Zusammenfassung
Im September 1995, einer Zeit, die in Griechenland durch ein von terroristischen Anschlägen gegen ausländische Interessen geprägtes Klima gekennzeichnet war, überfuhr der griechische Staatsangehörige G mit seinem Pkw nachts eine rote Ampel an einer Kreuzung im Zentrum von Athen nahe der US-Botschaft. Als er auf die Aufforderung einer dort befindlichen Polizeistreife hin nicht anhielt, sondern seine Fahrt mit erhöhter Geschwindigkeit fortsetzte, nahm diese die Verfolgung auf. Kurz darauf beteiligten sich weitere Polizisten in Pkws und auf Motorrädern an der Verfolgungsjagd durch Athen, während derer der flüchtende G mit anderen Wagen kollidierte, wobei zwei an der Verfolgungsjagd unbeteiligte Straßenverkehrsteilnehmer leicht verletzt wurden. Nachdem G insgesamt fünf Straßensperren der Polizei durchbrochen oder umfahren hatte, schossen die Polizeibeamten auf seinen Wagen, um ihn auf diese Weise zum Anhalten zu bringen. Zuvor hatten sie von ihrem Kontrollzentrum den Hinweis erhalten, dass G möglicherweise bewaffnet und gefährlich sei. Schließlich stoppte G an einer Tankstelle, wo er von den ihn verfolgenden Polizeieinheiten umzingelt wurde. Da er nicht aus seinem Wagen ausstieg und stattdessen verdächtige Bewegungen machte, die auf den Umgang mit einer – tatsächlich nicht vorhandenen – Waffe schließen ließen, wurden aus den Reihen der mittlerweile mehr als 30 Personen umfassenden Polizisten weitere Schüsse abgefeuert, die aber wegen der Explosionsgefahr der in der Nähe befindlichen Benzinpumpen primär in die Luft abgegeben wurden. Schließlich gelang es einem der Polizisten, die Scheibe eines Seitenfensters des Wagens von G aufzubrechen und G festzunehmen. Bei der Festnahme wurden Schussverletzungen des G am rechten Arm, am rechten Fuß, an der linken Gesäßhälfte und an der rechten Brust festgestellt. G wurde sofort in ein Krankenhaus gebracht, wo er neun Tage lang behandelt wurde. Eine Kugel befindet sich immer noch in seinem Gesäß. Bereits damals labil, hat sich sein Gesundheitszustand seither erheblich verschlechtert. Der Pkw des G besaß ausweislich eines ballistischen Gutachtens insgesamt 16 Einschusslöcher, bezüglich derer die Projektile eine horizontale oder aufwärts weisende Flugbahn in Höhe des Fahrers aufwiesen.
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- 1.
Der Gebrauch von Schusswaffen durch Polizeibeamte wurde in Griechenland inzwischen durch das am 24.7.2003 in Kraft getretene Gesetz Nr. 3169/2003 mit dem erklärten Ziel, den internationalen Menschenrechtsstandards zu entsprechen, neu geregelt.
- 2.
Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 20 Rn. 2; Schübel-Pfister, in: Karpenstein/Mayer (Hrsg.), EMRK, Art. 2 Rn. 6; Kreicker, in: Sieber/Brüner/Satzger/v. Heintschel-Heinegg (Hrsg.), Europäisches Strafrecht, § 51 Rn. 65; Satzger, IntStR, § 11 Rn. 30; Schilling, Menschenrechtsschutz, Rn. 116; Zöller, Kühne-FS, S. 629 (630).
- 3.
EGMR v. 20.12.2004, 50385/99 Nr. 49 ff., NJW 2005, 3405 (3406) – Makaratzis/Griechenland; EGMR v. 24.2.2005, 57950/00 Nr. 175, EuGRZ 2006, 41 – Isayeva/Russland; EGMR v. 14.6.2011, 30812/07 Nr. 56, NVwZ 2012, 1017 – Trévalec/Belgien; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 2 Rn. 4.
- 4.
EGMR v. 20.12.2004, 50385/99 Nr. 55, NJW 2005, 3405 (3407) – Makaratzis/Griechenland.
- 5.
Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 18 Rn. 6.
- 6.
Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 18 Rn. 6.
- 7.
Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 20 Rn. 5.
- 8.
Peters/Altwicker, EMRK, § 5 Rn. 2.
- 9.
Teilweise wird auch von „Gewährleistungspflichten“ gesprochen; vgl. Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 19 Rn. 2.
- 10.
Zur mittlerweile stark ausdifferenzierten Kasuistik des EGMR vgl. nur Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 2 Rn. 9 ff.; Schübel-Pfister, in: Karpenstein/Mayer (Hrsg.), EMRK, Art. 2 Rn. 30 ff.; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 20 Rn. 16 ff.; Zöller, Kühne-FS, S. 629 (632 ff.).
- 11.
LR-Esser, Art. 2 EMRK/Art. 6 IPbpR Rn. 26; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 20 Rn. 17; Zöller, Kühne-FS, S. 629 (632); im Einzelfall kann es nach ständiger Rspr. des EGMR – insbesondere im Zusammenhang mit fahrlässigen Tötungsfällen – jedoch ausreichend sein, wenn Tötungshandlungen nach dem Recht des jeweiligen Konventionsstaats nur zivilrechtlich oder disziplinarrechtlich geahndet werden.
- 12.
EGMR v. 20.12.2004, 50385/99 Nr. 58, NJW 2005, 3405 (3407) – Makaratzis/Griechenland.
- 13.
EGMR v. 20.12.2004, 50385/99 Nr. 70, NJW 2005, 3405 (3407) – Makaratzis/Griechenland.
- 14.
EGMR v. 8.7.1999, 23657/94 Nr. 86, ÖJZ 2000, 474 – Cakici/Türkei; EGMR v. 20.12.2004, 50385/99 Nr. 73, NJW 2005, 3405 (3408) – Makaratzis/Griechenland; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 2 Rn. 20 ff.; Schübel-Pfister, in: Karpenstein/Mayer (Hrsg.), EMRK, Art. 2 Rn. 41 ff.; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 20 Rn. 31 ff.; Schilling, Menschenrechtsschutz, Rn. 139.
- 15.
EGMR v. 20.12.2004, 50385/99 Nr. 73, NJW 2005, 3405 (3409) - Makaratzis/Griechenland.
- 16.
EGMR v. 7.7.2011, 55721/07 Nr. 166, NJW 2012, 283 (288 f.) – Al-Skeini u.a./Vereinigtes Königreich.
- 17.
EGMR v. 10.4.2001, 26129/95 Nr. 147, Slg. 2001-III – Tanli/Türkei; EGMR v. 20.12.2004, 50385/99 Nr. 74, NJW 2005, 3405 (3409) – Makaratzis/Griechenland.
- 18.
Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 2 Rn. 23.
- 19.
Vgl. EGMR v. 5.10.1999, 33677/96, NJW 2001, 1989 – Grams/Deutschland.
- 20.
EGMR v. 27.9.1995, 18984/91 Nr. 200, ÖJZ 1996, 233 – McCann u. a./Vereinigtes Königreich; EGMR v. 20.12.2004, 50385/99 Nr. 66, NJW 2005, 3405 (3408) – Makaratzis/Griechenland; Esser, IntStR, § 9 Rn. 140.
- 21.
Zu Einzelheiten Esser, in: Ahlbrecht/Böhm/Esser/Hugger/Kirsch/Rosenthal, Internationales Strafrecht, Rn. 290 ff.; Frowein/Peukert, EMRK, Art. 41 Rn. 4 ff.; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 41 Rn. 14 ff.; Wenzel, in: Karpenstein/Mayer (Hrsg.), EMRK, Art. 41 Rn. 1 ff.
- 22.
Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 15 Rn. 4.
- 23.
Esser, in: Ahlbrecht/Böhm/Esser/Hugger/Kirsch/Rosenthal, Internationales Strafrecht, Rn. 228.
- 24.
Frowein/Peukert, EMRK, Art. 41 Rn. 11 ff.; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 15 Rn. 6.
- 25.
Esser, in: Ahlbrecht/Böhm/Esser/Hugger/Kirsch/Rosenthal, Internationales Strafrecht, Rn. 230; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 15 Rn. 6.
- 26.
EGMR v. 20.12.2004, 50385/99 Nr. 87 ff., NJW 2005, 3405 (3409) – Makaratzis/Griechenland.
- 27.
Esser, IntStR, § 9 Rn. 108; vgl. für deutsche Strafurteile den Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 6 StPO.
- 28.
Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 16 Rn. 18, 20; Peters/Altwicker, EMRK, § 37 Rn. 28.
Hinweise auf Rechtsprechung und Literatur
EGMR NJW 2005, 3405 (Makaratzis/Griechenland)
Ahlbrecht/Böhm/Esser/Hugger/Kirsch/Rosenthal, Internationales Strafrecht in der Praxis, 2008, Rn. 226–231, 276–322
Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl., 2016, §§ 18–20
Peters/Altwicker, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl., 2012, §§ 5, 37
Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, 2. Aufl., 2010, § 8
Zöller, Die Bedeutung staatlicher Schutzpflichten für das Recht auf Leben nach Art. 2 EMRK, Kühne-FS, 2013, 629 ff.
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Zöller, M.A. (2017). Griechische Verfolgungsjagd. In: Fallsammlung zum Europäischen und Internationalen Strafrecht. Juristische ExamensKlausuren. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54021-3_15
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