederländer Simon van der Meer für ihren Beitrag zur Entdeckung der Teilchen W und Z.“67

Ein anderer international ausgerichteter Kernphysiker namens Jan Sigurd Vaagen, der Rolfs Einsatz in Verbindung mit der Errichtung von CERN studiert hat, meint, es sage viel über Rolf aus, dass er zur Teilnahme an einem – im Nachhinein so berühmten und viel besprochenen – Besuch in den USA berufen wurde, um zu diskutieren, auf welchen Beschleuniger-Typ CERN setzen solle.

„Was sie nach Hause mitbrachten, wurde zum flying start von CERN, wobei die Europäer die Chance ergriffen, ein von den Amerikanern erfundenes, aber von niemandem wirklich getestetes Prinzip zu entwickeln. In der modernen Wissenschaft wurde es als strong focusing bezeichnet, und es gab dem Labor die Möglichkeit, mit den USA in den Wettbewerb zu treten. Darin kam Widerøe eine Rolle zu. Die Wissenschaftsgeschichte würdigt ihn als eine der wichtigen Personen in der Frühphase von CERN.“

Die Leute verbinden CERN mit Physik. Nur wenige wissen, dass dort das World Wide Web, kurz www, erfunden wurde – als Spin-off, kann man sagen, schlicht und einfach um die enormen Datenmengen handhaben zu können. In den 1980er Jahren brauchten die Forscher eine einfache Variante, um Informationen zu aktualisieren und untereinander zu teilen, und so entstand das World Wide Web. Der erste Browser und der erste Server waren im Dezember 1990 am Start. 1991 wurde der Browser über CERN hinaus freigegeben: anfangs, im Januar 1991, für andere Forschungseinrichtungen, dann, im August 1991, für die breite Öffentlichkeit.68

Irgendwann aber reichten für die CERN-Forscher nicht einmal mehr eigene Computer und das Internet aus. Denn will man Teilchenzusammenstöße pro Sekunde observieren, sammeln sich enorme Mengen an Messungen an, schlichtweg unfassbare Datenvolumen. Innerhalb eines Jahres sammelt eines der Projekte an der neuesten Maschine enorme Mengen an Rohdaten, und selbst die riesigen Computer bei CERN haben Probleme, eine solche Masse aufzunehmen.69 Die Lösung bestand darin, weltweit Zehntausende Computer miteinander zu verbinden, um so die enormen Datenmengen zu beherrschen. „Grid“ war erfunden, das System, das die Analyse automatisch dorthin schickt, wo sich freie Kapazität findet. Da spielt es keine Rolle, wo auf der Welt man sich befindet. Oder welches Fach, von Sprachtechnologie bis Medizin, Berechnungen benötigt. In der Theorie kann man an jedem x-beliebigen Computer in jeder x-beliebigen Forschungseinrichtung der Welt sitzen und die Aufgabe erledigen. Das ist vielleicht sogar an der Grenze dessen, was sich die Initiatoren von CERN mit ihrer Vision von Forschung, „die Nationen zusammenbringt“, vorgestellt hatten.

DORIS und PETRA

CERN war jedoch nur der Anfang. Ähnliche nationale Beschleuniger-Zentren wurden späterhin unter anderem in Hamburg und Darmstadt gebaut. Auch dort war Rolf als Berater tätig. Über einen Zeitraum von vier Jahren, in dem die DESY-Anlage in Hamburg gebaut wurde, war er immer wieder für einige Tage vor Ort. Großteils arbeitete er zusammen mit einem deutschen Physiker an technischen Problemen, die mit der Konstruktion des Elektronen-Synchrotrons zu tun hatten, das einen Umfang von 300 m haben und eine Energie von 6,4 GeV erreichen sollte (Abb. 2.9).70

Abb. 2.9
figure 9

(Foto DESY)

Start des DESY-Synchrotrons 1964. Ganz links: Rolf Widerøe.

Auch Stanley Livingston, der ehemalige Assistent von Lawrence, den Rolf beim Besuch der CERN-Gruppe in den USA kennengelernt hatte, war ab und an bei DESY. Zudem hatte Rolf viel mit dem Chef der Beschleuniger-Division zu tun und führte mit dem Gründer und Direktor des Zentrums lange Fachgespräche über sein Lieblingsthema „Speicherringe mit kollidierenden Strahlen“.71

Die erste, 1974 fertiggestellte Kollisionsmaschine für Elektronen und Positronen des Zentrums hieß DORIS (Doppel-Ring-Speicher; engl. Double Ring Storage). Die zweite mit dem Namen PETRA – achtmal so groß mit einem Umfang von 2,4 km – wurde 1978 in Betrieb genommen. Und 1991 kam HERA hinzu, die noch größer war und von Rolf als eine sehr spezielle Maschine beschrieben wurde.72 Während eines Besuchs im Jahr darauf wurde der 90-jährige ehemalige Berater auf dem Gelände herumgeführt und erfuhr alles über die Finessen; Chinesisch für die meisten, allerdings vermittelt die Beschreibung, die er erhielt – wenn auch nichts anderes –, jedem den Eindruck von Größe und hoher Energie (Abb. 2.10):

„Elektronen und Positronen von bis zu 30 GeV werden in einem Ring gespeichert und Protonen von bis zu 820 GeV in einem anderen. Beide Ringe werden in einem 6,4 Kilometer langen Untergrundtunnel installiert, 2,8-mal größer als PETRA. Die Protonen in HERA müssen von Supraleiter-Magneten an Ort und Stelle gehalten werden. Diese Magnete produzieren Felder, die ungefähr dreimal so stark sind wie in gewöhnlichen Eisenmagneten.“

Abb. 2.10
figure 10

(Foto © Pedro Waloschek)

Im Alter von 91 Jahren war Rolf Widerøe zurück in der DESY-Anlage, für die er Anfang der 1960er als Berater tätig gewesen war. Rechts: Prof. Gustav-Adolf Voss, Direktor der Beschleunigerabteilung bei Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY.

Rolf konnte ergänzen, dass eine ähnliche Art von Magnet für einen Proton-Antiproton-Speicherring, genannt Tevatron, verwendet wurde, der bei Fermilab in der Nähe von Chicago gebaut wurde. Das Tevatron war etwa genauso groß wie HERA, und die Teilchen konnten bei einer Energie von 900 GeV gespeichert werden.73

Bei DESY war zu dieser Zeit Pedro Waloschek für die Information der Allgemeinheit verantwortlich – jener Mann, der soeben seine Arbeit an einer Widerøe-Biografie begonnen hatte. Da hatte Rolf seinen Beratungsauftrag bei DESY längst erfüllt, Waloschek war jedoch neugierig auf den Wissenschaftler geworden und hatte ihn in der Schweiz aufgesucht.

20 Jahre mit Studenten

Damals jedoch, zu der Zeit, als Rolf seine Arbeit für CERN und DESY aufnahm, stellte sich heraus, dass ihm auch das in Kombination mit der Direktorenstelle bei Brown Boveri nicht genug war. Im Jahr darauf nahm er einen weiteren Auftrag an, als Dozent an der Technischen Hochschule in Zürich. Es war der dritte oder vierte Job, je nachdem, wie man es betrachtet. Wie er das schaffte? Diese Frage beantwortet sein ältester Sohn wie folgt: „Nun, der Unterricht an der Hochschule fand schließlich am Nachmittag oder am Abend statt.“ Als ob das mit den Vorlesungen irgendein Problem gewesen wäre. Und sollte es das doch gewesen sein, dann haben zumindest die Kinder nichts davon bemerkt. Schließlich war die Mutter da. Wir befinden uns nunmehr in den Fünfzigerjahren.

Rolf selbst fand das großartig, eine Ehre. Herrlich. Noch heute zählt die Hochschule zu den besten Europas. Einstein hatte sie besucht, war bei der ersten Aufnahmeprüfung durchgefallen und wurde später Professor an der Einrichtung. Auch Wilhelm Röntgen hatte dort studiert. In den Vorlesungen konnte Rolf über das sprechen, wofür er brannte, was er konnte und nahezu sein ganzes Leben lang gemacht hatte. Das bot ihm neue Entfaltungsmöglichkeiten. Ebenso sehr neue persönliche Kontakte. Denn unterrichtet hatte er bisher nicht. „Das war für mich ein ganz neues Gefühl, und ich konnte meiner Fantasie freien Lauf lassen, ohne direkt auf die Belange einer Industriefirma Rücksicht zu nehmen.“74 Er beeilte sich jedoch hinzuzufügen, dass man bei Brown Boveri, wo er noch immer angestellt war, in keiner Weise negativ darauf reagierte, dass er unterrichtete. Ganz im Gegenteil, auch das war gute PR und trug zum Verkauf von Betatronen bei.

Am 12. Dezember 1953 hielt er seine erste Vorlesung an der ETH, der Eidgenössischen Technischen Hochschule. Er hatte sich gründlich vorbereitet und bewahrte das Originalmanuskript ein Leben lang auf. Thematisch ging es um die Geschichte der Teilchenbeschleuniger, ein historischer Einblick, der für die Studenten nicht obligatorisch war. Deshalb hatte er verhältnismäßig wenig Studierende in der Klasse, ging aber desto mehr auf den Einzelnen ein und freute sich darüber, dass ihn immer jemand mit extra Fleiß und Intelligenz beeindruckte. Einer von ihnen war Christian Gerber, den er später anstellte und der weltweit bei der Installation von Betatronen in Krankenhäusern dabei war. Für Rolf selbst stellten die Vorbereitungen für die Vorlesungen einen wichtigen Gewinn dar. Endlich bekam er die Möglichkeit, sich in all den Stoff, den er über Beschleuniger angesammelt hatte, zu vertiefen und diesen zu ordnen. Zeit dafür, Formeln zu organisieren und das nötige theoretische Material herauszusuchen, um Sachen wie die Größe der Teilchenbahnen für unterschiedliche Beschleuniger-Typen auszurechnen oder schlicht und einfach seine eigene Arbeit auf diesem Gebiet zu systematisieren. Vielleicht war er kein Pädagoge im engeren Sinne, was er jedoch mit Enthusiasmus aufwog, und er liebte es, den Zuhörern im Saal vom Betatron zu erzählen (Abb. 2.11).

Abb. 2.11
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(Foto © Pedro Waloschek)

Rolf Widerøe hatte gern Publikum und wurde nie müde, seine Beschleuniger-Theorie zu erklären.

Einer seiner Neffen, Thor Spandow, der Sohn von Rolfs Schwester Else, machte an der Hochschule in Zürich eine Ausbildung zum Diplomingenieur und leitet heute die Spabo-Gruppe. Rolf organisierte ihm ein dreimonatiges Praktikum bei Brown Boveri, und in dieser Zeit wohnte er bei seinem Onkel in Baden. Auf die Frage, ob er Rolf in dieser Zeit gut kennengelernt habe, antwortet er:

„Man konnte Onkel Rolf nicht kennenlernen. Früh aufstehen, Frühstück bei Brown Boveri, um 12 Uhr nach Hause zu Mittagessen und Mittagsruhe, zurück zur Arbeit, nach Hause zum Abendessen, bevor er sich in sein Arbeitszimmer zurückzog. Er war Wissenschaftler bis zum Anschlag.“75

Ingenieur Gerber, der Rolf auch sehr schätzt, sagt das Gleiche:

„Es war nicht leicht, ihn kennenzulernen, wenn er nicht mit einem sprechen wollte. Wollte er hingegen, dann konnte er sehr charmant sein. Ansonsten konnte er sich aufführen, als würde er einen kaum kennen.“

Die Kunst der Anpassung

Zu Hause war Ragnhild die Chefin. Daran hegte niemand Zweifel, und alle waren glücklich. Sie kümmerte sich um die Finanzen und die Verwaltung von Haus und Hof mit vielen Kindern, einer großen Familie, häufigen Besuchen und einem umfangreichen Bekanntenkreis. Wenn Rolf beruflich unterwegs war – und meist auch sonst – sorgte sie dafür, dass zu Hause alles rund lief. Ziemlich selbstverständlich in dieser Generation, aber für einen wie ihn, der die Dokumentenhaufen mitunter im Doppelbett stapelte, war es besonders vonnöten, dass im Alltag jemand für Ordnung sorgte. Er seinerseits ließ ihr in Bereichen, die für sie wichtig waren, stillschweigend Freiraum.

Den Söhnen zufolge hatte die Mutter Talent für Organisation und Fürsorge. Beides kam gut an. Als die Kinder groß genug waren, um allein klarzukommen, arbeitete sie ehrenamtlich als Fahrerin beim Roten Kreuz. Fuhr ein paar Mal pro Woche alte und kranke Menschen zum Arzt oder zu anderen Terminen.

Auf die Frage, ob sie sich dafür interessierte, was der Ehemann fachlich machte, antwortet Rolf jr.:

„Sie war involviert und wusste, ob er sich auf der richtigen Spur oder in einer Sackgasse befand. Und sie war interessiert, dass es ein Verkaufserfolg wurde, denn das gab schließlich direkt Geld!“

„Wie ich es verstanden habe, kümmerte sich Ihre Mutter um die Finanzen der Familie?“

„Ja, mein Vater wollte damit nichts zu tun haben.“

Sie hatte in mehrfacher Hinsicht ihre Mühen. Und das Zusammenleben mit Rolf konnte durchaus anstrengend sein, was er selbst unter anderem in seiner Rede zu ihrer Silberhochzeit thematisierte. Das Bedürfnis nach der Anpassung und Respekt voreinander war jedoch gegenseitig. „Ich meinerseits kann mir nur schwer vorstellen, die Zeit mit einem Menschen zu verbringen, der keine eigenständige Persönlichkeit hat“, drückte Rolf es galant – und diplomatisch – aus. Am Sonnabend, den 14. November 1959, auf den Tag genau 25 Jahre nach ihrer Hochzeit, hatten sie groß zum Fest geladen, und nachdem er auf Deutsch mit „Liebe Freunde“, gefolgt von höflichen Willkommensgrüßen und Danksagungen für die Geschenke begonnen hatte, sprach er seine Ehefrau direkt an, auf Norwegisch. Er wies darauf hin, dass sich keiner von ihnen ganz im Klaren darüber gewesen war, worauf er sich einließ, was bei einer Heirat wohl aber bei den meisten Menschen der Fall wäre. Er versicherte, dass es für ihn eine glückliche Zeit gewesen sei, die ihm „viel mehr gegeben“ habe, als er sich habe vorstellen können. Warum das so war, darüber hatte er sich Gedanken gemacht:

„Ich selbst habe wohl auch gewisse Eigenarten, über die man nicht so leicht hinwegsehen kann, und eines der großen Geheimnisse einer glücklichen Ehe ist wohl die Kunst der Anpassung. Ebenso wichtig sind vermutlich auch der Respekt und das Verständnis für die Persönlichkeit und die Interessen des anderen. Ich weiß, dass das keine leichte Aufgabe ist, und du hattest in den ersten Jahren sicher einen schweren Stand, als ich für alles andere als für dich vollkommen unverständliche und gänzlich unwichtige und uninteressante Dinge komplett das Interesse verlor.“

Und es klingt sowohl glaubwürdig als auch nüchtern, wenn er mit einer kleinen Prozentrechnung schließt:

„Ich danke dir für deine Nachsicht mit mir, während, sagen wir 90 Prozent deiner 25 Jahre mit mir, und ich wünsche dir für die nächsten 25 Glück und ausschließlich erträgliche Schwierigkeiten.“

Was es bis dahin an „Schwierigkeiten“ gegeben hatte, war vermutlich viel den Zufällen und Umständen geschuldet, für die sie wenig konnte. Zwölf der Jahre hatten sie zu Hause in Oslo gelebt und 13 im Ausland. Der in diesen Zeitraum fallende Krieg war auf seine ganz spezielle Weise schwierig gewesen, und Ragnhild war der entscheidende Faktor gewesen, als es darum ging, einen Strich zu ziehen und ins Ausland zu gehen. Aber alles, was mit dem Krieg zu tun hatte, war mit den Jahren einfacher geworden.

Zwischen Baum und Borke

Dass ihr Vater Alex Christiansen Nazi gewesen ist, war schwer für sie, sagt Sohn Arild:

„Mein Vater mit so vielen Kontakten in Deutschland, und ihr eigener Vater Nazi. Das war für die ganze Widerøe-Familie schwer.“

Zwei Tage nach Kriegsende war ihr Vater verhaftet und bis zum 24. November 1945 in Gewahrsam genommen worden. Das Ganze endete mit einer Geldbuße für die Mitgliedschaft in der norwegischen Nazi-Partei Nasjonal Samling. Mehrere, unter anderem Rolfs Schwester Else, erzählten, dass Ragnhild Problem hatte, in den ersten Stock ihres Elternhauses zu gehen, um ihren Vater zu besuchen, der angewiesen war, dort zu wohnen, während sich Ragnhilds Mutter im Erdgeschoss aufhielt. Er war Geschäftsmann und versuchte sich nach dem Krieg von den Nazi-Anschuldigungen reinzuwaschen, unter anderem indem er ein Buch schrieb, das nicht veröffentlicht wurde. Angeblich wurde die Publikation von seinen Kindern gestoppt. Eine Kurzversion erschien letztlich im Sommer und Herbst 1958, ein halbes Jahr nach seinem Tod, im Feuilleton der NS-Zeitung Folk og Land.76 Darin schrieb er unter anderem: „Ich will nicht ins Grab gehen, bevor ich nicht in dem Gewirr aus Lügen aufgeräumt habe, in das man versucht hat, mich hineinzupressen.“77 Er fühlte sich ungerecht behandelt und arbeitete bis zu seinem Tod an seiner Verteidigungsschrift. Einen Großteil des dokumentarischen Materials hatte er da seinem loyalen Sekretär überlassen, zudem waren 5000 Kronen für die Druckkosten des Buches bereitgestellt. Sein Sekretär führte den Kampf stellvertretend fort und sorgte dafür, dass der Stoff in der Nazi-Zeitung publiziert wurde. Im Nachwort tadelt er Christiansens Familie mit folgenden Worten:

„Seine engste Familie machte nach seinem Tod seinen letzten Willen zunichte und stoppte den Druck seines bereits gesetzten und zweimal Korrektur gelesenen Buches. (…) Wenn der rechtmäßige letzte Wille und die Verfügung eines Verstorbenen, seine Erinnerungen zu drucken und herauszugeben, gestoppt werden können, was ist dann unsere ganze westliche Rechtsordnung überhaupt wert?“78

Das Drama in der Widerøeschen Großfamilie wurde nicht kleiner dadurch, dass Ragnhilds Schwester Louise nach dem Krieg mit Egil Reksten einen Mann heiratete, der in sechs verschiedenen deutschen Konzentrationslagern gesessen hatte. Er war alsbald nach Abschluss seines Studiums an der NTH 1941 gefangen genommen worden, wo im Übrigen der Widerstandskämpfer und Saboteur der „Operation Schweres Wasser“, Leif Tronstad, sein Professor gewesen war und er „Skylark B“, die Trondheimer Station des norwegischen Nachrichtendienstes für die Radiokommunikation mit den Briten, geleitet hatte. In Geschichtsbüchern wird Rekstens Name zusammen mit bekannten „Nacht und Nebel“-Gefangenen wie Kristian Ottosen und Trygve Bratteli genannt, und auch er galt als einer von jenen, die kraft ihrer Persönlichkeit für ihre Mithäftlinge eine wesentliche Bedeutung hatten. Er überlebte vier Jahre in Gefangenschaft, wurde befreit und mit den weißen Bussen nach Hause gebracht. Dort fand die Geschichte ein glückliches Ende; Louise war Schwester in dem Krankenhaus, in das man ihn schickte. Ein paar Jahre später heirateten sie.

Dass Rolf von seiner Ragnhild abhängig war, erwähnen die meisten Familienmitglieder, wenn sie von ihm erzählen. Wenn es darum geht, ihn als Mensch zu charakterisieren, kommt es mehr auf den Blickwinkel an und darauf, von welcher Seite die betreffende Person ihn kennengelernt hat. War er sozial oder fehlten ihm soziale Antennen? War er inkludierend oder nur an sich selbst und seinen Sachen interessiert? Introvertiert oder extrovertiert? Einige Aussagen von zwei Neffen sowie einem Schwager und einer Schwägerin illustrieren eine große Spannbreite der Auffassungen.

Ein Onkel, der nicht langweilig war

Zuerst einige Eindrücke von Jørgen Holmboe, dem Sohn von Ragnhilds Schwester Anna Margareta:

Ein bisschen „alternativ“

„Als ich ihn kennenlernte, war Onkel Rolf irgendwas in den Fünfzigern. Als Teenager war ich diesem leicht exzentrischen Mann wohl 'ausgesetzt'. Ja, er war ein Exzentriker, diese äußerst spannende Mischung aus – soll ich sagen – weltweit führender Wissenschaftler und gleichzeitig vielen sonderbaren Ideen, was Medizin betraf. Meine Eltern sind auch Ärzte, und es war amüsant zu hören, wie Rolf seine merkwürdigen Vorstellungen von der Alltagsmedizin präsentierte. Wir machten uns lustig über seine seltsamen Auffassungen darüber, wie man auf die eigene Gesundheit achten solle. Ja, er hatte einige sonderbare Rituale, schwamm in seinem Pool und hatte Bürsten, mit denen er den Körper abbürstete und rundherum abklopfte. In unterschiedlicher Anzahl, also, es musste eine ungerade Zahl sein. Er tat das! Und führte es auch mit großer Bravour vor. Es mussten sieben oder 13 Schläge mit dieser Bürste auf verschiedene Stellen sein. Gegen Erkältung solle man Rotwein auf einen Baumwollbausch träufeln und diesen in die Nase stecken – ja, auf diesem Niveau lief das ab. Gleichzeitig war er Ehrendoktor an medizinischen Fakultäten. Als ich selbst Arzt wurde, hielt ich das für eine faszinierende Mischung. Als ich 1964 anfing Medizin zu studieren, war er berühmt, reiste umher und hielt Vorträge, gleichzeitig hatte er im Alltag derart merkwürdige Vorstellungen. Diese enorme Differenz zum Wissenschaftler und … – ja, ich glaube, heute würde er zu einer Unmenge alternativer Medizin greifen. Und er hat daran geglaubt. Glaube ich.“

Misstrauen gegenüber dem Etablierten

„Ich habe von Unmengen an Vitaminpillen gehört, regelrechten Ritualen.“

„Jede Menge Seltsames, ja. Ob er sich Linus Pauling, dem Vitamin-C-Schock oder solchen Sachen anschloss, das weiß ich nicht. Vorstellen kann ich es mir durchaus. Vielleicht beruhte es ein wenig auf Misstrauen gegenüber der etablierten, herkömmlichen Medizin. Vielleicht kam da der Wissenschaftler durch, der sah, dass vieles, was in der herkömmlichen Medizin getrieben wurde, schlecht dokumentiert war. Möglicherweise meinte er, es würde bei ihm wirken und sei mindestens ebenso gut wie etwas anderes. Vielleicht war es so. Sicher kann ich das jedoch nicht sagen.“

Das Große im Kleinen sehen

„Im Alltag interessierte er sich für Details. Gleichzeitig hatte er Gedanken und Ideen im Kopf, denen kein anderer von uns folgen konnte. Er brachte unter anderem Stecklinge aus dem Fernen Osten mit, die er auf Flugreisen durch die ganze Welt transportierte, um sie in seinen Garten zu pflanzen. Im Handgepäck hatte er Reagenzgläser mit irgendwelchen merkwürdigen Pflanzen darin. Gleichzeitig war sein Garten irgendwie zugewachsen. Die Mischung daraus, dass kleine Dinge wesentlich sein konnten, während sie im großen Ganzen gleichsam ein bisschen untergehen konnten.“

Wie lange bleibt ihr?

„Hatte er soziale Antennen? War er introvertiert, bescheiden?

„Nein, er war absolut extrovertiert. Allerdings war er wohl ein wenig, sagen wir, selbstzentriert. Brauchte Platz. Absolut gastfreundlich, zuhauf. Ein bisschen unerwartet und ein bisschen bescheiden. Wir konnten mit Auto, Gepäck und Ferienausrüstung zu Besuch kommen. Da sagte er: 'Nein, wie schön, dass ihr gekommen seid. Wie lange bleibt ihr?' Von ihm aus geschah das in bester Absicht, denn da würde er ein Programm für uns zusammenstellen, allerdings ist es ungewohnt, auf der Treppe mit 'Wie lange bleibt ihr?' begrüßt zu werden. Nein, aber so war er. Gastfreundlich und offen, aber nicht ganz konform.“

Spannender Onkel

„Einige sagen, er interessierte sich für nichts anderes als seine Forschung. Das passt nicht zu dem, was Sie gerade sagen, oder?“

„Nein, darin finde ich mich nicht wieder. Ausflüge in den Wald. Pilze sammeln. Freundschaften pflegen. Stolz auf den Garten sein, auf einzelne Pflanzen und den Pool. Ja, so habe ich ihn erlebt, stolz. Sein Interesse, das war mehr das generelle Interesse für alles, was sich in der Wissenschaft rührte, nicht unbedingt in seinem Fachbereich. Ich hörte ihn fast nie von seiner Forschung sprechen. Auch nicht, als ich erwachsen wurde und Medizin studierte und somit über die Voraussetzungen verfügen sollte, ein wenig von dem zu verstehen, was er sagte. Er bedrängte niemanden, stülpte anderen nicht seine Gedanken zur Forschung über. Weil sie sich vermutlich auf einem Niveau befanden, dem wir anderen doch nicht hätten folgen können. Da interessierte er sich mehr für das, was er in der letzten Ausgabe der populärwissenschaftlichen Scientific American oder dieser Art von Magazinen gelesen hatte. Anschließend wollte er das gern an uns anderen austesten. So erinnere ich mich zumindest an ihn.“

„Ein spannender Onkel …“

„Ja. Definitiv. Nicht langweilig!“

Ein Onkel, der überraschte

Neffe Aasmund Berner, der Sohn von Rolfs Schwester Grethe, mochte seinen Onkel und hatte viel Kontakt mit ihm. Im Laufe der Jahre stellte er seine Reflexionen darüber an. Eine davon handelte von fehlendem Humor. Mitunter fragte er sich auch, ob der Onkel eigentlich interessiert war, wenn sie miteinander redeten. In seinem Büro im Osloer Radiumhospital steht ein Ringordner mit Rolfs Doktorarbeit und Artikeln von und über den Onkel. Gern teilt er Episoden sowohl über Rolf als auch dessen Bruder Viggo:

Zwei Angler

„Ihm fehlte es ein Stück weit an Humor. Wir waren viel in den Bergen und haben viel geangelt. Ich erinnere mich gut an eine Episode auf Skjæløy, wo die Familie ein Wochenendhaus hatte. Onkel Rolf war da, wir waren draußen gewesen, hatten Netze ausgelegt und ein paar Fische gefangen. Als wir den Fisch ausnehmen wollten, fragte er mich: 'Du hast schon mal Fisch ausgenommen?' 'Ja, ich habe schon ein paar Fische ausgenommen', entgegnete ich. Das nahm er wortwörtlich. Ob ich 100.000 oder 10.000 Fische ausgenommen hatte, war unwesentlich; 'ein paar Fische', das sagt man nur, um nicht zu übertreiben. Also glaubte er, dass ich in meinem Leben nur etwa zwei Fische ausgenommen hatte.“

Sagtest du Abi-Auto!?

„Onkel Rolf, und nicht nur er, hatte gewisse selbstbehauptende Züge. Das haben die anderen auch. Ich erinnere mich gut daran, als ich Abiturient war und zu Onkel Viggo fuhr, um zu fragen, ob ich ein bisschen Reklame für ein Abi-Auto, ein sogenanntes 'Russebil', bekommen könne. Er aber wollte keinerlei Werbung an irgendeinem 'Russebil'. Außerdem sei das mit dem Auto Unsinn. Ich könne die Straßenbahn nehmen, und die Fluggesellschaft Widerøe würde keinesfalls irgendein 'Russebil' sponsern, das verbat er sich. Rolf interessierte sich vermutlich nicht sonderlich für die Kommunikation mit anderen als ihm Ebenbürtigen. Menschliche Aspekte interessierten ihn nur wenig. Er war mehr Fachperson, und hier kommen diese selbstbehauptenden Züge ins Spiel, wie es bei Leuten, die innerhalb eines Feldes gut sind, manchmal der Fall ist.“

Keine Antwort

„Als ich meinen Doktor machte, schickte ich Onkel Rolf meine Arbeit. Eine Antwort bekam ich nie. Als ich herausfinden wollte, ob er sie erhalten hatte, bekam ich zu hören, dass dieser Berner etwas untersuche.“

„Haben Sie das mit Fassung aufgenommen?“

„Ich habe mich nicht darum gekümmert. Es war nichts, worüber man sich Gedanken machen musste. Er war ein älterer Herr. Ich dachte, er wäre vielleicht interessiert, weil er enge Verbindungen zum Krankenhaus, dem Radiumhospital, hatte, in dem ich arbeitete. Schließlich bildete das zweite Betatron Europas, das hier installiert wurde, die Grundlage für die Aktivität des Krankenhauses in diesem Bereich.“

Ein Schwager, der sozial und unsozial war

Auch Ragnhilds Schwester Louise und ihr Mann Egil Reksten haben bereitwillig einige ihrer vielen und starken Eindrücke geteilt. Die beiden hatten viel Kontakt mit Rolf und Ragnhild, besuchten sie in der Schweiz und waren immer mit ihnen zusammen, wenn sie in den Sommerferien nach Norwegen kamen. Auch bei Jubiläumsfeiern, wie der Goldenen Hochzeit 1984 in der Schweiz, waren sie dabei. Und zu ihrer eigenen Diamantenen Hochzeit vor einigen Jahren in Oslo kam der älteste Sohn von Rolf und Ragnhild.79

Mit auf Tour

(Er:) „Er war viel draußen und bewegte sich viel …“

(Sie:) „ … aber er wollte gern Begleitung haben.“

(Er:) „Er gab nicht so viel des üblichen sozialen Geredes von sich.“

(Sie:) „Nein, aber er wollte uns sehr gern dabeihaben, wenn er auf Tour ging.“

(Er:) „Ja, wir sollten ihm zuhören.“

Loch im Eis

(Er:) „In den letzten Jahren war es ihm untersagt, den Pool zu benutzen. Zumindest im Winter. Denn selbst wenn Eis war, zerbrach er selbiges und badete. Was er machte, das machte er ordentlich. Wollte er baden, dann wollte er baden.“

Ein Freund von Publikum

(Er:) „Bei unserer ersten richtigen Zusammenkunft machten wir einen Riesenfehler. Sie wohnten in der Schweiz und waren hier bei uns zu Besuch, und anfänglich war das Ganze ziemlich reserviert. Am übernächsten Tag oder so feierten wir jedoch eine große Party und hatten es sehr schön. Dabei stellten wir fest, dass wir das sofort hätten machen sollen, dann hätte er sich entfalten können und man hätte sich sofort besser kennengelernt.“

„War er eigentlich reserviert?“

(Er:) „Er war nicht …“

(Sie:) „… nicht ganz 'anwesend'.“

Eingleisig

(Er:) „Er war vielleicht eingleisig, ja. Das glaube ich durchaus.“

(Sie:) „Es ist hässlich, dieses Wort für ihn zu verwenden.“

(Er:) „Nein, eingleisig! Etwas eingleisig.“

Dominant

„Drehte sich auch privat viel um Rolf?“

(Er:) „Nun, das weiß ich nicht. (An seine Frau gewandt:) Ich weiß nicht, war er zu Hause sehr dominant? In dem Fall weißt du mehr darüber.“

(Sie:) „Er war ein wenig dominant.“

(Er:) „Schlimmer als ich?“

(Sie:) „Vielleicht.“

(Er:) „Jaja. Er war vermutlich ziemlich stur, möchte ich glauben. Darüber erfahren Sie aber von anderen mehr.“

„Ich frage viele und versuche dann die Puzzleteilchen zusammenzusetzen.“

(Sie:) „Das werden mit der Zeit viele Teilchen.“

(Er:) „Er war kein 'man in a grey flanell suit'.“

(Sie:) „Nein, das war er nicht.“

Der Bruder war umgänglicher

(Er:) „Soll ich die beiden Brüder vergleichen, dann war Viggo definitiv umgänglicher.“

(Sie:) „Ja.“

(Er:) „Er hatte mehr Gesprächsthemen. Kann man sagen.“

(Sie:) „Rolf freute sich sehr, wenn wir zu Besuch kamen.“

(Er:) „Ja, er mochte es überhaupt, Besuch zu bekommen, und ich konnte ein bisschen über technische Dinge reden, für die er sich interessierte.“

Stell dich dort hin!

(Er:) „Wie wahrscheinlich alle ordentlichen Forscher war er von allem Neuem begeistert. Ich erinnere mich, als wir einmal bei ihnen zu Besuch waren. Sobald ich durch die Tür war, sagte er: 'Komm her! Stell dich dort hin! Genau da, nein, ein Stück weiter links. Ja, da, da stehst du gut.' Da wollte er mir die erste Stereoanlage präsentieren. Mir gefiel es jedoch nicht, genau 'da' ganz still zu stehen und diese 'wundervolle Stereowirkung' wahrzunehmen.“

„Interessierte er sich für Musik? Oder war das Technische wichtiger?“

(Er:) „Ich glaube, es war das Technische. So wirkte es zumindest auf mich. Er war immer so. Er war sehr engagiert. Sehr begeistert. Wenn er begeistert war, dann war das von Vorteil. Er war ein sehr netter Kerl. Sein Interesse zentrierte sich jedoch ziemlich auf das, was ihn selbst beschäftigte, zum Beispiel Gartenarbeit. Ich kenne keinen anderen Menschen, der so enthusiastisch war. Er war ein echter Forschercharakter. Was man sieht, womit man sich beschäftigt, das findet man wichtig, und das daneben ist nicht so wichtig. Und dann war er das, was ich als kindisch bezeichnen würde, in gewisser Hinsicht, oder kindlich, um einen besseren Ausdruck zu verwenden.“

Ein Kinderfreund

„Interessierte er sich für seine Kinder?“

(Er:) „Aber ja!“

(Sie:) „Aber ja!“

Die Neugierde geht neue Wege

Zeitgleich zum Dozieren, Entwickeln, Verkaufen und Installieren von Betatronen – und bevor sich jemand Sorgen darüber macht, dass der Markt für Betatrone eines Tages gesättigt sein könnte –, ändert sich plötzlich der Fokus seines Interesses. Von der Frage „Wie Strahlen erzeugen?“ hin zu „Wie Strahlen wirken“. Was machen all diese Strahlen mit den Krebszellen im Körper? Worin besteht der biologische Effekt der Strahlung? Seine Neugierde geht neue Wege. Er umgibt sich mit Medizinern. Beliest sich hinsichtlich ihrer Behandlungen und Resultate. Der Physiker und Ingenieur widmet sich der medizinischen Wirkung der von ihm entwickelten Apparate. Eine Metamorphose, so nannte er selbst es, aber eine logische. Der Kontakt zum Krankenhausmilieu, das direkte Zusammentreffen mit Patienten und die Kenntnisnahme dessen, wie ihnen geholfen werden konnte, taten das Übrige. Andere 60-Jährige hätten vielleicht langsam ans Rentnerdasein gedacht. Hätten es sich mit ein paar Auslandsreisen und ein wenig Beratertätigkeit gemütlich gemacht. Er hätte ein paar Vorträge über seine Arbeit und die Zukunftsperspektiven halten können. Aber niemand, der Rolf kannte, hätte das von ihm erwartet.

Medizin hatte ihn zuvor jedoch nie interessiert, nicht so. Es war Technik, immer nur Technik. Auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit war eigentlich noch nicht „erfunden“. Rolf hatte sich darauf konzentriert, Strahlen zu erzeugen, Strahlen mit möglichst hoher Energie. Was aber passiert mit dem Körper, wenn die Strahlen auf die Haut treffen, wenn sie unter die Haut gehen und in den Körper eindringen? Wie wirken sie auf lebende Zellen? Kranke Zellen und gesunde Zellen? Von nun an verwendete Rolf den Großteil seiner Zeit auf Strahlenbiophysik und Strahlenbiologie. Er interessierte sich für die Wechselwirkungen der Strahlung mit Gewebe und Krebsgeschwüren und dafür, ob er dazu beitragen konnte, die Strahlenbehandlung effektiver zu machen.

Der Bergenser Professor Jan Sigurd Vaagen hebt die wichtige Rolle Rolfs hervor:80

„Zu dieser Zeit interessierte sich die Welt für die Behandlung. Widerøe versuchte, zur Krebsbehandlung andere Strahlen als Röntgenstrahlen einzusetzen. Er wurde zum Pionier einer Art von Therapie, die heute noch immer aktuell ist, allerdings mit Protonen, während er Elektronen verwendete.

Hinsichtlich der Funktionsweise der Therapie musste sich Widerøe sehr viel aneignen und lernen. Und das ist einer der beeindruckendsten Aspekte an ihm, dass er nie zu alt wurde, um etwas Neues zu lernen. Ich habe ihn als einen ewigen Studenten erlebt, der sich ein Leben lang für Neues begeisterte. Das Ganze hat auch etwas von Askeladden an sich. Aber anstatt all der Helfer, die Askeladden hat, machte Widerøe einen Großteil der Arbeit selbst.“81

Als Physiker hatte Rolf die Vorstellung, dass die Strahlen beim Eindringen in Zellen und Gewebe Spuren hinterlassen, in etwa wie Tierfährten im Neuschnee, pflegte er zu sagen. Einige Strahlentypen setzten ganz dichte Spuren, während andere lange Unterbrechungen zwischen den einzelnen Fußabdrücken hinterließen. Er meinte einen Unterschied zwischen den Schäden dichter Spuren und denen mit einem weiten Abstand zu erkennen. Das könne wiederum zu Aussagen über die Wirkung der Strahlen genutzt werden sowie darüber, welche Art von Strahlen für welche Krebsgeschwüre verwendet werden sollten. Nach und nach kamen er und andere, die sich mit diesem Thema beschäftigten, zu einer Theorie, einer mathematischen Formel der Wahrscheinlichkeit, dass Zellen eine bestimmte Strahlendosis überleben. In diese Formel fließt die Dichte der Fußspuren ein – das, was in der Physik als Ionisationsdichte bezeichnet wird. Unter Fachleuten herrscht Uneinigkeit über den Wert der sogenannten Zwei-Komponenten-Theorie. Sein eigener Dosimetrie-Experte Christian Gerber behauptet, dass eigentlich niemand daran geglaubt habe.82 Tor Brustad vom Radiumhospital meint, die Theorie habe sich in der Forschung innerhalb der Strahlenbiophysik, in der radiobiologischen Forschung sowie in der Bestimmung der Dosierung bei der Strahlenbehandlung von Krebspatienten lange als nützlich erwiesen. Er behauptet, dass Rolf somit in zweifacher Hinsicht zur Verbesserung der Strahlentherapie beigetragen habe, sowohl durch die Beschleuniger-Entwicklung als auch durch die Ausformung neuer radiobiologischer Ideen.

Zusammen mit dem Chef der Strahlentherapie im Kantonsspital in Zürich, einem Vorreiter auf diesem Gebiet, schrieb Rolf mehrere Artikel über seine Funde.83 Die Ergebnisse, die bei Krebspatienten erreicht wurden, zeigten deutlich, dass die Strahlentherapie durch den Einsatz von Betatronen einen großen Sprung nach vorn gemacht hatte. Rolf sprach gern Klartext, und auf einem internationalen Radiologie-Kongress 1959 in München wählte er Formulierungen im Stil der Boulevardpresse: „Zur Behandlung tiefliegender Krebsgeschwüre etwas anderes als Betatrone einzusetzen, sollte per Gesetz verboten werden!“ Da sprach er von Röntgenstrahlen und Elektronen von bis zu 30 MeV. Gegen Ende seines Lebens meinte er noch immer, sich an seine heftigen Worte von damals zu erinnern. Jedoch dauerte es viele Jahre, bis sich die Ideen verbreiteten und genutzt wurden. Rolf seinerseits seufzte, dass Ärzte konservative Menschen seien, die nicht so leicht zu neuen Behandlungsmethoden für ihre Patienten übergingen. Selbstverständlich kam immer der Punkt, an dem sie das Neue akzeptieren mussten, aber eifrig wie er war, sah er Trägheit als ein Problem für die medizinische Forschung. Als er mit dem Radiumhospital in Oslo erstmals neue Methoden diskutierte, spürte er, dass er nicht ernst genommen wurde. „Anfangs betrachtete man uns fast als Scharlatane“, sagte er. Und obwohl sich viel zum Besseren verändert hatte, meinte er noch immer hart und brutal, dass viele der alten Methoden mehr zum Schaden als zum Nutzen seien.

Auf demselben Kongress in München hatte er erstmals öffentlich über die Behandlung von Krebsgeschwüren mit 31-MeV-Elektronen gesprochen. Er erklärte, dies führe zu einer korrekteren Verteilung der Strahlendosen als das, was mit Röntgenstrahlen möglich sei. Die Bestrahlung des geschädigten Gewebes würde verbessert, während der restliche Körper einer geringeren Strahlung ausgesetzt sei. Langsam tat sich etwas. Auf einem Kongress fünf Jahre später in Montreux lautete das große Thema: Behandlung mithilfe von Strahlung beschleunigter Elektronen und die bei einer solchen Behandlung erzielten Ergebnisse. Die Schlussfolgerungen daraus waren entscheidend und öffneten hochenergetischer Strahlenbehandlung den Weg.

Zwei schöne Kleider

Der Verkauf von Betatronen führte dazu, dass Rolf stetig Institute und Krankenhäuser besuchte, an die Brown Boveri Maschinen lieferte. Hinzu kamen Konferenzen und Kongresse, die dazu beitrugen, dass er sich selbst auf dem Laufenden halten konnte. Mit Kugelschreiber und Ingenieurschrift auf kariertem Papier führte er Reisetagebuch: mit Zeitpunkt, Ort, Anlass der Reise und Namen der wichtigsten Personen, denen er begegnete. Das tat er von 1947 bis 1991 mit großer Gründlichkeit. Von seinem 45. bis zu seinem 89. Lebensjahr. Raum fanden auch kleine persönliche Notizen, über den „Besuch im Krüger Nationalpark“, als er in Südafrika war, oder über den Kauf von „zwei schönen Kleidern“ für Ragnhild in Peking.

Auf diesen Reisen knüpfte er viele fachliche Kontakte. Zum Beispiel entwickelte er ein gutes Verhältnis zum Chefchirurgen des Krebs- und Tumor-Krankenhauses in Peking, der sich früh für den Kauf des Betatrons entschied. Zwei Mal war Rolf in China, um über die Strahlenmaschine zu sprechen. Bei seinem zweiten Besuch entdeckte er, dass sie in der Zwischenzeit ein eigenes Betatron gebaut hatten, das seinem sehr ähnelte und auch ganz gut funktionierte, wie er sich notierte.

Ein anderer, den er auf diese Weise kennenlernte, war Professor Werner Schumacher, ein bekannter deutscher Spezialist für tiefliegende Lungengeschwüre. Er war einer derjenigen, zu denen Rolf auch nach Beendigung der fachlichen Zusammenarbeit persönlichen Kontakt pflegte. Als Schumacher 1986 in den Ruhestand ging, wurde Rolf zur Abschiedsfeier eingeladen und wohnte in Berlin privat bei ihm. Erstmals getroffen hatten sie sich bei einer Besprechung im deutschen Radiologenverband, vermutlich 1951. Anschließend begegneten sie sich relativ regelmäßig in Berlin, wo Schumacher für die Strahlentherapie-Forschung im Rudolf-Virchow-Krankenhaus verantwortlich war. Diese Krebsklinik erhielt das erste von Rolf entwickelte Betatron mit sogenannter magnetischer Linse. Es war elf Jahre in Gebrauch, bevor es durch das bewegliche Betatron-Modell Asklepitron ersetzt wurde. Dieser deutsche Professor gehörte zu jenen, die sich mehr trauten als andere, was Rolf gut gefiel. Er probierte Sachen aus, die auszuprobieren andere Ärzte weniger bereit waren, und war ständig auf der Suche nach neuen und besseren Methoden der Strahlenbehandlung. Besonders interessiert war er an Rolfs Spezialität, der hochenergetischen Strahlung, die mithilfe beschleunigter Elektronen erzeugt wurde. Rolf zufolge war der Widerwille der Mediziner gegenüber allem Neuen ein Hindernis für gute Behandlung. Zum Beispiel hatte er empfohlen, dass ein Mitarbeiter des norwegischen Radiumhospitals Schumacher in Berlin besuchen solle, und einen Termin vereinbart.84 Als sich der Zeitpunkt jedoch näherte, informierte der Betreffende Rolf, dass sein Chef die Reise untersagt habe. Rolf meinte, die Seniorärzte hatten offensichtlich Angst vor neuen Methoden.

Sehr begeistert war er auch von einem Forscher, den er auf einem internationalen Radiologiekongress im französischen Evian traf, Dr. Lionel Cohen. Dieser leitete die Strahlenbehandlung in einem großen Krankenhaus im südafrikanischen Johannesburg, wo Rolf ihn zweimal besuchte; und auch nachdem Cohen nach Chicago gezogen waren, blieben sie in Kontakt. Es ist Teil der Geschichte, dass diese Mediziner ein gewisses Eigeninteresse daran hatten, dass Rolf mit an Bord war, behauptet Christian Gerber. Widerøe hatte einen Namen und machte sich gut als Co-Autor ihrer wissenschaftlichen Artikel. Die Ärzte hatten Krankenhäuser und Patienten und brauchten seine Kompetenz in Sachen Beschleuniger. Rolf seinerseits brauchte ein medizinisches Umfeld, um mit seinen Sachen voranzukommen.

„Er war Opportunist und brauchte Leute, allerdings nur tüchtige Leute. Alle Parteien profitierten, und fachlich war er auf seinem Feld immer voraus“, sagt Gerber.

Doctor honoris causa

Ja, Rolf war früh dran. Zu dieser Zeit wusste niemand viel über die grundlegenden physischen oder biologischen Effekte der Strahlung. Jetzt entfaltete sich Rolf. Die 1960er und 1970er Jahre, ja, faktisch auch die Achtzigerjahre waren von Reisen geprägt, um medizinische Experten zu treffen, mit ihnen zusammenzuarbeiten, neue Ideen zu finden, andere Entwicklungen zu sehen. Und um Preise und Ehrungen entgegenzunehmen. An der Zahl bemessen, erhielt er für die Arbeit innerhalb der Strahlenbiologie tatsächlich noch mehr Auszeichnungen, als er sie für die Ideen und Entwicklungen in Verbindung mit den Teilchenbeschleunigern bekommen hatte. Er selbst erklärte das mit all den Vorlesungen über Strahlenbehandlung, die er allerorten hielt, und den vielen Artikeln, die er über das Thema schrieb.

Nach zehn Jahren an der Hochschule in Zürich erlebt er 1962 einen neuen Karrierehöhepunkt. Die Hochschule ernennt ihn zum Ehrendoktor der Medizin. Er wird Dr. med. ehrenhalber der ETH Zürich. Auf Latein Doctor honoris causa. Am 10. Juli 1962, also am Tag vor seinem 60. Geburtstag, wird er auch an der Technischen Hochschule in Aachen, wo er promoviert hat, zum Ehrendoktor ernannt. Die Lokalzeitung Badener Tageblatt berichtet von dem Ereignis und weist darauf hin, dass „Dr. Widerøe in der ganzen Fachwelt“ wohlbekannt ist. Im April 1964 wird er Ehrendoktor einer dritten Institution. Die medizinische Fakultät der Universität Zürich wollte der Hochschule in nichts nachstehen (Abb. 2.12).

Abb. 2.12
figure 12

(Fotograf unbekannt)

Rolf Widerøe wurde an drei Einrichtungen zum Ehrendoktor ernannt: an der Technischen Hochschule in Zürich, wo er unterrichtete, an der Hochschule in Aachen, wo er promoviert hatte, und an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich.

Ihm wurde immer mehr Beachtung zuteil. Bedarf an einer Übersetzung seiner Doktorarbeit hatte lange bestanden, und in den 1960er Jahren wurde in einer Übersicht über die Entwicklung von Beschleunigern eine englische Version veröffentlicht.85 Es gab einige Diskussionen mit dem Redakteur, dem ehemaligen Assistenten von Lawrence bei Brookhaven in New York, Stanley Livingston, der nur den Teil der Arbeit publizieren wollte. Denjenigen, der den Linearbeschleuniger behandelt, welchen Rolf zum Funktionieren brachte, nicht aber den Teil über das Betatron, das mit der runden Bahn, wofür er nur das Prinzip entwickelt hatte. Rolf aber sagte: „Entweder nehmen Sie alles, oder aus der Sache wird nichts.“ Er nahm alles. Rolf wusste, dass er sich auf sicherem Terrain befand. Wusste, woher Lawrence die Idee für das Zyklotron hatte, welches ihm den Nobelpreis eingebracht hatte. Wusste, dass Lawrence das wusste.

Der Reihe nach wird er mit allem geehrt, was mit Röntgen zu tun hat. Am 3. Mai 1969 wird ihm die Röntgen-Plakette verliehen, eine ganz spezielle Auszeichnung der deutschen Geburtsstadt Wilhelm Röntgens an Personen, die im Geiste des deutschen Physikers zur weiteren Entwicklung der Radiologie beigetragen haben. Bisher konnten acht der Medaillenträger einen Nobelpreis gewinnen. Im Herbst desselben Jahres bringt die Süddeutsche Zeitung eine Sonderbeilage über die Person und die Technik, inklusive einer großen Schlagzeile über Rolf und seinen Einsatz. Dann ist es an der Zeit für die Röntgen-Stadt Würzburg, Rolf die Ehre zu erweisen. An der dortigen Universität entdeckte Wilhelm Röntgen die nach ihm benannten Strahlen. Zur Erinnerung an diese Entdeckung wird alle 25 Jahre eine Medaille verliehen.86 Die dritte Person der Geschichte, der sie verliehen wird, ist Rolf. Das geschieht am 24. Januar 1971. Im Jahr darauf hält er seine letzten Vorlesungen an der Hochschule in Zürich. Mit den Reisen, um PR für die Betatrone zu machen, fährt er jedoch fort. Auch wenn drei Jahre vergangen sind, seit er bei Brown Boveri pensioniert wurde, ist er noch immer „der Chef“, und keiner weiß so viel über Betatrone wie er – und niemand ist so eifrig wie Rolf, darüber zu erzählen. Oder so geschickt.

„Komm und setz dich, mein Junge“

Er ist 70 geworden. Vierfacher Großvater, drei Jungs und ein Mädchen. Er ist für eine Routineoperation im Krankenhaus. Plötzlich aber dreht es sich nicht mehr um die eigene Gesundheit. Seine Tochter Unn befindet sich zusammen mit ihrem Mann und den beiden Kindern auf dem Heimweg vom Urlaub bei den Schwiegereltern. Noch bevor sie das damalige Jugoslawien verlassen haben, kollidieren sie frontal mit einem anderen Auto. Der einzige Überlebende ist der Sohn der Familie, Per. In einem Krankenhaus in Belgrad wacht er auf, ohne Mutter und Vater, ohne kleine Schwester. Was ihm bleibt, sind ein Großvater und eine Großmutter sowie zwei Onkel in den Dreißigern. In einem anderen Land. In der Schweiz.

Frisch operiert übernimmt Großvater Rolf vom Krankenbett in Zürich aus sofort das Kommando. Er legt sich mit den Ärzten an, nicht nur in dem Krankenhaus, in dem er selbst liegt, sondern auch in dem in Belgrad, wo sein Enkelkind eingeliefert wurde, und organisiert weitestgehend die Behandlung und Medikation des Jungen. Allen voran sorgt er dafür, dass sein Bein nicht amputiert wird. Das Mobiltelefon gehört noch der fernen Zukunft an, weshalb das Ganze auch praktische Herausforderungen hat. Der Junge behält sein Bein, wird entlassen und in die Schweiz geschickt. Wo aber soll er wohnen? Wer soll sich um ihn kümmern? Wer soll die elterliche Verantwortung übernehmen? Eine Möglichkeit ist, dass er zu Rolfs jüngstem Sohn und dessen Frau zieht, die zwei etwa gleichaltrige Jungs haben. Eine Alternative sind die Großeltern, obwohl das in solchen Situationen auch in der Schweiz weniger üblich ist, weil sie als zu alt gelten.

Jeder kann versuchen, sich in die Situation hineinzudenken. Man ist um die 70. Man ist rüstig. Der Ehepartner begleitet einen oft zu Vortragsreisen ins Ausland, an die man dann gern noch einige Ferientage dranhängt. Man genießt das Leben und ein sehr aktives Rentnerdasein mit internationalem Freundeskreis und viel Geselligkeit. Man hat Karriere gemacht, einen Status erlangt, wurde geehrt und kann sich fachlich und menschlich noch immer entfalten. Das Leben ist gut. Man befindet sich in der Phase, wo man erntet, was man gesät hat. Und weil man gesund ist und über eine unerschöpfliche Energie verfügt, hat man immer noch die Kraft mitzuhalten und neue Impulse aufzugreifen. Ungeachtet dessen ist man 70, und die Kollegen werden neuerdings Urgroßeltern.

Aber ab und an wird die Welt auf den Kopf gestellt. In Rolfs Fall sollte das niemanden überraschen. Er und Ragnhild adoptieren den Sohn ihrer Tochter. Ein aufgeweckter, elternloser Achtjähriger zieht ins Haus, mit seinen Spielzeugautos und johlenden Kameraden. Ein kleiner Junge, der Fürsorge braucht, dem vorgelesen und bei den Hausaufgaben geholfen werden muss. Auf den noch viele Jahre aufgepasst und der unterstützt werden muss. Es ist eine Sache, 70 zu sein, wenn der Junge acht ist. Was aber, wenn man 80 und der andere 18 ist? Wie war es da, Per zu sein? Und Rolf? Schließlich wusste er zu diesem Zeitpunkt nicht, dass er 94 Jahre alt werden und den Jungen durch alle Entwicklungsstadien hindurch begleiten sollte, bis dieser mit 32 ein gut ausgebildeter Mann war.

Das Enkelkind Per und der Großvater Rolf finden einander. Ebenso Per und Ragnhild. Die Onkel werden zu einer Art große Brüder, obwohl sie längst von zu Hause ausgezogen sind und auf eigenen Füßen stehen. Viele Jahre später zeichnet Per – der in der Zwischenzeit geschäftsführender Direktor einer Beraterfirma mit Kunden auf der ganzen Welt geworden ist – ein Bild von einem nicht ganz gewöhnlichen Großvater und Vater. Die Eindrücke gehen durcheinander, so wie sich die Assoziationen in unserem Gespräch gemeldet haben, das im Übrigen auf Norwegisch stattfand. Er ist nämlich norwegischer Staatsbürger, obwohl er den Großteil seines Lebens in der Schweiz gewohnt hat.

Skeptiker in Sachen Waldsterben und Erderwärmung

„Ich erinnere mich, dass wir in den Achtzigern die Diskussion über das Waldsterben hatten, da war ich 17, 18 Jahre alt und natürlich besorgt. Er aber sagte immer, er glaube nicht, dass das so dramatisch sei, dass es sich dabei um etwas handeln müsse, was nach einer gewissen Zeit wieder vorübergehe. Und ich nehme an, dass er heute äußerst skeptisch wäre, was die ganze Diskussion über die globale Erwärmung betrifft.“

Befürworter der Atomkraft

„War er zum Einsatz von Atomenergie zur Stromerzeugung nicht positiv eingestellt?“

„Doch, absolut. Er war für Atomkraft. Aber ich meine mich zu erinnern, dass er das nur als einen Übergang sah. Denn da geht es ja um die Spaltung des Atomkerns, und er glaubte, Kernfusion würde das ganze Problem lösen.“

„Er glaubte also, die Technologie würde das Energieproblem lösen?“

„Definitiv. 'Der Fortschritt hat seine guten Seiten' ist etwas, das mein Großvater sofort unterschrieben hätte. So viele sind Fortschritt und Technologie gegenüber kritisch eingestellt, er hingegen war sehr optimistisch und positiv. Vielleicht ein bisschen zu sehr. Aber in vielen Sachen hatte er absolut recht.“

Distanziert interessiert

„War er so, als Mensch generell auch positiv eingestellt oder speziell was die Technologie betrifft?“

„Jetzt habe ich an Technologie und Fortschritt gedacht. Was das angeht, war er sehr positiv. Auch als Mensch war er sehr positiv. Aber er war auch distanziert. Nicht, dass er nicht lachen konnte, aber er befand sich in seiner eigenen Welt. Zum Beispiel war es für meine Großmutter mitunter schwierig, ein Gesprächsthema zu finden, das ihn wirklich interessierte. Und bei mir waren es gern Themen, die mit der Schule zu tun hatten: Physik, Wissenschaft oder etwas Technisches, darüber war am leichtesten mit ihm zu sprechen. Als ich studierte – ich habe Datentechnologie studiert –, ging er sehr darin auf, und da war er schon ziemlich alt. Fast 90. Besonders interessierte er sich für Themen, über die er in seinen technischen Zeitschriften gelesen hatte, Dinge, die damals 'Hypes' waren. Ja, bis zuletzt interessierte er sich sehr für sowas.“

Partylöwe

„Er war ein sehr fröhlicher Mensch. Am besten sah man das, wenn er sich in Gesellschaft befand. Da öffnete er sich sozusagen. Da war das Publikum groß genug, dass es sich 'lohnte'. Als Familienmensch war er eher etwas zurückgezogen.“

„Er mochte Partys?“

„Sehr. Er war auch ein guter Festredner. Das ist für einen Wissenschaftler vielleicht etwas untypisch.“

Unpraktisch veranlagt

„Im Haus machte er nichts. Da war er ganz traditionell. Ich erinnere mich, als er einmal Briefmarken brauchte, wusste er schlicht und einfach nicht, wo man sowas herbekam. All diese praktischen Dinge organisierte meine Großmutter.“

„Sie muss fantastisch gewesen sein.“

„Ja, absolut. Es war sicher nicht leicht, mit so einem Typen wie meinem Großvater zusammenzuleben.“

„Weil ihr euch im Klaren darüber wart, dass er speziell war?“

„Ja.“

Erinnerte sich nicht, dass Sonntag war

„Ich erinnere mich, dass er sehr abwesend sein konnte. Zum Beispiel rief einmal einer meiner Freunde an, an einem Sonntag, und fragte, ob ich zu Hause sei, und da sagte er: 'Nein, Per ist in der Schule.' Aber es war Sonntag, und daran erinnerte er sich nicht. Als ein anderes Mal ein Freund zu Besuch kam, sagte er: 'Per ist nicht zu Hause.' Da war er auch in einer anderen Welt.“

„Haben Sie da Angst bekommen? Oder wurden Sie wütend oder …?“

„Nein, das war die Art 'Professor'.“

Erinnerte sich nicht, dass er verheiratet war

„Ich habe eine Geschichte aus der Zeit gehört, als Ragnhild und er in derselben Firma gearbeitet haben, ganz zu Anfang der Ehe. Ihr Großvater soll eines späten Abends zu ihr gesagt haben: 'Fräulein, Sie können jetzt nach Hause gehen.' 87 Er erinnerte sich nicht daran, dass sie verheiratet waren. Stimmt das oder ist das einfach nur eine gute Geschichte?“

„Da war ich noch nicht geboren, aber ich halte es für möglich. Das Spezielle, wie ich finde, ist jedoch, dass er beides sein konnte, nah und fern. Es gibt vermutlich viele, die wie er in dieser Geschichte abwesend sein können. Aber es gibt nicht viele, die sich gleichsam umkehren und auf einer Party übersprudeln und die Beredsamkeit in Person sind.“

Verbot, seine Papiere anzurühren

„Zu meiner Zeit hatte er sein Büro zu Hause. Hatte mehrere Tausend Manuskripte und Dokumente um sich herum.“

„Ich gehe davon aus, dass es nicht sonderlich gern gesehen war, dass Sie in den Unterlagen herumwühlten?“

„Nein, nein, nein. Das hätte ich mich nie getraut.“

Tennis-Spieler und Science-Fiction-Leser

„Hatte er irgendwelche Interessen oder Hobbys?“

„Früher hatte er Tennis gespielt, was er jedoch nicht mehr tat, als ich 1972 ins Haus kam. Sein größtes Hobby war der Garten. Dort machte er alles. Das war seine Domäne.“

„Dort war also nicht Ragnhild die Chefin?“

„Nein, das war sein Bereich. Und er las sehr viel. Nicht nur wissenschaftliche Sachen, sondern auch Romane, vor allem Science-Fiction.“

Ragnhild als sein Gegenpol

„Ähnelten sie einander? Oder war sie eine Art Gegenpol?“

„Gegenpol, würde ich sagen. Sie war ein großer Familienmensch. Das ist schon ein großer Gegenpol.“

„Sie denken an die Kernfamilie?“

„Ja, sie hielt alle zusammen und sorgte dafür, dass sie jeden Samstag zum Mittagessen kamen, auch nachdem sie erwachsen und ausgezogen waren.“

Hochbetagt nochmal in die Vaterrolle

„Das muss sehr schwer gewesen sein – eine enorme Herausforderung – mich nach dem Tod von Mutter und Vater zu sich zu nehmen.“

„Aber das war doch auch für Sie eine ordentliche Herausforderung?“

„Ja, natürlich. Aber es ist auch nicht leicht, einen Achtjährigen zu erziehen, der plötzlich in dein Haus kommt. Sie aber taten es. Und es ist nicht so, dass ich heute herumlaufen und sagen kann, dass ich entschuldigt bin, weil ich eine schwierige Kindheit hatte.“

Wurzeln in Jugoslawien

„Welchen Beruf hatte Ihr leiblicher Vater?“

„Er war Architekt, stammte aus Jugoslawien. Saß dort im Gefängnis, aus politischen Gründen. War gegen das kommunistische Regime. Gegen Tito. Später durfte er ausreisen. Aber er hatte keinen Pass mehr. War staatenlos. Dann traf er meine Mutter. Sie heirateten und zogen in die Schweiz. Seine Staatenlosigkeit war jedoch immer ein Problem. Und als ich unterwegs war, musste meine Mutter nach Norwegen fahren, damit ich dort geboren wurde, ansonsten wäre auch ich staatenlos gewesen. Also zogen wir alle drei nach Oslo.“

Tolerant und undogmatisch

„Mein Großvater Rolf war sehr tolerant. Zum Beispiel als ich in der Schule eine Reihe von Problemen hatte und einige Verwarnungen bekam. Eines Tages erhielt ich Bescheid, dass ich nachsitzen müsse, würde ich mich nicht bessern, und da machte ich noch mehr Ärger, und so weiter.“

„Ja, so ist es wohl häufig …“

„Er war verständnisvoll, hielt es für nicht wichtig. Das Wichtigste war, dass man sich über kurz oder lang besserte. Das überraschte mich damals. Denn gewisse Dinge, die ich gemacht hatte, waren gravierender als andere, und er fand es nicht so schlimm.“

„War er Ihrer Meinung nach gut darin, zwischen groß und klein, wichtig und unwichtig zu unterscheiden?“

„Hm, ja. Außerdem galt es, offen zu sein und nicht nur dogmatisch zu denken, dass 'man sowas nicht macht, und wenn das jemand in meiner eigenen Familie doch macht, dann muss ich ihn bestrafen'. Was mich wunderte, war, dass selbst wenn ich etwas wirklich Falsches tat – etwas, worüber die meisten Väter sehr wütend wären und ihre Söhne bestrafen würden –, da wurde er nicht wütend. Ich weiß nicht warum, aber es scheint, dass er tolerant genug war, zu akzeptieren, dass man Fehler machte.“

„Glauben Sie, dass er tolerant war, weil er selbst …“

„Vielleicht wegen seiner eigenen Geschichte …“

„Ging es darum, dass man nicht zu hart urteilen solle?“

„Das kann sein. Meine Erziehung an sich war eigentlich nicht seine Verantwortung. Die übernahm, nach meinen Eltern, meine Großmutter. Macht man aber so dumme Dinge, wie ich sie getan habe, wird man für gewöhnlich zurechtgewiesen, und das machte er nicht mit mir. Ja, ich glaube, er war sehr tolerant. Und auch wenn er sich für eine Sache oder ein Thema nicht so sehr engagierte, akzeptierte er die Meinungen anderer. Er interessierte sich vielleicht nicht für Kunst und eine Reihe von Dingen, die andere beschäftigen, aber er hätte nie gesagt, dass sie uninteressant seien – nur dass sie ihn selbst nicht interessierten.“

Ein Christ

„Allerdings hatte ich wohl ein engeres Verhältnis zu meiner Großmutter als zu meinem Großvater. Woran ich mich erinnere, ist, dass er abends auf meinem Bett saß und wir dann zusammen das Abendgebet sprachen.“

„War er Christ, aktiver Christ?“

„Ich glaube, er war Christ. Nicht, dass er viel darüber sprach. Aber Christ ist er immer gewesen. Glaube ich.“

Sehnsuchtsland Norwegen

„Hatten Sie den Eindruck, dass er als Rentner manchmal darüber nachdachte, nach Norwegen zurückzuziehen?“

„Ja. Ich glaube, im Grunde war er überzeugt davon, dass er nach Norwegen zurückwollte, wenn er alt wäre, so richtig alt. Immer. Aber er fand gewiss nie, dass er alt war, nicht einmal als er 90 war. Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube, es war meine Großmutter, die sagte, dass es keinen Sinn mache, nach Norwegen zu ziehen, wenn Kinder und Enkelkinder hier in der Schweiz lebten.“

„Hatten Sie selbst viel Kontakt zur Familie in Norwegen?“

„Früher bin ich jeden Sommer nach Norwegen gefahren. Zusammen mit Rolf natürlich. Und Ragnhild. Und mit Rolf jr. und seiner Familie. Und Arild. Dort trafen wir immer so viele Angehörige wie möglich. Und waren in den Wochenendhäusern, die sie am Meer und im Gebirge hatten. Es ist ein bisschen schade, dass ich meiner eigenen Tochter kein Norwegisch beigebracht habe. Alle Italiener hier in der Schweiz bringen ihren Kindern ihre Muttersprache bei, weshalb ich vielleicht ein bisschen zu träge war.“

„Wie haben Sie selbst es geschafft, dass Sie im Norwegischen so gut sind?“

„Zu Hause haben wir ja Norwegisch gesprochen. Allerdings war ich nur das erste Jahr in Norwegen in der Schule, weshalb ich sehr schlecht schreibe. Ich ging ein Jahr in die Steiner-Schule, bevor wir nach Deutschland zogen. Da wohnten wir im Haus meiner Großeltern in Røa.“

Kein Schweizerdeutsch

„Er muss stur gewesen sein, wenn alle um ihn herum Schweizerdeutsch sprachen und er darauf bestand, dass Sie zu Hause Norwegisch sprechen, ein halbes Jahrhundert, nachdem er selbst ausgewandert war.“

„Ja, er war sehr stur.“

„Er muss auch sehr bedacht gewesen sein?“

„Ja, absolut. Er weigerte sich, Schweizerdeutsch zu verstehen. Den Dialekt zu verstehen, muss man sich auch regelrecht zwingen. Wenn jemand Schweizerdeutsch mit ihm sprach, antwortete er auf Hochdeutsch. Aber ich hörte immer den norwegischen Unterton.“

Kein Diplomat

„Geriet er leicht in Streit mit Leuten, wenn er so starke Auffassungen von gewissen Themen hatte?“

„Nein.“

„War er diplomatisch?“

„Nein, im Grunde war er kein Diplomat. Ich glaube, er war stark genug, überall die Situation und das Thema zu erobern, und da war sozusagen kein Platz für irgendeine andere Meinung, weshalb ich glaube, dass er keine großen Diskussionen hatte. Er sagte einfach, was er meinte.“

Natürliche Autorität

„Mein Großvater war speziell. Seine enorme Stärke hatte wohl auch etwas mit natürlicher Autorität zu tun. Nicht alle Leute, die so bestimmend sind, werden akzeptiert. Ihn aber akzeptierte man, weil man sich aufgrund seiner Persönlichkeit einfach ergab.“

„Was aber war das Geheimnis, frage ich mich. Die Leute akzeptieren, dass er so war, wie er war. Sie akzeptierten es. Sie hätten doch in einem großen Konflikt mit ihm stehen können, Sie, ausgehend von Ihrer Situation? Sie hätten gegen Türen und Wände treten können. Sie hatten Mutter und Vater verloren, und dann sollten Sie bei diesem alten Mann leben …“

„Ich meine, er war überraschend weitsichtig. Das erklärt jedoch nicht alles. Es ist etwas, das man nicht in Worte fassen kann. Eine wahre Autorität.“

„Ragnhild hatte das nicht, wenn ich Sie richtig verstehe?“

„Nein, sie war sehr streng, besaß aber keine natürliche Autorität. Sie musste härter arbeiten, um etwas zu erreichen.“

Zeitweilig ohne Bodenhaftung

„Er stand nicht immer mit beiden Beinen auf dem Boden. Ich erinnere mich, als ich in die sechste oder siebente Klasse ging, wollte er mir unbedingt Sachen beibringen, die eigentlich Universitätsniveau hatten. Und jedes Mal, wenn ich ihn etwas fragte, umfasste die Antwort immer so viel mehr …“

„… als Sie verstehen konnten?“

„Ja, also gab ich es auf, ihn etwas Besonderes zu fragen.“

„Aber vermutlich freute er sich, dass Sie etwas Technologisches studierten, wenn es auch nicht sein Fach war?“

„Ja, und er war sehr interessiert an allem, was sich in diesem Fach tat und wie sich die Informatik auf diesem Gebiet weiterentwickelte, über das er selbst nicht so viel wusste. Er kam nicht weiter, als dass er sehr früh einen elektronischen Taschenrechner hatte, den er für einen damals enormen Preis gekauft hatte, so einen, den es heute für etwa 100 Dollar gibt.“

„Stellen Sie sich vor, er hätte einen PC gehabt …“

„Ja, würde er heute leben, fände er das unfassbar spannend.“

Das Bruderverhältnis zu Viggo

„Rolf und Viggo ähnelten sich optisch. Ihre Lebensgeschichten aber waren komplett verschieden. Viggo hatte mehr Bodenhaftung.“

„Obwohl er Pilot war?“

„Ja, obwohl er Pilot war. Rolf war ja auch Pilot. Auch er flog.“

„Hatte er einen Pilotenschein?“

„Ja, zumindest flog er. Sie waren drei Brüder, die flogen. Der eine starb als Pilot. Viggo war der Unternehmer, der Gründer der Fluggesellschaft. Rolf war dahingehend vollkommen unpraktisch veranlagt. Er hätte nie eine Firma gründen können.“

„Er war also kein Organisationstalent?“

„Nein, eigentlich nicht. Im Grunde gefiel es ihm am besten, allein zu arbeiten und nicht an andere denken zu müssen.“

„Wie aber steht es mit Teamarbeit?“

„Ja, wenn er das Team leitete! Wenn er 'Diktator' war, dann lief es gut. Auch seine Schwester Else gründete eine Firma. In gewisser Hinsicht waren sie alle Gründer und hatten die Finanzen und alles, was sie taten, unter Kontrolle. Rolf jedoch nicht. Er war auf andere Weise Gründer. Ich glaube, er gab das ganze Geld Ragnhild. Er bekam Taschengeld. Wer dort der Chef war, war sozusagen eindeutig.“

Strenger Vater und entspannter Großvater

„Gab es irgendwie Druck, dass seine Kinder und Sie Technologie studieren sollten, wie er selbst es getan hatte?“

„Mir gegenüber zumindest nicht. Also – sie drängten mich, dass ich das Gymnasium beendete, anschließend hatte ich freie Hand. Aber vielleicht in der vorhergehenden Generation. Meine Mutter hat einige Jahre Elektrotechnik studiert. Da hatte es sicher einen gewissen Druck gegeben. Ob das indirekt oder direkt geschah, weiß ich nicht. Wie ich gehört habe, waren sie sehr strenge Eltern. Mir gegenüber waren sie das nicht. Aber gegenüber ihren eigenen Kindern. Da war wohl auch mein Großvater mehr involviert und fand, dass die Erziehung auch seine Aufgabe war.“

Neue Triumphe

Rolfs Karriere schien nicht darunter zu leiden, dass ein Kind ins Haus gekommen war. Sie blieb bestehen. Aber damit nicht genug: 1973 wurde ihm auf dem 13. Internationalen Radiologiekongress in Madrid die Goldmedaille verliehen. Noch größer war vielleicht das, was im selben Jahr in Norwegen geschah. Endlich wurde er Mitglied der Norwegischen Wissenschaftsakademie. Wie viel er selbst von dem Tauziehen wusste, das dem vorausgegangen war, ist schwer zu sagen. Vielleicht war er sich im Klaren darüber, dass zentrale Akteure innerhalb und nicht zuletzt im Umfeld der Akademie ihn nicht dabeihaben wollten. Vielleicht wusste er es nicht. Eine Wissenschaftsakademie ist kein Verein, bei dem man sich einfach anmeldet. Man muss von jemandem empfohlen und zugelassen werden.

Ein weiterer Höhepunkt kam 1977. Im ehrwürdigen Smithsonian in Washington, dem Museum mitten auf der zwischen Kongress und Lincoln-Statue verlaufenden Mall, welche die Touristen queren müssen, um das Weiße Haus zu sehen, fand eine Ausstellung mit dem Titel „Atom Smashers – 50 years“ statt. „Atom-Zertrümmerer“ ist ein anderes Wort für Hochenergie-Beschleuniger, und rechnet man von 1977 fünfzig Jahre zurück, landet man bei 1927, dem Jahr, als Rolf seinen Doktor machte und das Ganze seinen Anfang nahm.

Und ganz richtig, direkt beim Eingang – absolut nicht zu übersehen – befand sich ein eigener Stand: „Rolf Widerøe, der Linearbeschleuniger, 1927“. Hier lag das berühmte Notizbuch mit der Skizze aus der Studienzeit, der Anfang einer ganzen Epoche der Kernphysik und der Krebsbehandlung. Weiter zeigte die Ausstellung die ganze Reihe der sich anschließenden Beschleuniger – das Zyklotron, das Synchrotron, das Betatron, das Beta-Synchrotron sowie die anderen mit ihren variierenden Energien und Finessen. Auch hier hing Rolfs Porträt. Zusammen mit denen der Physik-Giganten. Denjenigen, die dazu beigetragen hatten, die Beschleuniger-Technologie zu ermöglichen und die Entwicklung weiterzuführen: Wilhelm Röntgen, Henri Becquerel, Marie Curie, Albert Einstein, Niels Bohr, Erwin Schrödinger, Ernest Lawrence, John Cockcroft, Ernest T. S. Walton, Ernest Rutherford, Robert Van de Graaff, Werner Heisenberg, Robert Oppenheimer, Wernher von Braun, Otto Hahn und Lise Meitner. Ein Satz der ausgestellten Fotos wurde auch an die Norwegische Wissenschaftsakademie in Oslo gesandt, heute weiß dort allerdings niemand, wo die Bilder abgeblieben sind.88

Die Ausstellung war für einen Zeitraum von einigen Jahren geplant, wurde jedoch so populär, dass sie weitaus länger stehen blieb, berichtet der verantwortliche Kustos Paul Forman. 1980 schrieb er einen Brief an Rolf mit der Frage, ob sie seine Notizbücher, „die einen so prominenten Platz am Eingang haben“, etwas länger als abgesprochen behalten dürften. Die Antwort war selbstverständlich ein stolzes Ja. In Vorbereitung der Ausstellung hatte der Kustos vom Smithsonian frühzeitig Kontakt zu Rolf aufgenommen, woraufhin beide in den kommenden Jahren 50 bis 60 Briefe austauschten. Rolf wurde gefragt, wie es ihm gelungen war, den ersten Beschleuniger zu konstruieren, was daran besonders war. Zudem erhielt er die Nachricht, dass alles, woran er sich von seiner Arbeit erinnern könne, „äußerst willkommen“ sei. Paul Forman erhielt Unmengen an Zusendungen und schrieb zurück: „Es sind solche Berichte, die den Objekten unserer Sammlung Leben einhauchen und uns dabei helfen, Schülern und Publikum den Stoff zu erklären.“ Im Washingtoner Museumsarchiv sind Fachartikel von Rolf, Kerst, den Siemens-Forschern und anderen aufbewahrt. Hier findet sich Material über die Strahlenbehandlung bei Krebs, über den Unterschied zwischen verschiedenen Teilchenbeschleunigern sowie Broschüren von Brown Boveri mit einem Foto der ersten Behandlungsmaschine, die das Osloer Radiumhospital Anfang der 1950er Jahre gekauft hatte.

Das Engagement des Kustos ging nach Ansicht der Museumsleitung an die Grenzen. Seine Tüchtigkeit wurde jedoch nie in Zweifel gezogen. Seine schriftliche Dokumentation in Form von Texten und Plakaten ist an sich ein Geschichtsbuch – nachdem die übliche Diskussion zwischen Vermittlern und Fachleuten darüber beendet war, wie weit man in der Popularisierung gehen könne und was aufgenommen werden solle, wenn ein Plakat nur eine bestimmte Anzahl an Worten fassen konnte. Zudem galt: Entweder man erstellt eine Ausstellung, die das Publikum versteht, oder man lässt es sein. Ein Katalog ist keine wissenschaftliche Abhandlung, was ein Museumsangestellter auch begreifen musste. Nachdem letztlich alle Gegenstände und Texte bewertet, verworfen und in neuen Varianten wiederauferstanden waren, das Ganze an Außenstehenden getestet, von Experten evaluiert war und sich alle schließlich zufrieden zeigten, konnte die Ausstellung eröffnet werden. Mit sechs Monaten Verspätung (Abb. 2.13, 1 und 2).

Abb. 2.13
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(© Smithsonian Institute, Washington D. C., mit freundlicher Genehmigung)

1977 fand unter dem Titel „Atom Smashers – 50 years“ (Atom-Zertrümmerer – 50 Jahre) im Smithsonian in Washington eine Ausstellung statt. „Atom-Zertrümmerer“ ist ein anderer Ausdruck für Hochfrequenz-Beschleuniger. Geht man weitere 50 Jahre zurück, landet man im Jahr 1927, als mit den Thesen in Rolfs Doktorarbeit alles seinen Anfang nahm.

Dass sie ein Erfolg war, darin waren sich alle einig, obwohl Paul Forman in seinem Urteil nicht unparteiisch ist:

„Das ist vielleicht die schönste Ausstellung, die das Smithsonian jemals hatte“, sagte er viele Jahrzehnte später aufgeräumt. „Sie war spektakulär, sie war pädagogisch. 20 Personen arbeiteten zwei Monate daran, sie aufzubauen, in engem Kontakt mit unter anderem Rolf Widerøe.“89

Dem Erfolg zum Trotz war Forman mit einer Sache dennoch nicht zufrieden. Denn eigentlich hatte das Smithsonian Rolfs allererstes Betatron in der Ausstellung dabeihaben wollen, das aber existierte nicht mehr. Das Museum hatte an seinen alten Professor in Aachen geschrieben. Sie hatten europaweit Labors und Personen kontaktiert. Aber nein. Dann begann die Arbeit, eine Kopie zu erstellen, aber auch das erwies sich als mühselige Angelegenheit. Für gewöhnlich stellt das Smithsonian keine Kopien aus, machte in diesem Fall aber eine Ausnahme. Das war besonders. Ein enormer Aufwand und mit großem Prestige verbunden, erklärt er. Denn auch nachdem die temporäre Ausstellung vorüber war, wollte das Smithsonian einen Widerøe-Beschleuniger als Teil seiner Dauerausstellung haben. Und Rolf wollte ihn sehr gern dort platziert sehen. Die Apparate von Lawrence, Kerst und den Siemens-Forschern waren auch dort. Die Frage stellte sich nur, wie er finanziert werden sollte. Und wie sie ihn unbeschadet in die USA bekommen sollten. Freudestrahlend konnte Rolf dem Museum am 4. Mai 1983 verkünden, dass mit dem Bau einer Kopie begonnen wurde. Zwei Jahre später im Juli schrieb er, dass der Bau vor 1984 nicht richtig in Gang gekommen sei, er jedoch damit rechne, den Beschleuniger im August zur Verfügung stellen zu können. Er machte sich ein wenig Sorgen hinsichtlich des Transports der runden Glasröhre mit dem Flugzeug und fragte beim Museum an, ob man sie vielleicht selbst zusammensetzen könne.

Es vergehen beinahe zwei weitere Jahre. Am 2. März 1987 wendet sich das norwegische Radiumhospital mit einem formellen Schreiben an vier Museen und informiert darüber, dass man in Zusammenarbeit mit Rolf vier Kopien seiner Pioniermaschine gefertigt habe, bei Interesse könnten die Museen jeweils ein Exemplar erhalten. Der Brief ist unterzeichnet von – ja, genau – Professor Tor Brustad, der zu diesem Zeitpunkt Vorsitzender des Verwaltungsrats des Krankenhauses war. Rolf hatte selbst in Kontakt mit dem Physiker Olav Netteland von der krankenhauseigenen Werkstatt des Radiumhospitals gestanden, den er von früher kannte. Netteland erlitt jedoch einen Schlaganfall, bevor die eigentlichen Bauarbeiten begannen. Daher versuchte man, die Modelle bei Brown Boveri in der Schweiz fertigen zu lassen, was aber zu teuer wurde, weshalb die Arbeit letztendlich doch in der Werkstatt des Radiumhospitals ausgeführt wurde. „Genau nach meiner Anweisung“, wie Rolf es ausdrückte.

Paul Forman vom Smithsonian erzählt, dass Rolf sehr erpicht darauf war, das hinzubekommen. Den Transport regelte er selbst, was für ihn eine große Sache war. Es durfte nichts kaputtgehen. Es endete damit, dass er selbst und das Radiumhospital für Transport und Versicherung aufkamen, als ein Geschenk an das Washingtoner Museum. Paul Forman seinerseits regelte, dass das Smithsonian die anfallenden Extraausgaben deckte. Am 8. November 1987 konnte Rolf erleichtert ans Smithsonian schreiben und sich für die Nachricht bedanken, dass die Maschine sicher und mit intakter Glasröhre in Washington angekommen war. Er selbst besuchte die Ausstellung 1992 zusammen mit seiner Frau, im Alter von 90 Jahren. Rolf gefiel, was er sah, und er bedankte sich persönlich bei den für die Ausstellung Verantwortlichen. Aber alles hat ein Ende. Heute liegt der Beschleuniger demontiert im Keller des Smithsonian.

Von Tor Brustad ist zu erfahren, dass eine andere Kopie im Radiumhospital steht, wo sie Teil einer Dauerausstellung zur Geschichte der Strahlenbehandlung ist. Ein Exemplar ging an das Technische Museum in Oslo, wo es sich noch immer in einem Lager befindet und nie ausgestellt wurde. Eine Kopie wurde dem Deutschen Röntgen-Museum in Remscheid zur Verfügung gestellt. Später wurde ein entsprechendes Modell in der Lehrlingswerkstatt des Forschungszentrums DESY in Hamburg gebaut, wo es im Foyer ausgestellt ist.

Noch mehr Preise und Ehrungen

Auch in Norwegen wurde man Anfang der 1980er Jahre in gewisser Hinsicht auf Rolf aufmerksam. In Verbindung mit seinem 80. Geburtstag schreibt Staatsstipendiat Olav Aspelund 1982 im Morgenbladet einen – nahezu panegyrisch positiven – Artikel. Im Januar des darauffolgenden Jahres hält Rolf an der Universität Oslo einen Vortrag, vom dem die Aftenposten am 18. Januar berichtet. Mit einem Vortrag ist er auch auf einer internationalen Konferenz in Geilo vertreten. Beide wurden von Aspelund organisiert.90 Für den wichtigsten Beitrag zeichneten im Nachhinein zwei aufstrebende junge Norweger verantwortlich. Dabei handelte es sich um den Forschungsstipendiaten Finn Aaserud und den Seniorforscher Jan Sigurd Vaagen. Sie organisierten in Oslo ein Gruppeninterview, eine Art Gesprächsrunde zwischen Rolf und einer Reihe norwegischer Physiker.91

Das Gespräch fand am Dienstag, den 12. Juli 1983, statt, einen Tag nach Rolfs 81. Geburtstag. Es war das bisher Einzige, was zur Dokumentation seines Wirkens unternommen worden war. Das Ganze fand in Regie eines Osloer Forschungsinstituts statt. Anwesend waren sechs, sieben Personen.92 Das mehrere Stunden dauernde Interview wurde auf Band aufgenommen. Das Tonband befindet sich heute im Archiv der Technischen Hochschule in Zürich, wo der Großteil von Rolfs hinterlassenen Papieren aufbewahrt wird.93 Eine Kopie findet sich im Niels-Bohr-Archiv in Kopenhagen sowie in den Niels Bohr Library and Archives im American Institute of Physics.

Eine leicht zugängliche Kurzversion wurde anschließend von zwei der Interviewenden, Aaserud und Vaagen, im Fachblatt Naturen publiziert; es war der erste Beitrag norwegischer Physiker, um Rolfs Einsatz ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken.94 Aaserud hat einen Doktor in Wissenschaftsgeschichte von der amerikanischen Johns Hopkins University, war etwa 20 Jahre lang Leiter des Niels-Bohr-Archivs in Kopenhagen und interessiert sich für Rolfs Platz in dem großen Ganzen. Vaagen ist Professor für Theoretische Kernphysik in Bergen und hat Verbindung zu mehreren ausländischen Universitäten, darunter Yale in den USA und die Universität in St. Petersburg. Auf die Frage, wie sein Interesse für Rolf entstand, antwortet Vaagen:

„Es begann damit, dass sowohl Finn Aaserud als auch ich in den Siebzigern im Ausland waren. Als ich nach Hause kam – nachdem ich erst eine Weile in Dänemark und dann in Amerika gewesen war –, begegnete ich einem Norwegen, das noch nicht ganz verstanden hatte, dass wir voll und ganz involviert waren. Im Ausland hatte ich von bedeutenden Leuten gehört, die man in Norwegen scheinbar vergessen hatte, und ich sah ein, dass wir uns für einige von ihnen interessieren sollten. Und da tauchte Widerøe sofort als ein interessanter Name auf. Aaserud hatte in seiner Doktorarbeit unter anderem über den Zusammenhang zwischen Biophysik und Kernphysik geschrieben und wollte in dieser Hinsicht mehr über Widerøe herausfinden. Das fiel auch mit der Tatsache zusammen, dass die Physik in Gegenwind geraten war, und einige von uns meinten, dass wir darüber nachdenken müssten, wie wir die Botschaft vermitteln, dass Physik wichtig ist.“95

Die Frage, ob Rolf selbst mit dem Interview zufrieden war, beantwortet Jan Sigurd Vaagen mit einem Ja, den Eindruck hatten sie definitiv. Zudem nahm sich Rolf viel Zeit, die Abschrift zu lesen, an Formulierungen zu feilen und Stoff zu ergänzen. Waloschek, der Rolfs Biografie schrieb, war nicht ganz überzeugt. Er meinte, Rolf sei unzufrieden gewesen, dass er als Erfinder und nicht als Vollblut-Wissenschaftler präsentiert wurde.96 Auf die Erfinderrolle ging Vaagen im Übrigen im Zusammenhang mit der späteren Vergabe eines großen internationalen Physikpreises an Rolf ein:

„Das Fehlen einer festen Verbindung zu einer bestimmten naturwissenschaftlichen oder anderen fachlichen Disziplin führt außerdem dazu, dass er am besten als 'Erfinder' in weiterem Sinne bezeichnet werden kann. Die Beschäftigung sowohl mit der Grundwissenschaft als auch mit der Industrie waren in Widerøes Karriere natürliche und vereinbare Elemente, und M. Stanley Livingstons Bezeichnung von Widerøe als erster Beschleuniger-Designer ist ein treffender Ausdruck. Er beeinflusste eine komplette Entwicklung. Widerøes Doktorarbeit (…) inspirierte Lawrence in den USA zu seiner Zyklotron-Idee und auch andere Pioniere wie E T. Walton in England und Jean Thibaud in Frankreich.“97

Vaagen ist überzeugt, dass Rolfs Doktorarbeit den Anstoß zur Entwicklung dessen gab, was heute als Big Science bezeichnet wird. Dies geschah, ohne dass er selbst direkt involviert war, in Amerika, im Labor des gleichaltrigen Lawrence, meint Vaagen und geht so weit zu sagen: Ohne Widerøe hätte Lawrence wahrscheinlich keinen Nobelpreis bekommen.

„Er muss zweifellos als ein Individualist charakterisiert werden, der es nie in unser kleines heimisches akademisches Milieu geschafft hat. Die vielen Beiträge, basierend auf der Doktorarbeit, führten jedoch zu Prinzipien für das, was wir kollidierende Strahlen nennen. Sie führten auch zum Synchrotron-Beschleuniger-Prinzip. Der kühne Vorschlag für das Beschleuniger-Konzept, für das er bei der Gründung von CERN eintrat, versetzte Europa in die Lage, sich an Big Science in der Teilchenphysik zu beteiligen. Später spielte er auch bei anderen großen Beschleuniger-Zentren in Europa eine wichtige Rolle, unter anderem bei DESY in Hamburg, wo man auch seine Ideen bezüglich kollidierender Strahlen nutzte.“98

In der wichtigen Zeit in den 1930er Jahren, als die Kernphysik Fahrt aufnahm, saß Rolf in Norwegen auf einem Zuschauerplatz. Zentrale Puzzleteilchen unseres modernen Weltbilds fanden ihren Platz und dem Menschen gelang es erstmals, mit den natureigenen Strahlen zu konkurrieren, erklärt Vaagen, der daran interessiert ist, dass aktuelle Problemstellungen in der Physik und Technologie von Akteuren vieler Länder geteilt werden. Dass ziemlich ähnliche Entdeckungen oft zeitgleich an mehreren Orten gemacht werden, musste Rolf mehrfach erfahren, und auch, dass andere womöglich mehr davon ernteten als er.

Aber wenig Anerkennung in der Heimat

Obwohl in den 1980er Jahren einige Physiker eine Offensive starteten und zumindest ein Interview mit Rolf organisierten, erreichte die Aufmerksamkeit in Norwegen nie das überschwängliche Lob des Auslands. In seinem 80. Lebensjahr, 1982, war Rolf zu einem Kongress in Regie der Association of Medical Physicists of India nach Indien und Sri Lanka eingeladen. Im März hielt er einen Vortrag auf einem Strahlen-Symposium in Saudi-Arabien. Im Frühjahr 1983 arrangierte die Hochschule, an der er unterrichtete, ihm zu Ehren unter dem ehrgeizigen Titel „Die Entwicklung der Teilchenbeschleuniger bisher und in der Zukunft“ ein großes Kolloquium, von dem die Aftenposten vorab in einer Notiz berichtete.99 Im selben Jahr wurde er auch Ehrenmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Strahlenbiologie und Strahlenphysik. Im Februar 1984 erschien ein großer Artikel über Rolf Widerøe in der europäischen Physik-Zeitschrift Europhysics News. Er fuhr nach Jerusalem, wo der neu gegründete Verband zur Radiumbehandlung von Krebs, ESTRO (European Society for Radiotherapy & Oncology), sein jährliches Treffen abhielt und Rolf zum Ehrenmitglied machte.100 Dem folgte ein Vortrag in Frankreich.

Über die Jahre hinweg wurden es viele Mitgliedschaften und Ehrenmitgliedschaften. Zusätzlich zu den bereits benannten sind dies in alphabetischer Reihenfolge: American Physical Society, American Radium Society, British Institute of Radiology, Deutsche Röntgengesellschaft (Ehrenmitglied), European Society of Physics, Naturforschende Gesellschaft Zürich, Norsk Fysisk Selskap, Norsk Radiologisk Forening, Schweizerische Physikalische Gesellschaft (Ehrenmitglied), Schweizerische Gesellschaft für Radiobiologie (Ehrenmitglied), Scandinavian Society for Medical Physics (Ehrenmitglied) sowie die Society of Nuclear Medicine.

Unterwegs rund um die Welt

Noch immer führte er ein Reisetagebuch, notierte Workshops, Vorträge, Tagungen, Konferenzen, Besprechungen, Meetings, Seminare, Kongresse, Interviews. Australien, Asien, Afrika, Amerika. Mit und ohne Ragnhild, oft mit, nachdem die Kinder groß waren. Die letzten Jahre immer mit. Und dann, rund um seinen Geburtstag im Juli, immer der feste Posten: Skjæløy mit der Familie. Nachdem sie beide pensioniert waren, kam zudem jedes Jahr im Februar/März eine Woche in Bruder Viggos Ferienhaus in Spanien dazu. All das ist weit entfernt von einem gewöhnlichen Rentnerdasein. Es ist weit entfernt von Pauschalreisen in den Süden. 1976 sechs Auslandsreisen, 1977 unter anderem drei Vorträge in Rio de Janeiro, 1978 mindestens drei Auslandsreisen, 1979 und 1980 jeweils mindestens vier, 1981 mindestens drei, unter anderem nach Kairo und Jerusalem.

Im Sommer 1985 verlängert er den Aufenthalt in Norwegen mit einigen Tagen im Gausdal Høyfjellshotell – einem Ort, an dem er oft Urlaub machte – und im Rondane Høyfjellshotell. Und so geht es in den nächsten Jahren weiter mit Autofahrten durch das sommerliche Norwegen. Er nimmt sich ein wenig mehr Zeit. Es gibt ein wenig mehr Urlaubsreisen mit Ragnhild. Zudem gern auch eine Extrareise nach Norwegen im Jahr, wenn er gebeten wird, einen Vortrag zu halten, zum Beispiel als die Universität Bergen schließlich zu einem Seminar mit dem Titel „Rolf Widerøe – Ein Pionier für Beschleuniger und Strahlentherapie“101 einlud, das vier Tage später auch im Haukeland-Krankenhaus stattfand. Jan Sigurd Vaagen, der Rolf anlässlich der beiden Seminare in Bergen vom Flughafen abholte, berichtet:

„Wie ich mich heute an die Geschichte erinnere, kam Widerøe am Abend auf Flesland an. Ragnhild war mit. Ich fuhr sie zum Grieg-Hotel gleich neben dem Flughafen. Dann aber sagte Widerøe, noch bevor wir ins Zimmer gekommen waren: 'Wie geht es meinem alten Freund Odd Dahl?' 'Er wohnt jetzt hier draußen', entgegnete ich, 'in Fana'. Daraufhin sagte Widerøe: 'Können wir ihn sofort anrufen?', und ich glaube, da war es bereits um acht. Also riefen wir Dahl an, und Widerøe sagte: 'Ist es möglich, dass ich zu Besuch komme?' 'Kommen Sie sofort!', sagte Odd Dahl. Und schon saßen wir wieder im Auto. Und dann kamen wir in das so feine, alte Bergenser Haus, und dort stand Odd Dahl und hieß mit Dry Martini auf dem bekannten Silbertablett Herrn und Frau Widerøe willkommen. Dann setzten sie sich und sprachen höflich in der Sie-Form miteinander, das machte man zu dieser Zeit so. Und dann sagte Widerøe nach einer Weile zu Dahl: 'Dahl, ich habe mit großer Begeisterung und ein wenig Verwunderung Ihr Buch Zauberer und Dauerbrenner gelesen.' 'Ja', sagte Dahl, 'das war eine spannende Zeit.' Da entgegnete Widerøe: 'Besonders aufgefallen ist mir diese Kanutour in den Anden, den Amazonas runter nach Manaus.' Eine Tour, die Dahl in den 1920er Jahren als junger Mann unternommen hatte. 'Ja, das war eine spannende Sache', meinte Dahl. 'Ja, das habe ich vor ein paar Jahren gemacht', parierte der 85-jährige Widerøe, der als sehr reifer Mann im Kanu auf dem Amazonas unterwegs gewesen war. Und diese Geschichte zeigt doch ein wenig vom 'Style' dieser Kerle.“

Ostern darauf sind Rolf und seine Frau mit dem Orientexpress unterwegs. Er ist mittlerweile 86 Jahre alt. Im Juni fliegt er mit einer Gruppe von Brown Boveri nach Stockholm und Västerås, um in Verbindung mit der Fusion der beiden Unternehmen ASEA zu besuchen. Im Juli steht wie üblich die Autoreise nach Norwegen an. Im Sommer darauf dasselbe. Ins Reisetagebuch schreibt er: „2810 km gefahren“. Er hatte Grund, stolz zu sein. Vorab finden sich Einträge wie: „Alfaz del Pi, Viggo“ im Februar. „Röntgen-Museum in Remscheid, Deutschland, 21.–22. April“. Dort bekam er die Plakette. „Autofahrt nach Norwegen 29. Juni. Gausdal Høyfjellshotell. Ankunft Skjæløy 17. Juli. 20. Juli Hamburg“. Und das im Alter von 87 Jahren.

Im nächsten Jahr – es ist 1990 – same procedure. Viggo im März, im Sommer mit dem Auto nach Norwegen und im September eine Tour in die Bretagne. Die offiziellen Auslandsaufträge sind weniger geworden, aber das Reisen geht weiter. 1991, im Februar, fährt er zur Diamantenen Hochzeit seines Freundes Kaare Backer nach Oslo. Im März/April zu Viggo nach Spanien. Vom 24. Juni bis 17. Juli mit dem Auto nach Norwegen. Rückfahrt über Hamburg, um alte Freunde und Kollegen zu besuchen sowie Pedro Waloschek zu treffen, der zu dieser Zeit die Idee hatte, Rolfs Biografie zu schreiben.

Es fehlt nur der Nobelpreis

Langsam wird der Physikwelt ernsthaft bewusst, dass die Geschichte dieses Mannes bewahrt werden muss, bevor es zu spät ist. Einer, der das ebenfalls erkennt, ist der norwegisch-amerikanische Physiker Per F. Dahl, der in den USA wohnhafte Sohn von Odd Dahl. In Verbindung mit einem internationalen Industrie-Symposium in New Orleans veröffentlicht er im März 1992 einen großen Artikel über Rolfs Beitrag zur Physikgeschichte. Der Artikel handelt vom großen Thema der Zeit, den Supraleitern, und obwohl es ein Fachartikel ist, scheint hindurch, dass Dahl jr. von seinem Vater nette Sachen über Rolf gehört hat. In einem einführenden Resümee zieht er eine direkte Verbindung von Rolf zu Lawrence:

„In diesem Jahr, 1992, feiert Rolf Widerøes Doktorarbeit ihr 65-jähriges Jubiläum. Darin beschreibt er nicht nur die operativen Prinzipien des Betatrons, sondern auch ein funktionsfähiges Modell des ersten Linearbeschleunigers, konstruiert nach seiner Zeichnung. Der Linearbeschleuniger, ein Resonanzbeschleuniger, lieferte Ernest Lawrence die Idee für sein Zyklotron.“102

Überhaupt lassen die Amerikaner Rolf in diesem Jahr viel Ehre zuteilwerden. Für seinen Einsatz in der Beschleuniger-Physik verleiht ihm The American Physical Society im April den Robert-Wilson-Preis.103 Im Juni ist Europa an der Reihe. Auf einer internationalen Beschleuniger-Konferenz in Hamburg ist ein Programmpunkt Rolf gewidmet, und er erlebt einen der stolzesten Augenblicke seiner Karriere. Dort, in diesem prestigeträchtigen Forum, fällt die Äußerung, die ihn in Zukunft begleiten wird. Vom Rednerpult aus wird er als Begründer des Teilchenbeschleunigers bezeichnet, „der Urvater“, der Urheber dieser Wissenschaft. Jetzt stand es fest. Von einem Nestor des Fachs bekanntgegeben und bestätigt. Vor Europäern und Amerikanern. Ausgesprochen und niedergeschrieben. Widerøe war der Pionier, der Kopf hinter der Entdeckung, die zur Revolution in der Strahlenbehandlung von Krebs führte und einen bedeutenden Beitrag zur Forschung in der Physik leistete. Der Norweger Rolf Widerøe war in der Wissenschaftsgeschichte platziert worden (Abb. 2.14).

Abb. 2.14
figure 14

(Foto © Pedro Waloschek)

Rolf Widerøe 90-jährig.

Zu Rolfs 90. Geburtstag erschien in der Aftenposten ein Artikel, verfasst von den beiden Initiatoren des Physiker-Interviews. Darin bezeichnen sie ihn als „den Mann, der daran beteiligt war, den Menschen die Werkzeuge zu geben, um nach Einsteins Rezept die Natur zu kontrollieren“, dessen Doktorarbeit „die weitere Entwicklung der Beschleuniger nahezu unmittelbar beeinflusst“ habe. Wie Vaagen mir erzählte, hat er Rolf die Kopie eines Artikels geschickt, den er in Verbindung mit der Verleihung des Wilson-Preises über ihn geschrieben hatte. Rolf machte eine Kopie von der Kopie und schickte sie als Dank zurück, an den Rand hatte er notiert: „Wir fliegen am 14. April nach Washington, wo ich am 21. April auf einem APS-Treffen einen Vortrag halten soll. Freundliche Grüße Ragnhild und Rolf.“

„Es handelte sich also um das Frühjahrstreffen der American Physical Society, des amerikanischen Physikerverbandes, und ich glaube, für Rolf war das eine große Sache. Nicht zuletzt, dass er auf einer so internationalen Physikerkonferenz innerhalb des akademischen Lagers sprechen durfte, gefiel ihm vermutlich.“

Rolf seinerseits scherzte über all die Auszeichnungen und sagte, nun fehle nur noch der Nobelpreis. Tief im Inneren empfand er wohl, dass sie auch verdient waren. Im Juni stehen Skjæløy und sein 90. Geburtstag an, mit einer Feier in einem Osloer Restaurant. Das große Jubeljahr endet im Dezember mit einem Sonderseminar ihm zu Ehren an der Hochschule in Zürich, wo er 20 Jahre lang Vorlesungen gehalten und die er vor ebenso vielen Jahren mit Rentenantritt verlassen hatte, offensichtlich aber keineswegs vergessen war. Danach beendet Rolf sein Reisetagebuch – nicht aber das Reisen, auch wenn es seltener wird. Die Aktivität ist ein wenig reduziert, das Gehör ein wenig schlechter. Die festen Touren, im Frühjahr zum Bruder und im Sommer in die alte Heimat, behält er jedoch bei.

Ansonsten sitzt er viel in seinem Stuhl beim Fenster. Unternimmt kleine Spaziergänge. Liest. Und liest. Im Herbst 1996, am 11. Oktober, stirbt er. Auf dem Friedhof in Kirchdorf, in unmittelbarer Nähe von Nussbaumen, der kleinen Ortschaft bei Baden ganz im Norden der Schweiz, wird er beerdigt. In dem Land, in dem er seit Herbst 1946 gelebt hatte, dessen Staatsbürger er jedoch nie wurde.

Im letzten Moment

Im Jahr darauf wurde in Erinnerung an ihn ein norwegischer Preis ins Leben gerufen, der Widerøe-Preis. Initiator war Tor Brustad vom Radiumhospital. Der Preis besteht aus einer Bronzestatue der Bildhauerin Nina Sundbye, die bereits Skulpturen anderer bekannter Norweger wie Henrik Ibsen und Per Aabel gefertigt hat. Der Preis sollte an Forscher vergeben werden, die große Bedeutung für die Entwicklung der Strahlenbehandlung bei Krebs haben und auf diese Weise das weiterführten, was Rolf begonnen hatte.

„Die Witwe von Sarepta“ ist der Name, den die Künstlerin der Widerøe-Statue gab. Die Symbolik ist klar: Wissenschaftliche Ergebnisse liefern Inspiration für Neues, wieder und wieder – ohne „erschöpft zu werden“, so wie auch der Topf der Witwe von Sarepta eine unendliche Quelle war, aus der man schöpfen konnte. Rolf hatte vor seinem Tod einen ersten Entwurf der Statue gesehen. Er war sehr schwach, weshalb seine Frau ihn im Bett aufrichtete und ihm das Bild zeigte. Zudem erzählte sie ihm, dass auch an der Idee einer Ausstellung gearbeitet würde. Er war nicht in der Lage zu sprechen, seiner Frau zufolge aber lief eine Träne seine Wange herunter. Am Tag darauf starb er.104

Erstmalig verliehen wurde der Preis an Professor Anders Brahme vom Karolinska-Krankenhaus in Stockholm. Überreicht wurde er vom damaligen norwegischen Gesundheitsminister Gudmund Hernes, der in seiner Rede, in Vertretung der Regierung, Rolf in der Wissenschaftsgeschichte platzierte. Der Direktor des Radiumhospitals, Jan Vincents Johannessen, sprach von der Bedeutung, die Rolfs Einsatz für das Krankenhaus gehabt habe, während der Direktor des DESY-Zentrums in Deutschland über Rolfs Einsatz für die Beschleuniger-Technologie referierte.105

In Verbindung mit dem 70-jährigen Bestehen des Radiumhospitals 2002 wurde, als Dank für seinen Beitrag im Kampf gegen Krebs, eine Büste von Rolf enthüllt. Sie war Teil der Ausstellung, die anlässlich des Jubiläums stattfand, ein „Mini-Museum“, das die Entwicklung der Strahlenbehandlung zeigt. Das geschah im letzten Moment. Zwei Jahre später wurde die Zusammenlegung des Radiumhospitals mit dem Rikshospital beschlossen, in das mehrere andere Einrichtungen bereits eingegliedert waren. Jetzt ging es nicht mehr darum, den Menschen nur die Geschichte der Krebsbehandlung zu präsentieren. Das neue Großkrankenhaus sollte sich als das wichtigste hochspezialisierte Krankenhaus des Landes profilieren, mit dem stärksten medizinischen und gesundheitsfachlichen Forschungsmilieu Norwegens. Daher ist es wenig glaubhaft, dass Norwegen alsbald irgendein Rolf-Widerøe-Monument bekommen hätte. Doch da hatte er bereits seinen Platz erhalten – dank eines Enthusiasten, des pensionierten Professors des Radiumhospitals, Tor Brustad, der Einfluss und Mut an den Tag gelegt hatte, sich für den Widerøe-Preis, die Ausstellung und die Büste zu engagieren.

Dasselbe Feuer

Für Waloscheks Biografie-Vorhaben fasste Rolf den eigenen fachlichen Einsatz zusammen. Als er sein Schaffen rückblickend betrachtete, stellte er fest, dass einzelne Sachen herausstachen. Als er sich jedoch mit ihnen beschäftigt hatte, war alles wichtig gewesen und hatte alles Freude gemacht.

„Als ich mich damals aber mit diesen Sachen beschäftigte, war mir ihre 'Wichtigkeit' gar nicht so bewußt, weil ich eigentlich an allem, was ich machte, sehr viel Freude hatte und mich auf alles auch immer sehr stark konzentrierte. So habe ich genauso begeistert Relais gebaut wie später Betatrons. Und wenn es sich um neue Ideen handelte, war ich immer besonders interessiert und motiviert.“106

Ganz oben auf der Liste stand – nicht unerwartet – die Doktorarbeit. Der Linearbeschleuniger, den er in Verbindung mit der Abhandlung gebaut und das Prinzip für das Betatron, das er an gleicher Stelle präsentiert hatte, stellten für ihn noch immer das Größte dar. Sie waren groß, als er 25 war und unermüdlich daran gearbeitet hatte. Und jetzt, so viel später, waren sie noch immer groß, vielleicht sogar größer. Damals sah er die Möglichkeiten, hatte den Glauben und die Vision. Jetzt sah er das Ergebnis. Und – und er sah die Möglichkeiten, die sich anderen boten, auf dem von ihm Geschaffenen aufzubauen.

Er war der Meinung, Glück gehabt zu haben. Es war nicht nur die Doktorarbeit an sich, sondern auch ihre Verbreitung, die Tatsache, dass sie wahrgenommen und weltweit gelesen wurde. Oder sehr einfach ausgedrückt: Es machte wenig Sinn, der Begründer der Beschleuniger-Technologie zu sein, wenn niemand davon erfuhr und die Erkenntnisse zu etwas verwendete. Seine Abhandlung war eine der meistzitierten Publikationen über Teilchenbeschleuniger, und zitiert zu werden galt damals wie heute für einen Forscher das beste Zeichen dafür, dass man von Bedeutung war. Zitat-Indizes werden heute in großen, internationalen Datenbanken verwaltet und sind ein zentraler Bestandteil des akademischen Kreditierungssystems.

Allerdings verfolgte ihn die Diskussion „Patente kontra Universitätspublikationen“, dass etwas entweder zum praktischen Nutzen in der Industrie oder eine wissenschaftliche Arbeit war. Dass manches gleichzeitig beides sein konnte, war schwer zu vermitteln. Er selbst hat eine Liste über „veröffentlichte wissenschaftliche Arbeiten“ erstellt, die insgesamt 205 Titel umfasst. Darin finden sich unter anderem der Artikel für die Zeitschrift des Physikverbandes darüber, inwieweit die Atomenergie technisch genutzt werden kann, sowie eine Vorlesung über die historische Entwicklung der Beschleuniger-Technologie. Als ehemaliger Verkaufsleiter von Brown Boveri hat er die Liste mehr aus dem Blickwinkel Verkauf und Marketing zusammengestellt als aus dem Blickwinkel eines Professors. Biograf Waloschek zufolge ist es anmaßend, alle als wissenschaftliche Artikel zu bezeichnen. Er hat die Liste auseinandergenommen und meint, dass viel davon entweder nicht wissenschaftlich oder kein Artikel ist oder nicht im sogenannten akademischen Sinne publiziert wurde. 60 der Titel charakterisierte er als Vortrag. Mit anderen Worten: Er hat die Liste komplett zerlegt, nicht weil es sich beim Inhalt nicht um wertvolle Beiträge handelt, sondern weil sie seiner Meinung nach nicht die Kriterien dessen erfüllen, was als wissenschaftliche Arbeit definiert werden kann. Waloschek, seinerseits selbst Doktor der Physik, unterstreicht, dass dies aber nichts an seiner Bewunderung für Rolf als Wissenschaftler geändert habe. Gleichzeitig fragt er sich, warum Rolf so daran interessiert war, als Wissenschaftler bezeichnet zu werden.

„Seine Artikel über Wissenschaft kann man an einer Hand abzählen, und die waren sehr gut. Er war ein Genie, aber ich glaube, norwegischen Physikern gefiel es nicht, dass dies als Wissenschaft bezeichnet wurde. Hätte er gesagt, dass er Erfinder sei, wäre das für sie vielleicht leichter zu akzeptieren gewesen“, sagt Pedro Waloschek und unterbricht sich selbst: „Nein, ich bin zu negativ. Das ist nicht meine Absicht; das will ich nicht sein. Aber er verdient es nicht, glorifiziert zu werden. Er verdient, dass man ihn so nimmt, wie er war. Eine sehr geniale, sehr intelligente Person, die große Dinge vollbracht hat.“

Inwieweit es auch andere Erklärungen dafür gab, dass Rolf in seinem Heimatland nicht gemocht wurde, ist für einen Ausländer womöglich schwerer zu beurteilen. Nach einigen Jahren der Zusammenarbeit bezüglich der Biografie war ihm jedoch klar, dass es unterschiedliche Auffassungen von diesem Norweger gab, der sich entschlossen hatte, in der Schweiz sesshaft zu werden:

„Er hatte noch immer viele Feinde. Viele Feinde, eine Menge Menschen, die etwas gegen ihn hatten. Ich habe ihn sehr geschätzt. Ansonsten hätte ich nicht so viel Energie auf ihn verwendet.“107

Ob von Rolfs Seite her in der Liste über die wissenschaftlichen Arbeiten auch ein gewisser Selbstbetrug lag oder ob PR-Gründe ausschlaggebend waren, ist schwer zu sagen. Sein Publikum hat er allerdings nicht berechnet – wenn als solches der Akademikerstand angedacht war. Für die Allgemeinheit oder potenzielle Kunden funktionierte die Liste hingegen gut. Für alle, die nur an einem Einblick in Rolfs Schaffen interessiert sind, ist sie nützlich. Obwohl er sich die Inflationsanalyse aus Studienzeiten bestenfalls hätte sparen können, die an erster Stelle thronte und nicht das Geringste mit Physik zu tun hatte.

„Wenigen ist es vergönnt, eine Doktorarbeit mit solchen Auswirkungen zu verfassen“, hatte Jan Sigurd Vaagen anlässlich Rolfs 90. Geburtstag in der Bergens Tidende geschrieben.108 Und man braucht Physik nicht zu verstehen, um zu begreifen, wie in einer endlos langen Reihe eine Entdeckung auf der vorhergehenden aufbaut. Im Nachhinein ist es einfacher, einen Blick für die Bedeutung jedes einzelnen Gliedes der Kette zu bekommen. Rolf selbst kommentierte den Beschleuniger mit der kreisförmigen Bahn so:

„Die gebogene Driftstrecke ergab zuerst das Zyklotron von Lawrence und später die Beschleunigungsstrecke des Synchrotrons. Letzteres erscheint mir jetzt viel wichtiger, weil das Synchrotron die Grundlage für die Speicherringe bildete. Und hier bin ich auch besonders stolz auf meine Beiträge zur Entdeckung stabiler Teilchenbahnen im Synchrotron.

Die fast gleichzeitig zum Zyklotron stattgefundene Entwicklung der Driftröhre (…) ist aber sicher auch sehr interessant. Und alles hat 1927 mit der ersten Driftröhre in Aachen begonnen.“109

Selbstbewusst. Er stellt sein Licht nicht unter den Scheffel. Angeberisch? Tja, eigentlich nicht. Konstatiert, wie es ist, wobei er es sagt, wie es sich seiner Meinung nach verhält. Geradeheraus, ohne Schnickschnack. An der Grenze zur Treuherzigkeit eines Kindes. Einige nennen das naiv. Aber nicht in der Bedeutung von hilflos, unwissend. Nicht weil er es nicht wusste. Nein. Zuverlässig, direkt.

Das Patent, über das er nicht sprach

Die Großtat, die Rolf auf dem zweiten Platz aufgeführt hatte, ist das Patent, über das er nicht sonderlich viel sprach, erst, nachdem zehn Jahre vergangen waren. Eine Theorie, die er vor sich „sah“, damals im Urlaub, als er rücklings auf dem Rasen vor dem Hotel in der Telemark lag und den kollidierenden Wolken zuschaute. Es handelte sich um das, was international mit dem englischen Ausdruck storage rings bezeichnet wird und in norwegischen und deutschen Physikbüchern mit „Speicherringe“ übersetzt ist. Die Erfindung war „wahrscheinlich äußerst wichtig“, wie er es mit schlecht verborgenem Understatement ausdrückte, er entschied sich jedoch, sie recht lange geheim zu halten, was er wie folgt erklärte:

„Mein Patent mit der Erfindung der Speicherringe aus dem Jahr 1943 war wohl sehr wichtig, wurde aber zehn Jahre lang geheim gehalten. Da ich selbst damals auch keine praktischen Anwendungen dafür sah (weil es noch viel zu viele ungelöste technische Probleme gab), habe ich auch nicht viel darüber gesprochen. Erst 1956, auf der Beschleunigerkonferenz in Genf, habe ich meine Vorschläge wieder öffentlich verteidigt, nachdem Gerry O'Neill das Prinzip wiederentdeckt hatte. Dann haben aber andere die Weiterentwicklung übernommen. Ichselbst war ja mit dem Bau von Betatrons bei BBC voll beschäftigt. Ich freue mich also sehr darüber, dreizehn Jahre vor meinen Kollegen die richtige Idee gehabt zu haben, kann ihnen aber nicht übel nehmen, wenn sie mich manchmal vergessen, weil sie ja dann jahrelang daran gearbeitet und entwickelt haben. Es wurden viele sehr schöne Speicherringe gebaut, während ich mich um andere Probleme kümmerte.“110

An anderer Stelle benennt er den Grund dafür, dass alle 13 Patente zwischen dem 14. Juli und 4. Oktober 1943 in Deutschland angemeldet wurden, damit, dass „Siemens verstärkt in diesem Bereich gearbeitet hat und ich mir deshalb unter allen Umständen die deutsche Priorität sichern wollte“.111

Aber ob das Glück im Unglück, eine Rationalisierung in eigener Sache oder eine Ausrede für andere war – oder ob es sich schlicht und einfach um das Zusammentreffen vieler Umstände handelte, so herrschte objektiv betrachtet Krieg. Die Erfindung unterlag der Zensur. Formal angemeldet wurde das Patent am 8. September 1943 in Deutschland. Ausgestellt wurde es am 11. Mai 1953. Zugehörig Rolf Widerøe, mit Brown Boveri & Cie. in Klammern. Das Thema waren Speicherringe.

Nummer drei auf seiner privaten Rangliste waren die Relais. Auch diese beschreibt er ohne große Emotionen und mit wenigen Worten, aber keineswegs bescheiden:

„Meine Beiträge waren da sicher recht gut, und ich glaube, daß meine Relais auch sehr brauchbar waren. Dies wird wohl kein großes Interesse bei den Teilchenphysikern und bei den Ärzten finden, aber es waren doch auch kreative Leistungen, auf die ich recht stolz bin.“112

Als Nummer vier listete er die Arbeit bezüglich der Wirkung der Strahlenbehandlung auf Krebskranke auf:

„Das Interesse für die Strahlentherapie war eine logische Fortführung des Krieges, den wir mit unserer neuen Waffe, den Megavoltstrahlen, gegen die Krebszellen führten. Die Patienten brauchten die benötigte Hilfe, und ich war mit großem Enthusiasmus bei der Sache.“

Die erste Liebe

Aber obwohl er in vielen Bereichen aktiv war und sich auf ständig neuen Gebieten als Pionier tummelte, ließ er den Teilchenbeschleuniger nie ganz fallen. Das war die erste Liebe, und die blieb besonders, unabhängig davon, was danach passierte. Er hatte nie aufgehört, Physik-Zeitschriften zu lesen, und versucht, dem aktuellen Geschehen zu folgen. Von dem spannenden Geschehen in den USA zum Beispiel hatte er bereits gehört, als er vor dem Krieg in Berlin bei AEG angestellt war:

„Während des Krieges war die Situation selbstverständlich viel schwerer, aber gegen Ende der 1940er Jahre entstand ein vollkommen neuer wissenschaftlicher Geist. Die Kommunikation zwischen Forschern war etwas, das erwünscht war und willkommen geheißen wurde. Reisen, so viel man wollte, gegenseitige Besuche und internationale Konferenzen bedeuteten, dass die Leute fast alles erfuhren, was sich in ihrem Feld tat. Die meisten Teilnehmer kannte man sogar persönlich. (…) Heute ist es wichtig, sich in vielen Bereichen der Forschung auf dem Laufenden zu halten, wenn man nur genug Zeit zum Lesen – und gute Freunde hat. Auch nachdem ich Rentner wurde, konnte ich es nicht unterlassen, grundlegende Probleme innerhalb der Teilchenbeschleunigung zu studieren. Nur durch Experimente mit noch höheren Energien werden wir in der Lage sein, uns neue Kenntnisse anzueignen, die uns letztlich zu einer umfassenden Theorie über die Struktur in allen Arten von Materie führen können.“

Er stellte fest: Nach erfolgreichen Runden mit Zyklotronen, Synchrotronen und storage rings ist man zurück am Anfang, beim Linearbeschleuniger. Die Experten waren sich einig, dass die Donut-förmigen Röhren jetzt nicht mehr größer werden würden. Stattdessen würden wieder geradlinige Beschleuniger gebaut werden. Die Gründe dafür waren sowohl fachlicher als auch finanzieller Natur, Rolf aber hatte seine eigene Auffassung von der Ursache, und seiner Meinung nach sollten sich die Forscher nicht von trivialen Umständen abschrecken lassen:

„Ganz anders ist es bei den Ideen. Hier sind die Grenzen eigentlich nur vom Geist des Menschen selbst gesetzt. Die theoretischen Möglichkeiten bei der Beschleunigung von Teilchen mit elektromagnetischen

Mitteln (…) sind noch lange nicht ausgeschöpft, und die Technik überrascht uns fast täglich mit Innovationen, die dann wieder neue Gedankengänge erlauben. Obwohl viele der Ideen der letzten Jahrzehnte wieder verworfen wurden, ist es doch prinzipiell möglich, daß es noch einig fundamentale Durchbrüche auf diesem Gebiet gibt, die es dann erlauben, zu heute unvorstellbaren Energien vorzudringen. Auch das, was heute gebaut wird, erschien uns ja vor 50 Jahren vollständig utopisch.“113

Das Unmögliche

Man darf nie aufhören, an die Zukunft zu glauben, egal wie wenig wahrscheinlich etwas wirken mag. So lautete die Botschaft des 90-Jährigen, der auf 70 Forscherjahre zurückblickte. Als Beispiel dafür, dass „das Unmögliche“ realisierbar sein kann, nannte er den Russen Wladimir Weksler, der an Synchrotronen forschte und auf einer Konferenz 1956 in Genf eine merkwürdige Idee vorstellte, die Rolf beeindruckte. Es ging darum, wie man mit einer neuen Methode namens coherent acceleration hohe Energie erreichen könne. Jedoch war Rolf der Meinung, dass irgendetwas an dem von Weksler Gesagten nicht stimmen könne. Das Problem ließ ihn nicht los. 20 Jahre später fasste er schriftlich zusammen, worauf er bis dahin gekommen war, und obwohl sich vieles geklärt hatte, fand er noch immer, dass die Berechnungen unrealistisch wirkten.

Dann, erneut 20 Jahre später – und da ist Rolf 90 Jahre alt – wird er über die Pläne für den Bau neuer Beschleuniger informiert. Seine Methode mit storage rings hatte mittlerweile ihre Grenzen erreicht, und mit einer neuen Methode sollten nun höhere Kollisionsenergien erreicht werden, denn die Nachwelt hatte das Problem bei der Weksler-Theorie identifiziert und gelöst. Und zur Freude des alten Herrn: Einiges davon hatte Rolf bereits bei der Erfindung des Prinzips der storage rings im Sinn gehabt. Die Lehre daraus: Wenn man nur glaubt, dass etwas faktisch möglich ist, dann wird es das vielleicht irgendwann sein. Allein wenn die Wissenschaft die nächste Lösung findet und die darauffolgende und so weiter, erhält man neue Voraussetzungen, die wiederum dazu führen, dass man selbst auch andere Lösungen findet als jene, die man sieht, während man daran arbeitet. Auf jeden Fall dürfe man sich anfangs keine Begrenzungen setzen, sagt er und wird stellvertretend für die Physik philosophisch:

„Wie kompliziert und utopisch es uns auch heute erscheinen mag, für die Physik wäre es sicher interessant, Protonen mit 1000 TeV zur Verfügung zu haben. Es handelt sich um Energien, die heute nur in der Höhenstrahlung gefunden werden – und dies außerdem noch recht selten. (…) Man könnte die Beschleunigerbauer, die sich solche Sachen ausdenken, für verrückt halten, wenn man nicht selbst die Entwicklung der letzten Jahre verfolgt hätte.“114

Dann verwendet er ein Beispiel, das zur Zeit der Aussage, Anfang der 90er Jahre, passend war, nämlich die CD, der Träger mit dem „perfekten“ Ton, der als das ultimative physische Format erschien und dem Knacken und Rauschen beim Musikhören ein Ende bereitete. Eine bahnbrechende Technologie mit ihren fast 100.000 Messpunkten für Töne, die alles überstiegen, was das menschliche Ohr aufnehmen kann:

„Die Genauigkeit, die jetzt in der Produktion von Millionen von CDs zum Einsatz kommt, hätte vor einigen Jahren keine technisch ausgebildete Person für möglich gehalten. Deshalb: Man darf nie den Mut verlieren und für ambitionierte Ziele weiterhin kämpfen, auch wenn sie einem als absolut unerreichbar erscheinen.“

„Tun Sie das Unmögliche!“, lautet in all ihrer Einfachheit die inständige Aufforderung des alten Mannes. Eine Aufforderung an der Grenze zur banalen Wahrheit. Aufrichtig und mit enormer Glaubwürdigkeit geäußert. Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass er es so meinte. Keiner, der Rolf kannte, würde auf den Gedanken kommen zu fragen, ob dieser Mann lebte, was er lehrte. Sich nach dem Unmöglichen strecken. Kämpfen. Glauben. Trotz allem.

***

Das war es, was er an dem Tag im August 1946 tat, als er Frau und Kinder im Auto platzierte und sich hinaus in ein neues Dasein, in ein neues Land begab. Als er entschied, dass Vergangenheit Vergangenheit war, Krieg Krieg. Jetzt war er vorüber. Jetzt sollte eine neue Zeit anbrechen. In einer neuen Welt. Die wartete. Auf speziell seinen Einsatz.

Anmerkungen

  1. 1.

    Physiker-Interview (S. 84 der offiziellen Abschrift von Rolfs handschriftlichen Korrekturen).

  2. 2.

    „Some Memories and Dreams from the Childhood of Particle Accelerators“. Vortrag, gehalten auf der fünften nordischen Sitzung für Physiker am 12. Januar 1983 in Geilo. Das Manuskript ist auf den 3. Dezember 1982 datiert und wurde wahrscheinlich vorab eingesandt. Rolf hat davon auch im Physiker-Interview am 12. Juli 1983 in Oslo berichtet.

  3. 3.

    Gespräch in Verbindung mit diesem Buch.

  4. 4.

    Odd Dahl, S. 153.

  5. 5.

    Odd Dahl, S. 154.

  6. 6.

    Odd Dahl, S. 163.

  7. 7.

    Odd Dahl, S. 164.

  8. 8.

    Interview in Verbindung mit diesem Buch.

  9. 9.

    Biografie, S. 120–121 und Physiker-Interview.

  10. 10.

    „Historical development of the betatron“, Nature (London) 157 (1946):90, 1946.

  11. 11.

    6 MeV und 15 MeV, basierend auf Max Steenbecks Ideen.

  12. 12.

    Biografie.

  13. 13.

    Biografie.

  14. 14.

    Physiker-Interview.

  15. 15.

    Physiker-Interview.

  16. 16.

    Edwin M. McMillan, The Synchrotron – A Proposed High Energy Particle Accelerator, Phys. Rev. 68, 143.

  17. 17.

    Physiker-Interview.

  18. 18.

    „Das Synchrotron und das starke Fokussierungsprinzip für Beschleuniger“. Nicholas Christofilos patentierte die Idee 1950.

  19. 19.

    Professor Giorgio Salvani und Ingenieur Fernando Amman.

  20. 20.

    INFN – Laboratori Nazionali di Frascati, Italien.

  21. 21.

    Biografie.

  22. 22.

    Rolfs Kontakte am Institut für Physik an der Universität in Turin waren der aus Russland stammende Chef Professor Gleb Wataghin, der lange Zeit auch in Brasilien gearbeitet hatte, und Professor L. Conella.

  23. 23.

    Der Italiener L. Gonella und Dr. H. Nabholz von Brown Boveri.

  24. 24.

    Physiker-Interview.

  25. 25.

    Interview in Verbindung mit diesem Buch.

  26. 26.

    Werner Schumacher, Hans Rudolf Schinz, Adolf Zuppinger.

  27. 27.

    Biografie. Andere Quellen sagen ca. 300. Von 1949 bis 1986 war Rolf bei Brown Boveri für die Entwicklung und Konstruktion von 78 Betatronen verantwortlich, alle für den jeweiligen Kunden maßgeschneidert und von ihm selbst installiert und montiert. Hinzu kamen 15 sogenannte magnetische Linsen. Im Zeitraum von 1949 bis 1986 verkaufte Brown Boveri 11 Betatrone von 31 MeV zum Einsatz in Industrie und Forschung sowie sechs mit einer Energie zwischen 31 und 35 MeV zum Einsatz in der Medizin, u. a. das erste ans Radiumhospital in Oslo. Vom beweglichen Betatron-Typ (dem Asklepitron) verkauften sie insgesamt 38 mit einer Energie von 35 MeV und 23 mit einer Energie von 45 MeV. Zudem wurden 15 Betatrone mit sogenannten magnetischen Linsen verkauft.

  28. 28.

    Kopien sämtlicher Patente befinden sich u. a. in der ETH-Bibliothek an der Hochschule in Zürich, in der Bibliothek des Deutschen Museums in München sowie im „Mini-Museum“ im Radiumhospital in Oslo.

  29. 29.

    Die Raumfahrtorganisation ESA (European Space Agency), das Molekularbiologie-Labor EMBL (European Molecular Biology Laboratory), die Synchrotron-Strahlenanlage ESRF (European Synchrotron Radiation Facility) und JET (Joint European Torus).

  30. 30.

    Biografie, S. 132.

  31. 31.

    Biografie, S. 136; Dahl, S. 191.

  32. 32.

    Odd Dahl.

  33. 33.

    Professor Egil Lillestøl, CERN/Universität Bergen für forskning.no.

  34. 34.

    D. W. Fry, Hannes Alfven und F. Regenstreif.

  35. 35.

    Odd Dahl.

  36. 36.

    „Festskrift til Odd Dahl i anledning hans fylte 70 år 3. november 1968“, A.S. John Griegs Boktrykkeri, Bergen 1968.

  37. 37.

    „How US physicists first came to work at CERN“, CERN Courier, 22. März 2002.

  38. 38.

    Er erwähnt u. a. Ernest Courant, Hartland Snyder, Stanley Livingston.

  39. 39.

    Egil Lillestøls Nachruf auf Kjell Johnsen, Aftenposten 10. August 2007.

  40. 40.

    Nicholas Christofilos.

  41. 41.

    Biografie, S. 133.

  42. 42.

    Ernest Courant: „Brookhaven and CERN: the AGS and the PS“, CERN Courier, 19. Oktober 2007.

  43. 43.

    Interview in Verbindung mit diesem Buch, 3. November 2007.

  44. 44.

    John und Hildred Blewett.

  45. 45.

    Biografie, S. 132.

  46. 46.

    The Alternating Gradient Synchrotron (AGS).

  47. 47.

    Das sogenannte strong focusing alternating gradient synchrotron zu bauen, wie die Amerikaner es vorgeschlagen hatten.

  48. 48.

    Günther Plass.

  49. 49.

    „CERN's heart beats as strong as ever. 50 years of CERN“, CERN Courier, 27. Januar 2004.

  50. 50.

    Biografie, S. 127, S. 135.

  51. 51.

    Fraser, Gordon: „How US physicists first came to work at CERN“, CERN Courier, CERN-US collaboration, Artikel 12 von 20.

  52. 52.

    Odd Dahl

  53. 53.

    Lang, Norbert: „Rolf Wideröe und das Betatron“, Physik Anekdoten (13), Communications de la SSP NO. 35, S. 23–25.

  54. 54.

    Die W- und Z-Partikel wurden von Carlo Rubbia und Simon van der Meer entdeckt. Egil Lillestøl in seinem Nachruf auf Kjell Johnsen, der Leiter des ISR-Projekts bei CERN gewesen war. Aftenposten 10. August 2007.

  55. 55.

    Nützlich war die PS-Maschine auch, als sie ein „antiproton decelerator“ wurde, der die LEAR-Maschine (Low Energy Antiproton Ring) bediente. Noch immer versorgt sie den Nachfolger von LEAR, AD (Antiproton Decelerator), mit „high-intensity primary proton beam“.

  56. 56.

    Large Electron-Positron Collider.

  57. 57.

    „CERN's heart beats as strong as ever“, CERN Courier, 27. Januar 2004.

  58. 58.

    Biografie, S. 139.

  59. 59.

    Large Hadron Collider.

  60. 60.

    Aftenposten 3. Oktober 2010.

  61. 61.

    Biografie, S. 136.

  62. 62.

    Wolfgang Gentner wurde 1956 Direktor des Synchrocyclotron Department bei CERN. Zuvor hatte er sowohl in Heidelberg als auch bei Lawrence in Berkeley und bei Joliot in Paris mit Zyklotronen gearbeitet. 1958 wurde er Direktor des neuen Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg. Auch Anselm Citron war zuerst bei CERN und übernahm später die Direktorenstelle von Gentner in Heidelberg. Zitat aus der Biografie, S. 135.

  63. 63.

    Biografie, S. 130.

  64. 64.

    Biografie, S. 137.

  65. 65.

    Illustrert Vitenskap Nr. 3, 2012.

  66. 66.

    Apollon Nr. 3, 2007.

  67. 67.

    Interview in Verbindung mit diesem Buch.

  68. 68.

    Erstellt vom Engländer Tim Berners-Lee, war die weltweit erste Webseite am 6. August 1991 online.

  69. 69.

    „CERN fyller 50“, forskning.no, 6. Oktober 2004.

  70. 70.

    Dr. Werner Hardt.

  71. 71.

    Chef der Beschleuniger-Division war Professor Gustav-Adolf Voss. Direktor des Zentrums war Professor Willibald Jentschke.

  72. 72.

    HERA steht für Hadron-Elektron-Ring-Anlegg (Hadron-Elektronen-Ring-Anlage).

  73. 73.

    Gustav-Adolf Voss.

  74. 74.

    Biografie, S. 156.

  75. 75.

    Gespräch in Verbindung mit diesem Buch, 10. Juni 2010.

  76. 76.

    „Makt er ikke rett. Storindustrielle forhold under okkupasjonen. Av direktør Alex Christiansens etterlatte arbeid om hans kamp for sannhet og rett.“ (Macht ist kein Recht. Großindustrielle Verhältnisse während der Besatzung. Aus Direktor Alex Christiansens hinterlassener Arbeit über seinen Kampf für Wahrheit und Recht.) Das Material wurde einem von Christiansens Sekretären, Alexander Lange, überlassen, der dafür sorgte, dass es in der Zeitung Folk og Land gedruckt wurde: Samstag, 28. Juni 1958; Samstag, 12. Juli; Samstag, 26. Juli; Samstag, 9. August; Samstag, 15. November 1958.

  77. 77.

    Folk og Land, Samstag, 12. Juli 1958.

  78. 78.

    Folk og Land, Samstag, 15. November 1958.

  79. 79.

    Egil Reksten starb, bevor dieses Buch fertig war. Das Gespräch wurde auf Band aufgezeichnet und wortgetreu wiedergegeben.

  80. 80.

    Interview in Verbindung mit diesem Buch.

  81. 81.

    Neben dem Artikel von Tor Brustad in derselben Ausgabe verweist er auf den Schweden Anders Brahme: „Aspects on the Development of Radiation Therapy and Radiation Biology Since the Early Work of Rolf Wideröe“, Acta Oncologica 1998, Vol. 37, Nr. 6, S. 593–602.

  82. 82.

    Gespräch in Verbindung mit diesem Buch.

  83. 83.

    Hans Rudolf Schinz.

  84. 84.

    Dr. Selmer Rennæs.

  85. 85.

    Livingston, M. S.: „The Development of High-Energy-Accelerators“, kommentierte Nachdrucke oder Übersetzungen von Originaldokumenten, Dover Publish. Inc. New York 1966.

  86. 86.

    Der Röntgenpreis der Stadt Würzburg und der Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft Würzburg.

  87. 87.

    Biografie, S. 63.

  88. 88.

    Professor Tor Brustad im Gespräch in Verbindung mit diesem Buch. Die von der Ausstellung gemachten Fotos zeigen Brustad zufolge: „Fotos Nr. 1, 2, und 3 von links nach rechts: Max Planck, Marie und Pierre Curie, Röntgen, Becquerel, Rutherford, Widerøe, Walton, Slepian und (unter Rutherford) Iréne und Frederic Joliot-Curie. Bild Nr. 4 zeigt Widerøes erste Betatron-Skizze von 1923 (mit seinen handschriftlichen Anmerkungen auf Norwegisch). Gezeigt wurden auch seine originalen Notizbücher aus Aachen aus der Zeit von 1926 bis 1928 und seine Doktorarbeit von 1927. Bild Nr. 5 zeigt Slepian, Widerøe, Isings Vorschlag für das Linac-Prinzip, Szilard und Walton.“

  89. 89.

    Interview mit Dr. Paul Forman, Curator of Modern Physics, The National Museum of History and Technology, Smithsonian Institution, Washington D. C., in Verbindung mit diesem Buch vom 15. Juni 2007.

  90. 90.

    Der Vortrag „Some Memories and Dreams from the Childhood of Particle Accelerators“ wurde am 12. Januar 1983 gehalten und später abgedruckt in Europhysics News, 15, 911 (1984).

  91. 91.

    Beide kommen von der Universität Bergen. Aaserud ist Physiker und Wissenschaftshistoriker und nunmehr Leiter des Niels-Bohr-Archivs in Kopenhagen. Vaagen ist Physik-Professor an der Universität Bergen.

  92. 92.

    Das Interview wurde in Regie des Untersuchungsinstituts von NAVF, dem heutigen Nordischen Institut für Studien von Forschung, Innovation und Ausbildung, durchgeführt. Organisator war Institutsleiter Hans Skoie. Neben den Initiatoren waren anwesend: Olav Netteland vom Radiumhospital, Staatsstipendiat Olav Aspelund und Gunnar Thoresen, erster Kustos des Technischen Museums.

  93. 93.

    Eidgenössische Technische Hochschule (ETH).

  94. 94.

    Die Zeitschrift Naturen, Nr. 5–6, 1983. Die Abschrift des Bandes ist auf den 14. März 1984 datiert.

  95. 95.

    Interview in Verbindung mit diesem Buch, 19. Dezember 2006.

  96. 96.

    Interview in Verbindung mit diesem Buch.

  97. 97.

    Vaagen, Jan Sigurd: „FFV gratulerer“, Artikel in Fra Fysikkens Verden in Verbindung mit der Vergabe des Wilson-Preises 1992.

  98. 98.

    Gespräch in Verbindung mit diesem Buch.

  99. 99.

    26. April 1983.

  100. 100.

    The European Society for Therapeutic Radiology and Oncology.

  101. 101.

    23. Oktober 1987. Einführung: Prorektor Ole Didrik Lærum; Roald Tangen, Universität Oslo: „Et tilbakeblikk på tidligere norske akseleratorinstallasjoner for kjernefysikk og medisin“ (Ein Rückblick auf frühere norwegische Beschleuniger-Installationen für Kernphysik und Medizin); Tor Brustad, Radiumhospital: „Mikroskopiske studier av kreftutvikling i levende vev“ (Mikroskopische Studien zur Krebsentwicklung in lebendem Gewebe); Jan S. Vaagen, Universität Bergen: „Rolf Widerøe – Den første akseleratordesigner“ (Rolf Widerøe – der erste Beschleuniger-Designer); Helmer Dahl, Chr. Michelsen Institute: „Refleksjoner over forholdet mellom teknologi og grunnvitenskap“ (Reflexionen über das Verhältnis zwischen Technologie und Grundwissenschaft); Rolf Widerøe, Brown Boveri & Cie, Baden, Sveits: „Perspektiver“ (Perspektiven).

  102. 102.

    Dahl, P. F.: „Rolf Wideroe: Progenitor of Particle Accelerators“, SSC-Report SSCL-SR-1186, 10 Seiten (1992).

  103. 103.

    The Robert Wilson Prize for Achievement in the Physics of Particle Accelerators.

  104. 104.

    Tor Brustad sorgte dafür, dass Rolfs Frau das Foto bekam, und sie erzählte ihm später von der Reaktion. Von der Episode hat Brustad in einem Gespräch in Verbindung mit diesem Buch am 10. November 2008 berichtet.

  105. 105.

    „The First Scandinavian Symposium on Radiation Oncology. Seminar in memory of professor dr. ing. Rolf Wideøe.“ Baroniet Rosendal, 24.–28. Mai 1997. Gehalten wurden u. a. folgende Vorträge: Gudmund Hernes, ehemaliger Kirchen-, Bildungs- und Forschungsminister: „A tribute to Rolf Widerøe from The Norwegian Government“ und „Presentation of 'The Rolf Widerøe Award'“. Tor Brustad: „Rolf Widerøe, a great, but overlooked, scientist“. B. H. Wiik: „Rolf Widerøe, the founder of the science of accelerator technology“. Jan V. Johannessen: „Rolf Widerøe and the Norwegian Hospital“. Anders Brahme: „The Widerøe Lecture“. Drei der Vorträge wurden publiziert in: Acta Ocologica 1998, S. 37, Scandinavian University Press 1998. ISSN 0284-186X: Tor Brustad: „Why is the Originator of The Science of Particle Accelerators so Neglected, Particularly in his Home Country?“ (gekürzte Version ohne Fußnoten); Anders Brahme: „Aspects of the Development of Radiation Therapy and Radiation Biology Since the Early Work of Rolf Wideröe“; B. H. Wiik: „Rolf Wideröe and the Development of Particle Accelerators“.

  106. 106.

    Biografie, S. 155.

  107. 107.

    Gespräch in Verbindung mit diesem Buch, April 2007.

  108. 108.

    Vaagen, Jan Sigurd: „Kort reise i Rolf Widerøes fotspor“ (Kurze Reise auf den Fußspuren Rolf Widerøes), Bergens Tidende, 11. Juli 1992.

  109. 109.

    Biografie, S. 155–156.

  110. 110.

    Biografie, S. 156.

  111. 111.

    Brief an Fredrik Møller, 20. September 1945.

  112. 112.

    Biografie, S. 156.

  113. 113.

    Biografie, S. 159.

  114. 114.

    Biografie, S. 162.