Erfolgreiche Unternehmen und Organisationen entwickeln ein umfassendes Bewusstsein für mögliche Krisen, sie betreiben professionelle Krisenprävention . Das Rezept für eine dauerhafte und erfolgreiche Krisenprävention lautet: Jeden Tag nach vorne schauen, Risiken wahrnehmen, richtig abschätzen und möglichst neutralisieren. Systematische Verfahren zur Früherkennung von Warnsignalen spielen dabei eine wichtige Rolle. Krisenpotenziale erkennen und antizipieren, Infrastrukturen schaffen, Abläufe einüben und Mitarbeiter schulen sind gute Voraussetzungen, um in krisenhaften Situationen souverän zu agieren, statt in einen Schockzustand zu verfallen. Leider sind noch zu viele Unternehmen und Organisationen von diesem Ideal weit entfernt.

Krisen gefährden außerdem immer das Image und die Reputation eines Unternehmens. In diesem Zusammenhang darf das mediale Interesse nicht unterschätzt werden. Die Mediengesellschaft, in der wir leben, liebt und produziert deswegen unentwegt große und kleine Krisen, indem sie schlicht jede Gelegenheit zur Berichterstattung nutzt. Schließlich ist die Krise  – mehr noch als die bloß schlechte Nachricht – ein hervorragend verkäufliches Gut (Mörle 2004). Leider verfügen noch zu wenig Unternehmen über professionelle Konzepte, die auch den Aspekt der Krisenkommunikation hinreichend berücksichtigen. Auch ist einzelnen Studien zu entnehmen, dass das Bewusstsein in Deutschland für das Thema Krisenprävention und ‑bewältigung in einigen Branchen noch nicht hinreichend ausgeprägt ist.

10.1 Krise – Gefahr und Chance zugleich –

Das Wort „Krise“ ist in unserem Sprachgebrauch meistens negativ besetzt, obwohl es auch Chancen in sich birgt. Das chinesische Schriftzeichen für Krise setzt sich aus den beiden Elementen Gefahr und Chance zusammen. Der Duden beschreibt den Begriff „Krise“ als eine „schwierige Situation, Zeit, die den Höhe‑ und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt“.

Abb. 10.1
figure 1

Krisen sind für ein Unternehmen Gefahr und Chance zugleich. (Pachurka 2008)

10.2 Was ist eine Unternehmenskrise?

Eine Unternehmenskrise liegt vor, wenn das Ausmaß eines Ereignisses ein Unternehmen in seiner Funktionsfähigkeit oder seinem Bestand existenziell beeinträchtigt, die Auswirkungen schwer beherrschbar sind, oder das Unternehmen auf kurze oder lange Sicht nachhaltig betroffen ist (Abb. 10.2).

Eine Unternehmenskrise kann auch als akute Gefährdung der Unternehmensgesundheit interpretiert werden.

Abb. 10.2
figure 2

Unternehmenskrise. (Pachurka 2008)

Grundsätzlich lassen sich drei Typen von Krisen unterscheiden:

  • Überlebenskrisen: Die wohl schwerste Form der Unternehmenskrise. Es droht die Gefahr der Insolvenz

  • Steuerungskrise: Sie beruhen z. B. auf Problemen der Führungskultur im Unternehmen

  • Veränderungskrise : Hierbei handelt es sich um Krisen, die durch schlecht gemanagte Veränderungen (z. B. Fusionen) hervorgerufen werden können. Ein gutes „Change‐Management “ gehört für jedes Unternehmen zum Pflichtprogramm

10.3 Wen kann die Krise treffen?

In der Vergangenheit bzw. Gegenwart haben sich folgende Branchen als besonders krisenanfällig gezeigt:

  • Gesundheit/Pharma

  • Chemie

  • Lebensmittel

  • Energie

  • Fleischerzeugung

  • Versicherungen/Banken

  • Luftfahrt

  • Automobil

Aufgrund der Globalisierung und Schnelllebigkeit unserer Industriegesellschaft kann eine Unternehmenskrise aber auch jede andere Branche jederzeit treffen.

10.4 Ursachen von Unternehmenskrisen

Die Ursachen und Wechselwirkungen, die zu einer Unternehmenskrise führen können, sind komplex und lassen sich in der Regel auf die Summe verschiedener interner und externer Ereignisse und Entwicklungen zurückführen. Unternehmenskrisen können entstehen durch:

  • Naturereignisse

  • Unglücke/Störfälle

  • Ausfall von Engpassanlagen

  • Managementfehler

  • Personalfehler

  • Fusionen

  • Veruntreuung

  • Korruption

  • Sabotage

  • Industriespionage

  • Produktfehler/Produkthaftungsfälle

  • Produktionsverlagerungen

  • Wettbewerbsverletzungen

  • Kriminelle Anschläge

  • Erpressungen/Entführungen

  • Angriffe von pressure groups

  • Medien

  • Arbeitsniederlegungen/Streiks

Gemeinsam ist ihnen das Versagen der Krisenprävention.

Auslöser von Krisen kann auch eine falsche Einschätzung der Risiken einer Unternehmung und des eigenen Leistungsvermögens sein:

Kapitän zur See E. J. Smith im Jahre 1907:

„Wenn mich jemand fragt, wie ich am besten meine Erfahrungen aus 40 Jahren auf hoher See beschreiben würde, so könnte ich diese Frage lediglich mit ‚unspektakulär‘ beantworten. Natürlich gab es schwere Stürme, Gewitter und Nebel, jedoch war ich nie in einen Unfall verwickelt, der es wert wäre, über ihn zu berichten.

Ich habe während dieser langen Zeit kaum ein Schiff in Not gesehen noch bin ich selbst in Seenot geraten oder habe mich sonst in einer misslichen Lage befunden, die in irgendeiner Form drohte, zum Desaster zu werden.“

Am 14. April sank die SS Titanic auf ihrer Jungfernfahrt nach einer Kollision mit einem Eisberg. Das Unglück forderte mehr als 1500 Menschenleben, eines davon das des Kapitäns E. J. Smith. Die Reederei geriet in extreme wirtschaftliche Schwierigkeiten.

10.5 Auswirkungen bei Unternehmenskrisen

Typische Auswirkungen, die bei Unternehmenskrisen entstehen:

  • Personenschäden

  • Hohe Sachschäden

  • Umweltschäden

  • Produktionsausfälle

  • Lange Betriebsunterbrechungen

  • Langanhaltende Lieferengpässe

  • Gewinnverluste

  • Verkaufsrückgänge

  • Mitarbeiterentlassungen

  • Vertrauensverluste

  • Imageschäden

  • Reputationsschäden

  • Werksschließungen

  • Insolvenz

Abb. 10.3
figure 3

Auswirkungen von Krisen. (Pachurka und Siegmann 2007)

Die Wechselwirkungen, die zu einer Unternehmenskrise führen können, sind komplex und lassen sich in der Regel auf die Summe verschiedener interner und externer Ereignisse und Entwicklungen zurückführen. Unternehmenskrisen können z. B. entstehen durch Naturereignisse, Unglücke/Störfälle, Managementfehler , kriminelle Anschläge und vielen Dingen mehr.

Krystek definiert den Begriff „Unternehmenskrise“ folgendermaßen:

„Unternehmenskrisen sind ungeplante und ungewollte Prozesse von begrenzter Dauer und Beeinflussbarkeit sowie mit ambivalentem Ausgang (Abb. 10.3). Sie sind in der Lage, den Fortbestand der gesamten Unternehmung substanziell und nachhaltig zu gefährden oder sogar unmöglich zu machen. Dies geschieht durch die Beeinträchtigung bestimmter Ziele (dominanter Ziele), deren Gefährdung oder gar Nichterreichung gleichbedeutend ist mit einer nachhaltigen Existenzgefährdung oder Existenzvernichtung der Unternehmung als selbstständig und aktiv am Wirtschaftsprozess teilnehmender Einheit mit ihren bis dahin gültigen Zweck‑ und Zielsetzungen“ (Krystek 1987).

Abb. 10.4
figure 4

Situationen mit Krisenpotential treffen jedes Unternehmen einmal. Entscheidend ist die Bewältigungsstrategie. (Abbild in Anlehnung an Romeike 2004)

Die Auswirkungen der Situationen mit Krisenpotenzial können bei mangelnder Krisenprävention verheerend sein. Mangelndes Krisenmanagement im Rahmen des betrieblichen Risikomanagements hat aber auch handfeste betriebswirtschaftliche Folgen (Abb. 10.5).

Abb. 10.5
figure 5

Betriebswirtschaftliche Folgen nach Großschaden trotz ausreichenden Versicherungsschutzes nach Angeben der Versicherungswirtschaft

Tipp

Die Krisenvorsorge ist ein wichtiger Bestandteil des Betriebssicherheitsmanagement‐Systems!

10.6 Krisenkommunikation und der Einfluss der Medien

Zahlreiche Beispiele aus der Vergangenheit haben aufgezeigt, dass Ereignisse mit Krisenpotenzial erst durch die Medien zu Krisen gemacht wurden. Nur wenige Unternehmen verfügen jedoch über professionelle Pläne, die auch den Aspekt der Krisenkommunikation berücksichtigen. Fehler bei der Kommunikation können ein kritisches Ereignis drastisch verschlimmern. Primäres Ziel der Krisenkommunikation ist die Aufklärung der Öffentlichkeit und der Medien und der direkt betroffenen Gruppen bezüglich der Krise. Des Weiteren versucht das Unternehmen, der Öffentlichkeit und den Medien zu vermitteln, dass es alles Mögliche unternimmt, um größere Schäden abzuwenden und die Situation wieder unter Kontrolle zu bekommen (Abb. 10.4).

Öffentlichkeitsarbeit während der Krise:

  • Information wird sofort und ohne Verzögerung weitergeben

  • innerhalb der ersten zwei Stunden eine Pressekonferenz einberufen und das sofort ankündigen

  • Informationsstrom nicht abbrechen lassen (alle 2 h neue Meldungen)

  • in Krisenzeiten übernimmt der Chef persönlich die Information

  • in Entscheidungsprozessen Informationsprofis einbeziehen

  • nur einer spricht – eine Botschaft – keine Widersprüche

  • den Dialog suchen, Fragen beantworten, nicht ausweichen

  • Emotional sein. Betroffen sein. Botschaften personalisieren und über die betroffenen Menschen sprechen, nicht über Materielles

  • die Wahrheit sagen. Keine Spielereien, sondern Fakten. Keine Tricks,

  • sofortige Hilfe anbieten (z. B. Barzahlung für Auslagen)

  • Medien benutzen, um Telefon‐Nr. bekannt zu geben

  • die Presse auf Trab halten und mit Hintergrundinformationen versorgen

  • Presse mit Essen, Getränken und Unterkunft versorgen

  • vertrauen und gutes Image in guten Zeiten aufbauen. Krisenvorsorge

  • auf Gleichbehandlung der Medien achten

  • Multimedial reagieren

Betriebe, die der Störfall‐Verordnung unterliegen, sind auf eine gerichtsfeste Information der betroffenen Öffentlichkeit bereits im Vorfeld von Schadensereignissen angewiesen:

Aus Erfahrung hat sich das Einhalten einer zeitnahen Information an die Medien in unserer modernen Medienlandschaft als Pflicht erwiesen.

Pflichten innerhalb der ersten zwanzig Minuten:

  • Eingehende Information bewerten, ob die unternehmensinterne Definition für eine „Krise“ erfüllt wird

  • Entscheiden, ob Krisenalarm ausgelöst werden soll

  • Krisenstab einberufen

  • bei Bedarf Alarmierungskette auslösen

  • Krisenzentrum aufsuchen

  • Kommunikationsverbindung vor Ort aufbauen

Pflichten innerhalb der ersten Stunde:

  • Differenzierte Lagebeurteilung

  • Information und Verhaltensregeln für die Bevölkerung geben, wenn erforderlich

  • Pressekonferenz ankündigen

  • vorbereitete Pressetexte mit allgemeinen Angaben zum Unternehmen für die Pressemappe ausdrucken

  • Kontakt zu „befreundeten“ Pressemitarbeitern herstellen

  • Information an Behörden

  • interne Information an Mitarbeiter

  • ggf. vorbereitete „Dark‐Site“ im Internet freischalten

Pflichten innerhalb der ersten zwei Stunden:

  • Hotline für Medien einrichten

  • Hotline für Betroffene einrichten, dort sofortige und unkomplizierte Hilfe zusichern

  • Information an Presse in Form einer Pressekonferenz

Pflichten innerhalb der ersten vierundzwanzig Stunden:

  • weitere Information an die Medien verteilen

  • weitere Pressekonferenzen abhalten

  • Hilfe für Betroffene regeln

Pflichten innerhalb der ersten Tage:

  • weitere Hintergrundgespräche mit der Presse

  • Anzeigen schalten

Pflichten innerhalb der ersten Wochen:

  • weiter Direkt‐Kommunikationsmaßnahmen

  • weitere Werbung, bis das positive Image des Unternehmens in den Medien und der Öffentlichkeit wieder hergestellt ist

Merke

Informationen an die Presse: „ZDF“: Zahlen, Daten, Fakten.

Kein Vertuschen, keine Lügen!

Auch immer daran denken: „Ohne Mampf kein Kampf“. Dies gilt nicht nur für die Mitglieder des Krisenstabes, sondern auch für die Presse, ein geeignetes Catering wird alle Beteiligten milde stimmen.

Gerade die erste Information der Medien und somit der Öffentlichkeit innerhalb der ersten Stunde benötigt eine möglichst hohe Effizienz und Effektivität. Kommunikationsmaßnahmen bzw. ‑instrument müssen perfekt aufeinander abgestimmt eingesetzt werden. Alleine daraus ergibt sich, dass die Krisenkommunikation im Vorfeld proaktiv vorbereitet werden muss. Oft ist es sinnvoll, sich dafür mit Profis in Verbindung zu setzen. Eine Möglichkeit der optimalen Abstimmung der einzelnen Instrumente ist die Orientierung an den sechs Krisen‐W’s:

  • Was ist passiert und was wird unternommen?

  • Wer wird informiert bzw. einbezogen?

  • Wie kann das Vertrauen erhalten bzw. wiedererlangt werden?

  • Wann wird die Öffentlichkeit informiert?

  • Warum kam es zur Krise?

  • Wo wird Stellung genommen?

Tipp

Eine effektive und effiziente Krisenkommunikation ist unbedingt erforderlich und sollte im Vorfeld von Profis vorbereitet werden!

10.7 Lücke bei der Krisenprävention

Leider reicht es nicht mehr aus, nur finanztechnische Kennzahlen zur Früherkennung von Unternehmenskrisen heranzuziehen. Immer mehr Unternehmen realisieren, dass die traditionelle Krisenprävention den gestiegenen Ansprüchen nicht mehr genügt, wie auch zahlreiche Studien belegen. Angesichts der härter werdenden Wettbewerbsbedingungen macht es Sinn, auch mehr Aktivitäten in die „technische“ Krisenprävention zu investieren. Hierzu gehören insbesondere das Durchspielen von „worst‐case“‐Szenarien, das Aufzeigen von bottle necks in der Produktion, die kontinuierliche Durchführung angemessener Instandhaltungsmaßnahmen sowie die Einführung eines Issue Profiling für Arbeitsmittel. In diesem Zusammenhang muss das zentrale Präventionsinstrument „Gefährdungsbeurteilung“ gemäß Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) und weiterer Verordnungen besser von den Unternehmen angenommen und genutzt werden.

BetrSichV – Betriebssicherheitsverordnung

Vom 27. September 2002; zuletzt geändert 6.3.2007

§ 10 Prüfung von Arbeitsmitteln

(2) Unterliegen Arbeitsmittel Schäden verursachenden Einflüssen, die zu gefährlichen Situationen führen können, hat der Arbeitgeber die Arbeitsmittel entsprechend den nach § 3 Abs. 3 ermittelten Fristen durch hierzu befähigte Personen überprüfen und erforderlichenfalls erproben zu lassen. Der Arbeitgeber hat Arbeitsmittel einer außerordentlichen Überprüfung durch hierzu befähigte Personen unverzüglich zu unterziehen, wenn außergewöhnliche Ereignisse stattgefunden haben, die schädigende Auswirkungen auf die Sicherheit des Arbeitsmittels haben können. Außergewöhnliche Ereignisse im Sinne des Satzes 2 können insbesondere Unfälle, Veränderungen an den Arbeitsmitteln, längere Zeiträume der Nichtbenutzung der Arbeitsmittel oder Naturereignisse sein. Die Maßnahmen nach den Sätzen 1 und 2 sind mit dem Ziel durchzuführen, Schäden rechtzeitig zu entdecken und zu beheben sowie die Einhaltung des sicheren Betriebes zu gewährleisten.

(3) Der Arbeitgeber hat sicherzustellen, dass Arbeitsmittel nach Instandsetzungsarbeiten, welche die Sicherheit der Arbeitsmittel beeinträchtigen können, durch befähigte Personen auf ihren sicheren Betrieb geprüft werden.

Arbeitskreis „Technische Krisenprävention“

Im Jahr 2006 ereigneten sich in zwei Mitgliedsunternehmen der Hütten‑ und Walzwerks‐Berufsgenossenschaft (HWBG) mehrere Großschadenereignisse mit erheblichen Sachschäden. Die Gesamtschadenhöhe belief sich über 400 Mio. €. Beide Betriebe gerieten aufgrund von längerfristigen Produktionsausfällen in Situationen mit Krisenpotential, die jedoch mit unterschiedlichen Konzepten, Strategien und externen Partnern (z. B. Schadensanierer) erfolgreich bewältigt wurden. Diese Ereignisse zeigten aber auch der HWBG Anpassungsbedarf in Bezug auf die Themen ihrer Präventionsarbeit auf.

Die HWBG nahm die Großschadenereignisse unter anderem zum Anlass, Ende 2006 einen internen Arbeitskreis (AK) unter der Leitung von Dipl.‐Ing. W. Rudolph zu gründen, AK Technische Krisenprävention, und damit gleichzeitig ein neues Präventionsthemenfeld aufzugreifen.

Dieser Arbeitskreis verfolgt insbesondere folgende Aufgaben/Ziele:

  • die Prävention von Personenschäden

  • die Prävention von Sachschäden/Großschäden

  • das Aufzeigen der Wechselwirkungen von Personen‑ und Sachschäden

  • Erarbeitung eines Beratungsangebotes für die Krisenprävention und ‑bewältigung

  • die Sensibilisierung der Mitgliedsunternehmen für das Thema „Techn. Krisenprävention“

Das Themengebiet „Technische Krisenprävention “ ist außerdem als ein zukunftsorientierter Präventionsansatz im Sinne der Leitgedanken des ehemaligen Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) „Visionen für die Prävention“ (HVBG 2004) zu betrachten. Dienstleistungen zu diesem neuen Themengebiet werden sowohl auf Großunternehmen als auch auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ausgerichtet.

Eine erste Praxishilfe „Technische Krisenprävention“ wurde bereits erstellt (Pachurka 2008).

Das Geschäft am Laufen zu halten, ist deshalb wichtig für alle Unternehmen. Dies erfordert, Krisenvorsorge in guten Zeiten zu betreiben und sofort nach einem Schadeneintritt die richtigen Schritte einzuleiten sowie die richtigen Partner mit ins Boot zu nehmen.

Die konkreten Maßnahmen zur Bewältigung einer Krise lassen sich nach Dreyer (2001) mit der Kurzformel „RACE“ prägnant zusammenfassen:

R

Research

Krisenidentifikation, Untersuchung

A

Action

Einleitung von Maßnahmen

C

Communication

Kommunikation

E

Evaluation

Bewertung und Dokumentation

10.8 Einfaches Krisenmanagementsystem

Beim Aufbau eines einfachen Krisenmanagementsystems tun sich viele Unternehmen schwer. Zunächst muss ein Unternehmen ein umfassendes Bewusstsein für mögliche Risiken und Krisen entwickeln. Vor allem müssen die Führungskräfte sensibilisiert und hinreichend ausgebildet werden. Schließlich wird eine schlagkräftige Aufbau‑ und Ablauforganisation sowie die Bereitstellung von Ressourcen benötigt.

Ein einfaches Krisenmanagementsystem sollte folgende Aspekte berücksichtigen:

Einfaches Krisenmanagementsystem:

  • Klare Abgrenzung der jeweiligen Kompetenzen und Befugnisse

  • Erstellung eines Alarm‑ und Gefahrenabwehrplanes

  • Kontaktaufnahme mit den entsprechenden Ansprechpartner im Vorfeld

  • Sicherstellung gegenseitiger Erreichbarkeit (aktuelle Telefonnummer,, E‐Mail etc.)

  • Benennung des Krisenstabes und Einrichtung eines Krisenführungsraumes

  • Festlegung von Zugangs‑ und Zufahrtsberechtigungen

  • Regelungen zur Krisenkommunikation

  • Sicherstellung des Informationsflusses

  • Zusammenstellung relevanter Unterlagen für den Krisenfall (Werkpläne etc.)

  • Regelmäßige Übungen mit Nachbereitung

Tipp

Bevor ein Krisenmanagement entwickelt oder angewendet werden kann, muss vom Unternehmen eindeutig festgelegt werden, wie für das Unternehmen eine „Krise“ definiert ist!

Gerade Betriebe, die der Störfall‐Verordnung unterliegen, sind auf eine gerichtsfest dokumentierte Vorbereitung angewiesen:

Verschiedene Teile des Krisenmanagements sind dabei zu unterscheiden:

10.8.1 Aktives/Antizipatives Krisenmanagement

Hier geht es noch um potenzielle Krisen. In dieser Phase befindet sich das Unternehmen noch im Normalzustand und es gibt noch keine in den unternehmensintern zu bestimmenden Kennzahlen wahrnehmbaren Krisensymptome. Die zentrale Aufgabe des antizipativen Krisenmanagements ist die gedankliche Vorbereitung auf mögliche Krisen. Man muss hier den Mut haben das undenkbare zu denken. Sehr häufig ist hier im Vorfeld ein geeignetes „Issues Management“ hilfreich.

10.8.2 Präventives Krisenmanagement

Das präventive Krisenmanagement bezieht sich auf die zweite Phase des Krisenprozesses , der latenten Unternehmenskrise. Die Krisensymptome sind teilweise noch verdeckt, die Kennzahlen liefern aber bereits den erhärteten Verdacht, dass bereits eine Gefährdung der Erfolgspotenziale vorliegt.

10.8.3 Reaktives/Repulsives Krisenmanagement

Die Krise ist bereits eingetreten und das Unternehmen ist sich dessen auch bewusst. Sie ist aber noch beherrschbar. Die zentrale Aufgabe ist die erfolgreiche Zurückschlagung und die daraus folgende Bewältigung der Unternehmenskrise.

10.8.4 Liquidatives Krisenmanagement

Dies ist die letzte Phase, die Krise nicht mehr beherrschbar und führt zur Katastrophe. Es kann zu einer möglichen Liquidation des Unternehmens kommen.

Tipp

Alle Organisationseinheiten eines Unternehmens haben die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Eintritt einer Krise zu verhindern (Krisenprävention) bzw. beim Eintreten einer Krise negative Auswirkungen für das Unternehmen so weit wie möglich einzugrenzen!

Eines der Instrumente des antizipatives Krisenmanagements ist das „Issues Management“ Dies ist bereits seit den 80er Jahren des vorherigen Jahrhunderts in den USA ein wichtiges Management‐Thema und findet seit Ende der 90er Jahre im europäischen Raum ebenfalls Anwendung.

Diese Bezeichnung „Issue“ entstammt dem angelsächsischen Sprachraum. Eine wörtliche Übersetzung ins Deutsche wäre „Thema, Angelegenheit etc.“, darunter versteht man in diesem Zusammenhang insbesondere ein Thema öffentlichen Interesses mit hohem Konfliktpotenzial . Issues Management dient als Früherkennungssystem für schwache Signale aus dem Unternehmensumfelds.

Der „Vater“ des Konzepts, der amerikanische PR‐Berater William Howard Chase, definiert Issues‐Management um 1976 herum wie folgt:

Issues Management is the capacity to understand, mobilize, coordinate and direct all strategic and policy planning functions and all public affairs/public relations skills toward achievement of one objective: Meaningful participation in creation of public policy that affects personal and institutional destiny.

Durch das „Issues Management “ hat ein Unternehmen oder Organisation also die Möglichkeit, schnell, flexibel und vor allem sensibel auf jede Nachricht und Entwicklung zu reagieren, die für die Identität und Wahrnehmung der Unternehmensmarke wichtig ist und bei Nichtbeachtung Krisenpotenzial entwickeln kann.

Das Issue Management lässt sich dabei in fünf Phasen unterteilen:

  • „Scanning“: Die Identifikation von Issues als grundlegende und somit fast schon wichtigste Phase

  • „Issues Monitoring“: Analyse und Beobachtung der öffentlichen Meinung und Medien

  • „Strategic issue diagnosis“: Die strategische Prüfung und Einstufung

  • „Message Formating“: Wahl der grundlegenden Reaktion/Antwort auf strategische Issues. Hierbei kann noch mal zwischen einem proaktivem und reaktivem Vorgehen unterschieden werden

  • „Incorporation into strategic plan“: Integration in die strategische Planung

Issues durchlaufen im öffentliche Fokus einen Lebenszyklus: Je weiter das Issue in seinem Lebenszyklus voranschreitet, desto geringer wird gleichzeitig die Einflussmöglichkeit des betroffenen Unternehmens. In den USA gilt das Issues Management mittlerweile als Selbstverständlichkeit, in Deutschland hingegen hinkt man dieser Entwicklung noch hinterher.

10.9 Der Krisenstab

Primäres Ziel einer Krisenorganisation ist eine schnelle Krisenbewältigung beim eintretenden Ernstfall. Deshalb macht es Sinn, in guten Zeiten einen geeigneten Krisenstab (KS) aufzustellen. Dabei spielt die Personalauswahl eine wichtige Rolle. Wie sich ein Krisenstab zusammensetzt, hängt vor allem von der Struktur und Größe eines Unternehmens ab.

Ein Krisenstab sollte so klein wie möglich und so ausbaufähig wie nötig sein. Für jedes Mitglied sollte außerdem ein Stellvertreter vorgesehen werden. Ein Krisenstab muss ad hoc handlungsfähig sein, sobald ein krisenhaftes Ereignis eintritt.

Der Krisenstab darf nur mit wenigen absoluten Entscheidern besetzt sein. Dazu zählen:

Kernteam:

  • ein Vertreter der Geschäftsleitung

  • der Betriebssicherheitsmanager (BSM)

  • der Chefjurist

  • der Pressesprecher

  • der IT‐Chef

  • 2 Assistenten

Zusätzlich:

  • Unternehmenssicherheit (Werksfeuerwehr, Werksschutz)

  • Umweltschutz

  • Fachstellen nach Bedarf

Assistenzteam für:

  • Herstellen der Arbeitsfähigkeit im Krisenbereich incl. Zugangskontrolle

  • Dokumentation

  • Protokoll

  • Anwesenheitsliste

  • Lagedarstellung (Visualisierung)

  • Administrative Tätigkeiten (Kopieren, Fax etc.)

  • Versorgung, Botengänge

Es ist im Einzelfall zu überlegen, wie die Arbeitnehmervertretung in den Krisenstab eingebunden werden soll. Der KS muss auch unpopuläre Entscheidungen im Sinne der Mitarbeiter treffen können, um größeren Schaden abzuwenden. Das darf die Arbeitnehmervertretung eigentlich nicht mit tragen bzw. entscheiden. Sie ist aber natürlich in jedem Fall fortlaufend zu informieren.

Alle weiteren oberen Führungskräfte sind ebenfalls kein Mitglied im Krisenstab. Sie müssen sich voll darauf konzentrieren können, den Normalzustand des Unternehmens wieder herzustellen oder zu erhalten. Es ist sehr sinnvoll für alle o. a. Mitglieder des Krisenstabes eine geeignete Stellvertreterregelung zu finden. Einzelne Mitglieder sind u. U. nicht sofort verfügbar oder selber zu Schaden gekommen. Auch muss eindeutig festgelegt werden, wer den KS einberufen darf.

Der BSM muss Geschäftsführer des Krisenstabs sein. Er hat alles zu organisieren und einzuleiten, was für eine effektive Arbeit erforderlich ist. Ferne hat er die Mitglieder zu beraten und regelmäßig zu informieren.

Seine Aufgabe ist auch die Ausstattung der Krisenstabsräume. Es sollten möglichst drei Räume zur Verfügung stehen.

Diese sind:

  • ein Sitzungsraum

  • ein angrenzender Arbeitsraum

  • ein angrenzender Presse‐Informations‐Medienraum

Alle Räume müssen mit allen erdenklichen Medien ausgestattet werden, die untereinander vernetzt sind. Ebenso müssen ausreichend Telefone mit allgemeinen und Geheimnummer vorhanden sein. Geheimnummern sind wichtig, da im Ernstfall alle Telefone schnell besetzt sind und somit keine Anrufe getätigt werden können. Der Krisenstabsraum sollte auch abhörsicher sein. Es sollte ebenfalls genügend Verpflegung für einige Tage und ein bis zwei Liegen zu Verfügung stehen.

Planunterlagen müssen per PC aber in Papierform vorhanden sein. Auf alle diese Unterlagen muss jedes KS‐Mitglied jederzeit, wo immer sie sich auch gerade befinden zugreifen können. Auch müssen die Krisenstabsmitglieder, möglichst über eine geheime Telefonnummer jederzeit erreichbar sein und ihrerseits telefonieren können.

Die Aktualität der unterlagen hat der BSM zu gewährleisten. Diese Unterlagen sind:

  • Betriebssicherheitshandbuch

  • Checklisten zur Abarbeitung von Krisen

  • Telefonverzeichnisse

  • Organisationspläne

  • Ansprechstellen bei allen Behörden, Rettungsdiensten etc.

  • Planunterlagen über Netze und Anlagen des Unternehmens

  • Betriebsanweisungen und Risikoanalysen

Für alle erdenklichen Krisenfälle sind entsprechende Checklisten zu erstellen. Die KS‐Mitglieder kommen regelmäßig, etwa alle drei Monate, zur Sitzung zusammen. Anlässlich der Sitzungen werden regelmäßig alle Unterlagen gesichtet und abgestimmt. Drüber hinaus muss für das gesamte Unternehmen, etwa jährlich, eine unangekündigte Krisenübung durchgeführt werden.

Die Krisenstabsmitglieder müssen auf ihre Aufgabe bestens vorbereitet werden. Dazu gehört unbedingt ein Medientraining .

Allen Führungskräften sind regelmäßig notwendige Informationen zukommen zu lassen. Ebenso die Verhaltensregeln. Die Führungskräfte informieren an Hand der unterlagen regelmäßig ihre Mitarbeiter.

Manche Krisen können jedoch durch die vorstehende Organisation allein nicht bewältigt werden (z. B. Erpressungen, Entführungen, Großschadenereignisse). Hierbei empfiehlt es sich, erfahrene Berater bzw. Partner hinzuzuziehen.

Auch darf das Ausmaß der möglichen einströmenden Kräfte auf ein Unternehmen im Krisenfall nicht unterschätzt werden. Diesbezüglich sollte in guten Zeiten ein adäquates Konzept aufgestellt werden: Wer kümmert sich ab wann um wen?

Es bietet sich für größere Unternehmen an ihre Krisenorganisation analog den Einsatzkräften der öffentlichen Bereiche zu organisieren (z. B. Bundeswehr und Feuerwehr; Abb. 10.6).

Abb. 10.6
figure 6

Krisenstab in Anlehnung an Ordnungskräfte wie zum Beispiel gem. Feuerwehrdienstvorschrift 100 (FwDV 100)

Sachgebiet S1 – Personal:

  • Bereitstellen von Kräften, Einrichten von Reserven und Ablösungen

  • Heranziehen sonstiger benötigter Kräfte

  • Führen einer Kräfteübersicht über in Betracht kommende und verfügbare, bereitgestellte und im Einsatz befindliche Kräfte

  • Einrichtung von „Bereitstellungsräumen“

  • Festlegen und Sicherstellen des Geschäftsablaufes

  • Einrichten und Sichern der Führungsräume

  • Bereitstellen der Ausstattung

  • Versorgung der Stabsmitglieder

Sachgebiet S2 – Lage:

  • Beschaffen, Auswerten und Bewerten von Informationen

  • Führen einer Lagekarte

  • Vorbereiten von Lagebesprechungen und Lagemeldungen

  • Information an Krisenstab und andere eigene Stellen

  • Meldung an Geschäftsleitung

  • Führen eines Tagebuches

  • Sammeln, Registrieren und Sicherstellen aller Informationsträger

Sachgebiet S3 – Einsatz:

  • Beurteilen der Lage

  • Festlegen von Schwerpunkten

  • Bestimmung erforderlicher Kräfte, Mittel und Reserven

  • Bestimmen und Einweisen von Führungskräften

  • Festlegen der Führungsorganisation

  • Anordnen von Absperrmaßnahmen, Stilllegungen

  • Zusammenarbeit mit Ämtern, Organisationen und Behörden

  • Erteilen von Einsatzaufträgen und Kontrolle der Durchführung

  • Veranlassen von Sofortmaßnahmen

Sachgebiet S4 – Versorgung:

  • Erstellung der Versorgungslage

  • Heranziehen von Hilfsmitteln (z. B. Baustoffe, Fahrzeuge, Spezialgerät und ‑ausrüstungen)

  • Bereitstellen von Verbrauchsgütern und Einsatzmitteln

  • Bereitstellen und Zuführen der Verpflegung

  • Bereitstellen von Unterbringungsmöglichkeiten für Einsatzkräfte, Mitarbeiter, Journalisten u. ä.

Sachgebiet S5 – Presse‑ und Medienarbeit:

  • Presse‑ und Medieninformation

    • Sammeln, Auswählen und Aufbereiten von Informationen aus dem Ereignis

    • Erfassen, Dokumentieren und Auswerten der Presse‑ und Medienlage

    • Erstellen von Presse‑ und Medieninformationen

  • Presse‑ und Medienbetreuung

    • Information der Presse und der Medienvertreter

    • Veranlassen von Führungen durch den Schadensbereich

  • Presse‑ und Medienarbeit

    • Veranlassen der Unterbringung der Presse‑ und Medienvertreter

    • Vorbereiten und Durchführen von Presse‑ und Medienkonferenzen

  • Presse‑ und Medienkoordination

    • Bündeln, Abstimmen und Steuern der Presse‑ und Medienarbeit, z. B. mit den Pressesprechern von beteiligten Behörden, betroffenen Unternehmen und insbesondere der Polizei

    • Halten eines ständigen Kontaktes mit Presse und Medien

  • Presse‑ und Medieneinbindung in die Schadensbekämpfung

    • Veranlassen von Warn‑ und Suchhinweisen für die Bevölkerung

Sachgebiet S6 – Informations‑ und Kommunikationswesen:

(Planen und Durchführen des Informations‑ und Kommunikationseinsatzes)

  • Feststellen des Ist‐Zustandes der Führungs‑ und Fernmeldeorganisation

  • Absprechen der Führungsorganisation mit S3

  • Feststellen der Einsatzmöglichkeiten von Funktelefonen

  • Aufteilen von Funkkanälen (Handfunksprechgeräte)

  • Erarbeiten eines Kommunikationskonzeptes

  • Sicherstellen der Kontakte mit den Informations‑ und Kommunikationsdiensten von Behörden

  • Ausstattung mit Bürokommunikationsmitteln

Tipp

Das Notfallmanagement ist eine besondere Ausprägung des Krisenmanagements und ein Bestandteil des selbigen. Ein Notfall zeichnet sich durch ein enorm hohes Gefährdungspotenzial aus, er ist nicht schleichend oder schleppend, sondern akut und die Reaktionszeit ist extrem niedrig!

Über geeignete und im Notfall auch sofort zur Verfügung stehende Dokumentationen (Verfahrenanweisungen, Notfallpläne, Gefahren‐Abwehr‐Pläne (GAP)), einer entsprechend ausgelegten Infrastruktur, spezifischer Instrumente und auch mit Hilfe von personelle Ressourcen muss ein Notfallmanagementsystem in den das Krisenmanagement implementiert und manifestiert werden. Elektronische, softwaregesteuerte Notfallmanagementsysteme können den Mitarbeitern helfen schnell zu reagieren. Es muss aber unbedingt beachtet werden, das die IT von der Energieversorgung abhängig und diese im Notfall ausfallen kann! Das Notfallmanagement muss den Mitarbeitern also auch in ausgedruckter Version zur Verfügung stehen.

Um auf Notfälle vorbereitet zu sein, empfehlen sich regelmäßige Notfallübungen und Räumungsübungen . Diese können neben dem Sicherstellen des prinzipiellen Funktionierens des Notfallmanagements auch Erkenntnisse liefern, welche Optimierungspotenziale noch ungenutzt sind. Dabei sollten die Übungsszenarien so realitätsnah wie möglich geplant und durchgeführt werden, um alle Parameter des Notfallplans zu überprüfen – die Funktionalität und Effektivität von organisatorischen, personellen und materiellen Vorkehrungen aber auch die Qualifikationen des Einsatz‑ und Hilfspersonals.

10.10 Brandschutz

Ein typisches Notfallszenario ist ein Großbrand im Betrieb.

Anlagen und Gebäude können nach einem Brandschaden mit mehr oder weniger großem Aufwand instand gesetzt, zerstörte Betriebs‑ und Arbeitsmittel neu beschafft werden. Die Beeinträchtigung der Gesundheit oder gar der Verlust von menschlichem Leben durch den Brand und seine Nebenwirkungen wiegen dagegen ungleich schwerer als der Sachschaden.

Sachschäden

Nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. ergibt sich für Großschäden in der industriellen Sachversicherung folgende Statistik der Brandschäden für die Jahre 1980 bis 2003 (Tab. 10.1).

Tab. 10.1 Aufwendungen der Sachversicherer

In der obigen Aufstellung wurden nur Schäden mit einem Schadenaufwand von mindestens 500.000 € (bis 2001 1 Mio. DM) berücksichtigt. Zwar ist die Anzahl der Großschadensereignisse tendenziell rückläufig, jedoch stieg im gleichen Zeitraum die durchschnittliche Schadenssumme deutlich an. Sachschäden durch Brände wurden in der Vergangenheit zwar seltener, dafür aber auch deutlich teurer.

Personenschäden

Brandereignisse in Gebäuden für den Wohnungsbau sowie in Gebäuden besonderer Art oder Nutzung (z. B. Krankenhäuser und Altenpflegeheime) stellen eine ernste Gefahr für die darin lebenden Menschen dar. Dieser Gefahr muss mit geeigneten Maßnahmen begegnet werden. Kern dieser Maßnahmen ist ein schlüssiges Brandschutzkonzept .

Allgemeine Feststellungen, die bei der Risikobeurteilung zu berücksichtigen sind:

  • Sind brennbare Materialien und Zündquellen vorhanden?

  • Sind Materialien vorhanden, die im Brandfall stark Rauch entwickelnd sein können?

  • Sind Maßnahmen vorhanden, die der Rauchentwicklung entgegenwirken? (z. B. Rauchabzüge)

  • Ist während der Belegung oder Benutzung Tageslicht vorhanden oder nicht?

  • Lage, Ausdehnung, Belegung, Nutzung bzw. Art des Betriebes oder Gebäudes sowie Struktur der Flucht‑ und Rettungswege

Lage:

  • Ist die Nutzung ober‑ oder unterirdisch?

  • Ist die Anlage freistehend oder innerhalb eines Gebäudekomplexes?

Ausdehnung:

  • Größe der Grundfläche des Gebäudes oder der Anlage

  • Anzahl der ober‑ und unterirdischen Geschosse

  • Anzahl, Größe und Lage einzelner Betriebs‑ oder Gebäudeteile

  • Abstand zwischen einzelnen Betriebs‑ oder Gebäudeteilen

  • Abgeschlossenheit des Betriebes oder Gebäudes gegenüber der Öffentlichkeit zugänglichen Bereichen?

Belegung, Nutzung bzw. Art des Betriebes oder Gebäudes:

  • Anzahl der Personen

  • Sind diese mit der Örtlichkeit vertraut oder nicht?

  • Unterwiesen in das Rettungssystem oder nicht unterwiesen? (Beschäftigte, Besucher, Kunden, Publikum?)

  • Schichtbetrieb

  • Brandlast und Brandgefahr durch brennbare Stoffe oder Flüssigkeiten

  • Explosionsgefahr

  • Ungesicherte heiße Bäder oder Bäder für Säuren oder Laugen

  • Langnachlaufende offene Maschinen oder Einrichtungen, die für die Versicherten bei Flucht eine Gefährdung sein können

  • Gebäude, die der Übernachtung dienen

  • Gibt es Personen im Betrieb oder im Gebäude, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind?

Struktur der Flucht‑ und Rettungswege:

  • Lage der Flucht‑ und Rettungswege

  • Anzahl der Lage der Treppenhäuser

  • Ist der Fluchtweg gradlinig oder verwinkelt?

  • Ist der Flucht‑ und Rettungsweg von jedem Arbeitsplatz erkennbar?

Aus praktischen Erwägungen sollten alle oben aufgeführten eventuell auftretenden Gefährdungen separat aufgelistet und bewertet werden.

Optische Sicherheitsleitsysteme

Die Anforderungen an die Struktur der Flucht‑ und Rettungswege sowie der dazugehörigen Pläne ergeben sich aus der Technischen Regel für Arbeitsstätten (ASR) A2.3 „Fluchtwege und Notausgänge, Flucht‑ und Rettungsplan “ vom 16. August 2007 und sind meistens (sollten) bereits in der Planungsphase von Architekten und Genehmigungsbehörden berücksichtigt worden.

Grundsätzlich ist immer dann eine Sicherheitsbeleuchtung vorzusehen, wenn das Arbeitsstättenrecht oder das Baurecht diese vorschreiben. Darüber hinaus kann die Gefährdungsbeurteilung weitere Anwendungsfälle sowohl für die Sicherheitsbeleuchtung als auch bodennahe Sicherheitsleitsysteme ergeben. Bei möglicher Verrauchung ist im Allgemeinen ein bodennahes Sicherheitsleitsystem erforderlich. Dieses kann grundsätzlich entweder elektrisch oder auch lang nachleuchtend ausgeführt werden. Die Gefährdungsermittlung kann auch ergeben, dass Kombinationen unterschiedlicher Sicherheitsleitsysteme erforderlich sind.

Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, dass bei hoher Personenbelegungsdichte der Einsatz eines elektrisch betriebenen Systems vorteilhaft ist. Bei geringer Personenbelegungsdichte kann ein lang nachleuchtendes System ausreichen.

Die Anforderungen an Sicherheitsleitsysteme ergeben sich für den Landbereich aus der Normenreihe DIN 67 510 (1–4) „Deutsche Industrie Norm für langnachleuchtende Pigmente und Produkte“, BGV A 8 „Sicherheits‑ und Gesundheitsschutzkennzeichnung am Arbeitsplatz“ und BGR 216 „Optische Sicherheitsleitsysteme“.

Folgende Anforderungen müssen von einem Sicherheitsleitsystem grundsätzlich erfüllt werden:

  • zuverlässig – „funktioniert“ auch bei Stromausfall

  • sichtbar – auch bei starker Verqualmung deutlich erkennbar und auch nach vielen Stunden noch zu erkennen

  • lückenlos – durchgehende Markierung bis zum nächstgelegenen Notausgang

  • beschreibend – was passiert auf dem Weg zum Notausgang? (Treppen, Hindernisse, …)

  • verständlich – in jeder Sprache unmissverständlich zu verstehen

Die im Unternehmen ergriffenen Brandschutzmaßnahmen sollten monatlich vom Brandschutzbeauftragten geprüft und protokolliert werden.

Um bei diesen Kontrollgängen auch zuverlässig das Vorhandensein aller Feuerlöscher kontrollieren zu können, empfiehlt es sich eine Auflistung dieser Löscher in der Reihenfolge der Begehung zu erstellen und die bei der Begehung überprüfte Aufstellung zur Dokumentation an das Protokoll zu heften.

Lfd.‐Nr.

Standort

Feuerlöschtyp

Löschmitteleinheiten

Vorh.?

Mängel

1

Kantinenküche

Fettlöscher

6

  

2

Wareneingang

ABC‐Pulverlöscher

6

  

3

Serverraum

Kohlendioxidlöscher

6

  

  

Im Folgenden finden Sie eine Muster‐Checkliste:

Feuerlöscher

Die Anzahl der benötigten Feuerlöscher ergibt sich aus der BGR 133 „Ausrüstung von Arbeitsstätten mit Feuerlöschern“. Diese BG‐Regel wurde in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Unfallkassen e. V. (BUK), dem Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) und dem Verband der Sachversicherer (VdS) erarbeitet. Sie findet Anwendung bei der Ausrüstung von Arbeitsstätten mit Feuerlöschern zur Bekämpfung von Entstehungsbränden. Diese Regeln finden keine Anwendung in Bereichen, die durch besondere gesetzliche Bestimmungen geregelt sind.

Dies sind z. B.:

  • Anlagen, die der Verordnung über brennbare Flüssigkeiten (VbF (jetzt BetrSichV)) unterliegen

  • Garagen, die den Garagenverordnungen der Länder unterliegen

  • Wasserfahrzeuge und schwimmende Geräte mit Betriebserlaubnis

Das Brandschutzkonzept

Ein Brandschutzkonzept umfasst eine aus den bestehenden baulichen und personellen/organisatorischen Voraussetzungen abgeleitete Liste über sämtliche (nicht nur im Brandfall) zu ergreifenden Maßnahmen sowie auch die Begründungen für diese Maßnahmen (Abb. 10.7). Eine ganzheitliche Betrachtung der Problemstellung wird dabei vorausgesetzt. Allgemein wird der Brandschutz in vorbeugenden, organisatorischen und abwehrenden Brandschutz unterteilt. Die einzelnen Maßnahmen des zu erstellenden Brandschutzkonzeptes müssen dabei aufeinander abgestimmt sein, so dass ein reibungsloses Ineinandergreifen der Maßnahmen gewährleistet wird.

Abb. 10.7
figure 7

In der Abbildung ist die Gliederung des Brandschutzes gemäß der vfdb‐Richtlinie schematisch dargestellt

Der Vorbeugende Brandschutz ist ein wichtiger Bereich des Baurechts. Da dieses in der Bundesrepublik Deutschland Ländersache ist, existieren sehr viele unterschiedliche Landesbauordnungen, die sich mehr oder weniger an einer Musterbauordnung orientieren.

In Nordrhein‐Westfalen z. B. sind gemäß der Landesbauordnung (BauO NRW) vom 01.03.2000 (GV. NW. Nr. 18 S. 256) Brandschutzkonzepte für sogenannte. Sonderbauten notwendig. Sonderbauten sind z. B. Versammlungsstätten, Verkaufsstätten, Krankenhäuser, Industriebauten, Hochhäuser, Schulen und Gaststätten. Im Brandschutzkonzept müssen alle Aspekte des Brandschutzes berücksichtigt werden, die für die spezielle bauliche Anlage maßgebend sind. In der vfdb‐Richtlinie 01/01 „Brandschutzkonzept“ vom Mai 2000 sind die zu berücksichtigenden Aspekte des Brandschutzes aufgeführt. Die einzelnen Maßnahmen des Brandschutzkonzeptes müssen dabei aufeinander abgestimmt sein, so dass ein reibungsloses Ineinandergreifen der Maßnahmen gewährleistet wird.

Die Anforderungen an die Struktur der Flucht‑ und Rettungswege sowie der dazugehörigen Pläne ergeben sich aus der Technischen Regel für Arbeitsstätten (ASR) A2.3 „Fluchtwege und Notausgänge, Flucht‑ und Rettungsplan“ vom 16. August 2007. In diese neue Arbeitsstättenregel wurde auch die „ Empfehlung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zur Aufstellung von Flucht‑ und Rettungsplänen nach § 55 Arbeitsstättenverordnung“ (Bekanntmachung des BMA vom 10.12.1987 – IIIb 2 – 34.507–8) übernommen.

Fluchtwege und Notausgänge

Fluchtwege verstehen sich als Verkehrswege , an die besondere Anforderungen zu stellen sind und die der Flucht aus einem möglichen Gefährdungsbereich und in der Regel zugleich der Rettung von Personen dienen. Fluchtwege müssen ins Freie oder in einen gesicherten Bereich führen.

Gemäß der Musterbauordnung (MBO) muss jede Nutzungseinheit mit mindestens einem Aufenthaltsraum wie Wohnungen, Praxen etc. in jedem Geschoss über mindestens zwei voneinander unabhängige Rettungswege ins Freie vorhanden sein. Diese Formulierung lässt die Fehlinterpretation zu, dass auch Geschosse, in denen sich keine Aufenthaltsräume befinden, zwei unabhängige Rettungswege haben müssen. Dies ist hier aber nicht gemeint. In der Landesbauordnung Nordrhein‐Westfalens ist diese Formulierung geändert. Dort heißt es: Für jede Nutzungseinheit müssen in jedem Geschoss mit einem Aufenthaltsraum zwei Rettungswege vorhanden sein. D. h. überall dort wo Aufenthaltsräume vorhanden sind, sind zwei voneinander unabhängige Rettungswege notwendig.

Die Rettungswege sind so anzuordnen, dass die maximal zulässigen Entfernungen – nach der MBO maximal 35 m – zu Türen, die direkt ins Freie führen, und zu Treppenräumen notwendiger Treppen nicht überschritten werden. In den Sonderbauvorschriften werden im Vergleich zur MBO unterschiedliche maximal zulässige Entfernungen genannt.

Die Rettungswege sind durch gut lesbare und dauerhafte Beschilderung zu kennzeichnen. Rettungswege (Treppenräume und notwendige Flure) müssen brandlastfrei gehalten werden.

Jedes nicht zu ebener Erde liegende Geschoss eines Gebäudes muss über mindestens eine notwendige Treppe in einem Treppenraum zugänglich sein (baulicher Rettungsweg). Der zweite Rettungsweg kann eine mit Rettungsgeräten der Feuerwehr erreichbare Stelle sein. Dies ist z. B. im Fall eines Hochhauses (Aufenthaltsebene höher als 22 m über Erdoberfläche) nicht möglich, da die Feuerwehren in der Regel für solche Einsätze nicht ausgestattet sind. Im Hochhaus sind zwei bauliche Rettungswege erforderlich. In Verkaufsstätten sind ebenfalls zwei bauliche Rettungswege notwendig, da in der Regel eine derartig hohe Personenanzahl nicht mit Rettungsgeräten der Feuerwehr gerettet werden kann.

Insbesondere in Sonderbauten mit einer Vielzahl von Personen ist in der Regel ein zweiter baulicher Rettungsweg erforderlich. Die Rettung einer Vielzahl von Personen über das Rettungsgerät der Feuerwehr ist nicht in angemessener Zeit möglich.

Flucht‑ und Rettungsplan

Um die sich im Gebäude befindlichen Personen in die Lage zu versetzen, sich schnell und sicher orientieren zu können, müssen Flucht‑ und Rettungspläne erstellt werden, die eine möglichst einfache Darstellung der baulichen Gegebenheiten sowie eine unproblematische Lesbarkeit aufweisen. Grundlage der Flucht‑ und Rettungspläne ist die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV).

Bandschutzbeauftragter

Auch wenn es derzeit nicht direkt gesetzlich vorgeschrieben ist, hat sich in der Praxis die Bestellung von Brandschutzbeauftragten bewährt. Der Brandschutzbeauftragte sollte eine mehrjährige Praxis im Vorbeugenden Brandschutz besitzen und/oder eine ausreichende Ausbildung im Vorbeugenden Brandschutz haben. Vergleichbar den Fachkräften für Arbeitssicherheit sollte der Brandschutzbeauftragte unmittelbar der Leitung des Werkes oder Betriebes unterstellt sein, für dessen Brandschutz er zuständig ist. Zu allen den Brandschutz betreffenden Fragen des Unternehmens – auch bei der Planung – sollte er gehört werden.

Zu seinen Aufgaben und Pflichten gehört das Erkennen von Gefahren sowie ihre Beurteilung. Er hat dafür zu sorgen, dass sie beseitigt und Schäden möglichst gering gehalten werden.

Dem Brandschutzbeauftragten sollten insbesondere folgende Aufgaben übertragen werden:

  • Aufstellen der Brandschutzordnung, der Alarm‑, Feuerwehreinsatz‑ und ggf. Räumungspläne (Katastrophenpläne); zur besseren Übersicht kann es zweckmäßig sein, zusätzlich detaillierte Brandschutzpläne zu erstellen

  • Organisation und Überwachung der Brandschutzkontrollen im Betrieb

  • Anweisung und Überwachung der Beseitigung von brandschutztechnischen Mängeln

  • Festlegen von Ersatzmaßnahmen bei Ausfall oder Außerbetriebsetzen von Brandschutzeinrichtungen

  • Beratung in Fragen des Brandschutzes, z. B. bei Planung von Neu‑ und Umbauten, Betriebsveränderungen, beim Aufbau einer Werkfeuerwehr

  • Verantwortung für den ständigen Kontakt zur zuständen Feuerwehr und für gemeinsame Übungen und Betriebsbegehungen

10.11 Brandschadensanierung (VdS 2357)

Unter den Bedingungen, die bei einem Brand herrschen, kann aus unbedenklichen Stoffen, gelagerten Gegenständen, Arbeitsmitteln (z. B. Kopierer) oder Bauteilen eine Vielfalt an Verbrennungsprodukten und Rückständen entstehen, deren Gefahrenpotenzial nur sehr schwierig einzuschätzen ist. Mit den daraus folgenden Anforderungen an den Umweltschutz, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Personen, die die Sanierungsarbeiten an den Brandstellen durchführen, befasst sich die GDV‐Richtlinien zur Brandschadensanierung – VdS 2357 (05). Die VdS Schadenverhütung ist ein Unternehmen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Die Richtlinien VdS 2357 wurde im Oktober 2007 neu strukturiert und grundlegend überarbeitet. Sie berücksichtigen die Vorgehensweisen und Schutzkonzepte der Gefahrstoff‑ und Biostoffverordnung sowie der zugeordneten technischen Regeln zur Gefährdungsbeurteilung (TRGS 400 „Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen“, TRBA 400 „Handlungsanleitung zur Gefährdungsbeurteilung und für die Unterrichtung der Beschäftigten bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen“, etc.) und die Festlegung von Schutzmaßnahmen. Zusätzlich berücksichtigen die Richtlinien die Aufgaben und Verantwortlichkeiten, die sich aus der Baustellen‐Verordnung und der BGR 128 „Arbeiten in kontaminierten Bereichen“ ergeben. Demnach entspricht die Richtlinien VdS 2357 (05) dem neuesten Stand der sicherheitstechnischen, arbeitsmedizinischen, hygienischen sowie arbeitswissenschaftlichen Anforderungen an die Brandschadensanierung (Abb. 10.8). Die Richtlinie kann in ihrer aktuellen Fassung von der Homepage der VdS Schadenverhütung unter der URL http://www.vds.de herunter geladen werden.

Tipp

Kein Brand ohne Schaden, daher: Nach dem Brand ist vor der Sanierung!

Abb. 10.8
figure 8

Ablaufschema mit Verantwortlichkeiten gem. VdS 2357

Einer der ersten Schritte ist die unverzügliche Meldung des Schadenfalles an den zuständigen Versicherer. Insbesondere bei Bränden mit höherem Gefahrenpotenzial kann dies entscheidenden Einfluss auf die gesamte Schadenabwicklung haben. Diese frühzeitige Meldung des Schadenfalles versetzt den Versicherer in die Lage, rechtzeitig zu reagieren und dadurch u. a. sicherzustellen, dass eine rasche und qualifizierte Beurteilung der Schadensituation vor Ort durch den Versicherer veranlasst werden kann (Abb. 10.9).

Vor Beginn der Sanierungsarbeiten sind unterschiedliche Bewertungen vorzunehmen und Entscheidungen zu treffen. In der Regel hat der Betroffene hierzu professionelle Hilfe wie etwa durch den Versicherer, durch Sachverständige oder Sanierungsunternehmen nötig. Nur mit dieser Hilfe kann das Unternehmen schnellstmöglich wieder die Produktion aufnehmen und den Verlust von Vertrauen und einen Imageschaden verhindern. Letztendlich könnte dies auch zum Verlust der Kunden und somit der wirtschaftlichen Grundlage führen.

Auf Basis der Erstbegehung durch die o. a. Experten erfolgt die Einteilung der Brandstelle in die Gefahrenbereiche.

Abb. 10.9
figure 9

Leitfaden Gefahreneinschätzung gem. VdS 2357

10.12 Organisation der betrieblichen Ersten‐Hilfe

Notfallmaßnahmen und Erste Hilfe sind zentraler Bestandteil der Betriebsorganisation. Grundsätzlich sollte der Unternehmer bei der Einrichtung von Arbeitsstätten, besser noch bei der Planung Notfallmaßnahmen berücksichtigen, um z. B. bei Bränden und anderen gefährlichen Störungen im Betrieb ein sofortiges Verlassen des Arbeitsplatzes zu ermöglichen.

Notfallmaßnahmen sind im § 22 der BGV A1 geregelt. Zu den Notfallmaßnahmen gehören u. A. die Aufstellung eines Alarmplanes, eines Flucht‑ und Rettungsplanes sowie einer Brandschutzordnung. Im Alarmplan wird festgelegt, welche Maßnahmen in Notfällen wie Brand, Unfall, Einbruch, Überfall durchgeführt werden müssen und ist an geeigneten Stellen im Unternehmen auszuhängen. Wichtig ist, dass der Alarmplan regelmäßig im Hinblick auf Änderungen von Telefonnummern und Personalwechsel aktualisiert wird. Versicherte sollten über Inhalte und Abläufe z. B. im Rahmen einer Unterweisung informiert werden.

Der Unternehmer hat dafür zu sorgen, dass für die Erste Hilfe und zur Rettung aus der Gefahr die erforderlichen Einrichtungen und Sachmittel zur Verfügung stehen.

Die §§ 24–28 der BGV A1 regeln die Erste Hilfe. Zu den Einrichtungen und Sachmitteln gehören insbesondere Meldeeinrichtungen, Erste‐Hilfe‐Material, Rettungsgeräte, Transportmittel und Sanitätsräume.

Das erforderliche Personal umfasst in erster Linie Ersthelfer und Betriebssanitäter sowie Versicherte, die in der Handhabung von Rettungsgeräten und Rettungstransportmitteln unterwiesen sind. Auch kann der Unternehmer zur Sicherstellung der Ersten Hilfe Personen mit einer höher qualifizierten Ausbildung in Erster Hilfe benennen. Dazu gehören Personen mit sanitäts‑ oder rettungsdienstlicher Ausbildung oder Berufe des Gesundheitsdienstes wie z. B. Krankenschwester, Krankenpfleger, Arzthelfer/Arzthelferin, etc.

§ 24 Abs. 3 BGV A1 verlangt vom Unternehmer, dass Verletzte sachkundig transportiert werden. Oft ist es schwierig, als Laie Verletzungen und Erkrankungen bezüglich der Art des Transportes einzuschätzen. Grundsätzlich gilt bei der Auswahl eines geeigneten Transportmittels, dass die Auswahl im Zweifel durch einen Arzt/Betriebsarzt herbeigeführt wird. Häufig ist kein Arzt/Betriebsarzt wie z. B. auf Baustellen vor Ort, so dass im Zweifel die Rettungsleitstelle zu informieren ist. Wird der Transport durch den öffentlichen Rettungsdienst vorgenommen, so trifft dieser alle weiteren Entscheidungen.

In Betrieben sind durch berufsgenossenschaftliche Aushänge oder in anderer geeigneter schriftlicher Form Hinweise u. a. über die Erste Hilfe sowie Angaben über Notruf, Erste‐Hilfe‑ und Rettungs‐Einrichtungen sowie Erste‐Hilfe‐Personal zu geben. Die BGI 510 (Erste‐Hilfe‐Plakat) sieht ein Feld für Rufnummern und Ansprechpartner vor und sollte nur ausgefüllt und gut lesbar im Betrieb ausgehängt werden. Aushänge sind stets aktuell zu halten.

Gemäß § 24 Abs. 6 BGV A1 sind über Erste‐Hilfe‐Leistungen Aufzeichnungen zu führen und 5 Jahre lang aufzubewahren. Aufzeichnungen können in einem Verbandbuch erfolgen (BGI 511‐1) oder aber es kann der „Meldeblock“ (BGI 511‐3) verwendet werden. Grundsätzlich ist zu beachten, dass es sich um Daten handelt, die gegen den Zugriff Unbefugter zu sichern sind.

Gemäß § 25 der BGV A1 hat der Unternehmer Meldeeinrichtungen vorzuhalten, damit ein Notruf unverzüglich, ohne schuldhaftes Verzögern, abgesetzt werden kann. Notfallsituationen erfordern unverzügliche Hilfe. Da die Möglichkeiten durch den Ersthelfer begrenzt sind, ist frühzeitig fachliche Hilfe über den Notruf zu holen. Das Schicksal eines Patienten hängt von einer frühzeitigen medizinischen Versorgung (erweiterte Maßnahmen u. A. durch den Notarzt) ab.

Die Qualität des Notrufs hängt stark vom Inhalt der Meldung ab. Allgemein akzeptiert ist das so genannte 5‐W‐Schema:

  • Wo ist der Notfall ? Ort, Stadtteil, Straße, Hausnummer, Stockwerk.

  • Was ist passiert? Kurze Beschreibung der Situation.

  • Wie viele Verletzte? Wichtige Angabe, um genügend Rettungsfahrzeuge einzusetzen.

  • Welche Art von Verletzungen? Sind Personen lebensgefährlich verletzt?

  • Warten! Erst auflegen, wenn die Leitstelle das Gespräch beendet.

Wichtig ist, dass bei der Notfallmeldung unbedingt auf Rückfragen der Rettungsleitstelle bzw. der die Meldung entgegennehmende Stelle gewartet wird. Niemals sollten Gespräche selbst beendet werden. Die annehmende Stelle beendet das Gespräch, wenn keine Rückfragen mehr erforderlich sind.

Im Betrieb hat der Unternehmer unter Berücksichtigung der betrieblichen Verhältnisse durch Meldeeinrichtungen und organisatorische Maßnahmen dafür zu sorgen, dass unverzüglich die notwendige Hilfe herbeigerufen und an den Einsatzort geleitet werden kann. Bei Anforderung des Rettungsdienstes sollte der KTW, RTW bzw. NAW je nach Betriebsstruktur z. B. vom Werkstor durch den Betrieb zur Unfallstelle geleitet werden, um Zeitverzögerungen zu vermeiden.

Die Mitarbeiter/innen im Betrieb sind bezüglich der Ersten Hilfe zu unterweisen:

  • Erste‐Hilfe‐Organisation

  • Notruf

  • Meldeeinrichtungen

  • Rettungseinrichtungen

  • Erste‐Hilfe‐Personal

  • etc.

In allen Betrieben und auf Baustellen muss Erste‐Hilfe‐Material bereitgehalten werden. Geeignetes Erste‐Hilfe‐Material ist z. B. im kleinen Verbandkasten nach DIN 13157 sowie im großen Verbandkasten nach DIN 13169 enthalten. In Abhängigkeit von der Betriebsart und Zahl der Versicherten gelten für die Ausstattung mit Verbandkästen die in der folgenden Tabelle aufgeführten Richtwerte.

Die Verbandkästen sollen auf die Arbeitsstätten so verteilt sein, dass sie von ständigen Arbeitsplätzen höchstens 100 m Wegstrecke oder höchstens eine Geschosshöhe entfernt sind. Sie sollen überall dort aufbewahrt werden, wo die Arbeitsbedingungen dies erfordern.

Arbeitsschutzgesetz – ArbSchG

„Arbeitsschutzgesetz vom 7. August 1996 (BGBl. I S. 1246), das zuletzt durch Artikel 427 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist“

[…]

§ 10 Erste Hilfe und sonstige Notfallmaßnahmen

(1) Der Arbeitgeber hat entsprechend der Art der Arbeitsstätte und der Tätigkeiten sowie der Zahl der Beschäftigten die Maßnahmen zu treffen, die zur Ersten Hilfe, Brandbekämpfung und Evakuierung der Beschäftigten erforderlich sind. Dabei hat er der Anwesenheit anderer Personen Rechnung zu tragen. Er hat auch dafür zu sorgen, dass im Notfall die erforderlichen Verbindungen zu außerbetrieblichen Stellen, insbesondere in den Bereichen der Ersten Hilfe, der medizinischen Notversorgung, der Bergung und der Brandbekämpfung eingerichtet sind.

(2) Der Arbeitgeber hat diejenigen Beschäftigten zu benennen, die Aufgaben der Ersten Hilfe, Brandbekämpfung und Evakuierung der Beschäftigten übernehmen. Anzahl, Ausbildung und Ausrüstung der nach Satz 1 benannten Beschäftigten müssen in einem angemessenen Verhältnis zur Zahl der Beschäftigten und zu den bestehenden besonderen Gefahren stehen. Vor der Benennung hat der Arbeitgeber den Betriebs‑ oder Personalrat zu hören. …

[…]

Es wird empfohlen, dass an Orten mit hohem Publikumsverkehr wie z. B. Flughäfen, Sportstätten und Einkaufszentren Defibrillatoren installiert werden, die auch von Laien bedient werden können. Durch die Verfügbarkeit von automatisierten externen Defibrillatoren (AED) können auch Laienhelfer in die Lage versetzt werden, durch automatisierte Defibrillation zu einer gesteigerten Reanimationsquote beizutragen.

10.13 Krisenprävention bei Auslandseinsätzen

Im Zuge der Globalisierung verstärken immer mehr Unternehmen ihr Auslandsgeschäft. Die Zahl der Auslandseinsätze der Mitarbeiter nimmt ständig zu. Jedoch werden die Risiken, die damit verbunden sind, häufig einfach ausgeblendet. Es wird zu oft leichtfertig mit dem höchsten Gut eines Unternehmens, den Mitarbeitern, umgegangen, obwohl die Risiken ständig zunehmen. Unternehmen, die Mitarbeiter ins Ausland entsenden, müssen regionsabhängig stets mit Naturereignissen wie Erdbeben, Seuchen wie SARS, Vogelgrippe oder Dengue‐Fieber, Terror und kriminellen Akten wie Bombenanschlägen oder Entführungen rechnen. Erstaunlich sei auch, dass Unternehmen sich häufig nur um das Visum und die Schutzimpfungen des Entsendungspersonals kümmern, nicht aber um eine umfassende Sicherheitsvorsorge. Dabei umfasst ein gutes Basis‐Schutzpaket weitaus mehr Aspekte. Die richtige Personalauswahl vor der Entsendung, die arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung incl. reisemedizinischer Beratung, die Einweisung in das jeweilige Land und dessen landesspezifischen Gefahren, die Unterstützung bei der Unterkunftssuche, die Auswahl geeigneter Kontaktpersonen vor Ort und eine gesicherte Ansprechbarkeit der Unternehmens rund um die Uhr müssen unbedingt berücksichtigt werden. Für den Ernstfall sind jedoch noch zu wenig Unternehmen professionell vorbereitet. Sie verlassen sich offensichtlich nur auf die Geschicke des Außenministeriums.

10.14 Influenza Pandemie‐Planung im Rahmen des Krisenmanagements

Die Pandemie‐Planung hat inzwischen auch viele Betriebe erreicht. Für die Weltgesundheitsorganisation ist der Ausbruch einer Grippe‐Pandemie nur eine Frage der Zeit. Experten rechnen damit, dass in diesem Fall rund 30 % der Arbeitnehmer ausfallen.

Eine Pandemie ist eine weltumspannende Epidemie. Erste Pandemien sind bereits seit der Antoninischen Pest (ca. 165–167 n. Chr.) tatsächlich belegt. Neben einer durch Influenzaviren verursachten Pandemie zählt z. B. auch AIDS zu dieser Kategorie, das (seit 1980) bisher etwa 25 Mio. Todesopfer forderte. Im 20. Jahrhundert ereigneten sich drei Influenzapandemien: Die „Spanische Grippe“ 1918–1920 (bis zu 50 Mio. Tote), die „Asiatische Grippe“ 1957 (ca. 1 Mio. Tote) und die „Hong Kong Grippe“ 1968 mit etwa 700.000 Toten.

Basis einer rationalen Planung ist ein gutes Verständnis der saisonalen, aviären und pandemischen Influenza . Die Trennung dieser Entitäten ist wichtig, gerade weil sie in der Öffentlichkeit nicht immer klar vollzogen wird. Seit 1978 zirkulieren Viren zweier Influenza A Subtypen (H1 und H3) sowie des Typs B in der menschlichen Bevölkerung und rufen die saisonale Grippe hervor. Der Anteil der Virustypen bzw. Subtypen an den Influenza‐Erkrankungen schwankt von Jahr zu Jahr, die Saison 2005/06 war z. B. von Influenza B‐Viren dominiert und relativ schwach, während in der Saison 2004/05 Influenza A/H3N2‐Viren vorherrschten und eine viel stärkere (und für das Gesundheitssystem folgenreichere) Grippewelle verursachten. Typischerweise baut sich eine saisonale Welle, häufig im Süden beginnend, in wenigen Wochen auf, bevor ganz Deutschland erfasst ist.

Die zwischen 2003 und Mitte 2007 aufgetretenen Fälle von aviärer Influenza mit A/H5N1‐ bzw. A/H7N7‐Viren beim Menschen sind Zoonosen, d. h. die Influenzaviren verursachen eine Infektion bei Vögeln und können bei engem Kontakt vom Tier (Wildvögel oder Geflügel) auf den Menschen übertragen werden. Generell treten in denjenigen Ländern die meisten laborbestätigten Erkrankungen von A/H5N1 bei Menschen auf, aus denen auch die meisten Ausbrüche bei Geflügel gemeldet werden.

Für das Ausbrechen einer Influenzapandemie müssen folgende Faktoren gegeben sein:

Es muss sich ein neuer Influenzasubtyp (z. B. H5 oder H2) in der Bevölkerung etablieren,

  1. 1.

    der pathogen ist,

  2. 2.

    der leicht von Mensch zu Mensch übertragbar ist

  3. 3.

    und gegen den ein Großteil der Bevölkerung nicht immun ist.

Die erste und dritte Bedingung werden vom aviären Influenzavirus A/H5N1 erfüllt, weshalb dieses Virus als ein möglicher Kandidat für das nächste pandemische Influenzavirus angesehen wird.

Das Virus H5N1 ist derzeit keine besondere Gefahr für den Menschen und das Risiko einer Pandemie durch den Ausbruch in Mitteleuropa nicht erhöht. Die Risiken des Vogelgrippevirus H5N1 sind in folgenden Punkten zu sehen (Stand April 2006):

  • Extrem aggressiv (virulent)

    • Letalität bei Hühnern > 95 %

    • Bei Menschen > 50 %

  • In Asien außer Kontrolle

  • Ausbreitung über Zugvögel (Afrika)

  • „Cluster“ in N‐Vietnam, 7 der 10 Mutationen gefunden

    Überspringen auf den Menschen könnte eine Pandemie nach Art der „Spanischen Grippe“ auslösen.

Nach Annahmen des Robert‐Koch‐Institutes ist im Falle einer Pandemie für die Bundesrepublik Deutschland innerhalb 8 Wochen („Peak“) mit folgender Situation zu rechnen:

Erkrankungsrate::

15–50 %

Arztbesuche::

6 bis 21 Mio.

Klinikeinweisungen::

180.000 bis 600.000

Tote::

48.000 bis 160.000

Hierbei handele es sich um optimistische Schätzungen, da man hierbei von einer Pathogenität der „Honk Kong‐Grippe“ ausgegangen ist und nicht von der höheren Pathogenität der „Spanischen Grippe“.

Welcher Betrieb kann einen so hohen Ausfall im Bereich Human Ressources verkraften? Wie viele Betriebe haben sich darauf vorbereitet? Wer denkt auch an die angehörigen seiner Mitarbeiter? Kein Familienvater wird in dieser Situation mit seinen Gedanken im Betrieb sein wenn er überhaupt zur Arbeit kommt (siehe Anlage 2).

Tipp

Durch eine Pandemie würde neben den unmittelbaren gesundheitlichen Auswirkungen auf die Bevölkerung auch die Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen werden!

Zu den besonders betroffenen Wirtschaftszweigen werden wahrscheinlich die Tourismusindustrie, die Gastronomie, die Unterhaltungsindustrie (Konzerte, Großveranstaltungen), das Transportwesen und der Groß‐ und Einzelhandel gehören. Es wird erwartet, dass pharmazeutische Unternehmen und Hersteller von Schutzausrüstungen aufgrund der starken Nachfrage in diesem Sektor von einer Pandemie zumindest wirtschaftlich profitieren werden. Alle Branchen wären aber während des Pandemiegipfels im eigenen Land durch den Ausfall an Arbeitskräften (eigene Mitarbeiter, Zulieferer, Kooperationspartner) betroffen. Schätzungen gehen bei einem schweren Szenario (wie 1918) von einem Abfall des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 5 % im Pandemiejahr aus, bei einem leichteren Szenario wird mit einer Reduktion des BIP von 1,5 % gerechnet.

Nicht zu vernachlässigen sind auch die rein psychologischen Auswirkungen in der Bevölkerung. Als im Frühjahr 2006 auf Rügen A/H5N1‐Viren in toten Wildvögeln gefunden wurden, weckten und schürten entsprechende Medienberichte ungerichtete Ängste vor einer Influenza‐Pandemie. Die Landwirtschaft und der Tourismus waren die beiden Branchen, die diese Befürchtungen am deutlichsten zu spüren bekamen.

Die Bevölkerung und die Wirtschaft müssen sich auf eine über Wochen bis Monate andauernde, ernste Beeinträchtigung einstellen, die wahrscheinlich sämtliche Bevölkerungsschichten betreffen wird. Wann eine solche Bedrohung entstehen kann, lässt sich nicht vorhersagen. Gerade deshalb ist jedes Unternehmen aufgefordert, in der Zeitspanne davor eine möglichst weit reichende und effiziente Vorbereitung für den Pandemiefall zu treffen, da die Zeit zwischen Ausrufung/Feststellung der Pandemie und den Auswirkungen eines solchen Geschehens unter den heutigen Umständen der Globalisierung (Flugverkehr u. ä.) außerordentlich schnell gehen kann. Nur wenn in der Wirtschaft und in öffentlichen Institutionen Verantwortlichkeiten für den Ernstfall definiert, Informationsstränge etabliert und Notfallszenarios festgelegt sind, lassen sich die Folgen einer möglichen Pandemie, sowohl was die Last in der Bevölkerung durch Krankheit und Tod als auch die wirtschaftlichen Folgen betrifft, so gut wie möglich in Grenzen halten.

Tipp

In diesem Szenario findet sich eine ausgeprägte Schnittstelle zwischen Krisenprävention und betrieblichem Gesundheitsmanagement!

10.15 Chancenpotenziale nutzen (Abb. 10.10)

Neben den Gefahren bietet jede Krise auch nutzbares Chancenpotenzial . Unternehmenskrisen müssen daher auch immer als Chance zum Neustart gesehen werden. Diese Phase wird auch als „Recovery als Neustart“ bezeichnet.

In dieser Phase gilt es vor allem, das Vertrauen der Kunden und der Öffentlichkeit in das Unternehmen zurück zu gewinnen. Eine Unternehmenskrise muss aber auch intern gegenüber den eignen Führungskräften und Mitarbeitern mental bewältigt werden. Je schneller diese Phase erreicht wird, desto weniger Schaden erleidet ein Unternehmen.

Abb. 10.10
figure 10

Chancenpotenziale bei Unternehmenskrisen. (Pachurka und Siegmann 2007)

10.16 Business Continuity Management (BCM), Business Continuity Planning (BCP), Supply Chain Management (SCM)

Die Geschäftsführung eines Unternehmens muss in die Lage versetzt werden, innerhalb kürzester Zeit alle Maßnahmen zur Wiederherstellung des „Normalzustandes“ – der Business Continuity – zu beschließen. Business Continuity Management (BCM) gewährleistet die Erhaltung der Geschäftstätigkeit auch im Notfall und ist damit Ausdruck einer verantwortungsbewussten Geschäftsführung. Schließlich fordern Kunden, Anleger und Gesetze höchste Verfügbarkeit von Geschäftsprozessen. Die verschiedenen Bereiche der Wertschöpfungskette hängen voneinander ab, gehen ineinander über und werden laufend verändert. Genau hier ist ein ganzheitlicher Lösungsweg notwendig, um Mehraufwand teurer Einzelaktionen in den Ressorts zu vermeiden und die Funktionsfähigkeit des Unternehmens und dessen Prozesse umfassend und übergreifend abzusichern. Viele glauben, für die entstehenden Schäden sind die Sach‑ und Betriebsunterbrechungsversicherungen da: Die wahren Risiken liegen jedoch im Kunden‑ und Marktanteilsverlust – hier können sich die Unternehmen nur selbst helfen. Dagegen kann man sich nicht versichern.

Eine Notfallplanung oder Wiederanlaufplanung (Business Continuity Planning (BCP)) ist als „Geschäftsaufrechterhaltungs‑ und ‑fortsetzungsplanung“ Bestandteil des Risikomanagements und indirekt aus dem KonTraG abzuleiten (Keitsch 2004). Hiefür sind präventiv im Rahmen des BCM Betriebsaufrechterhaltungs‑ und ‑fortsetzungsprozeduren zu entwickeln und zu trainieren um die Unternehmenswerte proaktiv zu schützen.

Im Bereich des BCM gibt es einen internationalen Standard, den ISO/PAS 22399:2007‐12 „Societal security  – Guideline for incident preparedness and operational continuity management“ (Sicherheit und Schutz des Gemeinwesens – Leitfaden für Planung, Vorbereitung und operationelle Kontinuität), der einige Hilfestellungen bietet (Abb. 10.11).

Viele der Betriebsprozesse erstrecken sich entlang der logistischen Wertschöpfungskette (Supply Chain): Die besonderen Eigenschaften des (Gesamt‑)Systems „Supply Chain“ ergeben sich dabei aus dem spezifischen dynamischen Zusammenwirken der Lieferkettenglieder.

Der Begriff des „Supply Chain Management (SCM) “ wurde Anfang der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in den USA geprägt. Hier entstand der Gedanke der Integration von verschiedenen Unternehmensaktivitäten. In den 90er Jahren rückte der Begriff vermehrt in den Bereich der Logistik. Aus der Perspektive des SCM folgt die Logistik einem prozessorientierten Ansatz. Übersetzen lässt sich SCM mit dem Management von Versorgungsketten, Lieferketten bzw. Wertschöpfungsketten. Daran wird sofort erkennbar, welches Krisenpotenzial hier zu finden ist.

Tipp

Am Beispiel des Supply Chain Management wird deutlich dass im gesamten betrieblichen Management nur ein umfassender Ansatz Erfolg verspricht. Auch alle Zulieferer sind im Krisenmanagement als Teil des Risikomanagements zu betrachten!

Im Rahmen des Supply Chain Managements (SCM) muss alles betrachtet werden, was entweder in den Betrieb reinkommt (Energie, Rohstoffe etc.) oder wieder raus muss (Produkte, Abfall etc.). Kommt es nur in einem Bereich zu logistischen Problemen oder Engpässen, kann unter Umständen die ganze Produktion still stehen. Ressourcen, die für die kritischen Prozesse eines Unternehmens erforderlich sind, müssen auch im Katastrophenfall zur Verfügung stehen. Bekommt man das Problem nicht schnell genug in den Griff, kann es zu einer Krise führen.

Abb. 10.11
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Implementierung eines Business Continuity Management als elementarem Bestandteil der Prävention. (Abbildung in Anlehnung an Keitsch 2004)

Unternehmenskrisen wird es immer geben. Nicht jede Unternehmenskrise ist vermeidbar. Jedoch gibt es systematische proaktive Herangehensweisen, die helfen, Warnsignale frühzeitig wahrzunehmen, Krisenpotenziale zu erkennen und zu antizipieren, Infrastrukturen aufzubauen, Abläufe einzuüben und Mitarbeiter zu schulen. Mit Hilfe einer professionellen Krisenprävention und ‑bewältigung lassen sich sowohl die Handlungsspielräume als auch die Werte für ein Unternehmen langfristig erhalten. Krisenvorsorge sollte auch unabhängig von der Unternehmensgröße betrieben werden.

Vorbereitete Unternehmen bewältigen eine Krise besser als unvorbereitete. Insgesamt hängt auch sehr viel von der Qualität der Unternehmensführung und dem vorhandenen Krisenbewusstsein eines Unternehmens ab.

Tipp

Proaktive Krisenvorsorge ist daher eine wertschöpfende Investition in die Zukunft eines jeden Unternehmens. Das Undenkbare kann schon Morgen in Form einer Krise Realität werden!

10.17 Krisenkommunikation und Social Media

Heutzutage kommt bei der Krisenkommunikation fast kein Unternehmen mehr um die Einbeziehung des Internets und um die sozialen Medien herum. Das gilt auch für Behörden, Berufsgenossenschaften, Institutionen, Kommunen und Organisationen. Insbesondere Aktualität, Anonymität, Schnelligkeit und Reichweite verleihen dem Internet die Doppelfunktion des Feuerlöschers und des Brandbeschleunigers. Fluch oder Segen? In Blogs, Chats und Diskussionsforen können Menschen ihre Ängste, Informationen, Meinungen oder Gerüchte in Windeseile verbreiten. Unternehmen, die nicht in der Lage sind darauf rechtzeitig zu reagieren, können schnell ins Hintertreffen geraten. Umgekehrt bietet das Internet den Unternehmen aber auch eine ideale Informations‑, Dialog‑ und Beobachtungsplattform für die eigene Krisenkommunikation, so dass Fakten zeitnah eingestellt sowie Gerüchte oder Falschmeldungen schnell wieder richtig gestellt werden können.

Abb. 10.12
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Jedes Unternehmen sollte im Rahmen seines Issues Management auch die gängigen „Social Media“ berücksichtigen. (Bild: Fotolia)

Für jedes Unternehmen ist es daher von steigender Bedeutung im Rahmen seines „Issue Management“ auch diese Medien intensiv zu beobachten (Abb. 10.12). Dieses Instrument ist ein wichtiger Teil des antizipativen Krisenmanagements. Das „Issues Management“ ist bereits seit den 1980er Jahren in den USA ein wichtiges Management‐Thema und findet seit Ende der 1990er Jahre im europäischen Raum ebenfalls Anwendung.

Diese Bezeichnung „Issue“ entstammt dem angelsächsischen Sprachraum. Eine wörtliche Übersetzung ins Deutsche wäre „Thema, Angelegenheit etc.“, darunter versteht man in diesem Zusammenhang insbesondere ein Thema öffentlichen Interesses mit hohem Konfliktpotenzial. Issues Management dient als Früherkennungssystem für schwache Signale aus dem Unternehmensumfeld.

Durch das „Issues Management“ hat ein Unternehmen oder Organisation also die Möglichkeit, schnell, flexibel und vor allem sensibel auf jede Nachricht und Entwicklung zu reagieren, die für die Identität und Wahrnehmung der Unternehmensmarke wichtig ist und bei Nichtbeachtung Krisenpotenzial entwickeln kann.

Das Issue Management lässt sich dabei in fünf Phasen unterteilen:

  • „Scanning“: Die Identifikation von Issues als grundlegende und somit fast schon wichtigste Phase

  • „Issues Monitoring“: Analyse und Beobachtung der öffentlichen Meinung und Medien (dazu zählen mittlerweile natürlich auch die „Social Media“)

  • „Strategic issue diagnosis“: Die strategische Prüfung und Einstufung

  • „Message Formating“: Wahl der grundlegenden Reaktion/Antwort auf strategische Issues. Hierbei kann noch mal zwischen einem proaktivem und reaktivem Vorgehen unterschieden werden

  • „Incorporation into strategic plan“: Integration in die strategische Planung

Issues durchlaufen im öffentliche Fokus einen Lebenszyklus: Je weiter das Issue in seinem Lebenszyklus voranschreitet, desto geringer wird gleichzeitig die Einflussmöglichkeit des betroffenen Unternehmens. In den USA gilt das Issues Management mittlerweile als Selbstverständlichkeit, in Deutschland hingegen hinkt man dieser Entwicklung noch hinterher.

Im Zeitalter des Internets bieten spezialisierte Firmen z. T. bereits ein professionelles „Online‐Monitoring“ an. Sie durchsuchen dabei regelmäßig im Auftrag ihres Kunden das Internet nach bestimmten Begriffen und Begriffskombinationen, die in den Interessenbereich des Kunden fallen und können so frühzeitig auf Entwicklungen mit Krisenpotenzial hinweisen.

Nach Angaben des PR‐Trendmonitor September 2010 (Faktenkontor GmbH) führten 50 bis 60 % der Pressestellen bzw. Agenturen bereits ein regelmäßiges Webmonitoring für Ihre Unternehmen bzw. Kunden durch. Die gleiche Studie ergab, dass die Pressestellen und Agenturen die „Social media allgemein“ als aktuelle Top‐No.‐1‐Herausforderung auch für sich selbst ansahen.

Auch kleine und mittlere Unternehmen sollten zumindest die regionalen Medien und Fachzeitschriften ihrer Branche regelmäßig beobachten. Es ist kein großer Aufwand sich von einem Mitarbeiter des Unternehmens einen wöchentlichen Pressespiegel zusammenzustellen zu lassen zu allen relevanten Themen, die das Unternehmen betreffen.

10.18 Homepages und Dark Sites

Heutzutage hat fast jedes Unternehmen eine eigene Internetpräsenz (Abb. 10.13). Viele nutzen diese Präsenzen auch, um in Krisensituationen schnell reagieren zu können. Krisen laufen fast immer unter einem enormen Zeitdruck ab. Unternehmen sollten daher schon im „Normalzustand“ im Rahmen ihrer Krisenprävention z. B. so genannte „Dark‐Sites “ vorbereiten (Abb. 10.14).

Abb. 10.13
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Das Internet verbindet die Welt, dadurch werden aber auch alle Meldungen und Gerüchte weltweit für Jedermann verfügbar. (Bild: Fotolia)

Hierbei handelt es sich um Webseiten mit Hintergrundinformationen über das Unternehmen und seine Produkte, die im Krisenfall freigeschaltet werden. Der Wert solcher „Dark Sites“ ergibt sich aus unterschiedlichen Aspekten. Einerseits können sich Journalisten, Anwohner und die Öffentlichkeit unmittelbar über die Ereignisse informieren, andererseits dokumentiert das Unternehmen durch die schnelle Reaktion im Internet, dass es die Ereignisse ernst nimmt. Der Verdacht, etwas würde verharmlost und vertuscht, kommt somit gar nicht erst auf. Auch bekommen die Journalisten „Futter“, sie brauchen sich keine Informationen ausdenken, sondern können auf fertige Texte und Bilder zurückgreifen.

Abb. 10.14
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Eine vorbereitete „Dark Site“ und geeignete Auftritte in den gängigen Social Media können in Situationen mit Krisenpotenzial schnell freigeschaltet werden und auch bereits im Vorfeld in der Community das Bild des Unternehmens positiv beeinflussen. (Bild: Fotolia)

„Klassiker“ wie die Suchmaschine „Google“ beschreiten in der Krisenkommunikation neue interaktive Wege: Nach dem verheerenden Erdbeben in Japan wurden etliche Menschen vermisst und mit dem „Person Finder “ konnte vielen geholfen werden, Informationen über den Aufenthaltsort oder Gesundheitszustand der Vermissten in Erfahrung zu bringen (http://google.org/personfinder/global/home.html). Dieses Beispiel zeigt, welche innovativen Möglichkeiten sich auch im Katastrophenschutz durch die neuen Anwendungen bieten.

10.18 Zusammenfassung

Zwischenfälle, die Betriebsabläufe stören oder Unternehmen schädigen, treten häufig auf. Notfälle ereignen sich seltener, Katastrophen sind die Ausnahme. Außergewöhnliche Ereignisse können ein Unternehmen jederzeit treffen. Sie können plötzlich eintreten, oder sich langsam anbahnen. Man kann sich von ihnen überraschen lassen, oder man kann glauben, darauf vorbereitet zu sein. Die Auswirkungen können in beiden Fällen verheerend sein.

Viele Unternehmen sind auf unerwartete Ereignisse nicht ausreichend vorbereitet. Beim Eintritt eines Ernstfalls sind nicht nur technische Anlagen und die Funktionsfähigkeit des Unternehmens bedroht sondern auch das Leben von Menschen. Zwischenfälle, Notfälle und Katastrophen wie zum Beispiel Naturereignisse, Sabotageakte oder Terroranschläge treten in unterschiedlicher Ausprägung, zu jeder Tages‑ und Nachtzeit sowie meist vollkommen unerwartet auf. Nicht immer kann man alle Ursachen vorhersehen, wohl aber deren Folgen für das Unternehmen. Die Auswirkungen von Notfällen und Katastrophen können für Unternehmen erheblich sein und im schlimmsten Fall zu einer existenzbedrohenden Krise führen. Ein Krisenmanagement ist optimal, um sich und seine Mitarbeiter bereits im Vorfeld auf solch außergewöhnliche Situationen vorzubereiten. Ziel ist es, Ausfallwahrscheinlichkeiten zu reduzieren und Handlungsfähigkeiten zu gewährleisten.