Zusammenfassung
Menschliche Institutionen scheiden sich von natürlichen Vorgängen grundsätzlich dadurch, daß sie stetigen Willensprozessen ihren Ursprung und Fortgang verdanken. Menschlicher Wille wirkt aber niemals bloß nach Art einer Naturkraft, deren Effekt, sofern nicht andere Kräfte ihn aufheben, ein ununterbrochener ist. Vielmehr ist die Fortdauer von Willensaktionen stets von vernünftigen Erwägungen abhängig. Dem Einzelbewußtsein stellt sich das soziale Handeln und Leiden niemals bloß unter der Kategorie des Müssens, sondern stets auch unter der des Sollens dar.
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Referenzen
Das ist in der großen Literatur über diese Fragen häufig nicht klar erkannt worden, so daß das Problem der Rechtfertigung des Staates mit dem seiner historischen Entstehung vermischt wurde. Solche Vermischung z.B. deutlich und bewußt bei Stahl III2 S. 169ff. Noch Mohl, Enzyklopädie S. 90 ff., und Bluntschli, Die Lehre vom modernen Staat I S. 298 ff., fassen geschichtliche und spekulative Theorien von der Entstehung des Staates zu koordinierten Gliedern einer Einheit zusammen und trennen beide Kategorien nicht immer scharf genug. Die volle Bedeutung der Frage im Hinblick auf die Lehre vom Staatsverträg hat zuerst erfaßt J. G. Fichte, Beiträge zur Berichtigung der Urteile über die französische Revolution. Sämtliche Werke I S. 80 ff. Den richtigen Standpunkt haben später auch v. Eötvös, Der Einfluß der herrschenden Ideen des 19. Jahrhunderts auf den Staat II 1854 S. 58 ff., sowie H. Schulze, Einleitung S. 139, eingenommen.
In der Regel wurden nämlich die hier zu behandelnden Lehren auf den idealen, die Frage nach der historischen Entstehung auf den empirischen Staat bezogen. So vor allem Hegel Grundl, d. Philosophie d. Rechts §258; ferner H. A. Zachariae Deutsches Staats u. Bundesrecht I S. 57; H.Schulze Einleitung S. 139; Trendelenburg Naturrecht S. 344 ff.; Lasson Rechtsphilosophie S. 293 ff. u.a.
„Al enim nobis ab omni gloriae et dignitatis ardore frigentibus nulla est necessitas coetus, nec ulla magis res alirna, quam publica.“ Tertullianus Apologeticus c. XXXVIII.
Der Staat ist auch ihm ein durch die Sünde notwendig gewordenes Übel. Vgl. H. v. Eicken Geschichte und System der mittelalterlichen Weltanschauung 1887 S. 122.
Über die mystische Konstruktion der beiden Staaten in Augustinus de civitate dei vgl. Reutor Augustinische Studien 1887 S. 128ff.; Rehm Geschichte S. 156. Wenn Augustinus selbst in erster Linie die Verteidigung des Christentums gegen das Heidentum bezweckt und bei ihm keineswegs schon der deutliche Gegensatz von Staat und Kirche vorhanden ist (Reuter S. 151 f.), so ist doch seine Lehre später als auf diesem Gegensatz fußend aufgefaßt worden und hat dadurch auf die politischen Anschauungen des Mittelalters gewirkt.
Vgl. über den letzten Punkt Gierke Genossenschaftsrecht III S. 126, 127.
Vgl. v. Eicken a. a. O. S. 356 ff.
Vgl. Stahl Philosophie des Rechts II1 S. 153 ff. Wenn Stahl selbst auch von Augustinus erklärt, daß er weit über die Grenze gehe, so steht er, trotz der Behauptung, daß der Staat eine göttliche Institution sei, dennoch der Grundanschauung des Augustinus, wie auch aus seinen Ausführungen a. a. O. S. 48ff. u. II2 S. 179ff. hervorgeht, keineswegs schroff gegenüber. Die irdische Ordnung ruht auf der Sünde, der Beruf des Staates aber auf dem Dienste Gottes, — das entspricht ganz jener altchristlichen Lehre. Mit weniger Umschweifen als Stähl hat sich v. Mühler, Grundlagen einer Philosophie der Staats- u. Rechtslehre nach evangelischen Prinzipien 1873 S. 126 ff., zur Augustinischen Theorie bekannt.
Namentlich in dem berühmten Schreiben an den Bischof Hermann von Metz 1081. Mon. Germ. SS. VII p. 357. Die bezeichnendsten Stellen angeführt von Gierke, Genossenschaftsr. III S. 524 N. 16.
Vgl. die Nachweise bei A. Teichmann Eine Rede gegen die Bischöfe. Altnorwegische politische Zeitschrift aus König Sverres Zeit. Basier Universitätsprogramm 1899 S. 17 und 22.
v. Eicken a. a. O. S. 364; Mirbt Die Publizistik im Zeitalter Gregors VII. 1894 S.545f.
XXII 38.
a. a. O. II2 S. 176f.
„Toute puissance vient de Dieu, je l’avoue; mais toute maladie en vient aussi: est-ce à dire qu’il soit défendu d’appeler le médecin?“ Contr. soc. I 3. Uneingedenk dieser Wahrheit haben nahezu hundert Geistliche der verschiedensten evangelischen Bekenntnisse die Abschaffung der Sklaverei 1863 als einen Eingriff in die Pläne der göttlichen Vorsehung bezeichnet (Gomperz Griechische Denker III 1909 S. 260).
Vgl. z.B. Périn Christliche Politik 1876, Pesch Liberalismus, Sozialismus und christliche Gesellschaftsordnung 2, Aufl. 1901.
Vgl. Plato Gorgias 482 E ff., Rep. I 338 C ff.
Vitae XI, Camillus XVII 3,4.
„Per Jus itaque naturae intelligo ipsas naturae leges, sen regnlas, secundum quas omnia fiunt, hoc est, ipsam naturae potentiam; atque adeo totius naturae et consequenter uniuscujusque individui naturale Jus eo usque se extendit, quo “eius potentia.“ Tract. polit. II 4.
Restauration der Staatswissenschaften I S. 340.
Über Verfassungswesen 6. Aufl. 1877 S. 7.
Der Ursprung der. Familie S. 143, 10. Aufl. S. 185.
Engels Ursprung der Familie S. 140, 10. Aufl. S. 182.
Das hat bereits Rousseau in glänzender Form hervorgehoben: „Sitôt que c’est la force qui fait le droit, l’effet change avec la cause: toute force qui surmonte la première succède à son droit. Sitôt qu’on peut désobéir impunément, on le peut légitimement; et puisque le plus fort a toujours raison, il ne s’agit que de faire en sorte qu’on soit le plus fort.“ Contr. soc. I 3.
Plato Gorg. 482 E ff.
Über die neue Theorie der „Rechtssouveränität“ (Krabbe Die Lehre der Rechtssouveränität 1906 S. 168ff.) vgl. unten S. 361 N. 1; bei Krabbe S. 85 ff. eine eingebende Kritik der Machttheorien.
Patriarcha or the Natural Power of the Kings, Die selten gewordene Schrift ist neuerdings abgedruckt in der Ausgabe von Locke Two treatises on Civil Government, in Morleys Universal-Library 2. ed., London 1887. und übersetzt von Hilmar Wilmanns in John Locke Zwei Abhandlungen usw. 1906 S. 1 ff. Denselben Gedanken wie Filmer, von dem übrigens Spuren viel früher zu finden sind, hatte der Holländer Graswinckel, De iure majestatis 1642, in Bekämpfung der Ansichten der Jesuiten Bellarm in und Suarez entwickelt, welch letzterer, Tractatus de legibus de Deo legislature 1619 1. III 1, den Menschen als frei von jeder Autorität geboren werden läßt. Vgl. auch G. Jellinek Adam in der Staatslehre 1893 S. 11 ff. (Ausgew. Schriften u. Heden II 1911 S. 30ff.); derselbe Hobbes und Rousseau (ebendaselbst S. 11).
Algernon Sidney Discourses concerning Government 1698 (fünfzehn Jahre nach des Verfassers Tod). Über seine Lehre zuletzt Liepmann Die Rechtsphilosophie des J.J.Rousseau 1898 S. 50 ff.
De cive IX 10, Leviathan XX.
Leviathan l. c.; Hobbes English Works, ed. by Molesworth, III 1839 p. 186.
Spuren der patriarchalischen Lehre bei Haller a. a. O. I S. 515.
Hanc enim ob causam maxime, ut sua tenerent. res publicae civitatesque constitutae sunt. De off. II 21, 73.
Noch Biener, De natura et indole dominii in territoriis Ger-maniac 1780 p. 40 ff., erklärt die superioritas territorialis als einen Bestandteil des Eigentums. Die Fürsten werden domini terrae genannt, ad dominium et superioritatem nati, domini hereditarii et naturales, p.46. Über die patrimoniale Staatslehre in den letzten Jahrzehnten des alten Reiches vgl. die eingehende Untersuchung bei Preuß Gemeinde S. 327ff.
Grotius unterschied I 3,11; II 6,3; 7,12 zwischen Patrimonial- und Usufruktuarstaaten, welche Kategorien von vielen Späteren, so von Pufendorf und Wolff, akzeptiert wurden.
A. a. O. I S. 473ff., 512.
Für Haller „ist es gewiß, daß das Eigentum vor allen menschlichen Gesetzen bestanden hat, und es besteht noch häufig ohne dieselben Kein einziges Gesetzbuch hat je das Eigentum eingeführt oder angeordnet ... So ist auch das Eigentum nicht aus den Staaten, sondern im Gegenteil die Staaten oder Herrschaften sind aus dem Eigentum (dem angeborenen und dem erworbenen) hervorgegangen.“ A.a.O. II S. 57.
Für die Fortdauer alter, überwundener Theorien im Gefüge moderner Ideen sei hier als Beispiel nur angeführt eine merkwürdige, vom Staatsgute handelnde Bestimmung der bayerischen Verfassung vom 6. Juni 1818 Tit. III § 1: „Der ganze Umfang des Königreichs Baiern bildet eine einzige untheilbare unveräußerliche Gesammt-Masse aus sammtlichen Bestandtheilen an Landen, Leuten, Herrschaften, Gütern, Regalien und Renten mit allem Zu gehör.“ Gemeint ist mit dieser altfränkischen Wendung der sehr moderne Satz von der Unteilbarkeil des Staates. Die Entstehungsgeschichte des aus der Domanialfideikommißpragmatik von 1804 herübergenommenen Satzes bei Seydel Bayer. Staatsr. I S. 133, 336. Über die Wiederentdeckung des patrimonialen Staates im heutigen Deutschland siehe unten Kap. XX (S. 676 N. 1).
Vgl. darüber Rehm Geschichte S. 13 ff.; dazu Kaerst, Ztschr. f. Politik II 1909 S. 509 ff., und Menzel, Ztschr. f. Politik III 1910 S. 215 f.
Protag. 323, Rep. II 359 A.
Vgl. Hildenbrand Geschichte u. System I S. 515ff. Nicht unwahrscheinlich ist es, daß Epikur auch diese Gedanken aus Demokrit geschöpft habe, wie Gomperz, Griech. Denker 1 S. 317, vermutet.
So z. E. für die ehedem politisch so bedeutsame Lehre vom Tyrannenmord, vgl. Lossen Die Lehre vom Tyrannenmord in der christlichen Zeit 1894.
So sind u. a. der Bund, den Josia und das Volk mit Jahwe schließen, 2. Beg. XXIII 1–3, sowie der Bund, den Jojada, 2. Chron. XXIII 16, mit dem Könige und dem Volke abschließt, daß sie des Herrn Volk sein sollen, für die Rechtsanschauungen von Bedeutung geworden. — Neuerdings wird der Bund Gottes mit dem jüdischen Volke für die Geschichte des Völkerrechts verwertet von Gybichowski, Das antike Völkerrecht 1907 S. 20 f.
1. Sam. IX–XI.
2. Sam. V 3; vgl. Gierke Genossenschaflsr. III S. 570.
Interessant, für die Vermischung von Jurisprudenz und Theologie sind z.B. die Ausführungen von Junius 13 rutus (nach neueren Forschungen nicht Pseudonym für Hubert Languet, sondern für Du Plessis-Mornay, vgl. G. Weill Les théories sur le pouvoir royal en France pendant les guerres de religion, Paris 1891, p. 109), Vindiciae contra lyrarmos 1580, über die Korrealohligation, die Gott einerseits, der König und das Volk anderseits abgeschlossen haben, sowie die Ableitung des Königsrechtes aus dem Volkswillen trotz der göttlichen Einsetzung des Königs durch Unterscheidung von electio und constitutio regis. Vgl. Treumann Die Monarchomachen (Jellinek — Meyer Staatsund völkerrechtliche Abhandlungen I 1) S. 56 f., S. 62ff. Ober Mornay und die Vindiciae handelt nunmehr in gründlichster Untersuchung A. Elkan Die Publizistik der Bartholomäusnacht 1905.
Inst. I 2 §6, pr. D. de const. princ. 1, 4. Vgl. Gierke Gen.-Recht III S. 570f. Bezold, Die Lehre von der Volkssouverämtät während des Mittelalters, Historische Zeitschrift 36 S. 323, läßt die Wirkung dieser Stellen bereits im 11. Jahrhundert bei Manegold von Lautenbach eintreten. Dagegen Rehm Geschichte S. 166.
Bezold a. a. O. S. 322 ff.; Mirbt Publizistik S. 22G ff.
Diesem Satze steht v. Lemayer, Begriff des Rechfsschutzes S. 49 N. 70, zweifelnd gegenüber, indem er die mittelalterliche Vertragstheorie an unserem entwickelten Staatsbegriff mißt, der von dem durch die autoritären aristotelischen und christlichen Lehren gebundenen Denken jener Zeit nicht erzeugt werden konnte. Um die mittelalterlichen Theorien zu würdigen, darf man aus ihnen nicht Folgerungen ziehen, die erst einer späteren Epoche möglich waren.
Vgl. Defensor pacis I 3–4, 6.
Vgl. Gierke Gen. Recht III S. 626ff.
Vgl. oben S. 48. Die bei Gierke, S. 629 N. 303, zitierten Schriften paraphrasieren trolz der Betonung des Staates als Willenstat nur die aristotelische Lehre.
The Laws of Ecclesiastical Polity, book I–IV, zuerst 1594, wiederabgedruckt in Morleys Universal-Library 1888, namentlich I 10 p. 91: Two foundations there are which bear up public societies, the one, a natural inclination, whereby all men desire sociable life and fellowship; the other an order expressly or secretly agreed upon touching the manner of their union in living together. p. 93: To take away all such mutual grievances, injuries and wrongs, there was no way but only by growing unto composition and agreement amongst themselves; by ordaining some kind of government public, and by yielding themselves subject thereunto; that unto whom they granted authority to rule and govern, by them the peace, tranquillity, and happy estate of the rest might be procured. Hooker war später hohe Autorität für Sidney und Locke in ihrem Kampfe gegen Filmer. Auf ihn beriefen sich die Gemeinen 1688 bei der Absetzung Jakobs II.
Vgl. Weingarton Pie Revolutionskirchen Englands 18G8 S. 13 ff.; Borgeaud Premiers programmes de la démocratie moderne, Annales de l’écule libre des sciences politiques V 1890 p. 318 ff.; G. Jellinek Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 2. Aufl. 1904 S. 35 ff.; Goocb English democratic ideas in the seventeenth century, Cambridge 1898, p. 34 ff., 73 ff. Eine Geschichte der modernen Staatsvertragstheorie hat au diese schottisch-englisch-amerikanische Bewegung anzuknüpfen. Bisher wurde die Entwicklung dieser so einflußreichen politischen Theorie viel zu sehr als rein literarische betrachtet. Die Gründer der Vertragslehre in ihren epochemachenden, auf die außerenglische Literatur tief einwirkenden Formen, Hobbes und Locke, standen bei Aufstellung ihrer Grundlehre sicherlich weitaus mehr unter dem Einflusse der von ihnen bekämpften oder angenommenen populären englischen Anschauungen als unter dem Banne irgendwelcher älterer gelehrter Schriftsteller.
Gierke J. Althusius S. 76 und der Zusatz S. 329 N. 10.
Althusius Politica (ed. IV, Herborn 1625) V p. 59ff. Die gewaltige Wirkung der Idee des Sozialvertrages lag darin, daß der Staat unmittelbar aus dem Willen des Individuums hervorgehend gezeigt wurde; bei Althusius schieben sich aber zwischen Individuum und Staat mehrere Zwischenglieder derart ein, daß der Zusammenhang zwischen Individualwillen und Existenz des Staates ganz verdunkelt wird. Die Lehre des Althusius vom Herrschaftsvertrag XIX p. 326 ff. gießt längst vorhandene Gedanken in schul gerechte Formen und bringt zahlreiche dem Zeitgeschmacke entsprechende Belege für die aufgestellten Sätze. Auch die Stellen aus des Althusius Dicaeologica I (ed. II, Francofurti 1949, p. 283) c. 81 nr. 4, 7, auf die sich Gierke beruft, bringen die Ableitung des Staates aus dem Individuum keineswegs zum klaren Bewußtsein. Daß Althusius aber direkt auf die Lehren der Engländer gewirkt habe, halte ich für unerwiesen. Jedenfalls hat Hooker den Gosellschaftsvertrag schon vor Althusius in England populär gemacht. Das wird auch durch die neuerlichen Bemerkungen Gierkes, Althusius S. 328 N. 10, nicht widerlegt. Ob Hookers Ausführungen populär und verschwommen sind, die des Althusius hingegen den ersten systematischen Ausbau der Lehre vom Gesellschaftsvertrage bedeuten, ist eine rein literarhistorische Streitfrage, die an der geschichtlichen Tatsache nicht zu rütteln vermag, daß die großen Schriftsteller der englischen demokratischen Bewegung sich stets nur auf Hooker und niemals auf Althusius berufen, der nur in untergeordneten Gelegcnheitsschriften jener Zeit genannt wird; vgl. Gooch a. a. O. p. 5G. Welche literarische Wirkung Althusius sonst gehabt haben mag, ist an dieser Stelle nicht zu untersuchen.
Nur einige kürzere Sätze sind Proleg. § 15 der Vertragslelue gewidmet.
Vgl. De cive V 12, Lev. XVII p. 159. Über den Zusammenhang der Staatslehre des Hobbes mit seinen philosophischen Grundanschauungen vgl. namentlich Robertson Hobbes, Edinburgh and London 1886, und Tönnies Anmerkungen über die Philosophie des Hobbes, Vierteljahrsscbrift f. wissenschaftliche Philosophie III–V 1879–81, namentlich IV S. 428ff. u. V S. 186ff.; ferner derselbe Thomas Hobbes, Deutsche Rundschau 1889 VII S. 94ff., und Hobbes Leben und Lehre 1896 S. 199 ff. Die neueste Darstellung des gesamten Systems des Hobbes ist das posthume Werk von Leslie Stephen Hobbes, London 1904.
Das hat Hobbes in vollster Klarheit ausgesprochen in der Vorrede zu seinem Buche De cive: „Sicut ex quibus rebus quaeque res constituitur ex iisdem etiam optime cognoscitur. Sicut enim in Horologio automato aliave machina paulo implicatiore, quod sit cuiusque partis rotaeque officium, nisi dissolvatur, partiumque materia, figura, motus, seorsum inspiciatur, sciri non polest: IIa in iure civitatis, civiumque offieiis investigendis opus est, non quidem ut dissolvatur civitas, sed tamen ut tanquam dissoluta consideretur, id est, ut, qualis sit natura humana, quibus rebus ad civitatem compaginandam apta vel inepta sit, of. quomcdo homines inter se componi debeant qui coalescere volunt recte intelligatur.“ In der Anwendung dieser analytischen und rationalen Methode steht Hobbes ohne jeden Vorgänger da.
Leviathan XVII p. 156ff.
Ihn formuliert Hobbes Lev. XVII p. 158 folgendermaßen: „I authorize and give up my right of governing myself, to this man or to this assembly of men, on. this condition, that thou giveth up thy right to him and authorizeth all his actions in like manner.“ Das ist aber nur so zu deuten, als ob jeder die verbindende Formel spräche, „as if every man should say to every man“; keineswegs denkt daher Hobbes an einen dereinst historisch abgeschlossenen Vertrag. Rehm, Geschichte S. 242 (ähnlich schon früher Bischof, a. a. O. S. 1371), sucht nachzuweisen, daß Hobbes nicht durch einen, sondern durch zwei Verträge den Staat entstehen läßt, nämlich durch einen von den Individuen untereinander und sodann von dem Individuum mit dem Herrscher abgeschlossenen Vertrag, durch welchen es dem Herrscher sein Recht der Selbstregierung überträgt. Allein nach den eigentümlichen Vorstellungen des — nicht juristisch, am allerwenigsten aber romanistisch geschulten — Hobbes wird durch eine, wenn auch von dem anderen akzeptierte translatio iuris kein Vertrag begründet, vielmehr versteht er unter contractus und pactum nur zweiseitige Verträge (De cive II 9, 10). Entscheidend aber für die definitive Auffassung des Hobbes sind die neun Jahre nach dem Buch De cive folgenden Ausführungen im Leviathan XVIII p. 161, wo er mit der höchsten Energie gegen jedes Vertragsverhältnis zwischen Herrscher und Untertan protestiert. Hier zieht Hobbes die wichtigste praktische Folgerung aus seinem System, der gegenüber mannigfaltige Unklarheiten und Widersprüche, denen ja selbst der schärfste Denker nicht entgeht, zurücktreten müssen. Schon Pufendorf, dem doch Hobbes gründlich bekannt war, hat (De iure naturae et gentium VII 2 § 9), seiner Auffassung der Hobbes schen Lehre die erwähnte Stelle aus dem Leviathan zugrunde gelegt und demgemäß den staatsgründenden Vertrag des Hobbes für einen einheitlichen erklärt. Über eine ähnliche Konstruktion bei Leibniz: E.Ruck Die Leibnizsche Staatsidee 1909 S. 63 ff.
Lev. XX p. 185 ff.
Sie findet sich neuestens noch bei Seeley, p. 55; ferner bei Ludwig Stein, Soziale Frage S. 357, der allerdings meine Ausführungen erwähnt, ohne zu ihnen Stellung zu nehmen.
Vgl. Robertsonp. 147; neuerdings auch eingehend L. Stephen a. a. O. p. 192 ff.; Liepmann, a. a. O. S. 44, hat richtig erkannt, daß die Vertragsidee bei Hobbes Beurteilungsnorm der zweckmäßigen Einrichtung des Staates ist. Wenn er aber Hobbes vorwirft, daß dieser hierbei in einer Halbheit stecken geblieben sei, so hat er diesen Vorwurf in solcher Schroffheit kaum gerechtfertigt. In dem Gesamtbau des Hobbes schen Systems ist er jedenfalls nicht begründet.
Vgl. Tönnies Hobbes Leben S. 207 f.
A. a. O. VII 2 § 9.
Two treatises II ch. 8. Auch Sidney, ch. II sect. V, führt eine Menge von Beispielen angeblicher staatsgründender Verträge an.
VII 2 §§ 7, 8.
1. c. § 8.
Über ihn neuestens H. Rodet, Le contrat social et les idées politiques de. J. J. Rousseau 1909, und in breiten apologetischen Ausführungen Haymann, J. J. Rousseaus Sozialphilosophie 189S. Wenn hier auch manche der hergebrachten Irrtümer über die Lehre Rousseaus von neuem widerlegt sind, so ist doch dieser Versuch, durch Widersprüche verdeckende Interpretationskunst Rousseau zurn Schöpfer eines originalen, in sich festgeschlossenen Gedankensystems zu stempeln, erfolglos. — Über das Verhältnis von Hobbes zu Rousseau G. Jellinek in dem Vortrage „Die Politik des Absolutismus und die des Radikalismus“ (Ausg. Schriften u. Reden II 1911 S. 3 ff.).
Ähnlich wie Rousseau — vielleicht von ihm beeinflußt — verhält sich Blackstone, Commentaries I p. 52, zum „original contract of society“. Vgl. auch Rehm Staatslehre S. 267.
„L’homme est né libre, et partout il est dans les fers. Tel se croit le maître des autres, quine laisse pas d’être plus esclave qu’eux. Comment ce changement s’estil fait? Je l’ignore. Qu’est-ce qui peut le rendre légitime? Je crois pouvoir résoudre cette question.“ Contr. soc. I 1. Sehr deutlich hatte Rousseau bereits in der Einleitung zum Discours sur l’inégalité parmi les hommes allen Historismus abgelehnt: „Commençons donc par écarter tous les faits, car ils ue touchent point à la question. 11 ne faut pas prendre les recherches dans lesquelles on peut entier sur ce. sujet pour des vérités historiques, mais seulement pour des raisonnements hypothétiques et conditionnels.“ Die richtige Auffassung bereits energisch vorgetragen von J.G.Fichte Beiträge WW. VI S. 80. Neuerdings ist sie wieder erkannt worden von Stammler, Die Theorie des Anarchismus 1894 S. 14; Liepmann, S. 95ff., und in anderer, der Rousseausehen Lehre mehr entsprechender Wendung von Haymann, a a. O. S. 57 ff.; vgl. auch Rehm Staatslehre S. 267 und Gierke Althusius S. 318ff.
Auf weitgehende Analogien dieser Lehre des Rousseau mit Ge danken des Spinoza hat Ad. Menzel, Wandlungen in der Staatslehre des Spinoza 1898 S. 23ff., aufmerksam gemacht. Vgl. auch Ad. Menzel Der Sozialvertrag bei Spinoza (Grünhuts Z. 34. Bd. 1907 S. 451 ff.). Die Idee, daß in der Demokratie jeder nur seinem Willen unterworfen bleibe, weist auf antike Anschauungen zurück.
A l’égard des associés ils___s’appellent en particulier citoyens, comme participant à l’autorité souveraine, et sujets, comme soumis aux lois de l’Etat I 6.
Ober Kants Originalität vgl. auch M. Salomon im Arch. d. ö.R. 28. Bd. 1912 S.97ff.
Und vor ihm Fichte in dem bereits zitierten Jugendwerk, das 1793, fast vier Jahre vor der Kantschen Rechtslehre, erschienen war.
Die zahlreichen Nuancen der nachkantischen Vertragslehre zu erörtern, würde an dieser Stelle zu weit führen, zumal sie keine originellen Ideen enthält. In ihr kehren aber auch die alten Irrtümer wieder. So erklärt noch Rotteck, Vernunftrecht II S.52, den Staatsvertrag für wirklich abgeschlossen, also zugleich für den rationalen und historischen Grund des Staates.
Rechtslehre § 47. Ferner: „Der Geschichtsurkunde dieses Mechanismus nachzuspüren, ist vergeblich, d. i. man kann zum Zeitpunkt des Anfangs der bürgerlichen Gesellschaft nicht herauflangen (denn die Wilden errichten kein Instrument ihrer Unterwerfung unter das Gesetz, und es ist auch schon aus der Natur roher Menschen abzunehmen, daß, sie es mit der Gewalt angefangen haben werden).“ Ebenda § 52. Doch verdient hervorgehoben zu werden, daß in Deutschland vor Kant bereits Svarez bei Abfassung des Allg. Landrechts denselben Gedanken vertrat. Er gründet die dem Staatsoberhaupt zustehende Ausübung aller dem Staate gegen Mitglieder zustehenden Rechte auf den Grundsatz des Staatsvertrags und fährt fort: „Diesen Grund-Satz halte ich zwar nicht für historisch richtig, weil die Geschichte, wenigstens der allermeisten älteren und neueren Staaten beweist, daß physische und moralische Unterjochung ihr Ursprung gewesen sey. Es ist aber doch philosophisch wahr, und wenigstens eine sehr bequeme Hypothese, um daraus die Rechte und Pflichten zwischen Regenten und Unterthanen zu erklären.“ Vgl. Stölzel Carl Gottlieb Svarez 1885 S. 384.
Unter diesem Gesichtspunkte hält Eötvös, Einfluß II 1854 S. 61, an der Vertragslehre fest, die er klar als reine Rechtfertigungstheorie erkannt hat.
A. a. O. VIII ch. 17, 18.
A. a. O. S. 115. Die Unverbindlichkeit der Verträge kraft Natur-rechts hatte früher schon Spinoza behauptet, daher seine Lehre vom staatsgründenden Vertrage (Tract. theologico-politicus c. XVI) nur auf freie Anerkennung des objektiv notwendigen menschlichen Machtverbandes durch seine Glieder zielt.
A.a.O. S. 148. Fichte fährt hierauf fort: „Zu jeder Revolution gehört die Lossagung vom ehemaligen Vertrage und die Vereinigung. durch einen andern. Beides ist rechtmäßig, mithin auch jede Revolution, in der beides auf die gesetzmäßige Art, d. i. aus freiem Willen, geschieht.“ An diese Fichteschen Ideen klingen die Ausführungen von A. Menger an: Neue Staatslehre 1903 S. 217 (3. Aufl. 1906 S.169f.).
De cive II 2.
Jus naturae II §§ 78, 79, VIII § 1.
A. a. O. Einleitung § C, § 15.
Staatslehre oder über das Verhältnis des Urstaates zum Vernunft-reich (1813), WW. IV S. 434.
Philosophie des Rechts §258.
Z. B. Schmitthenner Grundlinien des allg. oder idealen Staats rechts 1845 S.263; H. A. Zachariae D.Staats- u. Bundesr. I S. 63; Zöpfl Grundsätze I S.80; H.Schulze Einleitung S.153; Ahrens Naturrecht I S. 271; Trendelenburg Naturrecht S. 330.
Daher können viele Anhänger der ethischen Theorie auch hier genannt werden. Ferner Lasson Rechtsphilosophie S. 298 ff.
In den neuesten Systemen der Ethik von Wundt, Paulsen, Höffding, die doch ex professo vom Grunde des Staates zu handeln hätten, wird diese Frage nicht erörtert, oder doch nur gestreift.
Aristoteles spricht I 2, 1253a, 30, von der „όϱμή“, die in allen auf Bildung, des Staates gerichtet ist. Das ist aber nichts anderes als der Geselligkeitstrieb, der durch die höchste Form der Gesellschaft befriedigt wird, die Aristoteles nur durch ihren Zweck, nicht aber durch ihre Struktur von anderen Gesellschaftsformen scheidet.
Worin der Unterschied beider Gattungen von Regeln besteht, wird unten Kap. XI erörtert werden. Stammler, Theorie des Anarchismus S. 24, und Wirtschaft und Recht, 2. Aufl. S. 121 ff., 477 ff., stellt der Rechtsregel die Konventionalregel gegenüber, die ihm zufolge nur kraft Einwilligung der ihr Unterstellten gelten soll, eine schiefe Auffassung der nichtjuristischen sozialen Normen, die überdies das ganze dispositive Recht des Rechtscharakters beraubt und zur „Konventionalregel“ stempelt. Aus der Tatsache, daß ich mich einer sozialen Norm entziehen kann, folgt keineswegs auch, daß sie nur vermöge meiner Einwilligung gelte. Die Geltung solcher wie aller Normen beruht auf innerer Erfahrung, die von der dunkeln Empfindung bis zur klaren Überzeugung gehen kann, daß man durch die Norm verpflichtet sei, nicht auf der Möglichkeit, ihre Geltung zu verneinen. Gegen Stammlers Konventional-regeln auch Bierling im Arch. f. Rechtsphilosophie III 1910 S. 155 ff. Stammler operiert mit dem Begriff des Geltens, ohne ihn irgendwie zu erklären. Und doch müßten Untersuchungen wie die seinen zuerst die kritische Frage erörtern: Was heißt eine gültige Regel, und wie ist ein Gelten für den Willen möglich ? — In seinem neuesten Werke widmet denn nunmehr Stammler dem Probleme des rechtlichen Geltens einen ganzen Abschnitt (Theorie der Rechtswissenschaft 1911 S. 114 ff.) und kömmt zu Ergebnissen, die den Ausführungen des elften Kapitels dieser Staatslehre ziemlich nahestehen.
Das einzige diesen so mannigfaltige Nuancen aufweisenden anarchistischen Lehren gemeinsame Element. Vgl. Ellzbacher Anarchismus S. 262.
Das ist treffend hervorgehoben von Bernatzik, Der Anarchismus, in Schmollers Jahrbuch XIX 1895 S. 15 f.
Vgl. von sozialistischer Seite die zutreffenden kritischen Ausführungen von Ed. Bernstein Zur Geschichte und Theorie des Sozialismus 1901 S. 197 ff.
Stammler, Theorie des Anarchismus S. 42f., gründet gemäß seiner Lehre von der Konventionairegel die Berechtigung der Rechtsordnung auf ein ganz untergeordnetes Moment: daß sonst Handlungsunfähige aus der Gemeinschaft ausgeschlossen blieben. Hat man aber erkannt, daß die Geltung nichtjuristischer sozialer Regeln nicht notwendig von der Einwilligung der Gesellschaftsglieder abhängt, so schwindet dieses Argument. Elternliebe, humane Oberzeugungen, praktische Erwägungen bilden die nichtjuristische und auch nicht konventionelle Regel aus, daß für die Handlungsunfähigen zu sorgen sei. Von Stammlers Standpunkt aus ließe sich daher „das Recht des Rechtes“ überhaupt nicht erweisen. In Wirtschaft und Recht S. 541 ff. rechtfertigt er allerdings das Recht anders und zutreffender als notwendiges Mittel zu einer allgemein gültigen Gesetzmäßigkeit des sozialen Lebens der Menschen (namentlich S. 547).
Wie furchtbar die Vereinsgewalt dem einzelnen Mitgliede auf dem Boden der heutigen gesetzlichen Vereinsfreiheit werden kann, beweisen die höchst lehrreichen Daten und Ausführungen von A. Leist, Untersuchungen zum, inneren Vereinsrecht 1904, namentlich S. 3 ff. und 99 ff.
Bine vorzügliche Kritik der sich in den Einzelheiten so sehr widersprechenden anarchistischen Lehren bei A. Menger Neue Staatslehre, 3. Aufl. 1906 S.6 ff., wo namentlich auch dargelegt wird, daß zwischen den verschiedenen anarchistischen Gruppen notwendig Streit entstehen müsse und jedes Mittel der friedlichen Streitentscheidung fehlen würde.
Vortrefflich hat Merkel, Jurist. Enzyklopädie §37. hervorgehoben, daß das konkrete Recht stets mit einem gewissen-Maße von Ungerechtigkeit behaftet ist.
Wenn auch nicht nur im Staate Recht sich bildet, so bedarf dach alle Rechtsbildung zu aller Zeit eines höchsten Macht- und Rechts-verbandes. Man erinnere sich, was früher über die dynamische Natur des Staatsbegriffes gesagt wurde.
Pol. I 2, 1253a, 31 ff.
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Dieses Kapitel ist Teil des Digitalisierungsprojekts Springer Book Archives mit Publikationen, die seit den Anfängen des Verlags von 1842 erschienen sind. Der Verlag stellt mit diesem Archiv Quellen für die historische wie auch die disziplingeschichtliche Forschung zur Verfügung, die jeweils im historischen Kontext betrachtet werden müssen. Dieses Kapitel ist aus einem Buch, das in der Zeit vor 1945 erschienen ist und wird daher in seiner zeittypischen politisch-ideologischen Ausrichtung vom Verlag nicht beworben.
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© 1921 Springer-Verlag Berlin Heidelberg
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Jellinek, G. (1921). Die Lehren von der Rechtfertigung des Staates. In: Allgemeine Staatslehre. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-43104-7_7
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-662-43104-7_7
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