Zuerst aber einen Besuch beim weimarischen Olympier Goethe als dem Gegenspieler Newtons: Es ging zwischen den beiden, wie immer sie keine Zeitgenossen waren, stets um das Licht als ein – auf jeden Fall in Goethes Denken – zentrales, göttliches Element. Beginnen wir angemessen, also mit dem Alten Testament. Zum biblischen Apokalypse-Diskurs gehört, ein konstituierender Bestandteil, die Vorstellung, dass, am Ende aller Tage, sich Sonne und Mond verfinstern werden, sodass endlich das neue, alles Bisherige übertreffende Licht der letzten Gerechtigkeit zu erstrahlen vermag. Eine verwandte Vorstellung vom apokalyptischen Ende allen Lebens, sein Erlöschen ins Anorganische hinein, las seinerseits Blumenberg, wie bereits zitiert, aus den Variationen Kafkas zum Schicksal des mythischen Feuer- und Lichtbringers Prometheus heraus. Schrecken allüberall. „Die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe dann der grosse und schreckliche Tag des Herrn kommt“, so steht es in der Bibel.Footnote 1 In der überirdischen Lux-Leistung dieses letzten Tages wird für den endlich eingetroffenen Messias, der, wie bekannt, auf Griechisch den Namenstitel Christos trägt, in vollkommener Klarheit erkennbar werden, wer als Bewohner des neuen Jerusalem gelten darf, und wer nicht: „Und die Stadt bedarf keiner Sonne noch des Mondes, dass sie ihr scheinen; denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm.“Footnote 2 In diesem ultimativ göttlichen Licht (einer sich agonal ausweitenden, in ungeheurer Ausdehnung entropieartig erlöschenden Sonne gleich, wie die moderne Physik sie für das Ende unseres Universums erwogen hat), steht mithin ein Denkbild vor uns, das als gemeinsames für die jüdisch-religiöse, wie für die christlich-naturwissenschaftliche Vorstellungswelt reklamiert – und mithin wohl als eines verstanden werden kann, das dem assimilierten, mit Einsteins Theorien vertrauten Juden, der Franz Kafka gewesen ist, nicht wirklich fern gestanden haben kann? Was dennoch nicht heissen kann, dass in Kafka ein Autor erblickt werden soll, dessen Schreiben sich vor allem aus jüdisch-religiösem Gedankengut gespeist hätte, womöglich noch in einer so mystischen Intensität, dass sie ihn just immer an jüdischen Feiertagen zur Intensivierung seiner Literaturproduktion veranlasst hätte. Eher das Gegenteil trifft zu. Es ist bereits bemerkt worden, dass das zur Rede stehende, strahlende Licht auch mit einer derart profanen Erscheinung wie dem (allerdings ebenfalls strahlenden!) Weiss jenes Schimmels assoziiert erscheinen konnte, das Kafka blendete, als er sich einen Film über den Anti-Napoleon-Kämpfer Theodor Karl Körner anschaute.Footnote 3 Mithin: Elemente eines zeitgenössischen Diskurses, anstelle überzeitlicher Einflüsse eines „ewigen Mythos“ – wobei beides aber dennoch, sogar als ein Regelfall, miteinander zu korrespondieren vermag, siehe die physikalische Vorstellung der sich final ausdehnenden Sonne im metaphorischen Zusammenspiel mit der zitierten Bildwelt der jüdisch-biblischen Apokalypse. Hinzu kommt in unserem Zusammenhang noch die besondere Bedeutung, die Goethe für Franz Kafka besessen hat. Sie muss uns einen Exkurs wert sein, – zumal sie uns zu Newton als einen „Vorgänger“ Einsteins hinführt, um von hier aus zu Kafkas „Blutsbruder“ Heinrich von Kleist und dem Mesmerismus seiner Zeit zu gelangen.

1 Goethes Licht-Emphase

Sieht man einmal von Heinrich von Kleist, Gustav Flaubert, Franz Grillparzer, Søren Kierkegaard und dem Lebensfreund Max Brod ab, kann man getrost formulieren: Kein anderer Schriftsteller hat so viel Einfluss auf Franz Kafka ausgeübt, wie der deutsche Klassiker Johann Wolfgang von Goethe. Über die eminente Rolle des Weimaraners herrscht Einigkeit in der Sekundärliteratur. Goethe wiederum hat das Licht und die Helligkeit verherrlicht wie sonst nur wenige, hat mithin verklärt, was dann der frühe Einstein zum zentralen Gegenstand seiner bahnbrechenden Studien machen wird. Freilich gibt es bei dem Olympier, jedenfalls soweit ich sehen kann, nirgendwo jene Verbindung zwischen Helligkeit und Gerechtigkeit, die, am Beispiel Kafkas, Gegenstand dieses Exkurses ist. Im Gegensatz zu Heinrich von Kleist, Kafkas anderem Favorit-Autor (wir werden noch ausführlich auf ihn zu sprechen kommen), wo schon einmal plötzlich einfallendes Licht und die ebenso plötzlich hereinbrechende Erkenntnis vom richtigen Zustand der Welt koordiniert auftreten können – so dezidiert im Kohlhaas und im Prinz von Homburg, reichte des ebenfalls gelernten Juristen Goethe Zutrauen in die irdische Gerechtigkeit ganz offenbar nicht aus, um eine symbolische Verbindung zwischen Recht und Licht in seiner poetischen Praxis zu statuieren. Einerseits. Andererseits: Goethe empfand sich als einen Ritter des Lichts wie sonst keiner. Hatte er sich doch in einem bahnbrechenden, schon bald in ganz Deutschland bekannten Gedicht (dessen Titel, wie könnte es anders sein: Prometheus), ein einzigartiges Manifest des „Sturm und Drang“, zu einem neuen Prometheus, zu einem menschlichen, seinerseits die alten Götter bekämpfenden Lichtbringer erhoben. Der lichtbringende Poet als ein neuer Gott. Mehr ging gar nicht, sollte man meinen. Doch allein, dass der Autor von Werther, Wilhelm Meister, Wahlverwandtschaften und immerhin schon des ersten Faust, zudem nahe am Ende seines Lebens, sich selbst schon seit längerem historisch betrachtend, dann doch tatsächlich noch ausführen konnte: „Napoleon erbte die Französische Revolution, Friedrich der Grosse den Schlesischen Krieg, Luther die Finsternis der Pfaffen, und mir (letzteres unterstrichen, B.N.) ist der Irrtum der Newtonschen Lehre zuteil geworden“ – das kommentiert, das illuminiert sich selbst. Der Ausspruch wurde am 2.V.1824 gegenüber dem getreuen Eckermann getan und von diesem pflichtgemäss festgehalten. Ferner: Goethe schätzte die gegen Isaac Newton gerichtete Farbenlehre unter allen eigenen Werken am höchsten. Ganz unbeirrt davon, dass diese Schrift da bereits verbreitet auf wenig anderes als Ablehnung gestossen war. Am 29. Februar 1829, also runde drei Jahre vor seinem Tod, äusserte der Mann sich erneut gegenüber Eckermann: „Auf alles, was ich als Poet geleistet habe, bilde ich mir gar nichts ein, pflegte er wiederholt zu sagen. Aber dass er in der Farbenlehre der einzige sei, ‚der das Rechte weiss, darauf tue er sich etwas zugute‘“ Und: Noch an seinem letzten Lebenstag muss der Greis mit dem Licht experimentiert haben; als der einzig noch wirksamen Ablenkung gegenüber der fürchterlichen Erkenntnis des Vortags, dass auch er, der doch nie auf Beerdigungen gegangen war, würde sterben müssen. Was dann, glaubt man wiederum seiner Umgebung, Ereignis wurde mit den epochalen Worten: „Mehr Licht“. Der grosse Erotomane und klassische Liebhaber des Lichts Goethe starb also, während er liebte? Das konnte, musste einen wie Franz Kafka schon beeindrucken.

In Dichtung und Wahrheit, entstanden in der Zeit unmittelbar nach Fertigstellung der Farbenlehre, findet sich, als ein Einschuss im zweiten Teil des ersten Buchs, das „Knabenmärchen“ vom einem „neuen Paris“. Es berichtet über die Entdeckung eines wunderbar schönen Gartens, der alles Sonnenlicht auf sich zieht. Das Märchen erzählt uns, wie einer dahin gelangen kann, lebenslang im Lichte zu stehen – also dauerhaft das zu erreichen, was bei Kafka dann immer nur noch in Momenten der vollendeten Rechtsschöpfung, der Annäherung an eine absolute Grenze, oder als Abglanz vergangener Versprechungen gelingen wird. Bei Goethe hat die gelingende Liebe, hat der siegreiche Eros noch jenen Platz inne, der bei Kafka dann der vollendeten (weil Assimilation ermöglichenden) Gerechtigkeit als eigentlich unmöglicher Überschreitung einer letzten „Grenze“ zugewiesen werden wird – während alle Erotik zum puren Sexus denaturiert: Klamm und die Frauen im Schloss. Zur Pfingstzeit, der Zeit der Ausgiessung des Heiligen Geistes, steht das junge „Wölfchen“ vor dem Spiegel, sich für die kommende Sommerzeit zu schmücken. Ihn umhüllt der gleiche Goldstoff, aus dem das Bräutigamsgewand seines Vaters einst bestanden hat, doch ohne dass dieser usurpierte Anzug dem Sohn bereits passen würde. Damit er hineinwächst in das, „was seines Vaters ist“ (so Dichtung und Wahrheit beim Anblick des sonnenüberstrahlten Rom), taucht Hermes, der Götterbote, auf. Er prophezeit zwar nicht die Ankunft des Prometheus, dem Goethe sein allseits bekanntes, schöpfungsmythisch hoch aufgeladenes, identifikatorisches Poem gewidmet hatte (das selbstverständlich auch Kafka kannte und das als Folie hinter dessen Fassungen des Prometheus-Mythos liegt), aber überbringt doch dem jungen Ritter des goldenen Lichts drei Äpfel. Die wiederum verwandeln sich in reizende kleine Frauen, die ihn an drei identisch gekleidete, in Rot, Grün und Gold gewandete Musikantinnen verweisen, deren harmonisches Zusammenspiel den Wundergarten noch einmal mehr verzaubert. Ihn durchdringt nun jene griechisch hergebrachte Sphärenmusik, deren Harmonie dann Franz Werfel in Kafkas Romanen vermissen wird, und das mit Recht. Der Deuter hatte seinerseits seine Vorgänger: „Die damit verbundene Vorstellung, dass die Musik dem Sein näher steht als alle anderen Erzeugnisse unseres Bewusstseins, ist uralt. Sie liegt den orphischen und pythagoreischen Lehren zugrunde. Sie hatte Kepler geleitet bei der Berechnung der Planetenbahnen. Musik galt als Sprache des Kosmos, als figurierter Sinn, bei Schopenhauer dann als unmittelbarer Ausdruck des Weltwillens.“Footnote 4 Die Aufgabe des neuen Goethe-Paris besteht nun darin, für die farbsymbolisch ausgezeichneten Musikantinnen den jeweils passenden Bräutigam zu finden. Gelingt dies, kann der, der bislang als hoffnungsloser Narziss in fruchtlose Bewunderung seiner selbst eingesperrt erschien, endlich aus sich herausgehen und selbst eine Geliebte finden – und somit wirklich zum neuen Paris, zum Eroberer Helenas, dieser schönsten aller Griechinnen, werden. Psychoanalytisch gesprochen: Narziss soll zu Paris werden, indem er die Angst vor der Frau zu überwinden und auf diese Weise den Hochzeitsanzug seines Vaters auszufüllen lernt. Die Sicherheit des eigenen Begehrens muss, will man mit Jaques Lacan reden, erlernt, sie muss eingeübt werden, damit der narzisstische Jüngling ins Erwachsenenalter übertreten kann. Die Lehre aus diesem „Kunstmärchen“ scheint offenbar: Um der Liebling der Götter, und, bei Goethe ja eigentlich identisch, auch der der Frauen zu werden, muss der Adoleszent dafür sorgen, dass der wunderbare Zusammenklang der Farben, der der Harmonie der Musik entspricht und mit ihr zusammen das Zentrum des herrlichen Sonnenschein-Gartens ausmacht, „das passende Leben“ finden möge. Die Harmonie der Farben und die der Töne machen hier die göttliche „Sonnenhaftigkeit“ des Daseins als eines Goldenen Gartens aus. Sie überstrahlten noch die Epoche Goethes und die Welt seines „Bildungsromans“, – und konnte dann in der Romanwelt Kafkas nicht mehr zugegen sein, wie zu zeigen sein wird. In Goethes märchenhafter Fabelführung vermochte dies noch zu bedeuten: Der, der bislang mit seiner Geliebten nur hat streiten können, vermag sie plötzlich zur Liebe, zu liebevollem und genussvollem Zusammensein, zu überzeugen. Narziss ist zum antiken Paris geworden. Als Ritter des Lichts wird der neue Paris Zeit seines Lebens im Zentrum der göttlichen Helligkeit stehen. Er wird aber auch, statt narzisstischer Eigenliebe, „selbstlose“ Objektliebe spenden können, damit andere ins Licht zu stellen, also „selbstlos“ zu werden. Franz Kafka wird später diese Stellung im Licht eigentlich nicht mehr wirklich anstreben, wird sie allenfalls in seiner Beamten-Gesellschaft noch durch intensive Arbeit und „Kampf“ im Kulturleben zu erringen suchen. Dies, um eine Position zu erstürmen, „stehend marschierend“, die dem glücklichen Goethe noch qua kulturgeschichtlicher Stellung und nationalem Klassikerstatus scheinbar zwanglos hatte zufallen können. Doch bereits der erste Roman des Pragers endete ja beileibe nicht mit der harmonischen Bildungsroman-Perspektive auf gesellschaftlich nützliche Betätigung. Nicht nur Werfel hat dies bemerkt, wie wir sehen werden. Sondern der Kafka’sche Erstling schliesst mit dem utopischen Sprung hinein in einen quasi noch immer Goethe’schen Kunsthimmel, der freilich im Innersten die Mobilmachung zum Ersten Weltkrieg als seinen harten Kern beinhaltet! Das bedingte eine Kollision mit der (wie immer „amerikanischen“) Wirklichkeit des Verschollenen. Und nun machte der noch sehr junge Autor Kafka eben jenes Prinzip zum poetischen Integral seiner in „Oklahama“ (sic!) angesiedelten Naturtheater-Szenerie, das bereits im Kampf Goethes gegen Newton das Zentrum abgegeben hatte: Das Prinzip des „Schauens“, des Sehen-Lernens, die Maxime einer göttlichen Augenexistenz in der Nachfolge der griechischen Eidos-Emphase. Kosmos-Schau als Offenbarung göttlichen Seins hiess der Vorgang bei den Alten. Die epochale Nähe der „Potentia“-Definition bei Aristoteles zu Heisenbergs Auffassung der Teilchen-Physik ist hier ebenfalls zu konstatieren; sie wird noch ausführlicher ins Bild geraten. Sie ergibt sich zwanglos, denn, wenn man „diese Situation vergleicht mit den Begriffen Stoff und Form bei Aristoteles, so kann man sagen, dass die Materie des Aristoteles, die ja im Wesentlichen ‚Potentia‘, d. h. Möglichkeit war, mit unserem Energiebegriff verglichen werden sollte…“Footnote 5. Weshalb bereits bei Aristoteles eine Denkweise zu konstatieren war, in der aus Materie Energie und aus Energie Materie zu werden vermochte, in einem stupend utopischen denkerischen Vorgriff (der selbst Ernst Bloch verblüfft hätte, hätte dessen marxistisches Prinzip Hoffnung den Sachverhalt allerdings ausführlicher und genauer beschrieb, als es im Einflussgebiet des „Sozialistischen Realismus“ usus gewesen ist).

2 Lichtmetaphern bei Goethe und Kafka samt der sterbenden Sonne als dann physikalischer Metapher für die Apokalypse

Allerdings hatte sich Goethes Licht-Kampagne bei weitem nicht so siegreich vollzogen, wie es Kafka geschienen haben mag. Denn der Prager war eben auch einer, der das statisch-monumentale „Kaiser-Panorama“ dem frühen Kino wegen der „Ruhe des Blicks“ vorzog und immer noch die Brod’sche Emphase teilte: „Was freilich Goethe anlangt, den könne man gar nicht genug lieben und rühmen … er habe es zustande gebracht, gleichzeitig, in Einem, Erntetag und Gewitter zu sein! Kosmos und Chaos zugleich… es hat einmal diesen Mann Goethe gegeben, also kann noch nicht alle Gnade für das Menschengeschlecht und alle Hoffnung zu Ende sein.“ Und wie es sich gehört, tritt bei dieser Aussage Licht ins Dunkel (und geht Brods Szenerie ins Bildungsphilisterhafte über): „Der Mond trat aus einem rasch dahineilenden Wolkenstreif, Heinz Pachelbel stand auf und hob das Weinglas.“Footnote 6 Pachelbels Zutrunk erfolgte um ein weniges zu rasch. Denn Goethes Kampf gegen Newton hatte naturwissenschaftlich eher mit einer herben Niederlage geendet. Gegen Goethe hatte Newton so Recht gehabt, wie später der Maxwell-Adept Albert Einstein seinerseits gegen den Engländer. Hier gab es keinen Zwischenkieferknochen zu entdecken, auch wenn des Olympiers Ausgangs-Anspruch titanenhaft genug gewesen war. In den Worten der Epigramme aus Venedig (Nr. 79) formuliert, lautete er: „Weiss hat Newton gemacht aus allen Farben! gar manches/Hat er Euch weis gemacht, das ihr ein Säkulum glaubt.“ Schliesslich meinte Goethe zu wissen: Man hat in Newton nicht den Liebhaber des Lichts, sondern dessen Folterknecht vor sich. Der Mann legte schliesslich den weissen, süssen Leib des Lichts unter eine Zerteilungsmaschinerie, die das unschuldige und göttliche Licht ähnlich behandelte wie dann Kafkas Foltermaschine aus der Strafkolonie die Schuldigen! Das Weimarer Genie sprach indigniert von „Vivisektion“ und von der Kreuzigung eines ‚lebendigen Leibes‘ (Epigramme aus Venedig, Nr. 80). Nannte Newtons Lehre eine verfallene, dunkle (!) und schmutzige Burg, angehörig einem Raubritter des Mittelalters. Diese Festung zu bestürmen, war dem neuen Paris als einem Ritter des Lichts aufgegeben, die gefangene Geliebte endlich zu befreien. Doch die Dulcinea, die er retten wollte, gab es so gar nicht. Physikalisch betrachtet. Als metaphysisches Phänomen möglicherweise schon, aber auch da notwendigerweise eher unwirklich, jenseits aller Wirklichkeit.

Doch in anderer Hinsicht mochte es sie dennoch gegeben haben, des Weimaraners übersinnliche Dulcinea. Denn Goethes Kampf galt der Einheit des Kosmos, die er gegen Newtons moderne Spezialisierungs- und Aufspaltungsintention bewahrt sehen wollte. Doch der seinerseits gestandene Natur- und Mineralienforscher ging gegen Newton, den empiristisch verfahrenden Engländer, der sich auf die modernen Paradigmata Experiment und Erfahrung berufen konnte, charakteristischerweise selbst eher ideologisch-theologisch vor. Newton hatte einst seine Licht-Abhandlung eingeleitet mit folgendem Satz: „My design in this book is not to explain the properties of Light by hypothesis, but to propose and prove them by Reason and Experiment.“ Doch Goethe wollte, ganz wie sein Verbündeter Schiller in seiner Schrift Über die Ästhetische Verbesserung des Menschengeschlechts, der „Vernunft“ die Superiorität gegenüber dem „blossen Verstand“ bewahren. Dem Klassiker ging es um ganz anderes, als um die bloss physikalische Erkenntnis. Die Frage nach der wahren Natur des Lichts war ihm eine, die experimentell gar nicht zu entscheiden war. Einer seiner zahlreichen Ausfälle gegen Newton lautete bezeichnenderweise: „Das ist ein pfäffischer Einfall! Denn lange spaltet die Kirche/Ihren Gott sich in drei, wie ihr in sieben das Licht“ (Epigramme aus Venedig, Nr. 81). Das von Goethe bekämpfte christliche Dogma folgte in seinen Augen dem gleichen Paradigma wie Newton. Also standen der Kosmos-, wie auch der Gottesbegriff auf dem Spiel. Das Licht musste, Experiment hin und Newtonsches Prisma her, als göttliche Emanation ein Unteilbares verbleiben. Nicht durch Aufspaltung des Lichts durften die Farben entstehen, sondern nur aufgrund des Zusammenspiels von Licht und Dunkelheit, vermittelt durch ein sogenanntes „trübes Medium“ (jenen „Äther“ wohl, den u. a. Einstein später für obsolet erklären würde). Dann nämlich wäre dies ein kosmologischer Prozess eher, denn ein physikalischer Vorgang gewesen. Wäre also ein anderer Weltbewegungs-Kampf zwischen Faust und Mephisto, oder das Gegenspiel von Systole und Diastole und mithin jene organische Welt-Bewegung, wie sie in der Farbenlehre dekretiert wird: „Das Geeinte zu entzweien, das Entzweite zu einigen, ist das Leben der Natur; dies ist die ewige Systole und Diastole …, das Ein- und Ausatmen der Welt, in der wir leben, weben und sind.“Footnote 7 Die Einheit des Gegensätzlichen statt der Aufspaltung der empirisch wahrnehmbaren Welt in ihre abstrakten Bestandteile, das forderte der grosse Diesseitige Goethe. Und, konsequent bis hin zur schrullenhaften Verfolgung von Brillenträgern (die Leiden des armen Eckermann!): Statt des Einsatzes eines physikalischen „seelenlosen“ Apparats, das unerschütterliche Vertrauen auf das göttliche Auge. Letzteres setzte dann in gewisser Weise Werner Heisenberg mit seiner Unschärferelation wieder in sein griechisch angestammtes Recht ein. Das Beobachtete wurde erneut abhängig vom Auge des Betrachters. Diese neueste Einsicht der damals neuesten Physik aber erreichte auch Kafka, was darzustellen sein wird: In der Genese des „Kafkaesken“ selbst aus dem Geiste des elektromagnetischen Experiments bei Maxwell (erlernt bereits in Kafkas Prager Gymnasium, dieser gar nicht so hoffnungslos verschnarchten „Anstalt“). Auch Goethes Erhebung der beiden Farben Gold und Blau zu „Urphänomenen“ hatte seinerseits eher im Bereich des Subjektiv-Wahrnehmungspsychologischen, als in dem eines Objektiv-Physikalischen seinen Platz besessen. Beide inkorporierten, meinte der Beschauer Goethe, das Licht an sich: Als dessen überzeugendste Verkörperung einerseits und als dessen strikteste Negation andererseits. In der Goldfarbe als der Königsvariante des Gelb gelange das Licht zu sich selbst, schrieb der Klassiker in seiner Farbenlehre, und erziele, als „sinnlich-sittliche Wirkung der Farben“ (6. Abteilung), jene ‚Ausdehnung des Herzens‘, die der von permanenter Südensehnsucht geplagte Nordländer in seinen Weimarer Wintertagen so sehr vermisste. „Das Gold in seinem ungemischten Zustande gibt uns, besonders wenn der Glanz dazukommt, einen neuen und hohen Begriff von dieser Farbe; so wie ein starkes Gelb, wenn es auf glänzender Seide, zum Beispiel auf Atlas erscheint, eine prächtige und edle Wirkung tut.“Footnote 8 Oder auch: „Diesen erwärmenden Effekt kann man am lebhaftesten bemerken, wenn man durch ein gelbes Glas, besonders in grauen Wintertagen, eine Landschaft ansieht. Das Auge wird erfreut, das Herz ausgedehnt, das Gemüt erheitert; eine unmittelbare Wärme scheint uns anzuwehen.“Footnote 9 Blau dagegen gäbe das Gegenteil ab. „Ist als Farbe eine Energie; allein sie steht auf der negativen Seite und ist in ihrer höchsten Reinheit gleichsam ein reizendes Nichts.“Footnote 10 (Dieses „reizende Nichts“ als „Farbe der Energie“ wäre aus unserer Sicht nahe der „Potentia“, wie sie laut Heisenberg den Urgrund alles Wirkenden bei Aristoteles ausmachte). Doch wo es um seine Grundmaximen ging, vermochte der konziliante Goethe geradezu rabiat zu formulieren. Dies alles erinnert in der Tat an die neuplatonische (und partiell noch pansophische) Weise des Denkens, wie sie auch im Faust zugegen ist. Goethe lieh sich „eine plotinische Formulierung der alten Wahrnehmungstheorie, das Gleiches nur von Gleichem erkannt werde – eine Formel, die in Plotins Mystik dann zur Vorbedingung für den Aufstieg wird – zur Begründung seiner Auffassung von der Natur des Sehens.“Footnote 11 Alle Newton’schen Experimente verschlugen deshalb gar nichts gegen den einen goldenen Satz aus dem Faust, wonach alle Theorie grau, und grün allein des Lebens goldener Baum sei! Kein Erfahrungsexperiment richtete etwas dagegen aus, dass Werther, der bei dem Versuch, von Narziss zu Paris zu werden, im Selbstmord endete (und dabei möglicherweise seinen Autor vor gleichem Schicksal bewahrte); dass also dieser bald europaweit bekannte Held als seine Farben das Gelb und das Blau benennen konnte. Kein Experiment verschlug schliesslich gegen die, von Goethe ja auch lebensgeschichtlich in Erfahrung gebrachte Tatsache, dass Blau und Gelb die Farben des klassischen Südens waren – wozu die Tatsache sich ausgezeichnet fügt, dass die frühen Griechen vermutlich zwischen Blau und Weiss/Gelb als den dominierenden Farben ihrer Welt sprachlich gar nicht zu unterscheiden vermochten!Footnote 12 Das Goldgelbe und das Tiefblaue als die Symbolfarben von Sonne, Himmel und See, überwältigend dominant im klassischen Teil Europas, in Italien sowie in Griechenland. Ein göttliches Banner aus Goldgelb und Tiefblau hing über diesen Gegenden. Es hing insbesondere über dem Venedig der zitierten Epigramme und vor allem über Rom als der Stadt, in der Wolfgang gelernt hatte, des Vaters Hochzeitsanzug doch noch auszufüllen. Denn unter der Sonne Roms, nicht weit von der tiefblauen Adria hatte – ausgerechnet! – eine Faustina Goethe aus seiner Sexualangst erlöst, ihn von Narziss zum Paris promoviert. Eine konkret-sinnliche Erfahrung, der die abstrakt-physikalische von Newtons Spektrum das Wasser absolut zu reichen vermochte! Sie verhalf dem Weimarer Genie gleichwohl nicht dazu, auch physikalisch-naturwissenschaftlich gegen Newton im Recht zu sein – was dann erst dem frühen Einstein gelingen würde (ein Vorgang, der durch die Vermittlung von Ludwig Hopf, Einsteins engstem Mitarbeiter in Prag, zum Bestandteil von Kafkas Weltbild geraten würde, was hier noch ausführlicher zu beschreiben ansteht).

3 Über die „Ruhe des Blicks.“ Martin Bubers Reden über das Judentum

„Wenn der Blick an heitern Tagen/ Sich zur Himmelsbläue lenkt,/Beim Sirok der Sonnenwagen/Purpurrot sich niedersenkt:/Dann gebt der Natur die Ehre,/Froh, ‚an Aug‘ und Herz gesund,/Und erkennt der Farbenlehre/Allgemeinen, ew’gen Grund.“Footnote 13 Diesem – allerdings bleibenden! – Goethe’schen Sehnsuchtsimpuls nach einem Leben im Licht würde noch runde hundert Jahre später Franz Kafka in seinem literaturassimilatorischen Bestreben gehorchen. Und doch gelang das dem Prager nur noch als „stehendes Marschieren“ gegen eine unüberschreitbare Grenze, die allerdings ihrerseits mit dem Licht zu tun hatte. Dieser existentiell-grundlegende Tatbestand ist bereits an Kafkas erstem Roman ablesbar. Kafkas Erstling ist in der Forschung bereits ausführlich interpretiert worden. Dass er als ein gleichsam umgestülpter, weil unmöglich gewordener Bildungsroman die Geschichte der Entdeckung Amerikas durch den „Deutschen“ Karl als einen „zwingenden sozialen Abstieg“ (so bereits Hartmut Binder) beschreibt, gilt inzwischen als ausgemacht. Ebenso akzeptiert erscheint, dass der Roman als realistische Gesellschaftsschilderung nicht zu einem positiven Ende geführt werden konnte. Dass Kafkas utopische Schlussvolte im Naturteater von Oklahama auch eine Paraphrase wiederum des Goethe`schen Literaturhimmels aus seinem zweiten Faust darstellte, hat bereits Max Brod in seiner Theaterfassung des Kafka’schen Romans dargelegt, so diskret wie ironisch. Die „Fürsprecherin“ Therese bewirkte Karls Aufnahme, die Brod in die Worte kleidete: Karl habe die „Wahrheit“ gesucht und die „Musik“ gehört. Das sei „ein Zeichen der Gnade. Er gehört zu uns.“Footnote 14 Im Innersten dieser klassisch drapierten Veranstaltung ging es freilich um die Mobilmachung für den Ersten Weltkrieg. Der frühe Roman Kafkas gleicht denn auch eher den nicht mehr harmonischen Musikstücken des „Neutöners“ Fischböck in Franz Werfels Opern-Roman, wie noch auszuführen. Kafkas Literaturhimmel im Verschollenen wird eher von Marschmusik beherrscht, als von hergebracht harmonischer Sphärenmusik – selbst wenn man schon einräumen muss, dass gerade dem Radetzkymarsch als exemplarisch altösterreichischem Tonstück der Charme des Wiener fin de siècle durchaus anzuhören ist. Ein Sachverhalt, der, nebenbei, in Gustav Mahlers Musik wiederzufinden ist. Hinzu kommt die durchgehende Erinnerung an „Griechisches“ in Kafkas Literatur. Der „Verbindungssekretär Bürgel“, er trägt Reflexe von des Pragers bewundertem Vorgesetzten in seiner Versicherungs-Anstalt, Dr. Robert Marschners, wird im Schloss zu einem „griechischen Gott“ promoviert. Den dortigen „Schreiber Momus“ hat gar man als Abbild des Autors im Text identifiziert. Für die Alten war Momus ein hässlicher (und deshalb negativ-kritisch eingestellter) Grieche, den Zeus vom Olymp verbannt hatte, weil dessen Weltsicht dem Götterchef zu spöttisch-negativ, gar satirisch eingefärbt erschienen war. Wenn Kafka sich tatsächlich in diesem Schloss-Schreiber (und damit dann auch sich selbst als Autor des Schlosses) abkonterfeit hat, dann sprach er damit, unbeschadet aller Selbstironie, dem semirealen Literatur-Schloss entschiedene Elemente eines Griechischen zu.

Darüber hinaus wissen wir um eine – in unserem Zusammenhang hoch relevante! – Quelle, die Kafka mit Sicherheit gekannt und geschätzt hat, nämlich Martin Bubers Reden über das Judentum, die dieser 1909 ff. in Prag, sogar mit Kafka als gelegentlichem Zuhörer, gehalten hat. Als Buchveröffentlichung waren die Betrachtungen seit 1911 verfügbar. In diesen Jahren schrieb Kafka am Verschollenen. Buber seinerseits stellte im literarisch-philosophisch-politischen Diskurs, in dessen Kraftlinien Kafka und Brod lebten, eine gar nicht zu überschätzende Größe dar. Es war Martin Buber selbst (der Kafka zudem persönlich schätzte und ihn als Herausgeber des Periodikums Der Jude gewinnen wollte, was dieser wegen mangelnder Glaubensorthodoxie leider ablehnen musste), der dann in seiner Rede Die Erneuerung des Judentums einen welthistorisch groß angelegten Vergleich Griechen-/Deutschtum versus Judentum gezogen hat. „Ich möchte den orientalischen Menschentypus, wie er im … Juden erkennbar ist, im Gegensatz zum abendländischen, der etwa durch den Griechen der perikleischen Zeit oder … durch den Deutschen unserer Tage repräsentiert wird, als den motorischen im Gegensatz zum sensorischen ansprechen … Der psychische Grundakt des motorischen Menschen ist zentrifugal: ein Antrieb geht von seiner Seele aus und wird zur Bewegung. Der psychische Grundakt des sensorischen Menschen ist zentripetal: ein Eindruck fällt in seine Seele und wird zum Bilde.“Footnote 15 Ein verblüffendes, im Zusammenhang mit dem vermutlichen Zuhörer dieser Aussage Kafka, soweit ich sehen kann, bislang nie angeführtes Zitat. Das aber die eidetische, „deutsche“ Fixierung des Assimilanten Franz Kafka mitten ins Zentrum trifft. Der Mann wird später noch die Lichtgestaltung der mondänen Prager Literaturcafés kritisch unter diesem Aspekt durchmustern. Signifikant auf diese Art und Weise steuert dann der motorisch bestimmte K. im Schloss auf das kontemplatorisch-ruhig, also „griechisch“ die Welt beschauende Schloss zu, für ihn eine „Grenze“, genauso unüberschreitbar wie die Lichtgeschwindigkeit. K. in Kafkas Text wird mysteriös immer schwerer, je mehr er sich dem Schloss annähert; immer tiefer sinken die Fussabdrücke im Schnee ein, ohne dass dafür eine „realistische“ Erklärung geboten würde. Freilich auch ohne das herrschaftliche Verwaltungszentrum je erreichen zu können, denn dieses hat seine bürokratische Vorsorge getroffen, und K.’s gesellschaftliche Masse als ein Assimilationssuchender tendiert eh’ gegen Unendlich. Damit nicht genug. Buber hatte in Prag gelehrt, wobei er die Dualität von Sehen und Hören bzw. von Bild und Wort im Visier hatte: „Beim sensorischen Menschen (also dem Griechen und dem Deutschen, B.N.) (stehen) die Sinne … unter der Hegemonie des … Gesichtssinns; der Triumph des Griechentums in der Welt der reinen Gestaltung ist das Werk dieser Hegemonie. (Der motorische Mensch) wird weniger des vielfältigen, ruhenden Seins der Dinge inne als ihres Geschehens und ihrer Beziehung, … weniger des Raums als der Zeit … Platon schaut die von je ruhenden Ideen … Platon schaut, und da ist nichts weiter als das Schauen“Footnote 16 – also doch ganz so, wie das ruhig das Sein überschauende Schloss sich im flackernden Sehnsuchtsblick des Dynamikers K. ausnimmt? Die Anschaulichkeit der Welt, man weiß es, und der Staatsschreiber Kafka wusste es noch aus seinem Gymnasium, war den Griechen Zeichen für die Göttlichkeit des Kosmos gewesen, im Bunde mit der pythagoreisch verklärten Harmonik der Sphärenmusik. Andererseits ist man mit dem „Bildnisverbot“ und dessen Ursprüngen im jüdischen sakralen Ritual bekannt. Der Gott der Juden verkehrte mit seinem Volk ausschließlich via Schrift und Ohr: JAHVE lieferte geschriebene Gesetze und sprach aus dem brennenden Dornbusch, der ihn visuell unerkennbar machte. Alle direkte Verbindung K.s mit dem Schloss ist auditiv oder schriftlich gehalten: Per Brief, Telefon, oder durch Glocken. Eidetische Verbindung kommt nie zustande. Im Gegenteil: Die höchste, die eigentliche und bürokratisch gesicherte Macht des Schlosses liegt in seiner Fähigkeit der Blickverweigerung. Man kann formulieren: Klamm herrscht, weil K. ihm niemals vis à vis ins Auge zu blicken vermag. Jedenfalls nicht, so lange er lebt und um jeden Preis nach der Aufnahme in die Schloss-Welt strebt.

Diese Antithese Auge-Ohr hat, in ganz anderem Zusammenhang als Buber, Hans Blumenberg sich ebenfalls zum Thema gemacht, als einen Exkurs: Auge und Ohr, eingelegt in seinen grossen Essay über die Lichtmetaphorik. Hier erfährt man zunächst, dass das Auge als ein dem Licht korrespondierendes Organ seinerseits immer erst dann ins Spiel gelangt, wenn die Selbstverständlichkeit von Erhellung und Erkennen als gestörte auftritt. Hier gelangt, wie zwingend zu erwarten, auch Platons Höhlengleichnis als ein bestimmender (Benjamin’scher?) Ursprung ins Bild. Denn alle, die aus dem Dunkel ins Licht treten, also, platonisch zu reden, die, die Ideen als wirklicher als alle Wirklichkeit anzuerkennen endlich erlernen, sind zunächst geblendet. Sie können nicht mehr sehen, nachdem sie die Ideen erschaut haben. Darin ist bereits enthalten die Erfahrung der späteren christlichen Mystik etwa bei Nikolaus von Cues, der geschrieben hat: „Es ist gerade so, wie wenn jemand die Sonne sucht, und wenn er in der rechten Weise zu ihr hintritt, so entsteht durch das überstarke Licht der Sonne Finsternis in seinem schwachen Auge; und dieser Nebel ist für den, der die Sonne sucht, ein Zeichen dafür, dass er auf dem rechten Wege ist; und wenn zu jenem überhellen Licht.“Footnote 17 Derart geht die eigentlich besonders beruhigende Distanz des Sehens verloren, die schmerzhafte Präsenz des Lichts bewirkt eine Art „Berührung“, und erweckt damit die Sehnsucht nach jener heilsamen Distanz, wie sie nur dem Hören des Worts eingeschrieben sein soll. In Texten der mittelalterlichen Mystik, etwa beim erwähnten Cues, heißt es dann direkt: „Deus est maxime lux, quod est minime lux.“Footnote 18 Solch eine Paradoxalität des Auges kann es im Fall des Ohrs nicht geben. Doch unbeschadet dessen: In der „Doppeldeutigkeit des Augenschließens steht fortan die ganze mystische Tradition.“Footnote 19 Das Auge gewährt mehr Freiheit, kann aber seiner Sehkraft eben durch ein Zuviel des Lichts beraubt werden; das Ohr dagegen gewährleistet Eindeutigkeit, entbehrt aber der Freiheit, wie sie distanziertes Sehen insbesondere mit umherschweifendem Blick, womöglich noch von erhöhtem Standpunkt aus, seinerseits erlaubt. In unserem Zusammenhang hochgradig interessant erscheint dabei folgendes: Blumenberg schlägt von der geschilderten Paradoxalität des Lichts in der Mystik direkt den Bogen zu – Friedrich von Hardenberg alias Novalis. „Eine weitere extreme Möglichkeit der Metapher wird erst aussagefähig, wenn ‚Dunkelheit‘ ein positives Vorzeichen erhält, eine Umwertung, die den romantischen Begriff der Nacht und Dunkelheit charakterisiert. Novalis wird in der ersten Hymne von den ‚unendlichen Augen, die die Nacht uns öffnet‘ sprechen; hier bedeutet das Licht der Tageswelt Begrenzung, Unfreiheit in der Endlichkeit des an die Dinge gehefteten und durch sie bestimmten Blicks…“Footnote 20 Im vorsokratischen griechischen Denken war noch alle Gewissheit an Sichtbarkeit fixiert gewesen. Gestalteter Anblick war „eidos“. Schon etymologisch hingen „Wissen“ und „Wesen“ (das Altgriechische hatte „eidos“ für beides) eng zusammen. Heraklit hat einmal direkt ausgesprochen, dass ihm das Auge ein weit genauerer, zuverlässiger Zeuge als das Ohr erscheine. „Hören“ bedeutete für die alten Griechen immer eine Aussage, die erst noch durch „Sehen“ bestätigt werden musste. Für Philo ist die Erfahrung Moses’ auf dem Sinai eine „Erleuchtung“. „Theorie“ gar kommt bei den Alten von „Erblicken“ her. Im Alten Testament und im von ihm bezeugten Wirklichkeitsbewusstsein stellt sich dieser Zusammenhang dann anders dar. Das von Gott aus dem Nichts gerufene Wort bewirkt hier die Schöpfung der Welt, die ihrerseits gedacht wird als Ausstrahlung des Lichts hinein in das ursprüngliche Dunkel aller Materie. Alles Wirkliche zeigt nun erst in einem durch das Hören, das (Ge)Horchen zugewiesenen Horizont seine Bedeutung; alles Geschaffene gründet jetzt im Wort, und das Nicht-Hören-Wollen dieses Worts ist Abfall vom Glauben, erscheint gar als Abweisung mitleidvoll angebotenen Heils.Footnote 21 Das mochte bedingt sein auch durch die nun erfolgende Sichtbarmachung des bis dahin gesichts- und gestaltlosen alttestamentarischen Gottes, der in Christus zum Menschen wird – und darin mit der alttestamentarisch-jüdischen Tradition, Gott nur als gestaltlose rein leuchtende Energie, als „ich bin der ich bin“, eben als Geistgott zuzulassen, bricht. Schon beim großen Augustin nähert das „Hören“ sich dem „Gehorchen“ an. Wird mit der skeptisch-dogmatischen Entkräftung des Sehens die Äquivalenz von ratio und auctoritas möglich: „Ad discendum necessario dubliciter ducimur auctoritate atque ratione“.Footnote 22 Im Namen des Ohres wendet sich danach auch Luther gegen die Freiheit des auswählenden Sehens, im Namen eines passiven Hörens der von Gott in der Bibel verkündeten verbalen Botschaft. Während das griechische Auge noch frei umher schweifte, auswählte und auf die Dinge zu drängte, ist das christliche Ohr nun von Schall und Wort betroffen. Es wird aggressiv angegangen, wird unterworfen vom katholischen, wie vor allem dann vom lutherischen bzw. evangelischen Prediger. Dieses Wort besitzt nicht mehr die kosmische Allgemeinheit des noch griechischen Lichts. In ihm kann man nicht mehr von sich aus zu „stehen kommen“, kein „in luce esse“ gilt mehr. Sondern der Gläubige wird nun angerufen, wird akustisch „in die Pflicht genommen“. Das Gewissen gewinnt nun seine Stimme – und verliert immer mehr sein Licht. Immanuel Kant wird dann nur noch von der „Stimme der Vernunft“ sprechen (die selbst in einer Republik von Teufeln sich durchsetzen würde, wie der Aufklärer annahm). Vor allem aber die Tradition vermittelt sich von nun ausschließlich über das Wort; sie bedarf nicht mehr des Lichts – scheinbar.

Soweit der theologische Strang. Doch innerhalb der neuen Wissenschaft, wie sie sich seit der Renaissance konstituierte, im Ausgangspunkt der modernen Wissenschaftsidee bei Bacon und Descartes überlebt dagegen das Sehen in Form der unabdingbaren Forderung nach Präsenz des Gegenstandes. Es geht nun um seine Sichtbarmachung im Experiment, nicht nur unabhängig von, sondern vorzüglich gegen die (durch „theologisches“ Zuhören erlernte) Tradition. „Angewiesensein auf Tradition erscheint hier als prinzipiell behebbarer Mangel der Erkenntnis.“Footnote 23 Diese Auffassung setzt ihrerseits voraus, daß die Vernunft es nicht nötig hat zu „hören“; eben weil sie jederzeit ihre Gegenstände zur Ansicht (Experiment) und zur Einsicht (Deduktion) bringen kann. Innerhalb dieses Strangs der Wissenschaftsgeschichte treten nun die Sachverhalte der Tradition, also das aus dem Zuhören Gewonnene – ihrerseits in Form von Lichtmetaphern auf. Bereits Cicero spricht vom „lux auctoris“, und anläßlich der Übersetzung griechischer Philosophie ins Lateinische vom „lumen litterarum Latinarum“. Rhetorik (Ciceros Zuständigkeitsbereich) und Jurisprudenz dann bei Giambattista Vico (in dessen Scienza Nuova) werden begriffen als Ausbreitung des Lichts über die Dunkelheit der Fakten.Footnote 24 In dieser Form wird das Licht als klassische, griechisch-römische Zentralmetapher das sprichwörtlich „dunkle Mittelalter“ überleben, um strahlend in der Renaissance wieder aufzuleuchten. Aber nur, um am Ende, in unserer Jetztzeit, doch noch zu verlöschen – meint jedenfalls jener Blumenberg, der damals noch Heideggerianer war, und sich als solcher am Ende seines Essays auf Gottfried Benns Lyrik bezieht, wo es u. a. heisst: „Gestirne? wo?“ Das sei der nun glaubwürdig gewordene ungläubige Ausruf eines Lyrikers der modernen Großstadt, in der die (ihrerseits von unzähligen Generatoren erzeugte) Lichtverschmutzung den althergebrachten Sternenhimmel verdecke. Das war damals die entgegengesetzte Situation zu der des Thales, die Blumenberg später, im Jahr 1987, in Das Lachen der Thrakischen Magd, als die Ursituation aller Theoriebildung aufsuchen würde. Bei Franz Kafka lag der Fall (im Verschollenen) zwar anders, aber doch nicht unähnlich: In diesem Jugendroman setzt das „amerikanische“, von Autogeneratoren erzeugte, allzu grelle Licht die Unabhängigkeit der Justiz im hochkapitalistischen System außer Kraft, indem es deren Spielformen zwar ausleuchtet, aber ohne sie dabei kritisch und somit reformfördernd zu durchleuchten. (Dazu hätte es bereits damals jener Röntgenstrahlen bedurft, um die sich dann später Franz Kafka lektorierend, mit Blick in den Galeere-Roman des Freundes Ernst Weiss, bekümmern würde, nachdem er seinen eigenen Licht-Roman mit dem Verschollenen fertiggestellt hatte). Immer ging es dabei um den Forschungsblick des Wissenschaftlers und Philosophen, der die Natur des Lichts so zu untersuchen sich vornahm, wie zuvor bereits Newton und Goethe, und danach dann Maxwell und Einstein. Alles Elemente im Traditionszusammenhang einer Jahrhunderte langen abendländischen Bestrebung zur Erforschung der Natur im interdisziplinären Wechselspiel zwischen Philosophie und Naturwissenschaft.

Um den Bogen bis zum Ende zu spannen: Zweifellos stand Kafka in einem intimen Diskurs mit der Denkweise der deutschen Klassik; ihm und Brod ging es eigentlich immer auch um Goethe und die in des Weimaraners Literatur zum Mythos gewordenen Grundlagen der Deutschen Klassik. Deren Mitbegründer Herder hatte noch, in seiner Theorie zur Entstehung der Sprache, durchgehend für das Ohr plädiert. Hatte der Theologe dabei das Alte Testament noch allzu intensiv im eigenen Ohr gehabt? Dann freilich, nach dem Übergang des „Sturm und Drang“ in die Klassik, setzte ein Schwarzäugiger aus Frankfurt alles auf’s Auge. Goethes Setzung war freilich bereits ihrerseits ein Rückzugsgefecht; eine allerletzte Hommage an das „griechische“ Auge in seiner „warmen“ Fähigkeit, die Göttlichkeit der Welt abzuspiegeln. Und dieses „griechische Auge“ wurde bereits vom Weimarer Genie selbst gegen den Blick des Arztes gesetzt, worin das resignativ-realistische Moment im Meister liegt, in der dort vorgenommenen realistisch-paradoxen Apotheose des „Wundarztes“. Insofern stehen selbst Michel Foucaults Studien zur kalten Herrschaftsfunktion des Blicks in der Moderne immer schon in der Nachfolge dieses zentralen Geistes. In Goethes Wilhelm Meisters Wanderjahre, in Makariens Archiv, ist bereits zu lesen: „Das Gesicht ist der edelste Sinn, die anderen vier belehren uns durch die Organe des Takts, wir hören, wir fühlen, riechen und betasten alles durch Berührung; das Gesicht aber steht unendlich höher, verfeint sich über die Materie und nähert sich der Fähigkeiten des Geistes.“Footnote 25 Doch diese hymnische Feier des Sehorgans vermochte nur wenig gegen den Sieg der Moderne im scharfen Blick des sezierenden Mediziners auszurichten. Ein chirurgisch arbeitender Arzt, hatte bereits Goethes Wilhelm nicht nur an der modernen Prosa des Broterwerbs, sondern auch an der analytischen Kälte des „ungeheuren, heraufziehenden Maschinenzeitalters“ seinen ernüchternden Anteil. Das „kalte Auge“ hat später den gepanzerten logos im naturwissenschaftlich so ertragreichen 19. Jahrhundert bei seinem weltweiten Siegeszug begleitet, noch der sterbende Kafka wird in seinem Kierlinger Sanatorium ihm bedrückend begegnen.

Doch der frühe Kafka fügte sich dieser Einsicht noch nicht völlig. Er feierte dagegen das „Kaiserpanorama“ mit seiner „Ruhe des Blicks“; dekonstruierte ferner den griechischen Mythos dahin gehend, dass die Sirenen gar nicht gesungen haben sollen. Kafkas Lesart korrespondiert auf ihre Weise mit der Deutung, die Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung dem gleichen Sirenenerlebnis des Odysseus gegeben haben. Die beiden Sozialphilosophen suchten die Geschichte der Arbeitsteilung und der Selbstunterdrückung der menschlichen Natur im besagten Bild des Homerischen Helden auf, der sich an den Mast binden lässt, um den Verlockungen, die durch das Ohr und das Auge an ihn und in ihn gelangen, nicht nachgeben zu müssen. Auf die Erfahrung des Mythisch-Andersartigen im Gesang der Sirenen will dieser erste Forschungsreisende freilich auch nicht verzichten. Seine Gefährten treiben das Schiff des Fortschritts derweil, sklavenähnlich rudernd, weiter voran. Sie tragen Auge und Ohr verbunden, bzw. mit Wachs verschlossen, während der bewegungsgehemmte Chef sich der nunmehr kastrierten, vorzeitlichen Sirenen-Verlockung hingeben kann, so kennerisch wie listig. Auf solch arbeitsteilige Art wird das Projekt des europäischen, logoszentrierten „kalten“ Fortschritts bei Horkheimer/Adorno vorangetrieben, seiner jeweils nächsten Klippe zu. Dennoch war es in dieser Darstellung das Privileg des Odysseus gewesen, die Sirenen überhaupt noch hören und schauen zu dürfen. Odysseus allein stand noch Naturkräften gegenüber, die in verführerischer Gefährlichkeit funkelten und tönten. Bei Kafka als dem Autor des Schlosses, einem nun heillos enttäuschten Assimilationskrieger, schweigen dann die Sirenen. Die Kämpfe seiner Zeit waren ausschließlich innergesellschaftliche. Die Natur war in seinem Jahrhundert eine bereits endgültig domestizierte. Nicht mehr die Sirenen waren für Kafka also das Ganz Andere. Sondern der eigene Freund als ein ebenfalls Ganz Anderer war zu seiner Sirene geworden, so bereits in der Beschreibung eines Kampfes, dieser Auseinandersetzung mit Brod, auf die dieser im Tycho antworten wird, während Albert Einstein sich selbst interpretieren wird in Auseinandersetzung mit Max Brods Galilei. Man kann also folgern: Die einzige, wirklich noch singende Homerische Natursirene, die dem Prager verblieben war und die er in sein spätes Tagebuch aufnahm (und die ihn dann am Ende auch „ganz richtig“ zu sich holen sollte) – das war Franz Kafkas „Krankheit zum Tode“, seine Tuberkulose. Sie wird in seinem Tagebuch folgerichtig „die Sirene“ genannt. Denn der am Schloss schrieb, starb bereits. Brachte auf diese Weise die hier entwickelte Variation endgültig an ihr Ende. Dass griechisch „Aisthesis“ „Sehen“ und „Theorie“ ursprünglich „Schauen“ bedeutete, ist bekannt. Seine humanistische Schule hatte es zu Kafkas geistigem Besitz gemacht. Auch bekannt ist, dass der Sokrates-Schüler Platon das Auge als den vornehmsten Sinn des Menschen installierte, derart ein „Urmotiv Auge“ schaffend, das seitdem die gesamte abendländische Kultur durchzieht. Dies wiederum stand durchaus im Gegensatz zur jüdischen Hochschätzung des Gehörs. Moderne Theologie bringt den Tatbestand mit der Verschiedenartigkeit der Landschaft zusammen: Die kanaanitische Wüste, die dem Auge kaum Erholung und Erkennungsmarken darbietet, gegen die im Sonnenlicht golden glänzenden Olivenhaine und das verzehrend tiefe Blau der Ägäis gestellt. Der Gehorsam gegen einen abstrakten Geist-Gott stand gegen die, noch vom Schauen trunkene, selber sinnliche Feier eines göttlich geordneten Seins. Friedrich Schiller hatte aus diesem kulturgeschichtlich so bedeutendem Gegensatz ein grosses Gedicht gefertigt: Die Götter Griechenlands. Friedrich Nietzsche hat als neuer anti-pietistischer Prediger des Leibes, in eben jenem 19. Jahrhundert, das die Niederlage des Leibes unumkehrbar machte, im Zarathustra gefordert (und der junge Kafka hat diese Schrift intensiv zur Kenntnis genommen): „Muss man ihnen denn die Ohren zerschlagen, dass sie lernen, mit den Augen zu hören?“Footnote 26 Aus dem Auge als einem Organ der Kosmos-Schau wurde: Ein Diagnose-Instrument, um die zunehmend entgötterte und beherrschbar gewordene Welt unter Kontrolle zu haben. Das Auge als letztlich ein Skalpell. Dessen Entwicklung hat wiederum Michel Foucault in der Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks zusammenfassend beschrieben: „Das Auge wird zum Hüter und zur Quelle der Wahrheit.“Footnote 27 Einzig der Liebesblick verweigerte sich weiterhin der beschriebenen Tendenz (und mag noch im Blick des Odysseus auf die Nacktheit der Sirenen nachgeklungen haben) – wenn er denn überlebt haben sollte im gegenwärtigen digital bestimmten Zeitalter von Fernsehen, youtube und Konsorten. Bereits im Kafka’schen Universum hat er jedenfalls keinen Platz mehr; sowenig wie heute im jeweils neuesten „selfie“. Im Schloss tritt er substituiert durch jenen Frieda’schen Blick auf, den allein seine Komplizenschaft mit der bürokratischen Macht des Beamtenhäuptlings Klamm noch zu einem begehrenswert-erotischen macht. Keine Sirene singt mehr. Alles ist zu Ende. Selbst der Felsen des Prometheus, um den es hier immer wieder geht, ist ins Anorganische zerbröckelt. Das Auge, das Goethe noch anbetete, wurde zum Selektionswerkzeug. Der Tuberkulose-Patient Kafka erfuhr dies buchstäblich am eigenen sterbenden Leib, in seinem Sanatorium bei Wien, als der Patient eines ganz „modern“-rationalen Mediziners, wie bereits erwähnt und biographisch ausführlich beschrieben.Footnote 28

4 Hans Blumenbergs Metaphorologie; in ihrem Zentrum: Die Lichtmetapher. Von der Platonischen Höhle zur Klause des Hieronimus, danach zum Siemens’schen Generator

Franz Kafka begann seinen letzten Roman im Jahr 1922, mithin zwei Jahre, bevor er den oben angesprochenen Tuberkulose-Tod sterben würde. Begann ihn in einem schneereichen Winter, als einen Roman ohne Licht, ein genaues Gegenteil zum noch lichtreichen Verschollenen. Was er nun vermisste, hat Hans Blumenberg in lebenslanger Beschäftigung umkreist und definiert, auch zum Abschluss gebracht. Der Münsteraner Philosoph hatte bereits in der Mitte des nun vergangenen Jahrhunderts über Kafka und dessen Vaterimago publiziert; hat freilich eine durchgehende Explikation seiner Metaphorologie auf Kafkas Texte nie in Angriff genommen. Im Mittelpunkt von Blumenbergs Metaphorologie aus dem Jahre 2013 steht die Lichtmetapher samt deren Metamorphosen und der gegenwärtig drohenden (oder gar bereits vollzogenen?) Ablösung von ihrer Stellung als der zentralsten im rayon aller „absoluten Metapher“. Deren Ausnahmestellung beweist sich laut Blumenberg eben darin, dass in ihr die „Wirkungsweise“ der Metapher als sprachlicher Figurierung am durchschaubarsten (sogar empirisch belegbarsten, davon noch später) sich darbietet: Das zentrale sprachliche Mittel zur Erkenntnis zuerst geschaut „kosmischer“, dann naturwissenschaftlich erforschter Groß-Zusammenhänge zu sein. Die Metapher, von Aristoteles bis hin zu Blumenberg, als ein, wie es heute heißt, „shuttle“, vulgo als der Fährmanns-Nachen zwischen Wissenschaft und Literatur. Mithin das seinerseits „absolute“ Königsgenre für jede „Dritte Kultur“. Als aristotelische Metapher, abgeleitet aus Platons Höhlengleichnis, verbindet die Lichtmetapher (spätes) Griechentum und (frühes) Christentum miteinander; geriet dann in der Stoa zum Bild der sich selbst auslegenden, unabweisbaren Wahrheit Gottes: „Die klassische Lichtmetapher, die durch die stoische Etymologie … ins Spiel kommt … mehr der ruhend-genießenden … klassischen Zeit zugeordnet: ‚Wie das Licht sich selbst zeigt und zugleich die im Licht stehenden Dinge, so zeigt auch die Vorstellung sich selbst und das, was sie hervorruft.‘“Footnote 29 Dieses ursprünglich göttliche Licht wird dann, im Laufe der religiösen wie auch naturwissenschaftliche Geschichte, zur profanen, aber eben doch weiterhin „mythischen“ Elektrizität („Electrizität“) und Gegenstand von Untersuchungen auch bei Maxwell wie Einstein. „Die Metapher von der selbständigen Macht der Wahrheit bleibt bis weit in die Neuzeit hinein lebendig. Kepler schildert in der Vorrede zum 5. Buch seiner Weltharmonik sein Erstaunen darüber, dass schon Ptolemaeus in seiner Harmonik das geleistet hatte, worauf Kepler unabhängig und auf eigenen Wegen gestoßen war.“Footnote 30 Damit war der Raum unendlich erweitert; die griechische Begrenztheit des Kosmos überschritten worden. Bis hin zu Aristoteles war dieses Unendliche aber undenkbar, darum negativ besetzt gewesen. Die Annahme von einer Kreisbahn der Gestirne war in Wahrheit der Vorstellung geschuldet, daß alles Vollkommene rund oder kugelförmig zu sein hatte. Ptolemäus hatte die Planeten deshalb putzige schweinchenschwänzige Kreisbahnen drehen lassen. War auf diese Weise aber doch auch zu seiner so lang andauernden Autorität gelangt, weil der frühe Astronom Sonnenfinsternisse vorherzusehen vermocht hatte.Footnote 31 Den Kreislauf der Gestirne erkennen zu vermögen galt als Zeichen der Göttlichkeit, der Erleuchtung durch menschliche Vernunft. Darin sollte sich die Gesetzlichkeit wahrhaft vernünftigen Seins offenbaren, der „gestirnte Himmel über mir“ bereits jetzt die Gewähr einer unverbrüchlichen Seinsordnung. Die aber offenbart sich auch in Hans Blumenbergs „absoluter Metapher“, von der er geschrieben hat: „Absolute Metaphern ‚beantworten‘ jene vermeintlich naiven, prinzipiell unbeantwortbaren Fragen, deren Relevanz ganz einfach darin liegt, dass sie nicht eliminierbar sind, weil wir sie nicht stellen, sondern als im Daseinsgrund gestellte vorfinden.“Footnote 32 Welch eine Karriere, und in ihr welch ein Bedeutungszuwachs eben der Metapher als einzigartig gewordenem Bindeglieds zwischen den beiden wichtigsten Sphären göttlich-menschlichen Wissens!

Als Meister des synthetischen kulturwissenschaftlichen Zusammenschauens hat Blumenberg bilanziert: „Die absolute Metapher, so sahen wir, springt in eine Leere ein, entwirft sich auf der Tabula rasa des theoretisch Unerfüllbaren; hier hat sie die Stelle des nicht mehr lebendigen absoluten Willens eingenommen. Metaphysik erweist sich uns oft als beim Wort genommene Metaphorik; der Schwund der Metaphysik ruft die Metaphorik wieder an ihren Platz.“Footnote 33 Und ferner: Solche Metaphorik besitze ihr selbst absolutes Zentrum (bei Blumenberg ebenso wie bei Kafka) – eben in der Lichtmetapher. Ihr hat Blumenberg, dessen Genius sich aus stupend umfassendem, gelehrtem Kompilieren, und nicht aus spekulativem, philosophischem System-Entwurf speiste, ihrerseits eine ganze Abhandlung gewidmet, die, vor mehr als einem halben Jahrhundert erschienen, dennoch so frisch erscheint wie an ihrem ersten Tag. Ihr Titel lautet: Licht als Metapher der Wahrheit. Im Heft 7 von Studium Generale im Jahr 1957 erschienen, war der Essay im Zuge einer erwarteten Neubelebung der begriffsgeschichtlichen Forschung geschrieben worden. Entstanden übrigens aus einer Erkenntnis, die verblüffend aktuell anmutet: Aus der „Einsicht in die Vergeblichkeit eruptiver begrifflicher Neuproduktion“, so als hätte sich Blumenberg damals bereits mit dem Begriffszauber der Postmoderne konfrontiert gesehen. “Zum inhaltlichen und methodischen Aufbau einer philosophischen ‚Metaphorologie‘ möchte auch die vorliegende Studie über die Lichtmetapher und ihr zugehöriges Umfeld beisteuern.“Footnote 34 Der Ausgangspunkt war dabei einer, der auch für diesen Text seine Gültigkeit besitzt, nämlich, dass in der Lichtmetapher ein Gegenstand gegeben sei, der unvergleichlich sei betreffend seiner Aussagefähigkeit und Wandlungsmöglichkeit. Die Heidegger’schen Anklänge dieser frühen Arbeit, wonach das „Sein“ im Spiegel der Lichtmetapher zu verstehen, zu ergründen gar sei, kann man getrost zurückstellen gegenüber der noch im gleichen Schreibaugenblick aufblitzenden Erkenntnis, dass das „Verhältnis von Einheit und Vielheit, von Absolutem und Bedingtem, von Ursprung und Abkunft …“ hier eine Art von „Modell“ gefunden hätte.Footnote 35 Es geht also um den cluster für eine Betrachtungsweise, die auf die Erkenntnis der Erkenntnisgeschichte, letztlich auf das movens innerhalb der Erzählung von der fortschreitenden Erkenntnis der Welt durch den menschlichen Geist, abzielt. Und: Licht könne der gerichtete Strahl, aber auch die Leuchte in der Dunkelheit, die vordringende Entmachtung der angestammten Finsternis; aber eben auch die blenden Überfülle, eine unbestimmbar allgegenwärtige, konturverwischende Helle sein. „Licht und Finsternis können die absoluten metaphysischen Gegenmächte repräsentieren, die sich ausschließen und doch das Weltgefüge zustande bringen“Footnote 36, denn das Licht ist eben in dieser Entgegensetzung unerschöpflich, entweder als überirdisches, oder als vom „Schnellen Brüter“ erzeugte Elektrizität. Immer aber in seiner erkenntnistheoretischen Besonderheit etwas, was einem „ins Auge springt“; aber eben auch als unerträgliche Evidenz in die Selbstdarbietung des immerdar Leuchtenden eingesenkt. Nicht nur der Sonnengott der alten Ägypter, sondern auch die Sonne des Kopernikus, und schließlich die Einsteins, wenn sie den den Lichtstrahl ablenkt, sie erscheinen alle als die Variationen eines Unvergänglichen. Stets bietet die Sonne sich hier zur zentralen Metapher an – last not least, weil ihre Radiation sich, als potentiell „ewig“, eben der Spaltung des Atoms verdankt. Hoch interessant erscheint in diesem Zusammenhang, dass es eine Vielzahl von Schriften der Augustinus, Bonaventura, der Mystik insgesamt und auch zu Nikolaus von Cues gibt, in denen bezweifelt wird, dass in der Neuzeit „die Geschichte der Lichtmetapher überhaupt weitergeht.Footnote 37 Eine Sache der Vergangenheit, für immer? Steht doch komplementär dazu die Tatsache, dass die alten Griechen, bei aller für sie spezifischen Götterfülle, dennoch keine eigentliche, spezifische Lichtgottheit mehr (wie noch die Ägypter vor ihnen) gekannt haben, wenn denn Nietzsches großer Feind Willamovitz-Moellendorff Recht hat.Footnote 38 Gerade deshalb aber begann alles mit der dunklen platonischen Höhle, dem vielleicht einflussreichsten Gleichnis der Weltgeschichte?

Man ist versucht, das anzunehmen. Erscheint diese Lesart doch unaufhebbar paradoxal (und dennoch kulturgeschichtlich belegt), nahezu so, wie manche Gleichnisse Kafkas, etwa das von den nicht-singenden Sirenen. Für Blumenberg jedenfalls begann alles mit der Dunkelheit der platonischen Höhle, mithin dort, wo die Sterblichen mit dem Rücken zum Licht sitzen müssen. Von hier aus gewinnt seine Metaphorologie ihren Ursprung (und endet dann in der Neuzeit mit entropischer Selbstauflösung). Hatte Elektrizität das „Licht“ nicht nur ab-, sondern gar aufgelöst? War die griechisch lichte Kosmos-Schau zum Albtraum allesbedrohender kriegerischer Atomspaltung geworden? Die Anti-Atombomben-Erklärung der Göttinger Atomphysiker, darunter so bekannte und integre Namen wie Heisenberg und von Weizsäcker, erschien jedenfalls im gleichen Jahr 1957, die letzten Bande zwischen den beiden „Kulturen“ auflösend, wie es P. C. Snow ein Jahr zuvor thematisiert hatte. Unterlag hier der Münsteraner Spezialist für metaphorische Erkenntnis der gleichen dunklen Angst, die, es wird noch detailliert darzustellen sein, aus dem frühromantischen Optimismus noch bei Mesmer dann Dürrenmatts brillant-düstere Physiker hatte werden lassen? Auch Franz Kafkas Romane waren dieser absteigenden Tendenz bereits verpflichtet gewesen: Vom Licht-Roman Der Verschollene zum nur noch düsteren Schloss; mit einem Process in der Mitte, wo das Licht nur noch aus einer Fensterscheibe gespiegelt, zufällig und „entfremdet“, auf eine düstere Hinrichtung in einem ebenso düsteren Steinbruch in den düster-baumlosen Außenbezirken der Moldau-Stadt fällt, K.’s Hinrichtung von finsteren (Wagner?)Tenören ausgeführt. Also eine Tendenz von erst noch blendend hellem, dann bereits gebrochenem Licht hin zur vollkommenen Finsternis; statt lichtes Frühjahr ein schneereicher Winter. Blumenberg (er hat über Kafkas mythisch bedrückenden Vater geschrieben, und das nur wenige Jahre vor seinem Licht-Aufsatz) teilt die düstere Bilanz des Pragers. Am Ende seines Essays, unter Bezug auf den großen Pessimisten sowie bedeutenden Lyriker Gottfried Benn, kommt die im Grunde Heidegger’sche Absage an die „moderne Technik“ zum Vortrag. (Deren Wesen, da hatte der Heideggerianer Blumenberg ja Recht, im elektrischen, generatorgenerierten Licht gesehen wurde). „Der Mensch, dem das technische Licht der ‚Illumination‘ in vielerlei Gestalt eine fremdwillige Optik oktroyiert, ist der geschichtliche Antipode des antiken contemplor caeli in seiner Freiheit des Schauens. Schon gibt es Menschen, die noch nie einen Stern gesehen haben: ‚Gestirne, wo?‘ ist der glaubwürdig gewordene ungläubige Ausruf des modernen Lyrikers der großen Stadt.“Footnote 39 Der Ausruf steht bei dem auf Expression sich verstehenden Lyriker Gottfried Benn: Gesammelte Gedichte, damals eben im Jahr 1956 in Zürich erschienen. Mithin die damals modernste, ihrerseits erste Nachkriegs-Ausgabe der Lyrik des Expressionisten Benn, den das „Schwarze Korps“ einen „Nihilisten“ geschimpft hatte, in seinem gleichnamigen Organ zur Beurteilung der Schönen Künste, was damals noch keine zwei Jahrzehnte in der Vergangenheit lag. Man kann dennoch, Heideggers „Entbergungs“-Mythos hin und seine „Seins“-Mystik her, mit Blumenberg darauf setzen, dass an der historisch verfolgbaren Umformung der Licht-Metapher ein grundlegender Wandel des „Weltverständnisses“ sich ablesen lässt. Dass „Wahrheit Sein als Licht“ bedeutet, sagt erst einmal wenig; dass tatenlos-kontemplatives Schauen dagegen zur Wahrheit führen kann, sicherlich schon mehr. Der Tatbestand „entbirgt“ sich geradezu glanzvoll in jener Beweisführung Blumenbergs, die jetzt folgt und differenziert demonstriert, wie aus Platons Höhle via Ciceros De officiisFootnote 40 dann, in Mittelalter und Renaissance, die Klause des Gelehrten wird, – von der ihrerseits neues Licht ausgeht. Hier ruht, vor dem grübelnd-versunkenen Heiligen Hieronimus in seinem „Gehäuse“ hingestreckt, die Gestalt des schlafenden Löwen stellvertretend für jene Freiheit, die hier nun herrschen und einer guten Zukunft vorausleuchten soll. Licht geht aus vom Gelehrten und seinem Schreibtisch, fällt aber lediglich durch ein kleines Fenster in die Klause ein. Denn: Das ganz grosse Licht der richtigen, weittragenden und emanzipatorischen Ideen ist seit Platons Höhlendämmerung nur noch im Schatten zu ertragen. „Das Innen der Höhle ist positiv umgewertet: als individualisierte Höhlen werden Kämmerlein und Klause im Mittelalter zu Orten, an denen die Wahrheit offensteht, Hinweisung darauf, dass nun alles von innen erwartet werden kann.“Footnote 41 Letzteres ist entscheidend; und bereits bei Augustinus, dem „ersten modernen Christen“, vorgebildet. Nicht erst in der Frühromantik, bereits hier ging der „geheimnisvolle Weg nach innen.“ Aus Platons Höhle als Ort der verhinderten Ideen-Schau schälte sich mithin im Laufe der Jahrhunderte ein individueller Innen-Raum heraus, in dem man auf das Licht als Gnade warten konnte; oder als aufgeklärter Gelehrter auf die richtige, erhellende Eingebung. Die Aufklärung würde die zweitgenannte Variante übernehmen. Bei Francis Bacon dann entwickelt die Höhle/Klause sich zu einer eigenen kleinen Welt, immer noch beschirmt vor dem allzu grellen Licht der Aussenwelt mit nunmehr seinen gewaltsamen politischen Aktionen, diesem Feind aller Kontemplation, gar allen Denkens (deren Streit ist nun nicht mehr, wie noch bei Heraklit, der Vater aller Gedanken). Was jetzt vor der Tür steht, aber eben auch von dieser Klausentür ausgeht, das ist die Neuzeit des Cartesianisch-Newtonisch-Leibniz’schen Denkens. Das Denken verlässt seine Höhle und macht sich, in Gestalt der modernen Naturwissenschaften, an die Eroberung der natürlichen Welt samt ihrer unendlichen Ozeane, die nun weltumspannend befahren werden. Wie schreibt doch Blumenberg als unser Psychopompos? „In der Weltabschirmung des mittelalterlichen Gehäuses leuchtet zuerst die schöpferische Potenz der Menschheit; nur durch die Weltaskese entdeckte sich die Weltmächtigkeit“Footnote 42 – und letzteres wird sich bald noch ausweiten, wird in Newtons Denken in den Kosmos hinausstreben und als „Royal Navy“ die irdische Welt kolonisieren. Dennoch verbleibt die Höhle oder Klause der Ort aller Erkenntnis; in ihr startet aller Fortschritt. Indem der abgeschiedene Ort solchen stiftet, „vergesellschaftet“ er sich. Dieses neue Ausgreifen auf die Welt startete bereits bei Cicero. Bei dem Römer durch die Rhetorik als das Instrument gesellschaftlich-politischer Dominanz bestimmt (ein Tatbestand, der dann, bei Vitruvius, das Bild eines hervorbrechenden, nicht mehr aufzuhaltenden Waldbrandes gewinnt als Hinweis darauf, welche Gewalt solch geschulter Rede, im römischen Senat etwa, zu eignen sein konnte).

Höhle und Licht bleiben sich dennoch als Gegensätze treu. Wenn Nietzsches Zarathustra sich erneut in eine Höhle zurückzieht, so geschieht das als Protest gegen die seelenlose Natureroberung des positivistischen 19. Jahrhunderts. (Wobei, wir werden es später sehen, Nietzsche als der philosophierender Protheus, der er eben auch gewesen ist, noch ganz anders zu denken vermochte.) Man erkennt: Am Beispiel der Metapher, so sie zentral, also „absolut“ ist, kann man die Geschichte der Gattung und die des Denkens selbst schreiben. Was noch fehlt, ist, dass die Schlange sich in den eigenen Schwanz beisst; die Erkenntnis ins Selbstreflektive gewendet wird. „Nur wer schaut, ist wissend“ bedeutet: „Es gibt nur einen ‚Gegenstand‘ wahrer Erkenntnis: das Licht selbst und an sich selbst. Abkunft ist schon Abfall.“Footnote 43 Solche Heidegger’sche Mystik besitzt dennoch ein erstaunlich robustes Verbindungsglied gerade zur neuesten Wirklichkeit. „Darin scheint eine unaufhebbare immanente Konsequenz der Lichtmetaphysik zu liegen: das Licht als das Gute ist Selbstverschwendung und Selbstverstrahlung, aber eben darin Entfernung von sich selbst, Selbstverlust und Selbsterniedrigung“Footnote 44 – so wie die Sonne sich selbst verzehrt, weil sie uns lebensspendend leuchtet in ihrem atomaren Feuer? Schon Augustinus führte solche Lichtmetaphysik auf die Lichtmetaphorik zurück: Weil das Licht nur dann, wenn es im Rücken liegt, uns die Welt beleuchtet, ist die Seele/das Gedächtnis der Ort für unsere „illuminatio“ durch Gott. Das Auge steht für die Freiheit; das Ohr dagegen für die Begrenzung durch die „auctoritas“, was allerdings freiheitsbegrenzend, gerade wenn in seine Entgegensetzung christliches Auge – jüdisches Ohr gesetzt, zu wirken vermag. Solche Entgegensetzung kehrt gerade in der Renaissance wieder, wo das Experiment gegen das Dogma gesetzt wird, ist dann später im Galilei von Brecht und Brod, und auch als eine Art Schlussvolte in Dürrenmatts Physikern anwesend „Es bezeichnet den Anbruch einer neuen Epoche, indiziert an der Lichtmetapher, dass vom Menschen, … dem studiosus homo, gesagt werden kann, er sei ‚naturalis lux.‘“Footnote 45 Damit ist der Heideggerianer Blumenberg endgültig zum aufklärerischen Sozialhistoriker mutiert und nähern wir uns dem Ende dieser kurzen Geschichte der Lichtmetapher. Im 18. Jahrhundert enstand, wie bekannt, eine emphatisch-dominante Aufklärung: Progrès de Lumiere, enlightenment. Dagegen wendete sich dann die frühe Romantik, feierte ihrerseits eine frühe Elektrizität im „electrischen“ Mesmerismus. Maxwell dann entdeckt den Elektromagnetismus konnotiert mit dem Lichtstrahl selbst, gefolgt von Einstein, der sich deshalb eher als Schüler des Schotten zu sehen wünscht, als der Newtons. Siemens erfindet schliesslich den Generator, der dann die Weltausstellung in Paris im Jahr 1900 dominieren und Kafka zum Verschollenen anregen wird. Licht wird nun unbegrenzt verfügbar; es schafft Aufklärungsschneisen, wird aber auch in seinem Gleissen inflationär, also falsch verfügbar, zu blossem Luxus, schliesslich zur Lichtverunreinigung, die dafür sorgt, dass man, siehe Gottfried Benn, keinen Stern am Himmel mehr zu erkennen vermag. Die Nacht ist wieder schwarz geworden, weil masslos erleuchtet? So jedenfalls lässt sich streckenweise die Darstellung bereits in Kafkas „Verschollenem“ verstehen.

Hier findet sich daher die folgende Szene, von Kafka belegbar „erfunden“, nicht aus seiner „Vorlage“ entlehnt, in der eine amerikanische Richterwahl im gleissenden Licht der Autoscheinwerfer vor sich geht (die Manipulation einer Volksversammlung, wie es bereits erwähnt wurde). Die Scheinwerfer ihrerseits sind montiert an einem Exemplar von Henry Fords legendärem „Modell T“, was man einleuchtender Weise annehmen kann. In diesem Licht verlischt aller (basis)demokratischer Glanz, den solche Wahl einmal besessen haben mag. Franz Kafkas Darstellung, so ausgelegt, befindet sich in Übereinstimmung mit allgemeinen Problemen der ganz modernen Kunst, wie sie in seiner Lebenszeit entwickelt wurde. Man kann nämlich argumentieren: Aus der Aufmerksamkeit auf die einfallenden Lichtstrahlen entstand einst die Perspektive in der Welt der Renaissance-Malerei. Picasso hat sie liquidiert. Caravaggio und Rembrandt übten „Lichtregie“, die dann verschwand, als der Impressionismus dieselbe auf alle Gegenstände ausweitete. In Dürrenmatts Physikern wird schliesslich das beklemmende, wie immer hoch farcenhaft-witzige Gegenstück zur griechischen Kosmos-Schau erkennbar. Es gibt im Atom-Zeitalter keine Tragödie mehr – eben, weil das tragische Geschehen allgemein, „demokratisiert“ geworden ist? Derart schliessen sich Kreise, entstehen Lichtbögen von immenser Durchdringungskraft, wenn Blumenberg als der Herr aller Metaphorik uns die Kulturgeschichte ausleuchtet. Denn in solcher kulturhistorischen Durchleuchtung erscheinen auch Kafkas Romane neu und anders. Der Prager lebte bereits in der Zeit des heraufkommenden, „rassentheoretischen“ und bald schon „eliminatorisch“ denkenden Antisemitismus, dem „schauen“ „selektieren“ bedeutete. Dessen Anhänger sprachen in Prags Gassen tschechisch, hatten aber, wie prominente „National-Soziale“ aus Kafkas Wohn- und Wahlbezirk, an der „Kaiser-Wilhelm-Universität“ im preussischen Berlin studiert, zum Teil als Kommilitonen von Moeller van der Bruck. Der „afrikanisch“ ausssehende Kafka (so Milenas rassenstolzer Vater) hat die prüfenden Blicke der die Prager Straßen durchstreifenden Antisemiten oft auf sich lasten gefühlt, und sie Milena gegenüber eindrücklich beschrieben. Wenn die Nazis undenkbar sind ohne die Auflösung der alten Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts, ohne die sozial entwurzelten und entpersonalisierten Massen ihrer Handlanger, die alle Eichmann hießen und deren viele im österreichisch-süddeutschen Dialekt sprachen, so scheint Kafkas „Schwarzer“ im Schloss ihnen bereits zu gleichen. Er hält sich im Dorf auf, um nach Fremden Ausschau zu halten. An ihm ist der Blick zu jenem Selektionswerkzeug geworden, dem dann, in Nazi-Zeiten, Kafkas Schwestern verfallen sollten. „Schauen“ bedeutete nun „Aussondern“. Hinzu kommt, dass Kafkas „Held“ K. auf die beginnende Auflösung einer vormalig fest verfügten Herrschaftsordnung stösst. Seine sexuelle attrattiva reicht nicht mehr aus, die Lehrerin Gisa zu erobern, in Kafkas Schloss-Text ein exemplarisch „arisches“ und pogromgeiles „Weib“. Schwarzer (nach der Farbe Mussolinis benannt?) ist selbst ein bereits Depossedierter. Seine Welt ist ebenso aus den Fugen, wie es die Welt der Eichmänner zu etwa der Schreibzeit des Kafka’schen Romans gewesen ist. Die Wirtin schließlich als eine Art weiblicher Blockwart argumentiert im Schloss nicht zufällig damit, dass K.’s „Wesen … völlig verschieden von unserm“ sei. Und hierbei kommt eine Alleinstellungsmerkmal des Kafka’schen Erzählens ins Bild, das sich offenbar seiner Begegnung mit der neuesten Physik verdankt. Denn die Dame verwandelt sich, der in der Unschärferelation implizierten Perspektivveränderung folgend, während sie noch ihre antisemitischen Thesen absondert, von einer K. fördernden zu einer K. abstossenden Grösse. Die auch physisch als mächtig Dargestellte mutiert vom Mäzen K.’s zum (buchstäblichen) Hindernis seines Fortkommens. Ihr plötzlich machtvoll ausgestellter Rock soll des Assimilations-Aspiranten weitere Karriere buchstäblich blockieren. In solchem gesellschaftlichen Klima geriet die Bedrohung des jüdischen Außenseiters durch das völkische Kollektiv erst zur wahrlich existentiellen, näherte sich aber auch die Kafka`sche Darstellungsweise den Maximen der modernen Physik an. Dabei beschrieb der Autor im Schloss lediglich, was er im Prag des Nachkriegs erlebt hatte. Dieses Schloss reflektiert die Welt nach dem Ersten Weltkrieg ebenso, wie der Process vor ihm dessen Ausbruch: Als abschließender Rückblick auf das Schicksal der deutschsprachigen jüdischen Assimilation, dabei gekleidet in Bilder und Metaphern, die ohne die neueste Physik nicht denkbar scheinen. Niedergeschrieben in den Zeiten des beginnenden Siegeszugs des Totalitarismus im 20. Jahrhunderts, dessen schwarze Hemden damals bereits mit Benito Mussolinis Siegeszug die italienische Politik dominierten. Dunkle Kräfte, die in Luegers antisemitischem Wien eher harmlos mit dem Bau von Gebirgswasser-Leitungen, dann aber eben auch mit der Denunziation Gustav Mahlers als eines „rachitischen“ Juden sich zu etablieren begannen. In Prag herrschten sie bereits, Dank der „National-Sozialen“, die den Prager Wahlbezirk, in dem Kafka lebte, dominierten.Footnote 46 Und auch: Gerade in Prag war, spätestens seit Einsteins Vortrag, jene „doppelte Optik“ zu finden, der sich dann der Romancier Kafka bei seiner Beobachtung des Gesellschaftsfeldes genial bediente (und die später „kafkaesk“ heißen würde).