1.1 Zum Ziel dieses Buches

Kollisionen und Lösungen von Stoßproblemen haben vielfältige Anwendungen in verschiedenen Bereichen von Physik, Technik und Medizin. Fasst man „Stoß“ im weiteren Sinn als kurzzeitige starke Belastung auf, betrifft das nicht nur Wechselwirkungen zwischen unverbundenen Teilen eines Systems (beispielsweise Billard-Kugeln), sondern auch dauerhafte Verbindungen (z. B. in Hüft- oder Kniegelenken beim Stolpern oder Springen). Insofern sind „stoßartige“ Belastungen ein sehr allgemeiner, und häufig notwendiger, Aspekt von zahllosen technischen oder biologischen Systemen.

Die Publikation des ersten rigorosFootnote 1 gelösten Stoßproblems durch Hertz [1] erfolgte in der gleichen Arbeit, die man in der Regel als Beginn der klassischen Kontaktmechanik betrachtet. Das ist kein Zufall, schließlich ist die korrekte Beschreibung der Kontakt-Wechselwirkung während der Kollision und der damit verbundenen Phänomene (Reibung, Adhäsion, Elastizität, Plastizität u. s. w.) ein fundamentaler Bestandteil der Lösung des Stoßproblems. Einerseits ist nun diese Kontaktmechanik teilweise deutlich komplizierter als im Fall der sehr bekannten Hertzschen Lösung, andererseits treten Stöße in unterschiedlichsten Disziplinen auf, die fachlich – sowohl inhaltlich als auch methodisch – teilweise weit entfernt von der Mechanik von Grenzflächen sind, beispielsweise bei der statistischen Beschreibung granularer Medien wie Sand.

Das vorliegende Buch möchte daher durch die einheitliche und detaillierte Darstellung des Dreischritts Kontaktmechanik – Stoßproblem – Anwendung eine Brücke zwischen der tribologischen Theorie und den Anwender*innen von Stoßproblemen in anderen Fachrichtungen schlagen. Insofern ist dieses Buch nicht als Konkurrenz zu den hervorragenden Monografien von Goldsmith [2] und Stronge [3] gedacht, die, besonders im Hinblick auf dynamische Aspekte von Kollisionen, teilweise breiter angelegt sind; stattdessen widmet sich das Buch der Behandlung mehrerer Fragestellungen im Zusammenhang mit Stoßproblemen, die einerseits gehäuft in verschiedenen Anwendungen auftreten und andererseits noch nicht zusammenhängend dargestellt oder aber noch gar nicht systematisch untersucht wurden.

Wie kommt es nun, dass dieses Buch „erst“ jetzt erscheint, fast 140 Jahre nach der Arbeit von Hertz? Tatsächlich gibt es viele Fälle, z. B. durch Reibung oder inelastische Deformationen, für die die Kontaktkonfiguration von der Belastungsgeschichte abhängt, und entsprechend die Angabe eines expliziten Kraftgesetzes für die Wechselwirkung im Kontakt sehr aufwändig oder gar nicht möglich ist. Für diese Art von Problemen wurde erst in den letzten zehn Jahren am Fachgebiet für Systemdynamik und Reibungsphysik der Technischen Universität Berlin mit der Methode der Dimensionsreduktion (MDR) [4] ein Verfahren zur effizienten (und dabei exakten) Behandlung entwickelt. Mithilfe der MDR kann man, praktisch in Echtzeit, verschiedenste dynamische Kontaktprobleme numerisch simulieren. Dies erlaubt eine umfassende und tiefgehende Untersuchung von Stoßproblemen, die vorher nicht, oder nur unter sehr großem Aufwand möglich war.

1.2 Zur Verwendung dieses Buches

Dieses Buch ist wie folgt strukturiert: Zunächst werden die später bei der Lösung des Stoßproblems benötigten dynamischen und kontaktmechanischen Grundlagen dargestellt. Das anschließende vierte Kapitel widmet sich der Deutung (und Implementierung) des behandelten Teils der Kontaktmechanik im Rahmen der MDR. Mit diesem Rüstzeug versehen behandeln die Kap. 5 bis 7 das Normalstoßproblem axialsymmetrischer Körper sowie das ebene und räumliche Stoßproblem von Kugeln. Die theoretischen Vorhersagen werden dabei, wann immer möglich, mit experimentellen Ergebnissen verglichen. Das abschließende achte Kapitel ist ausgewählten Anwendungsgebieten von Stoßproblemen gewidmet; der Fokus liegt dabei auf der Verdeutlichung, wo und wie man die in den früheren Kapiteln erhaltenen Ergebnisse verwenden kann.

Der Abschluss jedes Kapitels besteht in einer eigenen Zusammenfassung, in der – ohne die Verwendung von Gleichungen, Literatur- oder anderen Verweisen – die wichtigsten Inhalte und Ergebnisse des Kapitels noch einmal kurz und prägnant aufgelistet sind.

Da diese Monografie unter anderem als frei verfügbares E-Book vertrieben wird, ist zu erwarten, dass die Mehrzahl der Leser*innen das Buch über diesen Kanal erwirbt; es ist deswegen in verschiedener Hinsicht für die Verwendung in elektronischer Form optimiert.

So gibt es beispielsweise zur Vermeidung von Dopplungen sehr viele Verweise auf Gleichungen oder Abschnitte – besonders von den Kapiteln, die sich den eigentlichen Stoßproblemen widmen, zu der jeweiligen kontaktmechanischen Grundlage – die in elektronischer Form sehr leicht durch Verlinkungen zu verfolgen sind. Es ist dabei so eindeutig und transparent wie möglich dargestellt, welche Grundlagen zum Verständnis eines bestimmten Abschnitts nötig sind.

Global (d. h. im ganzen Buch einheitlich) verwendete Größen sind im Symbolverzeichnis aufgeführt. Dort sind gegebenenfalls auch die bestimmenden oder definierenden Gleichungen der entsprechenden Variable angegeben. Die wenigen nur lokal (d. h. ausschließlich in einem bestimmten Zusammenhang) verwendeten Größen sind bei ihrem Auftreten jeweils separat definiert. Zur weiteren Orientierung innerhalb des Buches dient schließlich ein ausführlicher Index.