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Alfred Jarry: Der Mensch zwischen den Fronten

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Literatur als Arbeit am Menschen
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Zusammenfassung

Alfred Jarry wird in der Literaturwissenschaft zumeist recht einseitig als Wegbereiter des absurden Theaters stilisiert, wobei seine Ubu-Dramen, insbesondere Ubu Roi, massiv in den Fokus des Forschungsinteresses gerückt werden. Diese selektive Wahrnehmung, die schon in der zeitgenössischen Rezeption zu beobachten ist, ist bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar und wurde zum Teil auch durch den Autor selbst unterstützt. Zugleich führt sie aber dazu, dass die übrigen Werke Jarrys und die darin enthaltenen Kernthemen seines Denkens und Literaturverständnisses, oft nicht die Beachtung erhalten, die ihnen tatsächlich zukommt.

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Notes

  1. 1.

    Vgl. Brotchie, Alastair: Alfred Jarry. A Pataphysical Life. Cambridge: MIT Press 2015. S. 29–43.

  2. 2.

    Zu den wichtigsten Veranstaltungen dieser Art gehörten die wöchentlich stattfindenden Salons der Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Marguerite Eymery (genannt Rachilde), der späteren Ehefrau von Alfred Valette, dem Herausgeber des Mercure de France. Neben Alfred Jarry nahmen an diesen Treffen einige der wichtigsten Autoren und Künstler der Zeit, wie Paul Verlaine, Guillaume Apollinaire und Stéphane Mallarmé, teil. Vgl. Ebd. S. 68–74.

  3. 3.

    Vgl. Ebd. S. 325.

  4. 4.

    So verfasst Marinetti 1905 das Stück Le Roi Bombance, welches in eindeutiger Weise an Jarrys Ubu-Dramen angelehnt ist und zu dem Jarry ihn im Sommer 1906 in einem Brief beglückwünscht. Wie eng die Beziehung der beiden Autoren tatsächlich war, ist nicht ganz klar, ein intensiverer gedanklicher Austausch auf persönlicher Ebene scheint allerdings nicht stattgefunden zu haben.

    Siehe hierzu auch: Ebd. S. 491.

  5. 5.

    Vergleiche hierzu auch das Kapitel „Der ‚Mercure de France‘ und Henri Albert“ in: Le Rider, Jacques: Nietzsche in Frankreich. Aus dem Französischen von Heinz Jatho. München: Fink Verlag 1997. S. 39–78.

  6. 6.

    „Jarry was an acknowledged classical scholar, had already worked as a reviewer of art and drama, had edited two art magazines, was up to date with modern scientific theory, especially physics, read widely in mathematics and psychology, and had an extensive basic knowledge of philosophy.”. Vgl. Brotchie, Alastair: Alfred Jarry. A Pataphysical Life. S. 349.

  7. 7.

    In ähnlicher Weise wie Brotchie äußert sich Andre Breton: „Jarrys Neugier hatte in der Tat enzyklopädischen Charakter, wenn man das Wort nicht aus dem Blickwinkel des 18., sondern dem des Übergangs vom 19. zum 20. Jahrhundert definiert.“ Es ist durchaus bemerkenswert, dass Breton diesen Unterschied betont, der sich im Übergang zum 20. Jahrhundert in den allgemeinen Wissensstrukturen abzeichnete. Vgl. Baier, Lothar (Hrsg.): André Breton. Das Weite suchen. Reden und Essays. Frankfurt a.M.: Europäische Verlagsanstalt 1981. S. 114.

  8. 8.

    Vgl. Brotchie, Alastair: Alfred Jarry. A Pataphysical Life. S. 27.

  9. 9.

    Vgl. Ebd. S. 29.

  10. 10.

    Immerhin erschienen das Kapitel VI, und die Kapitel X bis XXV des Romans 1898 als Vorabdruck im Mercure de France. Vgl. Ebd. S. 217. Warum Jarry den Rest des Romans, trotz massiver finanzieller Probleme, bis zu seinem Tod unter Verschluss hielt, bleibt unklar. Vgl. Ebd. S. 230–231.

  11. 11.

    Goudemare, Sylvian (Hrsg.): Alfred Jarry. Gestes et opinions du docteur Faustroll, pataphysicien. Paris: Arléa 2007. S. 35–36.

  12. 12.

    Vgl. Ebd. S. 35.

  13. 13.

    Vgl. Ebd. S. 35.

  14. 14.

    Für eine genauere Analyse dieser Definition der 'Pataphysik vergleiche: Baum, Constanze: 'Pataphysik oder ± Gott ist der kürzeste Weg von 0 bis ∞. (Natur-)Wissenschaft in der Parodiemaschine Alfred Jarrys. In: Anne-Kathrin Reulecke (Hrsg.): Von null bis unendlich. Literarische Inszenierungen naturwissenschaftlichen Wissens. Köln und Weimar: Böhlau Verlag 2008. S. 99–101.

  15. 15.

    Brotchie, Alastair: Alfred Jarry. A Pataphysical Life. S. 33.

  16. 16.

    Vgl. Ebd. S. 271.

  17. 17.

    Ein ausführliches Beispiel für diese Arbeitsweise findet sich in Jarrys essayistisch geprägtem Text Commentaires pour servir à la conctruction pratique de la machine à voyager dans le temps, welchen er dem Faustroll als Anhang hinzugefügt hat. Vgl. Goudemare, Sylvian (Hrsg.): Alfred Jarry. Gestes et opinions du docteur Faustroll, pataphysicien. S. 168–181.

  18. 18.

    Es ist bezeichnend, dass Constanze Baum zur Beschreibung dieses Prozesses selbst einen aus der experimentellen Chemie entlehnten Vergleich heranzieht: „Die Grenzüberschreitungen des Faustroll führen zu einer Amalgamierung beider Disziplinen: Literatur und Naturwissenschaft werden gleich einer Emulsion von Öl und Wasser vermengt und schließlich mit Hilfe der Theorie verbunden.“ Baum, Constanze: 'Pataphysik oder ± Gott ist der kürzeste Weg von 0 bis ∞. S. 107.

  19. 19.

    Für eine ausführliche Einführung in die `Pataphysik vergleiche: Ferentschik, Klaus: 'Pataphysik. Versuchung des Geistes. Berlin: Matthes und Seitz 2006.

  20. 20.

    Zum allgemeinen Bildungshintergrund Jarrys und seiner Einstellung zu den Human- und Naturwissenschaften seiner Zeit vergleiche die entsprechenden Kapitel in: Béhar, Henri: Les cultures de Jarry. Paris: Presses Universitaires de France 1988. S. 149–218. Und: Arnaud, Noël: D’Ubu roi au Docteur Faustroll. Paris: La Table Ronde 1974. S. 389–439.

  21. 21.

    Jarry, Alfred: Œuvres complètes. Edition établie par Henri Bordillon avec la collaboration de Patrick Besnier et Bernard le Doze. Paris: Gallimard 1972 (Band 2). Im Folgenden werden alle Zitate aus diesem Werk, erkennbar durch die Sigle LS, nur noch mit einfachen Seitenangaben in Klammern ausgeführt.

  22. 22.

    Der Roman wird im Untertitel als „roman moderne“ bezeichnet, was zunächst einen unmittelbaren Gegenwartsbezug suggeriert. Gleichzeitig erfährt der Leser jedoch schon direkt zu Beginn des Romans, dass sich die Handlung im September 1920 und somit 18 Jahre in der Zukunft abspielt (vgl. LS S. 189). Jarry gestaltet seinen Roman damit in ironischer Weise als ‚Zukunftsroman‘, eine Textgattung, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts wachsender Beliebtheit erfreute.

  23. 23.

    Michel Pierssens misst diesem einleitenden Zitat eine wesentliche Bedeutung für die weitere Konzeption des gesamten Romans bei: „Ainsi s’énonce l’axiome provocateur et paradoxal (contraire à la doxa) qui, de toute la force de son excès génère le roman.“ Pierssens, Michel: De la machine au texte. L’exemple de Jarry. In: Mary Ann Caws (Hrsg.): L’icosatheque. Le siècle éclaté. Dada, Surréalisme et Avant-Gardes. Paris: Lettre Modernes Minard 1978 (Band 5). S. 29.

  24. 24.

    Die innerhalb des Romans auftretenden Figuren sind zu einem großen Teil an reale Personen aus Jarrys persönlichen Umfeld oder aber bekannte historische Persönlichkeiten der Zeit angepasst. Dabei lassen verschiedene Episoden und Anspielungen innerhalb des Romans den Schluss zu, dass Jarry selbst an bestimmten Stellen des Romans in die Rolle des Protagonisten (André Marcueil) schlüpft. Auf entsprechende biografische Parallelen wird, unter zur Hilfenahme der Biografie Brotchies, an geeigneter Stelle hingewiesen. Vergleiche hierzu auch den entsprechenden Kommentar der verwendeten Ausgabe (vgl. LS S. 778)

  25. 25.

    Dies betrifft vor allem den „docteur Bathybius“, aber auch der „chimiste américain William Elson“ und der „ingénieur, électricien et constructeur d’automobiles et d’aviateurs, Arthur Gough“ sind hierzu zu rechnen (vgl. LS S. 189).

  26. 26.

    Konversationen wie diese waren Jarry vermutlich durch die bereits angesprochene Teilnahme an den diversen Pariser Literatursalons seiner Zeit bekannt.

  27. 27.

    Dieser Ansicht stimmt auch der größere Teil der Anwesenden Gäste zu (vgl. LS S. 191–192)

  28. 28.

    Immerhin lassen sich aber gewisse Parallelen zwischen der anatomischen Analyse Marcueils und den Beschreibungen Mafarkas zur Funktionsweise Gazurmahs im letzten Kapitel des Romans (vgl. MA S. 208) feststellen. Die einzigartigen Fähigkeiten, die Gazurmah erst durch seine spezifische Konstruktion erhält und welche ihn dem Menschen, einschließlich seines Schöpfers, überlegen machen, werden von Marcueil als ein bereits vorhandenes Grundprinzip der menschlichen Anatomie beschrieben. Die Vorstellung einer kontinuierlichen Bewegung ohne zwischenzeitlichen Stillstand passt sich in jedem Fall hervorragend in futuristische Denkmuster ein.

  29. 29.

    Hierzu gehören u. a. Cato der Ältere (vgl. LS S. 194), Plinius (vgl. LS S. 197), und der später immer wieder aufgegriffene Theophrast (vgl. LS S. 197) als historische Quellen, sowie eine Erzählung aus „Les Mill Nuits et Une Nuit“ (vgl. LS S. 195), d. h. aus einer offensichtlich fiktiven Quelle. Außerdem wird zumindest indirekt auf Rabelais verwiesen (vgl. LS S. 197), mit dessen Werken sich Jarry zeit seines Lebens intensiv auseinandergesetzt hat. Vgl. Brotchie, Alastair: Alfred Jarry. A Pataphysical Life. S. 233–234.

  30. 30.

    Deren Wortführer ist nach wie vor Bathybius, aber auch William Elson und Arthur Gough sind zu dieser Partei zu rechnen, obwohl sie sich im vorliegenden Kapitel mit ihrer Kritik eher zurückhalten (vgl. LS S. 189).

  31. 31.

    Die christliche Konnotation der Bezeichnung „apôtre“ beinhaltet dabei eine bewusste Ironie, unterstreicht aber zugleich die Ablösung von der religiösen Gottesidee, die, ähnlich wie bei Kaiser, durch die Vision des neuen Menschen ersetzt werden soll.

  32. 32.

    Tatsächlich grenzt Marcueil seine Überzeugung ganz explizit sowohl von „l’opinion mondaine“ als auch von der Wissenschaft ab, welche er abschätzig mit „l’avis des sauvages du centre de l’Afrique“ vergleicht (vgl. LS S. 196).

  33. 33.

    So sagt Marcueil „haut et très cérémonieusement“: „je crois que le colonel baron de Münchhausen a fait tout ce qu’il a dit, et au-delà“ (vgl. LS S. 198–199).

  34. 34.

    Auch hier besteht die Abwehrreaktion des Doktors Bathybius lediglich darin, sich auf „les lois physiques“ (LS S. 199) zu berufen.

  35. 35.

    Sehr deutlich formuliert der „général Sider“ seine eingeschränkte Sichtweise mit der beinahe tautologischen Aussage: „je ne crois qu’à ce qui est croyable.“ (LS S. 200).

  36. 36.

    Ein erneutes Beispiel für eine axiomatische Wendung, die sich aufgrund ihres allgemeinen Charakters weder beweisen noch eindeutig widerlegen lässt.

  37. 37.

    Auch diese Haltung unterstützt das Bild Marcueils als eines Vertreters der 'Pataphysik, insofern es sich bei der 'Pataphysik, der Definition aus dem Faustroll gemäß, um „la science du particulier“ handelt. So haben die genannten Einzelfälle und Ausnahmen für Marcueil sehr viel stärkere Beweiskraft, als abstrakte Überlegungen und Schlussfolgerungen allgemeiner Art.

  38. 38.

    Wobei er betont, dass „ni la drogue ni la patrie n’ont d’importance.“ (LS S. 198).

  39. 39.

    Diese Feststellung beinhaltet eine gewisse Ironie, da es sich bei Marcueil, wie der Leser in dem ‚biografischen Rückblick‘ des zweiten Kapitel erfährt, gerade um einen Menschen mit einer außergewöhnlichen körperlichen Veranlagung handelt (vgl. LS S. 201–202). Es wäre sogar zu überlegen, ob es sich bei Marcueil um eine parodistische Variante, der bereits beschriebenen „umgekehrten Krüppel“ im Zarathustra handelt (vgl. ZA S. 174–175).

  40. 40.

    In ähnlicher Weise beschreibt auch Zarathustra die „Bildung“ als ein Hindernis für das Verständnis des Übermenschen (vgl. ZA S. 13).

  41. 41.

    So bekommt Zarathustra auf seine erste Rede zur Antwort: „Wir hörten nun genug von dem Seiltänzer: nun lasst uns ihn auch sehen!“ (ZA S. 10).

  42. 42.

    Vergleiche hierzu die Bemerkung Henriette Cynes (vgl. LS S. 198).

  43. 43.

    Lediglich Ellen Elson hebt sich mit dem Ausspruch „je crois à l’Indien“ (vgl. LS S. 200) von den restlichen Anwesenden ab, was bereits auf die exponierte Stellung hinweist, welche sie im weiteren Verlauf des Romans einnimmt.

  44. 44.

    Der ebenfalls anwesende général Sider fungiert primär als Stichwortgeber.

  45. 45.

    Wobei Marcueil auch diesen Begriff des „demi-dieu“ aus einem mythologischen Kontext in den medizinischen Fachdiskurs überträgt, um seine Argumentation zu untermauern (vgl. LS S. 205)

  46. 46.

    Jarry hatte die Figur der nymphomanisch veranlagten Kaisergattin Messalina zwei Jahre zuvor zur Protagonistin eines gleichnamigen Romans gemacht. Zu möglichen Überschneidungen dieses Werkes mit dem Surmâle und Nietzsches Konzept des Übermenschen vergleiche: Eruli, Brunella: Jarry’s Messaline: the Text and the Phoenix. In: John D. Erickson (Hrsg.): L’esprit créateur. Baltimore: John Hopkins University Press 1984 (Ausgabe XXIV, Nummer 4). S. 63.

  47. 47.

    Eine ähnliche Argumentation verfolgt Marcueil, wenn er die durchschnittliche Anzahl der pro Tag möglichen Geschlechtsakte anhand der Anzahl der weiblichen Eizellen bemisst (vgl. LS S. 207).

  48. 48.

    Diese Funktion der Frau für den Mann ähnelt derjenigen aus dem Kapitel „Von Kind und Ehe“ im Zarathustra (vgl. ZA S. 90–92).

  49. 49.

    Diese grundsätzliche Einstellung zum Alkohol und seines vorgeblich positiven Einflusses auf die körperliche und geistige Verfassung, hat Jarry selbst wiederholt in Gesprächen im privaten Rahmen und in der Öffentlichkeit vertreten. So ist zu vermuten, dass auch die vorliegende Diskussion teilweise autobiografisch geprägt ist, und Jarry die Argumente Marcueils selbst angeführt hat. Vergleiche hierzu: Brotchie, Alastair: Alfred Jarry. A Pataphysical Life. S. 220.

  50. 50.

    Diese Aussage ist für den Abschnitt 6.2.2 zu beachten.

  51. 51.

    Diese Aussage unterstützt Marcueil metaphorisch, wenn er feststellt, dass „dans une route, […], le dernier kilomètre est égal au premier“ (vgl. LS S. 209). Diese Bemerkung weist schon auf die bevorstehende „course des dix mille milles“ im fünften Kapitel voraus.

  52. 52.

    Dabei ist es bezeichnend, dass Bathybius dieses ‚Fachgebiet‘ seiner Aussage zufolge nur deshalb nicht akzeptiert, weil „là ils n’ont point de chaire“ (LS S. 209), womit er seine einseitige Orientierung an der akademischen Wissenschaft noch einmal unwillkürlich selbst eingesteht.

  53. 53.

    „Die Maschinen des Surmâle treten in Kraft, da für sein Personal die Frage der menschlichen Kräfte, bzw. deren Übersteigerung zur Disposition steht“ Henke, Silvia: Verglaste Texte: Zur Wirklichkeit des Junggesellenmythos bei Alfred Jarry, Hermann Burger und Martin R. Dean. In: Beate Ochsner: Jarry: le monstre 1900. Aachen: Shaker 2002 (Medusa-Médias 4). S. 122–123.

  54. 54.

    Diese Vorstellung findet sich explizit auch im Zarathustra, wo es im Kapitel „Von alten und neuen Tafeln“ heißt: „Allen Thieren hat der Mensch schon ihre Tugenden abgeraubt“ (ZA S. 259). Dabei übernimmt der Mensch die Fähigkeiten des überwundenen Tieres und wird so „das beste Raubthier“ (ZA S. 259). Wenn der Mensch hier die Tierstufe überwunden hat, so bedeutet das nicht, dass er diese Stufe hinter sich zurücklässt, sondern dass er die Merkmale derselben nach wie vor verkörpert.

  55. 55.

    Henke beschreibt diesen zoologischen Garten als „einen Ort der Domestizierung des Wilden“. Vgl. Henke, Silvia: Verglaste Texte. S. 126. Anders formuliert steht dieser Ort für die gelungene Überwindung des Tieres durch den Menschen.

  56. 56.

    Diese Animalisierung der Maschine wird auch an der ‚Reaktion‘ des dynamomètre deutlich, wenn dieses sich zunächst in Verteidigungshaltung bringt (vgl. LS S. 212) und sich nach seiner Zerstörung verhält, „comme un être traquè qui cherche une issue“ (LS S. 213). Ähnliche Übertragungen tierischer oder menschlicher Eigenschaften und Verhaltensweisen finden sich über den gesamten Romanverlauf hinweg immer wieder, so z. B. in den Beschreibungen von Elsons Automobil (vgl. LS S. 213 und 217).

  57. 57.

    Die erzählerische Vorgehensweise absurde und irrationale Vorgänge in einer nüchternen und sachlichen Stil zu präsentieren, ist als weiterer Versuch Jarrys zu werten, Elemente der 'Pataphysik in seinen Roman einfließen zu lassen.

  58. 58.

    Auch diese Episode baut zum Teil auf persönlichen Erfahrungen des Autors auf: so war Jarry nicht nur begeisterter Radfahrer, sondern hat darüber hinaus selbst gerne Wettfahrten mit Regionalzügen inszeniert. Vergleiche hierzu: Brotchie, Alastair: Alfred Jarry. A Pataphysical Life. S. 242–245. Zudem werden zu Beginn des Kapitels historische Beispiele ähnlicher Wettkampfveranstaltungen und Rekordversuche genannt (vgl. LS S. 72).

  59. 59.

    Tatsächlich fällt der Körper des während des Rennens versterbenden Jewey Jacobs einem ungewöhnlich schnellen Verwesungsprozess zum Opfer (vgl. LS S. 223–224).

  60. 60.

    Dieses Prinzip aus Wettbewerb und Anpassung ist wiederum auf eine Auseinandersetzung mit Charles Darwin zurückzuführen. Zudem ließe sich eine Parallele zum Ende des zweiten Kapitels ziehen, in welchem „le mimétisme“ als „une loi de la conservation de la vie“ bezeichnet wird (vgl. LS S. 202).

  61. 61.

    Der Kommentar Oxborrows, dass „[o]n dort bien en machine, on peut bien mourir en machine et cela n’a pas plus d’inconvénient“ (vgl. LS S. 223), lässt dabei auf ein völliges Fehlen moralischer Wertmaßstäbe schließen.

  62. 62.

    Die verbliebenen Radfahrer kommentieren den Tod ihres Kameraden entsprechend mit der Bemerkung „[n]ous grippons“ (vgl. LS 222), was noch einmal unterstreicht, dass sich die Radfahrer auch untereinander nicht mehr als menschliche Individuen, sondern als Teile eines „moteur humain“ (LS S. 218) verstehen, die ihre entsprechende Funktion erfüllen müssen.

  63. 63.

    Der von Oxborrow so bezeichnete „sprint de Jacobs mort“ (LS S. 224) kann im Zuge dessen als eine zynische Absage an die Bedeutung des Willens gelesen werden, zumal er Zarathustras Feststellung, dass „[n]ur, wo Leben ist, […] auch Wille [ist]“ (vgl. ZA S. 145) unterläuft.

  64. 64.

    Welche, ähnlich wie das dynamomètre im dritten Kapitel, als „la grosse bête“ (LS S. 220) bezeichnet wird. „As Jarry hinted with the bestial locomotive […], machines take on the historical role of wild animals. To survive, man must become stronger than machines.“ Stillman, Linda Klieger: Machinations of Celibacy and Desire. In: John D. Erickson (Hrsg.): L’esprit créateur. Baltimore: John Hopkins University Press 1984 (Ausgabe XXIV, Nummer 4). S. 33.

  65. 65.

    Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass es Oxborrow und seinen Teamkollegen, durch die Art und Weise wie sie auf ihrem Gefährt festgeschnallt sind, nicht möglich ist sich umzuschauen (vgl. LS S. 220). Die übermäßige Bindung an die Maschine führt so zu einer Einschränkung der Perspektive im übertragenen und wörtlichen Sinne.

  66. 66.

    Es entsteht also gerade keine rauschhafte Geschwindigkeitserfahrung, wie sie in den meisten futuristischen Werken hervorgehoben wird, sondern stattdessen der ‚romantisierte‘ Eindruck einer „paysage de rivière fort calme“ (LS S. 220).

  67. 67.

    Dies bedeutet wohlgemerkt nicht, dass das Rennen in dieser Form tatsächlich (im Sinne eines Perpetuum-Mobile) endlos fortgesetzt werden könnte. So weisen der Tod Jewey Jacobs‘ und dessen ungewöhnlich schnelle Verwesung, sowie die Tatsache, dass mit zunehmender Dauer des Rennens immer mehr Teile des Schnellzuges verfeuert werden müssen (vgl. LS S. 225) darauf hin, dass das Rennen für beide Seiten konsumtiv verläuft.

  68. 68.

    Dieser Ausdruck wird in den beiden vorliegenden Übersetzungen ins Deutsche sehr unterschiedlich mit „Kilometerfresser“ (bei Greta Tüllmann und Renate Gerhardt) und „Radlertölpel“ (bei Heribert Becker) übersetzt. Worauf das Wort im Französischen anspielt, ist schwer zu sagen. Zu vermuten wäre eine Mischung aus den Begriffen „pédale“, „retardé“ und „pétarde“.

  69. 69.

    Die Gestalt des „Pédard“ wird dabei zunächst als groteske, lächerliche Figur beschrieben (vgl. LS S. 230–231), womit dieser sich klar von der heroisierenden Darstellungsweise im Mafarka abgrenzt. Einige Details dieser Beschreibung deuten darauf hin, dass Jarry hier eine ironisierte Selbstdarstellung präsentiert. Vergleiche hierzu auch die Analyse Henkes, wonach Jarry sich hier gezielt als Figur in seinen Roman einschreibt: Vgl. Henke, Silvia: Verglaste Texte. S. 126.

  70. 70.

    Es fällt auf, dass kurz vor dem Auftauchen Marcueils sowohl die „machine volante“ zurückfällt, als auch der „indicateur […] à son point extrême“ blockiert (vgl. LS S. 226–227). Die folgenden Ereignisse übersteigen also offensichtlich die Grenzen der zur Verfügung stehenden Technik.

  71. 71.

    Für eine abweichende Interpretation, welche die an die Entzündung des Leuchtfeuers anschließenden Ereignisse als einen literarischen Kommentar des Autors auf das neu entwickelte Medium des Films versteht vergleiche: Tortajada, Maria: Monstre Cinématographique et ‘mutation’ éléctromagnétique. In: Beate Ochsner (Hrsg.): Jarry: le monstre 1900. Aachen: Shaker 2002 (Medusa-Médias 4). S. 212–217.

  72. 72.

    Die allgemein groteske Situation und ihre zum Teil widersprüchliche Beschreibung durch Oxborrow, sowie die lächerliche Gestalt des „Pédard“, unterstützen die Einschätzung Carola Giedion-Welckers, welche den Roman insgesamt als eine „Farce auf ein physisches ‚Übermenschtum‘ und aufkommende Rekord- und Sporthysterie“ bezeichnet. Vgl. Hohl, Reinhold (Hrsg.): Carola Giedion-Welcker. Schriften 1926–1971. Schauberg und Köln: DuMont Verlag 1973. S. 181–182.

  73. 73.

    Das „lumière d’apothéose“ (LS S. 231), welches Marcueil kurz vor der Zieleinfahrt zu umleuchten scheint, deutet an, dass sich dieser, trotz der vorherigen lächerlichen Beschreibungen, dem Status eines ‚herculeischen Halbgottes‘ oder Übermenschen annähert.

  74. 74.

    Diese Denkbewegung ähnelt derjenigen im Zarathustra, wo der Einschränkung des gedanklichen Horizonts durch das übermäßige Beharren auf den von Wissenschaft und Bildung geschaffenen Fakten (vgl. ZA S. 150), die rein hypothetische Idee des Übermenschen gegenübergestellt wird.

  75. 75.

    Dies entspricht der durch Pieper hervorgehobenen These, dass im Zarathustra die nächste höhere Phase der Menschheitsentwicklung stets die vorhergehende miteinschließen muss. Vgl. Pieper, Annemarie: ‚Ein Seil geknüpft zwischen Tier und Übermensch‘. S. 56.

  76. 76.

    Auch die Gestalt des „Indien“ lässt sich mit einer Anekdote aus Jarrys Biografie in Verbindung bringen, was wiederum auf gezielte Überschneidung zwischen dem Protagonisten des Romans und Jarry selbst hinweist. Vgl. Brotchie, Alastair: Alfred Jarry. A Pataphysical Life. S. 214–217.

  77. 77.

    Primitiv hier insofern, als sie für einen Europäer des frühen zwanzigsten Jahrhunderts eine vorgängige Stufe der menschlichen Kultur repräsentiert.

  78. 78.

    Was auch als Anspielung auf die Gestalt des Hercules zu werten ist, dessen Erkennungsmerkmal das Fell des Nemëischen Löwen darstellt. Hierdurch schlüpft Marcueil nicht nur gedanklich oder ideell, sondern auch physisch in die Rolle des „demi-dieux“ von dem er im dritten Kapitel gesprochen hatte. Gleichzeitig ergibt sich ein ironischer Kontrast zwischen der mythologischen Figur und der stereotypen Darstellung eines nordamerikanischen Ureinwohners.

  79. 79.

    Eine sehr ähnliche Metaphorik findet sich im Zarathustra, wo sich die „letzten Menschen“ durch ihr charakteristisches Blinzeln auszeichnen (vgl. ZA S. 13–14), welches wiederum ein Anzeichen für eine unzureichende Befähigung darstellt, das ‚Licht der Erkenntnis‘ aufzunehmen.

  80. 80.

    In ähnlicher Weise wird von „l’horizon court de la table“ gesprochen, an dem Bathybius platz nimmt, was als weiterer Hinweis auf die eingeschränkte Perspektive des Wissenschaftlers zu werten ist (vgl. LS S. 243).

  81. 81.

    Der Begriff „la grande heure“ erinnert an den „grossen Mittag“, welchen Zarathustra mehrfach im Verlauf der Erzählung ankündigt (vgl. ZA S. 98).

  82. 82.

    Sehr ähnliche Überlegungen zur physischen Gestalt Gottes finden sich im letzten Kapitel des Faustroll, wobei die angestellten mathematischen Flächenberechnungen zu einer abweichenden Definition kommen: „Dieu est le point tangent de zéro et de l‘infini“. Goudemare, Sylvian (Hrsg.): Alfred Jarry. Gestes et opinions du docteur Faustroll, pataphysicien. S. 172.

    Inwiefern diese beiden Definitionen sich gegenseitig ergänzen bzw. widersprechen, kann an dieser Stelle nicht erörtert werden.

  83. 83.

    Die grundsätzliche Argumentationsweise ähnelt dabei derjenigen im Zarathustra, wobei zu beachten bleibt, dass von einem ‚Tod Gottes‘ im eigentlichen Sinne nicht die Rede ist, sondern dass an dieser Stelle nur eine Korrektur des diesem zugewiesenen Status vorgenommen wird.

  84. 84.

    Die bisherige Einteilung des Menschen in eine unsterbliche, göttliche Seele und einen sterblichen, irdischen Körper, wird durch das „soma“ ersetzt, welches die beiden genannten Teile ins sich vereint und somit das für den Zarathustra so zentrale Problem der Körper-Geist-Dichotomie aufhebt.

  85. 85.

    Dabei ist Ellens Behauptung „Je suis sept!“ (LS S. 247) als eine ironische Pointe zu verstehen: hatte sich Marcueil im fünften Kapitel mit dem fünfköpfigen Radfahrerteam gemessen, so übertrifft ihn Ellen hier noch einmal in dem sie die insgesamt sieben Prostituierten ersetzt. Vgl. Henke, Silvia: Verglaste Texte. S. 122.

  86. 86.

    In diesem Zusammenhang ist die später erfolgende, ebenfalls ironische Bemerkung zu beachten, dass, während Marcueil die „chiffre de Théophraste“ fast erreicht habe, Ellen sie bereits lange überschritten hat (vgl. LS S. 249).

  87. 87.

    Der Begriff selbst enthält mehrere Konnotationen: der Teilbegriff „mâle“ ist ein biologischer, bzw. zoologischer Begriff. Die korrekte Übersetzung wäre also eigentlich nicht „Übermann“ (wie in der Übersetzung von Becker) oder „Supermann“ (bei Tüllmann und Gerhardt), sondern vielmehr „Übermännchen“. Der Begriff beinhaltet damit eine Affirmation des Animalischen, die für Jarrys Übermensch-Konzept eine erkennbare Rolle spielt.

  88. 88.

    Jarrys Begriff des „Surmâle“ als möglicherweise parodistische Variante von Nietzsches Begriff des Übermenschen (französisch „Surhomme“) zu verstehen, liegt in jedem Fall nahe. Ob die Parallelen zwischen diesen beiden Konzepten über diese begriffliche Aneignung hinausgehen, wäre im Folgenden noch zu untersuchen. Karin Harasser jedenfalls bezeichnet den gesamten Roman als „eine Durcharbeitung und Parodie nietzscheanischer Motive“. Harasser, Karin: Körper 2.0. Über die technische Erweiterbarkeit des Menschen. Bielefeld: transcript Verlag 2013.S. 105.

  89. 89.

    Diese Gestalt erscheint ihm mittlerweile als „aussi ridicule au fond […] que le Marcueil homme du monde“ (vgl. LS S. 246).

  90. 90.

    Diese und eine ganze Anzahl weiterer Anspielungen auf das „course des dix mille milles“ des fünften Kapitels, sollen den Leser zu einem direkten Vergleich desselben mit den Ereignissen des vorliegenden Kapitels einladen.

  91. 91.

    Ob es sich hierbei um eine neuerworbene Fähigkeit handelt, bleibt insofern offen, als schon im dritten Kapitel von Marcueils Blick die Rede war, welchen er gegen den General in der Art einer Waffe einsetzt (vgl. LS S. 210).

  92. 92.

    Der Text selbst weist dieses Zitat einer Episode aus Les Mille Nuits et Une Nuits zu (vgl. LS S. 252).

  93. 93.

    Der Stilbruch wird auch dadurch markiert, dass wieder vom „Indien“ statt vom „Surmâle“ die Rede ist.

  94. 94.

    Zur Bedeutung der um 1900 in Frankreich geführten „Repopulationsdebatte“ in anderen Werken Jarrys vergleiche: Schröder, Achim: Alfred Jarry, Ubu roi (1896) und Guillaume Apollinaire, Les Mamelles de Tirésias (1917). In: Konrad Schoell (Hrsg.): Französische Literatur. 20. Jahrhundert. Tübingen: Stauffenberg Verlag 2006. S. 49–51.

  95. 95.

    Weshalb der Bürgermeister auf die ablehnende Haltung des „Indien“ nur mit der Frage reagieren kann: „mais qui en fera, alors?“ (LS S. 253).

  96. 96.

    Wobei das Problem dieser Gesellschaft gerade nicht eine Überbevölkerung, sondern gerade ein Rückgang der Zeugungsfähig und damit der Geburtenrate ist.

  97. 97.

    Dies überrascht auch deshalb, weil Marcueils hypnotischer Blick kurz zuvor noch eine überproportionale Willensstärke anzuzeigen schien.

  98. 98.

    „La répétition, qui fait la machine, transforme l’homme à son propre dépassement et sa propre destruction“. Pierssens, Michel: Les savoirs du surmâle. In: Jean Decottignies (Hrsg.): Revue des Sciences Humaines. Villeneuve d’Ascq: Septentrion 1986 (3. Ausgabe).

  99. 99.

    Die Bemerkung zu Beginn des letzten Kapitels, dass „les femmes ne meurent jamais de ces aventures-là“ (LS S. 266) erscheint dabei äußerst zynisch, zumal wenn davon ausgegangen werden kann, dass Marcueil die Tat, welche ihm im sechsten Kapitel vorgeworfen wird (vgl. LS S. 234–235), tatsächlich begangen hat.

  100. 100.

    Dieser Vergleich wird ganz direkt gezogen, wenn Marcueil die noch auf der Galerie verbliebenen Prostituierten mit „sept automobiles de rechange“ vergleicht (vgl. LS S. 260–261).

  101. 101.

    Diese Beschreibung erinnert sehr stark an die „voluttà dell’eroismo“ im Mafarka, mit dem Unterschied, dass der Begriff bei Jarry eindeutig negativ besetzt ist.

  102. 102.

    Vor diesem Hintergrund sind die Forschungsergebnisse Ernst Benz‘ zu berücksichtigen, welcher in seiner historischen Analyse des Übermensch-Begriffs die biblische Gestalt des „Urmenschen“ Adam zugleich als den ersten „Übermenschen“ christlicher Prägung deutet. Vgl. Benz, Ernst (Hrsg.): Der Übermensch. S. 9–10.

  103. 103.

    Dieser Vergleich ist sicher auch als ein Hinweis auf Auguste de Villiers de L'Isle-Adams Roman L’Ève future zu lesen, welcher einen wichtigen Referenzpunkt für den Surmâle darstellt. Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen diesen beiden Romanen vergleiche: Domino, Christophe: Villiers de l’Isle-Adam et Jarry. L’Ève future et Le surmâle. In: Henri Bordillon (Hrsg.): Alfred Jarry. Paris: Pierre Belfond 1983. S. 85–102.

    Und: Taeger, Annemarie: Die Kunst, Medusa zu töten. Zum Bild der Frau in der Literatur der Jahrhundertwende. Bielefeld: Aisthesis Verlag 1987. S. 61–72.

  104. 104.

    Das Gedicht selbst kann an dieser Stelle nicht ausführlich analysiert werden. Entscheidend ist, dass darin Ellen als Figur mit der antiken Gestalt der „Hélène“ (vgl. LS S. 263) überblendet wird, welche zugleich als Ansporn und Verhängnis der sie umgebenden Männer dargestellt wird. Dieses arbiträre Frauenbild entspricht den Reflexionen über die Verknüpfung zwischen Liebe und Tod, die Marcueil über den gesamten Kapitelverlauf hinweg anstellt.

  105. 105.

    Der Hinweis des Erzählers, Marcueil sei „si anormal qu’il n’avait pu échauffer son coeur qu’à la glace d’un cadavre“ (LS S. 265) weist auch hier auf eine zugrundeliegende Verwechslung von Leben und Tod hin, wie sie sich schon bei Marinetti und Kaiser beobachten ließ.

  106. 106.

    Die ‚Wiederentdeckung des Menschen‘ aus dem vorigen Kapitel bleibt damit einerseits Marcueil und andererseits dem Leser vorbehalten.

  107. 107.

    Gleichzeitig weist der Erzähler auf Ähnlichkeiten der Maschine mit einem elektrischen Stuhl hin (vgl. LS S. 268), welcher seit 1890 im amerikanischen Strafvollzug eingesetzt wurde. Diese Erfindung geht nicht auf Faraday, sondern auf Thomas Edison zurück, an welchen wiederum die Figur von William Elson angelehnt ist. Die gekonnte Vermischung historischer Fakten mit fiktiven Inhalten wird an dieser Stelle noch einmal sehr anschaulich.

  108. 108.

    Die Unsicherheit der Wissenschaftler wird dabei in einer grundsätzlichen ethischen Frage gebündelt: „Était-ce une force capable de rénover ou de détruire le monde, qu’ils avaient mise aux abois?“ (vgl. LS S. 268). Letztendlich wischt Elson diese Bedenken jedoch mit der Bemerkung beiseite, man müsse das Folgende als „une expérience“ (LS S. 269) betrachten. Ethische Bedenken stehen damit offensichtlich hinter dem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse zurück.

  109. 109.

    Stillman beschreibt den aus dieser Vermischung der menschlichen mit der technischen Sphäre resultierenden „unstable ontological status“ als wesentliches Merkmal der Darstellung von Maschinen in den Werken Jarrys. Vgl. Stillman, Linda Klieger: Machinations of Celibacy and Desire. S. 27.

  110. 110.

    Dabei drängt sich den Wissenschaftlern beim Anblick Marcueils interessanterweise „l’image, pitoyable et surnaturelle, du Roi des Juifs diadèmé d’épines et cloué en croix“ auf (vgl. LS S. 268). Der Vergleich des Protagonisten mit Christus wird hiermit noch expliziter formuliert als im Mafarka. Außerdem legen die weiteren Ereignisse eine Parallele zum im Kapitel „Von den Priestern“ formulierten Vorwurf Zarathustras nahe: „Und nicht anders wussten sie ihren Gott zu lieben, als indem sie den Menschen an’s Kreuz schlugen!“ (ZA S. 114).

  111. 111.

    Dass es überhaupt zu einer solchen Wechselwirkung kommt, kann als Hinweis darauf gelesen werden, dass Marcueil tatsächlich, wie Bathybius vermutet hatte, bestimmte Eigenschaften einer Maschine angenommen hat.

  112. 112.

    Auch an dieser Stelle ist eine enge Verschränkung von Liebe und Tod zu erkennen.

  113. 113.

    „Das tödliche Ende Marcueils zeitigt aber noch eine andere Einsicht: nämlich jene, daß die Identifizierung zwischen Mensch und Maschine ein Annäherungsversuch bleiben muss, daß die totale Identifikation – oder die völlige Simulation – nur als psychotische Erfahrung oder aber, wie hier, als Exekution denkbar ist“ Henke, Silvia: Verglaste Texte. S. 125.

    Die vollständige Verschmelzung mit der Maschine bedingt also, wie im Mafarka, den vorherigen Tod des Menschen.

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Thanisch, T. (2021). Alfred Jarry: Der Mensch zwischen den Fronten. In: Literatur als Arbeit am Menschen. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-63000-6_6

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