4.1 Systemische Folgerungen zum Schutzbedarf

Am Anfang der vorliegenden Untersuchungen steht die in der Einleitung des Teils 1 ausführlich begründete und in den Teilen 2 und 3 in konkrete Einzelthesen gegossene Ausgangsvermutung, dass der Immaterialgüterrechtsschutz in Europa sein volles Funktionspotenzial gegenwärtig nicht ausschöpft, sondern in zahlreichen Konstellationen sogar dysfunktional zu wirken droht.

Immaterialgüterrechte werden von der europäischen Politik zwar als zentrale Werkzeuge zur Stimulation von Innovation und Wachstum in Europa gesehen; jene hat sich etwa die „Lissabon-Agenda“ für die Jahre 2000 bis 2010 und das Nachfolgeprogram „Europa 2020“ ab 2010 zum Ziel gesetzt. Auch entsprechende Anpassungen der Gründungsverträge in den letzten Jahren – z. B. Art. 257 AEUV betreffend Fachgerichte (Vertrag von Nizza) oder Art. 118 AEUV betreffend EU-Schutzrechte (Vertrag von Lissabon) –, vor allem aber die Verankerung von Eigentumsschutz für Immaterialgüterrechte in der Grundrechtecharta (Art. 17 Abs. 2 GRC) bilden dies prominent ab. Hinter all diesen Bemühungen verbirgt sich jedoch weder eine kohärente Strategie, noch basiert die europäische Gesetzgebung auf einer funktional tragfähigen Konzeption, um das in Immaterialgüterrechtsschutz steckende Wachstumspotenzial für den Binnenmarkt wirklich nutzbar zu machen. Insbesondere erweist sich die dem gesamten Schutzrechtssystem implizit oder zuweilen sogar explizit zugrunde liegende Begründung, ein Mehr an Schutz erziele zwangsläufig bessere gesamtwirtschaftliche Ergebnisse, als zu simpel und verkürzend gedacht.

Tatsächlich ließ sich die eben angesprochene Ausgangsvermutung im Rahmen der detaillierten Untersuchungen des Primärrechts (Teil 2) einerseits sowie des immaterialgüterrechtlichen Sekundärrechts (Teil 3) andererseits denn auch über weite Strecken nicht entkräften. In diesem abschließenden Teil soll es nun aber nicht einfach darum gehen, die Ergebnisse der gesamten Untersuchungen nochmals nachzuzeichnen; dafür kann vielmehr auf die pro untersuchtem Bereich eingefügten Zusammenfassungen der jeweils vorgefundenen Fehlstellungen bzw. der zu ihrer Behebung vorgeschlagenen Lösungsansätze („Tools“ i.S.d. hier für Teil 1 entwickelten Methodologie) sowie auf die übergreifenden Gesamtzusammenfassungen in den Teilen 2 und 3 verwiesen werden.

Stattdessen soll an dieser Stelle nun nach übergeordneten Erkenntnissen und nach Alternativen zu den aktuellen Regelungsansätzen im europäischen Recht gesucht werden: Wie sollte eine wirksame Gesamtstrategie für den Immaterialgüterrechtsschutz in Europa denn letztlich aussehen? Die vorstehenden Untersuchungen lassen eine Antwort durchaus zu, soweit man den Gesamtblick auf die dort aufgedeckten Funktionsdefizite und vorgeschlagenen Lösungen richtet. Diese Perspektive führt vor Augen, woran es im gegenwärtigen EU-Rechtsbestand krankt und in welche Richtung funktionsadäquate Verbesserungen erforderlich sind.

4.1.1 Marktopportunitäten schaffen Anreize

Die Grundsatzfrage, auf die die gesamte hier vorgenommene Untersuchung abzielt, ist, woraus Innovation bzw. Kreation entstehen. Dies wiederum läuft auf die Frage hinaus, woraus – letztlich – neue Märkte entstehen. Sind es wirklich die Schutzrechtssysteme als solche, die neue Märkte, und damit Wachstum, schaffen?

Die hier in Teil 3 aufgezeigten Fehlstellungen legen nahe, dass die Annahme einer solchen direkten Kausalität von Immaterialgüterrechtsschutz für das Entstehen von Märkten aus der Nähe betrachtet wohl zu kurz greift. Verständlich wird diese fehlende Kausalität durch eine kleine, aber entscheidende Zusatzüberlegung:

Anreize entstehen immer – mögen Schutzrechte im Spiel sein oder nicht – dort, wo sich Marktteilnehmer Gewinne versprechen. Gewinne wiederum lassen sich erzielen, wo sich aus neuen Ideen Marktchancen realisieren lassen. Schutzrechte als solche bzw. die Aussicht auf die Erlangung von Schutz hingegen schaffen – für sich alleine – weder Marktchancen noch neue Märkte. Damit schaffen Schutzrechte für sich alleine auch nicht Wachstum.

Wo Märkte von vornherein nicht bestehen oder keine ausreichenden Gewinnaussichten versprechen, wird auch dann nicht investiert werden, wenn ein Schutzrecht erworben werden könnte. Ein anschauliches Beispiel dafür sind die sog. „Orphan Diseases“, also seltene Krankheiten, wo mangels hinreichend großer Absatzaussichten tendenziell wenig in die Entwicklung neuer Medikamente investiert wird, obwohl auch für solche Medikamente Patentschutz erlangt werden kann.

Soweit Märkte dagegen Gewinnaussichten versprechen, bestehen in der Regel ausreichende Anreize für Investitionen. Eine Investitionsentscheidung wird dabei gewissermaßen „bottom up“, also von den Marktteilnehmern selbst, getroffen. Immaterialgüterrechtsschutz dagegen folgt einer undifferenzierten „top down“-Logik, die nicht auf konkrete Marktbegebenheiten Rücksicht nehmen kann. Letzten Endes entscheidet sich die Frage, ob auf Märkten ausreichende Gewinne erwartet werden können, um in Innovation zu investieren, nicht nach abstrakten Kriterien, sondern durch das konkrete Verhalten der Nachfrager. Nachfrage lässt sich aber gerade nicht dadurch erhöhen oder fördern, dass Schutzrechte gewährt oder neu geschaffen werden.

4.1.2 Notwendigkeit von Schutzrechten

Wenn also Schutzrechte selbst keine direkte Wachstumswirkung haben, bedeutet dies nicht, dass ihnen keine Funktion zukäme. Die vorliegende Untersuchung zeigt vielmehr, dass Schutzrechte unter bestimmten Umständen durchaus notwendig sein können, um das Funktionieren von Märkten sicherzustellen – um also Störungen auf Märkten entgegenzuwirken.

Neben den hier zunächst in den Blick genommenen innovations- bzw. kreationsbezogenen Schutzrechten (also Patent- und Urheberrechte sowie ihnen in gewisser Hinsicht nachgebildete Rechte wie Gebrauchsmuster, verwandte Schutzrechte und dergleichen) erfüllen auch das Kennzeichenrecht oder wettbewerbsrechtliche Steuerungsmechanismen vergleichbare Funktionen. Sie unterliegen hinsichtlich der Frage, wozu sie überhaupt notwendig sind, jedoch einigen Besonderheiten, auf die hier nur punktuell eingegangen werden kann.

Generell ist zu beobachten, dass Märkte, die in ihrer Funktionsweise gestört werden, Wachstum beeinträchtigen. Dem entgegenzuwirken ist das Ziel bzw. die Funktion von Schutzrechten. Konkret haben Schutzrechte insbesondere das Potenzial, einer nicht erwünschten Reduktion jener Anreize, die dem Grundsatz nach von Märkten ausgehen, entgegenzuwirken.

Werden Anreize in einem Ausmaß beeinträchtigt, dass Investitionen unterbleiben, obwohl sie möglich wären, droht ein negativer Effekt, der mit dem Begriff Marktversagen umschrieben werden kann. Zwar besagt dieser schillernde Begriff für sich wenig Konkretes, insbesondere nicht, dass Schutzrechte von vornherein die richtige Antwort wären. Schutzrechte können aber eines von mehreren denkbaren (insbesondere rechtlichen) Instrumentarien sein. Je nach ihrer Ausgestaltung vermögen sie der Gefahr entgegenzuwirken, dass Investitionen in Innovationen oder Kreationen, die möglich sind und im Prinzip getätigt würden, deshalb unterbleiben, weil sie sich am Ende mangels Gewinnaussichten nicht lohnen. In ähnlicher Weise können über das Kennzeichen- oder das Wettbewerbsrecht Marktordnungen abgesichert werden, deren Störung zu Frustrationen der Marktteilnehmer und damit zu Negativanreizen führen würde.

Aus diesem Grunde ist der Ansatz der hier vorgenommenen Untersuchung, von grundsätzlich drei Kernfunktionen der Schutzrechte auszugehen (Innovationsförderung, Kreationsförderung, Marktordnung), zwar richtig. Er stützt aber nicht die Annahme, Schutzrechte würden diese Funktionen selbst – quasi „direkt“ – erfüllen. Die Anreize, die oft verkürzend den Schutzrechten zugeschrieben werden, gehen aus der Nähe betrachtet nicht von ihnen selbst, sondern von den Märkten aus, in denen sie ihre Wirkungen entfalten.

4.1.3 Gefahren von Schutzrechten

Von Schutzrechten gehen aber auch Gefahren aus. Wesentlicher Grund dafür ist der Antagonismus, dass Märkte dynamisch sind, Schutzsysteme (als letztlich regulierender Eingriff in Märkte) aber weitgehend statisch wirken. Ihre Funktionen können Schutzrechte daher nur dann adäquat erfüllen, wenn sie ihrerseits ausreichend dynamisch eingesetzt werden können. Darauf wird zurückzukommen sein.

Schutzrechte wirken aber nicht nur zu wenig dynamisch. Sie sind überdies auch vergleichsweise undifferenziert. So bestehen im Wesentlichen drei große Schutzsysteme (Patent-, Urheber- und Markenrecht, zuweilen ergänzt durch diesen nachgebildeten Schutz für verwandte Sachverhalte), durch welche alle zuvor angesprochenen Marktstörungen erfasst werden müssen.

Der Befund der Undifferenziertheit gilt dabei für beide Seiten eines Schutzsystems, also einerseits die Schutzgewährung (deren primäre Folge Verbotsrechte sind) und andererseits die Schutzbegrenzungen (also etwa Schranken oder andere Instrumente zur Limitierung des Schutzes). Sie sollen gemeinsam das System ausbalancieren, lassen sich als generell-abstrakt formulierte Regeln aber nicht auf konkrete Marktsituationen ausrichten. Damit lässt sich auch drohendem Marktversagen (wie auch immer dieser Begriff letztlich verstanden werden will) nicht ausreichend situativ begegnen oder vorbeugen.

Die mit dieser Konzeption verbundene Gefahr liegt darin, dass Schutzrechte nicht nur zu wenig umfassend wirken mögen, um ihre Funktionen zu entfalten, sondern dass sie auch überschießende Wirkungen entfalten können. Je nach Sachlage verhindert ein solcher Überschutz Innovation und Kreation, anstatt fördernd auf Investitionsentscheidungen von Marktteilnehmern einzuwirken; namentlich kann er sich negativ auf das Entstehen bzw. den Erfolg von neuen Geschäftsmodellen auswirken. Auch darauf ist zurückzukommen.

Aus diesen Zusammenhängen ergibt sich auch, dass es zu kurz greifen würde, Rechtsschutz als Grundsatz, Schutzbegrenzungen demgegenüber als Ausnahme zu verstehen. Vermag Rechtsschutz lediglich dort positive Effekte zu erzielen, wo er Marktversagen entgegenwirken kann und soll, so bilden derartige Eingriffe die Ausnahme – sie haben dort ihre Berechtigung, wo Marktkräfte allein die notwendigen Investitionsanreize nicht zu vermitteln vermögen –, während dem Grundsatz nach alle Marktteilnehmer frei sein müssen, ihre Entscheidungen nach eigenem Gutdünken zu treffen.

Wird diese den Grundsatz bildende Freiheit im Wirkungsumfeld von Schutzrechten durch Schranken und sonstige Schutzbegrenzungen verwirklicht, so ergibt sich denn auch unschwer, dass das (auch in der europäischen Rechtsprechung nach wie vor vertretene) Dogma einer notwendigerweise engen Auslegung von Schranken nicht haltbar ist: Schutzbegrenzungen sind, wie jede andere Rechtsnorm auch, auf eine bestimmte Funktion ausgerichtet. Sie sind folglich so auszulegen, dass sie diese Funktion möglichst wirksam erfüllen können.

Schutzgrenzen sind im Gesamtkontext betrachtet also nicht weniger wichtig als die Schutzgewährung selbst. Übergeordnetes Ziel einer Schutzrechtsordnung ist das Funktionieren der Mechanismen von Wettbewerb auf solchen Märkten, auf denen die Marktkräfte die erwünschten Ergebnisse nicht ohne Schutzrechte zu erzielen vermögen. Auf diesen Märken kann Rechtsschutz aber nur dann positive – den Funktionen der Schutzgewährung entsprechende – Wirkungen entfalten, wenn sie den Wettbewerbsdruck nicht unnötig reduzieren. Die Rechtfertigung von Schutzrechten liegt daher primär im Verhindern von Marktversagen, wohingegen bei einem zu weiterreichenden Rechtsschutz dysfunktionale Effekte drohen.

Dieser utilitaristischen Sichtweise steht selbstredend nicht entgegen, dass andere – namentlich normative – Ebenen hinzutreten können, die Rechtsschutz zu begründen vermögen. Solche Ebenen wurden in der vorliegenden Untersuchung an verschiedenen Stellen diskutiert (s. v. a. in Teil 1). Sie stehen nicht im Widerspruch zu den hier skizzierten Grundsätzen, sondern treten diesen höchstens zur Seite. Allerdings entbindet diese zusätzliche Dimension von Schutzrechten nicht von der Notwendigkeit, staatliches Eingreifen durch Schutzgewährung zugunsten einzelner Akteure legitimieren zu können.

4.1.4 Wachstum und Schutzrechte

Hinzu tritt, dass zwischen Innovation und Wachstum kein unmittelbarer Konnex besteht. Den Markt auszuweiten vermag nämlich auch die Nutzung einer Idee durch verschiedene Akteure. Verhindert Schutz ein kooperatives Teilen von Ideen, kann er Wachstum durchaus behindern. Daher greift auch der Reflex zu kurz, ein sog. „Trittbrettfahren“ von Wettbewerbern auf Ideen anderer sei per se schlecht, weil unfair. Gewiss mögen bestimmte Ausprägungen von Teilhabenwollen klar negative Folgen zeitigen; es gibt aber keinen allgemeingültigen diesbezüglichen Grundsatz. Daher verlangt die Frage, wie Wachstum stimuliert wird, nach Differenzierungen. Dies gilt auch – und gerade – bezogen auf die Ausgestaltung von Schutzsystemen.

Diese Einsicht schlägt auch auf den Bereich der Schutzrechtsdurchsetzung durch. Zweifelsfrei ist eine effektive Rechtsdurchsetzung unerlässlich, damit Schutzrechte die ihnen zugedachten Wirkungen entfalten können. Gleichwohl ist auch bei der Rechtsdurchsetzung zu differenzieren. Diese darf jedenfalls dort keine prohibitiven Wirkungen zulasten jener Dritten entfalten, die Grenzen bestehender Schutzrechte von Wettbewerbern in legitimer Weise „auszutesten“ versuchen.

Tatsächlich finden Innovationen und Kreationen – oder auch für sich genommen nicht schutzfähige Weiterentwicklungen – oft in Grenzbereichen statt, in denen nicht ohne Weiteres ersichtlich ist, ob das eigene Handeln noch im legalen Bereich liegt, oder ob bereits Schutzrechte Dritter tangiert werden. Dabei ändert der Umstand, dass eine Schutzrechtsverletzung nicht beabsichtigt war, nichts an der Notwendigkeit für den Schutzrechtsinhaber, diese abwehren zu können. Es dürfen in solchen Fällen aber nicht derart schwerwiegende Konsequenzen drohen, dass ein „Austesten“ von Schutzrechtsgrenzen insgesamt unterbleibt: Würden Wettbewerber durch zu abschreckende Folgen davon abgehalten, in Grenzbereichen vorbestehender Schutzrechte zu agieren, hätte dies zur Folge, dass deren Schutz faktisch über das notwendige Maß hinaus ausgedehnt würde. Mit andern Worten vermag ein „one size fits all“-Ansatz auch im Rahmen der Rechtsdurchsetzung nicht zu überzeugen. Soll mögliches Wachstum durch Marktaktivitäten Dritter nicht ausgebremst werden, muss es möglich sein, besondere Umstände im Einzelfall zu berücksichtigen (was etwa in der Diskussion von „injunction“ vs. „liability approach“ zum Ausdruck kommt; vgl. hierzu auch Tools 5, Modifikation des Gegenstands der Ausschließungsbefugnis, und 17, Determinierung der Durchsetzung von Schutzrechten).

Wachstumshemmend kann sich überdies ein strategischer Einsatz von Schutzrechten in bestimmten Märkten auswirken. Tatsächlich ist zunehmend zu beobachten, dass Schutzrechte nicht dazu gehalten oder erworben werden, um eigene Marktaktivitäten abzusichern, sondern um Dritte vom Markt zu verdrängen oder zu bestimmten Verhaltensweisen zu zwingen. Auch wenn solche Praktiken nicht die den Schutzrechten zugedachten Funktionen verwirklichen, vermag das geltende Recht solchen Entwicklungen nicht viel entgegenzusetzen. Hintergrund ist, dass der Rechteinhaber nicht rechtfertigen muss, wann und weshalb er sein Schutzrecht durchsetzt; insofern mag man die strategische Nutzung von Schutzrechten als besonderen Anwendungsfall der Notwendigkeit sehen, bei der Rechtsdurchsetzung verstärkt auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen.

Soweit möglich sollte daher bereits innerhalb der Schutzrechtssysteme selbst dem Umstand Rechnung getragen werden, dass eine dysfunktionale Rechtsdurchsetzung von Schutzrechten die ihnen zugedachte Wirkung – nämlich letzten Endes Wachstum zu fördern – in das Gegenteil verdrehen kann. Es liegt zudem auf der Hand, dass auch außerhalb des Schutzrechtsregimes geeignete Mechanismen zu etablieren sind, um Handlungsspielräume anderer Marktteilnehmer nicht in ungerechtfertigter Weise einzuschränken. Denn es ist kein Zufall, dass auf europäischer Ebene mit der DurchsetzungsRL letztlich auf der prozeduralen Ebene auf die Ausgestaltung der nationalen Rechtssysteme harmonisierend Einfluss genommen wurde, um die Wirkungsbreite der den Rechteinhabern gewährten Rechte sicherzustellen. Entsprechend mögen nun auch auf der Seite anderer Marktteilnehmer, deren Handlungsfreiräume durch überschießende Schutzrechte beeinträchtigt zu werden drohen, prozessrechtliche Korrektive erforderlich sein. Denn nur wenn auch im Rahmen der außerhalb der Schutzsysteme anwendbaren Rechtsmechanismen ein Gleichgewicht hergestellt wird, wird sich das Ziel der Wachstumsförderung durch Schutzrechte verwirklichen lassen. Demgegenüber darf die Reichweite des Kartellrechts – etwa zur Eindämmung strategischer Verhaltensweisen von Rechteinhabern – nicht überschätzt werden; dafür wurde es nicht geschaffen, weswegen die Eingriffsvoraussetzungen des Kartellrechts auch zu spezifisch ansetzen.

Die gezeigten Zusammenhänge verdeutlichen auf abstrakter Ebene, was schon die im Teil 3 untersuchten spezifischen Fallgestaltungen nahelegen: einfache Formeln reichen nicht, um die Komplexität und Dynamik jener Märkte abzubilden, auf denen Schutzsysteme Wachstum fördern sollen. Insbesondere rechtspolitisch eingefärbte Argumente sind kritisch zu hinterfragen – sie vermögen eine fundierte wissenschaftliche Ergründung der Wirkungszusammenhänge nicht zu ersetzen.

Dies gilt auch für grundrechtliche Argumente. Nicht nur ist jene Dimension – wie in Teil 1 gezeigt – im Unionsrechtssystem von vornherein wenig fassbar. Unzutreffend wäre darüber hinaus die Vorstellung, Grundrechte stünden einer Beschränkung von Schutzrechten entgegen. Solches ergibt sich weder aus der allgemeinen Funktion des Grundrechtsschutz noch aus Art. 17 Abs. 2 GRC im Besonderen. Richtig ist vielmehr, dass Grundrechte konkretisierungsbedürftig sind. Etwa das Eigentumsgrundrecht reicht nur so weit, als sein Genuss nicht mit Allgemeininteressen in Konflikt tritt. Entsprechendes gilt im Anwendungsbereich des Art. 17 Abs. 2 GRC; die Ausübung der einzelnen Individuen bzw. Marktteilnehmern zugewiesenen ausschließlichen Rechte muss in Einklang mit den Funktionen der Schutzsysteme insgesamt stehen. Auf diese Funktionen ist ihre Ausgestaltung und Reichweite abzustimmen. Dazu im Widerspruch stünde es, Immaterialgüterrechtsschutz allein vom Inhaber der Schutzrechte her zu denken. Sollen Schutzrechte letzten Endes Wachstum fördern, sind sie als Verhaltensregeln an die Adresse aller involvierten Akteure zu begreifen. Damit stellen sie ungeachtet ihrer möglicherweise auch grundrechtlichen Dimension im Ergebnis nichts anderes als eine besondere Art von Wettbewerbsrecht dar.

4.1.5 Umsetzung dieser Folgerungen

Im Folgenden geht es darum, diese abstrakten Zusammenhänge und Einsichten im Lichte der Detailuntersuchungen in den vorstehenden Teilen konkret nutzbar zu machen. Handlungsspielräume bestehen auf drei unterschiedlichen Ebenen.

Zunächst ist von den betroffenen Märkten her zu denken, auf denen die einzelnen Schutzrechte ihre Wirkungen entfalten sollen (im Folgenden Abschn. 4.2). Zu zeigen ist, wie die verschiedenen gesetzlichen Konzeptionen sicherstellen können, dass die funktionale Wirkungsweise der jeweiligen Schutzrechte tatsächlich dahingehend nutzbar gemacht werden kann, dass Wachstum und letzten Endes der allgemeine Wohlstand bzw. die sog. „Verbraucherwohlfahrt“ gefördert werden, ohne dass von Schutzrechten Fehlanreize ausgehen, die ihre Wirkungsweise ins Gegenteil verkehren.

Sodann wird soweit wie möglich verallgemeinert der Frage nachgegangen, worin die hauptsächlichsten Quellen für Fehlstellungen liegen, und was solchen dysfunktional wirkenden Rechtsanordnungen entgegengesetzt werden kann, um die intendierte Funktion von Schutzrechten möglichst ohne Abstriche zu verwirklichen (im Folgenden Abschn. 4.3). Konkret werden dafür drei Stufen betrachtet, die nachgelagert zueinander Gelegenheit bieten, nicht wünschbare Effekte eines Schutzrechts zu neutralisieren.

Es sind dies zunächst die „Eintrittshürden“ dafür, dass Schutz überhaupt gewährt wird (Abschn. 4.3.1). Sodann geht es um Möglichkeiten, gewährten Schutz punktuell (aber generell, d. h. für alle vergleichbaren Fallkonstellationen) zu begrenzen, um Marktkräften Freiraum zu verschaffen (Abschn. 4.3.2). Schließlich geht es im Hinblick auf die Rechtspraxis darum, spezifischer danach zu fragen, welche Auswirkungen welche Arten von Rechtsdurchsetzung haben, und damit (wiederum auf einer abstrakteren Ebene), welche Ausgleichsmechanismen im geltenden Recht vorzusehen sind, damit Gerichte in die Lage versetzt werden, der jeweils beabsichtigten Funktion von Schutzrechten zum Durchbruch zu verhelfen (Abschn. 4.3.3).

In einem weiteren Schritt wird – letztlich in spezifischerer Verwirklichung der Möglichkeit, auf der Stufe der Rechtsdurchsetzung funktionsbezogen steuernd einzugreifen – nach Möglichkeiten für eine einzelfallbezogene Feinjustierung gesucht (Abschn. 4.4). Die dafür notwendigen Mechanismen sind dabei unabhängig vom anwendbaren Schutzsystem zu entwickeln, mögen sie auch je nachdem, welche Schutzrechte betroffen sind, unterschiedliche Ergebnisse zeitigen.

Zuletzt wird – wiederum mit Blick auf das Ganze – der Frage nachgegangen, welches Potenzial die wirtschaftswissenschaftliche Forschung hat, um auf den angesprochenen Ebenen sicherzustellen, dass Schutzrechte die ihnen zugedachten Funktionen tatsächlich zu erfüllen in der Lage sind (Abschn. 4.5).

4.2 Schutzbedarf in unterschiedlichen Märkten

Im folgenden Kapitel wird der Frage nachgegangen, wie sichergestellt werden kann, dass die einzelnen Schutzrechte auf den betroffenen Märkten die ihnen zugedachten Wirkungen tatsächlich entfalten. Unterschieden werden diese Märkte dabei entlang der Linien der drei großen Schutzrechtsregimes; im Fokus stehen also technologiebezogene und gestaltungsbezogene Märkte sowie Schutzrechte, die die Marktordnung an sich bezwecken.

4.2.1 Schutzrechte auf technologiebezogenen Märkten

Im Folgenden wird der Blick primär auf das Patentrecht gerichtet, dem mit Abstand wichtigsten Instrument zum Schutz von Technologie. Eine Konzentration auf Kernpunkte des Patentrechts erfolgt insoweit pars pro toto. Nicht ausgeblendet werden soll damit, dass andere Schutzmechanismen – etwa der Schutz für Pflanzenzüchtungen – punktuell Besonderheiten unterliegen mögen, die das Gesamtbild aber nicht grundlegend ändern. Das aktuelle Patentrecht erscheint insoweit repräsentativ, als die aufgezeigten Zusammenhänge zur Begründung eines Schutzbedarfs (auch) hier höchstens in Ansätzen berücksichtigt sind. Mit andern Worten bleibt ausgeblendet, dass demjenigen, der eine technische Innovation erbringt, nicht von vornherein ein möglichst starker Schutz zuzuerkennen, sondern dieser Schutz auf die Marktbegebenheiten auszurichten ist.

Wesentliche Kenngröße ist dabei die Investition, die zum Erbringen einer Innovation erforderlich war. Der Innovator muss in der Lage sein, seine Investitionen abzusichern und einen lohnenden Gewinn zu erzielen. Ein darüber hinausgehender Schutz bringt innerhalb des betroffenen Marktes jedoch keine positiven Effekte mehr. Vielmehr droht ein solcher Schutz den Wettbewerbsdruck, der nach erfolgter Amortisation getätigter Investitionen dazu führen muss, dass wieder in neue Innovationen investiert wird, mehr oder weniger umfassend zu vernichten.

Besonders kritisch sind Schutzrechte dann, wenn keine Alternativtechnologien zur Verfügung stehen bzw. nicht innerhalb nützlicher Frist und mit angemessenem Aufwand entwickelt werden können. In solchen Fällen sind Dritte darauf angewiesen, die geschützte Technologie möglichst früh – wenn auch ggf. gegen Entgelt – mitbenutzen zu können, um nebst den jeweiligen Schutzrechtsinhabern im betroffenen Markt aktiv werden zu können. Aus der Perspektive des Rechteinhabers erscheint der damit entstehende Wettbewerb zwar kaum wünschbar – mit Blick auf das Ziel der Wachstumsförderung allerdings ist die Begrenzung der Reichweite solcher Patente unumgänglich. Die Forderung an das Patentrecht muss daher lauten, eine monopolartige Position des Rechteinhabers ab jenem Zeitpunkt zu vermeiden, ab dem die rechtliche Absicherung der Amortisation seiner Investitionen nicht mehr erforderlich ist. Die Ausschließlichkeitsbefugnisse sind also je nachdem schon vor Ablauf der Patentlaufzeit in geeigneter Form einzuschränken, um Dritten einen Eintritt in den Markt zu ermöglichen (vgl. auch Tools 7 und 8 des Teils 1). Möglich ist dies nicht nur in zeitlicher Hinsicht, sondern je nachdem auch bezogen auf die „Breite“ des Schutzes (vgl. auch Tool 5 in Teil 1).

Der mit einer solchen Schutzbegrenzung entstehende Wettbewerbsdruck zulasten des Rechteinhabers erhöht dessen Anreiz, frühzeitig in neue Innovation zu investieren, um für eine gewisse Zeit von einer neuen Ausschließlichkeitsstellung profitieren zu können. Demgegenüber kann ein zu umfassend wirkendes, nicht mehr in Relation zu den erforderlichen Investitionen stehendes Schutzrecht zur Überkompensation des Rechteinhabers führen, die sich durch keinerlei positive Effekte rechtfertigen lässt.

Dieser Verdacht besteht, wie im Rahmen der Funktionsanalysen des Teils 3 verdeutlicht, namentlich bezogen auf pharmazeutische Produkte, wo aktuell ein „absoluter“ Schutzansatz dahingehend besteht, dass jegliche – auch eine dem Patentanmelder (noch) nicht bekannte – Verwendung des Stoffs vom Patentschutz erfasst wird. Alternative dazu wäre ein funktionsbezogener Schutz, d. h. vom Rechtsschutz erfasst wäre nur jene Wirkung des Stoffs, die der Patentanmelder in seinem Patent konkret beansprucht hat. Jede weitere (erfinderische) Verwendung des gleichen Stoffs könnte ggf. wieder Gegenstand eines neuen Patents sein, womit sowohl der Inhaber eines vorbestehenden Patents als auch jeder Dritte Anreize hat, Investitionen in alternative Verwendungen von bekannten Stoffen zu tätigen.

Gewiss hindert absoluter Stoffschutz Forschung Dritter, die sich auf den fraglichen Stoff bezieht, nicht grundsätzlich; wird dabei ausreichend Abstand zur vorbekannten Verwendung des Stoffs erreicht, mögen auch für solche sog. weitere medizinische Indikationen jeweils Patentschutz zu erwirken sein. Allerdings setzt die rechtmäßige Nutzung einer solchen Erfindung, die das zugrunde liegende Patent mitbenutzt, voraus, dass eine (Abhängigkeits-) Lizenz erteilt wird; die Voraussetzungen für jene liegen indes deutlich höher als die allgemein patentrechtliche Voraussetzung des Nichtnaheliegens (Art. 31 Bst. l (i) TRIPS). Mithin bleibt das Risiko einer Überkompensation des ersten, absolut berechtigten Rechteinhabers bestehen; kann dieser dank der Breite des absoluten Stoffschutzes mehr Gewinne erzielen, als zur Amortisation seiner tatsächlichen Investitionen erforderlich war, dürfte dies im Allgemeinen auf Kosten der allgemeinen Wohlfahrt gehen, soweit möglicher Wettbewerb unterdrückt wird und folglich überhöhte Preise bezahlt werden müssen.

Die konkrete Umsetzung einer solchen Amortisationsgrenze im Schutzsystem erfordert die Berücksichtigung einer Mehrzahl von Kriterien, die in jedem Markt unterschiedlich sein können. So mag gerade im Pharmabereich das Ausmaß üblicher Investition vergleichsweise sehr hoch sein und die durchschnittliche Entwicklungszeit vergleichsweise lange dauern, wogegen etwa einfache mechanische Erfindungen oder das Programmieren von Software – soweit dem Patentschutz zugänglich – sehr viel schneller und kostengünstiger möglich sein dürften. Soweit dies zutrifft, variieren auch die Amortisationszeiträume erheblich. Hinzu kommt, dass auch die Lebenszyklen verschiedener Technologien sehr unterschiedlich sein können. Etwa im IT-Bereich dürfte eine (selbst essenzielle) Innovation deutlich vor Ablauf der maximalen Patentlaufzeit technisch überholt sein. Damit kann bzw. muss die Amortisation in deutlich kürzerer Zeit erfolgen. All dies schlägt sich aber nicht notwendigerweise in einem entsprechend angepassten strategischen Verhalten der Patentinhaber nieder. Vielmehr vermögen auch Patente, die überholte Technologie schützen, in neueren Technologien immer noch eine Rolle spielen und sich damit z. B. als Sperrpatente instrumentalisieren lassen. Unter solchen Umständen mögen auch derartige Patente verlängert werden, was aber nicht als Indiz für die Notwendigkeit einer längeren Amortisationszeit gewertet werden darf.

Aus alldem folgt, dass der notwendige Umfang bzw. die für eine angemessene Amortisation erforderliche Dauer des Ausschließlichkeitsrechts stärker Berücksichtigung finden müssen, um zu verhindern, dass diese die ihnen zugedachten Funktionen verfehlen. Gleichzeitig leuchtet ein, dass ein zu feinmaschiger Differenzierungsansatz kaum praktikabel wäre: Grundlage für die Beurteilung konkreter Fälle muss vielmehr eine überschaubare Zahl typischer Konstellationen bilden, für die sich durchschnittliche Auswertungszeiten ausreichend präzise identifizieren lassen.

Solche Begrenzungen der Schutzreichweite würden keineswegs mit der völkerrechtlichen Verpflichtung kollidieren, einen Schutz von 20 Jahren vorzusehen: Der Schutz an sich wird gewährt, solange der Patentinhaber ihn innerhalb dieses Zeitrahmens verlängern will. Begrenzt werden soll nur die Wirkung des Schutzes im Rahmen dessen, was das internationale Recht erlaubt. Das Besondere am skizzierten Ansatz liegt damit einzig im Umstand, dass nicht alle Sachverhalte einem einheitlichen Regime unterworfen werden sollen, sondern Schutzbegrenzungen differenzierter zum Einsatz gelangen. Gerade im Lichte des Dreistufentests (Art. 30 TRIPS-Übereinkommen) scheint dies sogar geboten, wenn gefordert wird, die legitimen Interessen sowohl des Rechteinhabers als auch von Dritten abzuwägen. Diese Vorgabe ruft letztlich nach einer Einzelfallbeurteilung – und es wäre weltfremd, in diesem Kontext nicht zu berücksichtigen, inwieweit eine Amortisation der zur Innovation führenden Investitionen bereits erfolgt sein kann.

Gewiss mag ein Patent dann, wenn Schutzbegrenzungen greifen, für dessen Inhaber an Interesse verlieren, und möglicherweise wird der Schutz dann nicht mehr verlängert. Eine solche (negative) Anreizwirkung, nicht mehr lohnende Schutzrechte nicht aufrechtzuerhalten, steht aber keineswegs im Widerspruch zur übergeordneten Funktion des Patentsystems. Denn dadurch, dass Schutzrechte enden, entstehen neue Freiräume für Innovationen Dritter.

Einer differenzierteren Betrachtung steht auch Art. 27 Abs. 1 TRIPS-Übereinkommen nicht entgegen, wonach eine Diskriminierung u. a. nach Technologiebereichen nicht erlaubt wäre. Diskriminierung ist nicht nur von vornherein etwas anderes als Differenzierung; vielmehr vermögen Unterscheidungen nach sachlichen Kriterien Diskriminierungen gerade zu verhindern, indem Ungleiches tatsächlich ungleich behandelt werden muss, um mit Rechtsschutz letzten Endes vergleichbare Effekte zu erzielen. Mithin verlangt die Verwirklichung der dem Patentsystem zugedachten Funktion sogar nach gewissen Differenzierungen, soweit dysfunktionale Wirkungen ihrerseits nur punktuell auftreten und solchen nur in bestimmten Konstellationen mit geeigneten Schutzbegrenzungen zu entgegnen ist.

4.2.2 Schutzrechte auf gestaltungsbezogenen Märkten

4.2.2.1 Urheberrecht

Werden die hier einleitend angestellten Überlegungen zum Schutzbedarf im Allgemeinen auf das Urheberrecht angewandt, zeigt sich rasch, dass dieses Schutzrecht nicht eigentlich darauf ausgerichtet ist, einer Beseitigung von Anreizen zu Investitionen in etwas Neues ausgleichend entgegenzuwirken. Dies mag mit einer Besonderheit zu tun haben, die das Urheberecht im Vergleich zum Patentrecht auszeichnet: Anreize, in Neues zu investieren, sind im Urheberrecht auf zwei Ebenen notwendig, wobei auf beiden Ebenen – allerdings auf unterschiedliche Weise – Gefahren bestehen, dass die Anreize durch andere Marktteilnehmer zunichte gemacht werden. Letzteres sind die Konstellationen, die Rechtsschutz erfordern können.

Zum einen (Ebene 1) muss ein Werk erst einmal geschaffen werden. Hier steht der Einfluss des Rechtsrahmens auf das Verhalten des Kreativen im Zentrum. Bei diesem allein auf monetäre Gesichtspunkte abzustellen, würde dem Anliegen des Urheberrechts nicht gerecht. Einen ganz entscheidenden Anteil haben vielmehr (zumindest auch) persönlichkeitsrechtliche Elemente.

Zum andern (Ebene 2) ist es aber in aller Regel nicht der Kreative selbst, der in die Auswertung der von ihm geschaffenen Werke investiert. Vielmehr müssen spezialisierte Marktteilnehmer – welche insgesamt die Urheberrechtsindustrie bilden – bereit sein, entsprechende (finanzielle) Risiken einzugehen. Auf dieser Ebene kann und muss der Zweck von Schutzrechten, einer Beeinträchtigung von Anreizen entgegenzuwirken, die von Märkten ausgehen, voll zum Tragen kommen. Denn in erster Linie droht Marktversagen hier, während die Wahrscheinlichkeit, dass ohne Rechtsschutz keine Kreativität mehr bestehen würde, weniger eindeutig erscheint.

Damit erscheint es wenig zielgerichtet, jenes Schutzrecht, das von seinem Konzept her auf den Kreativen ausgerichtet ist – d. h. das eigentliche Urheberrecht – unbesehen auf jene Industrien anzuwenden, die in die Verwertung von Werken investieren. Denn mag man im Falle des Kreativen dem – normativen – Gedanken der Alimentation wohl Sympathie entgegenbringen (der Kreative soll, vereinfacht gesagt, auch dann noch von der Nutzung seiner Werke leben können, wenn seine Schaffenskraft erloschen ist), so macht dies bei demjenigen, der am Markt operiert, kaum Sinn. Vielmehr muss jener, der in die Auswertung eines Werks investiert, nur – aber immerhin – in der Lage sein, seine Investitionen abzusichern und einen lohnenden Gewinn zu erzielen. Danach muss er möglichst bald wieder dem Wettbewerbsdruck des Marktes ausgesetzt sein. Wird stattdessen weiterhin Schutz gewährt, reduzieren sich die vom Markt ausgehenden Anreize, wieder in die Auswertung neuer Werke zu investieren. Diese Gefahr lauert jedenfalls so lange, als sich mit Produkten, die der betreffende Marktteilnehmer ausschließlich herstellen bzw. anbieten darf, weiterhin lohnende Einnahmen erzielen lassen.

Dies bedeutet natürlich nicht, dass ein Schutz der Urheberrechtsindustrie von vornherein entfallen sollte. Denn ohne einen solchen ließe sich nicht nur der Alimentationsgedanke zugunsten der Kreativen weit schwieriger verwirklichen, die zu weiten Teilen finanziell von ihren Vertragspartnern in der Urheberrechtsindustrie abhängen. Darüber hinaus basieren die Anreize, in die Produktion von Kulturgütern zu investieren, in der antizipierten Marktnachfrage. Werden entsprechende Anreize durch ein Defizit an Vorhersehbarkeit reduziert oder gar vernichtet, so droht ohne Rechtsschutz ein Marktversagen.

Hingegen streitet eine Beschränkung des Rechtsschutzes darauf, ein solches Marktversagen zu verhindern, dafür, dass der Rechtsschutz des Kreativen und jener des investierenden Marktteilnehmers zu entkoppeln sind. In der Rechtswirklichkeit ist dies allerdings gerade nicht der Fall. Vielmehr lässt sich ein investierender Marktteilhaber die Rechte vom Kreativen regelmäßig umfassend abtreten bzw. einräumen. In der Folge kann er diese Rechte – falls für ihn von Interesse – über die gesamte Laufzeit des Urheberrechts hinweg exklusiv am Markt durchsetzen. Vor diesem Hintergrund läuft das Anliegen, den Rechtsschutz investierender Marktteilnehmer auf das Kriterium der Amortisation notwendiger Investitionen auszurichten, neuerlich darauf hinaus, dessen Ausschließlichkeitsstellung ungeachtet weiterlaufender Rechte ab einem bestimmten Zeitpunkt zu begrenzen (vgl. wiederum Tools 7 und 8 des Teils 1).

An dieser Stelle wird zudem offensichtlich, dass der in hohem Maße undifferenzierte Schutzansatz des Urheberrechts im Lichte grundlegender Unterschiede auf verschiedenen Märkten (in Abhängigkeit der betroffenen Werkkategorien) kaum zielführend sein kann. Denn nicht nur die Amortisationsdauer ist je nachdem sehr unterschiedlich; auch die Möglichkeiten, Erfolge und Misserfolge auf bestimmten Märkten in einen Ausgleich zu bringen, unterscheiden sich zuweilen erheblich. Dies bedeutet aber nicht, dass sich nicht gewisse Kategorien mit typischerweise bestehender Auswertungszeit bilden ließen, aus denen sich für die Rechtspraxis ausreichend präzise und praktikable Kriterien ableiten lassen, um im Rahmen von Schutzbegrenzungen ausreichende Differenzierungen zu erreichen. Solche sind erforderlich, um dysfunktionale Effekte des Urheberrechts in den Händen investierender Marktteilnehmer zu vermeiden.

Die hier erhobene Forderung nach verstärkter Differenzierung verletzt nicht die völkerrechtliche Verpflichtung, einen Schutz von 50 Jahren p.m.a. vorzusehen. Denn keineswegs verlangt das Völkerrecht, dass der einem Marktteilnehmer gewährte absolute Rechtsschutz im Verhältnis zu anderen Marktteilnehmern nicht relativiert werden dürfe, im Gegenteil: Das internationale Recht erlaubt Schutzbegrenzungen sogar explizit, und zwar nach Maßgabe des – in seiner Reichweite allerdings auslegungsbedürftigen – Dreistufentests (insb. Art. 13 TRIPS-Übereinkommen). Auf diese Weise wird auch kein undifferenziertes System vorgeschrieben. Vielmehr setzt der Dreistufentest gerade eine Einzelfallbetrachtung und eine Berücksichtigung der Umstände mit Blick auf die normale Werkauswertung voraus.

In diesem Kontext greift die Fokussierung auf die Interessen des Rechteinhabers nach heute wohl h.L. zu kurz; der Sinn von Schutzbegrenzungen liegt stattdessen gerade darin, widerstrebende Interessen in einen Ausgleich zu bringen. Diese Interessen – und gerade jene von Rechteinhaber und anderen Teilnehmern auf den betreffenden Märkten – können aber sehr unterschiedlich gelagert sein, was im Ergebnis bedeutet, dass nicht eine verstärkte Differenzierung im Lichte des internationalen Rechts problematisch ist, sondern eine Schwarz-Weiß-Festlegung ungeachtet der Umstände.

Muss es damit möglich sein, dass Marktteilnehmer nach Auflauf einer gewissen Amortisationszeit bzw. der Ausschließlichkeitsstellung des Rechteinhabers zueinander in Wettbewerb treten können, spielt ein Faktor eine entscheidende Rolle, der auch im Rahmen des – richtig verstandenen – Dreistufentests von tragender Bedeutung ist: Werknutzungen durch andere Marktteilnehmer sollen nicht kostenlos möglich sein; vielmehr sind die Rechteinhaber zu Marktpreisen dafür zu entschädigen, dass Dritte entsprechende Produkte auf den Markt bringen können.

Erreicht wird damit zweierlei. Zum einen endet zwar die Möglichkeit des Rechteinhabers, für seine Produkte frei festgelegte, d. h. nicht am Markt gebildete Preise zu verlangen; dieser Preiswettbewerb liegt im Interesse der Allgemeinheit, und dieses Interesse überwiegt jenes des Rechteinhabers, beliebige Preise verlangen zu können, sobald er seine Investitionen (jedenfalls im Rahmen einer Mischrechnung) angemessen amortisieren konnte. Zum andern führt dieser Ansatz dazu, dass der Rechteinhaber zusätzlich zu den Einnahmen aus seiner eigenen Auswertung Lizenzzahlungen von Drittauswertern erzielt; diese Einnahmen wiederum bilden insgesamt die Grundlage dafür, die Kreativen angemessen zu alimentieren. Für jene liegt der Vorteil mit andern Worten darin, dass sie nicht mehr nur von den Aktivitäten ihres unmittelbaren Vertragspartners abhängen, sondern ebenfalls profitieren können, wenn andere Marktteilnehmer ihre Werke auswerten.

Auf den ersten Blick erschiene eine Alternative hierzu darin zu liegen, dass eine Registerpflicht mit befristeten Schutzperioden eingeführt würde; denn es steht zu vermuten, dass deutlich vor Ablauf der aktuellen Schutzfrist für einen erheblichen Teil der Werke nach einer gewissen Zeit keine Schutzverlängerung mehr gesucht würde, wodurch Werke letztlich gemeinfrei werden könnten. Allerdings steht nicht nur die völkerrechtliche Vereinbarkeit dieses Ansatzes in Frage; Formvorschriften (vgl. auch Tool 18 des Teils 1) erlaubt das internationale Urheberrecht nicht. Zudem würden Spreu und Weizen damit gerade in zweifelhafter Weise getrennt. Denn aufrechterhalten bliebe der Schutz wohl in erster Linie an den (wirtschaftlich) interessanten Werken, mithin dort, wo die Ausschließlichkeitsstellung dem Rechteinhaber in die Hand spielt. Mit andern Worten vermöchte eine Registrierungspflicht – trotz gewisser positiver Effekte (insbesondere erhöhter Rechtssicherheit) – dysfunktionale Effekte des Urheberrechts nicht zu eliminieren; namentlich dürfte eine Registrierung an der Notwendigkeit bestimmter Schutzbegrenzungen nach einer gewissen Amortisationszeit nichts ändern.

Damit steht die Forderung im Raum, jene Ausschließlichkeitswirkungen von Urheberrechten, die in den Händen investierender Marktteilnehmer liegen und über das zur Verhinderung von Marktversagen notwendige Maß hinausgehen, auf möglichst differenzierte Weise zu begrenzen. Dem wird das geltende europäische Recht mit seinem starren Katalog von Schranken wohl nicht gerecht. Dies wäre auch dann nicht anders, wenn dieser Katalog von den Mitgliedstaaten zwingend umzusetzen wäre. Die erforderliche Ausrichtung auf konkrete Marktsituationen verlangt vielmehr ein vergleichsweise hohes Maß an Flexibilität in der Rechtsanwendung (vgl. etwa Tools 15, 16 oder 17 des Teils 1).

Ein verstärktes Augenmerk ist außerdem auf den Umstand zu richten, dass Schutzbegrenzungen nicht nur Handlungen von Endnutzern ermöglichen können sollten, sondern auch für Intermediäre Freiräume schaffen müssen; denn oft sind jene treibende Kraft für Innovationen auf der Ebene neuer Geschäftsmodelle bzw. Technologien. Gleichzeitig sind sie es, die in der Lage sind, im Rahmen von Lizenzgebühren Marktpreise zu bezahlen und damit substanziell zur Alimentierung der Kreativen beizutragen.

Generell – d. h. sowohl bezogen auf Schranken zugunsten von Endnutzern wie auch im Hinblick auf Handlungsfreiräume von Intermediären – bedarf es einer verstärkten Berücksichtigung spezifischer Marktsituationen in unterschiedlichen Sektoren. In ähnlicher Weise wie besondere Rechtsschutzmechanismen zugunsten der Rechteinhaber die je nach Werkkategorie unterschiedlichen Gefahren berücksichtigen mögen, rechtfertigt es sich, auch Schutzbegrenzungen vermehrt sektorspezifisch auszugestalten (so beispielsweise in informationssensitiven Märkten wie dem Wissenschaftsmarkt). Darauf ist zurückzukommen.

Auf der andern Seite ist im Auge zu behalten, dass Schutzbegrenzungen leer laufen, wenn sie seitens des Rechteinhabers durch faktische Maßnahmen (z. B. technische Schutzmaßnahmen beim Onlinezugang zu Werken) ausgehebelt werden können. Auch solches kann zu einer überschießenden Wirkung der Ausschließlichkeitsposition des Rechteinhabers und damit zu dysfunktionalen Effekten des Urheberrechts führen. Mithin bedarf es spezifischer Behelfe um sicherzustellen, dass an sich erlaubte Nutzungen auch tatsächlich stattfinden können (vgl. auch Tool 5 des Teils 1).

4.2.2.2 Investitionsschutzrechte

Gewisse Kategorien von investierenden Marktteilnehmern verfügen in der Form von Nachbar- bzw. verwandten Schutzrechten über eigene, ihnen originär zustehende Rechtsmechanismen, um einer Beeinträchtigung von Anreizen, die von Märkten ausgehen, entgegenzuwirken (sog. Leistungsschutzrechte bzw. Investitionsschutzrechte). Auch sie erscheinen derzeit in keiner Weise am Amortisationsgedanken ausgerichtet zu sein, dauert die Schutzfrist doch undifferenziert 50 bzw. 70 Jahre ab einem bestimmten Zeitpunkt, der im Wesentlichen den Beginn der Vermarktung repräsentiert.

Daraus sind zwei Folgerungen abzuleiten: Zum einen müssen offensichtlich auch diese Schutzrechte stärker nach den Amortisationsmöglichkeiten in den jeweils betroffenen Märkten ausgerichtet werden. Ist der Zeitpunkt erreicht, zu dem eine Amortisation (im Durchschnitt) möglich ist, muss die Exklusivität in ähnlicher Weise begrenzt werden wie dies zum Urheberrecht ausgeführt wurde (vgl. Tools 7 und 8 des Teils 1).

Zum andern ist – wenn von der jeweiligen Marktsituation und den dort bestehenden Amortisierungsmöglichkeiten auszugehen ist – zu berücksichtigen, dass der investierende Marktteilnehmer nicht nur über diesen Schutz verfügt, sondern im Regelfall auch über den ihm eingeräumten Urheberrechtsschutz. Diese Doppelgleisigkeit ist konkret dort in Rechnung zu stellen, wo ermittelt wird, ab wann eine Ausschließlichkeitsstellung zu begrenzen ist. Konkret bedeutet dies, dass etwa ein Tonträgerhersteller, der über beide Schutzkomponenten verfügt, andere Amortisationsmöglichkeiten hat als z. B. ein Buchverleger, für den es bislang kein Investitionsschutzrecht gibt.

Nicht beantwortet ist damit die Frage, ob und wann es überhaupt eines Investitionsschutzes bedarf (vgl. auch Tool 1 des Teils 1). Auch dies ist letzten Endes aber danach zu beurteilen, ob eine Notwendigkeit besteht, einer Beeinträchtigung von Anreizen, die von Märkten ausgehen, entgegenzuwirken. Ist dies nicht der Fall – wofür etwa bei Sportveranstaltungen auf den ersten Blick die Tatsache sprechen mag, dass es keinen erkennbaren Mangel an solchen Anlässen gibt –, so ist von der Errichtung spezifischer Schutzmechanismen abzusehen. Auch die Notwendigkeit der traditionellen urheberrechtlichen Investitionsschutzrechte (v. a. jene der Ton- und Tonbildträgerhersteller oder der Sendeunternehmer) ist nicht von vornherein dadurch erstellt, dass es sie gibt. Auch für sie gilt die Voraussetzung, dass eine Beeinträchtigung von Anreizen drohen muss, die von Märkten ausgehen. Im Gegensatz zu anderen Bereichen bestehen hier indessen völkerrechtliche Verpflichtungen. Diese können aber auch dann erfüllt werden, wenn überschießende Wirkungen begrenzt werden, die im Hinblick auf die Amortisationsmöglichkeiten eintreten können – genauso, wie dies vorstehend zum Urheberrecht ausgeführt wurde.

Gleichzeitig bedeutet der Konnex von Urheber- und Investitionsschutzrechten allerdings auch einen notwendigen Gleichlauf der Schutzbegrenzungen, wenn es um denselben Sachverhalt geht, auf den beide Schutzsysteme Anwendung finden. Anders gesagt darf es nicht sein, dass in dem einen System gewollt belassene bzw. durch Schutzbegrenzungen geschaffene Freiräume im andern System durch einen gewährten Rechtsschutz wieder versperrt werden (vgl. auch Tool 5 des Teils 1).

Besteht keine völkerrechtliche Verpflichtung, Schutz zu gewähren, und droht auch kein Marktversagen – was nach den Analysen in Teil C etwa für das Schutzrecht sui generis für Datenbanken anzunehmen ist – so empfiehlt es sich, bestehende Rechtsschutzmechanismen aus dem acquis unionaire zu beseitigen bzw. dafür zu sorgen, dass die Mitgliedstaaten die betreffenden Rechtsvorschriften aufheben. Sie verhindern kein Marktversagen, sondern haben vielmehr das Potenzial, Marktversagen durch Fehlanreize zu provozieren.

Einen Sonderfall im Konzert der Leistungsschutzrechte mögen die Rechte der ausübenden Künstler darstellen, zumal dort auch persönlichkeitsrechtliche Elemente hineinspielen. Jedenfalls insoweit, als es um monetäre Aspekte geht, rechtfertigen sich indes ähnliche Überlegungen, wie sie zu den Kreativen im Verhältnis zu jenen angestellt wurden, die in die Auswertung ihrer Werke investieren. Auch aus einem Schutzbedürfnis von ausübenden Künstlern darf also nicht unbesehen auf ein entsprechendes Schutzbedürfnis jener geschlossen werden, die in die Auswertung von Interpretationen etc. investieren.

4.2.2.3 Designrecht

Die skizzierte Grundtendenz für das Urheberrecht, den Grad der Exklusivität zu begrenzen, sobald keine Notwendigkeit mehr besteht, einer Beeinträchtigung von Anreizen, die von Märkten ausgehen, entgegenzuwirken, hat auch im Designrecht ihre Richtigkeit. Besonderheiten können sich jedoch in Konstellationen ergeben, in denen ein Design technische Implikationen hat.

Das ist einerseits im Falle von Reparaturen denkbar (sog. „must matchs“, etwa der bekannte Fall des Autokotflügel-Ersatzteils), andererseits bei (mit-) geschützten Schnittstellen (sog. „must fits“, etwa bei Verbrauchsmaterial wie Druckerpatronen). In solchen Fällen ist offensichtlich, dass Schutzrechte direkte Implikationen auf die Funktionsweise der betroffenen Märkte haben, indem sie ohne eine punktuelle Begrenzung der Ausschließlichkeitswirkung möglichen Wettbewerb von vornherein beseitigen würden.

Die damit bestehenden Herausforderungen wurden im Designrecht jedoch über weite Strecken vom geltenden Recht aufgegriffen, nicht zuletzt über den Umweg des Kartellrechts. Freilich besteht eine hohe Dynamik auf diesen Märkten, weswegen auch neu auftretende Einzelfallkonstellationen spezifischen Lösungen innerhalb des Schutzrechtssystems zugeführt werden können müssen. Dazu eignet sich allerdings – und namentlich im Hinblick auf die Möglichkeit, für gewisse Nutzungshandlungen eine Kompensation vorzusehen – primär ein ausreichend ausdifferenziertes Rechtsinstrumentarium im Rahmen der Durchsetzung, worauf aus allgemeiner Perspektive später unter dem Stichwort „Fine Tuning bei der Rechtsdurchsetzung“ zurückzukommen ist. Angesprochen ist damit eine anreizsensible (flexibilisierte und differenzierte) Rechtsdurchsetzung vor den Gerichten (vgl. auch Tools 15 und 17 des Teils 1) – eine Rechtsdurchsetzung, die sich auch als Instrument der Öffnung des Zugangs zu Innovation begreift und nicht von vornherein allein der Abschottung dient.

4.2.3 Schutzrechte zum Zwecke der Marktordnung

Die Begründung dafür, wozu Märkte als solche durch Verhaltensregeln einer gewissen Ordnung zugeführt werden sollen, ist anders gelagert als die Notwendigkeit einer Absicherung einer Investition für Innovationen oder Kreationen durch entsprechende Schutzrechte. Namentlich fokussiert die Marke – das wichtigste Instrument für Marktteilnehmer, um sich im Marktauftritt von anderen abzugrenzen und Nachfrager zu erreichen – nicht (oder jedenfalls nicht in erster Linie) auf etwas Neues. Ihre primäre Funktion bezieht sich vielmehr auf die Zurechenbarkeit von Informationen über bestimmte Eigenschaften von Gütern oder Marktteilnehmern. Vermieden werden sollen damit Frustrationen von Anbietern oder Abnehmern, weil andere Marktteilnehmer (als Anbieter) Maßnahmen treffen, um Abnehmer auf ihre Seite zu ziehen. Wären diese erfolgreich, weil nicht ausreichend Informationsmöglichkeiten über die wahren Verhältnisse bestünden, könnten Investitionen in die Qualität von Produkten oder Dienstleistungen unterbleiben, wodurch der Markt suboptimal versorgt werden könnte. Insoweit unterstützt auch das Markenrecht die vom Markt ausgehenden Anreize, tatsächlich entsprechend zu investieren, um sich in der Kundenwahrnehmung von der Konkurrenz positiv abzuheben.

Auf der andern Seite ist auch hier zu beachten, dass eine Mehrzahl von Anbietern den Wettbewerb tendenziell fördert. Wettbewerb schafft einerseits Anreize unter konkurrierenden Marktteilnehmern, in die Qualität von Produkten zu investieren. Andererseits kann Wettbewerbsdruck bewirken, dass kleinere Margen erzielt werden, was solange positive Effekte für Nachfrager hat, als es sich für den Anbieter lohnt, am Markt präsent zu bleiben.

Vor diesem Hintergrund darf das Markenrecht bzw. dürfen sonstige Kennzeichenrechte den Wettbewerbsdruck nicht übermäßig begrenzen, sondern nur soweit, als einer Beeinträchtigung von Anreizen, die von Märkten ausgehen, ausreichend effizient entgegengewirkt werden kann. Dementsprechend darf auch im Kennzeichenrecht nicht durch ein Zuviel an Schutz der Wettbewerbsdruck unnötig abgesenkt werden. Denn jene positiven Effekte, die ein ausreichendes Maß an Schutz bewirken kann, drohten durch ein Übermaß an Schutz wieder zunichte gemacht zu werden.

Daraus ergibt sich eine zentrale Folgerung für die Ausgestaltung des Markenrechts bzw. sonstiger Kennzeichenrechte im Hinblick auf die Vorgaben des internationalen Rechts: Wohl mögen alle Zeichen bzw. Zeichenkombinationen, die geeignet sind, die Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden, dem Rechtsschutz grundsätzlich zugänglich sein; das bedeutet aber nicht, dass jedes insoweit geeignete Zeichen blindlings einem Rechtsschutz zugeführt werden müsste. Vielmehr ist hinsichtlich der Gewährung bzw. der Reichweite des Schutzes darauf abzustellen, inwieweit die damit intendierten Funktionen tatsächlich erfüllt werden können bzw. ob die Gefahr besteht, dass sich dysfunktionale Effekte einstellen.

Besondere Probleme provozieren insoweit zwei Markenformen, deren Zulässigkeit vor weniger als drei Jahrzehnten üblich wurde. Das sind einerseits konturlose Farbmarken (etwa Gelb für Postdienstleistungen), andererseits dreidimensionale Marken (Formmarken). Für Letztere hatte man ursprünglich sehr besondere, an sich schon etablierte Marken vor Augen (etwa den Mercedesstern, die Coca Cola-Flasche oder die gezackte Schokoladenstange von Toblerone). Beide genannten Markenformen sind nicht per se unsinnig; zu Problemen führte aber die Art, wie sie in der Praxis genutzt werden. Irritierend ist dabei einmal mehr, dass das geltende Rechtsregime dysfunktionalen Nutzungen kaum etwas (insbesondere keine geeignete Handhabe der materiellen Schutzvoraussetzungen, fehlende Rechtsmissbrauchsklauseln und fehlende Determinierung der Durchsetzung von Schutzrechten, vgl. Tools 2, 15 und 17 des Teils 1) entgegenzusetzen hat.

Ein typischer Fall ist, dass gewisse Produkte in der Praxis zwar nie ohne gut sichtbaren (schon aus Marketingzwecken notwendigen) Schriftzug verkauft werden, Anmelder aber dennoch versuchen, eine Form, Farbe oder dergleichen abstrakt zu monopolisieren. Dahinter steckt die Absicht, sich Konkurrenten vom Leib zu halten, die – wenn auch unter anderer Wortmarke oder Wort-Bildmarke – vergleichbare Produkte anbieten könnten.

Berühmt geworden sind etwa die Bemühungen von Lindt, den Goldhasen als beliebtes Schokoladenprodukt zu Ostern für sich zu monopolisieren. Eine so weitreichende ausschließliche Zuweisung eines ganzen Produkts zu einem einzigen Marktteilnehmer ist schlicht nicht notwendig, um die angesprochenen Frustrationen von Marktteilnehmern zu vermeiden, sondern vielmehr ein offensichtliches Vehikel dafür, Wettbewerb zu beseitigen. Dies gilt umso mehr, als nötigenfalls auch Wettbewerbsrecht eingreifen kann, etwa wenn ein anderer Hersteller des fraglichen Produkts Maßnahmen ergreift, um Verwechslungen bei den Abnehmern herbeizuführen. Ähnliches gilt bei gewissen Farbmarken. Es ist kein Zufall, dass beispielsweise jene Postämter, die traditionell die Farbe Gelb benutzen, just zu dem Zeitpunkt „ihr“ Gelb zu monopolisieren versuchten, als die Postdienstleistungen in Europa liberalisiert wurden. Damit sollte das Markenrecht dafür instrumentalisiert werden, die Liberalisierung im Binnenmarkt zu unterwandern.

Noch krasser dysfunktional sind gelegentliche Versuche, den zeitlich befristeten Gestaltungsschutz gewisser Formen (etwa einer Kaffeekapsel) über den Weg der Formmarke gewissermaßen zu „verewigen“, oder sogar einen abgelaufenen Patentschutz über die Formmarke neu aufleben zu lassen (z. B. beim Legobaustein). Tatsächlich wäre derlei im Prinzip deswegen möglich, weil im Gegensatz zum Designrecht und Patentrecht kein Neuheitserfordernis für Marken besteht – im Gegenteil: Es kann gerade die Durchsetzung helfen, um an sich nicht kennzeichnungskräftige Formen markenrechtlich schützen zu lassen. Entsprechend ist es wichtig, solche Konstellationen von Schutzüberlagerungen zu unterbinden (vgl. auch Tool 6 des Teils 1). Zahlenmäßig betrachtet sind solche Fälle nicht häufig, aber sie deuten auf ein systemwidriges Potenzial des Markenrechts hin. Es ist wichtig, dass dieses dafür nicht Hand bietet, wenn es sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, das Funktionieren des Wettbewerbs auf Märkten nicht zu fördern, sondern zu behindern.

Eine weitere Gefahr geht von der wenig glücklichen Funktionendiskussion des Markenrechts aus, die besonders durch die jüngere europäische Rechtsprechung angeheizt wird. Denn in jeder Fallkonstellation von Neuem zu versuchen, gewisse Verhaltensweisen des Markeninhabers aus seiner subjektiven Warte heraus zu legitimieren (oder auch als nicht legitim zu bewerten), verstellt den Blick auf das große Ganze: Es geht auch im Markenrecht letztlich nicht allein darum, den Inhaber der Marke in seinen individuellen Interessen zu schützen. Vielmehr muss das Markenrecht seinen Teil dazu beitragen, dass Märkte – bezogen auf die dort gehandelten Produkte oder angebotenen Dienstleistungen – unter möglichst optimalen Wettbewerbsbedingungen funktionieren können.

Ein besonderer Aspekt, in welchem die Funktionendiskussion kaum sinnvoll fruchtbar gemacht werden kann, bezieht sich auf die Frage, ob ein Wettbewerber das geschützte Kennzeichen in einer Art und Weise bzw. im Hinblick auf bestimmte Wirkungen (z. B. „markenmäßig“) benutze, wie sie das Kennzeichenrecht nicht erlauben wolle – oder eben doch (vgl. Tool 16 des Teils 1). Solche Rechtsprechung schwankt und ist schwer vorhersehbar, dient der Rechtssicherheit also nicht dergestalt, dass der betroffene Markt ohne Reibungsverluste funktionieren kann.

Viel sinnvoller erscheint es daher auch im Kennzeichenrecht, mit von vornherein von Gesetzes wegen erlaubten Nutzungshandlungen Dritter zu operieren, wie dies v. a. im Urheberrecht und bis zu einem gewissen Grad auch im Patentrecht üblich ist (vgl. auch Tools 5, 6, 7, 8 und 10 des Teils 1). Ansatzweise ist das heute schon der Fall. Dieser Weg kann aber konsequenter beschritten werden, um den Marktteilnehmern auf berechenbare Weise Freiräume zu eröffnen.

4.3 Hauptursachen für Fehlstellungen und Handlungsoptionen

Die hier einleitend resümierten und in Teil 3 im Detail diskutierten Fehlstellungen sind auf drei Ebenen des Schutzsystems zu beobachten: bei den Schutzvoraussetzungen, den Schutzbegrenzungen und der Durchsetzung. Entsprechend ist auf allen drei Ebenen anzusetzen, um die intendierte Funktionsfähigkeit der Schutzsysteme zu erhöhen.

4.3.1 Schutzvoraussetzungen

Das Hauptpetitum, Schutz in ausreichendem Maße zu gewähren ohne nicht erforderliche Ausschließlichkeitsstellungen zu verschaffen, führt notwendigerweise dazu, gewissen Gegenständen Schutz gänzlich zu versagen. Verwirklicht werden kann dieses Anliegen auf der Ebene der Schutzvoraussetzungen. Sie sind die Schwelle, die überschritten werden muss, um in den Genuss einer mehr oder weniger weitreichenden Privilegierung gegenüber anderen Wettbewerbern zu kommen.

Der insoweit bestehende Spielraum ist durchaus erheblich; er wird im geltenden Rechtssystem aber noch wenig genutzt. Insbesondere benennt das internationale Recht zwar in der Regel die Schutzvoraussetzungen, besagt jedoch nicht, wie sie im Einzelnen anzuwenden sind.

4.3.1.1 Patentrecht

Im Patentrecht besteht zum einen ein Neuheitserfordernis. Diese Schutzvoraussetzung führt nicht zu unüberwindlichen Schwierigkeiten, denn zumindest theoretisch ist der Stand der Technik feststellbar, und zwar nötigenfalls auch noch nachgängig zur Prüfung im Rahmen des Erteilungsverfahrens, z. B. in einem Nichtigkeitsverfahren.

Zum anderen ist das Kriterium des „Nichtnaheliegens“ Teil der Schutzvoraussetzungen. Seine Handhabe, also die Frage nach dem Sprung ins Erfinderische, ist eine in der Praxis schwer zu bewältigende Herausforderung.

Hier strengere Maßstäbe anlegen zu wollen, liegt auf der Hand und ist keineswegs eine neue Forderung. Sie bezieht sich nicht nur auf die Prüfung an sich (bzw. das Einspruchsverfahren), sondern gleichermaßen auf mögliche Nichtigkeitsverfahren. Allerdings sind die Erfahrungen mit den Bemühungen gerade seitens des EPA in dieser Hinsicht nicht ermutigend. Das macht die Forderung zwar nicht weniger richtig, aber die bisherigen Anstrengungen reichen jedenfalls nicht.

Zu fordern ist insoweit, dass in spezifischen – als problematisch bekannten – Bereichen kritischer hinterfragt wird, ob eine Weiterentwicklung tatsächlich ausreicht, um als Erfindung behandelt zu werden. Das Paradebeispiel sind sog. „Evergreening Patente“ für Medikamente, die mit wenig relevanten Veränderungen (etwa bezüglich der Hilfsstoffe oder Dosierungen) erneut zum Schutz angemeldet werden.

Eine besondere Fragestellung ergibt sich i.d.Z. in Staaten, die mit einem Gebrauchsmusterrecht eine gewisse Schutzausdehnung etabliert haben. Auf europäischer Ebene wurde dieses Rechtsinstrument nie eingeführt, aber die Forderungen danach sind auch nicht definitiv verstummt. Tatsächlich würde die Einführung eines Gebrauchsmusterrechts auf europäischer Ebene den Nachweis erfordern, dass es eines – je nach Konzeption mit tieferen Schutzvoraussetzungen operierenden, aber doch teilweise gleiche Technologiebereiche abdeckenden – eigenständigen Schutzrechts überhaupt bedarf. Dies wäre nur der Fall, wenn unterhalb der Schwelle des Patentrechts ein Bereich bestünde, in dem Anreize, die von Märkten ausgehen, durch das Verhalten von Wettbewerbern beeinträchtigt werden könnten, und es im Hinblick auf die mögliche Amortisation von Investitionen erforderlich erschiene, dem entgegenzuwirken. Dieser Nachweis steht aus.

4.3.1.2 Urheberrecht

Das Urheberrecht unterliegt im Grunde keinen anderen Grundsätzen als andere Schutzrechte, auch wenn eine rein wirtschaftliche Betrachtungsweise hier weniger populär sein mag. Letzteres ändert aber nichts an der Forderung, dass (jedenfalls vermögensrechtlicher) Rechtsschutz auch im Urheberrecht Vorteile gegenüber einem Nichtschutz bringen muss – welcher Art diese Vorteile immer sein mögen.

Insbesondere ist ein wirtschaftlicher Schutz von Kreativität nicht Selbstzweck, zumal es realitätsfern wäre, das Urheberrecht nur vom unabhängigen Einzelschöpfer aus zu denken. Denn der überwiegende Anteil von Kreativen steht in einem Abhängigkeitsverhältnis, ist also sozial nicht über das Urheberrecht, sondern direkt (z. B. arbeitsvertraglich) abgesichert. In diesen Fällen entfaltet der Urheberrechtsschutz von vornherein bei dem Risikoträger (Arbeitgeber etc.) seine Wirkungen. Bei dem relativ geringen Anteil unabhängiger Schöpfer wiederum dürften intrinsische Motive oft stärker sein als extrinsische. Aus diesem Grunde hängt eine Verbesserung der oft beklagten Situation der Kreativen nicht notwendigerweise von der Höhe der Schwelle ab, oberhalb welcher Rechtsschutz gewährt wird.

Umgekehrt wird sich ein nicht notwendiger Schutz – der in den meisten Fällen ohnehin nicht dem Kreativen zugutekommt– im gesamtwirtschaftlichen Kontext schnell negativ auswirken, weil er den notwendigen Wettbewerbsdruck dafür, immer wieder in die Auswertung neuer Werke zu investieren, reduziert. Mithin dürfte sich die Kombination des sehr umfassend wirkenden Urheberrechts mit einer sehr tief liegenden Schwelle in der Tendenz nicht positiv, sondern negativ auswirken.

Zeitigt eine zu tiefe Schwelle keine positiven Auswirkungen, ist kein Grund ersichtlich, wieso die Schutzvoraussetzungen nicht generell strenger gehandhabt werden sollten. Dafür wäre keinerlei Rechtsänderung erforderlich, weil die Schutzschwelle nicht normativ vorgegeben, sondern weitestgehend von der Rechtsprechung definiert wird. Allerdings weist die jüngste Entwicklung der Rechtsprechung in Europa genau in die andere Richtung, indem dort in eine die Schwelle absenkende Richtung geschritten wird. Dies ist besorgniserregend, da es aufzeigt, dass die Gerichte offensichtlich nicht danach abwägen, welche gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen das Gewähren von Rechtsschutz hat.

Zu ergänzen ist noch zweierlei. Einerseits schreibt das internationale Recht nicht nur nicht vor, wie die Schutzvoraussetzungen im Einzelnen zu handhaben sind. Es verbietet auch nicht, nach Werkkategorien zu differenzieren. In Teilbereichen wird daher auch durchaus differenziert – etwa indem bei Fotografie oder bei Architektur vergleichsweise strenge Anforderungen für richtig befunden werden. Gleichwohl fehlt auf europäischer Ebene eine konsequente Betrachtung im Hinblick auf die tatsächliche Erforderlichkeit des Schutzes.

Andrerseits ließe sich gerade bei jenen Werkkategorien, für die auch andere Schutzrechte zu Verfügung stehen – so konkret etwa bei Werken der angewandten Kunst das Designrecht – der schwer fassbare (und funktional kaum begründbare) Doppelschutz dadurch vermeiden, dass z. B. für Alltagsgegenstände vom Urheberrecht höhere Schutzanforderungen verlangt werden. Gewiss herrscht dazu seit Jahrzehnten ein Dogmenstreit, in welchem sich das europäische Recht bislang nicht positioniert hat; stattdessen wird ein Doppelschutz dort dadurch geradezu institutionalisiert, dass Harmonisierungen in einem Rechtsgebiet regelmäßig explizit ohne Einfluss auf andere erfolgen sollen. Es ist aber jedenfalls nicht so, dass keine sinnvolle Abgrenzung möglich wäre. Auch hier – wie generell – ist vielmehr im Kern auf die Frage abzustellen, welcher Schutz erforderlich ist, um einer Beeinträchtigung von Anreizen, die von Märkten ausgehen, entgegenzuwirken.

4.3.1.3 Markenrecht

Im Markenrecht spielt die Frage der Schutzvoraussetzungen deswegen keine vergleichbare Rolle, weil es nicht darum geht, Spreu vom Weizen in der Hinsicht zu trennen, dass ein nicht „innovatives“ oder „kreatives“ Zeichen nicht geschützt werden könnte. Zwar setzt die erforderliche Kennzeichnungskraft zunächst bei gewissen abstrakten Voraussetzungen an; letztlich erweist sich das Markenrecht aber als hoch dynamisch, indem eine anfänglich fehlende Kennzeichnungskraft im Laufe der Zeit durch Gebrauch und Durchsetzung erworben werden kann.

Entsprechend müsste umgekehrt gelten, dass eine Marke durch Verlust ihrer Bekanntheit oder durch den Übergang zum generischen Sprachgebrauch auch ihren Rechtsschutz verlieren würde. In der Praxis wird dies allerdings nur in engem Umfang durchgesetzt. Hier läge ein gewisses Potenzial, beispielsweise in der Vergangenheit dank Durchsetzung erworbene konturlose Farbmarken wieder frei zu bekommen, wenn die Kennzeichnungskraft der betreffenden Farbe verblasst.

4.3.2 Schutzbegrenzungen

Ist die Schwelle der Schutzvoraussetzungen überwunden, bedeutet das nicht, dass der damit bewirkte Schutz in dem Sinne „absolut“ wäre, dass er keinen Grenzen unterläge. Solche Grenzen spielen nicht nur in jenen Fällen eine Rolle, in denen die Prüfung der Schwellenhöhe (durch Erteilungsbehörden oder Gerichte – soweit überhaupt eine Kontrolle erfolgt) möglicherweise nicht richtig gehandhabt wurde. Das Anliegen, Schutz zwar in ausreichendem Maße zu gewähren, aber nicht über zu viel Schutz negative Effekte zu provozieren, lässt sich vielmehr generell nur verwirklichen, wenn variierende Begrenzungen möglich sind.

Zentral sind daher Rechtsmechanismen, die einem völligen Verbotsrecht des Rechteinhabers entgegenwirken, d. h. die anderen Marktteilnehmern bestimmte Nutzungsmöglichkeiten einräumen. Möglich ist dies grundsätzlich auf zwei Arten, die ihrerseits in gewisse Unterarten aufgeteilt werden mögen, welche an dieser Stelle im Gesamtblick aber nicht zu vertiefen sind.

4.3.2.1 Abschließende gesetzliche Nutzungserlaubnisse

Das positive Recht kann gewisse, durch bestimmte Voraussetzungen umschriebene Nutzungshandlungen von vornherein freistellen (vgl. bes. Tool 7 des Teils 1; auch Tool 10). In den meisten Schutzrechten sind dies z. B. Handlungen zu rein privaten Zwecken. In diesem Fall bedarf es keines weiteren formellen oder prozeduralen Schrittes; die betreffende Nutzung ist unmittelbar erlaubt.

Ein Vorbehalt besteht nur insoweit, als an solche Nutzungserlaubnisse Vergütungspflichten anknüpfen, wie dies v. a. im Urheberrecht der Fall sein kann (vgl. Tool 8 des Teils 1). Typischerweise finden solche Vergütungen aber über kollektive Mechanismen statt (z. B. Verwertungsgesellschaften, dazu Tools 12 bis 14 des Teils 1), wobei die Belastung von Nutzungsberechtigten mit der Vergütung entweder indirekt möglich ist (etwa ein Aufschlag auf den Verkaufspreis von Speichermedien, die der Käufer in der Regel gar nicht wahrnimmt), oder aber ihnen direkt in Rechnung gestellt wird.

Wie immer solches im Einzelfall organisiert sein mag, liegt der entscheidende Punkt darin, dass zwischen dem Rechteinhaber und dem Nutzungsberechtigten keine direkte Rechtsbeziehung entsteht und damit insbesondere auch nicht über die Höhe, Art etc. der Vergütung verhandelt werden muss. Dies besorgen vielmehr eine Art Intermediäre (namentlich Verwertungsgesellschaften).

Dieser Mechanismus zur Schutzbegrenzung findet im Regelfall dann Anwendung, wenn die beteiligten Parteien sich nicht ohne erheblichen Aufwand finden könnten, insbesondere weil entweder die Rechteinhaber oder die potenziellen Nutzer oder beide Seiten sehr zahlreich zu berücksichtigen sind. Ein Beispiel bildet die – kostenpflichtige – Erlaubnis der Nutzung von Musikstücken für Rundfunkzwecke. Diese Schutzbegrenzung kann nur funktionieren, wenn Intermediäre eingeschaltet werden.

4.3.2.2 Ausfüllungsbedürftige gesetzliche Nutzungserlaubnisse

Stattdessen kann das Recht zwar die Voraussetzungen bestimmen, unter denen eine Nutzung erlaubt werden muss, erlaubt diese aber nicht unmittelbar selbst (vgl. bes. Tool 11 des Teils 1; auch Tool 15). Vielmehr muss ein Marktteilnehmer, der die Nutzung tatsächlich vornehmen möchte, sich mit dem Rechteinhaber verständigen.

Diese Verständigung betrifft nicht das „Ob“ der Nutzung, denn die Zustimmung des Rechteinhabers wird durch eine spezifische Rechtsnorm erzwungen. Gestritten werden kann höchstens darüber, ob die Voraussetzungen dafür wirklich erfüllt sind. Allerdings betrifft die notwendige Verständigung sehr wohl die für solche Nutzungshandlungen regelmäßig geschuldete – hier nun individuell zu erbringende – Vergütung, die sich normalerweise an den Marktbegebenheiten orientieren wird.

Diese Art der Schutzbegrenzung hat Vorteile und ist mit weniger weitreichenden Eingriffen zulasten des Rechteinhabers verbunden, wenn sich die Parteien mit vertretbarem Aufwand finden und die Bedingungen verhandeln können. Besteht eine entsprechende Schutzbegrenzung im Gesetz, so kann beispielsweise derjenige, der eine patentierte Erfindung als eigenes Forschungswerkzeug benötigt, ohne großen Aufwand den Rechteinhaber ermitteln und auf diesen zugehen, um seinen Nutzungsbedarf anzumelden und nach den Nutzungsbedingungen zu fragen.

Damit ist diese zweite Art der Nutzungserlaubnisse vergleichsweise flexibler, allerdings auch langsamer bzw. ineffektiver, da eine unmittelbar Nutzung nicht einsetzen kann. Schon von daher eignet es sich nicht, sie für alle Korrekturen von Fehlstellungen gleichermaßen vorzusehen, namentlich dann nicht, wenn eine größere Zahl von Parteien involviert ist. Darüber hinaus ist diese Art auch anfälliger für strategisches Verhalten des Rechteinhabers. Daher kann sie nicht funktionieren, wenn nicht flankierende Maßnahmen zugunsten der durch die Schutzbegrenzung Begünstigten etabliert werden.

4.3.2.3 Zulässigkeit

Entscheidender Faktor in praktisch allen Schutzrechten ist es nun, dass solche Schutzbegrenzungen vom internationalen Recht nur als ein ausnahmsweises zum Zuge kommender Mechanismus zugelassen zu sein scheinen. Zum Ausdruck kommt dies in leicht variierend formulierten, im Kern aber immer etwas Ähnliches postulierenden Normen, die als Dreistufentest bezeichnet werden. Demnach dürfen Schutzbegrenzungen (auch „Exceptions“ bzw. im Urheberrecht „Exceptions and Limitations“ genannt) nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen überhaupt eingesetzt werden, die normale Kommerzialisierung des Schutzgegenstandes nicht beeinträchtigen und die berechtigten Interessen des Inhabers nicht unzumutbar verletzen.

Der Spielraum, der dem einzelstaatlichen bzw. europäischen Gesetzgeber (oder der Rechtsprechung) damit belassen bleibt, ist freilich wesentlich größer, als es erscheinen mag. Insbesondere hinsichtlich der ersten Voraussetzung müssen dabei Fehlinterpretationen vermieden werden. So erfordert der Begriff „Ausnahme“ keine zahlenmäßige Limitierung auf „wenige Fälle“. Möglich sind Schutzbegrenzungen vielmehr in all jenen Konstellationen, in denen Schutz über die Zielsetzung der Schutzrechtsgewährung hinaus geht und damit die intendierte Funktion eines Schutzrechts konterkariert. Auch darf aus dem Begriff „Ausnahme“ nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass Schutz die „Regel“ wäre. Regel ist vielmehr – wie im Rahmen der Begründung des Schutzbedarfs im Allgemeinen bereits ausgeführt – die Handlungsfreiheit aller Marktteilnehmer, während Schutz dann erforderlich ist, wenn Anreize, die von Märkten ausgehen, durch Verhaltensweisen gewisser Marktteilnehmer beeinträchtigt werden und Schutzrechte die Funktion übernehmen müssen, dem entgegenzuwirken.

Insoweit führt auch der Blick auf den Rechteinhaber allein zu einer Verkürzung der Fragestellung, welchem Zweck Schutzrechte überhaupt dienen. Erfüllen kann ein Schutzrecht – wie jede gewollte Form zugewiesener Ausschließlichkeit auch außerhalb der hier betrachteten Schutzsysteme – seine Funktion nur, wenn alle Akteure berücksichtigt werden. Gerade die Funktionsweise von Märkten kann nicht allein mit Blick auf einzelne Marktakteure erfasst werden. Entscheidend ist das Zusammenwirken aller Akteure, weswegen eingreifendes Recht das Funktionieren von Märkten nur dann positiv beeinflussen kann, wenn die Rollen aller Akteure angemessen einbezogen werden. Brauchen bestimmte Marktakteure gewisse Freiräume, um auf ihre Weise zu Innovation bzw. zu Wachstum beitragen zu können, so dürfen Ausschließlichkeitsrechte gegenüber solchen punktuell und bewusst geschaffenen bzw. gewollten Freiräumen nicht von vornherein eine Vorrangstellung beanspruchen.

Vor diesem Hintergrund sind auch nur jene Formulierungen des Dreistufentest als vollständig zu betrachten, bzw. sind die stipulierten Vorgaben gedanklich zu vervollständigen, die auf die Interessen aller beteiligten Akteure Bezug nehmen. Tatsächlich sind deren divergierende Interessen auszugleichen, wobei dieser Ausgleich nicht (nur) dem Schutz der einzelnen Akteure dient. Erforderlich ist der Ausgleich vielmehr im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit des Systems an sich, auf welches Schutzrechte positiv einwirken sollen.

Einen besonderen Aspekt bildet dabei einerseits die hier einleitend ins Zentrum gestellte übergeordnete Funktion von Schutzrechten, Amortisationen abzusichern, aber nicht darüber hinaus den Wettbewerb zu behindern. Ist dieser Zustand erreicht, muss das Interesse des Rechteinhabers aus einem anderen Blickwinkel heraus betrachtet werden. Eine weiterhin bestehende, nicht angemessen begrenzte Exklusivität mag dem Rechteinhaber zwar noch individuelle Vorteile bringen; sie verwirklicht aber nicht (mehr) die übergeordneten Funktionen eines Schutzsystems.

Andererseits bildet auch vor der erreichten Amortisationsgrenze die Vergütung des Rechteinhabers für erfolgte Nutzungshandlungen einen zentralen, bei der Festlegung der Reichweite einer Schutzbegrenzung zu berücksichtigenden Faktor. Die Zumutbarkeit für den Rechteinhaber, solche Nutzungen zu dulden, ist umso eher anzunehmen, je umfassender er für von ihm nicht individuell autorisierte Nutzungshandlungen kompensiert wird. Dabei erweisen sich auslegebedürftige gesetzliche Nutzungserlaubnisse – also solche, bei denen die Höhe der Vergütung individuell ausgehandelt werden muss – im Vergleich zu abschließenden (bei denen die – pauschale – Vergütungshöhe von vornherein feststeht) als vorzugswürdig, weil eine ausreichende Kompensation der Rechteinhaber einfacher zu verwirklichen sein wird. Insbesondere kann gezielt auf die Marktsituation abgestellt werden, womit es besser möglich ist, den nach dem Dreistufentest im Auge zu behaltenden Interessen des Rechteinhabers Rechnung zu tragen.

Richtig verstanden steht der Dreistufentest also selbst weitreichenden Schutzbegrenzungen nicht von vornherein im Wege. Die zu berücksichtigenden Kriterien machen nicht nur deutlich, dass Schutzbegrenzungen im Bedarfsfall und bei angemessener Kompensation durchaus auch dann noch zulässig sind, wenn sie die Ausschließlichkeitsstellung des Rechteinhabers deutlich modulieren, solange damit die Funktionalität eines Schutzrechtssystems verbessert werden kann. Darüber hinaus erhellt dieser Blickwinkel, dass eine Schutzbegrenzung nicht von vornherein darauf reduziert werden darf, eine Ausnahme von der Regel der Ausschließlichkeit zu sein.

Ausschließlichkeit ist vielmehr die eine Seite einer Medaille, deren andere die Schutzbegrenzung ist. Der Zweck eines Zusammenspiels der beiden Seiten der Medaille liegt darin, Märkte so durch Recht zu steuern, dass sie in die Lage versetzt werden, möglichst positive, d. h. den Wettbewerb stimulierende Ergebnisse hervorzubringen. Eine andere Lesart des Dreistufentests ergibt sich im Lichte dieser Zusammenhänge auch nicht aus Art. 17 GRC.

4.3.2.4 Folgerungen

Diese Zusammenhänge verdeutlichen, dass das Potenzial von Schutzbegrenzungen erheblich ist, jedoch aktuell nicht hinreichend genutzt wird. In allen Schutzrechten erforderlich ist daher eine Bewusstseinsschärfung im Hinblick auf jene Wirkungen von Schutzrechten, die aus funktionaler Perspektive nicht (oder nicht mehr) gewollt sein können.

Solche dysfunktionale Wirkungen setzen dann ein, wenn ihrem übergeordneten Zweck, angemessene Amortisationsmöglichkeiten für getätigte Investitionen abzusichern, Genüge getan ist. Ab diesem Zeitpunkt ist das Augenmerk verstärkt auf die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs zu richten. Um dies zu erreichen, müssen die hier grob skizzierten Mechanismen einer Schutzbegrenzung zunächst in generell-abstrakter Weise zum Einsatz gelangen können. Schutzbegrenzungen – oder umgekehrt betrachtet: Nutzungserlaubnisse – müssen von Besonderheiten in Einzelfällen unabhängig in der Lage sein, typische und immer wiederkehrende Konstellationen einzufangen. Die Aufgabe, dies sicherzustellen, obliegt (jedenfalls in kontinentalen Rechtssystemen) in erster Linie dem Gesetzgeber; denn nur positivrechtliche Anordnungen können die erforderliche Rechtssicherheit ausreichend gewährleisten.

Gleichzeitig birgt Gesetzesrecht generell die Gefahr von Inflexibilität. Demgegenüber sind die Märkte, auf denen Schutzbegrenzungen Wirkungen entfalten sollen, von einer hohen Dynamik gekennzeichnet. Diesem Spannungsfeld trägt gerade das Urheberrecht dann nicht ausreichend Rechnung, wenn Freiräume einzig auf der Basis eines starren Schrankenkatalogs geschaffen werden sollen. Denn gerade die Ausrichtung auf konkrete Marktsituationen verlangt eine gewisse Flexibilität, die in der Rechtswirklichkeit variierende Entscheidungen erlauben muss. Dies bedeutet nicht zuletzt, dass gewisse Sektoren anders behandelt werden können bzw. müssen als andere (z. B. informationssensitive Märkte wie etwa der Wissenschaftsmarkt).

Im Kern ist dies keine Forderung für ein weitgehend offenes System, wie ihn beispielsweise der US-amerikanische „fair use“-Ansatz kennt. Vielmehr könnten bereits generalklauselartige Öffnungen innerhalb eines starren Systems die notwendige Flexibilisierung in ausreichendem Maße herbeiführen. Sie erlauben es der Rechtsanwendung, das geschriebene Recht in einem vorgegebenen Rahmen neuen Interpretationen zuzuführen und damit veränderten Umständen auf den betroffenen Märkten Rechnung zu tragen.

Aus der Nähe betrachtet lässt sich mit diesem Ansatz der Wertgehalt des Dreistufentests in besonderer Weise verwirklichen – wenn auch quasi mit umgedrehter Logik. Denn im hier gemeinten Fall hat er nicht mehr nur die Funktion, die Reichweite von Schutzbegrenzungen zu limitieren. Vielmehr kann der Dreistufentest (auch) den Rahmen dafür vorgeben, welche Eingrenzungen von Schutzrechten über die gesetzlich statuierten Nutzungserlaubnisse hinaus dem Rechteinhaber zugemutet werden können.

4.3.2.5 Abgrenzung

Von der hier geführten Diskussion allgemeiner Mechanismen zur Schutzbegrenzung zu unterscheiden ist schließlich die Frage, wie mit Einzelfallkonstellationen umzugehen ist, in denen sich erweist, dass Schutzrechte lediglich punktuell dysfunktionale Wirkungen entfalten, ohne dass sich aus solchen Feststellungen verallgemeinerungsfähige Regeln herleiten ließen. Auf diesen Aspekt ist im folgenden Abschnitt zurückzukommen, wo jene einzelfallbezogenen Handlungsspielräume näher ausgeleuchtet werden, die letztlich ein „Fine-Tuning“ erforderlich machen, um die Funktionsfähigkeit der Schutzsysteme sicherzustellen.

4.3.3 Durchsetzung

Stellen die Schutzvoraussetzungen die erste Stufe dar, auf der Schützenswertes von nicht Schützenswertem getrennt werden kann (und verstärkt getrennt werden sollte), und korrigieren auf einer zweiten Stufe Schutzbegrenzungen einen gewährten Rechtsschutz, der über die intendierte Funktion des Schutzrechts hinausgeht, so stellt die Rechtsdurchsetzung eine wichtige dritte Stufe zur Korrektur dysfunktionaler Effekte dar, die ihrerseits vermehrte Aufmerksamkeit verdient. Denn auf jener Stufe verdichtet sich die Frage, wie funktionsfähig ein Schutzsystem wirklich ist, auf die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls.

Die grundlegende Erkenntnis ist in diesem Zusammenhang, dass die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit eines Schutzsystems zwar naturgemäß die Berücksichtigung der Situation des Rechteinhabers verlangt – diese Perspektive aber nicht ausreicht, wenn unerwünschte (da dem Gesamtsystem nicht dienliche) Effekte vermieden werden sollen. Denn wenn Schutzrechte letzten Endes eine übergeordnete Zielsetzung verfolgen, darf einem einzelnen Marktteilnehmer nur so viel an Ausschließlichkeit zugestanden werden, wie erforderlich ist, um einer Beeinträchtigung von Anreizen, die von Märkten ausgehen, entgegenzuwirken.

Namentlich das Prozessrecht ist vor diesem Hintergrund berufen, geeignete Instrumente zur Verfügung zu stellen, um anderen Marktteilnehmern zu ermöglichen, vom Gesetz vorgesehene Freiräume effektiv zu nutzen und notfalls auch gerichtlich durchzusetzen. Erforderlich sind mit andern Worten Instrumente, die gleiche Armlängen für beide Parteien eines Gerichtsverfahrens gewährleisten. Dem entspricht die heutige Rechtswirklichkeit in vielen Fällen nicht. Insbesondere einseitige Beweisregeln, unzureichende Sicherungsleistungen oder dergleichen gehen oft zulasten angeblicher Verletzer und können deren Position in einem Prozess erheblich erschweren.

Gleichzeitig kommt dem Richter auf der Stufe der Rechtsdurchsetzung die überragende Rolle zu, die Reichweite jener Freiräume, die vom Gesetzgeber geschaffen worden sind, im Rahmen konkreter Gerichtsverfahren durch Auslegung zu bestimmen. Diese Auslegung darf abermals nicht im Hinblick auf individuelle Parteiinteressen erfolgen, sondern sie hat sich am Sinn und Zweck einer gesamten Rechtsanordnung zu orientieren. Schutz und Freiräume sind dabei als zwei gleichrangige Faktoren eines Gesamtsystems zu verstehen, die in einem auszugleichenden Spannungsverhältnis zueinander stehen. Schutzrechtsgrenzen dürfen daher weder mit Blick allein auf den Rechteinhaber noch allein auf einen Nutzungsberechtigten konkretisiert werden. Entscheidend ist vielmehr die Funktionsfähigkeit des Systems an sich, was eine gesamtwirtschaftliche Perspektive erforderlich macht, die auf die Verwirklichung von Gemeinwohlinteressen gerichtet sein muss.

Über die reine Auslegung der vom Gesetzgeber belassenen Freiräume hinaus muss es dem Richter nötigenfalls möglich sein, selbst Rechtsfortbildung zu betreiben, um fehlende oder unvollständige Anordnungen in den Schutzrechtssystemen in generell-abstrakter Weise zu ergänzen. Dabei schafft freilich nur eine eigentlich richterliche Regelbildung die notwendige Rechtssicherheit. Entscheidungen von Fall zu Fall mögen demgegenüber konkrete Probleme lösen, garantieren aber keine Konstanz und erlauben den betroffenen Marktteilnehmer daher keine ausreichende Vorhersehbarkeit künftiger Entscheidungen.

Wesentlich ist indessen, dass das positive Recht derartige Entscheidungsspielräume des Richters nicht von vornherein beschränkt. Erlaubt es das materielle Recht oder das Prozessrecht dem Richter nicht, Abwägungen zu treffen, so wird er auch nicht in der Lage sein, einer funktionalen Betrachtung zum Durchbruch zu verhelfen. Wird etwa bei nachgewiesener oder zumindest glaubhaft gemachter Schutzrechtsverletzung ein unbedingter Vollstreckungsanspruch gewährt, so wird der Richter kaum umhin kommen, diesen selbst dann zu gewähren, wenn er die damit bewirkten dysfunktionalen Effekte erkennt.

Diese Überlegungen machen deutlich, dass diese dritte Stufe der Rechtsdurchsetzung in gewisser Hinsicht zwei Facetten aufweist. Einerseits liegt es in der Verantwortung des Gesetzgebers, für die erforderliche Flexibilität eines Schutzsystems zu sorgen. Andererseits bildet diese Stufe den Angelpunkt dafür, die Funktionsfähigkeit von Schutzrechtssystemen im Einzelfall sicherzustellen. Auf diesen Aspekt situativer Korrekturmöglichkeiten ist im nächsten Kapitel vertiefter zurückzukommen.

4.4 Einzelfallbezogene Handlungsspielräume

Die bisher diskutierten Mechanismen bezwecken, den Rechtsschutz schon auf der Ebene der einzelnen Schutzrechtserlasse auf das notwendige Maß zu begrenzen bzw. dort allgemeine Freiräume sicherzustellen; damit lassen sich die Schutzrechtssysteme zwar insgesamt austarieren; dies bedeutet aber nicht, dass sie die ihnen zugerechneten Funktionen so durchgängig verwirklichen können. Vielmehr mag es Konstellationen geben, in denen bestimmte – nur in Einzelfällen vorkommende – Besonderheiten dazu führen, dass auch ein an sich ausgeglichenes System dysfunktionale Effekte entfaltet.

4.4.1 Konstellationen

Die Möglichkeiten, dysfunktionale Effekte zu korrigieren, sind von der Rechtsordnung bis zu einem gewissen Grade vorzusehen. Der Rechtsanwendung bleibt hier aber ein wesentlich höherer Auslegungs- bzw. Ermessenspielraum hinsichtlich der Frage, ob einer der geregelten Sachverhalte wirklich vorliegt. Typischerweise betrifft dies eher seltene Konstellationen, die einer generellen Regelung, in welcher der Gesetzgeber selbst die Entscheidungskriterien mehr oder weniger abschließend vorgibt, typischerweise nicht zugänglich sind, weil eine Vielzahl von Variablen hineinspielen.

Im Kern geht es namentlich um Konstellationen, in denen Schutzrechte etwas absichern, was für andere Marktteilnehmer einen im Vergleich zum Normalfall atypisch hohen Stellenwert hat: das, was in der vorliegenden Untersuchung in Teil 3 mit „Schlüsselgegenständen“ umschrieben wurde. Der Begriff mag abstrakt klingen – aber die Beispiele, anhand derer dies in der vorstehenden Detailanalyse deutlich gemacht wurde, sind recht einfach nachvollziehbar.

Im geltenden Recht findet sich etwa die sog. Abhängigkeitslizenz (vgl. Tool 11 des Teils 1), für deren Erteilung das internationale Patentrecht – wenn auch in kritikwürdiger Weise, da die Hürde aus praktischer Sicht sehr hoch erscheint – eine Reihe von Voraussetzungen statuiert, die kumulativ erfüllt sein müssen. So wird nur die Konstellation erfasst, dass ein jüngeres Patent nicht ohne Lizenz am älteren Patent nutzbar ist; gleichzeitig muss ein namhafter technischer Fortschritt von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung vorliegen. Es liegt dabei auf der Hand, dass der Gesetzgeber nicht vorab entscheiden kann, wann diese Voraussetzungen erfüllt sind. Vielmehr muss es der Rechtsanwendung überlassen bleiben, dies zu prüfen – und nötigenfalls auch eine Auslegung der gesetzlichen Voraussetzungen vorzunehmen. Ziel der Regelung ist es jedenfalls, dass das Patentrecht nicht (nachfolgende) Innovationen verhindern soll, sondern der Innovationsförderung insgesamt verpflichtet bleibt.

Es gibt aber eine Reihe von weiteren, ihrerseits naheliegenden Konstellationen, die vom positiven Recht gar nicht angesprochen werden. Damit fehlt – jedenfalls in kontinentalen Rechtssystemen – eine Anknüpfungsmöglichkeit dafür, auf der Stufe der Rechtsanwendung die notwendigen Entscheidungen zugunsten der Funktionsfähigkeit eines Schutzsystems zu treffen.

Namentlich das Urheberrecht bietet hierfür prominente Beispiele. Denn hat ein Rechteinhaber praktisch unbegrenzte Möglichkeiten, anderen Marktteilnehmern jegliche Werknutzung zu verbieten – auch solche die er selbst gar nicht wahrnimmt –, so geht damit ein erhebliches Potenzial einher, das Aufkommen neuer Geschäftsmodelle zu unterbinden. Konkret können Dritte daran gehindert werden, Werkvermittlungen z. B. gestützt auf neue Technologien vorzunehmen, auch wenn sie bereit wären, für Lizenzen zu bezahlen, und obwohl für solche Geschäftsmodelle eine relevante Nachfrage bestehen mag.

Auf unrühmliche Weise Geschichte geschrieben hat etwa die Musikindustrie, die über ein Jahrzehnt lang die Möglichkeiten zum Onlinevertrieb von Musik ignorierte und stattdessen auf dem Verkauf von Datenträgern (CDs) beharrte. Unbeachtet blieb die rasant wachsende Nachfrage nach solchen – aus heutiger Sicht selbstverständlichen – Vertriebsformen, womit denn auch nicht verhindert werden konnte, dass sich derartige Angebote entwickelten, allerdings unautorisiert. Um dem entgegenzusteuern wurden der Rechtsschutz ausgebaut und die Rechtsdurchsetzung verschärft. Verhindert werden konnte der Siegeszug der Onlinetechnologie damit aber natürlich nicht – und Verliererin war letztlich die Musikindustrie selbst, allerdings zum Schaden der Allgemeinheit. Über mehr als eine Dekade hinweg verhielt sich illegal, wer das technisch längst Naheliegende tat – sei es als Anbieter, sei es als Abnehmer. Unsinnige Geldsummen wurden im Versuch, überkommene Geschäftsmodelle zu perpetuieren, letztlich vernichtet, statt dass sie in die Etablierung zeitgemäßer Vertriebsformen investiert worden wären. Mithin hätte ausreichender Wettbewerb auf der Angebotsseite dahingehend, dass andere Marktteilnehmer für zukunftsgerichtete Geschäftsmodelle Lizenzen hätten erhalten können, alle involvierten Interessen besser bedient – nicht zuletzt jene der Musikindustrie selbst, indem sie frühzeitig Hinweise erhalten hätte, in welche Richtung sich die Nutzbedürfnisse entwickeln. Namentlich wären aus einem Wettbewerb unterschiedlicher Vertriebsformen Anreize für die Musikindustrie entstanden, selbst frühzeitig in die Onlinetechnologie zu investieren.

Auch Google bietet in diesem Kontext interessante Beispiele. Zwar wird der Konzern heute primär für seine Marktgröße kritisiert, was ein hier nicht zu eröffnendes, eigenes Themenfeld wäre. Dass Google gleichzeitig ein hoch innovativer Entwickler neuer Geschäftsmodelle ist, darf dadurch aber nicht überblendet werden. Auch Google stößt aber aller Marktmacht zum Trotz an die engen Grenzen des Urheberrechts, die viele Nutzungsmöglichkeiten der Onlinetechnologie verunmöglichen. Dass Google diese Grenzen zuweilen nicht respektiert, ist eine Seite der Medaille. Dass aber gar keine Möglichkeiten bestehen, für neue Geschäftsmodelle benötigte Nutzungsrechte legal zu erwerben, die andere.

Natürlich drängt sich ob solcher Beispiele die Frage auf, welche neuen Geschäftsmodelle durch die Gewährung von Schutzgrenzen zu ermöglichen sind, und wo demgegenüber nicht schützenswerte Versuche von Wettbewerbern beginnen, ohne Eigenleistungen von Investitionen der Rechteinhaber zu profitieren. Dies zu entscheiden ist aber nicht Sache des Gesetzgebers, denn die Frage ist nicht generell-abstrakter Natur; vielmehr gehört ihre Beantwortung auf die Ebene der Rechtsanwendung. Dort kann eine – funktionsorientierte – Festlegung der Reichweite des Schutzrechts aber nicht erfolgen, wenn die Rechtsgrundlage für eine entsprechende Einzelfallbeurteilung fehlt.

Nur auf den ersten Blick scheint die derzeit heftig diskutierte Frage in einen anderen Kontext zu gehören, wann standardessenzielle Technologien, die durch Patente geschützt sind, von anderen Marktteilnehmern mitbenutzt werden dürfen. Im Kern sind die hier zu berücksichtigenden Gesichtspunkte aber ähnlich gelagert wie die eben diskutierten: Es muss – zumindest auch – auf der Ebene der Rechtsanwendung sichergestellt werden können, dass sich aus Schutzrechten nicht prohibitive Barrieren für andere Marktteilnehmer ergeben, weil dies zur Folge hätte, dass der Wettbewerb auf einem bestimmten Markt allein zugunsten des Rechteinhabers, aber ohne Nutzen für die Allgemeinheit beschränkt würde. Ein Teilaspekt dieser Herausforderung mag sich in der im Rahmen einer Standardsetzung üblicherweise (aber nicht zwingend) vorausgesetzten FRAND-Erklärung spiegeln, durch welche sich der Rechteinhaber zu Lizenzbedingungen verpflichtet, die fair, reasonable and non discriminatory‘ sind. Hingegen kann die Problematik keineswegs allein auf ihre kartellrechtlichen Implikationen reduziert werden. Mithin stellt sich auch bei dieser Konstellation die Frage, ob eine ausreichende Rechtsgrundlage besteht, um im Einzelfall dysfunktionale Effekte einer Durchsetzung von Schutzrechten zu vermeiden

4.4.2 Absicherung von Nutzungserlaubnissen

Besteht eine ausreichende Rechtsgrundlage, gestützt auf welche die Rechtspraxis in der Lage wäre, aus funktionaler Sicht wünschbare Freiräume zu schaffen, so bedeutet dies noch nicht, dass diese auch tatsächlich genutzt werden bzw. werden können. In diesem Sinne liefert die Zwangslizenz für Abhängigkeitskonstellationen im Patentrecht ein ernüchterndes Beispiel (vgl. Tool 11 des Teils 1). Dies gilt jedenfalls dann, wenn man einen Blick in die Judikatur als repräsentativ betrachtet: die Möglichkeit zu solchen Lizenzen scheint nur in der Theorie zu existieren, in der Praxis finden sich keine einschlägigen Fälle. Immerhin aber harrt es einer vertieften Untersuchung, inwieweit von der bloßen Existenz jener Norm indirekte Wirkungen ausgehen. Es könnte nämlich durchaus sein, dass Rechteinhaber bei Rechtsstreitigkeiten lieber die Öffentlichkeit (oder die Präzedenzwirkung eines verbindlichen Gerichtsentscheids) meiden und deshalb eher in eine (vertragliche) Lizenzerteilung einwilligen, wenn eine genügend begründete Forderung an sie herangetragen wird. Die gesetzlich statuierte Abhängigkeitslizenz würde damit im Ergebnis durchaus ihre Funktion erfüllen.

Doch selbst wenn diese Annahme in Einzelfällen zutreffen sollte, dürfte ein mehr oder weniger signifikanter Rest bleiben, wo es nicht zur Einigung kommt, weil sich der Rechteinhaber in einer ausreichend starken Position fühlt, um abzulehnen. Hier kommt nun das zuvor erwähnte Prinzip gleicher Armlängen in besonderer Weise zum Tragen: Für den Rechteinhaber wird es ungleich weniger aufwendig sein, das Vorliegen der Voraussetzungen einer solchen Lizenzerteilung zu bestreiten, als für den typischerweise unter Zeitdruck stehenden Lizenzsuchenden, sie vor Gericht zu beweisen und die Lizenzerteilung durchzusetzen.

Symbolisch für dieses Ungleichgewicht ist die augenfällig einseitige Konzeption des Einheitspatentsystems, das – einzig – darauf ausgerichtet ist, dem Rechteinhaber die Rechtsdurchsetzung auf Unionsebene zu vereinfachen, während die vom internationalen Recht explizit vorgesehene und in den meisten industrialisierten Staaten auch implementierte Abhängigkeitslizenz noch nicht einmal positivrechtlich verankert wurde. Offen bleibt damit, ob diese aus europarechtlicher Sicht überhaupt geltend gemacht werden kann, und wenn ja, wie dies zu bewerkstelligen wäre. Unklar scheint jedenfalls, inwieweit das EPG dafür überhaupt zuständig bzw. ob eine Verbindung mit einer allfälligen Verletzungsklage möglich wäre. Je nachdem müsste der Lizenzsuchende also (soweit denn zulässig) den Weg über nationale Gerichte mit parallelen Prozessen in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten beschreiten, mit der Folge, dass ein einziges ablehnendes Urteil ihm den Zutritt zum Binnenmarkt verwehren würde.

Nicht aufgefangen wird diese Fehlstellung dadurch, dass in kartellrechtsrelevanten Konstellationen – auf die das europäische Recht direkte Anwendung finden kann – eine Durchsetzung von Schutzrechten (etwa im Bereich standardessenzieller Patente) als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gewertet werden und verwehrt werden kann. Denn in den hier angesprochenen Konstellationen geht es typischerweise gerade nicht um Kartellrechtsfälle – zumal dann nicht, wenn die kartellrechtlichen Eingriffsvoraussetzungen nicht erfüllt sind –, sondern darum, dass dysfunktionalen Effekten der Geltendmachung eines Schutzrechts durch Instrumente innerhalb dieses Schutzrechts selbst entgegengewirkt werden soll.

Insgesamt ist daraus die Folgerung abzuleiten, dass einem Lizenzsuchenden ähnliche (insbesondere prozedurale) Hilfestellungen zur Hand gegeben werden müssen, wie sie der Rechteinhaber geltend machen kann, wenn er glaubhaft macht, dass ein anderer Marktteilnehmer sein Schutzrecht verletzt. Im Einzelnen bedarf es namentlich geeigneter Formen einstweiliger Maßnahmen dahingehend, dass eine Nutzung des fraglichen Schutzrechts ohne wesentlichen Zeitverzug erlaubt werden kann. Selbstredend bedarf es dabei auch ausreichender Sicherheiten zugunsten des Rechteinhabers für den Fall, dass die Forderung sich im ordentlichen Verfahren als nicht begründet erweisen sollte. Auch ist sicherzustellen, dass solche Rechtsinstitute nicht missbräuchlich eingesetzt werden – worin indessen kein Unterschied zu einem möglichen strategischen Verhalten des Rechteinhabers auszumachen wäre.

Damit hängt letztlich die Frage zusammen, wie die angemessene Vergütung – die erst im ordentlichen Verfahren unter Berücksichtigung aller Umstände definitiv bestimmt werden muss – vorläufig festgelegt werden kann. Kritisch ist insbesondere die Vorgabe, der Lizenzsuchende müsse zunächst den Verhandlungsweg beschreiten, um sich nicht dem Vorwurf der Rechtsverletzung auszusetzen, denn auch in diesem Fall darf das Anliegen rascher Nutzungsmöglichkeit nicht konterkariert werden. Jedenfalls muss nach Ablauf eines solchen – überschaubaren – Verhandlungszeitraums der Rechtsweg beschritten werden können, um sich vom Richter zur vorläufigen Nutzung ermächtigen und gegebenenfalls auch eine einstweilige angemessene Lizenzgebühr festlegen zu lassen.

4.4.3 „Fine-Tuning“ bei der Rechtsdurchsetzung

Die Schaffung bzw. Absicherung ausreichender Freiräume kann aber nicht nur dadurch stattfinden, dass bestimmte Marktteilnehmer zulasten eines Rechteinhabers Nutzungserlaubnisse aktiv einfordern. Vielmehr bestehen auch im Rahmen der Rechtsdurchsetzung des Schutzrechts Möglichkeiten, denkbaren dysfunktionalen Wirkungen von Schutzrechten entgegenzuwirken. Jene Marktteilnehmer, welche sich der Wirkung des Schutzrechts entziehen wollen, nehmen hier aber nicht eine aktive, sondern eine passive – sich verteidigende – Rolle ein.

Ein insoweit sehr bedenkenswertes Instrument besteht im US-amerikanischen Recht darin, dass die Vollstreckung eines Schutzrechts selbst bei erstellter Verletzung nicht bedingungslos möglich ist. Vielmehr findet in besonders gelagerten Konstellationen eine Abwägung der Interessen des Rechteinhabers im Verhältnis zu jenen eines Verletzers statt, mit der Folge, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine Vollstreckung des Schutzrechts unterbleibt („denial of injunctive relief“), und die Ansprüche des Schutzrechtsinhabers mittels eines bloßen Schadensersatzanspruchs aufgefangen werden („liability approach“; vgl. auch Tool 17 des Teils 1). Die Annahme ist naheliegend, dass dies der Einzelfallgerechtigkeit zuträglich ist, wenngleich hier ein wesentlicher Teil der Verantwortung dafür, die Funktionsfähigkeit des Schutzsystems insgesamt sicherzustellen, an die Gerichtspraxis delegiert wird.

Denkbar sind indes auch andere – dem „Civil Law“ möglicherweise näher stehende – Argumentationslinien, z. B. das Einziehen eines Verhältnismäßigkeitsvorbehalts (vgl. auch Tool 17 des Teils 1). Jedenfalls erscheint es wichtig, von einer bedingungslosen Unterlassungsforderung auch dann Abstand nehmen zu können, wenn eine Schutzrechtsverletzung objektiv vorliegen mag, ein vollständiges Nutzungsverbot aber nicht mehr die eigentliche Funktion eines Schutzrechts verwirklichen würde.

Diese punktuelle Nichtvollstreckung – oder nicht vollständige Vollstreckung – von Schutzrechten trotz an sich erstellter Verletzung erfasst in der Tendenz jene Konstellationen, in denen dem Rechteinhaber kein Vorwurf unangemessenen Verhaltens zu machen ist. Vielmehr wird der Tatsache Rechnung getragen, dass er im Vergleich zur Interessenlage des Verletzers (bzw. allenfalls im Hinblick auf übergeordnete Allgemeininteressen) kein ausreichendes Eigeninteresse geltend machen kann, das eine bedingungslose Vollstreckung rechtfertigt.

Davon zu unterscheiden sind Konstellationen, in welchen den Schutzrechtsinhaber selbst ein Vorwurf trifft. Als Sammelbegriff eignet sich hier wohl am ehesten jener des Rechtsmissbrauchs, auch wenn dieser für sich genommen wenig präzise ist. Gemeint sind Fälle, in denen zwar eine Rechtsverletzung vorzuliegen scheint, der Rechteinhaber aber angesichts der Umstände des konkreten Falls ein Eigenverhalten an den Tag legt, in dessen Lichte seine Rechtsposition nicht mehr schützenswert erscheint.

In den Rechtsordnungen der meisten Staaten dürften derartige Konstellation in der einen oder andern Weise einem Missbrauchsverbot unterliegen, wobei allerdings auffällt, dass diese Möglichkeit eher von theoretischer Relevanz zu sein scheint: In der Rechtspraxis kommen solche Fälle so gut wie nicht vor. Dies kann verschiedene Ursachen haben – nicht zuletzt, dass solche Konstellationen möglicherweise tatsächlich nicht sehr häufig vorkommen.

Mindestens so naheliegend erscheint allerdings, dass es schwierig sein dürfte, bestimmten Verhaltensweisen gestützt auf eine allgemeine Norm zum Rechtsmissbrauchsverbot beizukommen. Dafür mag die – immerhin spezialrechtlich explizit geschützte – Ausschließlichkeitsstellung als zu „unantastbar“ erscheinen, weswegen es sich aufdrängt, auf der gleichen Stufe (also in den einzelnen Schutzrechten) festzuschreiben, dass bestimmte Verhaltensweisen des Rechtsinhabers keinen Rechtsschutz finden können (vgl. Tool 15 des Teils 1). Auch wenn dies wenige Fälle betreffen mag, dürfte allein die Existenz einer spezifischen Bestimmung eine gewisse präventive Wirkung entfalten. Mit Blick auf die EU-Ebene drängt sich dieser Weg zudem auf, weil eine andere Kompetenzgrundlage als die spezialrechtliche für die Statuierung eines Missbrauchsverbot fehlt – es dem Binnenmarkt aber kaum zuträglich wäre, diese Frage den Mitgliedstaaten mit ihren unterschiedlichen Rechtstraditionen zu überlassen.

4.5 Wirtschaftswissenschaftliche Zusammenhänge

4.5.1 Tatsachen und Wirkungszusammenhänge

Die Forderung, bei der Ausgestaltung, Auslegung und Anwendung von Schutzrechten verstärkt auf die Umstände abzustellen, in denen sie positive Wirkungen entfalten sollen, bildet in dieser Gesamtanalyse einen durchgängigen Argumentationsfaden. Daraus folgen die Notwendigkeiten, vermehrte Differenzierungen zu suchen, Besonderheiten auf bestimmten Märkten Rechnung zu tragen und nicht zuletzt auch auf spezifische Einzelfallkonstellationen Rücksicht zu nehmen.

All dies wird aber nicht möglich sein, ohne die den notwendigen Differenzierungen und besonderen Behandlungen zugrunde liegenden Tatsachen möglichst breit zu erfassen und adäquat einzuschätzen. Denn die Frage, ob, wann und bis zu welchem Grad Rechtsschutz aus utilitaristischer Sicht überhaupt erforderlich (also nützlich bzw. anreizfördernd) ist, ist nicht rechtlicher Natur. Gesetzgeber und Rechtsanwender sind vielmehr mit Herausforderungen konfrontiert, denen sie alleine oft kaum gewachsen sein dürften.

Diesbezüglich große Hoffnungen ruhen im Kontext der Marktregulierung über Schutzrechte auf der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung. Gleichzeitig muss man sich freilich der Grenzen dessen bewusst sein, welche Einsichten sich überhaupt erschließen lassen. Denn die Fragen, die etwa im Rahmen der hier formulierten Folgerungen der Beantwortung harren, sind überkomplex: Jene Märkte, auf die Schutzrechte einwirken sollen, sind durchgängig von einer schwer abzubildenden Dynamik geprägt. Teils sind sie zudem mit dem klassisch-bipolaren Anbieter/Nachfrager-Schema nicht mehr zu erfassen (etwa die bei digitalen Diensten häufig mehrseitigen Märkte), was die Prognosequalität zusätzlich herabsetzt.

Von diesen Schwierigkeiten abgesehen dürfen Erkenntnisse der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung auch nicht als alleine wegweisend verstanden werden. Selbst vertiefte Einblicke in die tatsächlichen Verhältnisse entbinden den Gesetzgeber oft nicht davon, letzten Endes normative Grundentscheidungen zu fällen. Wie solche Entscheidungen zustande kommen, ist für die nachhaltige Funktionsfähigkeit der fraglichen Regulierungen von entscheidender Bedeutung und muss daher für die Rechtsunterworfenen transparent sein.

Doch auch soweit sich die Gesetzgebung mit guten Gründen auf Tatsachen stützen mag, geht es nicht um bloße Fakten. Entscheidend sind die Wirkungszusammenhänge, welche sich aus nackten Zahlen alleine nicht erschließen. So ist es – um ein triviales Beispiel zu nennen – nicht von vornherein klar, dass sinkende Zahlen beim Verkauf von CDs direkt und unmittelbar auf Internetpiraterie zurückzuführen sind. Vielmehr dürfte jenes Medium einfach seinen Zenit überschritten haben, Nutzer also sukzessive Onlinemedien bevorzugen, allerdings auch durchaus bereit wären, einen angemessenen Preis zu bezahlen. Sie sind aber – zumindest in den Anfängen – möglicherweise auf illegale Angebote ausgewichen, weil legale im gewünschten Ausmaß oder zu annehmbaren Bedingungen gar nicht existierten.

Vor diesem Hintergrund sollte sich der Gesetzgeber vor allzu simplen Argumentationsmustern hüten – eine Tugend, die auf europäischer Ebene nach wie vor nicht in notwendigem Maße zum Tragen kommt. Es ist kein Zufall, dass die wirtschaftswissenschaftliche Forschung selbst bemüht ist, in erster Linie objektiv nachprüfbare Fakten aufzuzeigen, bei der Interpretation der Wirkungszusammenhänge aber große Zurückhaltung übt. In wirtschaftswissenschaftliche Einblicke weitergehende Erkenntnisse hineinzuinterpretieren, die für politisch wünschbar gehalten werden mögen, würde jene Forschung zum Feigenblatt für genuin politische Entscheidungen degradieren und letztlich bloße Scheinobjektivität bzw. Scheintransparenz schaffen. Damit würden nicht jene tatsächlichen Wirkungen nachgewiesen, die man sich von den Schutzrechten erhofft.

4.5.2 Umgang mit wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsergebnissen

Die Relativierung der Aussagekraft wirtschaftswissenschaftlicher Analysen bedeutet in keiner Weise eine Relativierung der Tragweite dieser Forschungsdisziplin – ganz im Gegenteil. Eine auf die Spezifika von Märkten ausgerichtete Regulierung, die dort nachhaltig positive Effekte erzielen soll, ist undenkbar, wenn jene Märkte nicht so weit wie möglich im Hinblick auf ihre tatsächlichen Rahmenbedingungen ausgeleuchtet werden.

Dazu ist nicht nur – aber insbesondere – die wirtschaftswissenschaftliche Forschung in der Lage. Theoretische Gerüste und Modelle verbinden sich dabei idealerweise mit empirischen Einsichten – wenngleich man sich bewusst sein muss, dass die theoretischen Strömungen auch in der Disziplin selbst stark im Fluss sind.

Die hier aufgezeigten Grenzen wirtschaftswissenschaftlicher Forschung müssen aber jedenfalls dann in Erinnerung gerufen werden, wenn, wie dies auch schon zuvor betont wurde, aus den Einblicken marktbezogener Forschungen regulatorische Schlüsse gezogen werden. Im Auge zu behalten ist insbesondere, dass Regulierung ihrerseits sehr schnell an Grenzen stößt. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn das, was reguliert werden soll, von hoher Komplexität gekennzeichnet ist.

Wie ebenfalls schon einleitend hervorgehoben, liegt eine solche hohe Komplexität bei den Märkten, in denen Schutzrechte positive Effekte erzielen sollen, ausnahmslos vor. Ursächlich dafür sind die intrinsischen Merkmale und die Dynamiken, denen solche Märkte unterliegen, und auf die eine tendenziell starre Regulierung, wie sie Schutzrechte naturgemäß darstellen, nur ungenügend reagieren kann. Jegliche – auch noch so gut durch Fakten abgestützte – Regulierung läuft daher Gefahr, die beabsichtigten Ziele zu verfehlen – sei es, dass über das benötigte Maß an Rechtsschutz hinaus geschossen wird, sei es, dass ein Eingriff in das Marktgeschehen nicht weit genug geht.

Der tiefere Grund liegt darin, dass die überaus vielschichtige Information, die für eine wirkungsvolle Regulierung von solchen Märkten erforderlich wäre, den Entscheidungsträgern nicht vorliegt und nicht vorliegen kann. Sie existiert zwar durchaus – aber nicht zentral, und nicht auf der Ebene, auf welcher die Regulierung entsteht. Vielmehr ist sie auf der Ebene jener Marktakteure vorhanden, die alle – jeder für sich – über gewisse Teilinformationen verfügen, gestützt auf welche sie ihr Verhalten ständig neu ausrichten. Sie sind damit in der Lage, der Dynamik der jeweiligen aktionsrelevanten Märkte laufend Rechnung zu tragen – was nicht heißt, dass ihre Entscheidungen immer richtig wären. Denn die Teilinformation, auf die gestützt solche Entscheidungen erfolgen, kann richtig oder falsch sein – was je nachdem wieder zu einer Korrektur des eigenen Verhaltens zwingt.

Insgesamt erweist sich ein solches „bottom-up“ Entscheidungssystem wohl doch als effizient und nachhaltig. Aus diesem Grund sollte ihm Vertrauen entgegen gebracht werden. Dies bedeutet nicht, dass das Marktgeschehen keinerlei Regulierung bedürfte. Soll aber mit immaterialgüterrechtlichen Verhaltensvorschriften in das Geschehen eingegriffen und sollen bestimmte Marktpositionen über Schutzrechte dem Wettbewerb entzogen werden, so ist große Zurückhaltung geboten. Denn zielt eine Regel an den realen Gegebenheiten vorbei, bewirkt sie mit einiger Wahrscheinlichkeit schlechtere Ergebnisse als wenn gar nicht eingegriffen worden wäre.

Bezogen auf die Einsichten, die aus der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung gewonnen werden können, bedeutet dies, dass die Kausalzusammenhänge in einem sehr weitreichenden Maße gesichert sein müssen, bevor ein Eingreifen in die betreffenden Märkte erfolgt. Dies gilt umso mehr, als ein späterer Eingriff stets noch möglich bleibt, wenn sich etwas anders entwickelt als angenommen. Dagegen kann ein einmal erfolgter Eingriff nur noch schwierig rückgängig gemacht werden. Dies ist nicht nur auf die staatspolitische Realität zurückzuführen, dass einmal gesetzte Rechtsregeln hohe Beharrungskraft aufweisen. Noch viel wichtiger ist, dass sich die Marktakteure sofort auf neue Rechtsregeln einstellen, diese – wenn sie nicht passen – möglicherweise zu neutralisieren versuchen und sich damit ein neues Verhalten aneignen, das selbst dann nicht mehr ohne Weiteres aus der Welt zu schaffen wäre, wenn die das Verhalten auslösende Regelung wieder aufgehoben würde.

Für die Regulierung durch Schutzrechte bedeutet dies, dass das Dogma, Schutz sei von vornherein in der Tendenz besser als kein Schutz, zu überwinden ist. Schutzrechte können nachhaltige positive, aber genauso nachhaltig negative Effekte auslösen. Überhaupt sinnvoll wirken können sie von vornherein nur, wenn das richtige Maß des Eingriffs in den Markt erreicht wird. An dieses Maß muss sich der Gesetzgeber immer wieder von Neuem herantasten, was ihm am besten gelingt, wenn er das System möglichst flexibel ausgestaltet, ohne dabei die notwendige Berechenbarkeit bzw. Rechtssicherheit aufs Spiel zu setzten.

Flexibilität bedeutet dabei insbesondere, sich nicht der Illusion hinzugeben, gesetztes Recht allein sei in der Lage, das richtige Maß des Eingriffs zu erreichen. Ganz wesentliche Verantwortung liegt in der Rechtsanwendung; denn allein auf der Stufe der Rechtsanwendung kann es gelingen, die Dynamik der zu regulierenden Märkte situativ zu berücksichtigen. Die damit letzten Endes angesprochenen Gerichte können ihre Aufgabe, die Funktionsfähigkeit eines Regelwerks unter Berücksichtigung der konkreten Umstände der zu entscheidenden Fälle sicherzustellen, aber nur wahrnehmen, wenn ihnen der dafür notwendige Spielraum zugestanden wird.

4.5.3 Wirtschaftswissenschaften und Rechtsanwendung

Vor diesem Hintergrund ist das Augenmerk verstärkt auf das schon mehrfach angesprochene, vorstehend im Detail ausgeführte „Fine-Tuning“ des Schutzes im Einzelfall zu richten. Gewisse Regeln mögen grundsätzlich eine positive Wirkung entfalten, in Einzelfällen – und gerade dann, wenn spezifische Marktkonstellationen vorliegen – aber eben auch nicht. In letzterem Fall kann eine Regel sogar nachhaltige negative Effekte hervorrufen.

Als einfaches Beispiel mag die Konstellation dienen, dass es grundsätzlich natürlich dem Zweck von Urheberrechtsschutz entspricht, nicht autorisierte Marktteilnehmer von der Benutzung von Werken fernzuhalten, an denen ein Investor selbst Rechte erworben hat. Dies bedeutet aber nicht, dass ein und derselbe absolute Rechtsschutz dann auch noch sinnvolle Folgen zeitigt, wenn das Urheberrecht dazu instrumentalisiert wird, das Aufkommen neuer Geschäftsmodelle zu unterbinden, die der Rechteinhaber selbst nicht anbieten möchte, für die aber eine ernsthafte Nachfrage besteht. In solchen Situationen geht es nicht darum, den Rechtschutz einfach zu versagen. Vielmehr ist er dahingehend zu modellieren, dass die berechtigten Interessen des Rechteinhabers – namentlich auf angemessene Amortisation seiner Investitionen – zwar berücksichtigt werden können, ohne jedoch andere Interessen zu ignorieren.

Ob aber die Voraussetzungen tatsächlich gegeben sind, also z. B. eine ernste Nachfrage berücksichtigt wird, die ein anderer Marktteilnehmer als der Rechteinhaber befriedigen möchte, dieser dazu nachhaltig in der Lage sein wird, und was die angemessenen Bedingungen dafür sind, dies alles sind Fragen, auf die außerhalb einfach anwendbarer Rechtsnormen eine Antwort gesucht werden muss. Mehr noch: es handelt sich um weitgehend nicht juristische Fragestellungen.

An dieser Stelle können wirtschaftswissenschaftliche Einblicke abermals wertvolle Hilfe leisten. Die Aufgabe der Wirtschaftswissenschaften erschöpft sich mithin nicht in systemischen Fragen oder in Analysen von Märkten, in denen eine allgemeine Regulierung Platz greifen soll. Sie sind vielmehr – und deutlich besser als die Rechtswissenschaften – auch in der Lage, in Einzelfällen wesentliche Entscheidungsgrundlagen beizubringen.

Diese Aussage mag bei Schutzrechten befremdlich erscheinen; sie ist es mit Blick auf das allgemeine Wettbewerbsrecht aber keineswegs. Der gerade im Kartellrecht viel beschworene – wenn auch eher schillernde – Begriff des „more economic approach“ bringt dies zumindest ansatzweise zum Ausdruck. Es geht nicht nur darum, Makrostrukturen einer Marktsituation möglichst realitätsnah zu erfassen. Auch auf der Mikroebene muss genauer hingeschaut werden, wenn ein Eingriff in das Marktgeschehen seine Wirkung nicht verfehlen soll. Es ist nicht einsichtig, wieso diese Betrachtung im Rahmen der Regulierung mit Schutzrechten nicht ebenfalls sinnvolle Einsichten vermitteln könnte, handelt es sich dabei doch letztlich ebenfalls um eine – sozusagen spezialisiertere – Form von Wettbewerbsrecht.

Zu ergänzen ist allerdings gleichzeitig, dass Einzelfallentscheidungen zuweilen auch normative Gesichtspunkte berücksichtigen müssen. Es ist also nicht einfach damit getan, die Verantwortung des Richters blindlings an die Wirtschaftswissenschaften zu delegieren. Das Anliegen geht vielmehr dahin, Fakten und Zusammenhänge, die wirtschaftswissenschaftliche Analysen beibringen mögen, in einer Entscheidungsfindung nicht unberücksichtigt zu lassen.

4.5.4 Wirtschaftswissenschaften und Binnenmarkt

Diese gesamte Untersuchung will die Zukunft des europäischen Rechts abstecken. Alle Einsichten über die Wirkungsweisen von Schutzrechten sind damit letztlich an der Frage zu messen, auf welcher Ebene anzusetzen ist, um einerseits im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip zu handeln, dabei aber andererseits die Binnenmarktzielsetzung nicht zu gefährden. Aufgeworfen ist mit andern Worten die Frage, welcher Grad an Zentralisierung der schutzrechtsbezogenen Regulierung erforderlich ist.

Die Antwort auf diese Frage ist vielschichtig. Dabei leuchtet schon auf den ersten Blick ein, dass ein Schutzrechtssystem, das auch – und sogar vor allem – auf lokaler Ebene seine Wirkung entfaltet, nicht (oder nicht nur) europäisch konzipiert sein kann, sondern auch die jeweiligen nationalen oder regionalen Begebenheiten spiegeln können muss. Daher erscheint es kaum realistisch, z. B. das Markenrecht allein auf die Unionsebene zu konzentrieren. Die nationalen Schutzrechte haben also ihrerseits eine Daseinsberechtigung, müssen mit dem Unionsrecht koexistieren können, dürften die Grundfreiheiten aber nicht in ungerechtfertigter Weise beeinträchtigen.

Dies scheint beim Patentrecht weniger ausgeprägt der Fall zu sein, wobei hier immerhin der Gesichtspunkt eine Rolle spielen dürfte, dass kleine und mittlere Unternehmen eine zentrale Säule der europäischen Wirtschaftsordnung darstellen. Ein Unionspatentrecht – das den Namen verdient – wird mit Blick auf die Binnenmarktzielsetzung also zwar unumgänglich sein. Ob ein Einheitsrecht die Anliegen bloß lokaler Akteure ebenfalls angemessen berücksichtigen könnte, ist aber eine andere – bislang kaum erschöpfend untersuchte – Fragestellung.

Nochmals anders mag es im Urheberrecht aussehen, das ungeachtet der Ebene, auf der es gewährt wird, Rechtsfolge des bloßen Schöpfungsaktes ist. Die Entstehung des Schutzes per se kostet hier den Rechteinhaber also nichts. Zwar mag der eigentliche Schöpfungsakt Aufwendungen verursachen, und namentlich dürften nachfolgende Investitionen erforderlich sein, um die Auswertung eines Werks zu ermöglichen. Solche Kosten sind im Prinzip aber nicht größer, wenn das Schutzrecht letzten Endes unionsweit besteht. Mit andern Worten spielt es keine Rolle, ob ein Werk nur lokal (z. B. sprachregional) ausgewertet wird. Nach dem vom internationalen Recht vorgegebenen Schöpferprinzip besteht ohnehin auch in andern Territorien Schutz; dieser kostet dort aber ohnehin nicht zusätzlich, auch wenn eine Auswertung unterbleibt. Damit spielt es auch keine Rolle, ob der Rechtsschutz auf nationaler oder auf Unionsebene gewährt wird.

Der Vermutung liegt folglich nahe, dass den Rechteinhabern aus der Tatsache allein, dass statt nationaler Rechte bloß noch Unionsrechte gewährt würden, keine unmittelbaren Nachteile aus dem Rechtsschutz an sich erwüchsen. Wohl aber würde ein einheitlicher Rechtstitel gewisse Handlungsspielräume unterbinden, die aktuell darin bestehen, dass nationale (formal gesehen also voneinander unabhängig bestehende) Schutzrechte im Rahmen ihrer Auswertung territorial gegeneinander abgegrenzt werden können. Gerade bei Onlinesachverhalten erlaubt das sog. „Geoblocking“ in mehr oder weniger weitreichendem Maße (insbesondere Preis-) Diskriminierungen verschiedener Wirtschaftsräume innerhalb des Binnenmarktes. Entsprechende Praktiken mögen mit Blick auf das Amortisationsinteresse eines Investors nachvollziehbar sein – der Binnenmarktzielsetzung entsprechen sie aber nicht. Richtigerweise wurde von der Kommission daher auch das Geoblocking im Rahmen der jüngsten Strategie zum digitalen Binnenmarkt in den Fokus genommen.

Selbstredend erschöpft sich die Diskussion darüber, was auf nationaler Ebene geregelt bleiben kann und was auf die europäische Regelungsebene gehört, nicht in solchen mehr oder weniger spezifischen Gesichtspunkten. Dennoch macht schon diese einfache Gegenüberstellung gewisser Unterschiede der drei wichtigsten Schutzrechtsbereiche deutlich, dass die Frage des wünschbaren Grades an Europäisierung letztlich außerrechtlicher Natur ist.

Wie schon bei der Ausgestaltung der Schutzrechte an sich, so eröffnen sich folglich auch hinsichtlich der Vollendung der Binnenmarktzielsetzung Einfallstore für Interessenspolitik. Den daraus entspringenden Argumenten lässt sich nicht immer leicht etwas entgegensetzen. Umso offensichtlicher ist es, dass der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung auch in diesem Kontext die Rolle zukommt, gewisse Zusammenhänge deutlich zu machen und rechtspolitisch gefärbte Diskussionen zu objektivieren.