Skip to main content

6. Kapitel: Handlungslogische Strukturen

  • Chapter
  • First Online:
  • 3894 Accesses

Part of the book series: Springer-Lehrbuch ((SLB))

Zusammenfassung

Die Vornahme von Handlungenbezieht sich prima facieauf Veränderungen des Status quo. Nun finden Veränderungen des Status quo allerdings auch statt, ohne dass es dazu der Vornahme einer Handlung bedürfte. Sofern eine Person A dazu fähig ist, eine solche Veränderung zu verhindern, dies aber nicht tut, kann man davon sprechen, dass A diese Veränderung des Status quo durch Unterlassen„bewirkt“ hat. Es kann jedoch auch so sein, dass ohne eine Einflussnahme auf den Status quo dieser bestehen bleibt, eine Person aber die Fähigkeit gehabt hätte, einen Sachverhalt, der im Status quo zunächst existent war (und ist), zum Verschwinden zu bringen. Hier kann man sagen, dass A es unterlassen hat, den Status quo zu verändern. Und es kann andererseits auch so sein, dass der genannte Sachverhalt nicht mehr existent wäre, wenn der A nicht durch die Vornahme einer Handlung dies verhindert hätte. Diese und weitere Konstellationen müssen unterschieden werden, um eine konsistente Beschreibung der Begriffe Handelnund Unterlassenzu generieren. Im 6. Kapitelwird darauf aufbauend gezeigt, wie sich eine so entwickelte Handlungslogikauf rechtliche Probleme anwenden lässt.

This is a preview of subscription content, log in via an institution.

Notes

  1. 1.

    Eine Garantenstellung und daraus folgend eine Garantenpflicht zur Abwendung eines Erfolges im strafrechtlichen Sinne ist dann anzunehmen, wenn eine Person in besonderer Weise für die Unversehrtheit eines Rechtsgutes einzustehen hat (sog. Obhutsgarant; auch: Beschützergarant) oder in besonderer Weise für die Abschirmung einer Gefahrenquelle zu sorgen hat (sog. Sicherungsgarant; auch: Überwachergarant). Siehe dazu auch 3. Kapitel Teil B. Abschn. I. 2. c ).

  2. 2.

    Vgl. dazu etwa die Darstellung bei Kühl (2008, § 18 Rn 13 ff, m.w.N.). Zu einer philosophischen Perspektive des Themas vgl. Birnbacher (1995). S.a. Lübbe (1998, S. 63 ff.). Zum Spezialproblem der Abtreibung vgl. z. B. Unberath (1995).

  3. 3.

    Zum Begriff vgl. 7. Kapitel Teil B. Abschn. II. 4. d).

  4. 4.

    Vgl. BGHSt 6, 59; näher zu Ansätzen dieser Art und ihrer Kritik etwa Stoffers (1992); Haas (2002, insbes. S. 112 ff.), jeweils m.w.N. Ähnlich ist die Forderung, die Grenze zwischen Handeln und Unterlassen durch „wertende Betrachtungsweise“ – vgl. z. B. Philipps (1974, S. 100) – zu bestimmen. Denn damit kann man auf die Unterscheidung auch verzichten und gleich sagen, wann man eine Garantenstellung für die Strafbarkeit fordert und wann nicht, wobei man sich mit einer Begründung dafür dann durchaus schwer tun wird.

  5. 5.

    Näher dazu Sieber (1983).

  6. 6.

    „E“ ist hier im Sinne von absoluter Erlaubnis zu interpretieren; vgl. dazu 4. Kapitel Teil A. Abschn. III. 2.

  7. 7.

    Vor Inkrafttreten des 6. StrRG (2002) war dies etwa auch für das „Verlassen in hilfloser Lage“ gem. § 221 2. Alt. StGB a.F. strittig, und zwar insbesondere, ob der Tatbestand auch durch bloß untätiges Verbleiben bei der hilflosen Person (durch Unterlassen) erfüllt werden konnte und ob es auch genügen konnte, wenn der Pflichtadressat am Ort verblieb, sich aber stattdessen das hilflose Opfer von ihm entfernte; näher dazu Geppert (1992).

  8. 8.

    Vgl. z. B. Küper (2008, S. 308 f.); Lackner und Kühl (2014, § 123 Rn. 5; § 142 Rn. 12).

  9. 9.

    Zum Begriff des Unfallbeteiligten vgl. § 142 V StGB.

  10. 10.

    Vgl. näher zu einem solchen Fall BayObLG mit Anm. Joerden (1984, m.w.N.). Es sei davon ausgegangen, dass es dem U auch zumutbar war, das Kraftfahrzeug rechtzeitig zu verlassen, insbesondere deshalb, weil ihm dies ohne eigene Gefahr möglich war. Zur Zumutbarkeit bei Unterlassungsdelikten vgl. 3. Kapitel Teil B. Abschn. I. 2. c).

  11. 11.

    Ausgeschlossen sei dabei, dass der Kraftfahrer K die Fahrbahn – etwa auf einen Seitenstreifen – verlassen kann.

  12. 12.

    Zur Bezeichnungsweise vgl. oben Teil A. Abschn. II.

  13. 13.

    Vgl. 1. Kapitel Teil A. Abschn. II.

  14. 14.

    Vgl. auch dazu 1. Kapitel Teil A. Abschn. II.

  15. 15.

    Es liegt dem die logische Konstellation der Tautologie (vgl. 1. Kapitel Teil A. Abschn. IV.) zugrunde.

  16. 16.

    Es kann ja sein, dass nur der (gefährliche) Spurwechsel verboten sein soll, nicht aber der Verbleib auf Spur b.

  17. 17.

    Anders liegt es natürlich, wenn man die Spur b ganz sperren will; dann aber ist auch das hier vorausgesetzte Verbot V(b T ¬b) nicht sinnvoll.

  18. 18.

    Vgl. ob. Fn. 10.

  19. 19.

    Dagegen spricht etwa, dass möglicherweise am Unfallort inzwischen gar keine feststellungsbereite Person mehr anwesend ist (vgl. oben). Vgl. hierzu auch z. B. Geppert (1990, 85 m.w.N.).

  20. 20.

    Anders die ältere Rechtsprechung zu § 142 StGB a.F.

  21. 21.

    Vgl. insbes. BGHSt 21, 224 ff.

  22. 22.

    Anders die wohl h.M.; vgl. zur Darstellung des Diskussionsstandes etwa Küper (2008, S. 118 f.) – Hier hilft auch die Berufung auf die Figur des „Dauerdelikts“, die auf § 123 StGB anzuwenden sei, nicht weiter. Denn § 123 I 1. Alt. StGB stellt gerade den Rechtsgutseingriff durch Eindringen unter Strafe; das Eindringen ist demnach der mögliche Erfolg i.S.d. § 13 StGB und nicht das Verweilen im hausrechtlich geschützten Bereich; ähnlich z. B. Geppert (1989, S. 382); Herzberg und Hardtung (1994, S. 492 f.); vgl. auch noch im Folgenden.

  23. 23.

    Zu den Fällen des Begehens sollen hier im Einklang mit der dazu herrschenden Meinung auch diejenigen des sog. konkludenten (d. h. schlüssigen) Verhaltens zählen.

  24. 24.

    Das heißt nicht, dass diese Konstellationen völlig ohne strafrechtliche Relevanz sein müssen. So könnte bei entsprechendem vorangehenden Geschehen etwa die Konstellation 2. a) den Fall eines (ggf. strafbefreienden) Rücktritts vom Betrugsversuch (vgl. § 24 I StGB) beschreiben.

  25. 25.

    Beispiel: B droht in einem See unterzugehen. Spaziergänger S wirft ihm einen Rettungsring zu, der mit einem langen Seil an einem am Ufer stehenden Baum befestigt ist. Bevor der auf B zutreibende Rettungsring den B erreicht, zieht der A den Ring an dem Seil zurück, damit B ertrinkt, was auch geschieht. Es ist davon auszugehen, dass dann, wenn der A nicht eingegriffen hätte, der Rettungsring mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den B erreicht hätte und dieser sich mit dem Seil ans rettende Ufer hätte ziehen können. – In diesem Fall ist A zumindest wegen eines Begehungsdelikts gem. § 212 StGB („Abbruch eines rettenden Kausalverlaufs“) zu bestrafen. – Nicht prinzipiell anders liegt es übrigens auch dann, wenn S selbst den von ihm geworfenen Rettungsring zurückzieht und anderenfalls der B mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch den bereits geworfenen und auf ihn zutreibenden Ring gerettet worden wäre. Zwar hätte S mangels Garantenstellung nur aus § 323 c StGB gehaftet, wenn er den Rettungsring gar nicht erst geworfen hätte, nach dem Werfen aber haftet er nach zutreffender Ansicht wie jeder Dritte (zumindest) wegen Totschlags durch Begehen gem. § 212 StGB.

  26. 26.

    In Betracht kommt auch hier grundsätzlich jede Art der Garantenstellung i.S.d. § 13 StGB. Zu den Arten der Garantenstellung vgl. bereits 3. Kapitel Teil B. Abschn. I. 2. c).

  27. 27.

    Zur Frage der Art der Handlung als Verhalten mit „Erklärungswert“ vgl. bereits oben.

  28. 28.

    Man muss dabei allerdings voraussetzen, dass entweder der fehlgebuchte Kontostand dem Kunden rechtlich überhaupt nicht zukommt (so früher die Rechtsprechung in den Fehlbuchungsfällen, vgl. OLG Karlsruhe, Justiz 1978, 173; BGHSt 39, 392 ff.; anders heute, vgl. BGHSt 46, 196 ff.) oder von ihm nicht genutzt werden darf, weil er sich sonst arglistig verhielte; dazu näher Joerden (2001); s.a. Schmoller (2004, S. 259 f.) zur insofern parallelen Rechtslage in Österreich.

Literatur

  • Birnbacher D (1995) Tun und Unterlassen. Reclam, Stuttgart

    Google Scholar 

  • Eue J (1990) Anmerkung zu BGH JZ 1990, 763. JZ 45:765–768

    Google Scholar 

  • Geppert K (1989) Zu einigen immer wiederkehrenden Streitfragen im Rahmen des Hausfriedensbruches (§ 123 StGB). Jura 11:378–383

    Google Scholar 

  • Geppert K (1990) Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB). Jura 12:78–86

    Google Scholar 

  • Geppert K (1992) Zum ‚Verlassen in hilfloser Lage‘, wenn das Opfer sich räumlich vom Täter wegbewegt. Jura JK 1992, StGB § 221/3

    Google Scholar 

  • Haas V (2002) Kausalität und Rechtsverletzung. Ein Beitrag zu den Grundlagen strafrechtlicher Erfolgshaftung am Beispiel des Abbruchs rettender Kausalverläufe. Duncker & Humblot, Berlin

    Google Scholar 

  • Herzberg RD, Hardtung B (1994) Irrtümer eines Hotelgastes – Ein Bericht über eine strafrechtliche Hausarbeit. JuS 34:492–496

    Google Scholar 

  • Joerden JC (1984) Erzwungenes ‚Sich-Entfernen‘ vom Unfallort – BayObLG, NJW 1982, 1059. JR 1984:51–53

    Google Scholar 

  • Joerden JC (1988a) Anmerkung zu OLG Köln, JZ 1988, 101 ff. JZ 43:103–105

    Google Scholar 

  • Joerden JC (1988b) Strukturen des strafrechtlichen Verantwortlichkeitsbegriffs: Relationen und ihre Verkettungen. Duncker & Humblot, Berlin

    Google Scholar 

  • Joerden JC (1994) Anmerkung zu BGH JZ 1994, 419 ff. JZ 49:422–424

    Google Scholar 

  • Joerden JC (2001) Anmerkung zu BGH JZ 2001, 611 ff. JZ 56:614–616

    Google Scholar 

  • Kühl K (2008) Strafrecht AT, 6. Aufl. Vahlen, München

    Google Scholar 

  • Küper W (2008) Strafrecht BT, 7. Aufl. C F Müller, Heidelberg

    Google Scholar 

  • Lackner K, Kühl K (2014) StGB. 28. Aufl. C H Beck, München

    Google Scholar 

  • Lübbe W (1998) Verantwortung in komplexen kulturellen Prozessen. Alber, Freiburg i B/München

    Google Scholar 

  • Pawlik M (1999) Das unerlaubte Verhalten beim Betrug. Heymanns, Köln

    Google Scholar 

  • Pawlik M (2003) Täuschung durch die Ausnutzung fremder Organisationsmängel? Zur Risikoverteilung gemäß § 263 StGB in den ‚Fehlbuchungsfällen‘ und verwandten Fallkonstellationen. FS für E-J Lampe, Duncker & Humblot, Berlin, S 689–708

    Google Scholar 

  • Philipps L (1974) Der Handlungsspielraum. Klostermann, Frankfurt a M

    Google Scholar 

  • Schmoller K (2004) Fehlüberweisung und Fehlbuchung im Strafrecht. FS für U Weber, Gieseking, Bielefeld, S 251–269

    Google Scholar 

  • Schönke A, Schröder H (2014) StGB. Kommentar, 29. Aufl. C H Beck, München (zit. S/S und nach Bearbeitern)

    Google Scholar 

  • Sieber U (1983) Die Abgrenzung von Tun und Unterlassen bei der ‚passiven‘ Gesprächsteilnahme. JZ 38:431–437

    Google Scholar 

  • Stoffers KF (1992) Die Formel „Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit“ bei der Abgrenzung von Tun und Unterlassen. Duncker & Humblot, Berlin

    Google Scholar 

  • Unberath H (1995) Ist der Schwangerschaftsabbruch ein Unterlassen? Der Geiger-Fall und das Problem der Abgrenzung von Handeln und Unterlassen. JRE 3:437–463

    Google Scholar 

  • von Wright GH (1979) Norm und Handlung. Eine logische Untersuchung. Übers. von Meggle G, Ulkan M, Scriptor, Königstein/Ts

    Google Scholar 

Weiterführende Literatur

  • Ast S (2010) Normentheorie und Strafrechtsdogmatik. Eine Systematisierung von Normarten und deren Nutzen für Fragen der Erfolgszurechnung, insbesondere die Abgrenzung des Begehungs- vom Unterlassungsdelikt. Duncker & Humblot, Berlin

    Google Scholar 

  • Beckermann A (Hrsg) (1985) Analytische Handlungstheorie. Bd. 2 Handlungserklärungen. Suhrkamp, Frankfurt a M

    Google Scholar 

  • Hecker B (2014) Strafrecht: Betrug durch Unterlassen. JuS 54:1133–1135

    Google Scholar 

  • Joerden JC (2001) Unterlassung; Unterlassen. Hist Wb Philos Bd 11, Schwabe, Basel, Sp 304–308

    Google Scholar 

  • Kaufmann A (1959) Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte. Schwartz, Göttingen

    Google Scholar 

  • Kuhlen L (2011) Zur Unterscheidung von Tun und Unterlassen. In: Strafrechtswissenschaft als Analyse und Konstruktion. Festschrift für I Puppe. Duncker & Humblot, Berlin, S 669–683

    Google Scholar 

  • Lux LM (2013) Die konkludente Täuschung beim Betrug. Bonn University Press, Bonn

    Google Scholar 

  • Meggle G (Hrsg) (1985) Analytische Handlungstheorie. Bd. 1 Handlungsbeschreibungen. Suhrkamp, Frankfurt a M

    Google Scholar 

  • Robles Planas R (2013) Negative und positive Pflichten im Strafrecht. GA 160:624–640

    Google Scholar 

  • Rödig J (1969) Die Denkform der Alternative in der Jurisprudenz. Springer, Berlin/Heidelberg, Kap. 2.2.1. und 2.2.3.

    Book  Google Scholar 

  • von Wright GH (1977) Handlung, Norm und Intention. Untersuchungen zur deontischen Logik. Hrsg von Poser H. De Gruyter, Berlin/New York

    Book  Google Scholar 

Download references

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2018 Springer-Verlag Berlin Heidelberg

About this chapter

Check for updates. Verify currency and authenticity via CrossMark

Cite this chapter

Joerden, J.C. (2018). 6. Kapitel: Handlungslogische Strukturen. In: Logik im Recht. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-55964-2_6

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-662-55964-2_6

  • Published:

  • Publisher Name: Springer, Berlin, Heidelberg

  • Print ISBN: 978-3-662-55963-5

  • Online ISBN: 978-3-662-55964-2

  • eBook Packages: Social Science and Law (German Language)

Publish with us

Policies and ethics