Vielfache und auch als problematisch einzustufende Auswirkungen des Klimawandels sind in Städten allein aufgrund ihrer hohen Bevölkerungszahlen, der damit verbundenen Konzentration der Gebäude und Infrastrukturen einschließlich ihrer hohen Sachwerte wahrscheinlich. Städte sind zudem Knoten der Wirtschaft, des Verkehrs und der Kommunikation. Die Aufrechterhaltung ihrer Funktionsfähigkeit ist unter sich verändernden Umweltbedingungen von grundlegender Bedeutung für die räumliche Organisation der Gesellschaft. Bereits zu Beginn des 21. Jahrhunderts lebt weltweit über die Hälfte der Menschheit in Städten – mit zunehmender Tendenz. In Deutschland liegt der Anteil der Stadtbevölkerung bei rund 74 % (UN 2014). Eine Analyse der großklimatischen Auswirkungen auf die lokal zu erwartenden klimatischen, aber auch lufthygienischen Veränderungen erscheint deshalb als besonders wichtig.

Gegenwärtige und zukünftige stadtklimatische Herausforderungen treffen auf Städte und Stadtregionen, die komplex strukturiert sind. Historische Kerne, Wohn-, Industrie- und Gewerbegebiete aus vergangenen und aktuellen Erweiterungsphasen, komplexe Infrastrukturen und mosaikartige Flächennutzungen sind auf gegenwärtige und mögliche zukünftige Folgen des Klimawandels zu untersuchen und anzupassen. Das Spektrum möglicher Auswirkungen vergrößert sich durch die beträchtlichen Unterschiede zwischen einzelnen Städten, hervorgerufen durch die naturräumliche Lage oder durch die wirtschaftliche Ausrichtung und sozialen Strukturen. Schließlich sind Stadträume nach innen über soziodemografische und funktionale Kriterien differenziert zu betrachten. Damit ergeben sich auch kleinräumige Expositionen gegenüber dem Klima, beispielsweise in hoch verdichteten und stark versiegelten Quartieren, die zu einer ausgeprägten Verwundbarkeit der dort lebenden Bevölkerung führen. Diese Vielfalt an Problemen wird in der Stadtklimatologie erforscht und in der Stadtplanung durch Anpassungsmaßnahmen bearbeitet. Entsprechend gliedert sich der Beitrag in eine zusammenfassende Analyse der Klimawirkungen sowie der Systematik urbaner Verwundbarkeiten (Vulnerabilitäten) und die Ableitung möglicher Planungsmaßnahmen.

1 Stadtklimatische Herausforderungen

1.1 Ansteigende Lufttemperaturen und thermische Belastungen

Da Städte bereits unter den gegebenen klimatischen Verhältnissen meist wärmer als ihr Umland sind, können sie als Vorboten des globalen thermischen Klimawandels angesehen werden. Es wird davon ausgegangen, dass städtische Räume zukünftig häufiger, intensiver und länger von Überwärmung betroffen sein werden (Goldbach und Kuttler 2012). Thermische Belastungen städtischer Siedlungsräume mit ihren negativen Wirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden lassen sich jedoch nicht nur in der bodennahen Atmosphäre als städtische Wärmeinseln (urban heat islands) nachweisen, sondern auch im Untergrund: sowohl im Boden (Kuttler et al. 2012) als auch im Grund- und Trinkwasser (Menberg et al. 2013; Zhu et al. 2010). In diesem Fall wird von einer subsurface urban heat island gesprochen (Müller et al. 2014). Höhere Bodentemperaturen führen nicht nur zu einer größeren Energiedichte des Bodens und des Grundwassers, sondern auch zu einer Erwärmung des Trinkwassers im Leitungssystem. Die Überwärmung des urbanen Bodens kann für den Stadtbewohner positiv, aber auch negativ sein:

  • positiv, weil Boden und Grundwasser durch Wärmetauscher zur Energiegewinnung genutzt werden könnten, wo besonders hohe Bodentemperaturen anfallen;

  • negativ hingegen, weil es durch die höhere Temperatur in den Trinkwasserleitungen zu einer Vermehrung hygienisch relevanter Mikroorganismen kommen kann, wodurch die Qualität des Trinkwassers herabgesetzt wird.

1.2 Luftinhaltsstoffe: Ozon, BVOCs und allergene Pollen

Zu den Luftinhaltsstoffen, deren Konzentrationen in einem erheblichen Maße von der Luft- und Strahlungstemperatur abhängen, zählt z. B. der sekundäre Spurenstoff Ozon (O3), der sich in hohen Konzentrationen negativ auf die menschliche Gesundheit auswirkt. Bedeutsam sind zudem biogene flüchtige Kohlenwasserstoffe (BVOCs), die von verschiedenen Pflanzen abgegeben werden und als Vorläufersubstanzen für Ozon wirken, sowie ausgewählte allergene Pollenarten (Kuttler 2012).

Die Konzentration von Ozon weist – bedingt durch seine Vorläufergase – eine exponentielle Lufttemperatur- und Strahlungsabhängigkeit auf (Stathopoulon et al. 2008; Melkonyan und Wagner 2013). Das führt während sommerlicher starker Sonneneinstrahlung und hoher Lufttemperatur zu einem ausgeprägten Tagesgang der Konzentration mit höchsten Ozonwerten am Nachmittag und allgemein niedrigsten Werten in der Nacht (Melkonyan 2011). Besonders steigt die Ozonkonzentration zwischen 20 und 30 °C, jener Spanne, in der nicht nur das in der Luft enthaltene Peroxiacetylnitat (PAN, C2H3NO5) thermisch instabil ist, sondern auch das für die Ozonproduktion maßgebliche Stickstoffdioxid (NO2) freigesetzt wird (Steiner et al. 2010).

Die Folgen des globalen Klimawandels veranschaulichen Melkonyan und Wagner (2013): Ausgangspunkt ihrer Rechnung ist der Acht-Stunden-Mittelwert für Ozon von 120 µg/m³ pro Tag, der in der entsprechenden EU-Richtlinie festgehalten ist (Kap. 13). Um gesundheitliche Schädigungen zu vermeiden, darf dieser an nicht mehr als 25 Tagen im Kalenderjahr überschritten werden. Bei einer angenommenen Erhöhung der Temperatur um 3 °C, die angesichts der derzeitigen Treibhausgasemissionen wahrscheinlich überschritten wird (IPCC 2014), wird sich an einem Industriestandort im Ruhrgebiet die Zahl der Ozonüberschreitungstage von derzeit 8 Tagen auf 19 Tage bis 2100 mehr als verdoppeln und damit nahe an den Schwellenwert kommen.

BVOCs werden bei hohen Temperaturen von einigen Laub- und Nadelbäumen bei thermischem Stress emittiert (Wagner 2013). Bekanntester Vertreter ist Isopren (C5H8). Zwar ist die Vegetationsdichte in Städten im Allgemeinen geringer als im Umland, jedoch kompensiert die hohe chemische Reaktivität von Isopren seine im Vergleich zu den anthropogenen flüchtigen Kohlenwasserstoffen (AVOCs) allgemein geringere Freisetzung. Bekanntester Vertreter der AVOCs ist Benzol (C6H6). Die Konzentrationen biogenen Isoprens können bei heißem Wetter um ein Mehrfaches höher sein als der Wert des anthropogenen Benzols (Abb. 22.1), da dessen Emission nicht von der Lufttemperatur abhängt. Treten die für den globalen Klimawandel projizierten höheren Lufttemperaturen auf, muss in Straßen mit stark isoprenemittierenden Bäumen wie Ahornblättriger Pappel, Traubeneiche und Gemeiner Robinie davon ausgegangen werden, dass die Ozonkonzentration in diesen Bereichen ansteigen wird (Wagner und Kuttler 2014).

Abb. 22.1
figure 1

Tagesgänge der Konzentrationen an Isopren, Benzol und Toluol sowie der Lufttemperatur in einem urbanen Park (Grugapark, Essen) zwischen dem 1. und 5. Juni 2011. (Wagner 2013; eigene Übersetzung)

Bestimmte Pflanzen setzen allergene Pollen unter dem Einfluss höherer Lufttemperatur und CO2-Konzentration, wie sie in Städten vergleichsweise vorherrschen (Büns und Kuttler 2012), verstärkt frei. So ist die Pollenproduktion der Beifuß-Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia, C3-Pflanze) in urbanen Gebieten nicht nur stärker als im Umland, sondern setzt auch wesentlich früher im Jahr ein. Überdies enthalten Pollen dieses Typs ein sich auf die Gesundheit des Menschen negativ auswirkendes Allergen (Amb a1). Bei weiterer Zunahme der CO2-Konzentration muss davon ausgegangen werden, dass sich die Pollenproduktion stark erhöht; im Vergleich zu den vorindustriellen Werten soll sich diese sogar verdoppeln bis vervierfachen (Ziska et al. 2003) (Abb. 22.2).

Abb. 22.2
figure 2

Pollenproduktion der Beifuß-Ambrosie unter vorindustriellen (1890), gegenwärtigen (2000) und zukünftigen CO2-Konzentrationen (Grau CO2-Konzentration, Grün Pollenproduktion je Pflanze; Gelb Masse an Pollen pro Blüte, Blau Anzahl der Blüten pro Pflanze)

1.3 Starkniederschlagsereignisse im städtischen Bereich

Stadtgebiete werden mit besonderen hydrologischen Problemen als Folge des Klimawandels konfrontiert (KOM 2009; EEA 2008; SEK 2009). Überflutungen durch Extremniederschläge können im städtischen Bereich zu großen Gebäude- und Infrastrukturschäden sowie zu einer Unterbrechung der Verkehrs- und Versorgungswege durch überflutete Straßen, Keller, Tiefgaragen und sensible Gebäudebereiche (Heizung, Stromversorgung) führen.

Ensembles von Klimaprojektionen zeigen im Jahresmittel des Niederschlags bis Mitte des 21. Jahrhunderts kaum eine Veränderung zur gegenwärtigen Niederschlagssumme für Deutschland (Deutscher Wetterdienst o.J.). Andererseits ergeben die extremwertstatistischen Analysen im Rahmen der Fortschreibung des Projekts KOSTRA-DWD (KOSTRA 2005) sowie Untersuchungen mit Klimaprojektionsdaten eine Zunahme der Häufigkeit von Ereignissen mit großen Niederschlagsmengen (Deutschländer und Delalane 2012). Für die Stadt Köln ergibt sich auf der Basis von Ein-Stunden-Niederschlagssummen, berechnet mit dem Modell HIRHAM5 des Dänischen Meteorologischen Instituts dem Emissionsszenario SRES A1B, dass Niederschlagsereignisse, die von 1961 bis 2000 im Mittel einmal pro Jahr aufgetreten sind, bis Mitte des Jahrhunderts um 35 bis knapp 200 % häufiger auftreten werden (LANUV 2013; Abb. 22.3).

Abb. 22.3
figure 3

Verlauf der Überschreitungshäufigkeit von Starkniederschlagsereignissen (99,99stes Perzentil) im Zeitraum 1961–2100 für neun Gitterpunkte im Raum Köln (farbige Linien). Die Überschreitungshäufigkeit 1,0 (100 %) entspricht dem Mittelwert über die Jahre 1961–2000; Basis: Ein-Stunden-Niederschlagssummen; Modell HIRHAM5, Szenario A1B. (LANUV 2013)

Im Rahmen einer vorausschauenden Stadtplanung und -entwicklung sollte bereits heute auf die wahrscheinliche Zunahme von Starkniederschlagsereignissen reagiert werden: Im Bestand und bei anstehenden Planungen sollten Maßnahmen zur Minderung von Schadensrisiken durch Starkniederschläge umgesetzt werden. Diese reichen von Dachbegrünungen und Anpassungen im Kanalnetz über Einrichtungen zur Wasserspeicherung, den Bau von Regenrückhaltebecken und temporären Retentionsflächen wie Sportplätzen bis hin zur alternativen Nutzung von Straßen oder Tunneln als Notwasserwege.

Allerdings beruhen das Verständnis und die Kenntnis der räumlichen Verteilung von Starkniederschlagsereignissen in Städten bisher auf den mehr oder meist weniger dichten Niederschlagsbodenmessnetzen: Die hohe räumliche Variabilität – speziell der Starkniederschläge – lässt sich damit nur unzureichend erfassen. Die Verwendung von Niederschlagsdaten aus Radarmessungen eröffnet Perspektiven für eine bessere Erfassung der räumlich-zeitlichem Niederschlagsverteilung: Der Deutsche Wetterdienst betreibt ein flächendeckendes Wetterradarmessnetz. Anhand der gemessenen Werte und unter Verwendung der Niederschlagswerte von Bodenmessstationen werden mit dem RADOLAN-Verfahren stündliche Radarniederschlagsdaten erzeugt (Kap. 3). Die horizontale räumliche Auflösung dieser Daten beträgt 1 km ×  1 km. Sobald eine hinreichend lange Zeitreihe an Radarniederschlagsdaten vorliegt, können für stadtplanerische Belange sowohl räumlich hochauflösende Niederschlagsklimatologien (z. B. jährliche Niederschlagssummen) als auch Andauer und Wiederkehrintervalle für Extremniederschläge zur Verfügung gestellt werden.

2 Urbane Verwundbarkeiten

Zunehmende thermische Belastungen, Konzentrationen von Luftschadstoffen und Starkniederschlagsereignisse können als singuläre Ereignisse oder in der zeitlichen Aneinanderreihung sowie im raum-zeitlichen Zusammenspiel Belastungen und Risiken in Städten auslösen. Unter Verwundbarkeiten (Vulnerabilitäten) wird in Anlehnung an die Auffassung des Weltklimarats (IPCC 2014) das Ausmaß verstanden, in dem ein System, in diesem Fall die Stadt, anfällig ist gegenüber nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels. Dabei ist zu beachten, dass in jeder Stadtregion globale Veränderungsprozesse des Klimas mit lokalen Klimadynamiken zusammenspielen. Damit bilden die urbane Morphologie, also die Oberflächenstruktur, und die Landnutzung, zusammen mit den naturräumlichen Einflussgrößen die Exposition gegenüber dem Klimawandel, die auch das Ausmaß städtischer Verwundbarkeiten prägen.

Generell besteht die Meinung, dass sich die wissenschaftliche Bearbeitung von Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel noch in der Aufbauphase befindet (Hunt und Watkiss 2011; BMVBS 2010). Jedoch existieren auch ausgereifte Planungsstrategien, wie mögliche Folgen der Temperaturveränderung und Intensivierung des Wärmeinseleffekts, modifizierte Niederschlagsregime oder Extremereignisse für Stadtregionen abgemildert werden können, bzw. wie die urbane Resilienz gegenüber Klimarisiken erhöht werden kann (Tab. 22.1). Abgeleitet aus internationalen Diskussionen über urbane Verwundbarkeit lassen sich mehrere Perspektiven bestimmen, die den zukünftigen Forschungs- und Handlungsbedarf strukturieren können (World Bank 2010; UN Habitat 2011; Bulkeley 2013).

Tab. 22.1 Klimafolgen und urbane Anpassungsmaßnahmen. (Carmin und Zangh 2009)

2.1 Urbane Verwundbarkeit als Problem der naturräumlichen Lage

Die naturräumliche Lage der Städte kann sich infolge des Klimawandels ungünstig auswirken. Besondere Expositionen entstehen durch Höhen- und Kessellage, Flussnähe, Küstennähe oder in Gebieten, die potenziell von Trinkwassermangel betroffen sind. Bisher sind mögliche Folgen vor allem für Städte in Küstenlage thematisiert worden (McGranahan et al. 2007; Hanson et al. 2011; Ratter et al. 2012). In Deutschland fallen die Städte der deutschen Nordseeküste in diese Kategorie, was auch durch Untersuchungen des European Observation Network for Territorial Development and Cohesion (ESPON) bestätigt wird (BBSR 2012). Wachsende Gefahren ergeben sich dabei vor allem durch Sturmfluten, insbesondere für Städte in Deltaregionen. Außerdem bestehen Überflutungsgefahren entlang von Flüssen, hervorgerufen durch Schnee- und Eisschmelze sowie Starkregen.

2.2 Urbane Verwundbarkeit als Problem der baulichen Umwelt und der technischen Infrastruktur

Um die Besonderheiten des lokalen Klimas und der urbanen Verwundbarkeiten verstehen zu können, sind Kenntnisse zur Struktur und Dynamik der Flächennutzung, vor allem der versiegelten Flächen, der Gebäude mit ihren Formen, ihrer Höhe und ihren Baumaterialien, der Infrastruktur zur Versorgung mit Strom, Wärme, Kühlung, Wasser und zur Entsorgung sowie zur Verkehrsinfrastruktur von großer Bedeutung (BMVBS und BBSR 2009). Erforscht ist bereits eine Vielzahl einzelner Stressoren, die im Klimawandel verstärkt auftreten können, z. B. Hitzewellen (zur Definition Kap. 6) in Städten (Revi et al. 2014). In Entwicklung befinden sich komplexe Ansätze, die auf direkte und vermittelte Klimafolgen mit nichtlinearen Rückkoppelungseffekten abzielen. Ihre Durchführung ist nicht nur mit erheblichen Datenproblemen verbunden, sondern erfordert auch weitergehende Ansätze zur urbanen Modellierung (Hunt und Watkiss 2011; Kirshen et al. 2008). Derzeit werden größere Forschungsprogramme aufgelegt, in denen die Auswirkungen des Klimawandels im Zusammenhang mit der Umsetzung der Energiewende auf der urbanen Ebene und zukünftig erforderlicher Infrastrukturausstattung untersucht werden. Der Stand der konzeptionellen Debatte ist dazu exemplarisch während der Internationale Bauausstellung in Hamburg zusammengetragen worden (IBA Hamburg 2015) und bildet den strategischen Bezugspunkt zur Umsetzung des Programms „Zukunftsstadt“ (BMBF 2015).

2.3 Urbane Verwundbarkeit als Problem der städtischen Gesundheit und Bevölkerung

Klimawandel kann über neue oder sich verstärkende Gesundheitsrisiken schwerwiegende urbane Probleme erzeugen. Der Deutsche Städtetag (2012) schlägt dafür Maßnahmen vor, die Warnungen vor Hitzewellen und eine Einrichtung von Notfalldiensten enthalten, aber auch die verstärkte Kontrolle risikoreicher Infrastrukturen (Kühlketten, Trinkwasserversorgung) und generell eine verstärkte Beobachtung der Klimawirkungen beinhalten. Auf entsprechenden Handlungsbedarf verweisen auch die Fallstudien von Pfaffenbach und Siuda (2010) zur Stadt Aachen oder Scherber et al. (2013) zu Berlin. Danach besteht nicht nur ein nachweisbarer Zusammenhang zwischen thermischer Belastung und Mortalität, sondern auch eine Diskrepanz zwischen einerseits der Wahrnehmung von Hitze als Belastung und andererseits der Bereitschaft, insbesondere von Personen mit Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems sowie der Atmungsorgane, geeignete Anpassungsstrategien aufzunehmen. Hinzu treten auch räumliche Aspekte, denn die Erfolgschancen von Bewältigungsstrategien für stadtklimatische Herausforderungen korrelieren hoch mit dem sozialen Status urbaner Sozialräume und sind in benachteiligten Quartieren schwieriger zu verbessern. Wie in Abb. 22.4 veranschaulicht, stellen städtische Quartiere mit vielen älteren, alleinstehenden Menschen besondere Risikoräume dar. Angesichts des demografischen Wandels und zunehmender Altersarmut ist hier ein neues Interventionsfeld erkennbar, das von wissenschaftlicher Seite durch eine Kombination der Lokalisation urbaner Exposition gegenüber dem Klimawandel und der Sozialraumanalyse bearbeitet werden kann. Studien zum demografischen Wandel zeigen entsprechende Konzentrationen älterer Menschen sowohl in dicht besiedelten innerstädtischen Gebieten als auch zunehmend am Stadtrand auf, wo die Distanz zu Einrichtungen der medizinischen Versorgung zunimmt (Pohl et al. 2010).

Abb. 22.4
figure 4

Exemplarisch dargestellte Problemgebiete der Hitzebelastung im mittleren Ruhrgebiet (MUNLV 2010)

3 Erfahrungen und Perspektiven einer klimaangepassten Stadtentwicklung

Während die klimaangepasste Stadtentwicklung (im Sinne von „adaptation“) ein relativ neues Interventionsfeld darstellt, ist der Klimaschutz (im Sinne von „mitigation“) schon länger Bestandteil der Stadtpolitik, angeregt durch örtliche Erfordernisse der Emissionsminderung und Luftreinhaltung. Die Konferenz der Vereinten Nationen zu Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro (1992) und die daraus abgeleitete Lokale Agenda 21 hat darüber hinaus einen umfassenden Antrieb zur Formulierung lokaler Nachhaltigkeitsstrategien gegeben. Im städtischen Klimaschutz stehen Energieeinsparung, energetische Sanierung, Förderung umweltfreundlicher Verkehrsträger und die Bildung für nachhaltige Entwicklung im Vordergrund. Diese werden angesichts der Diskussion um den globalen Klimawandel mit dem Ziel weitergeführt, die CO2-Emissionen zu senken.

Während der städtische Klimaschutz als etabliert angesehen werden kann, tritt seit einigen Jahren die Klimaanpassung hinzu, befördert durch die Einsicht, dass sich das Klima im 21. Jahrhundert verändern wird und Städte darauf reagieren müssen (Reckien et al. 2014). Obwohl einige Städte wie Stuttgart wegen ihrer besonderen lokalklimatischen Situation bereits länger Ansätze der klimaangepassten Stadtplanung entwickelt haben (Klimaanpassungskonzept Stuttgart KLIMAKS 2012), ist in vielen Städten für dieses Praxisfeld noch erheblicher Nachholbedarf festzustellen. Dazu stehen viele Informationen aus inzwischen abgelaufenen koordinierten Programmen zur Unterstützung bereit, so etwa das Forschungsfeld „Urbane Strategien zum Klimawandel“ im Rahmen des Programms „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ (ExWoSt) oder das Forschungsfeld „Raumentwicklungsstrategien zum Klimawandel“ im Aktionsprogramm Modellvorhaben der Raumordnung (MORO), die beide vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) koordiniert wurden.

3.1 Beispiel für stadtklimatische Anpassungsstrategien

Planungshinweise für eine klimawandelangepasste Bebauung l sollen am Beispiel eines Quartiers in der Stadt Essen dargestellt werden. Dabei wurde auf modelltheoretischer Basis unter Verwendung des Modells ENVImet untersucht, wie sich die thermisch-klimatischen Verhältnisse einer Stadtgebietsfläche mit verdichtetem Siedlungsraum verändern, wenn die gegenwärtige Flächennutzung – hier am Beispiel eines Warenmarktes dargestellt – durch ein aufgelockertes Wohnquartier mit Grün- und Wasserelementen ersetzt wird. Untersucht wurde der Fall eines Hitzetages (16 Uhr UTC [koordinierte Weltzeit], tLuft >30 °C, Bewölkung: 0–1/8, Windgeschwindigkeit: <1 m/s) zur Zeit des sommerlichen Sonnenhöchststandes (Kuttler et al. 2011) und unter Verwendung des thermischen Behaglichkeitsmaßes PMV (predicted mean vote; psychophysisches Maß zur Abschätzung der thermischen Behaglichkeit, Kuttler et al. 2015). Ein Vergleich der Wärmebelastung zeigt bei gegenwärtiger Flächennutzung hohe Werte (also Unbehaglichkeit) an den Gebäudesüdfassaden, in unbeschatteten Straßenzügen und auf Freiflächen (Abb. 22.5). Grundsätzlich führt die Auflockerung des Untersuchungsgebiets durch Errichten einer durchgrünten Wohnbebauung zu einer deutlichen Reduktion der Wärmebelastung, die sich in PMV-Werten, die gegen null tendieren, niederschlägt (Abb. 22.6).

Abb. 22.5
figure 5

Tagsituation der menschlichen Wärmebelastung (Ist-Zustand) während eines Hitzetages unter Verwendung des PMV-Index (Ausschnittfläche 24 ha; großes Gebäude Mitte: Warenmarkt in Essen). (Kuttler et al. 2011)

Abb. 22.6
figure 6

Tagsituation der menschlichen Wärmebelastung (Planzustand) während eines Hitzetages unter Verwendung des PMV-Index (Ausschnittfläche 24 ha; aufgelockerte, durchgrünte Wohnbebauung). (Kuttler et al. 2011)

Mithilfe der an diesem Beispiel gezeigten Untersuchungen unter Verwendung geeigneter mikroskaliger Modelle lassen sich auch für kleinräumige Bereiche Empfehlungen aussprechen, wie die durch den globalen Klimawandel befürchteten thermischen Belastungen durch geeignete bauliche Maßnahmen bereits im Vorfeld zu minimieren sind. Voraussetzung dafür ist eine Regionalisierung des Stadtklimas mit Bezug auf die unterschiedlichen städtebaulichen Komponenten, für die beispielsweise das Konzept der thermal zones von Stewart und Oke (2009) einen Rahmen liefert. Zudem benötigt man dynamische Modelle der Stadtentwicklung, die gleichermaßen die derzeitige Gebäudestruktur und Landnutzung sowie ihre mögliche Veränderung im 21. Jahrhundert modellieren (für Hamburg z. B. Daneke und Oßenbrügge 2012; Bechtel 2012). Quantitative Szenarien der Stadtentwicklung können besonders in der Debatte über räumliche Leitbilder nützlich sein – beispielsweise bei der Diskussion des Leitbildes der „kompakten Stadt“ oder der Förderung von Entwicklungsachsen bzw. Ansätzen der „dezentralen Konzentration“ – und somit Anpassungen an mögliche Klimafolgen mittel- und langfristig verbessern. Hindernisse bestehen derzeit zum einen in der fragmentierten Datenlage, die gerade bei flächendeckender Betrachtung ohne zusätzliche umfangreiche Datenerhebung Probleme erzeugt und vergleichende Betrachtungen der Stadtregionen erschwert, zum anderen in der noch unzureichend integrierten Modellentwicklung, insbesondere zwischen der regionalen Klima- und Stadtentwicklungsmodellierung.

3.2 Städtische Klimapolitik und multilevel governance

Die beachtliche Bedeutungszunahme städtischer Klimapolitik auf nationaler und internationaler Ebene hat zahlreiche Fallstudien und Überblicksdarstellungen zum Thema städtische Klimapolitik im weiteren Sinne (urban climate governance) hervorgebracht (Bulkeley 2013). Vor allem die governance-Forschung ist über die Fragen, die sich beim urbanen Klimaschutz und der Klimaanpassung ergeben, sehr ausdifferenziert. Eine Zusammenfassung der diskutierten Aspekte kann vereinfachend von zentralen Parametern und zwei polarisierenden Betrachtungen ausgehen, aus denen sich die jeweils stadtspezifischen Steuerungsmodi der urbanen Klimapolitik ableiten lassen (Abb. 22.7).

Abb. 22.7
figure 7

Parameter städtischer Klimapolitik (modifiziert nach Bulkeley 2010). (Jürgen Oßenbrügge)

Ein wesentlicher Parameter ist die gesetzlich fixierte Kompetenzverteilung, die sich in Deutschland vor allem im Baurecht artikuliert. So stellt beispielsweise das Baugesetzbuch (BauGB 2013, § 1,5) fest:

„Die Bauleitpläne sollen eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung, die die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Einklang bringt, und eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung gewährleisten. Sie sollen dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln sowie den Klimaschutz und die Klimaanpassung, insbesondere auch in der Stadtentwicklung, zu fördern, sowie die städtebauliche Gestalt und das Orts- und Landschaftsbild baukulturell zu erhalten und zu entwickeln.“

Die Umsetzung dieser anspruchsvollen Aufgabe ist abhängig von der lokalen Wissensbasis und den verfügbaren Ressourcen, entsprechende Planungsgrundlagen zu erarbeiten und zu implementieren. In Deutschland bestehen große Unterschiede im Hinblick auf den rechtlichen Status der Städte (Kommune, kreisfreie Stadt, Stadtstaat/Bundesland) und damit verbunden in den administrativen Potenzialen und finanziellen Ressourcen, die für eine klimaangepasste Planung eingesetzt werden können. Weiterhin ist die öffentliche Aufmerksamkeit, die der Klimafrage im urbanen Kontext beigemessen wird, ein weiterer sehr wesentlicher Steuerungsfaktor – hier vor allem dann, wenn die Maßnahmen Verteilungswirkungen haben und wie bei der energetischen Sanierung zu Folgekosten der privaten Haushalte führen. Ähnliches gilt für Eingriffe in Mobilitätsformen oder Freihaltung bzw. Bebauung von Grünflächen. In Abhängigkeit der öffentlichen Debatte ist schließlich die Gestaltungskraft der Stadtregierung ein entscheidender Punkt, da Klimapolitik in der Regel eine mittel- bis langfristige Orientierung impliziert, die häufig in Widerspruch zu kurzfristigen Politikansätzen innerhalb von Wahlperioden gerät (Knieling und Roßnagel 2015).

Auf der Grundlage derartiger Parameter lassen sich idealtypisch Politikstile ableiten. Eine häufig gebrauchte Unterscheidung ergibt sich aus der hierarchischen (top-down-) und der partizipativen (bottom-up-)Politik. In der top-down-Perspektive ist die urbane Klimapolitik in Deutschland abhängig von global ausgerichteten Vereinbarungen zum Klimaschutz, stadtbezogenen EU-Richtlinien sowie den Gesetzen und Maßnahmen des Bundes und der Bundesländer. Urbane Klimapolitik entfaltet sich so im komplexen Zusammenspiel unterschiedlicher institutioneller Ebenen (multilevel governance). Diese Strukturierung trifft auf ortsspezifische Konstellationen, in denen lokale Akteure in besondere Entscheidungs- und Konfliktkontexte eingebunden sind, die sich nicht verallgemeinern lassen. Die bottom-up-Perspektive betont diese besonderen lokalen Einflüsse, die sich mit basisdemokratischen Postulaten verbinden. Aus übergeordneten Gründen als notwendig erachtete Anpassungsmaßnahmen können vor diesem Hintergrund und aus vielen anderen Gründen auf erheblichen örtlichen Widerstand stoßen. Damit ist das Spannungsfeld benannt, das sich zwischen lokaler Eigenständigkeit einerseits und Abhängigkeiten aus der Politikverflechtung andererseits ergibt.

Eine weitere Gegenüberstellung basiert auf dem dominanten Planungsverständnis. Gerade in der Klimapolitik trifft ein in der früheren Planungspraxis sehr dominantes wissensbasiertes und technokratisches Verständnis auf neuere Perspektiven, die auf umfassender Partizipation und Kooperation unterschiedlicher Akteure aufbauen. Wie die Ausführungen dieses Beitrags gezeigt haben, ist die Formulierung von Zielen des urbanen Klimaschutzes und der Klimaanpassung in der Regel von komplexen Analysen, Modellrechnungen und Szenarien abhängig, die partizipativen Prozessen nicht unmittelbar zugänglich sind. Gleichzeitig ist die breite Auseinandersetzung über Ziele und Maßnahmen der Stadtentwicklung unumgänglich, gerade wenn auch „sperrige“ Entscheidungen getroffen werden müssen, deren Qualität und Erfolge nur im langfristigen Denken erkennbar werden. Städtische Klimapolitik muss an diesen Polen ihre Wirksamkeit entfalten.

4 Kurz gesagt

Der globale Klimawandel stellt für Stadtregionen im Vergleich zu anderen Landnutzungsformen eine besondere Herausforderung dar. Städte sind wegen der hohen Bevölkerungs- und Infrastrukturdichte anfälliger gegenüber verschiedenen Klimafolgen. Daher müssen Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen gefunden und umgesetzt werden, um die urbane CO2-Bilanz zu verbessern und um weiter ansteigende Lufttemperaturen und zunehmende Starkniederschläge zu vermeiden. Auch die Entwicklung der Luftinhaltsstoffe muss beobachtet werden, da Stadtgebiete bei höherem thermischem Niveau steigende Ozonkonzentrationen und die zunehmende Verbreitung allergener Pollen begünstigen. Die Städte sind aufgerufen, ihre Verwundbarkeit gegenüber den Klimafolgen zu reduzieren und ihre Resilienz zu erhöhen. Neben einem kontinuierlich hohen Informationsstand über mögliche Klimafolgen gehört dazu auch eine Koordinierung unterschiedlicher Akteure und die Beteiligung der Stadtbevölkerung an allen Maßnahmen. Urbane Klimapolitik ist ein langfristig ausgelegter, auf breite Teilhabe aufbauender Transformationsprozess, der gleichermaßen auf die bebaute Umwelt wie auf das Handeln der Stadtgesellschaft einwirkt. Damit verbunden sind Veränderungen der Materialität des urbanen Raumes sowohl durch klimagerechte Stadtplanung als auch durch einen neuen Diskurs über Stadtentwicklung, in dem Aspekte des Klimaschutzes und der Klimaanpassung als selbstverständliche Elemente verstärkt aufgenommen werden müssen.