4.1 Ausgangssituation

Die Digitalisierung nimmt Einfluss auf sämtliche Bereiche unseres Lebens und bedingt somit technologieinduzierte Transformationsprozesse. Der Wandel von mechanikzentrierten Produkten zu intelligenten technischen Systemen stellt produzierende Unternehmen vor eine große Herausforderung [11]. Der Begriff Industrie 4.0 beschreibt diese Revolution in der industriellen Wertschöpfung [19]. Die zunehmende Durchdringung von Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) schafft zum einen neue Möglichkeiten für die Gestaltung der technischen Systeme, induziert aber zugleich einen Zuwachs an technischer und organisatorischer Komplexität in der Entwicklung und dem Einsatz dieser Systeme [31]. Da herkömmliche Entwicklungsmethoden und Arbeitsmittel diesen steigenden Anforderungen nicht mehr gerecht werden, erfordert dieser Trend somit auch einen Paradigmenwechsel in der Leistungserstellung der Produktentstehung [13]. Diese Diskrepanz ist in Abb. 4.1 dargestellt.

Abb. 4.1
figure 1

Diskrepanz zwischen Produktkomplexität und der Leistungsfähigkeit fachdisziplinspezifischer Entwicklungsmethoden [11]

Die Verwendung von digitalen Technologien in der Arbeitswelt und die Integration der Technologien in die Arbeitswelt wird dabei unter dem Begriff Arbeit 4.0 zusammengefasst [28]. Prominente Beispiele wie das sog. Predictive Maintenance, welches basierend auf historischen Daten und Messwerten proaktiv Abschätzungen für Instandhaltung und Wartung durchführt oder der Einsatz digitaler Entscheidungshilfen, zeigen auf, dass der Einsatz einer digitalen Technologie mit weitreichenden Veränderungen in der Arbeitswelt einhergeht. Hierbei sind neben den Auswirkungen auf die Prozesse und Strukturen auch die Tätigkeiten und Kompetenzen der Beschäftigten zu berücksichtigen [5]. Somit ist das Spannungsfeld aus Mensch, Technik und Organisation zentral für die erfolgreiche Digitalisierung der Arbeitswelt [37].

Speziell in der Produktentstehung verspricht die Digitalisierung ein hohes Nutzenpotential, unter anderem dadurch, dass die intelligenten technischen Systeme einen Zuwachs an Daten über den gesamten Produktlebenszyklus verfügbar machen [40]. Arbeit 4.0 in der Produktentstehung hat somit die Möglichkeit, die Entwicklungstätigkeiten grundlegend zu prägen und zu verändern. Hiermit verbunden sind jedoch die Fragen nach den technischen Möglichkeiten sowie nach einem sinnvollen Grad an Digitalisierung. Aus der dargelegten Problemstellung werden die folgenden Handlungsfelder fokussiert, mit denen sich Unternehmen auseinandersetzen sollten, um die Potentiale der Digitalisierung in der Produktentstehung zu nutzen:

Potentiale und Auswirkungen digitalisierter Arbeit: Technologien und Konzepte zur sinnvollen Unterstützung der Tätigkeiten und Prozesse der Produktentstehung und deren Auswirkungen auf das Spannungsfeld aus Mensch, Technik und Organisation.

Einführung digitalisierter Arbeit: Der digitale Transformationsprozess geht mit einer Anpassung der Organisation an die fortschreitenden Möglichkeiten der Digitalisierung einher. Die Gestaltung der digitalisierten Arbeit ist unternehmensindividuell und ist mit einem strukturierten Vorgehen zu unterstützen.

Qualifizierung für die digitalisierte Arbeit: Die Einführung digitaler Technologien und Konzepte hat Auswirkungen auf die Kompetenz- und Qualifikationsprofile der Beschäftigten. Die Vorbereitung der Beschäftigten auf die Veränderungen in der Arbeitswelt ist daher von großer Bedeutung.

Auf Grundlage der dargelegten Handlungsfelder wird in dem vorliegenden Beitrag eine Vorgehensweise zur Einführung digitalisierter Arbeit in der Produktentstehung vorgestellt und an Praxisbeispielen aus dem Verbundprojekt IviPep beschrieben. Als Praxisbeispiele werden die Pilotprojekte der Firmen HELLA GmbH & Co. KGaA und HANNING ELEKTRO-WERKE GmbH & Co. KG verwendet.

HELLA GmbH & Co. KGaA – Mixed Mock-Up in der Entwicklung von Produktionssystemen: Es wird ein Mixed Mock-Up aus physischen und virtuellen Elementen in die Produktionssystementwicklung eingebunden und die Auswirkungen auf die betroffenen Beschäftigten sowie den Produktentstehungsprozess werden identifiziert.

HANNING ELEKTRO-WERKE GmbH & Co.KG – Digitale Technologien und Konzepte zur Unterstützung des Konformitätsmanagements: Ziel ist es, die Einsatzmöglichkeiten eines digitalen Tools für die Arbeit im Konformitätsmanagement zu untersuchen und die Auswirkungen zu identifizieren. Anhand der Ergebnisse werden entsprechende Konzepte zur Schulung und Personalentwicklung gestaltet und erprobt.

Neben der Vorgehensweise zur Einführung digitalisiert Arbeit wird ein Instrumentarium vorgestellt, das auf eine menschengerechte Gestaltung der digitalisierten Arbeitswelt bei gleichzeitiger Effizienzsteigerung der Produktentstehung abzielt. Dieses Instrumentarium besteht aus einer Datenbank digitaler Lösungen für typische Herausforderungen von Unternehmen und ihrer spezifischen Potentiale zur Gestaltung der Arbeitswelt. Diese Sammlung von Anwendungsszenarien ermöglicht es Unternehmen, Beispiele digitalisierter Arbeit aus Forschung und Praxis für konkrete Potentiale zu erhalten.

4.2 Einführung digitalisierter Arbeit in der Produktentstehung

Dieses Kapitel beschreibt eine Vorgehensweise zur Einführung digitalisierter Arbeit in der Produktentstehung. Diese Vorgehensweise dient als Leitfaden und Best Practice für Unternehmen. Die Vorgehensweise ist als sequentieller Prozesse dargestellt. Dabei dürfen die einzelnen Schritte nicht als streng aufeinander folgend betrachtet werden, vielmehr ist es ein iterativer Prozess, bei dem Aktivitäten parallel durchgeführt oder Schritte wiederholt werden können, damit sich der Lösung angenähert werden kann. Der graue Zyklus im Hintergrund deutet dies an. Die Vorgehensweise teilt sich auf in folgende Phasen: Bedarfe erkennen und erfassen, Informationen einholen, Einbindung der Beschäftigten, Umsetzung, Auswirkungen digitalisierter Arbeit und Qualifizierung. Die Phasen werden in den folgenden Kapiteln näher beschrieben. Abb. 4.2 stellt die Vorgehensweise dar.

Abb. 4.2
figure 2

Vorgehensweise zur Einführung digitalisierter Arbeit in der Produktentstehung [11]

4.2.1 Bedarfe erkennen und erfassen

Zunächst sollte ein Anwendungsszenario in dem Unternehmen konkretisiert werden. Hierzu gilt es, die Anwendungsfälle der im Szenario genutzten Technologie zu identifizieren und zu beschreiben. Auf Basis der Anwendungsfälle können die Anforderungen und Funktionalitäten bestimmt werden. Die Prozessaufnahme zählt ebenso wie die technische Anforderungsanalyse zu dieser Phase. Bei der Prozessaufnahme können Schnittstellen, beispielsweise zu einem CAD-System, identifiziert und im Konzept berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist es von großer Bedeutung, die Beschäftigten bei der Konzipierung mit einzubeziehen. Die menschengerechte Gestaltung sowie die Berücksichtigung der Auswirkungen auf den Menschen sind für den Erfolg des Szenarios essenziell.

Prozessaufnahme und technische Anforderungsermittlung: Für eine (technologische) Weiterentwicklung eines Prozesses ist es unerlässlich, dass die notwendigen Rahmenbedingungen bereits in einem frühen Projektstadium analysiert werden, sodass die anstehenden Entwicklungen hierauf basierend ausgerichtet werden können. Insbesondere muss hierbei der gesamte Prozess des jeweiligen Anwendungsfalls betrachtet werden. Hierzu werden relevante Dokumente gesichtet, Interviews mit Prozessbeteiligten geführt und durch Begehung ein tiefgreifendes Verständnis über den bisherigen Prozess erzeugt. Zur vollständigen Modellierung werden auch die unterschiedlichen Sichtweisen auf den jeweiligen Prozess (Organisations-, Daten-, Funktionssicht) dargestellt. Ebenso müssen die jeweiligen Nutzerinnen und Nutzer der Anwendungsfälle analysiert und ausgearbeitet werden, sodass die Technologie an diese angepasst werden kann. Der Fokus liegt hierbei insbesondere auf den Anforderungen an eine adaptive Benutzerschnittstelle zur Visualisierung von dynamischen Maschinen- und Prozessinformationen. Die im Rahmen der späteren Realisierung zu schaffende Informationsvisualisierung soll sich dabei an unterschiedliche Benutzer, unterschiedliche Nutzungskontexte und Arbeitssituationen sowie unterschiedliche physische Umgebungen anpassen, welche in diesem Projektstadium erhoben werden müssen.

Die Aufnahme des jeweiligen Anwendungsfalls kann in Form eines Workshops erfolgen. Hierbei werden die Prozesse in ihre Einzelteile (d. h. die jeweils durchzuführenden Aufgaben, die benötigten Ressourcen sowie die involvierten Personen) aufgeschlüsselt, um ein Verständnis für den Prozess zu erlangen und um Schwachstellen und Verbesserungspotentiale zu erkennen. Im Weiteren werden die für die Entwicklung benötigten technologischen Schnittstellen identifiziert und verschiedene technologische Szenarien zur Umsetzung entworfen. Anschließend wird eine Entwicklungsstrategie ausgewählt. Wenngleich die in dieser Phase gestellten und erfassten Anforderungen als Richtlinie für die weitere Entwicklung ausgewählt werden, können diese im Laufe der Entwicklung iterativ angepasst werden, da die technologische Entwicklung sowohl an den Projektfortschritt angepasst werden muss als auch eng mit den ebenfalls im Projekt erfassten menschlichen Anforderungen sowie den Wünschen und Herausforderungen der Beschäftigten verzahnt ist.

Einbeziehung der Beschäftigten: Gemäß des soziotechnischen Systemansatzes müssen bei technologischen Veränderungen in Unternehmen neben den organisationalen Auswirkungen auch immer die Auswirkungen auf die Beschäftigten berücksichtigt werden. Dazu bietet es sich an, bereits vor dem technologischen Einführungsprozess Kriterien der Arbeitsgestaltung am aktuellen Arbeitsplatz der Beschäftigten zu messen. Kriterien der Arbeitsgestaltung lassen sich in Aufgabenmerkmale, z. B. Handlungsspielraum, Wissensmerkmale, z. B. Anforderungsvielfalt, soziale Merkmale, z. B. Rückmeldung durch Kolleginnen und Kollegen, sowie Kontextmerkmale, z. B. physische Anforderungen, unterscheiden [35, 41]. Die Berücksichtigung dieser Kriterien ist insbesondere deswegen sinnvoll, da Zusammenhänge zu Arbeitseinstellungen der Beschäftigten, wie Arbeitszufriedenheit, -motivation sowie Stresserleben bestehen [17].

Berücksichtigung der Arbeitseinstellungen: Um Zusammenhänge zwischen den Kriterien der Arbeitsgestaltung und den Arbeitseinstellungen analysieren zu können, sollten Messungen der Arbeitsgestaltungskriterien sowie Arbeitseinstellungen vor Einführung der Technologie durchgeführt werden [3]. Auf Basis dieser Ergebnisse können Maßnahmen zur Unterstützung des weiteren Technologieeinführungsprozesses abgeleitet werden. Die jeweiligen signifikanten Zusammenhänge zwischen Kriterien der Arbeitsgestaltung und Arbeitseinstellungen geben dann Hinweise, welche Kriterien im weiteren Einführungsprozess stärker berücksichtigt werden müssen. Damit die Beschäftigten auch nach der Technologieeinführung motiviert und zufrieden mit ihrer Tätigkeit sowie wenig gestresst durch die Arbeitsaufgaben sind, muss während des Einführungsprozesses darauf geachtet werden, die Ausprägungen der relevanten Arbeitsgestaltungsmerkmale durch die Technologieeinführung nicht zu verringern.

Mixed Mock-Up in der Produktionssystemplanung

Ausgangssituation: Unternehmen der produzierenden Industrie sehen sich zunehmend mit der Herausforderung immer kürzer werdender Produktlebenszyklen konfrontiert. Dies lässt sich auf den globalen Wettbewerb, die fortschreitende Technisierung und das sich häufig ändernde Konsumverhalten zurückführen [36]. Mit den kürzer werdenden Produktlebenszyklen geht eine notwendige Reduzierung der Time-to-market einher. Daher sind Methoden und Technologien gefragt, welche dies ermöglichen. Eine dieser Methoden ist das Cardboard Engineering [30]. Hierbei wird ein Modell eines Produktionssystems (z. B. einer Fertigungsinsel) aus Pappe (Cardboard) aufgebaut. An diesem Modell soll ein möglichst realer Montageprozess mit physischen Prototypen simuliert werden. Die Anordnung der Komponenten und der Werkzeuge sowie Haltevorrichtungen kann so von interdisziplinären Teams analysiert werden. Hierbei wird unter anderem auf die Ergonomie der Beschäftigten und auf die Arbeitsablauf-Zeitanalyse geachtet. Während der Entwicklung des Produktes kann mit der Methode des Cardboard Engineerings somit frühzeitig mit der Entwicklung der dazugehörigen Produktionssysteme begonnen werden. Während sich Arbeitsplätze oder Vorrichtungen problemlos als Papp-Attrappe nachbauen lassen, liegt die Herausforderung bei den Prototypen, mit denen der Montageprozess simuliert wird. Der Aufbau physischer Prototypen ist nicht nur zeit- und kostenintensiv, sondern unterliegt ständiger Veränderung in der Entwicklung des Produktes. Hieraus ergibt sich der Bedarf, das Cardboard Engineering durch den Einsatz digitaler Technologien zu erweitern, sodass aktuelle Konstruktionsstände virtuell und somit ohne physische Bauteile abgerufen werden können. Dies führt zu dem Anwendungsszenario „Mixed Mock-Up in der Produktionssystemplanung“.

Dienstleistungssystem zum Konformitätsmanagement

Ausgangssituation: Der derzeitige technische Fortschritt führt zu einer steigenden Produktkomplexität und Variantenvielfalt und hat dadurch Auswirkungen auf die Nachweispflicht der Hersteller gegenüber den Kunden. Ein spezielles Thema hierbei ist die Produktsicherheit. Unternehmen müssen zu ihren Produkten jederzeit aktuelle Angaben über enthaltene Inhalts- und Schadstoffe machen können [33]. Aufgabe des Konformitätsmanagements ist es darzulegen, dass die Produkte die vorher festgelegten Anforderungen erfüllen [1]. Hierzu zählt unter anderem das Verwalten relevanter Inhalts- und Schadstoffe der entsprechenden Produkte. Die Grenzwerte für Inhalts- und Schadstoffe können dabei stark variieren und sind abhängig von nationalen Vorgaben, den Branchen, den Kunden und den jeweiligen Märkten, auf denen das Produkt angeboten wird. Der Gesetzgeber sieht eine Aggregation der Informationen von unten nach oben vor. Dies bedeutet, dass der Endhersteller die Inhaltsstoffe bei den Lieferanten anfragt und mit den gesetzlichen Vorgaben des Landes, der Branche sowie internen Normen und Vorschriften abgleicht. Die Lieferanten fragen wiederum bei den Sub-Lieferanten nach entsprechenden Informationen. Für die zunehmende Produktkomplexität und Variantenvielfalt potenziert sich der Aufwand für die Ermittlung der Inhaltsstoffe. Heutzutage werden meistens Excel-Listen mit mehreren hundert bis mehreren tausend Zeilen genutzt, um die Informationen zu verwalten. Das Finden und Zusammenstellen der notwendigen Informationen aus Excel stellt dabei die Hauptherausforderung dar. Hieraus resultiert der Bedarf an neuen Ansätzen und Lösungen zur effizienten und humangerechten Gestaltung des Konformitätsmanagements.

4.2.2 Informationen einholen

Digitale Technologien bergen großes Potenzial, die Art und Weise, wie wir wirtschaften und arbeiten, grundlegend zu verändern. Dies lässt sich zunehmend durch den Einsatz dieser in der industriellen Praxis beobachten. Datenbrillen, Machine Learning oder intelligente persönliche Assistenten sind hierbei nur einige Beispiele. Der Einsatz einer digitalen Technologie im industriellen Kontext wird als Anwendungsszenario digitalisierter Arbeit bezeichnet [1]. Die Nutzenpotentiale sind vielfältig und es bestehen unzählige Kombinationsmöglichkeiten digitaler Technologien und Tätigkeiten in der Arbeitswelt, in diesem Fall mit dem Fokus auf Tätigkeiten in der Produktentwicklung. Aus diesem Grund mussten zunächst Anwendungsszenarien aus Forschung und Industrie zusammengetragen werden. Die Potentiale dieser Anwendungsszenarien wurden beschrieben und in einem zweiten Schritt entlang des Referenzprozesses der Produktentstehung nach Gausemeier [11] auf einer Potentiallandkarte verortet.

Anwendungsszenarien aus Forschung und Industrie: Zur Identifikation von Anwendungsszenarien wurden zum einen Workshops mit Industrievertretern durchgeführt, bei denen Herausforderungen in der Produktentstehung und vielversprechende Technologien zur Lösung der Herausforderung zu Anwendungsszenarien zusammengeführt wurden und zum anderen eine umfassende Literaturrecherche von Use Cases, die bereits angewendet werden oder sich noch in der Erforschung befinden, durchgeführt. Darüber hinaus wurden Kreativitätstechniken angewendet, um weitere Anwendungsszenarien zu identifizieren. Insgesamt wurden so um die 100 Anwendungsszenarien identifiziert. Beispiele neben den Anwendungsszenarien der Pilotprojekte sind: KI-basiertes Monkey-Testing; Collaboration Tools zur Unterstützung der Kommunikation bei der Lastenhefterstellung; lichtgesteuerte fahrerlose Transportsysteme; Generative Design zum Erstellen von Systemmodellen; automatisierte Dokumentenbereitstellung in Meetingräumen.

Potentiallandkarte: Die Potentiallandkarte von Anwendungsszenarien digitalisierter Arbeit zeigt den Unternehmen auf, wo entlang des Produktentstehungsprozesses Möglichkeiten für den Einsatz digitaler Technologien liegen. Somit bildet sie einen Orientierungsrahmen für Unternehmen. Hier wurde das Vier-Zyklen-Modell von Gausemeier [11] als Grundlage verwendet. Dieser teilt den Entstehungsprozess in die Zyklen der strategischen Produktplanung, Produktentwicklung, Dienstleistungsentwicklung und Produktionssystementwicklung [13]. Diese Grobaufteilung wurde wiederum untergliedert, um eine feinere Verortung der Anwendungsszenarien zu gewährleisten. Die identifizierten Anwendungsszenarien wurden entlang eines generischen Entwicklungsprozesses der Produktentstehung verortet. Dabei gibt es Anwendungsszenarien, welche eindeutig bei einer konkreten Entwicklungstätigkeit unterstützen, wie beispielsweise der Mixed Mock-Up, der die Produktionssystemkonzipierung auf Basis virtueller Modelle ermöglicht. Im Gegensatz dazu gibt es auch Szenarien, die häufig auftretende Tätigkeiten unterstützen, beispielsweise die automatisierte Dokumentenbereitstellung in Meetingräumen, die jedem Teilnehmenden bei Betreten des Meetingraumes per Kurzdistanz-Sender die aktuellen und relevanten Dokumente bereitstellt. Diese Szenarien werden als “übergreifend” gekennzeichnet und sind somit nicht in einem konkreten Prozessschritt der Landkarte verortet.

Auswirkungen von Anwendungsszenarien: Bei einem Anwendungsszenario digitalisierter Arbeit stellt sich die Frage, welche Anforderungen es an die technische Umsetzung, die organisatorische Gestaltung und die Beschäftigten hat und wie es sich auf die Bereiche Technik, Organisation und Mensch auswirkt. Aus diesem Grund wurde im Rahmen des Projekts IviPep ein ganzheitliches Framework geschaffen. Auf Grundlage des soziotechnischen Ansatzes wurde ein Instrumentarium entwickelt, welches Szenarien digitalisierter Arbeit und deren Nutzen, Aufwände sowie die Auswirkungen der jeweiligen Szenarien darstellt Abschn. 4.2.5.

In einem ersten Schritt zur Erreichung dieses Ziels wurden die verschiedenen Kriterien für die Dimensionen auf der Grundlage gründlicher Literaturrecherchen und Experteninterviews ausgewählt. Insgesamt wurden hierdurch 24 verschiedene Kriterien erarbeitet. Die menschlichen Kriterien umfassen Aspekte wie etwa die Priorisierung der Fähigkeiten im jeweiligen Szenario, die Möglichkeiten zur sozialen Interaktion oder die Aufgabenvielfalt. Die technologischen Kriterien befassen sich hauptsächlich mit hard- und softwareseitigen Aspekten wie etwa den verfügbaren und möglichen Schnittstellen, der technologischen Komplexität des Gesamtsystems sowie den monetären Aufwänden für Anschaffung, Installation und Instandhaltung der Hardware. Unter die organisatorischen Kriterien fallen unter anderem die Position des Szenarios im Produktentstehungsprozess, die Auswirkungen der technologischen Änderungen auf den Time-to-Market eines Produktes sowie die generelle Unternehmenskultur in Hinblick auf Innovationsförderung und Agilität.

Mixed Mock-Up in der Produktionssystemplanung

Beschreibung des Anwendungsszenarios: In dem Pilotprojekt bei HELLA GmbH & Co. KGaA wird im Projektkontext IviPep der Einsatz des Mixed Mock-Up in der Entwicklung von Produktionssystemen erforscht. Bei dem Mixed Mock-Up werden die physischen Prototypen durch virtuelle Prototypen ersetzt. Dadurch wird der Papp-Nachbau des Arbeitsplatzes durch das virtuelle Modell der Prototypen erweitert und somit wird aus dem Papp- ein Mixed Mock-Up. Die aktuellen CAD-Modelle liefern die Daten, welche mit der Technologie Augmented Reality (AR) die virtuellen Modelle erzeugen. Die virtuellen Modelle können durch AR-fähige Endgeräte, wie beispielsweise eine Datenbrille, in dem Papp-Montagearbeitsplatz eingeblendet werden. Die virtuellen Bauteile werden per Kamera-Tracking auf der Pappe verortet. Bewegungsabläufe, wie beispielsweise die Entnahme von Schrauben aus einem Kasten, oder Positionen von Werkzeugen und Bauteilen werden im Team diskutiert und getestet. Eine AR-Datenbrille wird dabei von einem Träger verwendet. Die weiteren Workshop-Teilnehmer können auf einem Bildschirm mitverfolgen was der Träger sieht. Der Austausch wird dadurch intensiviert und bezieht das gesamte Team mit ein. Auch standortübergreifende Workshops zur Montagesystemplanung sind dadurch möglich.

Dienstleistungssystem zum Konformitätsmanagement

Beschreibung des Anwendungsszenarios: In dem Pilotprojekt der HANNING Elektro-Werke GmbH & Co. KG wird im Projektkontext von IviPep ein Konformitätsmanagement mithilfe einer Graphdatenbank (NoSQL Datenbank) erforscht. Diese ermöglicht es semantische Netze (Wissensnetze) abzubilden, in denen die Vernetzung der Informationsobjekte über Relationen verschiedener Aspekte betrachtet werden können. Das Ziel ist es, die für die Konformität notwendigen Informationen und Daten in einem konsistenten Datenmodell zu verwalten (Single Source of Truth) und eine schnelle Änderung des Datenmodells zu ermöglichen. Durch die Verknüpfung von Mitarbeitenden, Projekt, Produkt, Komponenten, Substanzen und Lieferanten können Kundenanfragen bezüglich der Produktsicherheit effizient bearbeitet werden. So können bei Kundenanfragen, z. B. wenn ein Kunde sein Produkt (in dem ein Bauteil des Unternehmens verbaut ist) in einem neuen Land vertreiben möchte, durch Eingabe der Kundennummer und der länderspezifischen Normen schnell die Verknüpfungen eingesehen und eventuelle Widersprüche identifiziert werden.

4.2.3 Einbindung der Beschäftigten

Partizipation der Beschäftigten: Ein Erfolgsfaktor für die Akzeptanz und somit nachhaltige Implementierung von neuen Technologien in Unternehmen ist die Einbindung der zukünftigen Nutzer in einem frühen Stadium der Einführung [28, 36]. Insbesondere steigert die Einbindung der Beschäftigten die Bereitschaft zu Veränderungen in Organisationen und reduziert negative Einstellungen den Neuerungen gegenüber. Eine hohe Veränderungsbereitschaft geht mit Optimismus gegenüber der Veränderung sowie weniger Widerständen einher und beeinflusst den Erfolg der Technologieeinführung [23, 36]. Bei der Partizipation der Beschäftigten werden mehrere Beteiligungsformen unterschieden, von reiner Information in Verbindung mit Anhörung bis hin zu Mitbestimmungsrecht und anschließender verbindlicher Umsetzung.

Die Beschäftigten sollten in einem sehr frühen Stadium des Einführungsprozesses eingebunden werden und die Möglichkeit haben, die neue Technologie mehrfach vorab zu testen, Verbesserungsvorschläge zu machen und Charakteristika der Technologie mitzubestimmen, die anschließend umgesetzt werden. Dies kann in Form von Workshops erfolgen. Im Rahmen kleiner Teilnehmendengruppen hat dann jedes Teammitglied, das später mit der Technologie arbeiten wird, die Möglichkeit, die Technologie ausgiebig zu testen und anschließend gemeinsam zu diskutieren, welche Features noch wünschenswert wären und welche Arbeitsschritte aufgrund der Technologie noch nicht reibungslos ablaufen. Diese Vorschläge sollten schriftlich festgehalten werden, um eine höhere Verbindlichkeit zu schaffen. Bei späteren Treffen kann dann auf alle Vorschläge Bezug genommen und besprochen werden, wie diese in der neuen Version der Hard- und Software umgesetzt wurden. Anschließend kann die optimierte Version der Technologie in einem iterativen Prozess erneut getestet werden.

Nutzerakzeptanz: Bei der Einführung einer neuen Technologie ist es wichtig, dass die zukünftigen Nutzer diese akzeptieren. Eine geringe Akzeptanz geht u. a. mit niedrigerer Arbeitszufriedenheit und Leistungseinbußen einher und führt dazu, dass die Technologie weniger genutzt wird [9, 38, 42]. Um die Akzeptanz zu steigern, können beispielsweise Change-Management-Maßnahmen eingesetzt werden, die auf die Einstellung der Nutzerinnen und Nutzer gegenüber der Technologie abzielen. Basierend auf dem Ansatz des soziotechnischen Systems sind darüber hinaus auch die Eigenschaften der Technologie veränderbar und haben einen starken Einfluss darauf, ob die Technologie akzeptiert wird.

Das vielfach untersuchte Technologie-Akzeptanzmodell von Venkatesh und Bala [39] zeigt auf, dass eine Technologie insbesondere dann akzeptiert wird, wenn sie nützlich und einfach in der Handhabung ist. In dem Modell wird jedoch nicht näher spezifiziert, wie eine Technologie konkret gestaltet werden sollte, damit deren Handhabung als nützlich und einfach wahrgenommen wird. Einen Anhaltspunkt liefert das Feld der User-Experience-Forschung. Hierbei liegt der Fokus auf den erfahrbaren Eigenschaften (z. B. wahrgenommene Verlässlichkeit und Effizienz der Technologie) im Rahmen der Mensch-Maschine-Interaktion [15]. In einer Online-Studie [29] wurde untersucht, inwiefern User-Experience-Eigenschaften einer Technologie mit den Charakteristika des Technologie-Akzeptanzmodells zusammenhängen. Die Ergebnisse zeigen auf, dass insbesondere Technologien, die durchschaubar und verlässlich sind sowie ihre Aufgaben in einer guten Qualität erfüllen, von den Nutzerinnen und Nutzern am besten akzeptiert werden.

4.2.4 Umsetzung

In der Umsetzungsphase steht zunächst die prototypische Umsetzung des jeweiligen Szenarios in den Unternehmen im Fokus. Hierzu werden das ausgearbeitete Konzept und die entsprechenden Anforderungen in Form eines Demonstrators erarbeitet und prototypisch umgesetzt. Dies sollte von Maßnahmen zum Change-Management begleitet werden.

Prototypische Umsetzung: Die Umsetzung des jeweiligen Anwendungsfalls oftmals nicht allein spezifisches Know-How über die spezifische Technologie, die zum Einsatz kommt, sondern darüber hinaus Fachwissen über den Kontext, in welchem die Technologie eingesetzt werden soll. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass der Anwendungsfall stets nicht isoliert, sondern im soziotechnischen Gesamtkontext gesehen werden muss. Abhängig von den bereits durchgeführten Entwicklungsprojekten des Unternehmens, der im Unternehmen verorteten Expertise und insbesondere den personellen, technischen und organisatorischen Herausforderungen, findet eine gemeinsame prototypische Umsetzung in sehr frühen (z. B. durch Sketches oder analoge Darstellung des zukünftigen Interfaces auf Papier (Paper-User Interface)) oder späten Projektphasen (z. B. durch das Testen einer Technologie im laufenden Betrieb) statt. Kern ist es in dieser Phase die technische Machbarkeit des Anwendungsfalls darzustellen und den Nutzen nachzuweisen. Diese Demonstratoren können daraufhin, basierend auf dem erhaltenen Feedback angepasst und anschließend in den Arbeitsalltag übertragen und integriert werden (siehe Iterative Weiterentwicklung der Prototypen basierend auf Nutzerfeedback im Abschn. 4.2.5).

Change-Management: Anschließend an eine erste prototypische Umsetzung und einer Demonstration der Machbarkeit erfolgt oftmals die Einführung (sog. Roll-Out) der Technologie in einem Unternehmen. Hierbei ist es sinnvoll, im Vorfeld von Veränderungsmaßnahmen die Unternehmenskultur genauer zu analysieren. Basierend auf dem Verständnis der Unternehmenskultur können neben der Einführung der Technologie Handlungsempfehlungen zum Thema der Einführung neuer Technologien (in der Produktentwicklung) formuliert werden. Daraus lassen sich anschließend Qualifikations- und Weiterbildungsprofile ableiten, um Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen angepasst an die Unternehmenskultur und Herausforderungen in der Veränderung zu qualifizieren.

Eine Erfassung der Veränderungskultur kann, abhängig von Unternehmen und verfügbaren Ressourcen sehr unterschiedlich durchgeführt werden. Vor dem Hintergrund, dass die Beschäftigten bzw. die Verantwortlichen des Unternehmens aktiv in den Prozess eingebunden werden sollen, können die jeweiligen Wünsche und Herausforderungen in Form von Interviews erfasst werden. Hierbei ist laut Leski [22], ein Fokus auf die Grundaspekte Identifikation von Veränderung, Kommunikation sowie Methoden und Prozesse zu setzen. Wenngleich es sich anbietet, die Interviews in einer vorgegebenen Struktur (in Form von Leitfragen) durchzuführen, so sollte den Teilnehmenden in Hinblick auf die Komplexität des Themas ausreichend Freiraum für freie Äußerungen gegeben werden. Diese Form der Datenerfassung eignet sich besonders, um den Teilnehmenden die Möglichkeit zu geben, sich mit Themen zu beschäftigen, die sie für wichtig halten [24]. Mit jedem der beteiligten Pilotunternehmen wurde jeweils ein auf den Leitfragen basierendes Gespräch mit ein bis zwei Teilnehmenden durchgeführt. Die Interviews wurden anschließend analysiert, sodass basierend auf den Aussagen aller Teilnehmenden eine Übersicht über die aktuell bestehenden Herausforderungen in Bezug auf (technologische) Veränderungen im Unternehmen sowie bereits etablierte Erfolgsstrategien für Änderungen im Unternehmen gegeben werden kann. Neben einer Rückspiegelung der Ergebnisse an die Unternehmen konnten die Ergebnisse genutzt werden, um die Qualifikations- und Schulungsangebote (vgl. Abschn. 4.2.6) an die Anforderungen der Unternehmen anzupassen.

4.2.5 Auswirkungen digitalisierter Arbeit

Einleitung: Mit der Gestaltung und Einführung digitalisierter Arbeit geht ein Transformationsprozess der Arbeitswelt einher. Damit eine dauerhafte Nutzung digitalisierter Arbeit sichergestellt und langfristig die digitale Transformation der Produktentstehungsarbeit gewährleistet werden, ist die Anpassung der Organisation an die fortschreitenden Möglichkeiten der Digitalisierung notwendig. Dies umfasst zum einen die Anpassung der digitalen Anwendungen an die Bedürfnisse der Beschäftigten sowie die Qualifizierung der Beschäftigten gemäß den sich ändernden Kompetenzanforderungen, die mit den digitalen Technologien einhergehen. Zum anderen müssen die Zusammenhänge zwischen Digitalisierung und Arbeitsgestaltung sowie mögliche Auswirkungen auf die Mitarbeiterzufriedenheit identifiziert werden, damit frühzeitig Einfluss auf den Transformationsprozess genommen werden kann.

Iterative Weiterentwicklung der Prototypen basierend auf Nutzerfeedback: Das Prinzip der iterativen Entwicklung beruht darauf, dass ein Produkt durch permanente Wiederholungen (Iterationen) optimiert und zur Anwendungsfähigkeit gebracht wird. Am Anfang des Entwicklungsprozesses steht eine Anwendungs- und Produktidee, die schrittweise realisiert wird. Auch die Systemarchitektur der Prototypen wird dabei fortlaufend entwickelt, überprüft und angepasst. Die Kenntnis der notwendigen und sinnvollen Systemanforderungen entwickelt sich erst im Rahmen des Projektverlaufs, sie ist erst mit der vollständigen Systemimplementierung abgeschlossen. Das iterative Modell unterscheidet sich vom traditionellen Wasserfallmodell dadurch, dass es sich hierbei mehr ein zyklischer Prozess als einen streng sequenziellen Schritt-für-Schritt-Prozess handelt. Nach Abschluss der ersten Planungsphase werden eine Handvoll weiterer Schritte wiederholt, wodurch Zyklen entstehen. Wenn jeder Zyklus abgeschlossen ist, wird die jeweilige Technologie verbessert und iteriert.

Die erste Phase ist eine Planungsphase, in der alle spezifischen Details einschließlich der Hard- und Softwareanforderungen sowie die Vorbereitung für die weiteren Schritte festgelegt werden. Die zweite Stufe ist die Analyse, die durchgeführt wird, um die Datenbankmodelle, die Geschäftslogik usw., die für diese Phase notwendig sind, in Gang zu setzen. Hier findet auch die Entwurfsphase statt, in der technische Anforderungen festgelegt werden, die notwendig sind, um die in der Analysephase ermittelten Anforderungen zu erfüllen. Als nächstes beginnen die Implementierung. An dieser Stelle werden alle Spezifikations-, Planungs- und Designunterlagen umgesetzt. Hierauf folgt die Testphase in welcher die aktuelle Iteration der Technologie basierend auf zuvor definierten Gütekriterien (z. B. Stabilität, Gebrauchstauglichkeit, Fehleranfälligkeit) untersucht wird. Sobald die vorangegangenen Phasen abgeschlossen sind, ist eine gründliche Bewertung der gesamten Entwicklung bis zu diesem Zeitpunkt erforderlich. Das Team und die Projektpartner sind in der Lage, das Projekt zu untersuchen und Feedback darüber zu geben, was sich ändern muss oder kann. Nach Abschluss dieser Phasen wird die zuletzt erstellte Iteration der Software sowie das evaluierte Feedback an die Planungs- und Entwicklungsphase an der Spitze zurückgeführt, damit sich der Prozess erneut wiederholen kann.

Grundsätzlich wird bei einem Großteil der Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, insbesondere denjenigen denen eine neue und im jeweiligen Unternehmen noch nicht bekannte bzw. eingeführte Technologie zugrunde liegt, ein ähnlich iteratives Modell angeraten, da somit flexibel auf neue Technologien, Veränderungen im Anwendungsfall sowie in der ursprünglichen Planung nicht bedachte Aspekte (etwa im Laufe der Projektzeit erscheinende Hard- und Softwareupdates) reagiert werden kann.

Zusammenhänge zwischen Digitalisierung und Arbeitsgestaltung und Zufriedenheit: Mit der Einführung digitaler Technologien geht auch immer die Veränderung der aktuellen Arbeitsgestaltung einher, welche sich wiederum auf die Arbeitseinstellungen der Beschäftigten auswirkt (Abschn. 4.3.1). Um die technologiegetriebenen Veränderungen der Arbeitsgestaltung frühzeitig diagnostizieren zu können, bietet sich eine Klassifizierung der konkreten Technologie bereits vor Beginn des Einführungsprozesses an. Diese Klassifizierung lässt sich anhand der sechs Digitalisierungskriterien Vernetzung, Virtualisierung, Echtzeit-Fähigkeit, Dezentralisierung, Individualisierbarkeit sowie Modularität vornehmen [27]. Bestehende Korrelationen der Digitalisierungskriterien mit Merkmalen der Arbeitsgestaltung sowie Arbeitseinstellungen können bereits vor der Technologieeinführung darauf hinweisen, wie sich die Arbeit durch die Nutzung der Technologie aus Perspektive der Beschäftigten verändern wird. Dies bietet die Möglichkeit, frühzeitig Einfluss auf den Einführungsprozess zu nehmen, sodass negative Folgen für die Beschäftigten nach Einführung der Technologie vermieden werden sowie die Technologieakzeptanz der Nutzerinnen und Nutzer gefördert werden kann.

Anforderungsanalyse zur Ermittlung von Kompetenzanforderungen: Die Einführung digitaler Technologien geht in der Regel mit einem Qualifikationsbedarf einher [16]. Beschäftigte müssen sich mit der neuen Technologie vertraut machen und Arbeitsroutinen für gänzlich neue Arbeitsschritte entwickeln. Entsprechend sollte eine bestmögliche Qualifizierung der Beschäftigten für eine digitalisierte Arbeit sichergestellt werden, damit der Einsatz der neuen Technologie reibungslos vonstattengeht und die Beschäftigten von Beginn an kompetent agieren können.

Grundlage für die Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs bilden Kompetenzprofile. Für die Ermittlung dieser Kompetenzprofile können beispielsweise die Task-Analysis-Tools (TAToo) [20] als Methode genutzt werden. Die TAToo stellen eine Weiterentwicklung der etablierten Methode der kritischen Ereignisse [9] dar und sind ein verhaltensbasiertes Verfahren. Das Verfahren besteht aus drei Schritten. Im ersten Schritt werden Interviews mit etwa drei Stelleninhabern und -inhaberinnen eines Teams als Experten bzw. Expertinnen für ihre eigene Tätigkeit [20] sowie ihrer Teamleitung geführt. Im zweiten Schritt werden Verhaltensweisen, die in den Interviews genannt wurden, zu Kompetenzen geclustert und die Kompetenzcluster benannt. Im dritten Schritt werden die Kompetenzen und Verhaltensweisen aus Schritt 2 im Rahmen einer quantitativen Befragung durch die einzelnen Teammitglieder unabhängig voneinander bewertet, um die Bedeutsamkeit der einzelnen Kompetenzen für die Tätigkeit ermitteln zu können. Das Ergebnis ist ein quantitatives Profil mit Kompetenzen kognitiver, sozialer, motivationaler und motorischer Art, die für die Ausführung einer Tätigkeit unter Einsatz neuer Technologien von Bedeutung sind. Um die Anforderungen an die Beschäftigten vor und nach Einführung der Technologie vergleichen zu können, sollte die Bedeutsamkeit der einzelnen Kompetenzen zweimal eingeschätzt werden.

4.2.6 Qualifizierung

Einleitung: Die Einführung digitaler Technologien und Konzepte hat Auswirkungen auf die Kompetenz- und Qualifikationsprofile der Beschäftigten. Die sich ergebende Lücke zwischen derzeitigen und zukünftig geforderten Kompetenzen, welche in der vorherigen Phase ermittelt wurden, ist durch Weiterbildungs- und Schulungskonzepte zu schließen. In einem Forschungs- oder Entwicklungsprojekt sind diese Lücken von Beginn an zu beachten und zu dokumentieren, sodass diese in einem Schulungs- und Weiterbildungsangebot gebündelt werden können. Jedoch ist anzumerken, dass die Schulungen abhängig vom Anwendungsfall, der Technologie und dem Unternehmen andere thematische Schwerpunkte erfordern, weshalb auch hier eine Einbindung der jeweiligen Stakeholder von Vorteil ist.

Weiterbildungsangebot: Das Hauptziel eines Schulungsangebotes sollte es sein, wesentliche Inhalte des Projektes sowohl theoretisch als auch praxisnah zu vermitteln. Hierbei sind drei Kernaspekte von essenzieller Bedeutung: Die Verortung der Schulungsinhalte im Gesamtkontext des Projektes, die bedarfsorientierte Gestaltung der Schulungsinhalte sowie die Sicherstellung der Nachhaltigkeit der Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen.

Zunächst ist darauf zu achten, dass die zu vermittelnden Inhalte im Gesamtprojekt verortet werden können. Dies schließt die Wahl der zu vermittelnden Inhalte sowie eine Berücksichtigung der im Projekt verorteten Expertisen ein. Es bietet sich, insbesondere bei Projekten mit einem sehr heterogen aufgestellten Konsortium, an, die jeweiligen fachlichen und methodischen Expertisen und Bedarfe herauszuarbeiten, sodass der Wissenstransfer hierauf abgestimmt werden kann. So wurde im Projekt IviPep das Thema „Arbeit 4.0“ ganzheitlich betrachtet, um sowohl Schulungen mit technologischem (Grundlagen digitaler Technologien in der Industrie) als auch organisatorisch-psychologischen (Methoden des effektiven Change-Managements) Schwerpunkt durchzuführen. Ebenfalls sollten die durchzuführenden Schulungen auf die Anforderungen der jeweiligen Projektpartner zugeschnitten werden. Wenngleich auch hierbei auf bereits entwickelte Vermittlungsmethoden zurückgegriffen werden kann, bietet sich eine enge Einbindung der zu Schulungen sowie eine gemeinsame Entwicklung bzw. Anpassung der Schulungskonzepte an. Hinsichtlich der Nachhaltigkeit besteht die aktuelle Herausforderung von Schulungs- und Weiterbildungsangeboten, insbesondere im Kontext der technologischen Entwicklung, besteht darin, dass durch die Dynamik aktueller Technologien der Wissenstransfer erschwert wird. Aufgrund der aktuell vorherrschenden Informationsflut wird Wissen immer komplexer und somit für den Einzelnen schwieriger zu erfassen. Aus diesem Grund bietet es sich an, die Schulungs- und Weiterbildungskonzepte so zu gestalten, dass vermehrt Methodenwissen anstelle von Fachwissen vermittelt wird. So richten sich beispielsweise die im Projekt IviPep angebotenen Schulungen nicht auf die Nutzung einer spezifischen Technologie, sondern versuchen Methoden zu vermitteln, welche etwa in der Ideenfindung (Förderung von Kreativität und Ideengenerierung) oder in der Evaluation (Konzipierung und Bewertung neuer Technologien) genutzt werden können. Hierdurch kann erreicht werden, dass die vermittelten Inhalte auch über den Projektkontext hinaus angewendet und somit langlebiger genutzt werden können.

Rückführung der Ergebnisse aus Mitarbeiterbefragungen als Sensibilisierung der Entscheidungsträger: Technologische Veränderungen werden in Unternehmen oftmals eigenständig von den jeweiligen technischen Fachabteilungen vorangetrieben. Gemäß dem soziotechnischen Systemansatz ist der Einbezug von weiteren Entscheidungsträgern aus den Abteilungen Organisationsentwicklung sowie Personal zwingend erforderlich. Insbesondere auf Basis der Ergebnisse aus den Arbeits- und Anforderungsanalysen Abschn. 4.3.1 kann die Qualifizierung der Beschäftigten für zukünftige Aufgaben garantiert werden. Diese Ergebnisse bieten den Personalverantwortlichen die Möglichkeit, bestehende Personalentwicklungsmaßnahmen an den zukünftigen Anforderungen der Tätigkeit nach Einführung der Technologie auszurichten. Darüber hinaus können Personalauswahl- sowie Potentialbeurteilungsinstrumente an das zukünftige Anforderungsprofil angepasst werden.

4.3 Ergebnisse

Nachdem im vorherigen Kapitel die Vorgehensweise zur Einführung digitalisierter Arbeit vorgestellt wurde, wird in diesem Kapitel beschrieben, welche Ergebnisse bei dieser Vorgehensweise entstehen können und wie diese im weiteren Prozess verwendet werden können. Die Ergebnisse werden aufgeteilt in drei Unterkapitel. Zunächst werden die Auswirkungen auf die Arbeitsgestaltung (Abschn. 4.3.1) beschrieben, dies beinhaltet die Auswirkungen auf die Beschäftigten sowie das Change-Management der Organisation. Weiter werden der Nutzen und die Mehrwerte für die Unternehmen durch die Einführung digitalisierter Arbeit beschrieben (Abschn. 4.3.2). Hierzu werden zwei Pilotprojekte im Detail beschrieben. Darüber hinaus wird in diesem Abschnitt das Instrumentarium vorgestellt. Das Instrumentarium ist eine Online-Plattform, die es Unternehmen ermöglicht, Informationen zu Anwendungsszenarien digitaler Arbeit aus Forschung und Industrie für konkrete Fragestellungen und Herausforderungen zu bekommen. Neben der Vorstellung des Instrumentariums und der dargestellten Informationen werden auch Hintergrundinformationen zur Technik und Erarbeitung gegeben. Abschließend werden die übergeordneten Ergebnisse (Abschn. 4.3.3) beschrieben. Diese beinhalten den Beitrag zu den Zielen der Bekanntmachung “Arbeit in der digitalisierten Welt” im Forschungs- und Entwicklungsprogramm "Zukunft der Arbeit" als Teil des Dachprogramms "Innovationen für die Produktion”. Diese Ergebnisse geben interessierten Unternehmen die Möglichkeit, die Erkenntnisse aus dem Projekt IviPep zu nutzen und auf den eigenen Produktentstehungsprozess anzuwenden.

4.3.1 Auswirkungen auf Arbeitsgestaltung

Zusammenhänge zwischen Arbeitsgestaltung und Einstellungen der Beschäftigten: In dem Projekt IviPep wurden die Zusammenhänge zwischen Kriterien der Arbeitsgestaltung und den Einstellungen der Beschäftigten bei insgesamt 58 Beschäftigten untersucht [3]. In dieser Stichprobe hat sich gezeigt, dass Aufgaben- und Wissensmerkmale der Arbeitsgestaltung signifikant positiv mit der Arbeitszufriedenheit und intrinsischen Arbeitsmotivation der Beschäftigten zusammenhingen. Darüber hinaus konnte ein signifikant negativer Zusammenhang zwischen Aufgabenmerkmalen und der wahrgenommenen Belastung am Arbeitsplatz gefunden werden. Kontextuelle Merkmale zeigten signifikant positive Zusammenhänge zur Arbeitszufriedenheit. Es konnten keine signifikanten Korrelationen zwischen sozialen Merkmalen der Arbeitsgestaltung und den Einstellungen der Beschäftigten gefunden werden (Tab. 4.1).

Tab. 4.1 Korrelationen zwischen Kriterien der Arbeitsgestaltung und Einstellungen der Beschäftigten

Auf Basis dieser Ergebnisse sollten insbesondere die Aufgaben- und Wissensmerkmale der jeweiligen Tätigkeiten während der Technologieeinführung berücksichtigt werden. Damit hohe Arbeitszufriedenheit und -motivation sowie eine geringe Belastung vorliegen, muss die Technologie so angepasst werden, dass die Aufgaben- und Wissensmerkmale auch nach dem Einführungsprozess uneingeschränkt in der jeweiligen Tätigkeit vorliegen.

Technologiegestaltung zur Steigerung der Akzeptanz von Nutzerinnen und Nutzern: Wie in Abschn. 4.2.5 beschrieben, wurde in einer Onlinestudie mit 281 Technologienutzerinnen und -nutzern untersucht, inwiefern User Experience-Merkmale einer Technologie mit ihrer Akzeptanz zusammenhängen [26]. Die Ergebnisse zeigten, dass die Ausgabequalität des Systems, d. h. das Ausmaß, in dem ein System seine Aufgaben gut erfüllt [39], mit der wahrgenommenen Nützlichkeit zusammenhing. Die Durchschaubarkeit und Verlässlichkeit eines Systems gingen mit einer höheren wahrgenommenen Einfachheit der Nutzung einher. Durchschaubarkeit bezieht sich auf das Ausmaß, in dem eine Technologie verständlich und leicht zu lernen ist, Verlässlichkeit bedeutet, dass man sich als Nutzerin oder Nutzer auf das System verlassen kann und die Kontrolle über das System hat [34]. Die Absicht, das System zu nutzen hing schließlich mit der Originalität des Systems, sowie der wahrgenommenen Nützlichkeit und Einfachheit der Nutzung zusammen. Die Effizienz des Systems, die gegeben ist, wenn die Nutzerin oder der Nutzer nicht unnötig Energie zur Bearbeitung einer Aufgabe aufwenden muss [34], hing nicht mit der Akzeptanz zusammen. Ebenso wenig die Stimulation des Systems, welche das Ausmaß bezeichnet, in dem eine Technologie aufregend und motivierend ist [34]. Das finale User Experience Technologie-Akzeptanzmodell ist in Abb. 4.3 dargestellt.

Abb. 4.3
figure 3

User Experience Technologie Akzeptanzmodell

Aus diesen Ergebnissen lässt sich ableiten, dass bei der Gestaltung von Technologien insbesondere sichergestellt werden sollte, dass diese verlässlich und durchschaubar sind, die ihr zugetragenen Aufgaben in hoher Qualität bearbeiten und als innovativ und neuartig wahrgenommen werden.

Anforderungsprofile in den Pilotunternehmen: Als Ergebnisse der Anforderungsanalysen können für jeden betrieblichen Bereich, der von der Einführung der Technologie betroffen ist, Anforderungsprofile erstellt werden. Das Anforderungsprofil, das vor Einführung der Technologie erstellt wurde, gibt Aufschluss darüber, welche Kompetenzen bei der derzeitigen Tätigkeit bedeutsam sind. Die Anforderungsprofile können für die Auswahl neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie im Rahmen von Personalentwicklungsmaßnahmen genutzt werden. Ziel sollte es sein, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die Kompetenzen verfügen, die in dem jeweiligen Bereich als bedeutsam eingeschätzt wurden. Wenn man die Bewertung der Bedeutsamkeit nach Einführung der Technologie wiederholt, lassen sich Schlüsse ziehen, welche Kompetenzen an Bedeutsamkeit gewinnen und welche weniger wichtig werden. Diese Information kann genutzt werden, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den Umgang mit der Technologie zu schulen.

Als Beispiel wird in Abb. 4.4 das Anforderungsprofil für die Tätigkeit in der Qualitätssicherung bei einem der Pilotunternehmen aus dem Projekt IviPep dargestellt. Die Null steht für eine mittlere Bedeutsamkeit einer Kompetenzanforderung (im Vergleich zu den anderen Kompetenzanforderungen in dem Bereich), positive Werte zeigen eine höhere Bedeutsamkeit und negative Werte eine niedrigere Bedeutsamkeit an. Jene Anforderungen, die von den Interviewten als zukünftig relevant genannt wurden, sind in der Abbildung grün markiert. In welchem Ausmaß diese Anforderungen tatsächlich an Bedeutsamkeit gewinnen, lässt sich erst beantworten, wenn die Erhebung nach Einführung der Technologie erneut durchgeführt wurde. Aus der Abbildung lässt sich ablesen, dass die bedeutsamsten Kompetenzen für Beschäftigte in der Qualitätssicherung Fachwissen im Bereich Faserverbundwerkstoffe, Gewissenhaftigkeit und IT-Kenntnisse sind. Von den zukünftig möglicherweise stärker relevanten Anforderungen sind Fachwissen in den Bereichen Datenschutz und Prüfsoftware sowie psychische Belastbarkeit bisher noch weniger bedeutsam. Bei der Einführung der Technologie ist es daher ratsam zu überprüfen, ob es für diese Kompetenzen Schulungsbedarf gibt.

Abb. 4.4
figure 4

Anforderungsmodell für die Tätigkeit in der Qualitätssicherung

Befragung zur Veränderungskultur im Unternehmen: Basierend auf den Interviews mit Experten und Expertinnen zum Thema “Veränderungskultur im Unternehmen” konnten diverse Faktoren als Erfolgs- oder Misserfolgsfaktoren für einen Veränderungsprozess im Unternehmen identifiziert werden. Wenngleich eine Veränderung nie vollständig einer vorgegebenen Struktur folgt, so können bestimmte Aspekte branchen- und unternehmensübergreifend angewandt werden. Im Folgenden werden die wichtigsten identifizierten Veränderungskriterien aus einer im Projekt IviPep durchgeführten Befragung dargestellt:

Misserfolgsfaktoren :

  • Mangelnde Wertschätzung eingebrachter Veränderungswünsche

  • Mangelnde Technologieakzeptanz durch Unwillen sich in neue Dinge einzuarbeiten

  • Skepsis gegenüber neuer Technologie

  • Angst vor Mehrarbeit durch neue Systeme

  • Fehlendes gemeinsames Werteverständnis zwischen verschiedenen Disziplinen

Erfolgsfaktoren :

  • Kontinuierliche Einbindung der Mitarbeitenden in den Veränderungsprozess (Beteiligung der Beschäftigten)

  • Schaffung eines Verständnisses für die Veränderung durch Präzision der Notwendigkeit

  • Vorbildrolle der Leitungsfunktionen und Geschäftsführung (Unterstützung durch die Geschäftsführung)

  • Generierung von Ideen durch die Mitarbeitenden

  • Einbindung des Betriebsrates

  • Klar definierte Rollenbilder (vor und nach der Veränderung)

  • Strukturiertes und methodisch definiertes Arbeiten (Einsatz interdisziplinärer Projektteams)

  • Transparenz des Veränderungsprozesses (offene Kommunikation über den Projektfortschritt)

  • Trainings der betroffenen Beschäftigten

  • Umgestaltung betroffener Jobs

  • Einbindung in die langfristige Strategie/Vision des Unternehmens

Hierbei schließen sich die Ergebnisse vieler Untersuchungen im Bereich Change-Management an. Beispielsweise wurde der in den Befragungen oftmals genannte Erfolgsfaktor der Kommunikation ebenfalls von Gergs [14] in einer Abhandlung über die Herausforderungen des Change-Managements genannt. Neben den in den Befragungen genannten Methoden der Ideeneinreichung und Transparenzschaffung eines Veränderungsprozesses werden hier die Schaffung „lateraler und hierarchieübergreifender Kommunikationsmöglichkeiten“ [14] wie etwa die Einführung eines interdisziplinären Change-Management-Komitees oder die Nutzung innovativer und partizipativer Formate wie Innovations-Jams oder Bar Camps genannt. Ein weiterer wichtiger Faktor, welcher von den Befragungsteilnehmern genannt wurde, ist das „Vorleben der Veränderung“, d. h. ein Commitment vonseiten des Managements und der Führungsebene. Auch Kohnke [21] nennt neben einer unklaren Definition von Stakeholdern und Projektzielen eine Inaktivität des oberen Managements während des Prozesses als einen maßgeblichen Misserfolgsfaktor für Veränderungsprozesse. Die Bedeutsamkeit der Einbindung des Managements und insbesondere der Wahrnehmung dieser Einbindung ist auch in anderen Untersuchungen zu diesem Thema wiederzufinden [6, 43, 44]. Diese Unterstützung müsse sich über sämtliche Phasen des Projektmanagements äußern, um einen Veränderungsprozess positiv zu beeinflussen [21]. Zentrale Faktoren sind hierbei insbesondere die wahrgenommene Professionalität des Veränderungsmanagements in der Vergangenheit [29, 33].

Ein weiterer wichtiger Punkt ist eine effektive Einbindung und Begleitung sämtlicher betroffener Beschäftigter und die Schaffung von Transparenz im gesamten Veränderungsprozess. Wenngleich dieser Punkt laut Kohnke (2005) oftmals in den Projekten unterschätzt wird, ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Einbindung der Beschäftigten ein ausschlaggebender Faktor für den Erfolg eines Veränderungsprozesses ist. Als Beispiel hierfür kann eine Studie von Somers und Nelson [35] genannt werden, in welcher herausgefunden wurde, dass schätzungsweise die Hälfte aller ERP-Implementierungen an einer unzureichenden Einbindung bzw. Identifikation der zuständigen und betroffenen Beschäftigten gescheitert ist. In diesem Zusammenhang kann auch der positive Einfluss der Organisationskultur erwähnt werden. Eine kooperative Organisationskultur, die auch durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Fachbereichen und dem IT-Bereich charakterisiert ist, sei hierbei förderlich für den nachhaltigen Erfolg von Veränderungsprozessen [14, 43]. Hinsichtlich der Nachhaltigkeit sei auch die Einbindung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen durch entsprechende Trainings notwendig, um diesen die Angst vor der Veränderung zu nehmen und ihnen zu ermöglichen die geplanten Veränderungen nachzuvollziehen [4].

Change-Management: Während der Technologieeinführung sollten die Beschäftigten an allen Schritten des Veränderungsprozesses teilnehmen. Diese Partizipationsmöglichkeiten sollten sich positiv auf die Veränderungsbereitschaft der Beschäftigten und somit auf den Erfolg des Einführungsprozesses auswirken. Dies zeigte sich auch in dem Projekt IviPep. In einem Pilotunternehmen wurde die Veränderungsbereitschaft der Beschäftigten zu zwei Messzeitpunkten untersucht, wobei der erste Messzeitpunkt vor Beginn des Einführungsprozesses lag und das zweite Mal während des Einführungsprozesses erhoben wurde [3]. Die Ergebnisse dieser Messungen sind in Tab. 4.2 dargestellt und belegen einen signifikanten Zuwachs der Veränderungsbereitschaft der Beschäftigten zwischen den beiden Messzeitpunkten. Partizipationsmöglichkeiten haben somit positive Auswirkungen auf die Beschäftigten und sollten während Einführungsprozessen von Technologien berücksichtigt werden.

Tab. 4.2 Mittelwertunterschiede zwischem dem ersten und zweiten Messzeitpunkt hinsichtlich der Veränderungsbereitschaft der Beschäftigten

4.3.2 Mehrwerte digitalisierter Arbeit

Die Mehrwerte digitalisierter Arbeit zeigen sich zum einen in den direkten Anwendungsszenarien der Unternehmen, die eine digitale Technologie in der Produktentstehung eingeführt haben. Zum anderen können interessierte Unternehmen die Mehrwerte und Auswirkungen digitalisierter Arbeit anhand von Beispielen aus Forschung und Industrie erfahren und konkrete Anwendungsszenarien für ihre Fragestellungen erhalten. Aus diesem Grund ist dieses Kapitel dahingehend unterteilt.

4.3.2.1 Nutzen digitalisierter Arbeit bei einführenden Unternehmen

Der Nutzen bzw. der Mehrwert von digitalisierter Arbeit ist vielfältig. Sie können beispielsweise eine höhere Produktivität, eine kürzere Time-to-market, Reduzierung von Kosten, höhere Qualität, steigende Synergien, höhere Unternehmensattraktivität, bessere Arbeitsbedingungen sowie Entlastung der Mitarbeiter zur Folge haben. Wie an den Beispielen zu erkennen ist, kann der Nutzen in die Dimensionen Zeit, Kosten, Qualität und Mensch eingestuft werden. Um den Mehrwert der digitalisierten Arbeit erfassen zu können, ist es notwendig, die Ausgangssituation und das Anwendungsszenario der digitalisierten Arbeit zu kennen. Aus diesem Vorher-nachher-Vergleich können daraufhin die Mehrwerte deutlich gemacht werden. Im Folgenden werden die beiden Anwendungsszenarien der Pilotprojekte HELLA (Mixed Mock-Up in der Produktionssystemplanung) und HANNING (Dienstleistungssystem zum Konformitätsmanagement) kurz beschrieben und deren Mehrwerte aufgezeigt.

Mixed Mock-Up in der Produktionssystemplanung

Nutzen: Der Nutzen des Anwendungsszenarios ist vielseitig. Welcher davon für das Unternehmen überwiegt, ist abhängig von dem jeweiligen Unternehmen und dem Anwendungsfall. Zum einen liegt ein großer Mehrwert in der Verkürzung der Time-to-market. Es muss nicht gewartet werden, bis ein physischer Prototyp erstellt wurde und vorliegt. Dies ermöglicht es, früher mit der Produktionssystemkonzipierung zu starten. Zum anderen können Kosten eingespart werden, die mit den physischen Prototypen und mit den Reisen verbunden sind. Das Anwendungsszenario ermöglicht es Mitarbeitern von anderen Standorten teilzunehmen. Das Arbeit 4.0-Anwendungsszenario hat neben der Verkürzung der Time-to-market und der Kostenreduktion auch den Mehrwert, dass für die Montage notwendige Produktänderungen frühzeitig identifiziert werden können. Wird beispielsweise identifiziert, dass ein Bohrloch nicht durch die Werkzeuge erreicht werden kann, kann dies bereits frühzeitig in die Konstruktion als Feedback gegeben werden.

Dienstleistungssystem zum Konformitätsmanagement

Nutzen: Maßgeblich ist der zeitliche Nutzen des Szenarios „Dienstleistungssystem zum Konformitätsmanagement“ indem nicht mehr große Excel-Tabellen durchsucht werden müssen. Mit der Lösung können die Konformitätsanfragen effizienter bearbeitet werden. Darüber hinaus wird ein qualitativer Nutzen erzeugt, indem Informationsredundanzen durch den Aufbau einer „Single Source of Truth“ abgebaut werden. Über den direkten Nutzen des Szenarios kann das so entstehende Wissensnetz für weitere Anwendungsfälle genutzt werden. Beispielsweise können Ansprechpartner für bestimmte Schadstoffe oder Produkte über die Graphdatenbank identifiziert werden.

4.3.2.2 Instrumentarium zur Gestaltung digitalisierter Arbeit

Auf Basis der in der Planungs- bzw. Analysephase erstellten Anforderungen und Definitionen wurde in der Designphase ein konkretes Lösungskonzept für das Instrumentarium spezifiziert. Hierzu wurden Entscheidungen über das Verhalten und die Bedienung des Systems beschrieben [6]. Dies beinhaltet eine Konzeption der Architektur sowie der unterliegenden Logik. Darüber hinaus muss das Interface spezifiziert werden, damit eine anforderungsgerechte Benutzerinteraktion sichergestellt wird. Bei der Konzipierung des Instrumentariums wurde in Workshops ein zweiteiliges System spezifiziert. Dies besteht zum einen aus einer Datenbank-Anwendung mit einer grafischen Benutzeroberfläche. Hierüber kann direkt auf die beschriebenen Anwendungsszenarien in einer Datenbank zugegriffen werden. Die grafische Benutzeroberfläche soll es dabei ermöglichen Filter zu erzeugen. Zum anderen besteht das System aus einem Quick-Check. Beim Quick-Check beantwortet ein Unternehmensvertreter Fragen hinsichtlich der im Unternehmen vorliegenden Herausforderungen oder Zielvorstellungen. Das System sucht im Hintergrund nach Übereinstimmungen zwischen den die eingegebenen Daten und mit den Anwendungsszenarien. Dies ermöglicht es Unternehmen, für ihre Herausforderung passende Anwendungsszenarien zu erhalten. Die Logik hinter dem Quick-Check erfolgt über eine Liste an Herausforderungen, mit denen Unternehmen in der heutigen Zeit konfrontiert werden, die mit den Kriterien aus dem Bewertungskatalog über Gewichtungsfaktoren zugeordnet werden. Somit kann ein Prozentsatz der von Übereinstimmung von Herausforderung und Anwendungsszenario errechnet werden.

Kernelement des Instrumentariums sind die Arbeit 4.0-Anwendungsszenarien. Arbeit 4.0 konkretisiert sich in der Anwendung von digitalen Technologien in der Arbeitswelt. Hierbei wird von Arbeit 4.0-Anwendungsszenarien oder auch Anwendungsszenarien digitalisierter Arbeit gesprochen. Mit dem „Mixed-Mock-Up“ und dem „Dienstleistungssystem zum Konformitätsmanagement“ wurden bereits zwei Anwendungsszenarien im Kontext der Pilotprojekte vorgestellt. In dem Projektverlauf wurden um die 100 Szenarien identifiziert, beschrieben und entsprechend der Kriterien bewertet. Ziel des Instrumentariums ist es, eine Online-Plattform bereitzustellen, die es Unternehmen ermöglicht, Potentiale zur Gestaltung der Arbeitswelt anhand von Anwendungsszenarien aus Industrie und Forschung aufzuzeigen. Hierzu werden den Unternehmen unterschiedliche Funktionen über eine Startseite (Abb. 4.5) zur Verfügung gestellt.

Abb. 4.5
figure 5

Einstiegsseite des IviPep-Instrumentariums (Seifert 2019)

  1. 1.

    Quick Check: Hier wird mithilfe eines algorithmischen Abgleichs zwischen ausgewählten Herausforderungen in der Produktentstehung (wie beispielsweise Time-to-market) und den auf Kriterien basierten Bewertungen das passende Anwendungsszenario ermittelt.

  2. 2.

    Direktsuche: Über die Direktsuche kann auf die Liste bisher qualifizierter Anwendungsszenarien zugegriffen werden. Hier kann beispielsweise über eine Stichwortsuche oder die Einstellung von Filtern direkt in der Datenbank gesucht werden.

  3. 3.

    Projekt-Homepage: Hier können weitere Informationen über das Forschungsvorhaben IviPep und über die verschiedenen Projektpartner eingeholt werden.

Unternehmen, die sich auf der Online-Plattform befinden, werden so in die Lage versetzt, schnell und effektiv für sie maßgeschneidert passende Lösungen für Ihre Arbeit 4.0-Herausforderungen zu finden.

In der Direktsuche werden unterschiedliche Navigations- und Suchansätze angeboten. Neben einer Auflistung aller Steckbriefe (die auch in einer Kachelansicht betrieben werden kann – s. Abb. 4.6) können auch Filter und freie Suchen genutzt werden, um einen passenden Steckbrief im System zu identifizieren.

Abb. 4.6
figure 6

Steckbriefe links in der Listenansicht und rechts in der Kachelansicht (Seifert 2019)

Wird das freie Suchfeld genutzt, reduziert sich der Steckbriefkatalog automatisch auf die noch zutreffenden Einträge. Alternativ können die Filter genutzt werden, um den Trefferumfang bedarfsgerecht einzuschränken. Als Filter stehen aktuell zur Verfügung “PEP-Verortung”, “Investitionen” und “Technologie”. Suchen und Filter sind gekoppelt, sodass der Anwender eine gezielte Einschränkung vornehmen kann.

Die Beschreibung der Szenarien enthält zum einen die Beschreibung sowie einen beispielhaften Ablauf. Zum anderen wird die im Szenario verwendete Technologie sowie Angaben zum Nutzen/Aufwand Verhältnis, den Auswirkungen und der Kosten für das Szenario angegeben. Darüber hinaus werden die bewerteten Kriterien des Spannungsfeldes Mensch-Technik-Organisation gegeben. Die Folgende Abb. 4.7 zeigt die Präsenz der Arbeit 4.0 Anwendungsszenarien am Beispiel des Mixed Mock-Up in der Produktionssystemplanung.

Abb. 4.7
figure 7

Mixed Mock-Up in der Produktionssystemplanung im Instrumentarium (Seifert 2019)

Hintergrundinformation

Auf welcher Basis können Szenarien identifiziert werden?

Bereits in der Vergangenheit wurden mehrere Ansätze von Leitlinien zur Bewertung von (technologischen) Systemen vorgeschlagen. Hervorzuheben sind unter anderem ein Framework für die Implementierung der additiven Fertigung [25], ein Framework für die Integration kollaborativer Roboter in fortgeschrittene Fertigungssysteme [7] oder die Erforschung von Bewertungskriterien für digitale Assistenzsysteme [8]. Die meisten der derzeitigen Rahmenbedingungen im Bereich der Digitalisierung und der cyberphysischen Systeme basieren jedoch stark auf einem rein technologischen Ansatz und vernachlässigen die Interdependenz der Technologie mit organisatorischen und menschlichen Faktoren in einem Szenario der digitalisierten Arbeit. Um also zu verstehen, wie das soziotechnische System und die hierin befindlichen Interdependenzen arbeiten, muss ein ganzheitliches Framework geschaffen werden, welches neben den technologischen Kriterien zur Technologiebewertung auch die damit verbundenen menschlichen und organisatorischen Anforderungen und Auswirkungen umfasst. Um dies zu realisieren, können beispielsweise verschiedene Szenarien digitalisierter Arbeit anhand verschiedener Kriterien bewertet werden, sodass ein Überblick über den Nutzen, die Aufwände sowie die Auswirkungen der jeweiligen Szenarien gegeben werden kann. In einem ersten Schritt zur Erreichung dieses Ziels müssen hierzu die verschiedenen Kriterien für die Dimensionen (etwa auf der Grundlage gründlicher Literaturrecherchen und Experteninterviews) ausgewählt werden. Da sich die Analyse stets auf das Gesamtkonstrukt Mensch-Organisation-Technik bezieht, ist angeraten, jeden dieser Aspekte aufzunehmen. So können die menschlichen Kriterien zum Beispiel Aspekte wie etwa die Priorisierung der Fähigkeiten im jeweiligen Szenario, die Möglichkeiten zur sozialen Interaktion oder die Aufgabenvielfalt umfassen. Die technologischen Kriterien befassen sich hauptsächlich mit hard- und softwareseitigen Aspekten wie etwa den verfügbaren und möglichen Schnittstellen, der technologischen Komplexität des Gesamtsystems sowie den monetären Aufwänden für Anschaffung, Installation und Instandhaltung der Hardware. Unter die organisatorischen Kriterien fallen unter anderem die Position des Szenarios im Produktentstehungsprozess, die Auswirkungen der technologischen Änderungen auf den Time-to-Market eines Produktes sowie die generelle Unternehmenskultur in Hinblick auf Innovationsförderung und Agilität.

Grundkomponenten und Architektur des Instrumentariums: Aus Anwendungssicht verfügt die Online-Plattform neben der Wissensbasis über eine Erfassungsschnittstelle und eine Rechercheschnittstelle, die unter anderem für den Quick-Check genutzt wird.

Im Ergebnis wurde eine Zielarchitektur für die "Wissensdatenbank" erarbeitet. Diese sieht drei grundlegende Komponenten vor Abb. 4.8

Abb. 4.8
figure 8

Grundkomponenten der Zielarchitektur (Seifert 2019)

  • Erfassungs- und Modellierungswerkzeug „IviPep Workbench“

    • setzt das konzipierte Datenmodell für das Instrumentarium um

    • Importschnittstellen: CSV, Excel, Datenbank

    • händische Pflege möglich, ggf. auch mit einer vereinfachten Benutzeroberfläche

    • Dashboarding

  • Datenablage für das Instrumentarium „IviPep Store“

    • Importschnittstellen: XML, Datenbank (Cypher)

  • Datenverteilungs- und Rechercheplattform „IviPep App“

    • Datenabgriff über eine REST API

    • Bereitstellung einer intuitiv bedienbaren Web-Applikation

Das IviPep Datenmodell sowie die notwendigen Publikationsstrukturen werden in der IviPep Workbench über Modellierungswerkzeuge (myview xmedia DataManager und myview xmedia ViewEditor) aufgebaut. Im Kern wurden die IviPep-Inhalte in einem generischen Datenmodell abgebildet. Die Nutzung der Modellierungswerkzeuge der IviPep Workbench erlaubte ein frühzeitiges Abstimmen von prototyphaften Modellierungen im Konsortium. Die Verbindung zwischen der IviPep Workbench und dem IviPep Store wird über einen XML basierten aten-Synchronisationsmechanismus geschaffen, der einen automatisierten Publikationsprozess zwischen den beiden Systemen umsetzt.

Wissensdatenbank: Die eigentliche Wissensdatenbank besteht aus den beiden Komponenten „IviPep Store“ und „IviPep App“: Der „IviPep Store“ basiert auf XOM.one als eine innovative "Backend as a Service" Infrastruktur (BaaS) für die Publikation vernetzter Unternehmensdaten mit einer flexiblen REST API. Der Systemkern besteht aus einer Neo4J Graphdatenbank und einem Java/Spring Systemkern. Die Anwendungslogik in Form der „IviPep App“ wurde auf Basis der REST API mit Webtechnologien (ExtJS von Sencha) aufgebaut. Die Bereitstellung der App wird auf einem öffentlich zugänglichen System erfolgen.

IviPep Workbench: Die Steckbriefe werden in der Workbench als einzelne Datensätze angelegt und können über Importschnittstellen bespielt werden. Ebenso ist eine Massendatenpflege der einzelnen Einträge über eine Grid-Funktion möglich. Nach erfolgter Anlage der Steckbriefe und detaillierter Befüllung der einzelnen Informationseinheiten werden die Steckbriefe in der Steckbriefsammlung arrangiert und für eine Veröffentlichung gekennzeichnet. Das gleiche Verfahren wird für den Aufbau des Technologiebaumes angewendet. Auch hier entsteht eine hierarchische Struktur. Ein Steckbrief ist dann jeweils mit einer Technologie verknüpft. Über die Workbench wird dann schließlich auch der XML basierte Daten-Synchronisationsmechanismus angestoßen, der den automatisierten Publikationsprozess zwischen den beiden Systemen umsetzt. Nach dem erfolgreichen Staging stehen die aktualisierten Daten im IviPep Store für die IviPep Apps zur Verfügung.

Hintergrundinformation

Wie können Szenarien quantifiziert und aufbereitet werden?

Es ist schwierig allgemeingültige Aussagen über die korrekte Aufbereitung und Quantifizierung von Daten zu geben, insbesondere wenn der zu untersuchende Gegenstand aus mehreren, teilweise interdependenten Faktoren (wie Mensch-Technik-Organisation) besteht. In der Regel bietet es sich an, auf bestehende Forschung zurückzugreifen, die sich mit gleichen oder ähnlichen Fragen befasst. In dem hier beschriebenen Instrumentarium wird jedes Kriterium durch einen oder mehrere Faktoren repräsentiert, die die verschiedenen Kernaspekte abdecken. Insgesamt wurden so alle 24 Kriterien mit Faktoren versehen, welche (in Form bilateraler Ja/Nein-Abfragen, 5-Point-Likert-Skalen oder Einfach- bzw. Mehrfachauswahl) bewertet werden konnten und somit einen Endwert für das jeweilige Kriterium ausgeben konnten. Wenngleich es über den Rahmen der vorliegenden Arbeit hinausgeht, den gesamten Herleitungsprozess der Kriterien zu beschreiben, so sind an dieser Stelle einige Vorarbeiten zu nennen, welche maßgeblich für die Auswertung der Daten genutzt wurden (s. auch [18]). In Hinblick auf die Bewertung der menschlichen Dimension sind hier insbesondere die Vorarbeiten von Fleishmann und Quaintance [10] für die Klassifizierung der Anforderungen sowie der Work- Design- Questionnarie [35, 41] für die Erfassung des Handlungsspielraums und der Möglichkeiten der sozialen Interaktion der Beschäftigten zu nennen. Für die Bewertung der technologischen Faktoren ist das Modell der technologischen Reife zu nennen, welches eine einfache, jedoch sehr effektive Klassifizierung einer Technologie basierend auf dem aktuellen Entwicklungsstand gibt. Im Weiteren konnten die Vorarbeiten von Saleh [32] im Rahmen der Datenauswertung genutzt werden, um die Aufwände für die Arbeitssicherheit und Cybersecurity der Technologie zu quantifizieren. Für die organisatorische Dimension sind an dieser Stelle insbesondere die Vorarbeiten hinsichtlich der Klassifizierung des Produktentstehungsprozesses [12] sowie Vorarbeiten bzgl. der für die Ein- und Durchführung eines Szenarios benötigten Kompetenzen [16] zu nennen.

4.3.3 Beitrag zu übergeordneten Zielen

In diesem Kapitel werden die Ergebnisse beschrieben, die zu den Zielen der Bekanntmachung “Arbeit in der digitalisierten Welt” im Forschungs- und Entwicklungsprogramm "Zukunft der Arbeit" als Teil des Dachprogramms "Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen" beitragen. Dies sind Ergebnisse die zum Breitentransfer und der Entwicklung der Gesellschaft beitragen. In dem Forschungsvorhaben „IviPep – Arbeit 4.0 in der Produktentstehung“ ist dies maßgeblich das Instrumentarium, in dem die Ergebnisse des gesamten Projektes gebündelt werden und das interessierten Unternehmen die Möglichkeit bietet, die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt zu nutzen. Die im Instrumentarium zusammengefassten Erkenntnisse und Szenarien dienen Unternehmen als Orientierungshilfe und Inspiration für die Herangehensweise an Herausforderungen in der Produktentwicklung mit digitalen Technologien.

4.4 Lessons learned

Basierend auf den bereits o. g. Aspekten und Schwerpunkten, welche in einem Forschungs- und Entwicklungsprojekt gesetzt werden sollten, sollen an dieser Stelle insbesondere die Faktoren genannt werden, welche aus unserer Sicht einen maßgeblichen Einfluss auf den Projekterfolg gehabt haben und für weitere Vorgehen zu beachten sind:

Als erster Punkt ist hierbei die ganzheitliche Einbindung der Stakeholder in die Prozesse zu nennen. Bereits in der Literatur wird die Einbindung von sämtlichen Personen, welche an einem Prozess beteiligt sind, als förderlich für die Projektarbeit gesehen [4, 20]. Hierbei sind die Art und der Umfang der Beteiligten abhängig von der Rolle der Personen im Projekt zu erörtern. Eine klare Definition der Rollen sowie eine Sichtung der einzelnen Teilnehmer und Personenkreise haben sich auch im vorliegenden Projekt als zielführend herausgestellt. Wenngleich dieses Vorgehen auch durch den eingebundenen Personenkreis als positiv eingestuft wurde, da eine höhere Transparenz des Projektfortschritts herrschte, so ist zu nennen, dass ein solches Vorgehen eine frühzeitige Organisation und zusätzlich aufkommenden Verwaltungsaufwand zur Folge haben kann. Jedoch würden wir dieses Vorgehen, insbesondere für weitere Projekte mit einem ähnlich großen und interdisziplinär aufgestellten Konsortium anraten.

Einhergehend mit der Einbindung der Mitarbeiter ist auch das Sensibilisierungspotential der im Projekt vollzogenen Arbeiten zu nennen, da durch das „Ausprobieren“ einer digitalen Technologie, insbesondere, wenn diese im Kontext der eigenen Arbeit eingesetzt werden soll, Ängste vor selbiger abgebaut werden können [22, 45]. Zeitgleich kann auch der Kontakt mit einer bis dato unbekannten Technologie die Ideengenerierung durch die zuständigen Mitarbeiter fördern, da hierbei die Darstellung technologischer Möglichkeiten mit Expertenwissen und Wissen über bestehende Herausforderungen kombiniert und der Lösungsweg aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden kann [38]. Für folgende Projekte, welche einen ähnlich technologischen Fokus wie das Projekt IviPep haben, empfehlen wir daher auch bereits in einem frühen Stadium mit der Exposition ausgewählter Technologien zu beginnen. Ein hierbei wichtiger und nicht zu unterschätzender Aspekt sind zudem regelmäßige Tests der jeweiligen Technologien. Diese dienen zum einen der Qualitätskontrolle.

Beispielsweise wurde das Testen im Falle des Instrumentariums dazu genutzt, etwaige Softwarefehler zu erkennen und Maßnahmen zur Behebung abzuleiten. Hierbei hat sich aus unserer Sicht das sog. Unit Testing, eine gängige Methode in agilen Projekten (bzw. Projekten mit einer iterativen Vorgehensweise) als sehr effektiv herausgestellt. In jedem durchgeführten Test wurden in erster Linie nur die Weiterentwicklungen aus der vorherigen Implementierungsphase gegenüber der vorherigen Softwareversion getestet (vgl. [2]). Die neuen Funktionen oder Systemkomponenten wurden in den regelmäßigen Abstimmungsterminen getestet. Darüber hinaus wurden Integrations- und Akzeptanztests durchgeführt. Die Systemfunktionalitäten wurden hierbei aus Sicht des Kunden bzw. Anwenders und dem erwarteten Verhalten überprüft.

Auch in der gemeinsamen Arbeit der Forschungspartner hat sich der interdisziplinäre Ansatz des Projektes als zielführend herausgestellt. Vor dem Hintergrund, dass die verschiedenen Forschungspartner jeweils andere Schwerpunkte (Mensch, Organisation, Technik) setzen konnten, konnte eine ganzheitliche Betrachtung der jeweiligen Szenarien digitalisierter Arbeit erfolgen. Ebenso konnte viel Rückmeldung über die Partner der Pilotprojekte sowie die bestehenden Netzwerke der Projektpartner eingeholt werden. Für Folgeprojekte, welche sich im Kontext des Themenfeldes Industrie 4.0/Arbeit 4.0 bewegen, empfehlen wir ein ähnlich interdisziplinäres Vorgehen. Hierbei sollte sichergestellt werden, dass das Konsortium von Beginn an mit einem interdisziplinären Fokus gebildet wird, jedoch auch den (wahrscheinlich kleineren) Arbeitsgruppen im späteren Projektverlauf Zugang zu etwaigen Netzwerken und/oder Kontaktpersonen zugänglich gemacht wird. Als letzte Lesson learned ist zu nennen, dass die Arbeit mit neuen und innovativen Technologien oftmals ein gewisses technisches Risiko mit sich bringt und die Arbeit nur bedingt planbar ist. Hierbei ist unser Anraten, dass die Vorgehensweise entsprechend flexibel gestaltet wird, sodass auf vor dem Projekt noch nicht bekannte oder berechenbare Faktoren entsprechend reagiert werden kann.