2.1 Surrogate für die interne Muskelkraft

Aus unseren Betrachtungen geht klar hervor, dass der Begriff „Krafttraining“ nichtssagend bzw. verwirrend ist. Dabei wäre er intuitiv ja so logisch: Wer Krafttraining betreibt, der trainiert seine Kraft, was denn sonst? Nur, was ist mit Krafttraining konkret gemeint? Etwa die Steigerung Ihrer Gewichtskraft? Sie wissen nun, dass Sie dieses Ziel einfacher erreichen können, wenn Sie zum Nordpol reisen. Dort ist die Gravitation stärker als am Äquator. Vielleicht meinen Sie aber die interne Kraft Ihrer Muskeln. Oder ist es vielmehr die Kraft, die Sie extern ausüben können? Oder meinen Sie mit Kraft in Tat und Wahrheit das Drehmoment oder vielleicht doch nur „die Muskeln“? Leider kann die eigentliche Muskelkraft beim lebenden Menschen nicht direkt gemessen werden. Hierzu wäre es nämlich erforderlich, mindestens ein Sehnenende zu durchtrennen, linear mit einem Kraftsensor zu verbinden und den Muskel zu aktivieren. Anstelle der internen Muskelkraft werden beim Menschen meistens zwei Surrogate verwendet.

Die erste Art von Surrogat haben wir bereits kennengelernt. Es handelt sich dabei um die externen Drehmomente und Kräfte (z. B. Bodenreaktionskraft, Pedalkraft usw.). Aus diesen externen Messgrößen lassen sich unter vielen Annahmen, zum Beispiel über die Hebelverhältnisse, mittels inverser Dynamik die internen Kräfte und Drehmomente abschätzen. Ein zweites Surrogat, welches zwar oft, aber nicht unbedingt sinnvollerweise für die Muskelkraft eingesetzt wird, ist die Muskelgröße. Diese wird gemessen als Muskelvolumen, Muskel(faser)querschnitt, Magermasse oder die daraus berechnete Muskelmasse. Die Korrelation zwischen Muskelgröße und externem Drehmoment oder externer Kraft ist nämlich nicht so gut, wie man erwarten würde. Studien am Menschen haben gezeigt, dass die Größe der Beinmuskulatur nur ca. 25–50 % der Variabilität im Drehmoment oder der Kraft erklärt. Mehr Muskelgröße bzw. -masse muss daher nicht zwingend mit einer Verbesserung der im Kontext von Bewegung physiologisch relevanten Muskelfunktion einhergehen (Anliker und Toigo 2012). Auf diesen wichtigen Aspekt werde ich später noch näher eingehen (s. Abschn. 22.2).

2.2 Wie stark ist „stark“?

In den wenigsten Fitnesscentern oder Sportclubs wird Ihr Trainingserfolg für die trainierten Muskeln systematisch und wissenschaftlich korrekt bzw. vertretbar erfasst, zum Beispiel als externe Kraft in Newton oder als externes Drehmoment in Newton mal Meter. Um den Trainingserfolg in seiner Ganzheit zu erfassen, müsste zudem der Spitzenwert des Drehmoments sowie die bei festgelegten Prozenten des Spitzenwerts und standardisierter Übungsausführung erreichten Zeiten bis zur willkürlichen Erschöpfung (statisch oder dynamisch) bestimmt werden. In der Praxis können Sie meistens nur auf zwei SI-Größen zurückgreifen: die Masse des Widerstands (z. B. der Hantel) in Kilogramm und die Zeit in Sekunden. Das sind auch die zwei Größen, die Sie für die Modulation des Trainingsreizes verwenden können. Wenn Sie eine Übung bezüglich anatomischer Ausführung, Bewegungsspeed und -ausmaß (engl. range of motion,ROM) usw. immer auf exakt dieselbe Art und Weise ausführen, werden Sie in dieser Bewegungsaufgabe bzw. Übung „stärker“, wenn Sie eine höhere Last (Masse des externen Widerstands) und/oder die Last länger bewegen können. Wenn schon, dann sollte man statt von Krafttraining eher von Lastentraining sprechen. Dann würde einem auch bewusster, dass die Fähigkeit, eine Last zu bewegen (beschleunigen und bremsen) und/oder zu halten mehr eine Fertigkeit denn eine Muskeleigenschaft beschreibt.

2.3 Maximale Kraft ist nicht gleich Spitzenkraft

Es existiert ein wichtiger Unterschied zwischen der Spitzenkraft, die bei einem Funktions- bzw. Bewegungsmanöver willkürlich produziert werden kann, und der maximalen willkürlichen Kraft. Beim zweibeinigen Sprung mit Ausholbewegung (engl. countermovement jump) entspricht der typische Spitzenwert der Bodenreaktionskraft, die auf einen Vorfuß wirkt, ca. dem 1,2-fachen des Körpergewichts. Beim mehrfachen Hüpfen auf einem Bein mit gestrecktem Knie und ohne Fersenkontakt beträgt die typische Spitzenkraft ca. das 3- bis 3,5-fache des Körpergewichts, liegt also ca. 2,5- bis 3-mal höher als beim countermovement jump (Anliker und Toigo 2012). Beachten Sie, dass die internen (Muskel-)Kräfte immer größer sind als diejenigen, die Sie dadurch extern erzeugen können. Dies hat damit zu tun, dass die muskulären Momentarme praktisch immer kleiner als die Hebelarme sind. Ganz grob abgeschätzt brauchen Sie ungefähr 20 N Muskelkraft, um 10 N Körpergewicht zu bewegen. Wenn Sie aufrecht auf einem Bein stehen und die Ferse mit gestreckten Knien minimal vom Boden abheben, so liegt das Verhältnis des Abstands vom Vorfuß zum Gelenk (Hebelarm) und vom Gelenk zur Achillessehne (Momentarm) im Bereich von 2,5:1. Die Wadenmuskeln müssen daher das 2,5-fache Ihrer Gewichtskraft aufbringen, um diese Position zu halten. Bei ca. 800 N Körpergewicht (80 kg Körpermasse) entspricht das näherungsweise einer Muskelkraft von 2000 N. Auf das vorherige Beispiel angewendet bedeutet dies Folgendes: Wirkt beim einbeinigen Hüpfen am Vorfuß eine Bodenreaktionskraft, die dem 3,5-fachen Ihrer Körpergewichtskraft entspricht, produzieren Ihre Wadenmuskeln ca. das 8,75-fache Ihrer Körpergewichtskraft. Wenn Ihre Körpermasse 80 kg beträgt, so entspricht dies einer Muskelkraft von ungefähr 7000 N. Zum Vergleich: Die Gewichtskraft eines Kleinstwagens ist ungefähr 8000 N!

Um die maximale willkürliche Kraft zu ermitteln, muss demnach dasjenige Funktions- bzw. Bewegungsmanöver mit der höchsten typischen Spitzenkraft ausgewählt werden. Ein oft vernachlässigter Aspekt bei der Bestimmung der maximalen Kraft ist der Fakt, dass für jeden gegebenen Aktivierungsgrad des Muskels die maximale Kraft bei pliometrischer Kraftproduktion auftritt. Menschliche Muskelfasern produzieren während einer aktiven Dehnung (d. h. die Muskelfaser wird gedehnt, während sie Kraft produziert, sprich aktiv ist) je nach Fasertyp 1,4- bis 2,1-mal mehr Spannung (Kraft pro Querschnittsfläche), als bei einer aktiven Verkürzung (s. Abschn. 5.6). Sie kennen dieses Phänomen auch aus der Praxis: Beim Senken einer Last fühlt sich diese leichter an als beim Anheben. Aus diesen Betrachtungen folgt – um von einer maximalen willkürlichen Kraft zu sprechen – dass die Kraft erstens mit einem Bewegungsmanöver erfasst werden muss, welches die höchste typische Spitzenkraft produziert, und dass sie zweitens zudem bei möglichst maximaler Muskelaktivierung während eines pliometrischen Einsatzes gemessen werden muss.

Box 2.1 Die Begriffe „Spitzenkraft“ und „Maximalkraft“ sind keine Synonyme

Die während eines Bewegungsversuchs bei maximaler willkürlicher Anstrengung gemessene Kraft entspricht der willkürlichen Spitzenkraft. Die während der pliometrischen Kraftproduktion bei maximaler willkürlicher Anstrengung gemessene Spitzenkraft entspricht der maximalen Kraft, sofern es sich um das Bewegungsmanöver handelt, welches die höchste Kraft hervorbringt bzw. hervorbringen kann.

2.4 Die Entschlüsselung der Muskelkraft

Unter dem Begriff „Muskelaktivierung“ versteht man, dass an der Muskelfaser (Abb. 2.1) aufgrund einer Depolarisation der Zellmembran (Sarkolemm) ein Aktionspotenzial ausgelöst wird, welches sich über die Muskelfaserlänge in beide Richtungen zeitgleich fortpflanzt (Abb. 2.2). Molekulare Sensoren im Sarkolemm erfassen die durch das Aktionspotenzial entstandene elektrische Spannung und lösen im Inneren der Muskelfaser die Öffnung von Calciumkanälen in den terminalen Zisternen des sarkoplasmatischen Retikulums aus (Abb. 2.3). Durch die Erhöhung der Calciumkonzentration kommt es zur verstärkten Bindung von Calciumionen an Troponin C (Abb. 5.1). Troponin C reguliert zusammen mit den anderen beiden Troponinuntereinheiten (I und T) die räumliche Anordnung von Tropomyosin. Bei niedriger Calciumkonzentration blockiert das Tropomyosin die Bindungsstellen zwischen Aktin und Myosin, auch als dünne und dicke Filamente bekannt. Erst die verstärkte Bindung von Calciumionen an Troponin C und die nachfolgende Umlagerung von Troponin I und T ermöglichen das Wegdrücken des Tropomyosins und somit eine Interaktion, das heißt die Bildung einer Brücke, zwischen Aktin und Myosin.

Abb. 2.1
figure 1

Aufbau eines Muskels. a Aufbau von Muskelfasern. b Länge-Kraft-Relation eines einzelnen Sarkomers. Beachten Sie, dass Muskelfasern aus parallel verlaufenden Myofibrillen und Myofibrillen aus seriell angeordneten Sarkomeren bestehen. Die Sarkomere können je nach Länge bzw. Grad der Überlappung von Aktin- und Myosinfilamenten unterschiedlich viel Kraft produzieren (aktive Kraftproduktion, rote Linie). Mit zunehmender Sarkomerlänge (Dehnung) steigt auch die passive Kraft (schwarze Linie) im Sarkomer, was wiederum der Dehnung entgegenwirkt

Abb. 2.2
figure 2

(Nach Clauss und Clauss 2009)

Reizübertragung von Motoneuron zu Muskelfaser. Durch die ankommenden Aktionspotenziale (APs) im Motoneuron wird an der Synapse (Kontaktstelle zwischen Motoneuron und Muskelfaser) Acetylcholin (ACh) ausgeschüttet, das an einen nicotinergen Rezeptor der postsynaptischen Membran (d. h. der Muskelfasermembran, dem Sarkolemm) bindet. Diese Membran generiert ein exzitatorisches postsynaptisches Potenzial (EPSP, vgl. hierzu auch Abschn. 9.9 hinsichtlich des EPSPs im Axonhügel des Motoneuronenzellkörpers), das ab einer gewissen Schwelle zu einer Folge von APs führt. Die APs verlaufen entlang des Sarkolemms und werden in die T-Tubuli geleitet. AP, Aktionspotenzial; EPSP, exzitatorisches postsynaptisches Potenzial (s. Abschn. 9.9 und Abb. 9.3).

Abb. 2.3
figure 3

(Nach Clauss und Clauss 2009)

Kopplung zwischen Depolarisation am Sarkolemm und Calciumausschüttung im Sarkoplasma. a Leitung eines Muskelaktionspotenzials über das T-Tubulus-System und Kopplung des elektrischen Signals über die Rezeptoren zur Ca2+-Ausschüttung aus den terminalen Zisternen des sarkoplasmatischen Retikulums. b Mechanismus der Freisetzung von Ca2+-Ionen. Im Ausgangszustand befinden sich die Ca2+-Ionen im Lumen des sarkoplasmatischen Retikulums . Wird die Membran der T-Tubuli depolarisiert , verändert sich die Konformation des Dihydropyridinrezeptors (DHPR). Dadurch öffnet sich der Ryanodinrezeptor und Ca2+-Ionen strömen aus dem sarkoplasmatischen Retikulum in das Cytosol der Muskelzelle, dem Sarkoplasma. Die Ca2+-Ionen werden unter Energierverbrauch wieder in das sarkoplasmatische Retikulum zurücktransportiert .

Die Folge dieser Interaktion ist die Auslösung eines Querbrückenzyklus (s. Abschn. 5.2) mit einhergehender Spaltung von ATP, wobei Kraft (und je nachdem Bewegung) produziert wird (s. Abb. 5.1). Solange am Sarkolemm Aktionspotenziale ausgelöst werden und die Calciumkonzentration in der Region der Myofilamente Aktin und Myosin erhöht bleibt, findet Kraftproduktion statt. Sobald Impulse und Calciumkonzentration abnehmen, nimmt die Kraft ab. Dies ist dadurch bedingt, dass die Calciumionen im Inneren der Muskelfaser aktiv, das heißt mit Energieaufwand (Spaltung von ATP), zurück ins Innere des sarkoplasmatischen Retikulums gepumpt werden (Abb. 2.3). Dies geschieht mittels molekularer Pumpen, die sich in der Membran des sarkoplasmatischen Retikulums befinden. Sobald die Calciumkonzentration unter einen kritischen Wert fällt, setzt die Hemmung des Tropomyosins wieder ein. Man spricht in diesem Zusammenhang von Relaxation oder eben Entspannung. Je schneller ein Muskel das Calcium zurückpumpen kann, desto schneller die Relaxation. Die ATP-Konzentration muss während der Anspannung und der Relaxation regeneriert werden, was durch den Abbau und die Umwandlung von Nahrungsbestandteilen (z. B. Glucose, Fettsäuren usw.) und/oder deren Mobilisierung aus dynamischen Körperspeichern (z. B. Glykogen in Muskel und Leber, Triglyceride aus weißen Fettzellen usw.) geschieht.

Je mehr parallelgeschaltete Querbrückenzyklen stattfinden können (direkt von der Calciumkonzentration um die Myofilamente abhängig), desto größer ist die resultierende Muskel(faser)kraft. Während die Anzahl paralleler Querbrückenzyklen demnach die Muskelfaserkraft beeinflusst, wirkt sich die Anzahl serieller Querbrückenzyklen auf die maximale unbelastete (d. h. ohne externen Widerstand stattfindende) Verkürzungsgeschwindigkeit einer Muskelfaser aus. Je größer die Anzahl serieller Querbrücken, desto höher ist die maximale unbelastete Verkürzungsgeschwindigkeit. Aktin- und Myosinfilamente greifen ineinander und bilden zusammen hexagonale Gitter (sechs Aktinfilamente umgeben ein Myosinfilament) und mehrere solcher Gitter bilden eine Myofibrille (Abb. 2.1a). Eine Muskelfaser enthält ganz viele solcher Myofibrillen. Das Ineinandergreifen der MyofilamenteAktin und Myosin ist für die Kraftproduktion und die Bewegung verantwortlich. Myofibrillen kann man wiederum in funktionell-kontraktile Untereinheiten, die Sarkomere, einteilen (Abb. 2.1a). Die Gesamtzahl Sarkomere innerhalb einer Muskelfaser hängt daher von der Faserlänge (Anzahl Sarkomere in Serie bzw. serieller Querbrückenzyklen) und vom Faserquerschnitt (Anzahl paralleler Sarkomere bzw. paralleler Querbrückenzyklen) ab.

Innerhalb einer Muskelfaser hängt bei gegebener Calciumkonzentration die mögliche Anzahl parallelgeschalteter Querbrücken einerseits vom Überlappungsgrad der Aktin- und Myosinfilamente ab und andererseits von der Anzahl der Myofilamente (d. h. Aktin- und Myosinfilamente). Der Überlappungsgrad hängt von der augenblicklichen Länge des entsprechenden Sarkomers ab. Das Verhältnis zwischen Sarkomerlänge und -kraft wird durch die sogenannte Länge-Kraft-Relation beschrieben (Abb. 2.1b): Bei einem sehr kurzen oder einem sehr langen Sarkomer ist der Überlappungsgrad kleiner (d. h. die Kraftproduktion ist geringer) als bei mittlerer Länge (Kraftproduktion größer). Dies ist einer der Gründe, warum Sie nicht in jeder Gelenkwinkelposition gleich viel Muskelkraft produzieren können. Die Anzahl der Aktin- und Myosinfilamente wiederum ist proportional zur Querschnittsfläche der Muskelfaser. Wenn sich die Querschnittsfläche einer Muskelfaser verändert, so verändert sich auch das Potenzial der Faser, Kraft zu produzieren. Wird die Querschnittsfläche kleiner oder größer, so wird die Faserkraft potenziell entsprechend kleiner oder größer.

2.5 Muskeln im Zebrafell

Das ineinandergreifende Muster der Aktin- und Myosinanordnung ist auch für die unter dem Lichtmikroskop im Faserlängsschnitt erkennbare Querstreifung verantwortlich. Daher nennt man die Skelettmuskulatur oft auch quergestreifte Muskulatur. Man sollte einfach dabei nicht vergessen, dass auch die Herzmuskulatur quergestreift ist.

Man kann eine Myofibrille aufgrund ihrer optischen Eigenschaften in mindestens fünf Bereiche einteilen: Die Bereiche, welche nur Myosinfilamente enthalten, nennt man den A(nisotrope)-Streifen. Die Regionen, welche nur Aktinfilamente enthalten, nennt man I(sotrope)-Streifen. Dort, wo sich Aktin- und Myosinfilamente überlappen, spricht man von H-Zonen, wobei das H für hell steht. Die schwarze dunkle Linie, welche sich in der Mitte der I-Streifen befindet, nennt man Z-Scheibe (Z für zwischen). Der Abstand zwischen zwei Z-Scheiben entspricht der Länge eines Sarkomers. In der Mitte des A-Bandes befindet sich schließlich eine relativ dichte Zone, die man M-Streifen nennt (Abb. 2.1a).

2.6 Qual der Wahl bei der Auswahl des besten Trainingsmittels?

Es sind inzwischen etliche Trainingshilfsmittel verfügbar, die dabei helfen sollen, Kraft und Muskeln auszubilden. Dabei werden grob zwei Klassen unterschieden: Hanteln (auch „freie Gewichte“ genannt) und Maschinen. Die Übungen, bei denen die Trainingshilfsmittel eingesetzt werden, können wiederum auch grob in zwei Klassen eingeteilt werden: solche, bei denen die trainierte Bewegung nur ein Gelenk beansprucht (z. B. Beinstrecken sitzend), und solche, bei denen in mehreren Gelenken gleichzeitig eine Bewegung stattfindet (z. B. Beinpresse oder Kniebeuge). Man nennt erstere oft auch Isolationsübungen und letztere Kombinationsübungen. Im Englischen trifft man zudem noch auf die Begriffe open kinetic chain exercise und closed kinetic chain exercise. Eine kinetische Kette ist in dem Sinne offen, als dass Hand oder Fuß frei beweglich sind, wie bei den Übungen „Bizepscurl“ oder „Beinstrecken sitzend“. Handstand und Kniebeugen wären dagegen Übungen mit geschlossener kinetischer Kette.

2.7 Maschine ist nicht gleich Maschine, oder doch?

Bei den Maschinen, zu denen man im weitesten Sinne auch Kabelzüge und dergleichen zählen kann, muss wiederum nach Bauart und Funktionsprinzip unterschieden werden. Es sprengt den Rahmen und auch die Absicht dieses Buches, sämtliche erdenklichen Variationen zu besprechen. Ich möchte daher nur die wichtigsten Unterschiede erklären. Unabhängig von der Natur des Widerstands (Gewichtskraft der Metallscheiben, Elektromotor, Druckluft, Muskelkraft usw.) kann je nach Bauart des Geräts der Widerstand variieren (oder eben nicht), und zwar

  • innerhalb des Bewegungsumfangs (engl. range of motion,ROM) bei Maschinen mit exzentrischer Kurvenscheibe (engl. cam) und/oder

  • zwischen miometrischem und pliometrischem Einsatz (z. B. Maschinen, bei denen die Last während der pliometrischen Phase selektiv höher ist) und/oder

  • von Wiederholung zu Wiederholung (adaptive Maschinen, d. h. der Widerstand nimmt mit zunehmender Ermüdung ab).

Weiter gibt es einzelne Gerätehersteller, die Maschinen mit direktem Widerstand fabrizieren. Mit „direkt“ ist gemeint, dass der Widerstand an dem Knochen ansetzt, der durch Muskelkraft bewegt werden soll (Isolationsübung, siehe oben). Nehmen Sie zum Beispiel die Übung „Pullover“ (Überzüge).

„Direkt“ bedeutet hier, dass der Widerstand am Oberarm ansetzt und dass der Oberarm primär durch die Kraft Ihres großen Rückenmuskels gegen diesen Widerstand bewegt oder gehalten wird. Schließlich bieten Maschinen im Unterschied zu Hanteln einen Rotationswiderstand. Die Gewichtskraft einer Hantel ist immer zum Erdmittelpunkt gerichtet, während die Bewegungen in einem Gelenk (z. B. Beugung oder Streckung) Rotationsbewegungen sind. Auch wenn sich der Widerstand, wie zum Beispiel die Hantelstange beim Bankdrücken, linear bewegt, so rotieren die Oberarmknochen dabei im Schultergelenk und die Unterarmknochen im Ellbogengelenk. Eingelenkmaschinen zur Ausführung von Isolationsübungen können nun so konstruiert werden, dass der Widerstand möglichst gegen die Rotationsrichtung wirkt.

Abschließend sei erwähnt, dass es auch Maschinen gibt, bei denen nicht der Widerstand, sondern der Bewegungsspeed vorgegeben wird, das heißt man drückt oder zieht immer mit maximaler Anstrengung – der Bewegungsspeed bleibt konstant. Das vermeintlich stärkste Pferd im argumentativen Rennstall der Geräteproduzenten ist aber der variable Rotationswiderstand innerhalb des ROMs, auch „angepasster Widerstand“ genannt. Die Idee hinter dem angepassten Widerstand ist, dass das durch den Trainingswiderstand und den Hebelarm erzeugte externe Drehmoment variiert wird, und zwar der Winkel-Drehmoment-Relation des Muskels, also dem internen Drehmoment gemäß: In den Gelenkpositionen, in denen das muskuläre Drehmoment am größten ist (wo Sie am „stärksten“ sind), soll das externe Drehmoment am größten sein und vice versa. Dies soll das Training relativ zum Hanteltraining besonders effektiv bzw. überlegen machen. Fälschlicherweise wird in diesem Zusammenhang immer von der Kraftkurve gesprochen.

Box 2.2 Maschinen- oder Hanteltraining?

Die Frage, welches Training – Maschinen- oder Hanteltraining – sich für den Muskelaufbau grundsätzlich besser eignet, ergibt keinen Sinn. Sie bekommen nicht große Muskeln, weil Sie mit Hanteln statt Geräten trainieren. Umgekehrt haben Sie nicht kleine Muskeln, weil Sie mit Geräten statt Hanteln trainieren. Die Wahl des Trainingsmittels (ob Maschine, Hantel, eigener Körper usw.) ist zweitrangig. Wenn Sie richtig trainieren und gute (epi-)genetische Voraussetzungen (s. Kap. 21) haben, können Sie sowohl mit Hanteln als auch mit Maschinen oder Ihrem eigenen Körpergewicht als Trainingswiderstand gute Resultate erzielen. Maschinen, Hanteln, Seilzüge, Körpergewicht usw. schließen sich nicht gegenseitig aus. Entscheidender ist, wie Sie die Übungen ausführen (s. Kap. 9) und dass eine sukzessive Steigerung des Widerstands möglich ist (progressives Training). Wenn die Übungsausführung schlecht ist (und ja, leider ist das in vielen Trainingsstätten der Fall), nützen die besten Trainingsmittel nichts. Der Fokus sollte statt auf dem Trainingsmittel auf der Bewegungsausführung liegen. Eine hohe Trainingsqualität ist das A und O eines verletzungsfreien und quantitativ erfolgreichen Muskel- und Kraftaufbaus. Ich rate daher zu einer pragmatischen Vorgehensweise. Wählen Sie je nach Übung das Trainingsmittel, bei dem Sie die zu trainierenden Muskeln am meisten spüren, das heißt bei denen es im guten Sinne am meisten „weh tut“.

2.8 Die ominöse Kraftkurve

Es wird nun behauptet, es existiere eine natürliche, optimale Kraftkurve des Muskels und der Widerstand des Trainingsmittels müsse möglichst an diese angepasst sein, um erstens effektiv zu trainieren und zweitens Dysbalancen zu vermeiden. Das Verkaufsargument ist, dass Dysbalancen in der Kraftkurve, definiert als Abweichung der Kraftkurve des Muskels vom natürlichen, idealen Verlauf, kausal zu muskuloskelettalen Problemen wie Rückenschmerzen führen. Leider sind die meisten Behauptungen im Zusammenhang mit der Kraftkurve aber Wischiwaschi. Das große Problem ist nämlich, dass der Verlauf der Muskelkraft während der Gelenkrotation nicht zwingend mit dem Verlauf des muskulären Drehmoments übereinstimmt, weil bei der Gelenkrotation auch der Momentarm variieren kann. Muskelkraft und muskuläres Drehmoment dürfen daher grundsätzlich nicht als Synonyme verwendet werden. Weiter sind die Kraftkurven (genauer die Länge-Kraft-Relationen) von menschlichen Muskeln unbekannt.

2.8.1 Lektionen vom Froschmuskel

Der Zusammenhang zwischen Sarkomerlänge, Gelenkwinkel, Momentarm, interner Muskelkraft und muskulärem Drehmoment ist bis anhin nur für den M. semitendinosus des Frosches bestimmt worden. Dieser zweigelenkige Muskel der ischiocruralen Muskulatur ist am Becken und Unterschenkel befestigt und trägt zur Beinbeugung bei.

In entsprechenden Experimenten am Frosch wurden die oben genannten Messgrößen über einen ROM von 180° (von der vollen Kniegelenksstreckung bei 0° zur vollen Beugung bei 180°, das Hüftgelenk war dabei immer 90° gebeugt) erfasst (Lieber und Boakes 1988a, b). Das muskuläre Drehmoment war bei ca. 110° Beugung am höchsten, während die Muskelkraft ihren Spitzenwert bei leicht weniger als 160° Beugung erreichte. Der Momentarm war bei ca. 90° Beugung am größten. Dabei beschrieben die Messpunkte für den Momentarm einen Parabelbogen (nahmen mit der Kniebeugung bis 90° zu und danach wieder ab) und diejenigen für die Kraft eine Gerade (d. h. sie nahmen bei einer Beugung bis 160° linear zu). Sogar in diesem isolierten muskuloskelettalen System resultierte demnach das Drehmoment aus der Interaktion zwischen den Muskel- und Gelenkeigenschaften und nicht bloß aus dem einen oder dem anderen (Abb. 2.4). Behauptungen, wonach Maschinen mit angepasstem Widerstand grundsätzlich effektiver seien, entbehren also einer wissenschaftlichen Basis.

Abb. 2.4
figure 4

(Nach Lieber und Boakes 1988b)

Interaktion zwischen Muskel- und Gelenkeigenschaften. Der Gelenkwinkel, bei dem die höchste Muskelkraft produziert werden kann, muss grundsätzlich nicht mit dem Gelenkwinkel übereinstimmen, bei dem das höchste muskuläre Drehmoment generiert werden kann. Der Grund hierfür ist, dass nicht nur die Kraft, sondern auch der effektive Momentarm je nach Gelenkwinkel variieren kann. Im dargestellten Beispiel des Froschmuskels sehen Sie, dass die höchste Muskelkraft bei einem wesentlich größeren Gelenkwinkel (zwischen 150–160°) auftritt als das größte Drehmoment (ca. 110°).

Hinzu kommt, dass die Länge-Kraft-Relation eines Muskels von den Winkelpositionen der Gelenke abhängig ist, die er beeinflusst (im Beispiel des Froschmuskels eben auch vom Hüftgelenkwinkel). Beispielsweise ist davon auszugehen, dass die Länge-Kraft-Relation des Bizepsmuskels variiert, je nachdem in welcher Schultergelenkposition ein Bizepscurl durchgeführt wird (d. h. je nachdem, in welcher Position sich der Oberarmknochen zum Schultergelenk bzw. Oberkörper befindet).

2.8.2 Die Launen der Kraftkurve

Es gibt noch ein zweites Problem im Zusammenhang mit der optimalen Kraftkurve. Im oben beschriebenen Froschexperiment nahm die durchschnittliche Sarkomerlänge während der Knieflexion von 3,6 auf 2 μm ab, das heißt jedes Sarkomer musste sich um 1,6 μm verkürzen. Nun, diese Zahl muss nicht zwingend so groß sein, denn je mehr Sarkomere in Serie vorhanden sind, das heißt, je länger die Muskelfasern sind, desto weniger muss sich jedes Sarkomer für dieselbe Änderung der Muskellänge verkürzen. Hätte es doppelt so viele Sarkomere in Serie gegeben, so hätte sich jedes Sarkomer nur um 0,8 μm verkürzen müssen. Aus der je nach der Anzahl serieller Sarkomere unterschiedlich starken Änderung der Länge von einzelnen Sarkomeren folgt demnach eine von der Muskellänge abhängige und unterschiedlich starke Änderung des Überlappungsgrades zwischen Aktin und Myosin bzw. der Anzahl an Querbrücken und somit der Muskelfaserkraft.

Angenommen, ein Muskel-Gelenk-System wäre so aufgestellt, dass der Muskel bei 40° Streckung am kürzesten und bei 80° Streckung am längsten ist. Der funktionelle Gelenk-ROM wäre in diesem Fall 40°. Nehmen Sie nun weiter an, dass die Anzahl der Sarkomere in Serie bzw. die Länge der Muskelfasern signifikant zunimmt. Was geschieht mit dem Gelenk-ROM? Einerseits steigt der Gelenk-ROM mit der Zunahme der Zahl an seriellen Sarkomeren (s. Abschn. 3.1 und 10.2), sagen wir von 40° auf 75°. Andererseits verschiebt sich aber auch die Winkel-Muskelkraft-Relation in Richtung größerer Gelenkwinkel: Bei minimaler Länge beträgt der nun eingenommene Gelenkwinkel 70° (statt der ursprünglichen 40°), bei maximaler Länge sind es neu 145° (statt ursprünglich 80°).

Dieses Beispiel zeigt, dass das Verhältnis zwischen Muskelfaserlänge (Anzahl der Sarkomere in Serie) und Länge des Momentarms bestimmt, wie stark sich die Sarkomere während der Gelenkrotation verkürzen werden und somit auch, wie stark die interne Muskelkraft bei der Gelenkrotation variieren wird: Ist die Länge der Fasern relativ zu der des Momentarms groß, so wird die Änderung der Sarkomerlänge und somit der Faserkraft während der Gelenkrotation klein sein. Ist aber die Länge der Fasern relativ zu der des Momentarms gering, so werden sich Sarkomerlänge und Faserkraft bei der Gelenkrotation stark verändern.

Das Verhältnis zwischen Faser- und Momentarmlänge wurde beim Menschen für verschiedene Muskeln des Unterkörpers geschätzt. Beim M. glutaeus maximus (großer Gesäßmuskel) war das Verhältnis mit 79,5 am höchsten, gefolgt vom M. glutaeus minimus (kleiner Gesäßmuskel) mit 13,9 und M. sartorius (Schneidermuskel) mit 10,8. Am kleinsten (0,9) war das Verhältnis beim M. soleus (Schollenmuskel). Die vorderen und hinteren Oberschenkelmuskeln liegen mit 1,8 nur wenig darüber und auch der M. gastrocnemius (Zwillingswadenmuskel) weist mit 1,5 einen geringen Wert auf. Für die anderen Beinmuskeln (Adduktoren, Pronatoren usw.) liegen die Werte irgendwo zwischen 1 und 8. Diese Zahlen bedeuten, dass die interne Muskelfaserkraft beim M. glutaeus maximus bei der Gelenkrotation viel stärker variiert als beim M. soleus, wo sie praktisch konstant bleibt. Auch wenn also der genaue interne Kraftverlauf während der Gelenkrotation bekannt wäre (was er nicht ist), wäre bei Muskeln mit einem geringen bis mittleren Verhältnis zwischen Muskelfaser- und Hebelarmlänge beim Gebrauch von speziell konstruierten Maschinen mit exzentrischer Kurvenscheibe kaum mit einem Zusatznutzen zu rechnen.

2.8.3 Warum Dysbalancen natürlich sind

Das Spannende ist nun, dass die Anzahl der Sarkomere in Serie bzw. die Muskelfaserlänge keine konstante Größe ist, sondern in Abhängigkeit des (Nicht-) Gebrauchs bzw. Trainings des Muskels reguliert wird, das heißt die Anzahl der Sarkomere in Serie zu- oder abnimmt. Die genauen Mechanismen und die Konsequenzen für die Praxis werde ich in Abschn. 10.2 genau erläutern. So viel vorweg: Die Muskel(faser)länge passt sich so an die Beanspruchung an, dass ihre Sarkomere bei optimaler Länge, das heißt auf oder nahe dem Plateau der Länge-Kraft-Relation (Abb. 2.1b), operieren. Bei dieser Länge ist die Filamentüberlappung optimal und die resultierende Kraft maximal. Dies bedeutet automatisch, dass die Kraftkurve (d. h. die Länge-Kraft-Relation) des Muskels das Resultat der typischen Muskelbeanspruchung ist. „Optimal“ ist daher relativ zum momentanen Gebrauchsmuster des Muskels zu verstehen. Anders ausgedrückt, kann für einen Spitzensportler, der einen bestimmten Muskel in der sportlichen Bewegung vorwiegend bei verkürzter Länge einsetzt, das Training an einem Gerät mit angepasster Kraftkurve suboptimal oder im schlechtesten Fall leistungshemmend sein. Warum?

Sind die Muskelfasern an den spezifischen alltäglichen Gebrauch bei kurzer Muskellänge angepasst, das heißt sie haben relativ gesehen weniger Sarkomere in Serie, und werden dann an Kraftübungen (egal ob Hanteln oder Maschinen) über eine unüblich lange Muskelfaserlänge eingesetzt, so wird eine relative Längenzunahme ausgelöst. Konkret bedeutet dies, dass mehr Sarkomere in Serie eingebaut werden, um dem neuen funktionellen Gebrauch bei größerer Muskellänge gerecht zu werden – die Länge-Kraft-Kurve verschiebt sich in Richtung einer größeren Muskellänge (siehe obiges Beispiel). Eine Folge davon ist, dass bei gleichem Gelenkwinkel nun eine andere Muskelkraft und eventuell ein anderes Drehmoment wirken. Geht man nun davon aus, dass zum Beispiel bei einem Speerwerfer die muskulären Drehmomente in Abhängigkeit von der Winkelposition innerhalb und zwischen den Muskeln so abgestimmt sind, dass der Speer möglichst weit geworfen werden kann, so wird klar, dass eine Verschiebung der Kraftkurve die sportliche Aufgabe des Speerwurfs beeinflussen kann (negativ oder positiv).

2.9 Zusammenfassung: Folgen sie nicht blind dem Kniebeugen-Trend

Die einen schwören aufs Krafttraining mit freien Gewichten. Die anderen predigen Krafttraining an Maschinen. Nicht zu vergessen sind auch die Anhänger des Trainings mit Körpergewicht. So verschieden diese drei Glaubensrichtungen auch sein mögen – mindestens eine Gemeinsamkeit verbindet deren Vertreter: Alle behaupten Sie, dass Ihr Trainingsmittel das effektivste sei. Dies, obwohl in jedem Lager Leute anzutreffen sind, die sehr muskulös und kräftig sind. Sie ahnen es bereits: Die Wahl des Trainingsmittels, sei dies nun eine Hantel, eine Maschine, oder Ihr eigener Körper, kann kaum der entscheidende Faktor für den Trainingserfolg sein. Wenn Sie mit Krafttraining Ihre individuellen genetischen Möglichkeiten hinsichtlich von Muskel- und Kraftzuwachs ausschöpfen wollen, sollten Sie sich vielmehr darauf konzentrieren, während des Trainings Ihre Muskeln vorübergehend zu schwächen. Ja, schwächen! Das Trainingsziel besteht somit in der Auslösung von Anpassungsvorgängen in Muskel- und Nervenzellen, die dazu führen, dass sie muskulöser und stärker werden. Insofern geht es weniger darum, anderen zu zeigen, welche Kunststücke Sie mit einer beladenen Hantelstange anstellen können. Wenn die Übungsausführung schlecht ist, nützen die besten Trainingsmittel nichts.

Ähnliches gilt auch für die sogenannten „Grundübungen“ wie beispielsweise die Kniebeuge, das Kreuzheben und das Bankdrücken, welche (wieder einmal) in Mode sind. In den Fitnesscentern sieht man vermehrt junge Kundinnen und Kunden, aber auch ältere Semester, die sich mit solchen Übungen endlos abmühen, oftmals wie es scheint mehr schlecht denn recht. Auslöser dieses vermeintlichen „Booms“ sind u. a. Behauptungen und Versprechungen von Coach-Gurus o. Ä., wonach die Ausführung solcher „Grundübungen“ zwingend sei für die Steigerung der Muskelmasse (und -kraft), dass man nur durch solch „goldene Übungen“ einen knackigen Po erlangen könne oder dass diese Übungen gar „funktioneller“ seien als andere.

Glauben kann man natürlich alles, es existieren aber trotzdem keine harten wissenschaftlichen Daten, welche die oben genannten Behauptungen ohne Wenn und Aber belegen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass es ganz grundsätzlich nicht die eine Übung gibt, die für alle Personen die beste Übung ist. Mit welchen Übungen Sie die zu trainierenden Muskeln nämlich am besten „erreichen“ können, richtet sich nach Ihren anatomischen Voraussetzungen, Ihren motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten (z. B. hinsichtlich des Muskelzusammenspiels), der Mobilität der involvierten Gelenke etc. Die Aktivierung der Zielmuskeln im Training ist zwar eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich die erwünschten Trainingsanpassungen mit der Zeit einstellen können, sie ist jedoch kein Garant dafür. Vielmehr braucht es eine geeignete mechanische und metabolische Beanspruchung der Zielmuskulatur, damit die muskelaufbauenden Vorgänge langlebig angeregt werden (s. Kap. 13). Daher ist die Trainingsqualität im Vergleich zum Trainingsmittel wohl entscheidender: Die vermeintlich „beste“ Übung bringt nichts, wenn Sie diese Übung nicht korrekt ausführen können, aus welchen Gründen auch immer. Ich rate Ihnen daher ganz prinzipiell, jeden Muskel in seinen kompletten Bewegungsfunktionen (s. Abschn. 9.14 und 9.18) zu trainieren und hierzu diejenigen Übungen und Trainingsmittel auszuwählen, bei denen Sie die Zielmuskeln sicher und effizient am stärksten ermüden können. Beginnen Sie damit, dass Sie für jede Übung das Trainingsmittel auswählen, bei dem Sie die zu trainierenden Muskeln am meisten spüren, das heißt bei denen es während der Übungsausführung im guten Sinne am meisten „weh tut“.