Zusammenfassung
Wir haben inzwischen viele Funktionen kennengelernt, die sich in den verschiedensten Situationen als nützlich oder gar unentbehrlich erwiesen haben. Zu diesen elementaren Funktionen zählen Polynome, Winkelfunktionen, die Exponentialfunktion, Hyperbelfunktionen, Logarithmen, Arkus- und Areafunktionen.
Einige Male sind wir aber auch an die Grenzen dessen gestoßen, was sich mit diesen Funktionen darstellen lässt. Insbesondere bei Integralen und bei Differenzialgleichungen gab es immer wieder Lösungen, die aus dem Bereich der elementaren Funktionen herausführten.
Nun ist unsere Vorstellung von dem, was elementare Funktionen sind, letztlich willkürlich. Man kann das Arsenal der verfügbaren Funktionen ohne Probleme vergrößern, indem man weitere „spezielle Funktionen“ hinzunimmt, die sich nicht mit den bisher verfügbaren elementaren Funktionen darstellen lassen.
Einen solchen Fall, die Gammafunktion, haben wir bereits kennengelernt, ein weiteres wichtiges Beispiel sind etwa die Zylinderfunktionen. Derartige spezielle Funktionen sind in keiner Weise fundamental anders. Wie schon gewohnt werden sie durch Potenzreihen, als Lösungen von Differenzialgleichungen oder als Parameterintegrale gegeben.
Speziell an ihnen ist lediglich, dass ihre Anwendbarkeit auf einen schmaleren Bereich beschränkt ist und sie deswegen auch nicht so bekannt sind. Viele Probleme der angewandten Mathematik führen jedoch auf solche Funktionen – die Schwingung einer kreisförmigen Membran ebenso wie die quantenmechanische Behandlung des Wasserstoffatoms.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Similar content being viewed by others
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Appendices
Zusammenfassung
1.1 Die Gammafunktion
Die Gammafunktion verallgemeinert die Fakultät auf komplexe Argumente.
Definition der Gammafunktion (für positive Argumente)
Die Gammafunktion \(\Gamma\) ist für beliebige \(x\in\mathbb{R}_{> 0}\) definiert als
und erfüllt die Funktionalgleichung
Für \(n\in\mathbb{N}_{0}\) gilt \(\Gamma(n+1)=n!\).
Die Werte der Gammafunktion an verschiedenen Stellen sind durch mehrere Funktionalgleichungen verknüpft. Insbesondere gelten der Ergänzungssatz \(\Gamma(z)\,\Gamma(1-z)=\frac{\pi}{\sin(\pi z)}\) und die Verdopplungsformel
Stirling-Formel
Für große Werte von \(n\) gilt die Formel von Stirling:
Während der absolute Fehler dieser Näherung für \(n\to\infty\) divergiert, geht der relative Fehler gegen null.
1.2 Differenzialgleichungen aus Separationsansätzen
Verschiedene wichtige gewöhnliche Differenzialgleichungen zweiter Ordnung ergeben sich aus der Separation von partiellen Differenzialgleichungen.
Bei Separation der Laplace-Gleichung in Zylinderkoordinaten erhält man die Bessel’sche Differenzialgleichung
Aus dem Winkelanteil des Laplace-Operators erhält man bei Separation in Kugelkoordinaten die Legendre’sche Differenzialgleichung
Besonders wichtig ist hier der rotationssymmetrische Fall \(m= 0\).
1.3 Das Sturm-Liouville-Problem
Wir können viele Differenzialgleichungen als Eigenwertprobleme formulieren und mit Methoden ähnlich denen aus der linearen Algebra lösen. Das gelingt auf jeden Fall für Differenzialgleichungen vom Sturm-Liouville-Typ.
Sturm-Liouville-Operator
Ein auf \(C^{2}[a,\,b]\) definierter Differenzialoperator der Form
mit Konstanten \(\alpha_{i}\), \(\beta_{k}\in\mathbb{R}\) (wobei \(\alpha_{1}\) und \(\alpha_{2}\) bzw. \(\beta_{1}\) und \(\beta_{2}\) jeweils nicht gleichzeitig null sein dürfen) wird Sturm-Liouville-Operator genannt, die Eigenwertgleichung
Sturm-Liouville-Problem.
Die Lösungen eines Sturm-Liouville-Problems zu verschiedenen Eigenwerten sind orthogonal bezüglich des Skalarprodukts \(\langle f,\,g\rangle=\int_{a}^{b}f(x)\,g(x)\,\mathrm{d}x\).
Durch Einführung einer Gewichtsfunktion und eines allgemeinen Skalarprodukts lässt sich jede lineare Differenzialgleichung zweiter Ordnung auf Sturm-Liouville-Form bringen.
1.4 Orthogonalpolynome und Kugelfunktionen
Für viele Differenzialgleichungen vom Sturm-Liouville-Typ lassen sich Polynomlösungen angeben. So ergeben sich etwa die Legendre-Polynome als Lösungen der Legendre’schen Differenzialgleichung. Diese Polynome erfüllen die Orthogonalitätsbeziehung:
Verschiedene verallgemeinerte Skalarprodukte
liefern verschiedene Familien von orthogonalen Polynomen. Derartige Orthogonalpolynome lassen sich zum Beispiel durch einen Ableitungsoperator darstellen. Mit der Gewichtsfunktion \(p\) gilt dabei die Formel von Rodriguez
mit Normierungsfaktoren \(N_{n}\).
1.5 Lösungen der allgemeinen Legendre- Gleichung lassen sich aus den Legendre-Polynomen ableiten
Zugeordnete Legendre-Funktionen
Die Funktionen
(mit \(n\in\mathbb{N}\) und \(m\in\mathbb{N}_{0}\), \(m\leq n\)) heißen zugeordnete Legendre-Funktionen. Sie sind die Lösungen der Legendre-Gleichung
Mithilfe dieser Funktionen können wir die Kugelflächenfunktionen definieren. Diese bilden ein Basissystem auf der Kugeloberfläche.
Orthonormalität der Kugelflächenfunktionen
Die komplexen Kugelflächenfunktionen
bilden auf der Einheitskugel ein Orthogonalsystem mit
1.6 Zylinderfunktionen
Wir nennen Lösungen der Bessel’schen Differenzialgleichung Zylinderfunktionen. Diese lassen sich im Allgemeinen nicht mehr durch elementare Funktionen ausdrücken.
Reihendarstellung der Besselfunktionen
Für die Besselfunktionen \(J_{\lambda}\) erhalten wir die Reihendarstellung
für \(z\in\mathbb{C}\) und \(\lambda\in\mathbb{C}\setminus\mathbb{Z}_{<0}\). Die Funktion kann nach \(\lambda\in\mathbb{Z}_{<0}\) holomorph fortgesetzt werden.
Für \(\lambda=n\in\mathbb{Z}\) sind die Funktionen \(J_{n}\) und \(J_{-n}\) nicht linear unabhängig, entsprechend benötigt man eine zweite Art von Zylinderfunktionen.
Neumannfunktionen
Die Neumannfunktionen
sind jeweils linear unabhängig von \(J_{\lambda}\). Daher ist \(\{J_{n},\,N_{n}\}\) ein Fundamentalsystem der Bessel’schen Differenzialgleichung für \(\lambda=n\).
Gelegentlich werden Bessel- und Neumannfunktionen zu Hankelfunktionen kombiniert.
1.7 Sphärische Besselfunktionen
Die sphärischen Besselfunktionen
lassen sich durch elementare Funktionen ausdrücken. Sie tauchen unter anderem als Koeffizienten der Entwicklung einer ebenen räumlichen Welle nach Kugelfunktionen auf.
Bonusmaterial
Im Bonusmaterial besprechen wir einige weitere Eigenschaften der Gammafunktion sowie einer weiteren verwandten Funktion, der Betafunktion. Orthogonalpolynome, aber auch beispielsweise Zylinderfunktionen lassen sich besonders bequem mithilfe von erzeugenden Funktionen beschreiben. Mit deren Hilfe können wir beispielsweise verschiedenste Rekursionsformeln ableiten.
Neben den hier vorgestellten speziellen Funktionen gibt es noch einige weitere Arten, die in diversen Anwendungen eine Rolle spielen. Hier sind insbesondere hypergeometrische Funktionen zu nennen, aber auch auf elliptische Funktionen werden wir kurz eingehen und in einer Vertiefung auch eine der geheimnisvollsten Funktionen überhaupt diskutieren – die Riemann’sche Zetafunktion.
Für große Argumente lassen sich spezielle Funktionen oft durch einfachere Ausdrücke annähern – die Stirling-Formel ist dafür ein Paradebeispiel. Wir gehen der Frage nach, wie sich solche asymptotischen Entwicklungen für allgemeine Funktionen gewinnen lassen und welche Eigenschaften sie haben.
Aufgaben
Die Aufgaben gliedern sich in drei Kategorien: Anhand der Verständnisfragen können Sie prüfen, ob Sie die Begriffe und zentralen Aussagen verstanden haben, mit den Rechenaufgaben üben Sie Ihre technischen Fertigkeiten und die Anwendungsprobleme geben Ihnen Gelegenheit, das Gelernte an praktischen Fragestellungen auszuprobieren.
Ein Punktesystem unterscheidet leichte Aufgaben •, mittelschwere •• und anspruchsvolle ••• Aufgaben. Lösungshinweise am Ende des Buches helfen Ihnen, falls Sie bei einer Aufgabe partout nicht weiterkommen. Dort finden Sie auch die Lösungen – betrügen Sie sich aber nicht selbst und schlagen Sie erst nach, wenn Sie selber zu einer Lösung gekommen sind. Ausführliche Lösungswege, Beweise und Abbildungen finden Sie auf der Website zum Buch.
Viel Spaß und Erfolg bei den Aufgaben!
3.1 Verständnisfragen
34.1
• Was ist der entscheidende Unterschied zwischen „elementaren“ und „speziellen“ Funktionen.
34.2
•• Begründen Sie ohne Rechnung, dass es Zahlen \(a_{1}\) bis \(a_{4}\) geben muss, sodass
ist. Kann es Zahlen \(b_{1}\) bis \(b_{4}\) mit \(b_{4}\neq 0\) bzw. \(c_{1}\) bis \(c_{4}\) geben, sodass
ist?
34.3
• Welche der folgenden Aussagen sind richtig?
-
1.
Zylinderfunktionen treten bei Separation als Funktionen des Abstands \(\rho\) von der \(x_{3}\)-Achse auf.
-
2.
Zylinderfunktionen sind auf einem Zylinder \(x_{1}^{2}+x_{2}^{2}=\rho_{0}^{2}\) definiert.
-
3.
Kugelflächenfunktionen treten bei Separation als Funktionen des Abstands \(r\) vom Ursprung \(\mathbf{0}\) auf.
-
4.
Kugelflächenfunktionen sind auf einer Kugel \(x_{1}^{2}+x_{2}^{2}+x_{3}^{2}=r_{0}^{2}\) definiert.
34.4
•• Ein spezielles zylindersymmetrisches Problem, definiert für \(\varrho\leq b\), mit einer Randbedingung für \(\varrho=b\) führt auf eine Bessel’sche Differenzialgleichung mit ganzzahligem Parameter \(n\). Benötigen Sie für die Lösung des Problems (a) die Besselfunktion \(J_{n}\), (b) die Neumannfunktion \(N_{n}\) oder (c) beide? Was ändert sich, wenn Ihr Problem in \(a\leq\varrho<b\) definiert ist und Sie Randbedingungen für \(\varrho=a\) und \(\varrho=b\) zu erfüllen haben?
3.2 Rechenaufgaben
34.5
• Bestimmen Sie \(\Gamma(6)\), \(\Gamma(13/2)\) und \(\Gamma(-5/2)\).
34.6
•• Zeigen Sie für \(\mathop{\mathrm{Re}}z\geq 0\), \(z\neq 0\) die Beziehung \(\Gamma(\bar{z})=\overline{\Gamma(z)}\). (Diese Beziehung gilt tatsächlich sogar für alle \(z\in D(\Gamma)\).) Beweisen Sie damit
für \(x\in\mathbb{R}_{\neq 0}\).
34.7
•• Zeigen Sie die Beziehung
34.8
•• Zeigen Sie die Beziehung
34.9
• Zeigen Sie, dass die Legendre’schen Differenzialgleichung
für den Potenzreihenansatzes \(u(x)=\sum_{k=0}^{\infty}a_{k}\,x^{k}\) die Rekursionsformel
liefert.
34.10
•• Zeigen Sie, dass die Koeffizienten von
die Rekursionsformel
erfüllen.
34.11
• Zeigen Sie mittels Reihendarstellung der Besselfunktionen die Relation
34.12
•• Bestimmen Sie mithilfe der Rodriguez-Formel explizit \(P_{5}\). Entwickeln Sie die Funktionen \(f\) und \(g\), \([-1,\,1]\to\mathbb{R}\) nach Legendre-Polynomen:
-
\(f(x)=\sin\frac{\pi x}{2}\) bis zur fünften Ordnung
-
\(g(x)=x^{5}+x^{2}\)
34.13
•• Zeigen Sie die Beziehungen
durch Benutzung der Reihendarstellung der Besselfunktionen.
34.14
• Die Tschebyschev-Polynome können über die Beziehung
definiert werden. Bestimmen Sie \(T_{1}\) und \(T_{2}\) und drücken Sie für \(n\geq 1\) allgemein \(T_{n+1}(t)\) durch \(T_{n}(t)\) und \(T_{n-1}(t)\) aus. (Hinweis: Benutzen Sie die trigonometrischen Identität \(\cos((n+1)x)=2\,\cos x\,\cos(nx)-\cos((n-1)x)\).)
3.3 Anwendungsprobleme
34.15
•• Zu höheren Dimensionen:
-
Welcher Anteil des Volumens einer zehndimensionalen Orange nimmt in etwa die Schale ein, wenn die Dicke der Schale ein Zehntel des Radius ausmacht? Vergleichen Sie mit dem Wert für herkömmliche dreidimensionale Orangen. Wie ist das Verhältnis bei der \(100\)-dimensionalen Variante?
-
In einer hypothetischen (räumlich) \(5\)-dimensionalen Welt sei das Gravitationspotenzial \(\Phi\) einer Masse \(M\) weiterhin sphärisch symmetrisch. Die Gravitationskraft \(\boldsymbol{F}_{g}\) auf eine kleine Probemasse \(m\) sei \(\boldsymbol{F}_{g}=-m\,\mathop{\mathbf{grad}}\Phi\), und für beliebige Radien \(R\) gelte analog zum Dreidimensionalen
$$\displaystyle\int_{S_{R}^{4}}\,\boldsymbol{F}_{g}\cdot\boldsymbol{\mathrm{d}}\sigma=\gamma\,M\,m$$mit einer Konstanten \(\gamma\). Welche Form hat das Gravitationspotenzial in dieser Welt?
34.16
•• Für die Legendre-Polynome gibt es eine Darstellung mittels ihrer erzeugenden Funktion
(Erzeugende Funktionen werden im Bonusmaterial genauer diskutiert.)
Wir betrachten zwei gleiche Punktladungen \(q\), die mit Abstand \(d\) voneinander angebracht sind. Drücken Sie das Potenzial dieser Ladungskonfiguration in Kugelkoordinaten ohne Verwendung von Wurzeln aus. Welchen Näherungsausdruck erhalten Sie für das Potenzial in sehr großem Abstand von den beiden Ladungen? (Das Potenzial einer Punktladung \(q\) an der Stelle \(\boldsymbol{p}\) ist \(V(\boldsymbol{x})=\frac{q}{4\,\pi\,\varepsilon_{0}}\,\frac{1}{\|\boldsymbol{x}-\boldsymbol{p}\|}\).)
Antworten der Selbstfragen
Antwort 1
Für die Gleichung erster Ordnung liefert der Exponentialansatz
für die Gleichung zweiter Ordnung bei \(\alpha\neq 0\)
bei \(\alpha=0\) einfach \(T(t)=c_{1}+c_{2}\,t\).
Antwort 2
Die Lösung einer linearen gewöhnlichen Differenzialgleichung zweiter Ordnung enthält zwei freie Konstanten, durch zwei Bedingungen wird also bereits eindeutig eine Lösung bestimmt. Jede weitere Bedingung ist entweder trivial erfüllt oder nicht erfüllbar.
Antwort 3
Wir haben \(r=a_{2}\) und \(q=a_{0}\) gesetzt, zudem muss, wie gerade nachgerechnet, \(r^{\prime}=a_{1}\) sein.
Antwort 4
Ja, das liefert allerdings lediglich die triviale Lösung \(u=0\).
Antwort 5
Wir erhalten zum Beispiel:
Für gerades \(n\) und ungerades \(m\) folgt das Verschwinden des Integrals unmittelbar aus den Symmetrieeigenschaften.
Rights and permissions
Copyright information
© 2018 Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature
About this chapter
Cite this chapter
Arens, T., Hettlich, F., Karpfinger, C., Kockelkorn, U., Lichtenegger, K., Stachel, H. (2018). Spezielle Funktionen – nützliche Helfer. In: Mathematik. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-56741-8_34
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-662-56741-8_34
Published:
Publisher Name: Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg
Print ISBN: 978-3-662-56740-1
Online ISBN: 978-3-662-56741-8
eBook Packages: Life Science and Basic Disciplines (German Language)