“Internal Crowdsourcing refers to the firm extending its problem-solving to a large and diverse group of self-selected contributors beyond the formal internal boundaries of a large firm; across business divisions, bridging geographic locations, levelling hierarchical structures.” (Elin Byren [1], S. 4).
22.1.1 Hintergrund
Die grundlegende Idee von internem Crowdsourcing (IC) ist, den innerbetrieblichen Wissensaustausch und die Interaktion im Unternehmen zu mobilisieren und zu stärken. Das Lösen von Problemstellungen durch bereichs- und fachübergreifendes Denken und kollaborative Handlungskompetenzen für die Zusammenarbeit sowohl zwischen den Beschäftigten untereinander als auch zwischen Unternehmensführung und Beschäftigten soll mit dem Verfahren auf direkte Weise gefördert werden. Vorhandenes explizites, aber vor allem auch personengebundenes implizites Fach- und Erfahrungswissen kann durch die Anwendung von internem Crowdsourcing schnell im Unternehmen abgerufen und für die Entwicklung von Lösungen, Prozessen und Entscheidungen genutzt werden. Insbesondere durch das niedrigschwellige Erproben neuer Kommunikations- und Kollaborationsmöglichkeiten kann internes Crowdsourcing einen wichtigen Beitrag zu einer veränderten, arbeitnehmerfreundlichen und agileren Unternehmenskultur für die digitalisierte Arbeitswelt leisten. Adressiert werden hier u. a. Aspekte wie wachsende Partizipationsansprüche durch und an Mitarbeitenden, der Wunsch nach flacheren Hierarchien samt unternehmens- bzw. bereichsübergreifender Kommunikationswege, agile und zeitgemäße Arbeitsmethoden und -organisation, Ansprüche an eine stärkere Demokratisierung von Unternehmen sowie eine grundsätzliche Unternehmensbefähigung, um in der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts (Industrie 4.0, Arbeit 4.0, Wirtschaft 4.0 etc.) bestehen zu können. Da durch IC in erster Linie die unternehmens- und bereichsübergreifenden Kommunikationsmöglichkeiten verändert bzw. ergänzt werden, neue Arbeits- und Interaktionsräume geschaffen und die digitale Einbindung der Mitarbeitenden ermöglicht werden, eröffnet sich hier ein Gestaltungs- und Experimentierraum für die Arbeitsorganisation der Zukunft.
Angesichts des hier beschriebenen Potenzials als ein Katalysator für die Etablierung einer digitalen Arbeitskultur zu fungieren, ist es erstaunlich, dass IC sowohl in der Forschung als auch in der Praxis fast ausschließlich als ein weiteres Instrument des Innovationsmanagements behandelt wird [4, 16, 17, 18]. Im Rahmen des Forschungsprojektes ‚ICU – Internes Crowdsourcing in Unternehmen‘ wurde daher erstmals die begründete Annahme getroffen, dass das Verfahren über den Innovationscharakter hinaus noch weitere Nutzungspotenziale birgt, nämlich zum einen für die Mitarbeiterbeteiligung und zum anderen für die Mitarbeiterqualifizierung.
22.1.2 Mitarbeiterbeteiligung
Als ein Instrument der digitalen Mitarbeiterbeteiligung kann internes Crowdsourcing Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit ermöglichen, auf unterschiedlichen Ebenen der Unternehmensprozesse teilzuhaben. Sie erhalten Gelegenheit, ihre persönlichen Erfahrungen und Wissensbestände in Form von Vorschlägen und Ideen in die Unternehmensabläufe mit einzubringen sowie Arbeitsverhältnisse mitverantwortlich zu gestalten. Durch die technische Vermittlung des Verfahrens erzielt internes Crowdsourcing mit geringem Aufwand eine hohe Reichweite im Mitarbeiterkontakt und eröffnet einen schnellen und direkten Kommunikationskanal zwischen Unternehmen und Angestellten. Grundsätzlich trägt Mitarbeiterbeteiligung neben anderen Faktoren zu einem Arbeitsklima bei, das auf Wertschätzung und Anerkennung für alle Beteiligten beruht.
22.1.3 Mitarbeiterqualifizierung
Um Beschäftigte auf die neue Anforderungen der fortschreitenden Digitalisierung im Arbeitsalltag vorzubereiten und für neue Tätigkeiten, die in diesem Zusammenhang entstehen, zu qualifizieren, müssen Unternehmen neue Wege und Maßnahmen finden, um interne berufliche Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen. Insbesondere seit der Einführung des „Europäischen Qualifikationsrahmens“ im Jahr 2008 ist in den einschlägigen wissenschaftlichen und praxisrelevanten Fachdebatten eine Verschiebung von den „harten“ Fakten der Qualifikationsnachweise hin zu den „weichen“ Indikatoren, den Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnissen, d. h. den Kompetenzen, erkennbar. Dabei haben Qualifikationen selbstverständlich nicht an aussagekräftiger Bedeutung verloren, da sie einen notwendigen Hinweis auf vorhandene berufliche Kompetenzen darstellen, doch geben sie keine Garantie für die Anwendung in der Praxis. Auch in der strategischen Personalentwicklung ist der Kompetenzansatz schon längst etabliert, z. B. im Zusammenhang mit internen Besetzungsverfahren von offenen Stellen. Um das tatsächliche „Können“ von bereits eingestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einzuschätzen, sind die formalen Qualifikationen meist zweitrangig und ihr Kompetenzprofil aussagekräftiger. Weiterhin kann Kompetenzermittlung im Unternehmen das Ziel verfolgen Weiterbildungsbedarf oder die Lernausgangslage als Voraussetzung für selbstständige/selbstorganisierte Lernprozesse und für die erforderliche Lernbegleitung zu ermitteln. [5: S. 11 ff., 6: S. 10 ff., 15] Natürlich bleibt das Potenzial für Produkt-, Dienstleistungs- oder Prozessinnovationen durch IC sehr hoch und sollte als wichtige IC-Dimension nicht vernachlässigt werden.
22.1.4 Projektziele und Methodisches Vorgehen
Vor diesem Hintergrund war das Ziel des Forschungsprojektes ICU, in einem mehrstufigen, iterativen Verfahren ein branchenübergreifendes Modell zu entwickeln, das als Referenzfall guter Praxis für zukünftige Crowdsourcingaktivitäten dienen soll. Dieses sogenannte ICU-Modell besteht aus einem speziell für das interne Crowdsourcing konzipierten Prozess, der neben dem Innovationsmanagement die Dimensionen Mitarbeiterbeteiligung und Mitarbeiterqualifikation strategisch gleichermaßen adressiert, einem Prozessmanagementsystem und einer IC-Plattform. Auf der Grundlage von Analysen betrieblicher IC-Implementationen, wissenschaftlicher Forschung und Erfahrungswissen aus der Praxis wurde zuerst ein Grundmodell designt und dann beim Praxispartner, dem Energiedienstleister GASAG AG, in einer Pilotphase zur Anwendung gebracht (1. Iteration). Anschließend wurde das Modell optimiert und zum GASAG Good – Practice – Beispiel ausgeformt (2. Iteration). Von dem Good – Practice – Beispiel ausgehend wurde dann ein branchenübergreifendes Referenzmodell entwickelt. Im Fokus der Modellentwicklung stand die arbeitnehmergerechte Gestaltung der Anwendung von internem Crowdsourcing. Um die damit verbundenen, unterschiedlichen Ansprüchen zu berücksichtigen, wurde das ICU-Modell von Projektbeginn an partizipativ mit allen relevanten Stakeholdern (Beschäftigte/Unternehmensführung/Betriebsrat) und unter aktiver Begleitung der Gewerkschaft entwickelt, die die arbeitsrechtlichen/-politischen Rahmenbedingungen für das Verfahren sicherstellen sollte.
In diesem Artikel werden nun die Ergebnisse aus den einzelnen Arbeitspaketen von den dafür verantwortlichen Projektpartnern vorgestellt.