Zusammenfassung
Um vom Wesen des Staates eine vollendete Vorstellung zu erhalten, ist es notwendig, den Prozeß seines Entstehens und Vergehens zu betrachten. Namentlich für die Fragen des Rechtscharakters des Staates und der Natur und der Grenzen des öffentlichen Rechtes ist die klare Erkenntnis der staatsschöpfenden und Staatsvernichtenden Vorgänge von hoher Bedeutung.
This is a preview of subscription content, log in via an institution.
Buying options
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Learn about institutional subscriptionsPreview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Referenzen
vgl. Windelband Geschichte der Philosophie, 6. Aufl. 1912 S. 60; Gomperz Griech. Denker I S. 323ff.; Rehm Gesch. S. 12. Daß der Sicherungsvertrag, den die Epikuräer dem Staate zugrunde legten, ein Vertrag im Rechtssinne gewesen sei, wäre eine ganz falsche Auffassung. Die Epikuräer erkennen nämlich ein Naturrecht nur insoweit an, als ein Naturtrieb den Menschen gebietet, den Sicherungsvertrag zu schließen. Allein der dem modernen Naturrecht zugrunde liegende Satz: pacta sunt servanda, ist ihnen schlechthin unbekannt. Ihr Vertrag ist daher ein auf den inhaltlich zusammenfallenden Einzelinteressen beruhender Modus vivendi.
Pomponius L. 2 §1 D. de orig. iuris 1,2: „Et quidem initia civitatis nostrae popalus sine lege certa, sine iure certo primum agere instituit omniaque manu a regibus gubernabantur.“ Die längere Ausführung von Cicero, pro Sextio c. 42, schildert nur den historischen Hergang des Staatengründungsprozesses, erwähnt aber mit keiner Silbe eines ihn begleitendem Rechtsaktes. Die Bünde, welche der Sage nach bei Gründung der Stadt abgeschlossen wurden, konnten bei dem strengen Formalismus des alten Rechtes dem populären Denken schwerlich als Rechtsakte erscheinen.
Philosophie des Rechts S. 301 ff. Hegel ist es nur um die Idee des Staates zu tun, nicht um die zufällige historische Erscheinung; aber auch von dieser sagt er: „in Rücksicht auf die Autorität eines wirklichen Staates, insofern sie sich auf Gründe einläßt, sind diese aus den Formen des in ihm gültigen Rechte genommen“ (S. 307).
Staatslehre S. 169 ff.: „Der Staat entsteht nicht durch Zusammentritt von Kräften, sondern durch Entfaltung von innen, nicht durch menschliche Absicht, sondern durch göttliche Fügung.“ „So entsteht der Staat tatsächlich, so bindet er auch rechtlich. Sein Ansehen beruht auf seiner bloßen Existenz als solcher.“ „Während die Naturrechtslehrer den ganzen Staat, der doch historisch immer in absichtsloser Ausbildung entsteht, als ein Vertragsverhältnis behandeln, so müssen vielmehr nach richtiger Erkenntnis selbst jene Teile und Bestimmungen seiner Verfassung, welche wirklich durch Übereinkunft entstanden sind, dennoch angesehen werden, als habe eine über den Beteiligten stehende Autorität sie eingeführt.“ Daher weist auch Stahl bereits die sezessionistische Lehre von der Kündbarkeit der amerikanischen Union zurück. Zorn (Deutsche Literaturzeitung 1904 S. 883), auf dessen Ansichten über die Entstehung des Bundesstaates ich übrigens bereits (Lehre von den Staatsverbindungen S. 262 N. 10) hingewiesen habe, irrt sich daher, wenn er sich für den Urheber der Lehre von der rechtlichen Unableitbarkeit des Staates hält.
So sagt noch Mohl, Enzyklopädie S. 99: „Mit Recht darf die Keckheit oder Unwissenheit scharf getadelt werden, welche das sogar häufige Vorkommen von Staatsbegründungen mittels Vertrages ableugnen will.“ Die Frage, ob der Abschluß eines Vertrages bei Gründung des Staates auch wirklich die causa efdciens des Staates sei, wird von Mohl nicht einmal aufgeworfen. Auch Bluntschli, Lehre vom modernen Staat 1 S.336, und H.Schulze, Einleitung S. 151 N 10, erklären trotz heftiger Polemik gegen die Vertragstheorie, daß die Geschichte einzelne Fälle von Staatsgründungen durch Vertrag kenne. — Brie, Handbuch d. Politik I 1912 S. 72 f., läßt Staaten u.a. durch Gesetz eines andern Staates entstehen, wohl uneingedenk, daß durch Gesetz zwar Kommunal verbände geschaffen werden können, aber keine Staaten. Erst wenn das Gemeinwesen, so wie es ist, auch unabhängig vom gründenden Gesetze bestehen kann, ist es Staat geworden. Das Gesetz kann immer nur Anlaß sein, nie Rechtsgrund. — Rehm, Staatslehre S. 273, will Staaten ausnahmsweise durch rechtlichen „Gesamtakt“ von Geschlechtern oder Individuen entstehen lassen. Dieser Gesamtakt (vgl. unten S. 775 f.) ist aber rein naturrechtlicher Art und um kein Haar besser als der alte, von den Anhängern der Gesamtaktstheorie verworfene staatengründende Gesellschaftsvertrag. Er gehört doch weder dem Privat- noch dem Staatsrecht noch dem Völkerrecht an, welch letzteres Individuen als staatengründende völkerrechtliche Subjekte nicht kennt; er kann daher überhaupt nicht dem positiven, sondern nur einem für alle Völker und Zeiten gleichbleibenden und daher rationalen Rechte angehören; alle solche „Gesamtakte“ sind in Wahrheit Tathandlungen, nicht Rechtshandlungen. — Wenn die nach Amerika ziehenden Puritaner es für nötig fanden, ihre vielberufenen Pflanzungsverträge zu schließen, so ist das nur aus der ganzen geistigen Atmosphäre zu verstehen, in der sie lebten. Sie glaubten einen solchen Vertrag schließen zu müssen, weil sie es als selbstverständlich annahmen, daß jedes Gemeinwesen auf Vertrag ruhe. Die reale Ursache ihrer Schöpfungen lag aber doch nicht in den irrigen Vorstellungen, die bei ihrer Gründung mit unterliefen, sondern in der faktischen Herstellung eines geordneten Gemeinwesens. Zudem wird immer übersehen, daß die Kolonisten sich fortwährend als Engländer, dem englischen Recht unterworfen, und ihre Kolonien als Teile des englischen Staates betrachteten. „We ... the loyall subjects of our dread sovereigne King James... haveing undertaken for the.... honour of our king and countrie, a voyage to plant the first colonie in the Northerne parts of Virginia“ heißt es zu Beginn des berühmten „Maiblumenvertrag“. Einen Staat im Rechtssinne haben die Kolonisten sicherlich nicht gegründet, sonst hätten sie es nicht nötig gehabt, 1776 ihre Kolonien in Staaten zu verwandeln.
So betont, um nur die allerneueste Literatur zu nennen, Rivier, Principes du droit des gens 1896 I p. 54, den faktischen Charakter der Staatsentstehung, führt aber aus, der Staat könne entstehen unter anderem „en suite de conquête, de traité, de succession, de révolutions amenées par une identité plus ou moins consciente d’intérêts, par des aspirations nationales ou religieuses communes“; ebenso führt Ulimann, Völkerr. 1908 S. 123, an: Unabhängigkeitserklärung, gewaltsame Trennung, Auflehnung und Krieg, Vertrag unabhängiger Staaten zum Zweck der Bildung eines Einheits- oder Bundesstaates, Erbschaft; Bonfils, Lehrbuch des Völkerrechts, übers. von Grah, 1904 S. 106, erklärt ganz richtig, auf die Frage nach der Entstehung des Staates habe die Geschichte, nicht das Recht, zu antworten, scheidet aber auch nicht scharf genug die rechtliche Vorgeschichte staatlicher Entstehungsakte von der faktischen Entstehung selbst (z. B. wird für Belgien vertragsmäßige freiwillige Trennung von den Niederlanden als Entstehungsgrund angegeben, was überdies geschichtlich nicht zutrifft). Grundsätzlich übereinstimmend nunmehr v. Liszt, Das Völkerrecht 9. Aufl. 1913 S. 50 § 5 III 1, nach Aufgabe seiner früheren abweichenden Ansicht (3. Aufl. 1904 S. 41 f.).
Haenel, Staatsrecht I S. 36, und An schütz, Enzykl. S. 460, behaupten das Dasein völkerrechtlicher Sätze über Staatengründung; doch ruht ihre Beweisführung auf einer petitio principii: weil ihrer Ansicht nach das Deutsche Reich durch Vereinbarung entstand, deshalb muß ein Staat durch Rechtsakt entstehen können.
Vgl. auch Gierke in Schmollers Jahrbuch 1883 S. 58ff., wo er im Kern mit meinen Ausführungen, Lehre von den Staatenverbindungen S. 253 ff., übereinstimmt. Auf die rein soziale, vorjuristische Entstehung der Körperschaft überhaupt hat Gierke sodann energisch Genossenschaftstheorie S. 23 ff. und Deutsches Privutrecht I S. 483 ff. hingewiesen. Die sozialen Gründungsvorgänge sind ihm allerdings mit Rechtssätzen verbunden. Das gilt zweifellos für die unter einer bestehenden staatlichen Rechtsordnung sich bildenden Körperschaften, nicht für die Staaten seJbst, da Völkerrechtssätze, die solche Gründungen regeln, nicht nachweisbar sind. Grundsätzlich mir zustimmend Seidler, Jur. Krit. S. 71 f.
Daher liegt es auch nicht im freien Belieben der Staatsgewalt, welche Verfassung sie einführen will. Ein hervorragendes Beispiel hierfür bieten die österreichischen Verfassungskämpfe 1861–1867. Die Verfassung vom 26. Februar 1861 hatte einen engeren und einen weiteren Reichsrat in Aussicht genommen, letzterer auch aus den Abgeordneten Ungarns bestehend. Er kam aber niemals völlig zustande, weil der ungarische Landtag sich weigerte, ihn zu beschicken.
Wie es in Europa der Fall war mit Krakau, den Ionischen Inseln, Bulgarien.
Vgl. unten Kap. XV.
Vgl. hierüber Jameson A Treatise on Constitutional Conventions, 4th ed. Chicago 1887, p. 173ff.; v. Holst Das Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Amerika (im Handbuch des öff. Rechts) S. 95ff.; Freund Das öffentl. Recht d. Vereinigten Staaten von Amerika 1911 S.9ff.; Schlief Die staatsrechtliche Stellung der Territorien, im Arch. für öff. Recht IV S. 314ff.; M. Farrand The Legislation of Congress for the Government of the Organized Territories of the United States, Newark 1896, p.53 ff.
Vgl. Laws passed at the second Session of the Legislature of the State of South Dakota. Pierre 1891, p. III ff.
A. a. O. p. XVI.
Verfassung der Vereinigten Staaten von Brasilien vom 24. Febr. 1891 Art. 2: Chacune des anciennes provinces formera un État. Vgl. auch Art. 4 und 63 ff. Diese Verfassung ist in französischer Übersetzung abgedruckt im Annuaire de législation étrangère XXII 1892 p. 977 ff. und bei Dareste Les constitutions modernes II 3. éd. 1910 p. 626ff., in deutscher Sprache bei Posener Die Staatsverfassungen des Erdballs 1909 S. 1022 ff.
Vgl. Bornhak Preußische Staats- und Ilechtsgeschichte 1903 S. 146, 148. Noch 1779 konnte Schluze r an den Minister Zedlitz schreiben: „Die preußische Monarchie ist ein Aggregat von größeren und kleinen Staaten.“ Vgl. Max Lehmann Freiherr vom Stein II 1903 S. 13.
Das ist zutreffend hervorgehoben von Laband I S. 35 f.
Oder vielmehr nicht geordneten. Wenige Punkte des Völkerrechts dürften so wenig geklärt sein wie die Lehre von der Staatensukzession. Über die verschiedenen Theorien vgl. jetzt Max Huher Die Staaten-sukzession 1898 S. 8ff. Die eigene organologische Lösung, die Huber, S. 27 ff., dem Problem gibt, unterliegt auch wesentlichen Bedenken.
Aus der neuesten Zeit vgl. die zusammenfassende Monographie von W. Schoenborn, Staatensukzessionen (in Stier-Sömlos Handbuch d. Völkerrechts II2) 1913.
Bei Einverleibungen wird dieser Vorgang vermittelt durch die juristische Tatsache, daß die Rechtsordnung des untergegangenen Staates bisher von dem einverleibenden Staate anerkannt war, daher die Vermutung für die Fortdauer dieser Anerkennung streitet.
Diese Fragen pflegen in den völkerrechtlichen Systemen behandelt zu werden, so zuletzt von Rivier, Principes II p. 430 ff.; Ulimann, Völkerrecht S. 129 ff. Eine gründliche Untersuchung steht aber noch aus. Knapp und inhaltsreich Ansehütz, Verf.Urk. f. d. preuß. Staat I 1912 S.83ff. Vgl. auch Hatschek im Jahrb. d. ö. R. III 1909 S. 25f. und die eingehende geschichtlich-juristische Abhandlung von Hubrich in Hirths Annalen 1908 S. 662 ff., 725 ff. Ullmann, S. 130, führt die Fortdauer der bestehenden Rechtsordnung darauf zurück, daß Objekt der Erwerbung ein organisierter korporativer Verband mit eigener Rechtsordnung sei, deren Herrschaft von dem Erwerber nur durch andere rechtliche Willensakte abgeändert werden könne. In welcher Rechtsordnung aber hat dieser Satz seinen Ursprung? In der des Völkerrechts sicher nicht (da es an einem dem Erwerber gegenüber berechtigten völkerrechtlichen Subjekte mangelt und nur indirekt, sofern Rechte dritter Staaten in Frage kommen, solche Fälle eine völkerrechtliche Seite erhalten), also könnte er nur staatsrechtlich sein. Wo aber ist das positive Staatsrecht zu finden, das annektierten Gebieten ihr Recht zusichert? Der Satz Ulimanns gehört aber in Wahrheit nicht dem positiven Rechte, sondern der rechtschaffenden aequitas an. Die preußische Praxis von 1866 stand jedenfalls auf dem im Text angegebenen Standpunkt, indem sie ausdrücklich das bestehende Recht bestätigte. So hieß es in dem Hannover betreffenden Einverleibungspatent: „Wir wollen die Gesetze und Einrichtungen des bisherigen hannoverschen Landes erhalten, soweit sie der Ausdruck berechtigter Eigentümlichkeiten sind und in Kraft bleiben können, ohne den durch die Einheit des Staats und seiner Interessen bedingten Anforderungen Einlrag zu tun“, wie denn auch ausdrücklich Schutz der erworbenen Rechte zugesichert wurde. Vgl. Preußische Gesetzsammlung 1866 S. 592. Genau in derselben Weise wurde bei den übrigen preußischen Einverleibungen verfahren. Weitere Beispiele bei Schoenborn a. a. O. S.50ff.
Diese Einheit bemißt sich allerdings nach den jeweilig geltenden sozialen Beurteilungsnormen, wie bei jedem Wechsel in den Elementen einer als einheitlich angesehenen sozialen Gruppe. Auf den bunten Wechsel mittelalterlicher Staatsbildungen mit gleichbleibender sozialer Grundlage sind unsere moderneu Identitätsvorsteilungen nicht ohne weiteres anwendbar. Daß die Frage nach den die Identität der Staaten verbürgenden Elementen bereits im Altertum eingebend diskutiert wurde, beweisen die Ausführungen des Aristoteles, Pol. III 1. Seine Lösung, daß der Staat mit dem Wechsel der Verfassung selbst sich ändere, entspringt seiner Grundanschauung, die das Wesen der Dinge in die Form setzt. Sie ist seit Grotius von den Völkerrechtslehrern abgelehnt worden, allein mit. Argumenten, die denen des bekämpften Gegners keineswegs ebenbürtig sind, zumal ja Aristoteles selbst die praktische Bedeutung der Frage: Fortdauer der Verpflichtungen des verwandelten Staates gegen andere keineswegs verkannte und auch von seinem Standpunkte aus eine den Verkehrsbedürfnissen entsprechende Lösung für möglich erklärte.
Die entgegengesetzte Ansicht wurde von mir früher, Lehre von den Staatenverbindungen S. 30f., vertreten.
Weiteres über diese Frage in Kap. XI.
Um die rechtliche Kontinuität in solchen Fällen zu erklären, hat man zu der römischen Fiktion des Postliminiums seine Zuflucht genommen. Über die völlige Halt- und Wertlosigkeit dieser Konstruktion, die noch immer in den Systemen des Völkerrechts ihren Spuk treibt, vgl. die vortrefflichen Ausführungen von Brockhaus, v. Holtzendorffs Rechtslexikon III 3. Aufl., s. v. Postliminium S. 97f.
Author information
Authors and Affiliations
Additional information
Besonderer Hinweis
Dieses Kapitel ist Teil des Digitalisierungsprojekts Springer Book Archives mit Publikationen, die seit den Anfängen des Verlags von 1842 erschienen sind. Der Verlag stellt mit diesem Archiv Quellen für die historische wie auch die disziplingeschichtliche Forschung zur Verfügung, die jeweils im historischen Kontext betrachtet werden müssen. Dieses Kapitel ist aus einem Buch, das in der Zeit vor 1945 erschienen ist und wird daher in seiner zeittypischen politisch-ideologischen Ausrichtung vom Verlag nicht beworben.
Rights and permissions
Copyright information
© 1921 Springer-Verlag Berlin Heidelberg
About this chapter
Cite this chapter
Jellinek, G. (1921). Entstehung und Untergang des Staates. In: Allgemeine Staatslehre. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-43104-7_9
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-662-43104-7_9
Publisher Name: Springer, Berlin, Heidelberg
Print ISBN: 978-3-662-42822-1
Online ISBN: 978-3-662-43104-7
eBook Packages: Springer Book Archive