Zusammenfassung
Dem in Trier wohnhaften deutschen Staatsangehörigen D wird von der Staatsanwaltschaft Trier mit Anklageschrift v. 30.3.2016 vorgeworfen, am 3.12.2015 gegen 11:00 Uhr auf dem Bahnhofsvorplatz der Stadt Luxemburg den Franzosen F im Verlaufe eines zunächst verbal und dann tätlich ausgetragenen Streits mit mehreren Faustschlägen zum Kopf traktiert zu haben. Außerdem soll er mit beschuhtem Fuß mehrfach auf den Kopf des am Boden liegenden F eingetreten haben. F soll hierbei näher beschriebene Verletzungen erlitten haben, die im Krankenhaus behandelt werden mussten. Der Verteidiger des D reicht beim AG Trier ein Schreiben des P ein, in welchem dieser als Abteilungsleiter der Amazon-Filiale Luxemburg bestätigt, dass D zum Tatzeitpunkt als Mitarbeiter der Direktversandlogistik im Betrieb beschäftigt gewesen sei. Seine Anwesenheit auf dem Betriebsgelände könne von ihm und weiteren Mitarbeitern bestätigt werden. P bestätigt seine Angaben bei einer protokollierten Vernehmung durch die luxemburgische Polizei. Außerdem legt er einen Ausdruck des Kartenleseterminals vor, aus dem sich ergibt, dass D am 3.12.2015 um 8:30 Uhr ein- und um 17:00 Uhr ausgecheckt hat. Das Protokoll wird dem AG Trier zugeleitet und zu den Akten genommen. Der zuständige Richter des AG Trier gelangt nach Aktenlage zu der Einschätzung, dass offensichtlich eine Personenverwechslung vorliegt. D habe ein Alibi und könne daher nicht der Täter sein, der am 3.12.2015 gegen 11:00 Uhr auf dem Bahnhofsvorplatz in Luxemburg den F geschlagen hat. Er erlässt daher am 1.6.2016 einen Nichteröffnungsbeschluss. Am 20.7.2016 meldet sich ein Mitarbeiter M der Amazon-Filiale Luxemburg bei der luxemburgischen Polizei und gibt an, er müsse jetzt endlich sein Gewissen erleichtern. Er habe am 3.12.2015 bemerkt, dass sein Arbeitskollege D gegen 10:30 Uhr seinen Arbeitsplatz ohne ordnungsgemäße Abmeldung am Kartenleseterminal für ca. 2 Stunden verlassen habe. D habe dies in der Vergangenheit bereits mehrfach getan, um sich am Bahnhofsvorplatz bei einem Dealer Kokain zu beschaffen. Offenbar habe D auch an diesem Tag „Suchtdruck verspürt“. Die luxemburgische Polizei nimmt D daraufhin fest. Ein luxemburgischer Richter ordnet Untersuchungshaft an, weil er D für dringend verdächtig hält, am 3.12.2015 eine gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des F begangen zu haben und weil im Hinblick auf die hohe Straferwartung Fluchtgefahr bestehe. Der Verteidiger des D beantragt, seinen Mandanten unverzüglich auf freien Fuß zu setzen.
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- 1.
Esser, IntStR, § 7 Rn. 12 ff.; Hecker, EuStR, § 13 Rn. 12 ff.; Zöller, Krey-FS, 501 (509).
- 2.
Hecker, EuStR, § 13 Rn. 13.
- 3.
Vgl. hierzu nur Hecker, EuStR, § 13 Rn. 23 ff.; Satzger, IntStR, § 10 Rn. 71 ff.
- 4.
Vgl. hierzu die Leitlinien seiner bisherigen Judikatur zusammenfassend EuGH NStZ 2011, 466 (467).
- 5.
EuGH NJW 2003, 1173. Vgl. hierzu bereits Klausur Nr. 3.
- 6.
EuGH NJW 2003, 1173.
- 7.
EuGH StV 2007, 57.
- 8.
EuGH NJW 2006, 3403.
- 9.
EuGH NJW 2009, 3149.
- 10.
EuGH NJW 2005, 1337; EuGH NJW 2016, 2939 m. Anmerkungen v. Gaede, NJW 2016, 2942, sowie Hecker, JuS 2016, 1133.
- 11.
EuGH NStZ-RR 2009, 109.
- 12.
Vgl. hierzu ausführlich Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, 50 ff.
- 13.
EuGH NJW 2014, 3010 mit zust. Bespr. v. Gaede, NJW 2014, 2990 (2992), und Hecker, v. Heintschel-Heinegg-FS, 175 (175 ff.); ders., JuS 2015, 1045; krit. Burchard, HRRS 2015, 26 (31 f.); Satzger, IntStR, § 10 Rn. 66.
- 14.
Meyer-Goßner, § 211 Rn. 3 m. w. N.
- 15.
EuGH NJW 2006, 3406; EuGH NJW 2006, 1781 (1783); EuGH NJW 2007, 3412 (3413 f.); EuGH NJW 2007, 3416 (3417); EuGH NJW 2011, 983 (985); BGHSt 52, 275 (275 ff.); BGH NJW 2014, 1025; Hecker, EuStR, § 13 Rn. 55; a. A. Ambos, IntStR, § 10 Rn. 129 (rechtsgutsorientierter oder interessensgeleiteter Tatbegriff).
- 16.
Vgl. hierzu nur Hecker, EuStR, § 13 Rn. 37 m. w. N.
- 17.
Vgl. die Nachweise in Fn. 13.
- 18.
Vgl. zur Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Wiederaufnahmekonzeptionen in den europäischen Staaten Swoboda, HRRS 2009, 188 (188 ff.).
- 19.
Hecker, v. Heintschel-Heinegg-FS, 175 (182 ff.); ders., JuS 2015, 1045 (1047).
- 20.
D kann wegen dieser Tat nur vor dem zuständigen Gericht in Deutschland erneut verfolgt werden.
Hinweise auf Rechtsprechung und Literatur
EuGH NJW 2014, 3010 m. Anmerkungen v. Gaede, NJW 2014, 2990, sowie Hecker, JuS 2015, 1045 (Konzentrationswirkung einer Verfahrenserledigung mit beschränkter materieller Rechtskraft)
Ambos, Internationales Strafrecht, 4. Aufl., 2014, § 10 Rn. 112–138
Esser, Europäisches und Internationales Strafrecht, 2014, § 7
Hecker, Europäisches Strafrecht, 5. Aufl., 2015, § 13
Ders., Schließt Art. 54 SDÜ die Strafverfolgung in einem anderen Vertragsstaat aus, wenn die Verfahrenserledigung im Aburteilungsstaat nur eine beschränkte materielle Rechtskraft entfaltet?, v. Heintschel-Heinegg-FS, 2015, S. 175
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Hecker, B. (2017). Verhängnisvoller „Suchtdruck“. In: Fallsammlung zum Europäischen und Internationalen Strafrecht. Juristische ExamensKlausuren. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-54021-3_14
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