Gelingende ambulante und stationäre Übergänge tragen zu Versorgungskontinuität, Handlungssicherheit und Gewissheit über die Diagnose und den Krankheitsverlauf bei allen Beteiligten im Versorgungsnetz bei.
Die Analyse der Patientenakten aus dem Jahr 2016 der Palliativstationen in Augsburg und Bonn zeigt, dass sowohl in Augsburg (81 %) als auch in Bonn (70 %) die Mehrzahl der Betroffenen „mittlere oder starke Probleme mit der Organisation der Versorgung“ hatten. In Augsburg gaben 20 % der Patientinnen und Patienten an, alleine zu leben, 11 % lebten in einer Pflegeeinrichtung. In Bonn lag der Anteil der Alleinlebenden bei 31 % und jener in Pflegeeinrichtungen bei 7 %.
In Augsburg lag der Anteil von Patienten mit einer Krebserkrankung bei 73 %, in Bonn bei 80 %. Dies ist insofern relevant, als viele Patienten mit anderen (weit) fortgeschrittenen Erkrankungen selten oder nur sehr spät mit einem palliativmedizinischen Versorgungsangebot in Berührung kommen. Viele der Patienten mit einem palliativen Versorgungsbedarf waren zudem über 65 Jahre alt und litten an multiplen Organerkrankungen (eigene Daten, 2016). Eine sektorenübergreifende Überleitung wurde in den Interviews auch bei jungen Erwachsenen, Familien mit jungen Kindern, Alleinlebenden, Personen mit Migrationshintergrund, spezifischen Erkrankungen (NIV-beatmete Patienten, tracheotomierte Patienten, ALS, Adipositas), komplexer Wundversorgung, oder auch Suchterkrankungen als herausfordernd beschrieben. Das Wissen um unterschiedliche Angebote und Versorgungssysteme in der Region stellt eine weitere Herausforderung in der Erfüllung von Versorgungskontinuität und Patientensicherheit dar.
Nahezu alle interviewten Expertinnen und Experten berichteten von Schwierigkeiten bei der Bedarfserhebung von Patienten. Eine ressourcen- und teilhabeorientierte Abstimmung mit den Bedarfen von Patienten stellt im normalen Krankenhausalltag eine erste Hürde dar, da Zeit für ausführliche Kommunikation fehlt. Zeitgleich berichteten die Experten, dass die krankenhausinternen Palliativdienste sie entlasten und diesbezüglich unterstützen. Die vom Palliativdienst konsiliarisch durchgeführte Symptomkontrolle wurde positiv beurteilt, jedoch wiesen die Experten darauf hin, dass sie diese Symptomkontrolle auch selbst durchführen könnten. Weiterhin berichteten Patienten, Zugehörige und Behandelnde, dass eine Palliativversorgung immer noch als Behandlung und Begleitung von Sterbenden angesehen wird, sodass z. B. Onkologen teilweise zurückhaltend im Anfordern von Konsilen beim Palliativdienst sind. Ein weiterer Aspekt ist eine Änderung von kurativen zu palliativen Therapiezielen. Auch wenn die Indikation für eine Beendigung von erfolglosen kurativen Behandlungsmaßnahmen kommuniziert wird, kann es zum Konflikt mit Patienten und Zugehörigen kommen, die verzweifelt um eine Fortsetzung dieser Maßnahmen kämpfen, um die Hoffnung auf Besserung oder gar Heilung nicht aufgeben zu müssen. Dabei besteht auf Patienten- und Zugehörigenseite auch der Wunsch nach einer geschulteren und situationssensibleren Vermittlung von Informationen und Negativbotschaften.
Im Zuge von Fokusgruppeninterviews zu krankenhausinternen Verlegungen wurde berichtet, dass es die Akzeptanz der Palliativversorgung und das Vertrauen in das Gesundheitssystem stärkt, wenn Fachärzte, die diese Patienten (unter Umständen über viele Jahre) behandelt haben, nach der Verlegung auf die Palliativstation weiterhin zu Gesprächen kommen.
Das Verständnis der Palliativversorgung ist häufig auf die (medikamentöse) Symptomkontrolle beschränkt, während Fallmanagement, psychologische oder sozialrechtliche Beratung und Begleitung nicht als Aufgaben der Palliativversorgung wahrgenommen werden. In einem Modellprojekt zeigte sich der Nutzen der frühen Integration einer Palliativversorgung bei Patienten mit amyotropher Lateralsklerose (ALS) (Ateş et al. 2019; Radbruch et al. 2020). Positive Rückmeldungen seitens des befragten Gesundheitspersonals und von Patienten sowie Zugehörigen bestätigten den Wert der Zeit für ausführliche Gespräche, die Palliativdienste und das Gesundheitspersonal der Palliativstation aufbringen können, um bedarfsgerecht patientenzentrierte Versorgungssysteme aufzubauen. Dabei berücksichtigen sie ebenfalls die Ressourcen von Zugehörigen und des behandelnden Versorgungsnetzes.
Durch eine vorausschauende bedarfsgerechte Planung können auch für eine zukünftig notwendig werdende Versorgung rechtzeitig Zugänge gebahnt werden. An ALS Erkrankte sind ein Beispiel für Patientengruppen mit chronischen, progressiven Nichttumorerkrankungen, die möglichst früh eine kompetente sozialrechtliche Beratung und ein Fallmanagement in ihrem individuellen Versorgungsnetzwerk brauchen. Eine frühe Integration der Palliativversorgung wurde aber von einigen spezialisierten Teams in der SAPV abgelehnt. Dies wurde damit begründet, in diesem frühen Stadium keine Indikation für eine Palliativversorgung zu sehen, weil zu diesem Zeitpunkt noch keine belastenden Symptome erkannt wurden oder weil die Teams befürchteten, dass die Versorgung dieser Patienten über einen eventuell mehrjährigen Zeitraum die regionalen Versorgungskapazitäten übersteigen könnte (Ateş et al. 2019; Radbruch et al. 2020).
Aus den Interviews mit Experten und Patienten geht hervor, dass fehlende Hausbesuche der Haus- bzw. Fachärzte und Therapeuten sowie unvollständige Informationen oder fehlende Dokumente (Arztbriefe, Pflegeberichte, Medikationspläne, falsche oder fehlende Rezepte, Verordnungen, Medikationspläne) Auswirkungen auf eine nahtlose bedarfsgerechte Versorgung haben. Eine Bedarfsmedikation zum Management von Krisen mit Schmerzspitzen, Angstzuständen oder Luftnot wird häufig nicht verordnet oder beim Wechsel vom Krankenhaus in die häusliche Weiterversorgung nicht umgesetzt. Die Beschaffung von fehlenden oder unzureichend ausgefüllten Rezepten, Verordnungen und Informationen ist im ambulanten Bereich ein Problem. Ärztinnen und Ärzte in den Krankenhäusern wie auch im ambulanten Bereich sind für Nachfragen telefonisch oft nur schwer zu erreichen. Im ambulanten Bereich sind Patienten mit einer hohen und komplexen Symptomlast (mit Port, Tracheostoma, komplexen Wunden oder Dekubitus) besonders vulnerabel. Dies führt zu einer Unterversorgung, sowohl zu Hause als auch in Pflegeeinrichtungen, betreutem Wohnen oder in Beatmungs-Wohngemeinschaften, und zu unnötigen Krankenhauseinweisungen. Dies bedeutet für Patienten und Zugehörige eine zusätzliche Belastung.
Bereits nach der ersten Kontaktaufnahme mit der SAPV berichten nahezu alle interviewten Behandelnden und Patienten sowie ihre Zugehörigen von positiven Effekten im häuslichen Umfeld und einer großen Erleichterung aufgrund der 24/7-Erreichbarkeit von qualifizierten Ansprechpartnern. Versorgungskontinuität und Sicherheitsversprechen seitens ausgebildeter Palliativfachkräfte helfen den Betroffenen, ihren Alltag zu bewältigen und wirken gleichzeitig einer nicht dringend notwendigen Krankenhauseinweisung entgegen (Schneider et al. 2015).
Wenn doch eine stationäre Versorgung erforderlich wird, ist die gute Vernetzung zu Palliativstationen von Vorteil, die eine direkte Einweisung auf die Palliativstation ermöglicht. Dadurch wird das gesamte Versorgungsystem nachhaltig entlastet.