Zusammenfassung
Der 54-jährige M hatte seit seiner Strafmündigkeit wegen verschiedenster Tötungs-, Körperverletzungs- und Raubdelikte den überwiegenden Teil seines Lebens in Haftanstalten verbracht. Zuletzt war er im Jahr 1986 rechtskräftig wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit Raub durch das zuständige Landgericht zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden. Nach Verbüßung der fünfjährigen Freiheitsstrafe befand er sich seit 1991 im Maßregelvollzug einer hessischen Justizvollzugsanstalt. Die dortigen Unterbringungsbedingungen für Personen, die sich in der Sicherungsverwahrung befinden, ähnelten weitestgehend denen des Strafvollzugs. Generell waren die Sicherungsverwahrten in der Bundesrepublik Deutschland zwar in separaten Abteilungen, aber doch in regulären Strafanstalten untergebracht. Die ihnen gegenüber den gewöhnlichen Strafgefangenen gewährten Privilegien waren ihrer praktischen Ausgestaltung nach so marginal, dass es insoweit keine wesentlichen Unterschiede gab. Darüber hinaus fehlte es bei Sicherungsverwahrten wie M im Vergleich zu Langzeitstrafgefangenen an Maßnahmen, Instrumenten oder Einrichtungen, die zu einer Reduzierung der von ihnen und gerade von M ausgehenden Gefahr beitragen konnten. M selbst erhielt einige Male im Jahr Ausführungen sowie regelmäßige Besuche seiner Lebensgefährtin.
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- 1.
BGBl. I, 160.
- 2.
BVerfGE 109, 133 ff.
- 3.
BGBl. I, 2300; dazu Kinzig, NJW 2011, 177 ff.
- 4.
Vgl. BT-Drs. 17/3403, S. 20.
- 5.
BVerfGE 128, 326; dazu Esser, JA 2011, 727 (732 ff.); Hörnle, NStZ 2011, 488 ff.; Mitsch, JuS 2011, 785 ff.; Peglau, NJW 2011, 1924 ff.; Streng, JZ 2011, 827 ff.; Zabel, JR 2011, 467 ff.; Payandeh/Sauer, Jura 2012, 289 ff.; Schöch, GA 2012, 14 ff.
- 6.
BVerfGE 128, 326 (375).
- 7.
Dazu SK-Sinn, Vor §§ 66 ff. Rn. 30; Mosbacher, HRRS 2011, 229 (237 ff.).
- 8.
BGBl. I, 2425; zu dessen Inhalt etwa Dessecker, BewHi 2013, 309 ff.; Lesting/Feest, StV 2013, 278 ff.; Peglau, JR 2013, 249 ff.; Pollähne, StV 2013, 249 ff.; Renzikowski, NJW 2013, 1638 ff.; Zimmermann, HRRS 2013, 164 ff.; s. auch Schäfersküpper/Grote, NStZ 2016, 197 ff.
- 9.
Die zeitlich vorausgehende Haftstrafe und Sicherungsverwahrung stellen zwar ebenfalls Eingriffe in das Recht des M auf Freiheit dar, wären aber gem. Art. 5 I S. 2 lit. a EMRK gerechtfertigt. Vgl. dazu auch die Ausführungen unter 3. d) aa).
- 10.
Nach dem Wortlaut des Art. 5 I S. 1 EMRK sind mit dem Recht auf Freiheit und Sicherheit eigentlich zwei verschiedene Schutzgüter zu unterscheiden. Das Recht auf Sicherheit hat aber in der Rechtsprechung des EGMR bislang kaum eigenständige Bedeutung erlangt. Lediglich bei völkerrechtswidrigen Maßnahmen eines Staates außerhalb seines Hoheitsgebiets, etwa bei Festnahmen und Entführungen von Personen im Ausland ohne Zustimmung des anderen Staates, soll es einen gewissen Schutz bewirken; vgl. Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 5 Rn. 5, 21; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 21 Rn. 3 m. w. N.
- 11.
Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 5 Rn. 1; Esser, IntStR, § 9 Rn. 165; Schilling, Menschenrechtsschutz, Rn. 195.
- 12.
Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 21 Rn. 2.
- 13.
Elberling, in: Karpenstein/Mayer (Hrsg.), EMRK, Art. 5 Rn. 4; Peters/Altwicker, EMRK § 18 Rn. 3.
- 14.
Satzger, IntStR, § 11 Rn. 49; Trechsel, EuGRZ 1980, 514 (515). Art. 5 EMRK schützt den Einzelnen nur vor einer willkürlichen Festnahme und Freiheitsentziehung, nicht aber auch vor einer unangemessenen Behandlung während seines Freiheitsentzuges. Will ein Beschwerdeführer vor dem EGMR etwa unangemessene Haftbedingungen rügen, so muss er für seine Argumentation auf die in Art. 3 oder 8 EMRK verankerten Menschenrechte Bezug nehmen.
- 15.
Weitere Teilgarantien sind die Niederlassungsfreiheit (Art. 2 I Alt. 2 ZP 4 EMRK) sowie das Recht, das Land zu verlassen (Art. 2 II ZP 4 EMRK).
- 16.
Insofern ist es dogmatisch ebenfalls gut vertretbar, die Abgrenzung zwischen Art. 5 I EMRK und Art. 2 ZP 4 EMRK erst auf der Prüfungsstufe des Eingriffs vorzunehmen.
- 17.
Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 21 Rn. 8; Peters/Altwicker, EMRK, § 18 Rn. 5.
- 18.
Esser, IntStR, § 9 Rn. 168; Satzger, IntStR, § 11 Rn. 49.
- 19.
Vgl. Frowein/Peukert, EMRK, Art. 5 Rn. 10; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 21 Rn. 6.
- 20.
EGMR v. 16.6.2005, 61603/00 Nr. 75 ff., NJW-RR 2006, 308 (310) – Storck/Deutschland; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 5 Rn. 6.
- 21.
Vgl. EGMR v. 23.9.1998, 24838/94 Nr. 54 – Steel u. a./Vereinigtes Königreich; EGMR v. 28.3.2000, 28358/95 Nr. 56 – Baranowski/Polen; EGMR v. 17.12.2009, 19359/04 Nr. 90, NJW 2010, 2495 (2496) – M./Deutschland; EGMR v. 26.6.2012, 33376/07 Nr. 79 ff. – Piruzyan/Armenien; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 21 Rn. 11; Satzger, IntStR, § 11 Rn. 49a.
- 22.
Die Gegenauffassung ist bei entsprechender Argumentation ebenfalls gut vertretbar; zweifelnd insoweit auch EGMR v. 17.12.2009, 19359/04 Nr. 104, NJW 2010, 2495 (2497) – M./Deutschland.
- 23.
EGMR v. 27.11.1997, 25629/94 Nr. 72, NJW 1999, 775 ff. – K. und F./Deutschland; EGMR v. 4.8.1999, 31464/96 Nr. 44 ff., NJW 2000, 2888 f. – Douiyeb/Niederlande; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 5 Rn. 12; Schilling, Menschenrechtsschutz, Rn. 198; zurückhaltend Esser, IntStR, § 9 Rn. 173.
- 24.
EGMR v. 27.11.1997, 25629/94 Nr. 63, NJW 1999, 775 ff. – K. und F./Deutschland; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 21 Rn. 14; Peters/Altwicker, EMRK, § 18 Rn. 23.
- 25.
Vgl. Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 5 Rn. 14; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 21 Rn. 14; Schilling, Menschenrechtsschutz, Rn. 200.
- 26.
Näher dazu Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 5 Rn. 15 ff.; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 21 Rn. 14 f. jeweils m. w. N.
- 27.
Die abschließende Regelung im Katalog des Art. 5 I S. 2 lit. a bis f EMRK ist dabei restriktiv auszulegen. Allerdings kann eine Freiheitsentziehung auch nach mehreren der dort geregelten Ausnahmetatbestände gerechtfertigt sein, so dass im Gutachten alle einschlägigen Haftgründe zu prüfen sind.
- 28.
EGMR v. 17.12.2009, 19359/04 Nr. 88, NJW 2010, 2495 (2496) – M./Deutschland.
- 29.
Laue, JR 2010, 198 (200).
- 30.
Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 21 Rn. 17; Trechsel, EuGRZ 1980, 514 (523 f.).
- 31.
Näher zu den Unterschieden zwischen Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung Pösl, ZJS 2011, 132 (133 f.).
- 32.
Die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammern folgt aus §§ 463 I, 462a I StPO i. V. m. § 78a GVG.
- 33.
EGMR v. 17.12.2009, 19359/04 Nr. 88, NJW 2010, 2495 (2496) – M./Deutschland.
- 34.
Vgl. etwa EGMR v. 2.3.1987, 9787/82 Nr. 42, NJW 1989, 647 – Weeks/Vereinigtes Königreich; EGMR v. 12.2.2008, 21906/04 Nr. 117 – Kafkaris/Zypern; EGMR v. 17.12.2009, 19359/04 Nr. 88, NJW 2010, 2495 (2496) – M./Deutschland.
- 35.
Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 21 Rn. 18; Peters/Altwicker, EMRK, § 18 Rn. 13; Satzger, IntStR, § 11 Rn. 49c; ders., StV 2013, 243 (247).
- 36.
EGMR v. 17.12.2009, 19359/04 Nr. 88, NJW 2010, 2495 (2496) – M./Deutschland.
- 37.
EGMR v. 17.12.2009, 19359/04 Nr. 88, NJW 2010, 2495 (2497) – M./Deutschland. Vertretbar erscheint auch die Gegenauffassung mit dem Argument, dass das erstinstanzliche Strafgericht im Jahr 1986 nicht über die Dauer der Sicherungsverwahrung entschieden hat, da dies Sache der Strafvollstreckungskammern ist. Diesen Standpunkt hatte auch die Bundesregierung im Verfahren M./Deutschland vertreten. Dagegen spricht allerdings, dass die Vollstreckungsgerichte hinsichtlich der Dauer der Sicherungsverwahrung an den zum Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Gerichts geltenden Rechtsrahmen gebunden sind.
- 38.
EGMR v. 13.1.2011, 6587/04 Nr. 90 – H./Deutschland, Rn. 90; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 5 Rn. 39.
- 39.
EGMR v. 7.3.2013, 15598/08 Nr. 85, NVwZ 2014, 43 (46) – Ostendorf/Deutschland.
- 40.
EGMR v. 24.10.1979, 6001/73 Nr. 39 – Winterwerp/Niederlande; EGMR v. 19.1.2012, 21906/09 Nr. 70, NJW 2013, 1791 (1793) – Kronfeldner/Deutschland.
- 41.
EGMR v. 13.1.2011, 6587/04 Nr. 78, NJW 2011, 3423 – Haidn/Deutschland; EGMR v. 19.1.2012, 21906/09 Nr. 72, NJW 2013, 1791 (1794) – Kronfeldner/Deutschland
- 42.
Darüber hinaus werden Art. 7 EMRK als weitere Teilgewährleistungen auch ein Bestimmtheitsgebot sowie ein Analogieverbot entnommen; vgl. Esser, IntStR, § 9 Rn. 281 ff.; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24 Rn. 145 ff.; Satzger, IntStR, § 11 Rn. 82 ff.
- 43.
EGMR v. 17.12.2009, 19359/04 Nr. 120, NJW 2010, 2495 (2497) – M./Deutschland; Esser, IntStR, § 9 Rn. 281. Die autonome Auslegung zentraler Begrifflichkeiten der EMRK ist für den Schutz der menschenrechtlichen Gewährleistungen von besonderer Bedeutung. Mit ihrer Hilfe wird verhindert, dass sich einzelne Konventionsstaaten durch bloße terminologische „Umetikettierung“ nationaler Rechtsinstitute dem Anwendungsbereich der EMRK entziehen können.
- 44.
EGMR v. 17.12.2009, 19359/04 Nr. 120, NJW 2010, 2495 (2497) – M./Deutschland.
- 45.
Vgl. insoweit auch § 2 VI StGB.
- 46.
EGMR v. 17.12.2009, 19359/04 Nr. 127, NJW 2010, 2495 (2498) – M./Deutschland.
- 47.
EGMR v. 17.12.2009, 19359/04 Nr. 127, NJW 2010, 2495 (2498 f.) – M./Deutschland.
- 48.
EGMR v. 17.12.2009, 19359/04 Nr. 130, NJW 2010, 2495 (2499) – M./Deutschland. Für die Annahme, die Sicherungsverwahrung enthalte auch Elemente der Abschreckung, lässt sich anführen, dass die Sicherungsverwahrung nach der gängigen Praxis der Strafvollstreckungsgerichte überwiegend vor ihrer Anordnung zunächst angedroht wurde; vgl. Kinzig, NStZ 2010, 233 (237); Pösl, ZJS 2011, 132 (137).
- 49.
Müller, StV 2010, 207 (210).
- 50.
EGMR v. 17.12.2009, 19359/04 Nr. 132, NJW 2010, 2495 (2499) – M./Deutschland.
- 51.
Pösl, ZJS 2011, 132 (137).
- 52.
EGMR v. 17.12.2009, 19359/04 Nr. 128, NJW 2010, 2495 (2499) – M./Deutschland.
- 53.
EGMR v. 7.1.2016, 23279/14 Nr. 114, EuGRZ 2016, 352 (362) – Bergmann/Deutschland.
- 54.
Insofern unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von der Konstellation in EGMR v. 7.1.2016, 23279/14 Nr. 114, EuGRZ 2016, 352 (363) Bergmann/Deutschland, in der eine psychische Krankheit des Beschwerdeführers festgestellt worden war.
- 55.
EGMR v. 7.1.2016, 23279/14 Nr. 181, EuGRZ 2016, 352 (369) – Bergmann/Deutschland.
- 56.
EGMR v. 7.1.2016, 23279/14 Nr. 170, EuGRZ 2016, 352 (367) – Bergmann/Deutschland.
- 57.
EGMR v. 7.1.2016, 23279/14 Nr. 161, EuGRZ 2016, 352 (366) – Bergmann/Deutschland.
- 58.
EGMR v. 7.1.2016, 23279/14 Nr. 177, EuGRZ 2016, 352 (368) – Bergmann/Deutschland.
- 59.
BVerfGE 128, 326.
- 60.
EGMR v. 7.1.2016, 23279/14 Nr. 177, EuGRZ 2016, 352 (368) – Bergmann/Deutschland.
- 61.
EGMR v. 7.1.2016, 23279/14 Nr. 179, EuGRZ 2016, 352 (368) – Bergmann/Deutschland.
- 62.
EGMR v. 7.1.2016, 23279/14 Nr. 182, EuGRZ 2016, 352 (369) – Bergmann/Deutschland.
Hinweise auf Rechtsprechung und Literatur
EGMR NJW 2010, 2495 (M./Deutschland)
EGMR NJW 2013, 1791 (Kronfeldner/Deutschland)
EGMR EuGRZ 2016, 352 (Bergmann/Deutschland)
Dessecker, Das neue Recht des Vollzugs der Sicherungsverwahrung: ein erster Überblick, BewHi 2013, 309 ff.
Kinzig, Das Recht der Sicherungsverwahrung nach dem Urteil des EGMR in Sachen M. gegen Deutschland, NStZ 2010, 233 ff.
Pösl, Die Sicherungsverwahrung im Fokus von BVerfG, EGMR und BGH, ZJS 2011,132 ff.
Esser, Internationales und Europäisches Strafrecht, 2014, § 9 Rn. 165–201, 280–291
Esser, Sicherungsverwahrung, JA 2011, 727 ff.
Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl., 2016, § 21, § 24 Rn. 145–161
Mitsch, Was ist Sicherungsverwahrung und was wird aus ihr?, JuS 2011, 785 ff.
Peglau, Das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung, JR 2013, 249 ff.
Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 6. Aufl., 2016, § 11 Rn. 48–56, 81–89
Schäfersküpper/Grote, Neues aus der Sicherungsverwahrung – Eine aktuelle Bestandsaufnahme, NStZ 2016, 197 ff.
Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, 2. Aufl., 2010, § 11
Zimmermann, Das neue Recht der Sicherungsverwahrung, HRRS 2013, 164 ff.
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Zöller, M.A. (2017). Sicher ist sicher. In: Fallsammlung zum Europäischen und Internationalen Strafrecht. Juristische ExamensKlausuren. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54021-3_16
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