13.7.1 Zuschreibbarkeit bei Follow-up-Indikatoren: aktuelle Erfahrungen
Praktische Erfahrungen liegen derzeit nur für Indikatoren aus der stationären Qualitätssicherung vor.
13.2 gibt einen Überblick über die Häufigkeit, in der mit Hilfe dieser Indikatoren Qualitätsdefizite („qualitative Auffälligkeit“) festgestellt wurden. Diese Feststellung beruht auf einer Analyse der Ergebnisse durch Fachexperten und bedeutet, dass das auffällige rechnerische Ergebnis auf Ursachen zurückzuführen ist, für die das Krankenhaus verantwortlich ist („Zuschreibbarkeit“).
Tab. 13.2 Erfahrungen aus dem Strukturierten Dialog 2018 (Erfassungsjahr 2017) gemäß QSKH-RL zu Follow-up-Indikatoren (Quelle: QTIG 2019c) Eine Sonderrolle nehmen die Indikatoren aus der Transplantationsmedizin ein. Hier wird bereits seit der Einführung im Jahr 2004 ein Follow-up verwendet, das von den Transplantationszentren aktiv eingeholt wird. Bemerkenswert erscheint, dass mit dem Follow-up nach einem Jahr bei mindestens 40 % der Einrichtungen, die den Referenzbereich nicht erreichen, ein Qualitätsproblem festgestellt wird, während dies nach zwei und drei Jahren sehr viel seltener der Fall ist.
Trotz der sehr niedrigen Fallzahlen in den Transplantationsverfahren kann festgestellt werden, dass die Indikatoren prinzipiell geeignet sind, auf Qualitätsdefizite hinzuweisen und gezielte Qualitätsverbesserungsmaßnahmen zu initiieren. Gerade in der Transplantationsmedizin haben diese Daten aber über den Einrichtungsvergleich hinaus größte Bedeutung für die Forschung und die Gesundheitsberichterstattung.
Für die Verfahren zu Herzschrittmachern und der Endoprothetik des Hüft- und Kniegelenks (HEP, KEP) wurde nicht bei jeder rechnerischen Auffälligkeit eine Stellungnahme angefordert. Über alle Indikatoren (nicht nur Follow-up-Indikatoren) hinweg wurde im Strukturierten Dialog zum Erfassungsjahr 2019 bei 63 % der rechnerischen Auffälligkeiten eine Stellungnahme eingeholt (IQTIG 2019b). Bei den Follow-up-Indikatoren ist dies bei dem Indikator zu KEP in 54 % und bei den Indikatoren zu HEP und Herzschrittmachern in 74–89 % der rechnerischen Auffälligkeiten erfolgt. Es ist nicht ersichtlich, ob in bestimmten Bundesländern besonders häufig darauf verzichtet wird, Stellungnahmen zu diesen Indikatoren einzuholen, oder ob dies ggf. bei besonderen Fallkonstellationen erfolgt ist. Den Follow-up-Indikatoren wird von den Landesgeschäftsstellen insgesamt aber anscheinend besondere Aufmerksamkeit zuteil.
Das Verhältnis von angeforderten Stellungnahmen zu festgestellten Qualitätsdefiziten kann als Hinweis gewertet werden, wie spezifisch der Qualitätsindikator auf Qualitätsdefizite hinweist. Über alle Indikatoren (nicht nur Follow-up-Indikatoren) hinweg wurde im Strukturierten Dialog zum Erfassungsjahr 2019 bei 20,3 % der Fälle, für die eine Stellungnahme angefordert wurde, eine „qualitative Auffälligkeit“ festgestellt (IQTIG 2019b).
Auch unter Berücksichtigung der relativ niedrigen Absolutzahlen (die aber deutlich über denen der Transplantationsmedizin liegen) zeigt sich für zwei Indikatoren, dass diese nur in sehr seltenen Fällen Defizite identifizieren, die dem implantierenden Krankenhaus zugeschrieben werden können (Laufzeit des Herzschrittmacher-Aggregats: 1,5 %, Infektion und Aggregatperforation bei Herzschrittmachern 3,1 %). Hier erscheint es empfehlenswert, gezielt zu evaluieren, aus welchen Gründen die rechnerische Auffälligkeit jeweils aufgetreten ist. Möglicherweise können die Indikatoren optimiert werden oder müssen als invalide angesehen werden (Aggregatperforation), möglicherweise kann die Analyse auf Optimierungspotenziale auf anderer Ebene hinweisen (z. B. Produktproblem bei der Laufzeit).
Zwei andere Indikatoren hingegen weisen überdurchschnittlich häufig auf Qualitätsdefizite hin (Sonden- oder Taschenproblem bei Herzschrittmachern: 31,3 %, Prothesen- oder Komponentenwechsel nach Hüft-TEP: 26,9 %).
Praktische Erfahrungen aus Sachsen weisen darauf hin, dass zur Feststellung der Ergebnisverantwortung für Follow-up-Indikatoren eine qualitative Analyse (im Strukturierten Dialog oder anderen geeigneten Verfahren) eine möglicherweise unverzichtbare Rolle spielt (Kaiser 2020).
Insbesondere betrifft dies die Fälle, bei denen das Follow-up-relevante Ereignis nicht in derselben Einrichtung durchgeführt wurde. So kann beispielsweise bei Hüft-TEP-Wechseln die erstimplantierende Einrichtung in Frage stellen, ob die Indikation zur Folgeoperation sachgerecht war. Zur sachgerechten Bewertung werden daher mehr Informationen zu den Prozeduren oder Ereignissen aus der nachbehandelnden Einrichtung für erforderlich gehalten, als bislang zur Verfügung stehen (Kaiser 2020; GQH 2020). Für Sachsen konnte für die Indikatoren im Leistungsbereich Herzschrittmacher für die Jahre 2014–2018 festgestellt werden, dass ca. 15 % der Folgeeingriffe (Follow-up) nicht in dem Krankenhaus durchgeführt wurden, das die Erstimplantation vorgenommen hat (Kaiser 2020). Es wird zu prüfen sein, ob alle für eine fachlich wünschenswerte Analyse erforderlichen Informationen von verschiedenen Leistungserbringern datenschutzkonform verwendet werden können.
Follow-up-Indikatoren sind somit primär als Aufgreifkriterien anzusehen, die einer qualitativen Analyse bedürfen. Standardisierte Kriterien hierfür sollten systematisch entwickelt werden.
Die Identifikation des geeigneten Intervalls erfordert indikatorenspezifische Festlegungen. Selbst für weltweit fast schon als „Standard“ anzusehende Follow-up-Indikatoren wie die 30-Tage-Sterblichkeit nach herzchirurgischen Eingriffen zeigen Analysen, dass diese teilweise zu hinterfragen sind – dass aber auch für längere Follow-up-Intervalle eine Zuschreibbarkeit zur Indexleistung möglich ist (Siregar et al. 2013; Hansen et al. 2015; Hirji et al. 2019).
Generell können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden:
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1.
Follow-up-Indikatoren können handlungsrelevanter sein als andere Indikatoren
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2.
Die Ergebnisse von Follow-up-Indikatoren bedürfen in der Regel einer differenzierten qualitativen Analyse
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3.
Follow-up-Indikatoren geben Einrichtungen wertvolle Informationen zum Behandlungsergebnis, insbesondere zur Nachbehandlung in anderen Einrichtungen
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4.
Es stehen Follow-up-Indikatoren zur Verfügung, die die einrichtungsvergleichende Qualitätssicherung verbessern
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5.
Die Erfahrungen mit den derzeit eingesetzten Indikatoren sollten systematisch analysiert werden, um generelles und spezifisches Weiterentwicklungspotenzial konkret feststellen zu können und den Wert der einzelnen Indikatoren für einen Einrichtungsvergleich oder ggf. für andere Zielsetzungen konkret bewerten zu können.
13.7.2 Erfassung der Ergebnisqualität einer Versorgungskette
In der Praxis ist die Frage nach der Ergebnisqualität einer Versorgungskette für praktisch jeden Follow-up-Indikator relevant, nicht nur im Rahmen sektorenübergreifender Qualitätssicherungsverfahren. Auch für prozedurbezogene, sektorspezifische Qualitätssicherungsverfahren ist abhängig vom Follow-up-Intervall eine Versorgungskette mehr oder weniger involviert – auch wenn die einzelnen Beteiligten nicht explizit in das Verfahren einbezogen sind und die von ihnen erbrachten Leistungen nicht als Indexleistungen einer expliziten Qualitätsbetrachtung unterliegen (Ausnahmen: z. B. Patient zum 30-Tage-Follow-up noch nicht aus stationärer Behandlung entlassen, Nachbehandlung ausschließlich durch den Leistungserbringer, der auch die Indexleistung erbracht hat). Auch für das Konzept der Qualitätssicherung in Pflegeeinrichtungen nach SGB XI werden implizit Versorgungsketten erfasst: Beispielsweise soll die Häufigkeit neu aufgetretener Dekubitalulzera über einen Zeitraum von sechs Monaten betrachtet werden. Praktisch werden damit auch ärztliche Behandlungen oder stationäre Aufenthalte während dieses Zeitraums einbezogen (Wingenfeld et al. 2018).
Bei sektorenübergreifenden Verfahren sind praktisch immer Versorgungsketten involviert.
Die Bewertung der Ergebnisqualität einer Versorgungskette muss für jedes Verfahren (jedes spezifische Thema) und jeden Indikator differenziert erfolgen.
Folgende Beispiele sollen dies illustrieren:
Hüft-TEP: Prothesen-Wechsel/Komponentenwechsel innerhalb von 90 Tagen
In die Versorgungskette ist möglicherweise eine Rehabilitationseinrichtung involviert. Diese kann theoretisch Einfluss darauf haben, ob ein frühzeitiger Prothesenwechsel notwendig ist, auch wenn dies in der Praxis wenig relevant erscheint.
Wenn die Wechseloperation nicht in der erstimplantierenden Einrichtung erfolgt, gehört auch diese Einrichtung zur Versorgungskette. Die Indikation zum Wechseleingriff kann von der erstimplantierenden Einrichtung in Frage gestellt werden kann.
Trotz dieser zu bedenkenden Konstellationen wird die Verantwortlichkeit innerhalb der Versorgungskette in der Praxis primär der erstimplantierenden Einrichtung zugeschrieben werden können.
Perkutane Koronarintervention (PCI): Sterblichkeit innerhalb eines Jahres
Es handelt sich um hochvariable und derzeit nicht beurteilbare Versorgungsketten.
Der Indikator ist prototypisch, um die konkrete Handlungsrelevanz solcher Indikatoren identifizieren zu können. Der G-BA hat das IQTIG daher bereits im Jahr 2018 beauftragt, Kriterien zur Datenbewertung für QS PCI zu entwickeln, und dabei insbesondere die Follow-up-Indikatoren hervorgehoben (G-BA 2018):
Hierbei ist insbesondere auch auf Langzeit-Follow-up-Indikatoren (Bsp. QS PCI) einzugehen. Es soll geprüft und dargelegt werden, ob die Einbeziehung mehrerer Leistungserbringer in das Stellungnahmeverfahren zu ein- und demselben Indikator fachlich geboten erscheint (v. a. bei den Langzeit-Follow-up-Indikatoren) und welche Modifikationen des Stellungnahmeverfahrens dann ggf. erforderlich sind.
Es besteht daher konkreter Bedarf, eine Systematik zu entwickeln, um Versorgungsketten zu analysieren und – sofern überhaupt möglich – in eine Bewertung einzubinden.
Dialyse: Sterblichkeit nach 1–10 Jahren
Es handelt sich um die kontinuierliche Erfassung der Dauerbehandlung einer chronischen Erkrankung bei Patientinnen und Patienten, die vielfach Komorbiditäten aufweisen und innerhalb variabler und nicht im Einzelnen bekannter Versorgungsketten behandelt werden.
Auch für die Bewertung dieser Ergebnisse wird es gezielter Analysen z. B. im Rahmen eines Stellungnahmeverfahrens bedürfen, um die konkrete Handlungsrelevanz der Ergebnisse bewerten zu können.
Solche Analysen müssen indikatorenspezifisch verschiedene Faktoren berücksichtigen:
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1.
„Länge“ der Versorgungskette: ein, zwei oder x Leistungserbringer
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2.
Variabilität des Ablaufs der Behandlung innerhalb der Versorgungskette
(z. B. relativ stabil in der Abfolge Operation – Rehabilitation – Nachbehandlung oder wechselnd und diskontinuierlich)
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3.
Variabilität der Beteiligung der einzelnen Leistungserbringer (z. B. meist die gleichen Krankenhäuser und Rehabilitationskliniken oder variabler, siehe Beispiel unten zu Karzinomerkrankung)
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4.
Variabilität des Einflusses einzelner Beteiligter auf das durch den Indikator erfasste Behandlungsergebnis
Am Beispiel einer sehr einfachen Versorgungskette sollen einige relevante Aspekte illustriert werden.
Im Bereich der Perinatalmedizin erfolgt die Versorgung der Neugeborenen (insbesondere Frühgeborene) in der Geburtsklinik und erforderlichenfalls in einer Neonatologie.
Eine Verknüpfung von Qualitätsdaten dieser beiden Einrichtungen hat insbesondere zwei relevante Vorteile: die Geburtsklinik erhält Auswertungen zu den Langzeitergebnissen der in der Klinik versorgten (Risiko-)Neugeborenen, die Neonatologie erhält standardisierte Daten aus der Geburtsklinik, die für die Risikoadjustierung der Ergebnisse der Neonatologie relevant sind.
Die „Versorgungskette“ dieser beiden Leistungserbringer findet zwar in vielen, jedoch nicht in allen Fällen innerhalb einer Einrichtung statt.
Für die „Versorgungsketten“ gibt es eine n : n-Beziehung: Eine Geburtsklinik kann in verschiedene Neonatologien verlegen (auch wenn dies in der Praxis meist nur ein oder zwei regional angebundene Kliniken betrifft), eine Neonatologie nimmt Neugeborene aus verschiedenen Geburtskliniken auf. Somit finden sich selbst in diesem einfachen Fall möglicherweise viele „Versorgungsketten“.
Wenn nun eine Geburtsklinik auffällige Ergebnisse für ihre weiterverlegten Neugeborenen aufweist (z. B. erhöhte Mortalität), bedarf es einer Analyse, ob diese Ergebnisse gleichermaßen in allen Neonatologien zu beobachten sind, in die verlegt worden ist, oder ob es ggf. eine Häufung in einer bestimmten Neonatologie gibt. Ggf. muss weitergehend analysiert werden, ob die Ergebnisse dieser einen Neonatologie nur für diese eine Geburtsklinik oder auch für andere Geburtskliniken auffällig sind. Da beide „n“ in dieser n : n-Beziehung nicht allzu hoch sein werden, erscheint eine solche Analyse zwar anspruchsvoll, aber möglich.
Die Komplexität steigt exponentiell, wenn die Versorgungskette mehrere behandelnde Einrichtungen (mehrere „n“) umfasst und die Anzahl dieser Einrichtungen, in die und von denen verwiesen wird, steigt (Höhe des „n“).
Bei dem vereinfachten Beispiel einer Karzinomerkrankung mit Operation, Chemotherapie und Bestrahlung (Diagnostik und Nachsorge werden der Anschaulichkeit halber nicht mit betrachtet) handelt es sich bereits um eine n : n : n-Beziehung. Da diese Behandlungen oft überregional stattfinden (Operation ggf. in einem weiter entfernten Zentrum, Chemotherapie und Strahlentherapie ortsnäher, aber nicht zwingend am gleichen Ort), wird deutlich, dass diese Versorgungsketten in einer Analyse praktisch nur noch sehr schwer „aufgelöst“ werden können. In dieser vereinfachten Betrachtung ist noch nicht berücksichtigt, dass die Reihenfolge der therapeutischen Schritte variabel ist.
Eine grundlegend andere Situation ergibt sich, wenn die Auswertungsebene verändert wird und nicht einzelne Leistungserbringer, sondern Versorgungsverträge (z. B. Selektivverträge) erfasst werden. Diese haben eine gemeinsame Verantwortung für das Ergebnis, allerdings auch abhängig davon, ob die gesamte Versorgungskette in den Vertrag einbezogen ist.