1 Einleitung

Intellectual Property-Strafrecht (kurz: IP-Strafrecht) stellt eine rechtliche Spezialmaterie zum Schutz der Rechte geistigen Eigentums dar, die lange Zeit ein Schattendasein in der Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen fristete. Angesichts des Technologiefortschritts der industriellen Produktpiraterie und dem grenzüberschreitenden Onlinehandel einerseits, sowie der massiven Bedeutung für die nationale, europäische und internationale Wirtschaft und ihre Akteure andererseits, rücken strafrechtliche Maßnahmen vermehrt in den Fokus von Praxis und Wissenschaft.

Der gegenständliche Beitrag befasst sich mit den Maßnahmen des IP-Strafrechts gegen die industrielle Produktpiraterie am Beispiel der Rechtsordnung Italiens. Dazu wird zunächst das Kriminalitätsphänomen der Produkt- und Markenpiraterie untersucht und insbesondere der Frage nachgegangen, inwiefern der Einsatz von Strafrecht zum Schutz geistigen Eigentums sinnvoll ist. Anschließend werden internationale und europäische Rechtsquellen auf Vorgaben zum IP-Strafrecht hin beleuchtet, bevor ein Überblick über das strafrechtliche Arsenal zum Schutz vor Marken- und Produktpiraterie der italienischen Rechtsordnung vorgestellt wird. Zum Schluss wird ein Ausblick auf mögliche Rechtsentwicklungen gegeben.

2 Produkt- und Markenpiraterie

2.1 Begriff

Der Begriff von Produkt- und Markenpiraterie erscheint auf den ersten Blick intuitiv erfassbar, ist jedoch in der Literatur überaus umstritten.Footnote 1 Das ist zuvörderst der Vielfältigkeit des Phänomens geschuldet (dazu sogleich unten unter 2.2.).Footnote 2 Unter „Produktpiraterie“ (engl: Counterfeiting) wird allgemeinhin das verbotene Nachahmen und Vervielfältigen von Waren verstanden, für die der rechtmäßige Hersteller geistige Eigentums- bzw. Nutzungsrechte (z. B. Design-, Erfindungs- oder Verfahrensrechte) besitzt.Footnote 3 „Markenpiraterie“ (engl: Brand piracy) hingegen beschreibt die illegale Verwendung einer Marke bei der Kennzeichnung einer nachgeahmten oder unerlaubt hergestellten Ware.Footnote 4 Gerade die vorsätzliche und insbesondere die systematische Begehungsweise der vorher genannten Handlungen ist jene Eigenschaft, die das Phänomen der Produktpiraterie für die Zwecke einer Definition treffend beschreibt.Footnote 5

Gemeinsam ist den beiden Kriminalitätsphänomenen die Nachahmung bzw. Vermarktung fremder geistiger Leistungen, womit eine Verletzung des geistigen Eigentums einhergeht. Die Täter profitieren in unerlaubter Weise nicht nur vom etablierten Image der jeweiligen Marke oder Produkts. Sie umgehen auch die Aufwendungen zur Produktentwicklung und Marketing des Unternehmens. Durch die Nachahmung geht nicht nur ein konkreter Verkaufsverlust für den Inhaber der jeweiligen geistigen Eigentumsrechte einher, sondern häufig auch ein Imageverlust, wenn die nachgeahmten Güter von geringer Qualität sind.

2.2 Phänomen

Marken- und Produktpiraterie sind weit verbreitet.Footnote 6 So erlebt die Markenpiraterie gerade im Zeitalter des Internets neue Formen des unerlaubten Kaperns fremder Marken zum Zwecke der gewerbsmäßigen Selbstvermarktung (sog. „anmaßender Influencer“).Footnote 7 Mit dem Begriff der Produktpiraterie hingegen werden traditionell vor allem nachgeahmte Luxusartikel, wie Designerhandtaschen oder Uhren, in Verbindung gebracht. Die Praxis zeigt allerdings, dass nahezu sämtliche Marktsegmente – selbst Produkte aus dem täglichen Leben, wie Spielzeug,Footnote 8 Getränke oder ZahnpastaFootnote 9 – von dieser Art der Wirtschaftskriminalität betroffen sind.

Gerade bekannte Marken aus Italien zählen zu beliebten Zielen von Produktpiraten.Footnote 10 So wurde der renommierte Bremsenhersteller Bremo auf minderwertige Plagiate seiner Bremssysteme aufmerksam, die von entsprechenden Sicherheitsmängeln begleitet waren.Footnote 11 Dem beliebten Motorroller Vespa wurde in einem jüngeren Turiner Strafverfahren wegen Produktpiraterie durch das Gericht sogar der Status eines Kunstwerks zugesprochen.Footnote 12 Doch auch der Lebensmittelsektor hält einige bekannte Beispiele parat. So macht der Handel mit gefälschtem „Nativen Olivenöl Extra“ aus Italien bereits seit Jahren Schlagzeilen. Erst kürzlich gelang es Europol, in einer gemeinsamen Aktion mit Deutschland und Italien über 150.000 Liter gefälschtes Natives Olivenöl Extra in Deutschland zu beschlagnahmen.Footnote 13 Üblicherweise wird hierfür durch die Produktpiraten minderwertiges Olivenöl oder Soja- bzw. Sonnenblumenöl billig aus Nordafrika, Griechenland bzw. Spanien verwendet und mit verschiedenen Substanzen verschnitten, damit es wie hochwertiges Olivenöl aussieht, bevor es umetikettiert und als teures „Natives Olivenöl Extra“ verkauft wird.

Europaweit stehen ferner Kosmetika, Pestizide und Agrarchemikalien, Textil- und Schuhwaren sowie Smartphones weit oben auf der Liste der Produktfälscher.Footnote 14 Ein überaus schnell wachsender Sektor der Produktpiraterie stellt gleichzeitig die wohl gefährlichste Spielart dieser kriminellen Handlung dar, nämlich die Medikamentenfälschung. Hierbei handelt es sich um Arzneiplagiate, die nicht den Standards der Pharmaindustrie entsprechen, wodurch diese Produkte etwa mit Schadstoffen verunreinigt, unter- oder überdosiert oder gänzlich wirkungslos sind. Wie bei den meisten Piraterieprodukten, erfolgt auch hier der Vertrieb dieser Fälschungen häufig über das Internet.

Für die Wirtschaft hat die Produktpiraterie weitreichende negative Konsequenzen. Zunächst ist der rechtmäßige Inhaber des Schutzrechts zu nennen, der durch die Piraterieprodukte Umsatz- und Gewinnverluste verzeichnet. Im Jahresbericht des Europäischen Amtes für Geistiges Eigentum (EUIPO) wird der jährliche Verlust in den elf bedeutsamsten Wirtschaftsbranchen mit bis zu 60 Milliarden Euro beziffert, was 7,4 % des EU-weiten Gesamtumsätze der betroffenen Branchen darstellt.Footnote 15 Doch auch das jeweilige Markenimage erleidet einen Bedeutungsverlust und verliert womöglich seine kennzeichnende Kraft, was Einbußen für den Nutzungsberechtigten zur Folge hat. Schließlich hat der Rechteinhaber auch die Kosten des Rechtsweges für seinen Kampf gegen Produktpiraterie zu tragen.Footnote 16 Der Verbraucher hingegen wird durch Produktplagiate nicht nur über die tatsächliche Herkunft und Qualität des erworbenen Artikels getäuscht. Häufig ist er auch verschiedenen Risiken hinsichtlich seiner Gesundheit (z. B. Medikamentenplagiate) und seiner Sicherheit (z. B. gefälschte Autoteile) ausgesetzt. Die Allgemeinheit wird durch die Marken- und Produktpiraterie nicht nur infolge des Abbaus von Arbeitsplätzen und entgangenen Zoll- sowie Steuereinnahmen belastet.Footnote 17 Sie trägt auch die Kosten für etwaige Folgeschäden (z. B. Langzeitschäden infolge von Medikamentenplagiaten).

2.3 Einsatz von Strafrecht?

Angesichts der umfangreichen rechtlichen Arsenals zivilverfahrensrechtlicher Natur zum Schutz vor Produkt- und Markenpiraterie (z. B. die präventive Beschlagnahme nach Art. 144-bis des italienischen Gesetzbuchs für das geistige Eigentum), die in diesem Band ausführlich besprochen wurden, stellt sich die Frage, warum der Gesetzgeber überhaupt – bzw. gerade in jüngerer ZeitFootnote 18 – einen Handlungsraum für IP-Strafrecht eröffnet und welche praktischen Konsequenzen daraus gezogen werden können.

Die erste – möglicherweise intuitive – Antwort auf die Frage zum Einsatz von IP-Strafrecht findet sich im abschreckenden Charakter des Strafrechts im Allgemeinen. Der Gesetzgeber erhofft sich, durch ein System abschreckender und wirksamer Strafen eine abschreckende Wirkung zu erzielen und setzt somit auf den generalpräventiven Charakter von Strafnormen. Gerade mit Blick auf Italien, wo bereits der Erwerb von Piraterieprodukten durch den Endverbraucher mit einer Geldsanktion bedroht wird (näher dazu unter 3.3.3.) und in den Medien immer wieder entsprechende Meldungen über die Verhängung drakonischer Strafen zirkulieren,Footnote 19 mag ein solcher abschreckender Effekt möglicherweise tatsächlich eintreten – empirisch belegt ist er freilich nicht.

Ferner setzt die Möglichkeit des Rückgriffs auf das strafrechtliche Arsenal zum Schutz der Rechte geistigen Eigentums den Delinquenten zusätzlich unter Druck, um vom Rechteinhaber gestellte zivilrechtliche Ansprüche „freiwillig“ zu erfüllen. Denn mit der Wiedergutmachung und Verpflichtung zur Unterlassung künftiger Verletzungen durch den Produktpiraten verliert der rechtmäßige Inhaber der Rechte am geistigen Eigentum in der Regel sein Interesse an der Weiterverfolgung des Strafanspruchs und ist möglicherweise bereit, die gestellte Strafanzeige zurückzuziehen. Damit eröffnen sich für den Beschuldigten bzw. Angeklagten verschiedene Möglichkeiten, den Ausgang des Strafverfahrens zu seinen Gunsten zu beeinflussen.

Schließlich sind die Strafvorschriften zum Markenschutz aus ermittlungsstrategischer Sicht für den Rechteinhaber interessant. So gestattet das italienische IP-Strafrecht (wie viele andere europäische Rechtsordnungen) den Rückgriff auf Ermittlungsmaßnahmen wie Durchsuchungen, Überwachung und insbesondere die Beschlagnahme und Einziehung der gefälschten Waren und Artikel. Mit der Einziehung durch die staatlichen Behörden kann rasch auf die Entdeckung von Fälschungen reagiert werden. Ferner liegt der Vorteil strafrechtlicher Ermittlungen darin, dass die Staatsanwaltschaft von Amts wegen den Sachverhalt ermittelt und dazu Ressourcen einsetzen kann, die auf einem allein zivilrechtlichen Wege nicht im selben Umfang realisierbar wären. Über das strafprozessuale Recht auf Akteneinsicht kann sich der Geschädigte ein besseres Bild zur konkreten Piraterietätigkeit machen. Schließlich besteht ein weiterer großer Vorteil prozessualer Natur (gegenüber dem Zivilrechtswege) darin, dass bei Bekanntwerden von Produktpiraterie eine Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet werden kann, sodass die Ermittlungsbehörden mit der Ausforschung und Identifikation des Täters betraut sind.

Insgesamt lassen die obenstehenden Ausführungen den Schluss zu, dass dem IP-Strafrecht zumindest eine unterstützende Funktion zum Schutz des Immaterialgüterrechts zukommt. Denn durch die strafrechtlichen Normen werden die primär zivilrechtlich geschützten und durchsetzbaren Ansprüche des jeweiligen Rechteinhabers ergänzt.

3 Internationale und Europäische Vorgaben

3.1 Internationales Recht

3.1.1 Überblick

Ausgangspunkt der völkerrechtlichen Rechtsquellenanalyse bildet zunächst die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR), die in Art. 17 AEMR die Eigentumsgarantie enthält. Demnach hat jedermann das Recht, allein oder in Gemeinschaft mit anderen über Eigentum zu verfügen (Art. 17 Abs. 1 AEMR). Umgekehrt soll niemand willkürlich seines Eigentums beraubt werden (Art. 17 Abs. 2 AEMR). Eine Spezifizierung im Lichte der Rechte des geistigen Eigentums findet sich im Internationalen Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (IPwskR). So enthält Art. 15 Abs. 1 lit. c IPwskR die Verpflichtung der Vertragsstaaten, den Schutz des Urheberrechts als Ausprägung des Eigentums anzuerkennen. Verschiedene internationale Übereinkommen enthalten Vorgaben zum Schutz der Marke, insbesondere das Pariser Verbandsübereinkommen zum Schutz des gewerblichen Eigentums (PVÜ),Footnote 20 das Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Marken (MMA),Footnote 21 das Protokoll zum Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Marken (MMP)Footnote 22 oder der Genfer Markenrechtsvertrag (TLT)Footnote 23 der WIPO. Keines der genannten Abkommen enthält jedoch Vorgaben zum Schutz des geistigen Eigentums mittels Strafrechts.

3.1.2 TRIPS

Die Verpflichtung zum Einsatz von Strafrecht gegen Marken- und Produktpiraterie entspringt der jüngeren Zeit. Sie findet sich im Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des Geistigen Eigentums (TRIPS) von 1994.Footnote 24 Das Abkommen, das der Vertragskonstruktion der Welthandelsorganisation (WTO) zugehört, sieht normative Mindestanforderungen für die nationalen Rechtsordnungen zum Schutz des geistigen Eigentums vor. Konkret werden die Vertragsstaaten in Art. 61 TRIPSFootnote 25 verpflichtet, zumindest für Fälle von vorsätzlicher Markenfälschung oder Urheberrechtspiraterie in gewerblichen Umfang strafrechtliche Sanktionen einzuführen. Die Sanktionen sollen Freiheits- und/oder Geldstrafen umfassen, die einerseits geeignet sind, eine abschreckende Wirkung zu entfalten, andererseits aber auch vom Niveau der Strafhöhe mit jenen Straftatbeständen übereinstimmen, die von einer entsprechenden Schwere gekennzeichnet sind. Mit Blick auf eine zukünftige Revision des TRIPS-Abkommens wird im Schrifttum insbesondere eine Stärkung des Enforcement-Aspekts strafrechtlicher Natur eingefordert.Footnote 26

3.1.3 ACTA

Große Hoffnungen wurden in das seit 2008 verhandelte multilaterale Anti-Piraterie-Abkommen (ACTA)Footnote 27 gelegt, das die USA, Europa, Australien, Kanada, Japan, Korea, Mexiko, Marokko, Neuseeland, Singapur und die Schweiz zu Mindeststandards bei der Durchsetzung von Schutzrechten für geistiges Eigentum führen sollte. Das geplante Übereinkommen enthielt im vierten Abschnitt verschiedene Vorschriften für den Einsatz von Strafrecht durch die Vertragsstaaten bereit. So sollten unter anderem Strafen und Strafverfahren zumindest bei vorsätzlicher Nachahmung von Markenwaren oder vorsätzlicher unerlaubter Herstellung in gewerblichem Ausmaß von urheberrechtlichen oder durch entsprechende Schutzrechte geschützten Waren zur Anwendung kommen (Art. 23 Abs. 1 ACTA).Footnote 28 Für gewisse Straftatbestände aus dem ACTA sollten Freiheits- und Geldstrafen vorgesehen werden, wobei die Gestaltung der Strafhöhen unter dem Gesichtspunkt des begangenen Unrechts und der künftigen Abschreckung ausgestaltet werden sollten (Art. 24 ACTA). Schließlich sah Art. 25 ACTA unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit der Beschlagnahme, Einziehung und Vernichtung der Piraterieprodukte vor. Abgerundet wurden die strafrechtlichen Vorgaben durch die Verpflichtung der Vertragsstaaten, für gewisse ACTA-Straftaten amtswegige Ermittlungen vorzusehen. Dem Abkommen war (bislang) kein Erfolg beschert, nachdem sich das EU-Parlament angesichts umfangreicher internationaler Proteste am 04.06.2012 mit großer Mehrheit gegen die Ratifizierung ausgesprochen hat.Footnote 29

3.2 Europa- und Unionsrecht

3.2.1 Europarat

Die kriminalpolitische Bedeutung von Produktpiraterie wird auch auf Ebene des Europarats erkannt. Allerdings erfolgt die Kriminalisierung primär im Zusammenhang mit anderen Delikten, wie das Beispiel des Übereinkommens über Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten zeigt, das 2008 in Kraft trat.Footnote 30 Im Anhang zu diesem Übereinkommen findet sich als Katalogstraftat auch die Produktfälschung und Produktpiraterie (unter lit. k). Insofern liegt hier in erster Linie eine mittelbare Kriminalisierung von Produktpiraterie über die Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung vor.

Doch es existiert auch ein Übereinkommen des Europarats, das sich dezidiert mit einer bestimmten Art von Piraterieprodukten befasst. Gemeint ist das Medicrime-Übereinkommen, welches sich der Fälschung von Arzneimittelprodukten annimmt und 2016 in Kraft getreten ist.Footnote 31 Damit hat der Europarat erstmals ein verbindliches internationales Rechtsinstrument mit strafrechtlichen Instrumentarien geschaffen, das sich der spezifischen Bedrohung für die öffentliche Gesundheit widmet, die von nachgeahmten und gefälschten Medizinprodukten ausgeht. Mit diesem Übereinkommen weist der Europarat dezidiert auf die Gefahren für das Leben der Betroffenen hin, das über Art. 2 EMRK als Grund- und Menschenrecht verankert ist.Footnote 32

Mit Blick auf die EMRK wird deutlich, dass der Schutz von geistigem Eigentum primär über Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK (ZP I) zum Ausdruck kommt.Footnote 33 Das Zusatzprotokoll wurde bis dato von 45 der 47 Vertragsstaaten des Europarates ratifiziert.Footnote 34 Nach herrschender Auffassung fallen auch bestehende Immaterialgüterrechte, insbesondere Marken- und andere Schutzrechte zur wirtschaftlichen Nutzung unter die Eigentumsgarantie des ZP I.Footnote 35 Diese Auslegung wurde durch die Große Kammer des EGMR in seiner Leitentscheidung Anheuser-Busch Inc. gegen Portugal dezidiert anerkanntFootnote 36 und seither in der Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt.Footnote 37 Allerdings scheinen Zweifel angebracht, inwiefern die Eigentumsgarantie des ZP I bei industrieller Produktpiraterie zur Anwendung kommen könnte. Denn eine Verletzung von Art. 1 ZP I setzt einen Eingriff in die Eigentumsrechte durch staatliche Stellen voraus. Möglich erscheint allenfalls eine Konstruktion über die Doktrin der positiven Schutzpflichten, wenn etwa der staatliche Gesetzgeber nicht für adäquate gesetzliche Rahmenbedingungen zum Schutz vor Produktpiraterie sorgt.Footnote 38 Die praktischen Erfolgschancen einer solchen Argumentation erscheinen jedoch äußerst fraglich. In einschlägigen Extremfällen wäre allenfalls eine Kombination mit dem Grundrecht auf Leben nach Art. 2 EMRK bzw. der allgemeinen Schutzpflicht aus Art. 1 EMRK denkbar, die den Konventionsstaat ausdrücklich zum wirksamen Schutz menschlichen Lebens und damit zu einem positiven Tun verpflichtet, etwa über die Etablierung wirksamer strafrechtlicher Vorschriften mit abschreckender Wirkung.Footnote 39 Analoge Überlegungen sind hinsichtlich des Schutzes von Aspekten des Berufslebens im Lichte von Art. 8 EMRK anzustellen.Footnote 40

3.2.2 Unionsrecht

Angesichts der massiven wirtschaftlichen Schäden, welche durch die Piraterieindustrie verursacht werden, scheint die Existenz einer unionsrechtlichen Regelung strafrechtlicher Natur zum Produkt- und Markenschutz durchaus naheliegend.Footnote 41 Doch der Blick auf die Unionsgesetzgebung zeigt, dass hier zuvorderst Instrumente außerstrafrechtlicher Natur zur Anwendung kommen. So sind insbesondere die MarkenrichtlinieFootnote 42 sowie die Verordnung zum Verbot der Überführung nachgeahmter WarenFootnote 43 zu nennen. Mit der Verordnung 1383/2003 („Grenzbeschlagnahmeverordnung“) wurden die TRIPS-Vorgaben zum Zollbeschlagnahmeverfahren in den EU-Mitgliedstaaten umgesetzt.Footnote 44 Auch die Enforcement-Richtlinie aus dem Jahr 2004 sieht verschiedene Regelungen zur zivilrechtlichen Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums vor.Footnote 45 Zuletzt hat der Unionsgesetzgeber mit der Geschäftsgeheimnis-Richtlinie von 2016 Standards zum Schutz vor rechtswidriger Nutzung und Offenlegung von vertraulichem Know-How und vertraulichen Geschäftsinformationen eingeführt.Footnote 46 Allerdings sehen all diese Vorgaben keinen Einsatz des Strafrechts als flankierende Maßnahme zum Schutz des geistigen Eigentums vor.

Zwar hat es auf Unionsebene Versuche gegeben, mittels europaweiter Vorgaben zum IP-Strafrecht wirksame und effektive Maßnahmen gegen die Produktpiraterie zu entwerfen. Der 2005 eingebrachteFootnote 47 und infolge eines EuGH-UrteilsFootnote 48 im Jahr 2006 präzisierteFootnote 49 Kommissionsvorschlag für einen Rahmenbeschluss zur strafrechtlichen Sanktionierung von Verletzungen des geistigen Eigentums war sogar politisch konsensfähig.Footnote 50 Doch der EuGH stellte sich dem Unionsgesetzgeber in einem Urteil von 2007 entgegen und wies darauf hin, dass die EG keine Kompetenz hat, Art und Maß der anzuwendenden strafrechtlichen Sanktionen zu bestimmen.Footnote 51 Trotz der geänderten primärrechtlichen Rechtsgrundlagen durch den 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon gab die Kommission 2010 den Richtlinienvorschlag letztlich auf.Footnote 52 Gleichwohl setzte der Unionsgesetzgeber 2013 gewichtige Akzente zur Bekämpfung von Produktpiraterie. Mit der Produktpiraterie-Verordnung 608/2013, deren Rechtsgrundlage Art. 207 AEUV zur Gemeinsamen Handelspolitik bildet, gibt die EU gerade den Zollbehörden mit der sog. Grenzbeschlagnahme ein schlagfertiges und wirksames Instrument gegen die transnationale Kriminalität die EU in die Hand, um gefälschte Waren aus dem Handelsverkehr zu ziehen.Footnote 53 Auf dieser rechtlichen Grundlage können die Zollbehörden Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass Waren, die ein Recht des geistigen Eigentums verletzen, überhaupt auf den Unionsmarkt gelangen.Footnote 54

Insgesamt hat der Unionsgesetzgeber zwar bis dato keine Harmonisierungsmaßnahmen für das IP-Strafrecht zum Schutz vor Produktpriaterie erlassen. Gleichwohl ist das nationale IP-Strafrecht nicht vom Unionskontext gelöst, sondern – im Gegenteil – unionskonform auszulegen, wenn es zur Durchführung von Unionsrecht dient. Die Durchführung von Unionsrecht bezieht sich zunächst auf direkt durch Europarecht veranlasstes Handeln der Mitgliedstaaten, bzw. solches Handeln der Staaten, das durch Unionsrecht vollständig determiniert ist. Darüber hinaus erstreckt sich das Durchführen von Unionsrecht auch auf Handlungen der Staaten, in denen das Unionsrecht Umsetzungs- oder Ermessensspielraum bietet bzw. in denen das Unionsrecht den betroffenen Rechtsbereich prägt.Footnote 55 In welchem Umfang Strafrecht als Durchführung von Unionsrecht gilt, ist allerdings allgemeinhin nicht vollständig klar.Footnote 56 Doch für den Bereich der Produktpiraterie geben nicht nur die vorher genannten Unionsmaßnahmen entsprechende Anknüpfungspunkte her. Auch hält die EU-Grundrechtecharta entsprechende Vorgaben bereit. Hier ist in erster Linie Art. 17 Abs. 2 GRC (Eigentumsrecht) zu nennen, der einen ausdrücklichen Schutzauftrag für die Rechte geistigen Eigentums enthält.Footnote 57 Insofern lässt sich durchaus begründen, dass der Schutz vor Produktpiraterie einen Bestandteil der Unionspolitik bildet, weshalb das IP-Strafrecht als Durchführung von Unionsrecht aufgefasst werden kann.Footnote 58 Damit sind hier nicht nur die Grundrechte der GRC zu beachten, sondern auch die unionsrechtlichen Verpflichtungen zur loyalen Zusammenarbeit und zur wirksamen Anwendung von Unionsrecht, die sich auch im Ergreifen von strafrechtlichen Maßnahmen substanziieren können.

4 Italiens Strafrechtsreform von 2009 im Zeichen der Marken- und Produktpiraterie

4.1 Einführung

4.1.1 Ausgangslage im Produktstrafrecht

Das italienische Produktstrafrecht, wie es im codice penale von 1930 (c.p.) vorgezeichnet war, hatte insbesondere die missbräuchliche und unlautere Verwendung von fremden Marken im Lichte der Konkurrenzverhältnisse von Unternehmen zum Inhalt. Es ging in erster Linie darum, den gewerblichen Rechtsschutz, der mittels Registrierung der Marke, des Patents oder der technischen Lösung schlagend wurde, durch das Strafrecht zu flankieren. In gewisser Weise stand das Markenregister selbst und die damit verbundenen Auswirkungen für den Konsumenten im Vordergrund der strafrechtlichen Schutzbestimmungen. Denn nach der ursprünglichen Systematik waren die Markenstraftaten als Verbrechen gegen den öffentlichen Glauben im VII. Titel des c.p. zu finden, sodass der Schutzzweck auf das Vertrauen der Konsumenten abzielte, wonach die verwendete Marke auf die tatsächliche Herkunft des Produkts (d. h. auf das jeweilige Unternehmen) hinweist. Dieser auf den Verbraucher bezogene strafrechtliche Ansatz der h.A., der bereits im Vorgänger des (noch heute geltenden) codice penale von 1930, nämlich im Codice Zanardelli von 1889 angelegt war, hatte zur Folge, dass der strafrechtliche Rechtsgüterschutz etwaige Überlegungen zum (potenziellen oder realen) Schaden für den rechtmäßigen Inhaber des betroffenen geistigen Eigentums unerheblich waren.Footnote 59 Insofern nehmen sich primär Art. 473 ff. c.p. (Delikte gegen den öffentlichen Glauben), aber ferner auch Art. 517 ff. c.p. (Delikte gegen die Wirtschaft) der Produktpiraterie an.

4.1.2 Entwicklungen und Reformbedarf

Infolge des technologischen Fortschritts (insbesondere auch dem Aufkommen der industriellen Produktpiraten), der Auslagerung von Industriezweigen in Billiglohnländern im Zuge der Globalisierung und der weltweiten Handelsmöglichkeiten dank des Internets hat sich das 1930 geschaffene IP-Strafrecht, das auf dem Schutz des öffentlichen Glaubens basierte, als reformbedürftig erwiesen. Denn gerade für Piraterieprodukte entwickelte sich nunmehr seit JahrzehntenFootnote 60 ein eigener illegaler Markt,Footnote 61 zumal Endverbraucher bereit waren und sind, trotz der Kenntnis des Plagiats gerade angesichts des enormen Preisunterschiedes zwischen teurem Original und preiswerter Nachahmung die gefälschten Pirateriewaren zu erwerben.Footnote 62 Die Piraterieindustrie arbeite damit auf der einen Seite auf Täuschungen des Endverbrauchers durch Schaffung von Nachahmungen und Plagiate hin, andererseits kommt es ihr aber gegebenenfalls auf eine Täuschung überhaupt nicht an, wenn der Endabnehmer bereit ist, offensichtliche Nachahmungen wesentlich günstiger als das teure Original zu erwerben.

Auf das Strafrecht gemünzt bedeutet dies, dass sich der Unwert der Täuschung des Konsumenten und der damit verbundene strafrechtliche Schutzauftrag zum Vertrauen des Konsumenten auf die Herkunftsbezeichnung im Laufe der Zeit verändert hat. Dies bringt dogmatische Herausforderungen für das nationale IP-Strafrecht mit sich. Denn die Vorgaben aus dem codice penale zum Schutz des Verbrauchers schienen bei offensichtlichen Nachahmungen zahnlos, denn infolge der gesetzlich verankerten Straflosigkeit der Unmöglichkeit zur Begehung eines Verbrechens aufgrund einer untauglichen Handlung (Art. 49 Abs. 2 c.p.) gewährte die Offensichtlichkeit des Plagiats in Ermangelung der Täuschungstauglichkeit nach breiter Auffassung Straflosigkeit für den Plagiator.Footnote 63

4.1.3 Reform von 2009

Mit dem Reformgesetz Nr. 99/2009 versuchte der italienische Gesetzgeber, die Bekämpfung der Produktpiraterie durch eine starke Akzentuierung von strafrechtlichen Maßnahmen voranzutreiben.Footnote 64

Die Kernvorschriften im Kampf gegen die industrielle Produktpiraterie stellen Art. 473 c.p. (Herstellung und Nutzung) sowie Art. 474 c.p. (Einfuhr und Handel) dar. Daneben wurden die Straftatbestände zum Schutz der Wirtschaft in Art. 517 ff. c.p. ausgebaut, teilweise unter Bezugnahme auf die zentralen Tatbestände der Art. 473 c.p. und 474 c.p.Footnote 65 Die einschlägigen Straftatbestände aus dem codice penale wurden im Straftatenkatalog im italienischen Unternehmensstrafrecht aufgenommen (vgl. Art. 25-bis Abs. 1 lit. f-bis D. lgs. 231/2001).Footnote 66 Ferner wurde mit der Reform jeglicher Bezug zu den Schutzrechten des geistigen Eigentums herausgenommen (der strafrechtliche Schutz wird nunmehr erschöpfend im italienischen Gesetz zum Schutz des geistigen EigentumsFootnote 67 behandelt), andererseits eine Anbindung an innerstaatliche, europäische und internationale Rechtsquellen geschaffen. Zugleich wurde das Sanktionsniveau von Art. 473 c.p. und Art. 474 c.p. erheblich angezogen.

4.2 Bekämpfung von Piraterieprodukten mittels Strafrecht

Die Straf- und Verwaltungsstraftatbestände zum Schutz des sog. öffentlichen Glaubens vor Produktpiraterie (Art. 473 und 474 c.p., Art. 1 Abs. 7 Gesetzesdekret 35/2005) lassen sich nach drei Gesichtspunkten systematisieren:

  • Kriminalisierung der Herstellung und Verwendung von Piraterieprodukten;

  • Kriminalisierung des Imports und Handels mit Piraterieprodukten;

  • Kriminalisierung des Erwerbs von Piraterieprodukten durch den Endabnehmer.

Trotz der weitreichenden Reform von 2009 zur Bekämpfung der industriellen Produktpiraterie bleibt das geschützte Rechtsgut – nicht zuletzt mit Blick auf die systematische Einordnung in die Delikte gegen den öffentlichen Glauben – weiterhin der traditionellen Ausrichtung verhaftet, wonach Art. 473 c.p. ebenso wie Art. 474 c.p. das öffentliche Vertrauen der Verbraucher in die Echtheit der Kennzeichen für geistiges Eigentum und gewerbliche Waren schützen.Footnote 68 Geschützt wird also das Vertrauen der Bürger in Marken oder Unterscheidungsmerkmale, die Industrieprodukte kennzeichnen und im handelsüblichen Verkehr genutzt werden.Footnote 69

Dieses öffentliche Vertrauen wird objektivistisch interpretiert. So legte der Oberste italienische GerichtshofFootnote 70 dar, dass der öffentliche Glaube als Vertrauen der Bürger in die eigentliche Funktion von Marken und Unterscheidungsmerkmalen, nämlich zur Bezeichnung der Produktherkunft, zu verstehen ist, und nicht das jeweilige Vertrauen des Einzelnen gemeint ist. Irrelevant ist die Perspektive des Einzelnen, also inwiefern der Käufer in Anbetracht der Qualität des Produkts, des Preises, des Ausstellungsortes oder der Person des Verkäufers in der Lage ist, die Echtheit des Produkts in Zweifel zu ziehen. So richtet sich das Delikt in Art. 474 c.p. gegen die Möglichkeit der Verwechslung zwischen den Marken und Unterscheidungsmerkmalen, nicht zwischen Produkten.Footnote 71

4.2.1 Herstellung und Verwendung von Piraterieprodukten

Zentraler Straftatbestand gegen die industrielle Produktpiraterie ist Art. 473 c.p., der insbesondere die Herstellung von Piraterieprodukten unter Strafe stellt. Der Straftatbestand lautet:

Art. 473 c.p. (Nachahmung, Änderung oder Verwendung von Kennzeichen geistigen Eigentums oder von Industrieprodukten)

  1. (1)

    Jeder, der das Bestehen des gewerblichen Schutzrechts kennen könnte und nationale oder ausländische Unterscheidungsmerkmale oder Zeichen von gewerblichen Erzeugnissen fälscht oder verändert, oder jeder, der, ohne an der Fälschung oder Veränderung beteiligt zu sein, solche gefälschten oder geänderten Marken oder Unterscheidungsmerkmale verwendet, wird mit Gefängnisstrafe von sechs Monaten bis zu drei Jahren und einer Geldstrafe von 2500 bis 25.000 Euro bestraft.

  2. (2)

    Wer nationale oder ausländische Patente, Geschmacks- oder Gebrauchsmuster fälscht oder verändert oder, ohne an der Fälschung oder Änderung beteiligt zu sein, solche gefälschten oder geänderten Patente, Geschmacks- oder Gebrauchsmuster nutzt, wird mit Gefängnisstrafe von einem bis zu vier Jahren und einer Geldstrafe von 3500 bis 35.000 Euro belegt.

  3. (3)

    Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Straftaten sind unter der Voraussetzung strafbar, dass die Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts, der Gemeinschaftsverordnungen und der internationalen Übereinkommen zum Schutz des geistigen oder gewerblichen Eigentums eingehalten wurden.

Der Straftatbestand in Abs. 1 besteht im Wesentlichen darin, dass der Täter zwar die Existenz des betroffenen gewerblichen Schutzrechtes kennt, gleichwohl aber entweder selbst in- oder ausländische Marken oder Unterscheidungsmerkmale von gewerblichen Erzeugnissen fälscht oder verändert, bzw. ohne an der Fälschung oder Veränderung beteiligt zu sein, derartige gefälschte oder veränderte Marken bzw. Unterscheidungsmerkmale verwendet. Im Zentrum der Straftatbestände stehen damit in das Markenregister eingetragene Marken (einschließlich Formmarken)Footnote 72 und Unterscheidungsmerkmale, wobei letztere sich auf Industrieprodukte beziehen müssen.

Nicht unter den Anwendungsbereich fallen hingegen einerseits Kollektivmarken und Ursprungsbezeichnungen, weil diese infolge der Reform von 2009 einen eigenen strafrechtlichen Schutz (durch Art. 517-quater c.p.) erhalten haben und an sich nicht denselben materiellen Fälschungsgehalt haben wie Marken und Unterscheidungsmerkmale. Andererseits fallen auch nicht das Unternehmen, der Unternehmens- oder Gesellschaftsname sowie diesbezügliche Zeichen und Emblems unter den strafrechtlichen Schutz des Abs. 1, weil der Erwerb dieser Nutzungsrechte nicht von der Einhaltung jenes Registrierungsverfahrens abhängt, das für den strafrechtlichen Schutz des Art. 473 c.p. wesentlich ist. Schliesslich hat der Oberste italienische Gerichtshof festgehalten, dass die Tatvarianten „Verwendung“ und „Nutzung“ von Piraterieprodukten in Art. 473 c.p. nicht auf den Endverbraucher anwendbar sind.Footnote 73

Im zweiten Absatz widmet sich der Straftatbestand des Art. 473 c.p. in- oder ausländischen Industriepatenten, Geschmacks- oder Gebrauchsmuster und bestraft (mit einem schärferen Strafrahmen gegenüber den Markenpiraterietatbeständen in Abs. 1) die diesbezüglichen Fälschungs- oder Veränderungshandlungen oder – außerhalb der Beteiligung an der Fälschung bzw. Veränderung – deren Verwendung.

Als Problemschwerpunkt wurde von der Literatur insbesondere die mögliche Kenntnis des Täters zum Bestehen des gewerblichen Schutzrechts identifiziert. Denn nach einer verbreiteten Ansicht im Schrifttum sollte hier ein zweiteiliges subjektives Tatbestandserfordernis zum Ausdruck kommen: Der Täter muss einerseits die nachahmenden bzw. verändernden Tathandlungen vorsätzlich vornehmen, während andererseits für die Unkenntnis über die Registrierung des gewerblichen Schutzrechtes Fahrlässigkeit erforderlich sein soll.Footnote 74 Zunächst erscheint es fraglich, ob dieses nicht ausdrücklich genannte Fahrlässigkeitserfordernis über den Gesetzestext hinaus hineingelesen werden darf, zumal die Strafbarkeit wegen Fahrlässigkeit nach Art. 42 Abs. 2 c.p. grundsätzlich eine ausdrückliche Normierung erfordert.Footnote 75 Vielmehr hat sich die Auffassung durchgesetzt, wonach sämtliche Elemente des Tatbestandes vom Vorsatz erfasst sein müssen, sodass auch das Wissen des Täters über das Bestehen des gewerblichen Schutzrechtes vorliegen muss. In der Praxis greift die Rechtsprechung hier insbesondere auf die Vorsatzform des dolus eventualis zurück.Footnote 76

4.2.2 Import von und Handel mit Piraterieprodukten

Gegenüber Art. 473 c.p. hat der Straftatbestand in Art. 474 c.p. eine ergänzende Rolle, weil die einschlägigen Tathandlungen chronologisch nach einer bereits vorgenommenen Fälschung gesetzt werden. Der Straftatbestand lautet:

Art. 474 c.p. (Einfuhr in den Staat und Handel von Produkten mit falschen Kennzeichen)

  1. (1)

    Mit Ausnahme der Fälle der Teilnahme an den in Art. 473 c.p. genannten Straftaten wird jeder, der in das Hoheitsgebiet des Staates Industrieprodukte mit gefälschten oder veränderten Marken oder anderen Unterscheidungsmerkmalen in- oder ausländischer Herkunft einführt, um Gewinn zu erzielen, mit Gefängnisstrafe von einem bis vier Jahren und einer Geldstrafe von 3500 bis 35.000 Euro belegt.

  2. (2)

    Außerhalb der Fälle von Teilnahme in der Nachahmung, Änderung oder Einfuhr in das Hoheitsgebiet des Staates wird derjenige, der die in Abs. 1 genannten Produkte zum Verkauf hält, zum Verkauf anbietet oder anderweitig in Verkehr bringt, um Gewinn zu erzielen, wird mit Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren und einer Geldstrafe von bis zu 20.000 € bestraft.

  3. (3)

    Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Straftaten sind unter der Voraussetzung strafbar, dass die Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts, der Gemeinschaftsverordnungen und der internationalen Übereinkommen zum Schutz des geistigen oder gewerblichen Eigentums eingehalten wurden.

Insgesamt beinhaltet Art. 474 c.p. seit der Reform von 2009 zwei verschiedene Straftatbestandsvarianten: Der erste Tatbestand substanziiert sich in der zur Gewinnerzielung beabsichtigen Einfuhr von inländischen oder ausländischen nachgeahmten bzw. veränderten Marken oder Unterscheidungsmerkmalen, und zwar außerhalb der Fälle des Art. 473 c.p. Die zweite Tatbestandsvariante zielt auf das Verkaufen, zum Verkauf anbieten oder anderweitig mit Gewinnabsicht in Umlauf bringen von nachgeahmten oder veränderten Piraterieprodukten. Es handelt sich hierbei um ein Gefährdungsdelikt,Footnote 77 weshalb auch offensichtliche Fälschungen unter den Straftatbestand fallen.Footnote 78

Bei den Tathandlungen wird zwischen Import und Handel mit Piraterieprodukten unterschieden. Die Einfuhr von gefälschten Produkten wird mit dem Eintritt in das Staatsgebiet verwirklicht. Die Handlungsvarianten zum Handel sind dreiteilig gegliedert. Der Besitz zum Verkauf liegt vor, wenn der Handelnde nach dem Erhalt der gefälschten Produkte die Verfügbarkeit der Produkte für den Handel aufrechthält. Dies liegt vor, wenn nach den Umständen der Lagerung der Sachen, der gewerblichen Tätigkeit des Handelnden und des konkreten Verhaltens desselben seine Absicht sicher erscheint, dass er die Plagiatsprodukte in den Geschäftskreislauf einbeziehen will.Footnote 79 Das Anbieten zum Verkauf bezieht sich auf das allgemeine Verhalten, gefälschte Produkte der Öffentlichkeit anzubieten, und zwar unabhängig davon, inwiefern Verhandlungen mit Kunden aufgenommen wurden. Hier genügt nach h.M. bereits, wenn die Waren in den für den Verkauf vorgesehenen Orten bereits gelagert werden.Footnote 80 Der Residualtatbestand „in Verkehr bringen“ bezieht sich auf alle Tätigkeiten in Bezug auf die örtliche Verschiebung von Waren zum Zwecke des späteren Verkaufs.Footnote 81

Aus systematischer Sicht erscheint zunächst der Umstand kritisch, wonach der subsidiäre Tatbestand des Art. 474 c.p. gegenüber Art. 473 Abs. 1 c.p. härtere Strafen vorsieht, weshalb das Nachahmen und Fälschen von Marken geringer bestraft wird als der Import und Handel dieser Produkte. In dieser kriminalpolitischen Entscheidung äußert sich die Erkenntnis des Gesetzgebers, wonach die Herstellung von Piraterieprodukten häufig im Ausland erfolgt, während der Handel mit den illegalen Erzeugnissen im Inland (bzw. EU-Binnenmarkt) vollzogen wird. Gerade im Transit der Erzeugnisse vom Ausland ins Inland, der bisweilen mit erheblichen organisatorischen und kriminellen Aufwand betrieben wird, sieht der Gesetzgeber einen erhöhten Unrechtswert, den er in Art. 474 Abs. 1 c.p. mit einem entsprechenden Sanktionsniveau abbildet.

4.2.3 Erwerb von Piraterieprodukten durch Endabnehmer

Ein gegenüber den deutschsprachigen Rechtsordnungen besonders auffallender Umstand ist die Tatsache, dass sich der italienische Gesetzgeber für eine Sanktionierung des Verbrauchers wegen des Erwerbs von Piraterieprodukten entschieden hat. Das ist in Bezug auf das Markenstrafrecht durchaus ein Novum (vgl. § 143 MarkenG in Deutschland), auch wenn in der Literatur für derartige kriminalpolitische Ausrichtungen Sympathien gezeigt werden.Footnote 82 In Art. 1 Abs. 7 sieht Gesetz 80/2005 einen Verwaltungsstraftatbestand (nur)Footnote 83 für den Endabnehmer von Piraterieprodukten vor:Footnote 84

Gegen Endabnehmer, die aus welchem Grund auch immer Waren kaufen, die aufgrund ihrer Qualität oder des Zustands des Anbieters oder der Höhe ihres Preises vermuten lassen, dass gegen die Herkunftsvorschriften für die Produkte und das gewerbliche Eigentum verstoßen wurde, wird eine Verwaltungsstrafe in Höhe von 100 bis 7000 Euro verhängt. In jedem Fall wird das in diesem Abs. genannte Vermögen zu Verwaltungszwecken eingezogen. Die Bestimmungen des Gesetzesdekrets Nr. 70 vom 9. April 2003 bleiben unberührt. Wenn der Kauf von einem gewerbliche Wirtschaftsteilnehmer oder Importeur oder einer anderen Person als dem Endabnehmer getätigt wird, wird die Verwaltungsstrafe von mindestens 20.000 Euro bis zu einer Million Euro festgelegt, es sei denn, die Handlung stellt eine Straftat dar. Die Sanktionen werden gemäß dem Gesetz Nr. 689 vom 24. November 1981 in der jeweils gültigen Fassung angewandt. Unbeschadet der Bestimmungen des Artikels 13 des vorgenannten Gesetzes Nr. 689 von 1981 über die Ermittlungsbefugnisse von Beamten und Bediensteten der Kriminalpolizei untersuchen die Verwaltungsbehörden von Amts wegen oder auf Beschwerde die Verstöße.

Der ursprüngliche Gesetzestext wurde durch die Reform von 2009 unter anderem dahingehend erweitert, dass nunmehr ausdrücklich auch der Endabnehmer einer verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung für den Erwerb von Piraterieprodukten unterliegt. Ferner wurde die Klausel gestrichen, die die Anwendbarkeit des Verwaltungsstraftatbestandes der Bedingung unterstellte, wonach der Erwerber die Prüfung über die rechtmäßige Herkunft der Sache unterlassen hat.

Praktisch bedeutsam ist, dass dieser Verwaltungsstraftatbestand nicht der (eigentlich erwartbaren) Subsidiaritätsklausel unterliegt, wonach das Verwaltungsunrecht nur dann einschlägig ist, wenn die Handlungen keine Straftat (üblicherweise Hehlerei, Art. 648 c.p.,Footnote 85 oder die Gesetzesübertretung des Erwerbs einer Sache aus verdächtiger Herkunft, Art. 712 c.p.)Footnote 86 darstellen. Denn noch vor der Reform von 2009 hatte sich die Rechtsprechung dahingehend festgelegt, dass der Erwerb von Piraterieprodukten grundsätzlich die Gesetzesübertretung nach Art. 712 c.p. erfüllt (sofern nicht der Straftatbestand der Hehlerei einschlägig war, nämlich wenn sich der Erwerber der illegalen Herkunft des Produkts vollumfänglich bewusst war), während der Verwaltungstatbestand in Art. 1 Abs. 7 Gesetz 80/2005 nur dann zur Anwendung kommen sollte, wenn die gekaufte Sache aus einer anderen illegalen Herkunft resultierteFootnote 87 – was letztlich der faktischen Nichtanwendung des Verwaltungsstraftatbestandes gleichkam.

Nach der Reform 2009, die eben keine Subsidiaritätsklausel zugunsten von Straftaten mehr enthält und die die unterlassene Prüfung der rechtmäßigen Herkunft gestrichen hat, ergibt sich ein neues Bild. Der Verwaltungsstraftatbestand in Art. 1 Abs. 7 Gesetz 80/2005 wird gegenüber Art. 648 c.p. und Art. 712 c.p. primär hinsichtlich jener Fälle eingesetzt, in denen ein Endabnehmer ein Piraterieprodukt erwirbt. Die erhöhte Anwendbarkeit resultiert nicht nur im Umstand, dass der Verwaltungsstraftatbestand sowohl bei fahrlässigem als auch bei vorsätzlichem Verhalten Anwendung findet. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in Italien hat infolge der Reform von 2009 festgelegt, dass Art. 1 Abs. 7 Gesetz 80/2005 einerseits und die Straftatbestände in Art. 648 c.p. und Art. 712 c.p. andererseits in einem Spezialitätsverhältnis stehen.Footnote 88

4.2.4 Einziehung

Mit der Reform von 2009 wurde für die Fälle des Art. 473 c.p. und 474 c.p. eine Einziehung vorgesehen, die sich einerseits auf jene Sachen bezieht, die der Straftat dienten oder dienen sollten, und andererseits auch auf jene bezieht, die Gegenstand, Produkt, Preis oder Gewinn der Straftat darstellt. Wenn die Gegenstände selbst nicht verfügbar sind, ist eine Einziehung nach dem Wertersatz möglich. Sollten Gegenstände einer für die Straftat fremden Person gehören und eine Einziehung verhindert werden, muss die betroffene Person nachweisen, dass sie den illegalen – auch nur gelegentlichen – Gebrauch oder die illegale Herkunft der Sache nicht vorhersehen konnte und dass sie diesbezüglich keinen Mangel an Wachsamkeit hatte.

Der neue Einziehungstatbestand lautet wie folgt:

Art. 474-bis c.p. (Einziehung)

  1. (1)

    In den in den Art. 473 und 474 c.p. genannten Fällen ist unbeschadet des Rechts des Geschädigten auf Rückerstattung und Schadenersatz die Beschlagnahme der Sachen, die der Straftat dienten oder dienen sollten, und jenen Sachen, die Gegenstand, Produkt, Preis oder Gewinn der Straftat darstellen, stets bei jener Person anzuordnen, der sie gehören.

  2. (2)

    Wenn es nicht möglich ist, die in Absatz 1 genannte Maßnahme durchzuführen, ordnet der Richter die Einziehung von Vermögenswerten an, über die der Täter in einem dem Gewinn entsprechenden Wert verfügt. Art. 322ter Abs. 3 c.p. findet Anwendung.

  3. (3)

    Die Bestimmungen des Art. 240 Abs. 3 und 4 c.p. finden Anwendung, wenn es sich um Sachen handelt, die zur Begehung der Straftat verwendet wurden oder verwendet werden sollten, oder wenn es sich um den Gegenstand, das Produkt, den Preis oder den Gewinn handelt, die einer nicht an der Straftat selbst beteiligten Person gehören, wenn diese Person nachweist, dass sie die illegale, auch gelegentliche, Verwendung oder die illegale Herkunft nicht vorhersehen konnte und dass ihr kein Wachsamkeitsmangel unterlaufen ist.

  4. (4)

    Die Bestimmungen dieses Artikels werden auch im Falle der Verhängung einer Strafe auf Antrag der Parteien gemäß Titel II des Sechsten Buches der Strafprozessordnung beachtet.

Neu – gegenüber der Einziehung nach Art. 240 c.p. – ist der Zugriff auf den Gegenstand des Verbrechens, sodass nicht nur das gefälschte Markenzeichen, sondern auch das Piraterieprodukt, auf dem sich die gefälschte Marke befindet, eingezogen werden konnte. Die Implementation einer derartigen Einziehungsmaßnahme soll die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität stärken. Deshalb unterstreicht auch die Rechtsprechung die generalpräventiv-abschreckende Funktion dieser Maßnahme, die aber auch durchaus repressive Charakterzüge einer Nebenstrafe zeigt, zumal die intrinsische Gefährlichkeit der jeweiligen Gegenstände außer Acht gelassen wird.Footnote 89

Die Einziehungsmaßnahme ist mit der Verurteilung (bzw. auch bei einem Strafvergleich nach Art. 444 der italienischen Strafprozessordnung) obligatorisch vorzunehmen. Dem Gericht bleibt daher kein Ermessensspielraum zum Erlass der Einziehung. Zumal jüngst der Unionsgesetzgeber aktiv wurde und eine unmittelbare Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellungs- und EinziehungsentscheidungenFootnote 90 erlassen hat, die nicht voraussetzen, dass das jeweilige nationale Einziehungsinstrument der Ausgangsrechtsordnung auch in der Zielrechtsordnung vorhanden ist, scheint die kriminalpolitische Schlagkraft dieser Einziehungsart vor allem in der Zukunft deutlich zuzunehmen.Footnote 91

Wie üblich, soll gerade auch die Einziehung für den Wertersatz (Abs. 2) das Leitmotiv crime should not pay umsetzen.Footnote 92 Auf Basis des Wertersatzes soll nach Art. 474-bis c.p. allein der Gewinn der Straftat eingezogen werden.Footnote 93 Über den Verweis auf Art. 322ter c.p. wird sichergestellt, dass das Gericht die Geldbeträge oder Vermögenswerte im Urteil festlegt und statuiert, inwiefern der Betrag jeweils den Gewinn oder den Preis der Straftat darstellt.

Mit Blick auf die Gerichtspraxis wurden beispielsweise Immobilien, in denen die gefälschten Piraterieprodukte für den Verkauf gelagert wurden,Footnote 94 oder auch das für die Beförderung dieser Waren dienliche Fahrzeug eingezogen.Footnote 95

5 Ausblick

Die Darstellung des Kriminalitätsphänomens der Produktpiraterie (oben, 1.2.) hat gezeigt, welches beträchtliche Schadensausmaß finanzieller und wirtschaftlicher Natur durch Industriepiraten verursacht wird. Die Bedrohung, aber auch die tatsächliche Schädigung durch Produktpiraterie betrifft nicht nur die Unternehmen und Wirtschaftstreibenden, sondern auch die finanziellen und wirtschaftlichen Interessen des Staates, gerade wenn die Plagiatskriminalität industrielle Dimensionen annimmt. In einer globalisierten Wirtschaft, die nicht nur im Wettbewerb um die schlauesten Köpfe steht, sondern auch um die Vorreiterrolle in der Technologisierung bzw. Digitalisierung von Produkten und Dienstleistungen konkurriert, sind Schutzrechte für Immaterialgüter von existenzieller Bedeutung für die jeweiligen Rechteinhaber. Ohne diesen Schutz würde kaum ein Unternehmen den finanziellen und personellen Aufwand betreiben, um in Forschung & Entwicklung zu investieren und sich auf dem weltweiten Markt zu behaupten.

Es gehört zu den vitalen Interessen eines Staates (bzw. eines europäischen Binnenmarktes) mit funktionierender Marktwirtschaft, Innovation zu fördern und die dazugehörige wirtschaftliche Nutzung zu schützen. Aus diesem Grund stellt er dem Rechtsanwender unterschiedliche Instrumentarien zur Verfügung. Doch die etablierten Instrumente der geistigen Eigentumsrechte oder des Kartellrechts zeigen bislang nicht die erwünschten Erfolge, im Gegenteil: Die industrielle Produktpiraterie wächst nicht nur mit dem wirtschaftlichen Fortschritt mit, sondern beschreitet auch selbst innovative Wege, um die illegalen Produkte auf dem Markt zu positionieren. Obwohl die jährlichen Berichte der Zollbehörden auf vielversprechende Erfolge verweisen, wird dennoch deutlich, dass die bisherigen Strategien im Kampf gegen die Piraterieindustrie nicht aufgehen.

Der Rückgriff auf strafrechtliche Maßnahmen gehört zum Repertoire jüngerer Generationen. Fraglich erscheint, ob mit der Kriminalisierung der Piraterieindustrie, also der Hersteller von Plagiatsprodukten, tatsächlich eine wirksame und abschreckende Maßnahme auf den Weg gebracht worden ist, zumal die Hersteller der Plagiate in Drittländern ansässig sind und damit durch das staatliche Strafrecht kaum erreichbar sind. Aus innerstaatlicher Perspektive scheint es vielmehr geboten, die Etablierung des illegalen Marktes trocken zu legen. Solange Abnehmer für Piraterieprodukte trotz Kenntnis der Fälschung zum Erwerb von Plagiaten bereit sind, hat die Industriepiraterie finanzielle Interessen an der Erhaltung und am Ausbau des Plagiatmarktes und wird bereit sein, für die Aussicht auf Profit entsprechende Risiken (auch strafrechtlicher Natur) einzugehen. Daher erscheint es nur logisch, innerhalb des illegalen Marktes von Plagiaten nicht nur das Angebot von Piraterieprodukten in den Fokus zu nehmen, sondern auch die Perspektive der Nachfrage ins Auge zu fassen.

Hier beschreitet Italien im Vergleich zu den deutschsprachigen Rechtsordnungen eigene Wege. Denn die Kriminalisierung des Endabnehmers von Piraterieprodukten mittels Verwaltungsstrafrecht scheint – soweit ersichtlich – im Binnenmarkt ein normatives Modell zu sein, das (noch nicht) Schule gemacht hat. Doch angesichts der Bereitschaft von Verbrauchern, aus Gründen der Kostenersparnis Plagiate zu erwerben, und im Hinblick auf die leichte Erwerbbarkeit derartiger Produkte über das Internet,Footnote 96 scheint der Einsatz von derart drastischen Vorschriften unvermeidbar, um der Piraterieindustrie die wirtschaftliche Grundlage zumindest ansatzweise zu entziehen.

Gleichwohl hat der Nationalstaat allein kaum hinreichende Kapazitäten, um dem Kriminalitätsphänomen Herr zu werden. Dies gilt gerade für die Etablierung eines europäischen Binnenmarktes ohne Grenzen. Strafrechtliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Produktpiraterie lassen sich auf staatlicher Ebene kaum wirksam durchsetzen. Doch auch in der strafrechtlichen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten gibt es angesichts erheblicher Unterschiede in den Strafnormen zum Schutz von Immaterialgüterrechten erhebliche praktische Schwierigkeiten. Angesichts der massiven negativen Bedeutung der industriellen Produktpiraterie für die Wirtschaft im EU-Binnenmarkt liegt es nahe, dass der Unionsgesetzgeber sein 2010 aufgegebenes Vorhaben doch nochmals aufgreift und den Schutz vor Produktpiraterie mittels strafrechtlicher Vorgaben im Unionsrechtsraum flankiert. Ein entsprechendes Vorhaben wurde zwar noch nicht umgesetzt, doch in seinem Stockholmer Programm hat der Rat den Erlass einer solchen Richtlinie festgelegt.Footnote 97

Als Rechtsgrundlage für das Tätigwerden des Unionsgesetzgebers scheidet Art. 83 Abs. 1 AEUV aus, zumal die Produktpiraterie – trotz ihrer transnationalen Dimension und ihrer besonderen Schwere – unter keinen der in Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV genannten Kriminalitätsbereiche fällt. Möglich wäre ein Tätigwerden mittels Richtlinie nach Art. 83 Abs. 2 AEUV. Diese Vorschrift enthält eine strafrechtliche Annexkompetenz, sodass der Erlass einer Richtlinie dann möglich ist, wenn außerhalb des Strafrechts bereits Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind und sich für deren wirksame Durchführung eine Angleichung strafrechtlicher Rechtsvorschriften als unerlässlich darstellt. Die erforderliche außerstrafrechtliche Harmonisierung im Bereich des geistigen Eigentums bzw. der Nachahmung und der Produktpiraterie kann etwa an der Richtlinie Nr. 48/2004 festgemacht werden.Footnote 98 Die erforderliche Unerlässlichkeit des Rückgriffs auf strafrechtliche Maßnahmen zur Durchführung der Unionspolitik wäre empirisch mit Blick auf die Jahresberichte zur Produktpiraterie durchaus begründbar,Footnote 99 denn diese zeigen, dass die bisherigen Maßnahmen das Phänomen kaum eindämmen und sich damit der Rückgriff auf Strafrecht als unerlässlich darstellt.

Durchaus interessant stellen sich die Entwicklungen zum Europäischen Strafrecht mit Blick auf die EU-Agenturen dar, die dem Europäischen Strafrecht zuzuordnen sind. So ermittelt bereits seit geraumer Zeit das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) nicht nur gegen illegalen Handel mit gefälschten Zigaretten und Tabakerzeugnissen.Footnote 100 Vielmehr ist die EU-Behörde über den Verweis von Art. 36 VO 605/2013Footnote 101 auf die Amtshilfeverordnung 515/1997Footnote 102 dazu befugt, Ermittlungen zu Piraterieprodukten in der EU vorzunehmen. So kann sich OLAF im Rahmen von mit Drittländern geschlossenen Abkommen über gegenseitige Amtshilfe im Zollbereich auf Ersuchen an Ermittlungen in Drittländern beteiligen. Auch bei Europol rückt der Kriminalitätsschwerpunkt Produktpiraterie vermehrt in den Vordergrund. So wurde 2016 eine Intellectual Property Crime Coordinated Coalition (IPC3) gegründet, die bei Europol angesiedelt ist und durch das Europäische Amt für geistiges Eigentum (EUIPO) finanziert wird. Ziel ist die polizeiliche Bekämpfung im Internet von Verstössen gegen geistige Eigentumsrechte mittels Internetermittlungen, Datenanalyse und -verarbeitung sowie Schulung von Vollzugsbehörden.Footnote 103 Aufgrund der hohen finanziellen Einbußen, die sich bei der Produktpiraterie in Form von entgangenen Steuereinnahmen substanziieren, lässt sich ferner ein Konnex mit den finanziellen Interessen der Europäischen Union herstellen. Damit wäre der sachliche Zuständigkeitsbereich der Europäischen Staatsanwaltschaft eröffnet, die nach Art. 22 Abs. 3 VO für sämtliche Straftaten zuständig ist, welche mit den Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union im Sinne der PIF-RichtlinieFootnote 104 „untrennbar verbunden“ sind. Bei der untrennbaren Verbindung handelt es sich um einen autonomen Begriff des Unionsrechts, weshalb sich der Straftatbegriff durchaus sehr weitreichend bestimmt.Footnote 105 Die Praxis wird zeigen, inwiefern der institutionelle Auf- und Ausbau der europäischen Strafverfolgungsbehörden die Schlagkraft gegen die industrielle Produktpiraterie erhöht. An einer gemeinsamen, d.h. europäischen Lösung führt jedenfalls kein Weg vorbei, wenn der Ausbau des EU-Binnenmarktes ernsthaft vorangetrieben werden soll.Footnote 106