Noch in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es eine breit rezipierte, sehr bald ins „Modische“ zerlaufene „New Age“-Bewegung, die weniger einen „fernöstlichen“ Mozart statuieren, als gleich die gesamte moderne Teilchen-Physik mit altchinesischen Lehren und Weisheiten zu den zwei Seiten einer gleichen Münze zu verbinden trachtete. Deren Erfolg kann heute, bis hinein in die allgegenwärtigen Angebote „fernöstlicher Meditationstechniken“, in zahlreichen Fitness-Studios besichtigt werden. Ein entscheidender bestseller-Autor war in diesem Zusammenhang Fritjof Capra mit Wendezeit. Bereits der Titel ist blumiger, als er sich beim ersten Lesen zu erkennen gibt. Geht er doch auf den chinesischen Text I Ging zurück, der wissen wollte: „Nach einer Zeit des Zerfalls kommt die Wendezeit. Das starke Licht … tritt wieder ein“ (so im Motto zur deutschen Fassung des Capra-Buchs).Footnote 1 Die Allgemeinheit solcher Sprüche, ihr Versprechen auf „Erleuchtung“ sollte ihren Wahrheitsgehalt garantieren; dennoch ist das Capra-Buch auch ein kenntnisreicher, nuancierter Bericht über die Entwicklung der modernen Philosophie und Naturwissenschaft, der Physik zuallererst seit dem Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Capras Werk leidet allerdings an seiner exotisch-modischen Fixierung an I Gings Buch der Wandlungen, den ältesten aller klassischen chinesischen Texte, der zurückgeht auf das 3. Jahrtausend v. Chr. (und entschieden mehr Orakel denn Philosophie, oder auch nur Lebensweisheit, enthält). Doch es geht bei Capra eben auch und dann sehr kenntnisreich um die Ablösung des Cartesianisch-Newton’schen Denkens durch eine neue Sicht auf die Wirklichkeit, bedingt durch die neue Atomphysik – mithin Gedankengänge, die den darin vorgelegten Versuch, eine „Dritte Kultur“ zu etablieren, im Innersten berühren. Statusbeschreibungen wie: „Alle Geschehnisse sind untereinander verbunden, doch sind diese Verbindungen nicht kausal im klassischen Sinne“Footnote 2 erfassen ziemlich exakt den Unterschied der Kafka’schen Romane zu denen des vorhergegangenen „Poetischen Realismus“ (oder auch denen des „Naturalismus“), beides die dominierenden Romanformen des 19. Jahrhunderts. Oder, ein anderes Beispiel zu wählen, Kafkas „assimilatorische“ Helden wie der K. des Schlosses erscheinen in der Tat nicht mehr als psychologisch und „realistisch“ nuancierte Personen; sondern als Verkörperung sozialer Energie. Der Satz: “In der modernen Physik bringt man Masse nicht mehr mit einer materiellen Substanz in Verbindung, weshalb Teilchen nicht als aus irgendeinem besonderen ‚Stoff‘ bestehend angesehen werden, sondern als Bündel von Energie“Footnote 3, er könnte in der Tat auch lauten: “In Kafkas Romanen kann man die Substanzialität der handelnden Figuren nicht mehr als entwicklungsgeschichtlichpsychologisch bedingt verstehen, sondern als die elementarer Teilchen, gesteuert von sozialer Energie.“ Dem entspricht, was beispielsweise Werner Heisenberg in Das Teil und das Ganze ausgeführt hat: Es gibt eine entscheidende Nähe zwischen der (ihrerseits in der frühen Romantik, etwa bei Schleiermacher entstandenen), inzwischen hergebrachten, allgemein durchgesetzten „Hermeneutik“ als Instrument des Textverstehens einerseits, und der neuen Teilchenphysik andererseits, wie sie ihrerseits durch Einsteins Relativitätstheorie erst möglich wurde. Die „Postmoderne“ meinte einst, die Hermeneutik ausgestochen zu haben; frühere Theorien einer „Dritten Kultur“ konnten noch annehmen, daß Koexistenz zwischen „Postmoderne“ und „Dritter Kultur“ möglich sein müsse. Solche Annahme ist, seit der allgemein akzeptierten „Wiedereinsetzung“ der Hermeneutik in ihren griechisch angestammten Platz, nicht mehr zu halten. Vielmehr deutet gerade die neu entdeckte, dabei zwingende Nähe eben der Hermeneutik zum Netzbegriff Hans-Peter Dürrs und, wie immer „chinesisch“ eingefärbt, auch bei Capra, auf die bereits bei Werner Heisenberg statuierte Annahme hin, dass die neue Teilchenphysik ihrerseits eine Art physikalisches Gegenstück zur Hermeneutik sei. Die Hermeneutik wiederum (insbesondere in ihrer von Schleiermacher in Berlin entwickelten, noch christlich theologisierten Urform) ist ihrerseits ein Geschöpf der (Berliner und Heidelberger) Hochromantik – so wie auch das systematische Interesse am „Fernen Osten“ mit seinem Mittelpunkt „Chinesische Kultur“. Denn es war kulturgeschichtlich ja so gewesen, daß bereits Novalis seinen Helden Ofterdingen in ein verzaubertes Morgenland, mithin zu den „Quellen der Weisheit“, aussenden wollte, auf den Spuren zu einer vermuteten kulturellen Wiege der Menschheit (auch darin ausgezeichnet durch einen besonderen Sinn und Geschmack für’s Unendliche). Dort allein könnten sich Himmel und Erde inniger berühren, nahm er ebenso an, wie dann auch in der Welt von Kafkas Erzähltheorie ein unerreichbarer Zielpunkt für des Pragers „stehendes Marschieren“ gegeben schien. Der Tatbestand machte Kafkas Großem Alexander den Aufbruch nach Osten so schwer, allen Vorbereitungen durch Aristoteles, seinen Erzieher und genialen Kompilator alles damaligen Wissens, zum Trotz. Denn es verhielt sich ja so: Winckelmanns Klassizismus, das gesamte Bild der Antike in der deutschen klassischen Periode, wurde durch die Romantik abgelöst und dabei tiefgreifend in seiner Orientierung verändert. Man entdeckte nämlich den „Orient“, womit neben dem alten Indien und Ägypten nun vor allem China gemeint war. Auch daraus resultierten die kulturgeschichtlichen Energien, die Kafkas Mozart zu einem „chinesischen“ machten. Von nun an deckte der Schatten des Ostens den Okzident zu; und seit jenen Jahren, die auf den erzwungenen Abbruch der ägyptischen Expedition Napoleons folgten, legte der Osten sich über den Westen wie ein Stoff aus schwarzer, schwerer, fließender Seide. In diesem Prozess einer Untergrabung des bislang unangefochtenen westlichen Selbstverständnisses zieht es besonders Joseph Görres, Friedrich Schlegel und Georg Friedrich Creuzer in die neu entdeckte, räumlich wie geistige Welt des Ostens hinaus. Creuzers monumentale Symbolik und Mythologie der alten Völker erscheint und macht Furore. Friedrich Schlegel erklärt 1799 in seiner Rede über die Mythologie, das Romantische sei vorzüglich im Orient zu finden (während er, in Paris komfortabel aufgehoben, Sanskrit lernte). Hier und nirgendwo anders entsteht Kafkas China-Interesse,Footnote 4 seinerseits angedockt an die nicht mehr Jenaer, sondern „Heidelberger Romantik“ mit ihren nationalistischen Einschlägen einerseits und ihrer ungebrochenen Neigung, nach verschollenen Spuren früherer Erfahrung mit dem Ungeheuerlich-Unendlichen begeistert zu suchen. Immer im Bewusstsein, dass niemals zu erlangen sein würde, wonach man sich verzehrte, so ganz im Sinn des Botho Strauβ, man erinnert sich.

Weil dieser programmatische Wechsel der Himmelsrichtung (im Zusammenspiel mit dem in der Textauslegung, Stichwort Hermeneutik) grundlegend erscheint für die hier angestrebte Neufundierung einer „Dritten Kultur“, sei er breiter geschildert. Der altgriechische Begriff „hermēneũein“, der „erklären“, „auslegen“ und „übersetzen“ bedeutete, gab die Wurzel für den Begriff „Hermeneutik“ ab, wie er seit der Antike zur theoretischen Absicherung aller Interpretation, allen Text-Auslegens, und allen „Verstehens“ von Kunst, Gesetzestexten, und auch Heiligen Schriften diente. Wenn Verstehen ein Sein ist, in dem die Welt sich selbst auslegt, so entsprach dieser idealistisch-existentialistischen Auffassung die ursprüngliche Vorstellung von einem Götterboten, eben Hermes, der nicht nur die Botschaften der Götter, sondern auch deren Auslegung vermittelte. Daraus entwickelte sich im Fortschritt der Zeiten eine Philosophie des Verstehens und eine Methode („hermeneutischer Zirkel“) sachgerechten Verstehens zugleich. Dass sie traditionsgemäß einen stärkeren Bezug zur Geisteswissenschaft besitzt, brachte dann Wilhelm Dilthey dazu, in ihr eine Grundlegung der Geisteswissenschaft in Opposition zu einer Naturwissenschaft zu sehen, die im 19. Jahrhundert noch dem mechanisch-„objektiven“ Denken der Newton und Leibniz verpflichtet erschien. Solche Abgrenzung aber galt nicht mehr seit Albert Einsteins Relativitätstheorie mit der nunmehr implizit gegebenen Relativität von Raum und Zeit. Werner Heisenberg hat das auch philosophisch begründet nicht nur in Philosophy and Science.

All dies besaß seine Vorgeschichte. Seitdem Immanuel Kant die Einsicht in die Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit entscheidend bestimmt hatte, stellte sich für die in der Romantik neu begründeten Hermeneutik die Aufgabe, die gesellschaftlich und geschichtlich gegebene Gebundenheit menschlichen Denkens zu reflektieren. Mithin liegt „eine der geheimen Wurzeln der Romantik und des Aufschwungs, der der Hermeneutik seitdem widerfahren ist“, eben in der frühromantischen Opposition gegenüber aller Newton’schen Objektivität der Welt.Footnote 5 Das war schon bei dem Berliner Romantiker Friedrich Schleiermacher so gewesen, diesem reformierten, aber dann ästhetisch abtrünnig gewordenen Prediger an Berlins Charité, auch er auf nahezu Kantische Weise ein Verwachsener und doch von unbegrenzt romantischer Imaginationskraft; mit einem Liebesverlangen ausgestattet, das in der bestrickend schönen Henriette Herz eine stadtbekannte übersinnlich-sinnliche Inkarnation erhielt, und ein Mann, für den Religion „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“ bedeutete. „Er arbeite wie ein Chemiker, hat er einmal zu Henriette Herz gesagt. Novalis gegenüber hat er sich als jemand bezeichnet, der auch, wie dieser, das Innere der Berge erforsche.“Footnote 6 Dieser Friedrich Schleiermacher unterschied zwei Ebenen der Textauslegung: Erstens die grammatikalische, und zweitens die psychologische, die neben der Aufschlüsselung des sprachlichen Kontexts die Motive des Verfassers zu erschließen trachtete, und das beides zusammen in einem Ausmaß, dass am Ende der Interpret den Text besser verstehen sollte, als vor ihm der Autor selbst. Mit Schleiermacher, einem schmalbrüstigen Theologen (dem aber, wie gesagt, die stadtbekannte reizende Henriette ihr romantisches Licht aufgesetzt hatte, worüber man in Kreisen der Berliner Romantik gern spottete), verlor die Hermeneutik ihre traditionelle Begrenzung auf ausschließlich Texte als die möglichen Medien von Wahrheitsvermittlung. Es zählten nun nicht mehr lediglich Bibel oder Koran. Sondern Texte geraten jetzt zu generellen Zeugnissen der menschlichen Psyche, des „Lebens“ im Sinne einer sich entwickelnden Lebensphilosophie, eines „Existentialismus“ (man denke an den anderen Kafka’sche „Blutsbruder“ Kierkegaard), der seinerseits mehr und mehr des Verfassers geschichtliche Epoche mit einbezog. Über den später folgenden, ebenfalls in Berlin konzentrierten deutschen „Historismus“ u. a. Droysens ist dieser Verstehensansatz bis auf den heutigen „New Historicism“ Stephen Greenblatts gelangt (in dem, nebenbei gesagt, das methodische Postulat der „postmodernen Dekonstruktion“ bereits seit runden 50 Jahren als ein gründlich widerlegtes vorliegt – eben als Enzensbergers „Kasperletheater“). In unserem Zusammenhang scheint wichtig, daß die Relation zwischen dem Teil und dem Ganzem, wie sie auch im „hermeneutischen Zirkel“ vorliegt (das „Zirkel“-Wort zuerst wohl bei Friedrich Ast, 1778 bis 1841), ihrerseits mit der neuen Teilchenphysik in Übereinstimmung steht. Das aber hat niemand anders als Werner Heisenberg in gleich mehreren Büchern herausgestellt, auf die noch einzugehen sein wird.

Die Hermeneutik hat somit selbst eine Entwicklung durchlaufen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt durchaus noch mit dem Newton/Leibniz’schen Bild vom Universum und dessen Harmonieverpflichtung koinzidierte. So noch im Jahr 1757, als Georg Friedrich Maier seine Schrift zur Auslegungskunst auf eine Art Universalhermeneutik ausrichtete, gemäß dem Leibniz’schen Diktum, wonach die Welt, als die postuliert „beste aller möglichen“, sich in einem alles umschließenden Zeichenzusammenhang widerspiegeln sollte. Dabei trafen, ganz wie in der modern/postmodernen Hermeneutik-Diskussion, die zwei entscheidenden Positionen frontal aufeinander: Hie eine Ubiquität des Perspektivismus. Dort die semiotische Unterwanderung des hermeneutischen Denkens, -- wobei beide vormals noch durch die vorgegebene Harmonie eines Weltganzen neutralisiert erschienen.Footnote 7 Auch diese Fassung des Hermeneutik-Gedankens fand dann ihre Korrektur in der romantischen Überwindung durch Friedrich Schleiermacher, wie gezeigt. Sie ist ihrerseits undenkbar ohne einen Text, den man erst 1927 aufgefunden und Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus benannt hat. Er entstammt dem Jahr 1797 und wird abwechselnd Hölderlin, Schelling oder eben Hegel zugeschrieben, wobei vieles für die Verfasserschaft des schwäbischen Philosophen spricht. Dort liest man: „Wir müssten eine neue Mythologie haben, diese Mythologie aber muss im Dienste der Ideen stehen, sie muss eine Mythologie der Vernunft werden.“Footnote 8 „Romantisch ist indes die Kühnheit, mit der die Autoren zu Werk gehen. Sie fühlen sich als große Ichs, die sich mit revolutionärem Selbstbewusstsein zutrauen, etwas zu bewirken, was man heute ‚Paradigmawechsel‘ nennt. ‚Mit dem freien, selbstbewussten Wesen tritt zugleich eine ganze Welt aus dem Nichts hervor, die einzig wahre und gedenkbare Schöpfung aus dem Nichts.‘… Eine selbstbewusste, starke Öffentlichkeit muss erst geschaffen werden, und das trauen sich die Hölderlin, Hegel, Schelling im Jahre 1797 durchaus zu.“Footnote 9

Soweit eine kurze Geschichte der Hermeneutik samt ihrer Funktionsbestimmung; beides weit entfernt von Vollständigkeit, zugeschnitten vielmehr auf den hier gegebenen Zusammenhang. Sie zeigte uns allerdings, dass jener Paradigmenwechsel im Genre des Romans, den Kafkas Begegnung mit Einsteins neuer Relativitätstheorie ganz offenbar hervorrief, sich seinerseits auf die Beziehung des Pragers zu Kleist als einen Romantiker zu stützen vermochte. Begründung: Nach der Auffassung der Newton, Descartes und auch Leibniz war die gesamte Welt eine festgefügte, vollkommene Maschine; eben ein optimales Uhrwerk gewesen, und ein „Uhrmacher-Gott“ dessen Macher. Verglichen damit zielt alle Hermeneutik eher auf einen lebenden Organismus, worin als wesentlicher Unterschied mitreflektiert erscheint, dass Maschinen gebaut, konstruiert werden, – während Organismen wachsen, also als organisches Geschehen aufgefasst werden müssen. Die Formen können hierbei in gewissen Grenzen variieren. Es gibt aber, wie im Fall des Kunstwerks, nie zwei Organismen mit absolut identischen Teilen. Zudem erscheinen die Zusammenhänge zwischen den Teilen nicht starr festgelegt. Immer ist es das Ganze, das die Funktion seiner Teile bestimmt, so wie auch in Heisenbergs Der Teil und das Ganze, – und ganz gemäß der Kunsttheorie Adornos, wo es ja die Form und nicht der Inhalt sein soll, was in letzter Instanz entscheidet. Das deterministische Weltbild bei Newton war noch das eines vollkommen unveränderlich abschnurrenden Uhrwerks gewesen. Seit der neuen Atomphysik ist ein solch deterministisch-mechanisches Weltbild nicht mehr vorstellbar; hat sich folglich ein weiterer Paradigmenwechsel ereignet, wie er zuvor bereits in der Romantik erfolgt war, nur dort kein durch Experimente verifizierter. „Die Quantentheorie hat uns gezeigt, dass die Welt nicht in unabhängig voneinander existierende isolierte Elemente zerlegt werden kann. Die Vorstellung von getrennten Teilen – etwa von Atomen oder subatomaren Teilchen – ist eine Idealisierung …; diese Teile sind nicht durch Kausalgesetz im klassischen Sinn miteinander verbunden … So kann beispielsweise der Sprung eines Elektrons von einer atomaren Kreisbahn in eine andere der Zerfall eines subatomaren Teilchens ganz spontan folgen … „ – so wie die „Umlaufbahn“ eines „Elementarteilchens“ innerhalb der modernen liberalen Gesellschaft sich vollständig ändern kann. Dies kann freilich nur verstehen, wer mit dem hermeneutischen Denken über ein genügend geschmeidiges Werk- bzw. Denkzeug verfügt. Denn: „Heute besteht ein großes Maß an Übereinstimmung, … dass der Strom unserer Erkenntnisse sich in Richtung einer nicht-mechanischen Wirklichkeit bewegt; das Universum beginnt mehr wie ein großer Gedanke denn wie eine große Maschine auszusehen.“Footnote 10 Das „Elektron besitzt keine von meinem Bewusstsein unabhängigen Eigenschaften. In der Atomphysik (der neuesten jedenfalls, B.N.) kann die scharfe kartesianische Unterscheidung zwischen Geist und Materie … nicht länger aufrechterhalten werden. Wir können niemals von der Natur sprechen, ohne gleichzeitig von uns zu sprechen.“Footnote 11 Und, mit Blick auf die zuvor verhandelten Dramen Brechts und Dürrenmatts zitiert: „Indem die moderne Physik die kartesianische Spaltung transzendiert, hat sie nicht nur das klassische Ideal einer objektiven Beschreibung der Natur entwertet, sondern auch den Mythos einer wertfreien Wissenschaft in Frage gestellt.“Footnote 12 Also entsteht, unabhängig erst einmal vom internet, wie es Botho Strauß so intensiv beschäftigte, das Bild ebenfalls eines Netzes: Das gesamte Universum als ein „Netz von Zusammenhängen, eines von zwei großen Themen, die in der modernen Physik immer wieder aufgeworfen werden. Das andere Thema ist die Erkenntnis, dass dieses kosmische Gewebe von Natur aus dynamisch ist“ – so wie auch jedes Kunstwerk, dessen innewohnendem Sinn nur durch Hermeneutik beizukommen sei.Footnote 13 Dass aber Masse gleich Energie ist und vice versa, dieser entscheidende dynamische Aspekt der Materie hat noch „zentralere Bedeutung in der Relativitätstheorie, die uns gezeigt hat, dass die Existenz der Materie nicht von ihrer Aktivität zu trennen ist.“ Ferner, im gleichen Zusammenhang: „Einsteins Relativitätstheorie hat einen drastischen Wandel unserer Vorstellungen von Raum und Zeit bewirkt… Nach Einstein sind Raum und Zeit relative Vorstellungen … Um eine genaue Beschreibung von Phänomenen mit annähernder Lichtgeschwindigkeit zu ermöglichen, muss ein ‚relativìstischer‘ Rahmen benutzt werden … in einem solchen Rahmen sind Raum und Zeit aufs engste … miteinander verbunden und bilden ein vierdimensionales Kontinuum – genannt `Raum-Zeit“,Footnote 14 -- wie man es auch für Kafkas Texte konstatieren konnte, im Rahmen einer entsprechend avancierten „drittkulturellen“ Hermeneutik, und dabei nicht lediglich auf des Pragers Statuen und Denkmäler begrenzt. „Der Tatbestand, dass alle Eigenschaften der Teilchen von Prinzipien bestimmt werden, die eng von den Beobachtungsmethoden abhängen, würde bedeuten, dass die grundlegenden Strukturen der materiellen Welt letztlich durch die Art und Weise bestimmt werden, wie wir diese Welt sehen; die beobachteten Strukturen der Materie wären somit Spiegelungen der Strukturen unseres Bewusstseins.“Footnote 15 Die Aussage mag ein wenig zu weit gehen (und schuldet sich zweifelsfrei Capras Verpflichtung gegenüber der „buddhistischen oder taoistischen Philosophie“, so wie er sie versteht).Footnote 16Anders verhält sich ein anderer bedeutender Autor, ebenfalls bekannter Physiker, zu diesem Thema. Der Mann kam ohne jeden taoistischen Rückbezug aus und wählte bereits im Jahr 1989 (unvermutet aktuell angesichts der gegenwärtig mit so hoher Geschwindigkeit rotierenden Beschäftigung mit dem „world wide web“), wie Botho Strauβ ebenfalls das Bild des „Netzes“, aber eines wesentlich konkreteren. Hans-Peter Dürr führte so einleuchtend wie erdnah aus: „Im Gleichnis des Ichthyologen hieß dies etwa, dass dieser zunächst kein Meeresforscher, sondern einfach ein Fischesser war, der alle möglichen Fischfangmethoden – Steinewerfen, Stechen, Angeln etc. – durchprobierte, um möglichst viele Fische zu fangen, bis er endlich das für diesen Zweck …effektive Netz entdeckte. Das Netz … hat sich in Wechselwirkung mit der Wirklichkeit als geeignet angeboten. Die Struktur der Wirklichkeit hat also einen wesentlichen Einfluss auf die Wahl der Paradigmen und Denkschemata, mit denen wir sie zu erfassen und zu beschreiben versuchen. Wir haben es also mit einer Art Rückkoppelung zu tun. Die ‚naturwissenschaftlichen Wirklichkeit‘ ist deshalb der eigentlichen Wirklichkeit deutlich eingeprägt. Deutlicher eingeprägt jedenfalls als etwa ‚David‘ im unbehauenen Marmorblock, bevor der Meißel des Michelangelo ihn … ‚freigelegt‘ hat.“Footnote 17 Damit aber befindet sich der Physiker Hans-Peter Dürr, ohne es vermutlich selbst zu ahnen, ganz in der Nähe dessen, was die Leistung der Hermeneutik ausmacht: Nämlich das Verhältnis zwischen „Teil“ und „Ganzem“ ganz im Sinn der neu entdeckten quantenmechanischen Systeme zu bestimmen. Verhältnisse entstehen, die deswegen nicht mehr „mechanisch“ ausfallen, weil sie „vor allem auf die wichtige Frage zielen, in welchem Sinne und unter welchen Umständen einem ‚Teil‘ innerhalb eines Gesamtsystems überhaupt noch eine sinnvolle und eigenständige Bedeutung zukommt.“Footnote 18 Dazu gesellt sich eine Erkenntnis, die in diesem Text ebenfalls als wesentlich für die Konstitution des „Kafkaesken“ beschrieben wird: Dass nämlich wir alle noch wesentlich in der Newton-Welt leben. „Doch ungeachtet dieser umfassenden Anwendung und Verwertung und trotz ihrer philosophischen Brisanz sind die erkenntnistheoretischen Konsequenzen der neuen Physik kaum ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Hier dominiert nach wie vor ein naturwissenschaftliches Weltbild, das im Wesentlichen die Züge des alten klassischen, mechanisch-deterministischen Weltbildes des 19. Jahrhunderts trägt.“Footnote 19 Selbst „Max Planck, Albert Einstein und Erwin Schrödinger, die alle mit dem Physik-Nobelpreis für ihre bahnbrechenden Arbeiten zur Quantentheorie ausgezeichnet wurden, haben die Wende zum neuen Paradigma nie ganz vollzogen.“Footnote 20 Dagegen ist andererseits daran festzuhalten, dass die Wende der neueren Quantenphysik denn doch eine gewesen ist, die das gesamte Weltbild umgestürzt hat mit Folgen auch für die Humanwissenschaften; eben als universaler „Paradigmawechsel“. „Eine solche Veränderung des wissenschaftlichen Weltbildes – oder ein Paradigmawechsel, wie dies der amerikanische Wissenschaftstheoretiker Thomas Kuhn in seinem berühmt gewordenen Buch The Structure of Scientific Revolutions genannt hat – ereignete sich zu Beginn des Jahrhunderts durch die Entdeckung der Quantenmechanik.“Footnote 21 So hatte es sich verhalten, zumal auch jener „Identitätsverlust“, wie er nach nahezu einhelliger Meinung aller Interpreten bei Franz Kafka zu konstatieren ist, ein ganz hervorstechendes Zeichen seines Erzählens, seinerseits eine, geradezu bestechend zu nennende, Parallele in der neuen Quantenphysik besitzt: “Dies gilt insbesondere für die überraschende Tatsache, daß alle ‚Teilchen‘ derselben Art sich haargenau gleichen, (so wie etwa die „Gehilfen“ im Schloss, B.N.), so daß sie als normierte Bausteine in die verschiedensten Moleküle eingepasst werden können und dort immer unabhängig von ihrer Individualität zu den entsprechenden chemischen Eigenschaften führen“Footnote 22 – so wie ja auch die Assimilanten nach Art des K. sich bei Kafka immer den gewünschten Eigenschaften wechselnder Herrschaften anzugleichen wissen? Glaubt man jedenfalls der Wirtin im Schloss, als sie Frieda den Star zu stechen versucht in Bezug auf K.’s „jüdische“ Eigenschaften, dann verhält es sich genauso. Es erhält ein jüngeres Mädchen von der erfahrenen Frau die Lektion erteilt, dass K. sich für Frieda ausschließlich interessiere, um seine eigene Assimilation voranzutreiben. Was stimmt, und im „Realistischen Roman“ noch heftige Verdammung mit sich geführt hätte. In K.’s Auseinandersetzung mit Frieda wird daraus dann ein einziger atemloser Satz, der Friedas Gehetztsein perfekt wiedergibt: „Du hast keine Zärtlichkeit, ja nicht einmal Zeit mehr für mich, du überlässt mich den Gehilfen, Eifersucht kennst du nicht, mein einziger Wert für dich ist, dass ich Klamms Geliebte war, in deiner Unwissenheit strengst du dich an, mich Klamm nicht vergessen zu lassen, damit ich am Ende nicht zu sehr widerstrebe, wenn der entscheidende Zeitpunkt gekommen ist; dennoch kämpfst du auch gegen die Wirtin, der allein du es zutraust, dass sie mich dir entreißen könnte, darum triebst du den Kampf mit ihr auf die Spitze, um den Brückenhof mit mir verlassen zu müssen, dass ich, soweit es an mir liegt, unter allen Umständen dein Besitz bin, daran zweifelst du nicht.“ Summa summarum: „Die Unterredung mit Klamm stellst du dir als ein Geschäft vor, bar gegen bar.“Footnote 23 Kafkas bewundernswerter Realismus bewirkt, dass der Leser der Version der Wirtin über weite Strecken einfach folgen muss. Auch die Elementarteilchen in der Quantenphysik unterliegen ihrerseits einer „Aufweichung der Identität der Materie mit sich selbst oder, konkreter, eines Teilchens mit sich selbst in der Zeit.“Footnote 24 Man denke dabei nur an Kafkas Beamte, die immer neue Gestalt annehmen können. An deren Häuptling Klamm, der alles, aber eben nicht „mit sich selbst (identisch) in der Zeit erscheint“; vielmehr immer anders als Funktion eben der Interessen, wie u. a. die Bittsteller sie an ihn herantragen. Um diese Thematik bis zu Ende durch zu deklinieren: Wie Hans-Peter Dürr selbst sehr wohl weiß, geht es im Zeitalter des neuesten Paradigmas um eine dynamische Erkenntnisweise. „Im Bereich des ‚statischen‘ Denkens wird erklärt, … – im Bereich des dynamischen wird gedeutet“Footnote 25, eben in Übereinstimmung mit der Hermeneutik, ganz so, wie beschrieben. Was wiederum durchgehend in striktester Opposition zur postmodernen Gepflogenheit steht, sich „hemmungslos in immer verschrobenere und … einheitliche Supertheorien zu flüchten“; und, statt dessen, in der hier vorgeschlagenen Konstitution einer „Dritten Kultur“, „im Grundsätzlichen auch wieder das Einfache zu vermuten.“Footnote 26 Als Dürr dies schrieb, dachte er nicht an die für ihn gar nicht relevante „Postmoderne“. Als dann aber Elinor S. Shaffer der „Postmoderne“ ein komfortables Dach über dem Kopf anbot im Hause einer kommenden „Dritten Kultur“, hätte sie diesen Sachverhalt realisieren können.

Das gewünscht „Einfache“ lag im Fall des Novalis’schen Ofterdingen zunächst einmal darin, daß dessen frühromantischer Held sich gegen die streng umgrenzte, von vornherein festgelegte, darum philiströse, auf eine singuläre Perspektive scheuklappenartig beschränkte Lebensbahn des Vaters entschied, dabei unterstützt von der Mutterimago und zahlreichen Frauengestalten, vor allem der schon allzu bald toten (darum widerstandslos romantisch zu verklärenden) Geliebten. Für ihn durfte die Lebensbahn eben nicht identisch sein mit der Berufskarriere, und dieses zentrale Kriterium wurde gewonnen in Abgrenzung zum (prinzipiell durchaus respektierten) Goethe’schen Meister, diesem Muster aller Bildungsromane. Es galt schließlich, die aufklärerische Tyrannei der Vernunft zu beenden, die damals sogar dem leidenschaftlich frankophilen Revolutionär Georg Forster nicht verborgen geblieben war. Der hatte nämlich am 16. April 1793, ausgerechnet aus Paris, wo das das Fallbeil sausend regierte, ein eigentlich Unvermutbares niedergeschrieben: „Die Tyrannei der Vernunft, vielleicht die eisernste von allen, steht der Welt noch bevor … Je edler das Ding und je vortrefflicher, desto teuflischer der Missbrauch. Brand und Überschwemmungen, … sind nichts gegen die das Unheil, das die Vernunft stiften wird.“Footnote 27 Solch entschiedene Opposition war also bereits der „Werkphantasie“ (noch einmal Peter von Matt) des Novalis’schen Romans eingeschrieben. Sie liess sich wie folgt ausbuchstabieren: Die „poetisierte bürgerliche und häusliche Geschichte“, als welche der Wilhelm Meister Novalis dünkte, sie sollte etwas nach Art des Tieck’schen Franz Sternbalds Wanderungen entgegengesetzt bekommen. In Novalis’ Brief an Karoline von Schlegel (27. II. 1799) steht geschrieben: „Das Wort Lehrjahre ist falsch, es drückt ein bestimmtes Wohin aus. Bei mir soll es aber nichts als Übergangsjahre vom Unendlichen zum Endlichen geben.“ Sein Buch solle „vielleicht Lehrjahre einer Nation enthalten“, aber eben nicht die bürgerlich-individuellen wie noch bei dem allzu verbürgerlichten Geheimrat von Goethe. Gewünscht wurde ein Poet statt eines Wundarztes, ein Frauen-Liebhaber statt eines Ehemanns. Rüdiger Safranski hat in seinem allseits gelobten Romantik-Buch (Untertitel: Eine deutsche Affäre) dazu schreiben können: “Die (ihrerseits als authentisch romantische Ingredienzien vorgeschriebenen, B.N.) Stationen dieser Wanderschaft sind Holland, wo Sternbald den Maler Lucas van Weyden besucht; Straßburg, dessen Münster noch einmal gelobt wird, wie es einst der junge Goethe und Herder getan hatten; Italien, wo der fromme junge Mann neben der Kunst Raffaels auch Erotik und Sinnenlust kennen und schätzen lernt. Die Prägung durch die Literaturfabrik kann Tieck selbst in diesem höchst anspruchsvollen Roman nicht verleugnen, denn wie im Trivialroman (aber eben auch im Wilhelm Meister, B.N.) lenkt eine unsichtbare Hand die Geschicke des Helden. Sternbald sollte … in Italien seinen wahren Vater finden, der offenbar alles eingefädelt hat, und er sollte in seinem Freund und Begleiter Ludovico seinen wirklichen Bruder erkennen.“Footnote 28 Ein umfassend anti-realistisches Programm also, das eine ganz neue literarische Form erforderte. Da Goethes bedingungslose Ablehnung der (französischen) Revolution im Meister durch die vorgegebene Bahn des zu Erziehenden statuiert war, so wie auch der fehlende Überblick desselben als Vorteil erschien, fiel Novalis’ Reaktion entsprechend aus: „Er war der Auffassung, dass sich Goethes Quietismus im ‚Wilhelm Meister‘ als Mangel an Poesie ausgewirkt habe. Er nennt das Werk einen ‚prosaischen Roman‘ und vermisst die ‚poetische Kühnheit‘. Diese aber gilt ihm als Entsprechung zum revolutionären Enthusiasmus…“, welchen erst die Auflösung der festen Gesellschafts-Bahnen, und dann womöglich auch noch sozialrevolutionär, bewirken könne wie solle.Footnote 29

Ferner: Die damalige Zeit mit ihren Geheimbünden und Verschwörungstheorien, auch in Schillers Geisterseher anwesend, brachte ein eigenes „Genre des ‚Bundesromans‘ (hervor, B.N.), der mit wohligem Grauen von mysteriösen Geheimgesellschaften und ihren Machenschaften erzählt. In den 80er und 90er Jahren erschienen über zweihundert einschlägige Titel, meist dem Trivialbereich zugehörig … In Goethes ‚Wilhelm Meister‘ gibt es die geheime Turmgesellschaft; Jean Pauls ‚Titan‘ und Achim von Arnims ‚Die Kronenwächter‘ oder Tiecks ‚Wilhelm Lovell‘ sind ebenfalls geprägt von der Tradition des ‚Bundesromans‘“.Footnote 30 Dem entsprach die Einschätzung des dann so ganz „poetisch“ ausgefallenen Romans Heinrich von Ofterdingen durch Novalis’ theoretisierende Freunde, insonderheit die Friedrich von Schlegels. Dessen Begeisterung galt einem Werk, dessen erster, 1802 erschienener Teil Die Erwartung noch durch den Autor selbst vollendet worden war; von dem ferner das Anfangskapitel des zweiten vorlag, unter dem vielversprechenden Titel Die Erfüllung. Mehr existierte nicht, als Novalis starb. Die von ihm geplante Weiterführung wurde aus einem Konvolut handschriftlicher Notizen und – von Tieck – aus Gesprächen rekonstruiert, die dieser mit Novalis geführt hatte. Also eine ihrerseits „romantisierende“ Form der Text-Edition. Dagegen mutet die Brod’sche Kollektion des Kafka’schen Nachlasses zwar immer noch wie die von fragmentarischen Texten an; aber doch überschaubarer. Dabei entsprach Novalis’ Projekt seinerseits voll und ganz der Kunsttheorie des Friedrich von Schlegel: Der Roman als die poetisch-epische Gattung, moderner Nachfolger des antiken Epos, und doch nicht mehr „prosaisch“, sondern bereits „poetisch“ gehalten. In ihm wurden alle Kategorien frühromantischen Philosophierens mobilisiert, alle stilistischen Register gezogen: „Enzyklopädie des ganzen geistigen Lebens eines genialischen Individuums“ (Schlegel, Kritische Fragmente, Nr.78) durfte solch ein Text heißen. Dieses Kunstwerk sollte zudem aus einer Zusammenschau allen Wissens der damaligen Zeit entstehen (wobei sogar das klassische, typisch französisch-aufklärerische Enzyklopädie-Prinzip beibehalten wurde); mithin ein tendenziell unendliches Kompendium „universaler Poesie“. Wenn später Franz Kafka für sich reklamieren würde, dass er nur aus Literatur bestünde, sein gesamtes Leben ausschließlich im Schreiben sich erfüllt hätte, so besass der Prager hierbei in der Jenaer Romantik sein Vorbild.

Das galt in vielerlei Hinsicht. Bereits Schiller hatte von seinem Jahrhundert als einem ‚tintenklecksenden Säkulum‘ gesprochen. Das Viellesen wurde damals in den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kreisen geradezu epidemisch, worüber die Kulturkritiker, die Kleriker und die Pädagogen ihrerseits zu klagen begannen. Das lesende Frauenzimmer auf dem Sofa war ebenso verdächtig wie der lesende Gymnasiast, weil beide ja im Buch etwas in Erfahrung bringen konnten, was ihnen ihre Erzieher eigentlich nicht zumuten mochten. Es hatte sich zwischen 1750 und 1800 die Zahl derer, die lesen konnten, verdoppelt. Am Ende des Jahrhunderts gehörten rund 25 % der Bevölkerung zum potenziellen Lesepublikum. Vor allem: Man las jetzt nicht mehr ein Buch, sondern viele. Nicht mehr ein kanonisches Werk, wie etwa die Bibel, und dieses dann wieder und wieder, sondern viele einmal; um danach sofort das nächste zu verlangen. Das romantische Publikum erlernte nachhaltig die Kunst des schnellen und ‚modegerechten‘ Lesens, und derart vermochten zwischen 1790 und 1800 rund zweieinhalbtausend Romantitel auf den Markt geworfen werden (genauso viel, wie es in den gesamten neunzig Jahren zuvor gewesen waren)! An diesem kulturgeschichtlichen Ort entstand jetzt der schier nur noch aus Literatur bestehende moderne Intellektuelle, der seine Lebenserfüllung im Lesen und Schreiben fand, mit dem Kafka nicht nur des Urteils als seinem bevorzugt Erbberechtigten. „Wir sind aus Literatur gemacht“, hatte vor dem Prager schon der junge Tieck befunden. Über August Lafontaine, der weit über hundert Romane verfasst hatte, existierte damals ein on dit, das besagte, der Mann schreibe schneller, als er lesen könne. Mithin könne er nicht alle seine Romane selbst gelesen haben. Derart entwickelte sich ein verwirrend dichter Grenzverkehr zwischen Literatur und Leben, oder auch Leben und Literatur. Clemens Brentano vermochte schließlich auszuführen, es gäbe eine Vielzahl von Frauenzimmern, die am Ende ihres Lebens nichts anderes als Kopien jener Romancharaktere seien, die ihnen in den Lesebibliotheken ihres Wohnorts angeboten worden wären. Insbesondere der Roman, Hegels bereits angesprochene „bürgerliche Epopöe“, war auf dieses spezielle Amalgam aus Leben und Literatur abgestellt. Sein Archetyp war der Don Quichotte, den wiederum Tieck zu übersetzen begann, lag in dem spanischen Klassiker doch in frühester Ausprägung jenes Problem vor, das in der Frühromantik dann ins Bewusstsein trat (und seinen bedeutendsten Vertreter dann später in dem Autor Franz Kafka besitzen würde): Die weitgehende Verdrängung der „realen“ Lebenserfahrung durch eine reine Lese- und Schreibexistenz. Noch der junge Albert Einstein in Bern, transdisziplinär auf dem Weg zur Relativitätstheorie, würde regelmäßig in diesem spanischen Buch lesen. Im geschilderten frühromantischen Literatur-Leben-Amalgam besaß zudem seinen Ausgangspunkt, was dann in Kafkas Kleist-Rezeption an sein vorläufiges Ende gelangte: Eine atemberaubende, miteinander verklammerte Kongruenz von Lesen und Schreiben, die keinerlei Konkurrenz mehr neben sich duldete, auch die des objektbezogenen Eros in Form einer Verlobten nicht. Novalis vermochte seine Sophie am reinsten als Verstorbene zu lieben. Kafka dann die ferne und fremde Felice, mit der er endlose Reflexionen über die Unmöglichkeit der Ehe austauschte, eben um sich nicht verheiraten zu müssen. Wie treu die Berlinerin ihm ergeben war, ermaß der Prager daran, dass sie ihm zuverlässig zurückschrieb, ja zuweilen sogar telegraphisch auf seine Ausführungen reagierte. Bevorzugtes Thema: Warum der Nachtschreiber nicht zur Ehe beschaffen sei. Und: Keine feste Berufslaufbahn streben diese Intellektuellen noch an. Vielmehr: „Die Romantik triumphiert über das Realitätsprinzip“, kometenhaft ziehen die Jenaer Poeten ihre Bahn, für kurze Augenblicke nur kann man sie am Himmel der Gesellschaft sehen, dann verschwinden sie, sterben jung, wie später auch Franz Kafka.Footnote 31 Mit einem solchen Kometen wird Kafkas Tagebuch alarmierend beginnen, um dann sehnsuchtsvoll rückblickend auf ein Denkmal für jene altösterreichische Maria-Theresia- Gesellschaft zu enden, deren (nun aber selbst erstarrtes) Mitglied er einst gewesen war, als er noch „lebte“.

Es war zudem ein hoch philosophisches Zeitalter. Jeder Dichter zugleich ein Philosoph. Im Sinne der Identitätsphilosophie Johann Jakob Fichtes sollte vor allem die Idee eines „unendlichen Progresses“ so im Mittelpunkt stehen, wie dann bei dem Kleist-Blutsbruder Kafka das Prinzip der ewigen Annäherung nach Art bereits der Maxwell’schen Lichtgeschwindigkeits-Bestimmung. Im eigentlichen Zentrum aller frühromantischen Annäherung stand ja bekanntlich das Bild der „Blauen Blume“, ein spezifisch Zusammengesetztes aus Traum und faktisch Erschautem; aus Erotik, Todessehnsucht und immer noch enzyklopädischem Wissenwollen einerseits, und der mesmeristisch-„electrischen“ All-ist-Eins-Überzeugung auf der anderen Seite herausdestilliert, voll von einer nahezu jenseitigen Hoffnung, die Natur werde sich, mehr und mehr, in aufsteigender Linie, und am Ende freiwillig in den Werken Galvanis, Mesmers und Ritters, Novalis’, Tiecks und Hoffmanns offenbaren. Schließlich hatte der damals sehr prominente Naturwissenschaftler Johann Wilhelm Ritter, und das auch noch im entscheidenden Jahr 1800, eine ganze „Metaphysik des Froschschenkels“ vor den versammelten Freunden entwickelt, wie Friedrich Schlegel damals ironisch anmerkte. Da wollte auch der sanfte und eher behutsame Novalis nicht zurückstehen. Am Ende soll im Ofterdingen das eisig erstarrte Astralreich Arcturs durch die Vermählung von Eros und Fabel wieder zu ihm wohltuenden Schmelzen gebracht werden; die Asche der Großen Mutter muß gemeinsam, als sakraler Akt, getrunken werden (man erinnert sich an Strauß’ spätere Wiederbelebung der Mutterimago). Immer galt, was Novalis dekretierte: Dass „dem Endlichen einen unendlichen Schein“ zu geben, es „romantisieren“ heiße. Stets mit dem Ziel einer „Symphilosophie“ wie auch einer „Sympoesie“ angegangen, denn so hatte den Sachverhalt Friedrich Schlegel in seinem Athenäum-Fragment Nr. 125 statuiert. Es ist ja wahr, „dass die Romantik eine untergründige Beziehung zur Religion unterhält. Sie gehört zu den seit zweihundert Jahren nicht abreißenden Suchbewegungen, die der entzauberten Welt der Säkularisierung etwas entgegensetzen wollen.“Footnote 32 Solche Suchbewegung aber nimmt dann auch Franz Kafka auf, macht sie zur absoluten, zu einer, die in die leere Transzendenz einer allerletzten Moderne hinausführt – ohne, dass er deshalb ein „Romantiker“ heissen dürfte. Auch wenn er auch sich in der Einstein’schen Annahme der Unerreichbarkeit der Lichtgeschwindigkeit wiederzufinden vermochte, sich darin jedenfalls tröstlich spiegelte, stets voll von einem „überirdischem Verlangen“. Albert Einstein seinerseits kam aus einer Familie, wo der Vater einer ganzen Gemeinde „das Licht gebracht“, sie mit elektrischem Licht versehen hatte. Der Siegeszug der Wissenschaften im 19. Jahrhundert besaß seine Anklänge an die biblische „Erleuchtung“, nicht nur auf dem Gebiet der Blumenberg’schen Lichtmetaphorik. Ferner sogar darin, daß sich Abstrakt-Religiöses in ein konkret Mathematisches übersetzen ließ, wenn man über Einsteins mathematischen Fähigkeiten verfügte. Neben der Physik galt das auch für die moderne Chemie, in der sich jener quasi-chemische Prozess fortsetzte, der bereits in Goethes Wahlverwandtschaften das Irdische in den Himmel gehoben hatte, bereits im Sinne einer „Dritten Kultur.“ Wenn der frühromantische Aufbruch insgesamt, wie wiederum Safranski schreiben konnte, auch ein Sturm und Drang war, der durch die Erfahrung der Revolution hindurchgegangen war, so ist der kafkaeske Abschluss dieser Bewegung als einer zu verstehen, der, parallel zur Auflösung des übernationalen Gedankens, im Ende Altösterreichs beschlossen lag, im lang sich hinstreckendem und poetisch so ergiebigen Tod des Doppeladlers selbst – verheißungsvoll, vexatorisch, erhebend, ironisch und stets paradox. Es ist bemerkenswert, dass es der Geschichtsphilosoph (und zeitweilige Parteigänger der Französischen Revolution) Georg Friedrich Wilhelm Hegel gewesen ist, der eine (astronomisch wie astrologisch zu lesende) Metapher fand, die auch den Kafka’schen Übergang hinein ins nun ganz Moderne festhält, und das auch noch in seiner anti-Newton’schen Substanz: “Solange die Sonne am Firmament steht und die Planeten um sie herumkreisen, war das nicht gesehen worden, dass der Mensch sich auf den Kopf, d.i. auf den Gedanken stellt und die Wirklichkeit nach diesem baut.“Footnote 33 Dieser Hegel’sche Satz beschreibt, unwillkürlich vorausschauend und Kraft der Materialität der gewählten Metapher, bereits die Ablösung des Newton’schen Paradigmas durch das (erst einmal, bis ins Jahr 1919, ja nur mathematisch gewonnene) neue Paradigma der Einstein’schen Relativitätstheorie. Dann hätte der noch „romantisierende“ Hegel tatsächlich vorweggenommen, was dann später als Einsteins Relativitätstheorie ein Weltbild umstürzte, nachdem seine bloss mathematische Fassung durch die Empirie der englischen Südafrika-Expedition eingelöst worden war.

Soviel zum Status dieses eigentlich ja „inhaltslosen“ Romans des Friedrich von Hardenberg, von sich selbst genannt „Novalis“: „Der, der neues Land gewinnt“. Die Erhöhung und dann stufenweise Verklärung des Poetischen war Novalis’ ultimative Zielsetzung gewesen, und sie ging damals einher mit der philosophischen Konzeption vom wiedergewonnenen Einklang des Menschen mit der Natur durch das endlich realisierte telos vollbrachter Interdisziplinarität, ganz so, wie es seine (erst spät vollständig edierten) Fragmente von 1798 zeigen. Aller Fortgang vom Ursprung der Welt hin zu deren Erlösung in einem neuen Goldenen Zeitalter war stets mit dem fortschreitende Erwerb interdisziplinären Wissens verschwistert; und dadurch im Sinne frühromantischer Rationalität gegen das bald schon nationalistische Vergangenheits- und Mittelalterschwelgen der späteren Hochromantik zuverlässig abgesichert gewesen – übrigens auch dadurch, dass Novalis’ Denkweise und die geistige Signatur bestimmter Förderer (Bülow!) durchaus von „preußischer“ Denkdisziplin zeugten, wobei, biographisch argumentiert, Novalis’ große, beschützende Mutter dann die bestrickend anmutige preußischen Königin Luise gewesen sein müsste. Der Dichter des Ofterdingen jedenfalls verklärte sie in der eigenen Mutter schliesslich poetisch-religiös, vollzog diese Operation aber gleichzeitig mit der Leichtigkeit dessen, der sich stets gleichzeitig auf der anderen Seite befindet. Man könnte den Poeten Friedrich von Hardenberg, als er sich „Novalis“ nannte, mit Fug sogar einen „begnadeten Spieler“ nennen? Safranski jedenfalls hat es getan. „Dafür liebten ihn die Freunde, auch wenn sie nicht immer zustimmten …Novalis war der Mozart der jungen Romantik. Spielerisch leicht wie dieser mit der Musik ging jener mit den Gedanken um. Es war ihm darum aber nicht weniger ernst damit als den übrigen ernsthaften Leuten.“Footnote 34 Denn wer käme, wollte er groß loben, schon aus ohne den Bezug auf’s „göttliche Kind“? Novalis andererseits, dieser umfassende Geist und im lebendigen Umgang so bestrickend-distanziert Liebenswürdige, war gehalten, schon um seines Bergbau-Berufes willen, auch die Chemie und die Physik zu beherrschen. In seinem Fall langte das bloße Sehnen nicht hin; ebenso wenig wie im Fall des tüchtigen Beamten Franz Kafka, dieses Pressesprechers seiner Behörde. Auch glaubte Friedrich von Hardenberg keineswegs, dass die griechische „Sphärenharmonie“, von der bereits die Rede ging, und das auch in ihrer Kepler’schen Adaption, die kalte Ernüchterung Newton’scher Himmelsmechanik hätte überdauern können. Doch eine allzu siegreiche Aufklärung, sie „verketzere“ laut Novalis “Phantasie und Gefühl, Sittlichkeit und Kunstliebe, Zukunft und Vorzeit, setze den Menschen in der Reihe der Naturwesen mit Not oben an, und machte die unendliche schöpferische Musik des Weltalls zum einförmigen Klappern einer ungeheuren Mühle, die vom Strom des Zufalls getrieben und auf ihm schwimmend, eine Mühle in sich, ohne Baumeister und Müller, und eigentlich ein echtes Perpetuum mobile, eine sich selbst mahlende Mühle sei.“Footnote 35 Das derart von Novalis beschworene Weltbild einer um 1800 bereits greis gewordenen Aufklärung bekämpfte auch der Bergbauingenieur von Hardenberg, wie immer selbst ein Naturwissenschaftler, indem er sein gesamtes literarisches Werk gegen die „Uhrmacherhypothese“ von beispielsweise Leibniz schrieb, nach der Gott die Welt wie eine Uhr gebaut und so eingerichtet habe, dass sie sich selbst reguliere, in aller Ewigkeit mit seelenloser Mechanik. Ein vollkommener Gott konnte keine unvollkommenen Uhren verfertigen. Spätestens seit Descartes hatte der europäische Mensch zudem die Natur als menschlichen “Besitz“ angesehen, hatte sie damit schrittweise „abgekühlt“; „begann, diese ‚abgekühlte‘ Natur technisch zu beherrschen und sich dienstbar zu machen.“Footnote 36 Dagegen setzte Novalis sein Bild vom christlichen Europa im Mittelalter, ein epochaler Vorgang damals, den der noch junge Georg Lukács, in seiner bekannten Theorie des Romans (aus dem Jahr 1900) und im berühmtgewordenen allerersten Satz zusammen gefasst hatte: „Selig sind die Zeiten, für die der Sternenhimmel die Landkarte der gangbaren und zu gehenden Wege ist… Die Welt ist weit und doch wie das eigene Haus.“ Im Anschluss an Schillers Ode an die Götter Griechenlands las man beim Novalis-Gefährten, dem noch sehr jungen Friedrich Schlegel: “Denn das ist der Anfang aller Poesie, den Gang und die Gesetze der vernünftig denkenden Vernunft aufzuheben und uns wieder in die schöne Verwirrung der Phantasie, in das ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen, für das ich kein schöneres Symbol bis jetzt kenne, als das bunte Gewimmel der alten Götter … alles Denken ist ein Divinieren, aber der Mensch fängt eben an, sich seiner divinatorischen Kraft bewusst zu werden.“Footnote 37 In dieser frühen Romantik fand sich von frömmelndem Katholizismus nicht die Spur!

Daher stellt sich auch der Frühromantiker Novalis als alles andere als ein katholisch-romantischer, gar bigotter Obskurer dar. Wie später Kafka seine Felice, hat Novalis seine vergötterte und früh verstorbene Geliebte kühl und distanziert betrachten können im Tadeln ihres Tabakgenusses beispielsweise; ihrer offenbaren Ablehnung der Poesie („Sie ist kalt durchgehend“); andererseits aber auch wegen tadelnswerter Aufmüpfigkeit gegen den Vater. Solche kühl-moderne Feststellung gilt ungeachtet dessen, was der Mittelalterforscher Novalis in seinen Fragmenten (Nr. 104) zu den Mitteln seines entstehenden Romans zu sagen wusste: „eine gewisse Altertümlichkeit des Stils, eine richtige Stellung und Ordnung der Massen, eine leise Hindeutung auf Allegorie, eine gewisse Seltsamkeit, Andacht und Verwunderung, die durch die Schreibart durchschimmert.“ Die verhalten fließende Musikalität der Sprache tut das Ihrige dazu, einen langsamen, poetisch gleitenden Prozess der Wiederentdeckung verschütteten transdisziplinären Wissens ins literarische Leben zu rufen, der sich in der Tat aufsummieren lässt in den bekannten Sätzen des Novalis’schen Blütenstaub-Fragments (Nr. 18): „Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns, und nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft.“ Nur, der Frühromantik blieb doch noch eines verborgen, was dann erst der Kleist-Adept Kafka, in seinem Process zuallererst, ins Licht heben wird: Jene Sinnfragen, für die zuvor die Religion zuständig war, sie werden jetzt an die Politik gerichtet. Ein Säkularisierungsschub hatte eingesetzt, der die sogenannten ‚letzten Fragen‘ peu á peu in gesellschaftlich-politische verwandelte. Hatte Novalis eben dies gemeint mit seiner Feststellung: „Wo keine Götter sind walten Gespenster“? Deutlich jedenfalls wurde: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, das waren politische Losungen, die ihrerseits ihre religiöse Herkunft kaum zu verleugnen vermochten. Vor allem aber: Die Relativität des Zeitverlaufes und der Ortwahrnehmung, wie sie bei Novalis poetisch beschworen wird, dem sich die Zeitalter programmatisch vertauschen und in ihrer Abfolge umkehren, eingebunden in geheimnisvoll-plötzliche Ortswechsel, das alles lässt sich womöglich lesen als die poetisch-utopisch vorweggenommene Relativität der Zeit sogar dem Raum gegenüber und vice versa, was dann Einstein statuieren, mathematisch beweisen und in Prag vor Kafka und Brod verkünden wird? Es schaut so aus; würde dann eine Kontinuität vom Mesmerismus mit seiner „Electrizität“ bis zur Maxwell’schen Elektrizität begründen, die ihrerseits ihre Entsprechung auf dem Rayon der Literatur, des Gattungswechsels auf dem Gebiet von Roman und Drama, des Metapherngebrauchs und der Interessenkonzentration auf neue Themen besäße. Novalis, das kann man an dieser Stelle so apodiktisch formulieren, hatte nämlich einen Nachfolger: Jenen Kafka, der die elektrisch hüpfenden Bälle erst des Junggesellen Blumfeld, dann die daraus abgeleiteten „Gehilfen“ im Schloss-Roman erfand. Dessen „Blaue Blume“ war, wenn man so will, in der Einstein’schen Doktrin von der prinzipiellen Unerreichbarkeit der Lichtgeschwindigkeit enthalten und entfaltete sich darin – eine nicht nur literaturgeschichtlich epochale Stafetten-Übergabe, wie zu belegen sein wird in fortgesetzter „Thick Description“ nunmehr der „kafkaesken“ Blumfeld-Erzählung aus des Pragers Nachtschreibfeder.